Der faule Hanns

Eine deutsche Geschichte.

1.
»Pfui, schäme dich vom Kopf zur Zeh'!
Mich brennt das Herz, wenn ich dich seh',
Du Faulster aller Faulen!
Kannst nichts als stehn und maulen!
Liegt er den langen Sommertag
Wohl unterm Baum am Lindenhag,
[557]
Und rollt die jungen Glieder
Im Rasen auf und nieder,
Und will er sich erholen,
Wettläuft er mit den Fohlen.
Im Winter flakt er wie ein Bär
Am Herdgesimse dumpf und schwer,
Rührt wochenlang nicht Hand noch Fuß
Und starrt von Schmutz und Kohlenruß,
Sieht aus gleich einem Köhlerknecht
Und ist von fürstlichem Geschlecht.
Sieh deine wackern Brüder an,
Wie die sich tummeln Mann für Mann:
Ihr Name wird mit Ruhm genannt,
Weithin durch alles deutsche Land:
Am Hof, im Feld und im Turnei, –
Graf Hartungs Söhne sind dabei:
Mein Ralf, der kann die Harfe schlagen,
Mein Erich spitze Rätsel fragen,
Mein Philipp bricht das schlimmste Roß,
Mein Kurt ist Meister im Geschoß,
Mein Paulus wie ein Buch gelehrt,
Mein Rudolf ist den Frauen wert,
Wer weiß, ihn trägt geheim im Sinn
Vielleicht die junge Königin,
Er steigt noch hoch durch ihre Gunst: –
Und du, Hanns, was ist deine Kunst?
Im Sommer bei den Fohlen,
Im Winter bei den Kohlen,
Der Teufel soll dich holen!
Und ehrt' ich deine Mutter nicht,
Ich dächte gar, du schnöder Wicht,
Ein Kuckuck hätte dich geheckt,
Und dich dem Aar ins Nest gesteckt.«
[558]
So sprach Graf Hartung von Brabant,
Sein Auge blitzte zornentbrannt;
Den faulen Hanns, den kümmert's nicht:
Er sah ihm lachend ins Gesicht,
Er war kein bißchen nicht erschrocken,
Strich aus der Stirn die langen Locken
Und sah den zorn'gen alten Mann
Mit hellen Augen freundlich an:
»Euch sind der Söhne sechs beschieden
Wie Ihr sie wünscht: – so seid zufrieden!
Und ist der siebte anders eben: –
Gott schuf auch ihn: – so laßt ihn leben!
Was Hof und Fest und Rittertum,
Und Frauengunst und Heldenruhm, –
Das alles find' ich herzlich dumm
Und rühre keinen Finger drum.
Ich hab' Gott weiß, noch nichts gesehn,
Der Mühe wert, drum aufzustehn. –
Gewiß, mein Vater, wüßtet Ihr,
Wie sich's so wohlig träumet hier,
Umspielt von Sommerwinden,
Im Schatten breiter Linden,
Zu dichten eine schön're Welt,
Drin alles besser ist bestellt,
Zu schauen, wie die Schwalben ziehn
Und hoch im Blau die Wolken fliehn,
Und rings in Feld und Halde weit
Des Sommers milde Herrlichkeit: – –
Versucht's einmal, steigt ab vom Gaul,
Und legt Euch zu mir, breit und faul,
Glaubt mir, ich mein' es gut mit Euch,
Ich rücke, kommt, hier ans Gesträuch.« –
[559]
»Ha, Faulpelz, treibst du auch noch Hohn?
Wir sind nicht Vater mehr und Sohn!
Auf, Knappen, bindet ihn aufs Roß,
Schleppt ihn gefangen auf mein Schloß,
Dort reißt ihm ab den bunten Rock,
Und keilt ihn an den Eichenblock
Am Brunnen bei dem Haufen Kohlen,
Wo alle Knechte Wasser holen:
Der Ehre rang er niemals nach, –
So sei sein ewig Teil – die Schmach.«
Die Knappen sprangen auf ihn zu,
Doch er schwang sich empor im Nu
Und warf mit seiner nackten Hand
Sie alle sieben in den Sand:
»Ich tue, wie mein Herr gebot,
Doch, wer mich anfaßt, der ist tot.
Zum Schlosse wend' ich flugs den Schritt
Und rufe selbst herbei den Schmied:
Ihr aber laßt mich gehn, ihr Tröpfe,
Sind nicht von Eisen eure Köpfe.«
2.
Und mancher Mond ging so ins Land:
Der Frost der Nacht, des Mittags Brand
Fiel schwer auf Hanns im offnen Hofe;
Und jeder Page, jede Zofe,
Die Wasser von dem Brunnen trug,
Tat sich des Spotts an ihm genug.
Er aber lag, verdeckt von Ruß:
Die linke Hand, der rechte Fuß
War an den Eichenblock gekettet,
Auf Heu und Stroh war ihm gebettet.
[560]
So lag er denn in Schimpf und Schmach,
Kein Wort Graf Hartung zu ihm sprach:
Er wandte sich, ging er vorbei,
Als ob er nicht sein Vater sei.
Und auch den Brüdern war geboten,
Zu halten ihn als einen Toten:
»Wer wagt mit ihm zu sprechen
Und dies Gebot zu brechen,
Verwirket all' sein Erbe,
Daß er in Not verderbe.«
Und Erich zuckt die Achseln nur,
Und Philipp scheut des Vaters Schwur,
Und Paulus wünscht ihm Reu' und Buße,
Und Rudolf höhnt ob seinem Ruße,
Und Kurt frohlockt: »Laßt ihn verderben,
So werden sechs statt sieben erben.«
Und alle folgten jener Pflicht,
Nur Ralf, der Bruder Sänger, nicht;
Der kam zu Hanns im Schutz der Nacht,
Hielt treulich bei dem Bruder Wacht,
Und hieß ihn der von dannen gehn
Und auch auf seinen Vorteil sehn,
Da lacht' er nur: »Mein Vorteil ist,
Daß du mein lieber Bruder bist.
Nimmt man mir Land und Lehensassen,
Muß man dir doch den Bruder lassen.
Mich schmerzt, daß sie dich so verkennen
Und immer nur den Faulen nennen:
Ich weiß, du bist von tiefer Art,
Die ihren Wert geheim bewahrt.
Gewiß, es kömmt einmal die Zeit,
Da wirfst die Hülle du beiseit,
[561]
Und zeigst in dir den Edelstein.«
Hanns aber lachte: »Bruder, nein!
Ich spiele nicht in Maskenscherzen:
Die Faulheit kömmt mir ganz von Herzen!
Ich sah noch nichts in meinen Tagen,
Der Mühe wert, um drein zu schlagen,
In einem Eisenkleid zu schwitzen,
Und sich mit Fechten zu erhitzen.
Du sprichst bei mir zu tauben Ohren,
Gib, wie die andern, mich verloren.«
Doch kam alsbald der Treue wieder
Und warf sich bei dem Bruder nieder,
Und rief: »Hanns, auf, jetzt folge mir!
Jetzt kam der Tag der Ehre dir!
Wir reiten all' in wenig Tagen,
Die Dänen aus dem Land zu jagen;
Der König Harald Hildetand
Fiel heerend ein ins deutsche Land,
Sechs Riesen schreiten vor ihm her,
Der größte Riese doch ist Er;
Sie tragen Keulen wie die Eichen,
Die Erde dröhnt bei ihren Streichen,
Noch hielt kein Heer vor ihnen Stand,
Er will der Kön'gin Reich und Hand,
Sonst wird – so hat er hoch geschworen –
Das lange Goldhaar ihr geschoren,
Ihr angetan ein Nonnenkleid,
Wenn sie nicht ihn, den Riesen, freit.
O denk! o denke dir Auroren,
Die holde Königin, geschoren!
Die schönste Maid der Christenheit,
Ihr Antlitz strahlt wie Maienzeit,
[562]
In ihre Haare goldenfahl
Hat sich verirrt ein Sonnenstrahl!
Sie, aller Helden Wunsch und Sehnen,
Sie liegt jetzt Tag und Nacht in Tränen!
Auf, Hanns, für so viel Lieblichkeit
Zieh' mit uns allen in den Streit:
Wie stark und dick die Kette sei,
Drei Nächte feilen sie entzwei.
Der Vater wird dir gern vergeben,
Sieht er dich kühn nach Ehre streben.«
»Mein Bruder, was dein Herz begehrt,
Mir scheint es nicht der Mühe wert:
Die Königin, – du preisest sie,
Ich aber, Ralf, ich sah sie nie.
Zieh aus zu Kampf und Siegen froh,
Mich aber laß auf meinem Stroh.«
3.
Der Graf und seine Söhn' und Mannen,
Sie zogen allesamt von dannen,
Nur Ralf winkt scheidend ihm vom Roß,
Und Hanns blieb fast allein im Schloß.
Ein Bote kam in wenig Tagen
Und rief: »Macht auf, wir sind geschlagen!
Zersprengt die Ritter und Vasallen,
Die Städt' und Burgen sind gefallen,
Graf Hartung und das Heer verschwand
Vor König Harald Hildetand! –
Die Riesen, schrecklich anzusehn,
Vor ihnen kann kein Held bestehn! –
Die Kön'gin flieht mit kleinem Troß
Hieher nach ihrem letzten Schloß,
[563]
Und grimmig jagt der Feind ihr nach.«
Und wie er noch die Worte sprach,
Erscholl vom Wald verworrner Ton:
Die Kön'gin kam in Hast geflohn,
Graf Hartung ritt an ihrer Seiten;
Im Nachzug hob sich grimmig Streiten
Und kaum stand in des Schlosses Toren
Graf Hartung glücklich mit Auroren,
Sah man vom Wald her auf die Wiesen
Vordringen schon die sieben Riesen.
Die Brüder woll'n den Rücken decken,
Doch sie erliegen vor den Recken:
Umsonst! daß sie mit Schwert und Speeren,
Nach aller Ritterkunst, sich wehren:
Kein Fechten frommt und kein Turnieren,
Eichbäume kann man nicht parieren.
Wie Glas die Lanze Kurts zerspringt,
Aus Erichs Hand das Banner sinkt,
Und Rudolfs Helm und Paulus' Schild
Zertrümmert sausen ins Gefild,
An Haralds Kopf bricht Philipps Schwert,
Der Letzte stürzt auch Ralf vom Pferd:
Sie sind besiegt und überwunden,
Sie sind gefangen und gebunden,
Und mit sich schleppt der Feinde Troß
Sie siegfrohlockend nach dem Schloß;
Da fliehn mit Schrecken von der Zinn'
Graf Hartung und die Königin.
Ein Donnerschlag betäubt ihr Ohr:
Der Dänenkönig schlägt ans Tor
Und ruft: »Macht auf, laßt mich hinein,
Sonst schlag' ich alles kurz und klein.
[564]
He, alter Graf, wo ist dein Schwert?«
Da hebt sich Hanns sacht von der Erd'
Und spricht: »Du bist ein grober Gast,
Ist 's wahr, daß du's so eilig hast?«
Da wandte sich die Königin
Und sah mit Staunen nach ihm hin:
»Was hat der Mann verbrochen, Graf,
Daß ihn so schwere Buße traf?«
»Ich kenn' ihn nicht, ein Bauernkind.« –
»Doch adlig seine Züge sind,
Es stehn ihm gut die langen Locken:
Auch scheint er gar nicht sehr erschrocken,
Vor diesem Feind, der alle schlug,
Er hat noch immer Muts genug.«
Da tat es einen lauten Schlag,
Das Tor in hundert Stücken lag,
Schon stand mit einem Riesenschritte
Der König in des Hofes Mitte.
Umsonst sprang Hartung ihm entgegen,
In seiner Hand zerbrach sein Degen,
Er weicht, schon blitzt des Riesen Schwert! –
»Jetzt aber wird's der Mühe wert,«
Rief Hanns und riß mit einem Stoß
Den Block heraus, die Kette los,
Gab mit der Faust ihm einen Schlag,
Daß er halb tot am Boden lag:
Nur noch die Hände tät er ringen,
Und alle Engel hört' er singen.
Die Riesen, die ihn fallen sahn,
Mit Brüllen liefen sie heran.
[565]
Da war der faule Hanns nicht faul:
Dem ersten schlug er eins aufs Maul,
Dem zweiten schlug er auf den Kopf
Und auf den Bauch dem dritten Tropf;
Den vierten, der sich gern empfohlen,
Warf er kopfüber in die Kohlen,
Den fünften aber und den letzten,
Die schon zur Flucht die Beine setzten,
Fing er behende bei den Schöpfen
Und stieß sie weidlich mit den Köpfen,
Bis sie ihn baten himmelhoch:
»Laßt, lieber Herr, die Possen doch
Und bringt uns lieber einfach um,
Das Stoßen macht im Kopf so dumm.«
Da bindet er sie alle sieben,
Die Andern sehen's und zerstieben.
Da sprach Graf Hartung: »Lieber Hanns,
Du höchster Stolz des alten Manns,
Was hast du dich so lang verstellt?
Komm an mein Herz, du großer Held.«
»Da sehn' ich mich schon lange hin, –
Wenn ich nur nicht zu rußig bin.«
Die Kön'gin sah ihn staunend an
Und rief: »Hab' Dank, du treuer Mann!
Graf Hartung, ei, mir war nicht kund,
Auch lügen kann dein treuer Mund?
Der unsre Feinde hat gefällt,
Dein Sohn ist dieser junge Held?
Ich hab' ihm zuerkannt sein Recht,
Als er mir nichts war als ein Knecht:
So werde sein mein halbes Reich.«
[566]
»Nein,« rief der faule Hanns sogleich,
»Es ist das schönste Land der Erd',
Doch nimmer ist's der Mühe wert,
Die schwere Krone drin zu tragen
Und mit Regieren sich zu plagen,
Ist diese schwere Bürde nicht
Zugleich des Herzens schönste Pflicht.
Ein halbes Reich steht mir nicht an:
Ich, Kön'gin, bin ein ganzer Mann.
Doch willst du Gnade mir erzeigen,
So gib dich selber mir zu eigen.
Ich will in allen deinen Tagen
Dich treu auf diesen Händen tragen,
Ich will dich führen und dich stützen,
Gen alle Feinde dich beschützen,
Und all' mein Lohn sei dann und wann,
Daß du mir sagst: ›Dank, treuer Mann!‹
Es ist bei deines Anblicks Pracht
Ein neues Leben mir erwacht:
Mich drängt's, daß ich um deine Minne
Die Welt im Waffenkampf gewinne,
Mit Adlerflügeln hebt mein Herz
Die starke Liebe himmelwärts,
Und willst du, holdeste der Frauen,
Dich meiner schlichten Kraft vertrauen,
Mein höchstes Kleinod sollst du werden:
Kein Zweiter liebt dich so auf Erden.«
Er sank vor ihr ins Knie und rings
In staunendem Gemurmel ging's:
»Ist das der faule Hanns? O Wunder!
Nichts ist unmöglich mehr jetzunder.«
[567]
Da neigte sich die Königin
Und sprach: »Steh auf und nimm mich hin.
Dir ganz und gar gehör' ich an,
Du starker, treuer, lieber Mann.«
Er zog an sich die zarte Frau:
Wie eine Blume, schwer von Tau,
Voll süßer Scham und süßer Lust,
Barg sie das Haupt an seiner Brust. –
Die Brüder staunten da nicht schlecht,
Nur Ralf frohlockte: »So ist's recht!
Ich hab' es immer so gesagt,
Als alle Welt ihn noch verklagt.
Jetzt, Hörner und Trompeten frisch,
Zum Krönungsmahl, zum Fest, zu Tisch!«
»Geduld,« sprach Hanns, »still allesamt,
Die Lust nachher, – zuvor das Amt.«
Zum Dänenkönig trat er hin:
»Halt diesen Tag dir recht im Sinn
Und laß es nimmer dich gelüsten,
Dich gegen deutsche Kraft zu brüsten.
Sie ist geduldig, still und träge,
Spät wird ihr Zorn und zögernd rege,
Hat sie sich aber aufgerafft, – –
Doch still, du kennst jetzt diese Kraft:
Und deutsches Recht und deutsches Land,
Sie schirmet künftig diese Hand.
So, bindet ihm die Stricke los:
Und jetzt, wohlauf, Trompetenstoß!
Herbei, ihr Ritter und Vasallen,
Laßt uns in stolzem Zuge wallen,
Und bei des Sieges Jubeltönen
Soll meine Königin mich krönen.«

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Vaterland. Der faule Hanns. Der faule Hanns. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6A55-1