[49] Stimmen des Schweigens

Gesänge der Düfte, Töne und Farben

Herbst des Blinden

Grau das Weinlaub.
Bleich, goldbleich Platanen.
Sagt ihr nicht, so matt duftet der Herbst?
Grau das Blatt, das meine Wange streifte,
Grau?
Es brennt in Kälte.
Schwarz gellen ferne Stürme.
Dumpf kochend rollen Wellen
In schwarzen Schlangen über meinen Leib.
Und bleich, goldbleich?
Geschmeidig wiegen auf kühlen Zweigen Orangenkelche,
Umneigen meinen Scheitel,
Befühlen Wangen, Nacken,
Umschmiegen glatt wie Luft in hellen Nächten
Mein Haar.
Und halten meinen Schritt
Schneelind umfangen.
Düfte tief von Moosen, Erdgewürzen,
Schießen in Ruten hell und in Kaskaden,
Stürzen von wehen Rosen
Lavawilde Bronnen,
Zerschellen Schaum von wunden Malven, Caprifolien, Nelken,
Von welken Heliotropen und Levkoien
Schnellen die letzten Schreie
Heiß wie schwarzer Wein.

[50] Im Buchenwald

Du gehst tief auf dem goldenen Grunde der Seen.
Lautlos steigen in Strahlen graue Korallen,
Fließen Phosphorfeuer von grünen Kristallen,
Sinken Perlen auf den braunwelken Grund.
Draußen von silbernen Sonnenufern
Neigen sich Glocken
Und locken mit blauen Kelchen
Die smaragdene Tiefe.

Abend

Schwarze Moose.
Erdgeruch in lauen Flocken.
Schmale dünne Silberblüten
Und Gesang von bleichen Glocken.
Welke Feuer löschen leise.
Nur ein Atmen warmer Flut.
Blühend schmelzen rote Meere,
Dunkle Sonnen saugen Blut.

Faulbaumduft

Weiß der Park, ein Korallenhain.
Eisfäden schneiden den See.
Grün gleißen Pfauen im Sternenschein
Auf ätherblauem Schnee.
Scharfblanke Höhlen,
Goldätzend in Helle.
Auf hyazinthener Schwelle
Brütet scharlachen ein Mond.

Kuckuckruf

Braune Blätter spülen auf dem Schlamme.
Aus den Schattenschluchten
Mondnachtaugen einer Hindin.
[51]
Scharlach, schwül, von kalten Schwämmen.
Zwischen schwarzen Wurzeldämmen
Eine blaue Erdgasflamme
Wankt
Und
Löscht.

Amselsang

Fliehende Kühle von jungen Syringen,
Dämmernde Grotten cyanenblau,
Wasser in klingenden Bogen,
Wogen,
Auf phosphornen Schwingen,
Sehnende Wogen.
Purpurne Inseln in schlummernden Fernen.
Silberne Zweige auf mondgrüner Au.
Goldene Lianen auf zu den Sternen,
Von zitternden Welten
Sinkt Feuertau.

Morgenduft

Schwergebogen nasse Äste,
Trübe Aprikosenblüten.
Unter tiefen Wolken schleichen
Feuchte Wege.
Aschenweiche tiefe Wälder,
Kahle perlenmatte Fjorde,
Kaltes Schilf. Auf glasigem Grunde
Spielen scheue Rosenmuscheln.

Vollmond

Gelbes Eis
Und grüne Nebel.
Kranke Kallablüten leuchten.
Von den bleichen Bechern rinnet
Goldnes Öl in sanften Strömen.
[52]
Warmer Moder,
Nackte Schädel.
Über weiße Marmorwüsten
Fliehen lautlos
Schwarze Schwäne.

Rosenduft

Weinrot brennen Gewitterwinde.
Purpurblau der Seerand.
Hyazinthentief die ferne Küste.
Ein Regenbogen veilchenschwül
Schmilzt durch weihrauchblaue Abendwolken.
Im Taudunkel lacht
Eine heiße Nachtigall.

Wolkenschatten

Schwarz schleichen Efeuwellen
Über Goldlackranken.
Im Glimmersande rauchen
Violenschwüle Quellen.
Aschenfalter wehen und tauchen
Durch den klingenden Äther.
Die Gesänge der Lilien
Wanken und flehen.

Resedaduft

Lilakühl das Schweigen nach dem Regen.
Blaue Winde fließen über dunkle Ackerfurchen.
Im lichtgrünen Himmelskelch
Öffnet sich der erste Stern.

[53] Jasmin

Wachsbleich fließt die Sommernacht.
Auf erddunkeln faulen Lachen
Bleisüß rosigblaue Irishäute.
Wetterleuchten, schwefelgrün, in Splittern.
Eine weiße dünne Schlange sticht
Züngelnd nach dem blauen Mond.

Totes Feuer

Blaß schweigt der Mohn.
Noch ein fernes Schwingenrauschen,
Hohle Stille dann ...
Und die leeren Kelche lauschen.
Klaffend geöffnet
Hungernde Grüfte.
Steine klagen.
Schneidend im Dunkel
Weiße Sensen.
Darbend pfeifen die Lüfte.

Regenduft

Schreie. Ein Pfau.
Gelb schwankt das Rohr.
Glimmendes Schweigen von faulem Holz.
Flüstergrün der Mimosen.
Schlummerndes Gold nackter Rosen
Auf braunem Moor.
Weiße Dämmerung rauscht in den Muscheln.
Granit blank, eisengrau.
Matt im Silberflug Kranichheere
Über die Schaumsaat stahlkühler Meere.

[54] Meerwassergeruch

Ein Blau aus fliehenden Wäldern
Sengend, nachtheiß.
In hohler Weite schneidend weiß.
Sand bis zum Erdrand.
Wolkenschatten in schwarzbleichem Zug,
Stumme Geier in lohendem Flug,
Röchelnde Stille.
Gelb zücken die Lüfte.
Fern Donner
Blutet schwarzrot
Durch eisige Klüfte.

Reif

Auf schwarzen Auen
Kalte grünblanke Mondrosen.
Scharf kristallene Sternblüten,
Und senken weißen klingenden Samen
In die weißen singenden Winde.
Streng keimen marmorkühle Myrthen,
Edelweiß aus wehem klagenden Alabaster,
Singen mit den weißen Winden:
: Eine eisblasse Mondwelle schläft
Bei den mattgrauen Wellen der Sonne ...

Herbstflammen

Hell brennen die Wälder.
Braun versengt sprühen die Eichen.
Weiche Buchenkronen glühen,
Jagen auf in sonnengelbem Schaum.
Rot Pilze,
Gifttrunken.
Grün zucken Moose.
[55]
Weisfeuchte Funken sprengen Granit.
In grelle Breschen gespalten die Tannennacht
Rotglut verschüttet um Ulme und Eschen.
Gelbschrill in Feuerfahnen lohen Platanen.
Schwefelscharf Augen,
Glimmen, sengen,
Schneidendweiß klafft Gebiß.
Goldbraune Panther schleichen stier,
Dunkelheiß mit singendem Atem,
Die weißen Kehlen pochen in Gier.
Rollend gewölbt,
Flammen wildgelb,
Stürzen vom Laub,
Schlagen in Purpurgruben zusammen.
Schwarz aus roter Brunst
Schreie ...
Ein Weib ...
Brüllender Dunst von brechendem Blut,
Scharlachen in goldbrandigem Laub
Wälzt sich ein rauchender Leib.
Dunkelgeduckt,
Gelbe Augen,
Blankes Gebiß.
Panther umgleißen den flammenden Strauch.
Rot kocht der Rauch,
Die weißen Kehlen pochen in Gier ...
Gelber Regen vom Birkenreise.
Gelbe Blätter zitternd geflogen
Von den silbernen Birkenbogen.
Leise Fäden in wallenden Zweigen,
Frauenhaar.
Und die Sonnenstrahlen spreiten
Singendes Licht in die lallenden Saiten.
[56]
Mondklar ein Jüngling,
In sehnenden Linien
Einer schlanken Kallaraute.
Weiß des Knaben Finger,
Und pflücken
Von der blanken Birkenharfe
Blaue schwanke sehnende Laute.
Lautlos fällt der Wald in Asche.

November

Grau verwirrt der leere Wald.
Mit tausend blauglühenden Ätheraugen,
Hoch durch schwarzen Fichtenbehang,
Irren Heere blauer gigantischer Blüten.
Von fremden Dolden,
Niemand hat je sie belauscht,
Blüht jeder Morgen im Grase
Eisigen Samen.
Graue Frauen,
Die lautlos im Reigen kamen,
Sind lautlos gegangen.
Der Bleichen Juwelen
Strahlende Fäden
Irisgrün, irisgolden,
Hangen an allen Zweigen.
In nackten Kronen singen
Wachszarte Ströme der Sonne.
Um bloße Säulen,
Auf weißen Schwingen kreist
Einäugig ein Aar,
Das Schweigen.

[57] Erster Schnee

Fern, irgendwo im Himmelblau,
Ein sonderzartes Land.
Die Heiden weiß,
Besprossen lilaklare Primelblüten.
Blüten groß, offen erschlossen,
Augen, weite Augen, die an Tränen saugen,
Sanfte Augen, die ein Paradies behüten.
Mit weißen Fingern
Ein stilles Kind
Spielt mit den Primeln,
Lacht mit dem Wind.
Zaudernd auf schleichenden Zehen,
Über die Blüten,
Weiße Rudel
Von weißen Rehen.
Alles so licht und so eigen.
Einsam entblättert das Schweigen.

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Stimmen des Schweigens. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-73AF-C