Claude-Prosper-Jolyot de Crébillon
Sopha
(Sopha)

Einleitung

[7] Einleitung.

Vor einigen Jahrhunderten herrschte ein Fürst, Namens Schach Baham, in Indien. Er war ein Enkel jenes glorreichen Schach Niar, von dessen Heldenthaten man in Tausend und eine Nacht gelesen, und welcher sich unter anderen Dingen auch damit unterhielt, Frauen zu erdrosseln, sowie sich Märchen erzählen zu lassen. Es war derselbe Fürst, welcher der unvergleichlichen Scheherezade nur deshalb Gnade gewährte, weil sie so schöne Märchen zu erzählen verstand. Es mag wohl sein, dass Schach Baham es im Punkte der Ehre nicht sehr genau nahm, oder, dass seine Frauen in der That nicht mit ihren Negern schliefen, oder (was noch wahrscheinlicher ist), dass er davon nichts wusste, denn Schach Baham war, im Ganzen genommen, ein recht guter und bequemer Ehemann und hatte von [7] Schach Niar nur die Tugenden und seine besondere Vorliebe für schöne Märchen geerbt. Man behauptet sogar, dass die Sammlung der Märchen der Scheherezade, welche der erlauchte Großvater Schach Bahams mit goldenen Lettern niederschreiben ließ, die einzigen waren, welche er selbst jemals zu lesen geruht hatte.

Wie sehr auch mündliche Erzählungen den Geist bereichern, und so erhaben es auch sein mag, sich fremdes Wissen anzueignen, um daraus schöne Ideen zu schöpfen, so bleibt es dennoch gefährlich, nur Bücher dieser Art zu lesen. Es sind daher nur wirklich aufgeklärte Leute, welche über alle Vorurtheile hinweggehen, die Leere mancher Wissenschaften erkennen, im Stande zu begreifen, wie sehr ähnliche Schriften der menschlichen Gesellschaft nützlich sind, und welche Hochachtung, ja selbst Verehrung man jenen Männern schuldet, die so geistreich waren, sie zu verfassen, und genug Geistesstärke besaßen, sich ihnen zu widmen, indem sie sich über die frivolen und üppigen Bilder hinwegsetzten, welche die Unwissenheit so gerne beanständet. Die sehr oft wertvollen Lehren, die diese Märchen enthalten, sind schöne Gedanken dichterischer Fantasie und die heiteren Einfälle, welche sie durchleuchten, enthalten nicht gemeine Dinge, sie sind oft wertvoll und werden von allen Lesern geschätzt, welche sie begreifen und ihren Inhalt verstehen.

In Schach Baham finden wir in dieser Beziehung ein merkwürdiges Beispiel menschlicher Ungerechtigkeit. Ihm war der Ursprung dieser Feenkünste ebenso gut bekannt, als ob er selbst jener glücklichen Märchenzeit entstammte. Er, der so gründlich das berühmte Land des Ginistan kannte, der die glorreiche Geschichte, die Dynastien der ersten Könige von Persien wusste, und der ohne Widerrede der einzige Mann seines Zeitalters war, der alleinige Kenntnisse aller Ereignisse, welche niemals stattgefunden, hatte; ihn hielt man dennoch für den größten Fürsten der Welt.

Es ist wahr, Schach Baham erzählte ohne Anmuth (was umso unangenehmer war, weil er beständig[8] sprach), so dass er seine Zuhörer, die hauptsächlich aus seinen Frauen und seinen Höflingen bestanden, nicht wenig langweilte. Es waren dies im Allgemeinen also sehr oberflächliche Personen, die sich mehr an die profane Handlung der Märchen hielten, als dass von den großartigen und geistreichen Ideen überrascht und entzückt gewesen wären.

Es mag wohl nach der allgemeinen Meinung, welche man von Schach Baham an seinem eigenen Hofe hatte, dass der Schriftsteller Scheik-Ebn-Tacher-Abon-Faraiki, ein Zeitgenosse des Fürsten, uns denselben in seiner großen Geschichte Indiens so genau beschrieben hatte, wie es der Leser auf den nachstehenden Zeilen entnehmen wird.

Schach Baham, der erste dieses Namens, war ein unwissender und höchst verweichlichter Fürst. Es war überhaupt unmöglich weniger Geist zu besitzen als er (was jenen natürlich nicht auffiel, die ihm in dieser Richtung gleichkamen).

Er staunte über Alles, was natürlich war, und begriff bloß unsinnige Dinge, welche aller Wahrscheinlichkeit entbehrten.

Obzwar sich es im Laufe eines ganzen Jahres nicht ereignete, dass er gezwungen war überhaupt etwas zu denken, und er es nicht vermochte, eine einzige Minute zu schweigen, pflegte er doch stets bescheiden von sich zu behaupten, dass er keinen lebhaften Geist besitze; dass er jedoch, was seine Reflexionen betrifft, weit und breit seines Gleichen suche.

Kein einziges jener Vergnügen, welche dem Geist entspringen, gefiel dem Sultan: jede Thätigkeit missfiel ihm, und dennoch war er nicht müßig. Er hatte Lieblingsvögel, welche nicht müde wurden, ihn vortrefflich zu unterhalten; Papageien, welche, Dank der Mühe, die er sich mit ihnen gab, die dümmsten Papagaien von ganz Indien waren, ohne der Affen zu erwähnen, denen er einen großen Theil seiner Zeit widmete, und schließlich waren es noch seine Frauen, [9] die ihm wohl unter allen Thieren seines Zwingers am geeignetesten schienen, ihn zu unterhalten.

Trotz dieser angestrengten Beschäftigungen und dieser mannigfaltigen Vergnügen war es doch dem Sultan unmöglich der Langweile zu entgehen. Er hatte gar keine andere Zerstreuung, als diese berühmten Erzählungen, welche beständig Gegenstände der Bewunderung, des Erstaunens und der höchsten Wertschätzung für ihn bildeten, worüber zu kritisieren unter Todesstrafe verboten war, und die, obzwar so wohlbekannt, ihm dennoch niemals fade wurden.

Er bewunderte diese Erzählungen stets, während er dabei gähnte. Die Langweile folgte ihm schließlich bis in die Frauengemächer, woselbst er einen guten Theil seines glorreichen Lebens verbrachte, um die Frauen sticken und Figuren aus Papier ausschneiden zu sehen, welche Beschäftigungen er für ganz besondere Künste hielt und deren Erfindung er für das größte Meisterwerk des menschlichen Geistes erkannte; weshalb er auch befahl, dass alle seine Höflinge sich fleißig mit Sticken und Ausschneiden beschäftigen sollten. Er belohnte auch sehr großmüthig jene, welche sich in diesen Arbeiten auszeichneten, so dass es bald im ganzen Reiche niemanden gab, der sich vernachlässigt hätte. Sticken und Schnitzeln waren demnach in Indien zu jener Zeit die einzigen Mittel, um zu hohen Ehren zu gelangen. Der Sultan kannte keine andere Art von Verdienst, er glaubte fest, dass jeder Mann, der diese Talente besaß, deshalb auch alle Vorzüge und Geistesgaben besitzen musste, die für einen großen Feldherrn oder vortrefflichen Minister nöthig sind. Um zu beweisen, wie sehr er davon überzeugt war, ernannte er an die Stelle des ersten Veziers einen müßigen Höfling, einen jener Herren, die ihre Zeit nicht anders zu verwenden wussten, als ihre Könige mit ihrer eigenen Langweile zu plagen. In diesem Manne, welcher lange Zeit unbeachtet im Volke lebte, ward zu seinem Glücke plötzlich der beste Papierausschneider des Königreiches entdeckt; da es Schach [10] Baham eben beliebte, die Ausschneidekunst zu bewundern, so hatte der Mann es nicht mehr nöthig, wie so mancher Andere Ränke zu schmieden, den er verdankte bloß der Größe seines Genies die Ehre bei seinem Herrn schnitzeln zu dürfen und die erste Stelle im Reiche.

Unten allen Frauen des Sultans unterschied man die Sultanin Königin, welche Geist genug hatte und die der einzige Trost an diesem frivolen Hofe für jene war, die überhaupt noch den Muth besaßen zu denken, oder sich zu belehren.

Sie allein kannte und unterstützte hier das Verdienst, und selbst der Sultan wagte es selten anderer Meinung als sie zu sein, obzwar die Sultanin weder seinen Geschmack noch seine Vergnügungen theilte. Der Sultan begnügte sich damit, ihr bloß zu sagen, wenn sie über seine gelehrigen Affen und seine sonstigen Beschäftigungen spottete, dass sie bissig wäre, wohl ein Fehler, den Dummköpfe stets an geistreichen Leuten zu finden pflegen.

Eines Tages, als Schach Boham mit seinem ganzen Hofe in den Frauengemächern weilte, wo er mit unglaublicher Aufmerksamkeit den Schnitzereien zusah, und dennoch die Langweile nicht bewältigen konnte, sagte er gähnend:

»Wahrlich, es wäre kein Wunder, wenn ich einschliefe; wir reden kein Wort. Ach! wie gerne hätte ich eine angenehme Unterhaltung.«

»Und wovon wollen Sie, dass ich spreche?« fragte die Sultanin.

»Weiß ich es,« antwortete er, »bin ich dazu da, es zu errathen? Genügt es nicht, dass ich will, man soll mir etwas erzählen, ohne dass ich zu sagen brauche, was ich zu hören wünsche? Wissen Sie, dass Sie viel weniger Geist besitzen, als Sie sich einbilden, dass Sie mehr im Traume leben und dass Sie außer einigen schlechten Witzen, welche ich nicht einmal beachte, ich Sie ganz unfruchtbar finde? Glauben Sie, wenn zum Beispiel die Sultanin Scheherezade leben würde und sie hier anwesend wäre, dass sie uns nicht [11] unaufgefordert und ohne sich von der Tante Dinarzade bitten zu lassen, die schönsten Geschichten erzählen würde? Aber wahrhaftig, in Betreff ihrer habe ich eine herrliche Idee! Es ist doch ganz unmöglich, dass sie sich alle Märchen gemerkt hat, welche sie erlernt hatte; und es ist leicht möglich, dass jemand gerade jene weiß, welche sie vergessen hat, dass man seit ihrer Zeit keine Märchen erdacht hatte oder dass man gegenwärtig keine schreibt, ist zweifellos.«

»Sire,« sagte der Vezier, »ich kann Euer Majestät versichern, dass ich nicht bloß neue Märchen weiß, sondern, dass ich selbst das Talent besitze, neue und ebenso reizende Märchen zu erfinden, als diejenigen ihrer verstorbenen Frau Großmutter waren, die nichts enthielten, was die meinen übertreffen würde.«

»Vezier! Vezier!« sagte der Sultan, »das ist viel gesagt! Meine Großmutter war eine Frau von seltenen Verdiensten. In der That, es gehört viel dazu, schöne Märchen zu erfinden! Würde man nicht sagen, wenn man Dir zuhört, dass Deine Erzählung das Meisterwerk des menschlichen Geistes sei?«

»Und dennoch gibt es etwas Unsinnigeres? Was ist ein Werk, wenn es überhaupt wahr ist, dass ein Märchen es verdient diesen Namen zu tragen; was ist das für eine Arbeit, sage ich, worin jede Wahrscheinlichkeit stets verhüllt ist und worin die empfangenen Eindrücke unaufhörliche Umwälzungen erleiden; welche sich auf ein falsches und nichtiges Wunderbares stützend nur deshalb das Außergewöhnliche und Allgewalt in den Feerien benützt und nur deshalb die Gebote der Natur und jene der Elemente umstürzt, um lächerliche Undinge von ganz außergewöhnlicher Vorstellung zu schafen, welche oft gar keinen Reiz an sich haben, der für Überspanntheit ihrer Schöpfung entschädigen würde.«

»Es ist ein Glück, wenn solche elende Fabeln bloß oberflächlich den Geist berühren und wenn sie nicht mit ihren zu lebhaften Schilderungen, welche [12] das Schamgefühl verletzen, nicht mit gefährlichen Eindrücken bis zum Herzen dringen.«

»Unnützes Gerede, alberner Klatschbasen,« sagte der Sultan ernst, »große Worte, die nichts bedeuten! Alles, was Du eben sagen wolltest, hat zuerst den Anschein schön zu sein; es überrascht, ich muss es gestehen; aber nach reiflicher Überlegung ist es unmöglich zu .... Aber im Grunde handelt es sich ja hier bloß darum, zu wissen, ob Du mit Deiner Behauptung recht hast, und wie ich eben sagen wollte, und was ich eben bewiesen habe, ist, dass ich Dir nicht glaube: denn es ist wahrlich, nicht um Schöngeisterei zu treiben, sicherlich; aber bloß, weil ein Märchen mich stets unterhielt, so ist es klar, dass ein Märchen keine alberne Sache sein kann.«

»Mich wird man doch nicht glauben machen wollen, dass ein Sultan ein Dummkopf sei, aber, dass heißt, in der Parenthese gesprochen, es ist so klar, wie ein Wunderding, ich verstehe darunter eine jener Sachen, welche ich so gerne benennen würde, aber ... wenn es davon handeln würde ... aber reden wir von der Leber weg; was kümmert es uns trotz allem?«

»Ich behaupte also, dass ich die Märchen liebe und dass ich sie größtentheils nur dann gefällig finde, wenn sie, was man unter vernünftigen Leuten zu sagen pflegt, ein bischen ausgelassen sind. Das verleiht ihnen ein lebhaftes Interesse ... so lebhaft! Schließlich ich begreife gut: es ist gerade, als ob Du sagen würdest, dass Du schöne Märchen weißt und sie zu dichten vermagst.«

»In der That, das ist's, was ich brauche. Ich dachte, um mir die Tage etwas abkürzen, wäre es nöthig, dass ein Jeder von uns Märchen erzähle; wenn ich Märchen sage, und ich verstehe mich wohl darauf, will ich außergewöhnliche Ereignisse, Feen, Talismane; denn, irre Dich nur nicht, es gibt nur darin Wahres. Nun wohlan! Wir stimmen doch alle darin über ein Märchen zu ersinnen? Möge Mahomed mir beistehen! Aber ich zweifle nicht daran, dass ich [13] selbst ohne Hilfe Anderer bessere Märchen zu ersinnen im Stande bin, als irgend jemand; und die Hauptursache davon ist, dass ich aus einem Hause stamme, von dem es doch wohlbekannt ist, dass man Märchen erdichten kann, und gewiss ohne Eitelkeit, wirklich sehr gute.«

»Schließlich, wie ich schon so gutmüthig und ohne jedwede Parteilichkeit bin, so erkläre ich hiemit, dass jedermann erzählen darf, sobald die Reihe an ihn kommt, das Los soll die Reihenfolge entscheiden und nicht mein Wille; damit ich höre, dass jedermann die Freiheit habe mir Märchen zu erzählen. Jeden Tag wird man eine halbe Stunde mehr oder weniger erzählen, je nachdem es mir zusagen wird oder nicht.«

Nach diesen Worten ließ er den ganzen Hof Lose ziehen. Trotz der heißen Wünsche des Veziers fiel das Los einem jungen Höfling zu, welcher, nachdem er die Erlaubnis des Sultans erhalten, folgendermaßen begann:

Erster Theil

1. Kapitel
Erstes Kapitel.

Das am wenigsten langweilige des Buches.


»Sire, Euer Majestät ist vielleicht nicht unbekannt, dass ich, obzwar ihr Unterthan mich dennoch nicht zu demselben Glauben bekenne, wie Höchstdieselben, und dass ich Brama als Gott verehre!«

»Wenn ich es auch weiß, was soll dies Deinem Märchen frommen?« sagte der Sultan, »schließlich das ist Deine Sache, umso [17] schlechter für dich, wenn Du an Brama glaubst, es wäre tausendmal besser, wenn Du ein Mahomedaner wärest, ich sage es Dir als Freund und glaube ja nicht, dass ich Deine Bekehrung beabsichtigen wollte! Denn, im Grunde genommen, kümmert mich Dein Glaube gar nichts. Erzähle weiter.«»Wir, Anhänger Bramas, glauben an die Seelenwanderung (metempsychose),« sagte Amanzei (das ist der Name des Erzählers), »das heißt, um Euer Majestät nicht zur unrechten Zeit zu verwirren, dass wir daran glauben, dass unsere Seele, wenn sie den Körper verlässt, in einen andern übergeht, und mit der Zeit nach dem Ermessen Bramas, wenn unsere Seele rein genug geworden ist, in das Reich Jener versetzt wird, welche er für würdig findet, ewig glücklich zu sein.«

»Obzwar der Glaube an die Seelenwanderung unter uns allgemein verbreitet ist, sind wir dennoch nicht alle derselben Ansicht, ihn für ganz unfehlbar zu halten, da es sehrwenige Menschen gibt, denen es gewährt wird, sich der verschiedenen Wanderungen ihrer Seele zu erinnern. Es geschieht [18] gewöhnlich, dass beim Verlassen des Körpers, in welchem eine Seele gefangen war, sie dann in einen anderen eingeht, ohne auch nur die leiseste Erinnerung, weder von den Erfahrungen, die sie gemacht, noch von Dingen, an denen sie theilgenommen, behalten hat.«

»Demnach ist die Erkenntnis unserer Fehler für uns verloren und wir beginnen unsere Laufbahn mit einer neuen Seele, welche ebenso empfänglich für jeden Irrthum und jedes Laster ist, als dann, wo Brama sie das erstemal dem unermesslichen Feuerwirbl entnimmt, wovon sie in Erwartung ihrer Bestimmung im Weltall einen Theil bildete.«

»Viele unserer Glaubensgenossen beklagen sich über diese harte Bestimmung Brama's, aber ich zweifle, dass sie Recht haben. Denn, wenn unsere Seelen bestimmt wären, während einer langen Folge von Jahrhunderten von Körper zu Körper zu wandern, so wären sie fast immer sehr unglücklich, wenn sie sich daran erinnern würden, was sie früher gewesen sind. So würde jene Seele, welche den Körper eines mächtigen [19] Königs belebte und sich dann in jenem eines elenden Reptils, oder in dem Körper eines jener düstern Sterblichen, welche die Größe ihres Elends viel beklagenswerter macht als das niedrigste Thier, befände, kaum ohne Verzweiflung ihre neue Bestimmung ertragen.«

»Ich lasse es eher gelten, dass ein Mensch, welcher sich im Schooße des Reichthums wohlfühlt, oder zu einem höheren Range erhoben ist, wenn er sich dessen erinnern würde, früher bloß ein Insect gewesen zu sein, gewiss viel weniger den glücklichen und glänzenden Stand, wohin ihn die Güte Bramas versetzte, missbrauchen würde. Allein wenn man den Hochmuth, die Härte, die Frechheit jener Leute erwägt, welche in der Niedrigkeit geboren und zum Reichthum erhoben sind, so kann man wohl kaum an die Geschwindigkeit glauben, mit welcher sie die Erinnerung an ihren ersten Stand verloren haben; und dass bei der Wanderung ihrer Seele aus einem Körper in den andern ihre Demüthigung noch rascher von ihren Augen entweichen würde, und sie mit nichts ihr ferneres Betragen [20] zu beeinflußen vermöchte. Außerdem würde jede Seele natürlicherweise von einer großen Anzahl Erinnerungen aus ihrem vorhergehenden Leben überladen sein, und oft mehr in Anspruch genommen von dem sein, was sie früher gewesen, als von jenem, was sie gegenwärtig wäre, würde sie leicht die Pflichten vernachlässigen, welche der Körper, den sie erfüllt, ihr vorschreibt, und so die Ordnung des Weltalls, statt zu ihr beizutragen, nur zerstören.«

»Mein lieber Freund,« sagte hierauf der Sultan, »möge Mahomed mir vergeben, wenn das, was Du hier sprichst, nicht die purste Sittenpredigt ist.«

»Sire,« antwortete Amanzei, »das sind bloß einleitende Reflexionen, welche, wie ich glaube, nicht ganz unnütz sind.«

»Sehr überflüssig, sage ich,« erwiderte Schach Baham. »Ich, so wie Ihr mich da schauet, ich liebe solche Moral durchaus nicht, und Du wirst mich sehr verbinden nicht von ihr zu sprechen.«

»Ich werde Ihre Befehle genau befolgen,« antwortete Amanzei, »allein es bleibt mir nur noch übrig Euer Majestät zu sagen, [21] dass es Brama manchmal zu bestimmen gefällt, dass wir uns an das erinnern, was wir früher gewesen sind, hauptsächlich dann, wenn er uns eine Strafe für unsere Laster auferlegt hat. Der beste Beweis hiefür ist, dass ich mich selbst genau daran erinnere, ein Sopha gewesen zu sein.«

»Ein Sopha!« rief der Sultan, »gehe doch, dass kann ja gar nicht sein. Hältst Du mich für einen Strauß, mir solche alberne Märchen aufbinden zu wollen? Ich habe wahrhaftig große Lust, Dich ein wenig rösten zu lassen, um Dich zu lehren, vor mir einst solche Dummheiten und Faseleien zu behaupten.«

»Euere gnädige Majestät haben heute üble Launen,« sagte die Sultanin, »es liegt doch sonst in Ihrem erhabenen Charakter, an nichts zu zweifeln, und dennoch wollen Sie es heute nicht glauben, dass eine Seele in einem Sopha sein könne. Das ist wirklich in keinem Einklang mit ihren gewöhnlichen Ansichten.«

»Glauben Sie?« erwiderte durch diese Einwendung getroffen, der Sultan. »Es scheint mir aber doch, dass ich nicht Unrecht [22] habe. Es ist dennoch nicht, dass ich es nicht könnte ... Aber wahrhaftig, ich habe doch Recht. Ich könnte auf's Gewissen nicht daran glauben, was Amanzei sagt: Es ist doch nicht umsonst, dass ich ein Muselmann bin.«

»Vortrefflich,« antwortete die Sultanin, »wolan! Hören Sie Amanzei zu, und glauben Sie ihm nicht.«

»Jawohl,« antwortete der Sultan, »es ist nicht deshalb, weil die Sache so unwahrscheinlich ist, dass ich nicht daran glauben muss, als vielmehr deshalb, dass, wenn sie wahr ist, dass ich sie doch nicht glauben muss. Ich verstehe gut, das macht einen Unterschied. Du warst also ein Sopha, mein Sohn? Das ist ja ein unerhörtes Abenteuer! Sage mir einmal, warst Du gestickt?«

»Ja, Herr,« antwortete Amanzei, »das erste Sopha, in welches meine Seele ein, kehrte, war rosenroth und mit echtem Silber gestickt.«

»Umso besser,« sagte der Sultan, »Du magst ein recht schönes Möbel gewesen sein. Aber warum ließ Dich Brama lieber ein Sopha, als etwas anderes werden?«

[23] »Was war das Ende dieses Scherzes? Sopha! Das geht wahrhaftig über meinen Begriff hinaus.«

»Es geschach, um meine Seele für ihre Zügellosigkeiten zu bestrafen, denn, in welchem Körper sie auch immer gelegt wurde, niemals hatte Brama Ursache zufrieden mit ihr zu sein, und ohne Zweifel wollte er mich damit noch mehr demüthigen, indem er mich zum Sopha machte, als, wenn er mich in den Körper eines elenden Reptils gebannt hätte. Ich erinnere mich auch, dass nach dem Verlassen des Körpers eines Weibes meine Seele in den Körper eines jungen Mannes einkehrte. Dieser Mann war ein Zieraffe, coquette, ein Quälgeist, berederisch, ein großer Kenner von allen Lumpereien, einzig und allein mit seinen Kleidern und mit tausend andern Nichtigkeiten beschäftigt, so dass meine Seele es kaum gewahr wurde, dass sie ihren bisherigen Aufenthalt gewechselt hatte.«

»Ich möchte sehr gerne hören,« unterbrach der Sultan, »womit Du Dich hauptsächlich beschäftigt hast, als Du ein Weib warst: das mögen wohl interessante Erlebnisse [24] gewesen sein, die gewiss eine ausführliche Schilderung verdienten. Ich habe immer daran geglaubt, dass Frauen oft wunderliche Gedanken haben. Ich weiß nicht, ob man mich recht versteht, denn ich will damit bloß sagen, dass man oft recht viele Mühe hat, sie zu errathen.«

»Mag sein,« antwortete Amanzei, »vielleicht wären wir mehr im Klaren darüber, wenn wir ihnen weniger Scharfsinn zutrauen würden. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass ich, als ich ein Weib war, stets über alle jene spottete, die mir ernst ersonnene Ideen zuschrieben, während nur allein der gegenwärtige Augenblick sie bei mir entstehen ließ; ich verhöhnte alle, welche tiefe Gründe und ernste Ursachen bei mir suchten, während ich zum Gesetze bloß meine Laune hatte, und lachte über jene, welche mich zu ergründen glaubten, mich aber dennoch niemals durchschauten.«

»Ich war aufrichtig, wenn man mich für falsch hielt; war ich gefühlvoll, dachte man, ich wäre gleichgiltig, und man hielt mich für kokett in dem Augenblicke, wo ich treu und zärtlich war. Fast immer schrieb man mir [25] einen Charakter zu, der nicht der mein war, oder gerade aufgehört hatte, es zu sein. Sonderbarerweise waren jene Leute, denen am meisten daran gelegen war, mich genau zu erkennen, und vor welchen ich mich am wenigsten verstellte, denen gegenüber ich mich ungezwungen von meiner natürlichen Heftigkeit hinreißen ließ, ihnen die verborgensten Geheimnisse meines Lebens, oder die wahrsten Gefühle meines Herzens entdeckte, keineswegs Diejenigen, welche mir glaubten, oder mich am besten begriffen; sie wollten über mich stets bloß nach dem Plane urtheilen, welchen sie sich über mich selbst entworfen hatten, irrten sich in ihrem Urtheil ohne Unterlass, und glaubten mich sehr gut erkannt zu haben, nachdem sie mich nach ihrer beschränkten Einsicht beurtheilt hatten.«

»Oh! ich wusste es wohl,« sagte der Sultan, »man lernt die Frauen niemals genau kennen, und es ist, wie Du sagst, doch es ist schon für mich lange her, dass ich dem entsagt habe, aber lassen wir diesen Stoff unberührt, er verbittert zu sehr unseren Geist und ist wohl die unangenehme Ursache, dass Du mir da eine so lange Vorrede gemacht [26] hast, welche eigentlich ich selber hatte halten sollen, und womit Du mir aber keineswegs Antwort darauf gegeben hast, wonach ich Dich gefragt habe.«

»Ich glaube, dass ich zunächst das wissen wollte, was Du gethan hast, als Du ein Weib gewesen bist.«

»Es ist mir leider sehr wenig davon in Erinnerung geblieben, was ich damals gethan habe,« antwortete Amanzei. »Am lebhaftesten erinnere ich mich daran, dass ich in meiner Jugend sehr galant gewesen bin, dass ich aber trotzdem weder zu hassen noch zu lieben verstand; ohne jeden Charakter geboren, war ich der Reihe nach alles, was man eben wollte, dass ich sein sollte, oder was mein augenblicklicher Vortheil und meine Vergnügungen mich zu sein zwangen; und schließlich gelangte ich dahin, mein sehr ungeregeltes Leben damit zu beschließen, dass ich sehr heuchlerisch wurde und so starb ich denn so, dass ich trotz meines prüden Anscheines mich in meinem ganzen Lebenslaufe bloß mit nichtigen Dingen, welche mich belustigten, beschäftigt hatte.«

»Es geschah ohne Zweifel wegen meiner [27] allzu großen Vorliebe für bequeme Sophas, dass Brama den Entschluss fasste, meine Seele in ein derartiges Möbel zu bannen. Er wollte, dass sie in diesem traurigen Gefängnis alle ihre früheren Fähigkeiten behielt, jedenfalls weniger um das Entsetzliche meines grausamen Schicksals zu mildern, als vielmehr deshalb, um es mich noch empfindlicher fühlen zu lassen. Zu seiner harten Strafe fügte Brama noch den Befehl hinzu, dass meine Seele erst dann eine neue Laufbahn beginnen dürfe, wenn zwei unschuldige Personen sich auf mir gegenseitig ihre Erstlingleistungen bieten würden.«

»Ist das nicht,« rief der Sultan, »der größte Galimathias, zu sagen, dass ...«

»Würden Sie nicht die Güte haben, uns dies näher zu erklären?« frug die Sultanin.

»Warum denn nicht?« erwiderte er, »ich bin ein großer Freund von deutlichen Sachen.«

»Indes, wenn Sie meine Ansicht nicht theilen, willige ich sofort ein, dass Amanzei so unklar spreche, als es Ihnen beliebt, denn, [28] Dank dem Profeten, für mich kann er es niemals sein.«

»Es blieb mir leider eine genug große Übersicht von allem, was ich gethan, und von allem, was ich gesehen habe,« fuhr Amanzei fort, »um schmerzlich zu fühlen, dass die strenge Bedingung, unter welcher Brama mir ein neues Leben gewähren wollte, mich gewiss lange Zeit in jenem Möbel zurückhalten würde, welches er zu meinem Gefängnis bestimmt hatte; allein die gütige Erlaubnis, welche er mir gewährte, mich nach meinem Belieben von einem Sopha zum andern begeben zu dürfen, milderte ein wenig meinen Kummer. Ich begriff sofort, dass diese Freiheit eine anziehende Mannigfaltigkeit in mein eintöniges Leben bringen und es mir weniger langweilig gestalten würde; außerdem war meine Seele gerade so empfindsam für die Lächerlichkeiten anderer als damals, wie sie den Körper eines Weibes belebt hatte, und das seltene Vergnügen, die stete Gelegenheit zu haben in die geheimsten Orte eindringen zu können, und die dritte Person bei solchen Dingen zu sein, welche jeder für die verborgensten hält, entschädigte[29] meine Seele etwas für ihre harte Strafe.«

»Nachdem Brama meine Gefangenschaft bestimmt hatte, übertrug er meine Seele selbst in ein neues Sopha, das der Arbeiter gerade einer vornehmen Dame lieferte, welche den Ruf außerordentlicher Weisheit und Tugend genoss: aber wenn es wahr ist, dass es nur wenige vollkommene Helden für diejenigen Leute gibt, die sie genau kennen, so kann ich mit eben solcher Sicherheit behaupten, dass es für ihre Sophas nur sehr wenige tugendhafte Frauen gibt.«

2. Kapitel
[30] [33]Zweites Kapitel.

Welches nicht Jedermann gefallen wird.


Ein kostbares Sopha war niemals das Möbel eines Vorzimmers, und deshalb stellte man mich in der Wohnung der Dame, welcher ich angehören sollte, in ein abgesondertes Kabinet eines entlegenen Theiles ihres Palastes, wohin sie sich, wie sie sagte, nur dann begab, wenn sie ernstlich über ihre Pflichten nachdenken wollte, oder um sich vollständig und ungestört Brahma widmen zu können.

[33] Als ich in dieses prächtige Kabinet niedergestellt wurde, war es mir nicht möglich daran zu glauben, dass es nach der üppigen Art, mit der es geschmückt war, bloß zu strengen Andachtsübungen bestimmt gewesen wäre. Es war nicht gerade prächtig, denn nichts erschien darin allzu gewählt, und es machte eher einen vornehmen als galanten Eindruck, aber wenn man es mit Ruhe betrachtete, so fand man darin einen gewissen heuchlerischen Luxus, eigenthümliche Möbel von einer gewissen Bequemlichkeit, welche für die asketische Strenge und religiöse Kasteiungen nicht erfunden wurden, und der sich allzu fromme Leute nicht zu bedienen pflegen. Es schien mir fast, als ob ich selber von allzu lebhafter Farbe wäre für das Zimmer einer so ernsten Frau, welche so viel Aufsehen strenger Entfernung aller Koketterie machte.

Kaum hatte man mich in dem Kabinete aufgestellt, als meine Herrin kurz darauf eintrat; sie betrachtete mich mit großer Gleichgiltigkeit, schien aber recht zufrieden mit mir zu sein, ohne mich jedoch besonders zu loben, und mit kühler und gelangweilter [34] Miene schickte sie die Arbeiter fort. Sobald sie sich allein sah, heiterte sich ihre finstere und strenge Miene sofort auf; ich gewahrte sogleich eine andere Haltung, andere Augen, sie versuchte mich mit einer verdächtigen Genauigkeit, die mir sofort verrieth, dass sie durchaus nicht gesonnen sei, ein bloßes Parademöbel aus mir zu machen. Dieser ausschweifende Versuch und die frohe zärtliche Miene, welche sie machte, seitdem sie sich unbelauscht und ohne Zeugen sah, benahm mir vorläufig nichts von der hohen Meinung, welche man von ihr in Agra hatte.

Ich wusste es wohl, dass alle jene Seelen, welche man für so vollkommen halt, fast immer geheimen Lastern fröhnen, oft zwar bekämpften, aber fast immer triumfierenden, dass es zwar den Anschein habe, dass sie allen Freuden entsagen, deren aber oft heimlich mit umso größerer Sinnlichkeit genießen, und dass ihre Tugenden schließlich weniger in freiwilliger Entsagung bestehen, als viele mehr aus Reue.

Aus ihrem ganzen Benehmen schloss ich darauf, dass Fatme faul war, aber ich hätte [35] mir Vorwürfe gemacht, damals meine Ge, danken darüber weiter zu tragen.

Die erste Sache, welche sie nach dem, was ich eben erwähnte, that, war, dass sie einen geheimen Schrank öffnete, welcher sehr verborgen in der Mauer angebracht war; sie entnahm demselben ein Buch.

»Von diesem Schranke begab sie sich zu einem andern, worin viele Bücher sehr prunkvoll aufgestellt waren; auch ihm entnahm sie ein Buch, welches sie mit verächtlicher und gelangweilter Miene auf mich warf, und dann mit jenem Buche zurück kam, welches sie dem ersten Schranke entnommen hatte, und sich damit behaglich in den weichen Kissen, womit ich bedeckt war, niederließ.«

»Erzähle uns aber auch ein wenig, Amanzei,« unterbrach der Sultan, »ob sie auch hübsch war, Deine vernünftige Frau?«

»Ja, Sire,« antwortete Amanzei, »sie war schöner, als sie schien. Man fühlte, dass sie ohne dieser aufgeblasenen Miene, welche der Wahrheit Verachtung einflößt, aber die oft glühendes Verlangen erweckt, vielleicht [36] niemanden nachgestanden wäre. Ihre Gesichtszüge waren zwar schön, aber ohne jeder Lebhaftigkeit und anmuthigem Mienenspiel, und drückten bloß jenen Hochmuth und Eitelkeit aus, ohne welchen Frauen dieser Art glauben keine tugendhafte Physiognomie zur Schau zu tragen. Alles an ihr verrieth zunächst eine gewisse Nachlässigkeit und sogar völlige Selbstverachtung. Obzwar sie sehr schön gewachsen war, so hatte sie eine schlechte Haltung, und wenn sie vornehm einherschritt, so war es nur darum, weil sie wusste, dass ein langsamer und gemessener Gang jenen Leuten geziemt, die sich ausschließlich mit ernsthaften und wichtigen Dingen beschäftigen. Die Verachtung, welche sie allem Schmucke zollte, reichte jedoch nicht bis zu jener widerwärtigen Nachlässigkeit, welche gewisse Tugendhafte immer fast ekelhaft macht; ihre Gewänder waren sehr einfach, von dunklen Farben, aber in ihrer Einfachheit lag viel Geschmack und eine gute Wahl; sie war sogar darauf sehr bedacht, dass die Kleider nicht die Anmuth ihres Wuchses beeinträchtigen, und unter dem Anscheine der äußern Strenge bemerkte man leicht, [37] dass sie die ausgesuchteste und sinnlichste Reinlichkeit liebte.

Das Buch, welches sie zuletzt zur Hand genommen hatte, schien nicht von großem Interesse für sie zu sein, und es war doch eine umfangreiche Sammlung herrlicher An, dachtsübungen, die ein berühmter Bramine verfasst hatte; es mag wohl sein, dass Fatme jene genügten, die sie selber machte, oder dass diese Andachtsübungen nicht gerade nach ihrem Geschmack waren, und von solchen Gegenständen handelten, die gefielen; sie geruhte davon kaum zwei Zeilen zu lesen, und legte das erste Buch zur Seite, um jenes aufzunehmen, welches sie dem gegeheimen Schranke entnommen hatte, und welches, wie ich sah, einen verliebten Roman voll der zärtlichsten Stellen und der lebhaftesten Bilder enthielt.

Diese Art von Lektüre schien mir aber so wenig jene der strengen Fatma zu sein, dass ich darüber ganz erstaunt war. Ohne Zweifel, sagte ich sie entschuldigend zu mir, will sie sich bloß einer Selbstprüfung unterziehen, um zu wissen, bis zu welchem Punkte ihre reine Seele gestählt gegen jegliche [38] unlautere Gedanken, welche andere in Aufregung versetzen können, ist.

Obzwar ich die Ursache nicht kannte, welche sie so gegen ihren Grundsatz, den ich für den edelsten hielt, zu handeln bewog, denn ich setzte den besten voraus, schien es mir doch, dass die Lektüre dieses Liebesromans sie fesselte, ihre Augen leuchteten. Sie legte das Buch träumend zur Seite, und wie es schien, weniger um den Gedanken, die es enthielt, zu entgehen, sondern eher um sich denselben mit wollüstigem Entzücken hinzugeben.

Als sie dann aus der süßen Träumerei, in welche die Lektüre sie versetzt hatte, erwachte, wollte sie das Buch wieder aufnehmen; da vernahm sie plötzlich ein leises Geräusch, bei welchem sie das Buch rasch verbarg. Für alle Fälle versah sie sich eiligst mit dem Erbauungswerke des frommen Braminen; ohne Zweifel zog sie es vor, das Buch bloß zu zeigen, als es zu lesen.

Ein Mann trat ein, und näherte sich mit so ehrfurchtsvoller Miene, dass ich ihn trotz seiner edlen Gesichtsbildung und dem Reichthum seiner Kleidung erst für einen [39] Sklaven Fatmes hielt. Sie empfing ihn verstimmt, redete hart und unfreundlich mit ihm, sie schien von seiner Gegenwart sehr unangenehm berührt zu sein, so sehr gelangweilt von seiner Rede, dass ich schließlich zu glauben begann, dieser so misshandelte Mann könne nur ihr Gemahl sein. Ich irrte mich nicht, denn es war dem so.

Lange wies Fatme die innigen Bitten, ihn neben sich zu lassen, kalt zurück, und willigte bloß darum ein, um ihn mit den lästigen Einzelnheiten aller Fehler, welche er, wie sie es behauptete, unaufhörlich beging, zu überhäufen.

Dieser gutmüthige Gemahl, der unglücklichste aller Gatten von ganz Agra, empfing diesen scharfen Verweis mit einer Sanftmuth, die mich an seiner statt empörte. Nicht allein die hohe Meinung, welche er von der Tugend seiner Gattin hatte, machte ihn so sanft; denn Fatme war auch schön, und obzwar sie sich sehr wenig darum zu bekümmern schien, Verlangen zu erwecken, erregte sie es umsomehr. Eben weil sie sich gar nicht bemühte, den Augen ihres Gemahls gefällig zu sein, so erweckte sie seine innige [40] Zärtlichkeit umsomehr. Der schüchternste Liebhaber, welcher zum erstenmale zu einer stolzen Weltdame, die er am meisten fürchtete, sprach, wäre tausendmal weniger befangen gewesen, als dieser gute Gatte es war, der sich auch nicht einmal wagte seiner Frau zu sagen, welchen mächtigen Eindruck sie auf ihn machte.

Er bestürmte sie zärtlich, aber achtungsvoll, seine glühende Liebe zu erwiedern, sie wehrte sich lange und auf eine sehr unfreundliche Weise, und gab endlich ebenso unfreundlich, als sie sich vertheidigt hatte, nach. Trotz der Hartnäckigkeit, mit welcher sie ihm alles abschlug, was er von ihr verlangte, glaubte ich dennoch zu bemerken, dass Fatme weniger unempfindlich war, als sie es scheinen wollte. Ihre Augen wurden feuriger, sie nahm eine aufmeksamere Miene an, sie seufzte, und obzwar noch immer nachlässig, wurde sie doch weniger träge. Und doch war es nicht ihr Gemahl, den sie liebte. Ich wusste nicht, welche Absichten Fatme hatte; aber es sei dem, dass die Dankbarkeit sie sanfter stimmte, oder wollte sie ihren Gemahl zu neuen Liebesbeweisen aufmuntern, denn leise [41] zärtliche Aufforderungen folgten auf den harten und zänkischen Ton, mit welchem sie sich früher gewaffnet hatte, als sie ihn eintreten sah. Es war augenscheinlich, dass er den Grund nicht begriff, oder dass er davon nicht mehr gerührt war. Seine Kälte und Zerstreutheit reizten Fatme. Unmerklich fing sie einen neuen Streit an, sie sah plötzlich die abscheulichsten Laster an ihrem Gemahl. Was hatte er nicht für abscheuliche Sitten, welchen Ausschweifungen gab er sich hin, welche Verschwendung, was für ein ungeregeltes Leben führte er. Sie überhäufte ihn schließlich mit so vielen Beschimpfungen, dass er sich trotz seiner großen Geduld genöthigt sah, sie zu verlassen. Fatme ärgerte sich über seinen Fortgang. Der traurige Ausdruck ihrer Augen, weniger düster für mich, als er es für ihren Gemahl gewesen, belehrte mich darüber, dass sie nicht wegen seines Weggehens beruhigt zu sein verlangte, als mich einige heftigen Worte, die sie aussprach, als sie sich allein sah, darüber aufklärten, was sie eigentlich dachte. Ich war erstaunt, dass diese Frau das Beispiel und der Schrecken aller Frauen von[42] ganz Agra war, welche sie hassten, aber ihr dennoch nachahmen wollten und vor welcher selbst jene Frauen heuchelten, welche der geringsten Beherrschung ihrer Leidenschaften fähig waren. Wie sehr würden diese Leute gestaunt haben, wenn sie Fatme so wie ich in der Einsamkeit und Stille ihres Kabinets hätten sehen können.«

»Holla!« sagte der Sultan, »war sie denn eine Frau, welche im Grunde ... wie es deren so viele gibt, die sich verstellen ... dass geschieht doch häufig so? Man muss durchaus nicht denken, dass es eine so wenig alltägliche Sache ist, die ich damit sagen will. Du verstehst mich doch, was ich denke, glaube ich?«

»Nach der Art, wie Euer Majestät sich auszudrücken geruhen, ist es nicht allzu schwer zu errathen, was sie wünschen, und ohne mich einer allzu großen Schlauheit zu rühmen, wage ich es doch zu behaupten, dass ich es errathen habe.«

»Ja,« sagte der Sultan lachend, »wohlan, lasse ein wenig hören, was ich also dachte. Dass Fatme nichtsweniger das war, als was sie scheinen wollte, so ist's, oder ich soll [43] sterben,« unterbrach der Sultan, »doch fahre fort, Du hast wirklich mehr Geist, als ich dachte.«

»Zum Scheine floh Fatme jedes Vergnügen,« fuhr Amanzei fort, »aber das geschah nur deshalb, um sich ihren heimlichen Freuden mit größerer Sicherheit hingeben zu können.«

Sie gehörte nicht zu jenen unklugen Frauen, welche ihre Jugend dem Glanze, der Verschwendung jener jungen Leute opfern, welche die Laune des Augenblickes in Mode setzt, nicht zu jenen Frauen, die im späteren Alter die Schminke und den Putz bei Seite legen, und die, nachdem sie lange der Gegenstand der Verachtung und die Schmach ihrer Zeitgenossinnen gewesen sind, plötzlich deren Beispiel und Zierde werden wollen, aber welche um so verächtlicher werden, wenn sie sich bemühen Tugenden zu heucheln, die sie nie besaßen, als sie es mit der Kühnheit waren, womit sie ihre Laster offen zur Schau trugen.

Nein! Fatme war klüger gewesen. Sie besaß einen hohen Grad jener Falschheit, welche den Frauen die Nothwendigkeit sich [44] zu verstellen in der Regel eingibt, und hatte den Ehrgeiz geachtet zu werden (ein Wunsch, der nicht immer der erste ist, den sie hegen). Sie hatte es sehr frühzeitig empfunden, dass es unmöglich ist, sich diesen Freuden zu entziehen, ohne in der tödlichsten Langweile zu leben, und sie wusste es genau, dass eine anständige Frau sich ihnen nicht öffentlich hingeben kam, ohne sich der Schmach und den größten Gefahren auszusetzen, welche diese Freuden immer vergällen. Von ihrer zartesten Jugend an dergleichen Betrug gewöhnt, war sie weniger bedacht darauf, die lasterhaften Neigungen ihres Herzens zu verbessern, als vielmehr sie unter dem heuchlerischen Mantel strenger Tugend zu verbergen. Ihre Seele, ich möchte sagen, war von Natur aus wollüstig, nein, das war nicht Fatmes Karakter, ihre Seele war den Freuden geneigt: wenig zartfühlend, aber sinnlich, ergab sie sich bloß dem Laster, ohne die Liebe zu kennen. Sie war noch nicht zwanzig Jahre alt, und es waren schon fünf vergangen, seit dem sie verheiratet war, und mehr als acht, seitdem sie der Heirat zuvorkam.

Besondere Eigenschaften der Männer, [45] welche die Frauen gewöhnlich verführen, machten bei ihr gar keine Wirkung, ein schönes Gesicht, viel Geist, weckten vielleicht ihr Verlangen, aber sie gab sich dem nicht hin. Die Gegenstände ihrer Leidenschaften waren unter jenen Männern gewählt, welche gezwungen waren ihre Neigungen zu verheimlichen, oder unter jenen, welche ihre Stellung dem öffentlichen Verdacht entzog, welche die Freigebigkeit bestach, oder die Angst zu schweigen nöthigte, Männer, welche zum Scheine das niedrigste Amt versahen und deshalb für die süßesten Geheimnisse der Liebe geeignet sind.

Fatme war übrigens bösartig, zornig, hochmüthig und gab sich gefahrlos allen ihren Neigungen hin, denn sie verstand es vortrefflich, alle ihre Fehler ihrem guten Rufe dienstbar zu machen. Von Natur herrschsüchtig, hart, grausam, rücksichtslos, gottlos und ohne Freundschaftsgefühl, war ihr religiöser Eifer für Brahma und die tiefe Betrübniss, welche ihr der schlechte Lebenswandel anderer verursachte, eine bloße Komedie, welche in dem innigen Wunsche gipfelte, mit welchem sie die Verirrten zu Brahma zurückführen [46] wollte, womit sie ihre Laster bedeckte und sich selbst große Ehre verschaffte. Sie war so scheinheilig, so rachsüchtig, und ihre Seele war so rein. Wo gab es ein Mittel, ein so freimüthiges und aufrichtiges Herz zu verdächtigen, dass es in seinen schlechten gehässigen Handlungen von persönlicher Interessen ge leitet ward?

3. Kapitel
[47] [49]Drittes Kapitel.

Welches wenig wahrscheinliche Thatsachen enthält.


Nachdem ihr Gemahl sich entfernt hatte, wollte Fatme ihre Lectüre wieder fortsetzen, als ein alter Bramine mit zwei Frauen [49] eintrat, deren Trostbringer er zu sein vorgab, deren Tyrann er aber thatsächlich war. Fatme erhob sich eilig und empfing sie mit so bescheidener und ehrfurchtsvoller Miene, dass unmöglich war, hierin nicht getäuscht zu sein; der Bramine musste sie sogar daran hindern, dass sie sich nicht vor ihm auf den Boden warf. Er that dies mit einer so hochmüthigen Miene, die so sehr die ungeheuere Wichtigkeit verrieth, welche er aus sich selbst machte. Er war so zufrieden mit ihrer Demüthigung, denn er war davon so sehr überzeugt, dass er noch vielmehr verdiente, dass es mir unmöglich war, nicht über den dummen Wahn dieser eingebildeten Persönlichkeit zu lachen. Es war voraus zu sehen, dass zwischen diesen sehr verdienstvollen Personen das Gespräch auf Umkosten Anderer geführt werden würde. Und da es oft vorkommt, dass Leute, welche ein lustiges Leben führen, viel lästern, so glaubte ich mich dabei gut zu unterhalten. In der That beschäftigten sie sich bloß mit dem Lächerlichen, so dass ihre Nachrede für sie mehr eine Unterhaltung bildete, und sie waren nicht so schlecht, um sich eine Pflicht [50] daraus zu machen. Manchmal schaden solche Leute wohl, aber sie haben nicht immer die böse Absicht, es zu thun, oder es gestattet ihnen wenigstens ihr Leichtsinn und ihre Vergnügungssucht nicht, sie weder lange zu behalten, noch Vortheil daraus zu ziehen; diese böswillige Art, schlecht von Andern zu reden, welche man für so nothwendig sich zu bessern hält, und welche ohne die Aussicht auf Besserung verdammungswürdig erschienen würden, ist solchen Schwätzern unbekannt. Sie ... – »Wirst Du wohl bald damit fertig werden?« unterbrach der Sultan im Zorn, »ich glaube gar, Du kommst da wieder mit Deinen hündischen Betrachtungen zum Vorschein?«

»Aber, Herr,« antwortete Amanzei, »es gibt Situationen, wo sie unentbehrlich sind.«

»Ich aber behaupte, dass sie unnütz sind,« erwiderte der Sultan, »und dass es nicht wahr ist, und wenn dem so wäre, so verlange ich trotzdem, dass man mir Märchen nach meiner Laune und Fantasie erzähle. Unterhalte mich lieber und ende mit Deinem ewigen Moralisieren, dass mir Migräne verursacht. Du gefällst Dir darin, den Schönredner [51] und Sittenprediger zu machen, aber beim Teufel, ich will Ordnung machen und ich schwöre es bei meiner Sultansehre, dass ich den ersten besten hängen lassen werde, der es noch wagen wird, mir derartige Betrachtungen zu machen. Und jetzt wollen wir sehen, wie Du Dich aus der Schlinge ziehen wirst.«

»Indem ich mich künftig vor solchen Betrachtungen hüten werde, die nicht das Glück haben, Euer Majestät zu gefallen.«

»Wir wollen sehen, fahre fort,« sagte der Sultan. – »Man hat niemals die Neigung, Böses von andern zu reden, ohne sich dabei das Vergnügen zu gönnen, Gutes von sich selbst zu sprechen. Fatme und ihre Gäste hatten zu viel Scharfsinn, um sich nicht selbst sehr hoch zu schätzen und um nicht alle jene gründlich zu verachten, die ihnen nicht gleichkamen. Während die Sklaven alles zu einem Spiele vorbereiteten, führte die Gesellschaft eine sehr lebhafte Unterhaltung, deren Art den Karakter der Anwesenden durchaus nicht verleugnete. Allein der alte Bramine wagte es Gutes von einer Dame zu reden, welche Fatme bekannt war, und [52] seine Lobrede missfiel ihr sehr. Unter allen Dingen, über welche sie art meisten loszog, erschien ihr die Liebe am meisten tadelnswert. Eine Frau, die es wagte zu lieben, und wenn sie sonst die schätzenswertesten Eigenschaften besessen hätte, vermochte nichts vor dem glühenden Hasse Fatmes zu schützen; aber wenn eine Frau die abscheulichsten Laster gehabt hätte, am verworfensten und ehrlosesten gewesen wäre, und man vermochte keinen Liebhaber von ihr zu nennen, so war sie in Fatmes Augen die ehrbarste Person, deren Tugenden man nicht genug preisen konnte. Unglücklicherweise befand sich jene Frau, die der Bramine so sehr lobte, in der Lage, in welcher sie Fatmes höchste Entrüstung verdiente.« »Ein verlorenes Weib,« sagte sie in bissigem Tone, »kann es wohl solche Lobeserhebungen verdienen?« Der Bramine vertheidigte sich damit, dass er es nicht gewusst, wie verdammungswerte Sitten diese Person habe, und Fatme belehrte ihn mit großer Sanftmuth so gründlich darüber, dass er die Frau sofort verachten musste.

»Ich zweifle durchaus nicht,« sagte eine der Frauen, die bei Fatme waren, zu ihr, [53] »dass Sie, welche so großmüthig und zu allem Guten und Edlen geneigt sind, sich für das, was Ich ihnen erzählen werde, sehr interessieren werden; denken Sie nur, dass Nahami, deren Fall wir gemeinschaftlich so tief beklagt haben, dieselbe Nahami, nun müde ihres Irrthums, die schnöde Welt verlässt, sie schmückt sich nicht mehr.«

»Ach!« rief Fatme aus, »wie lobenswert ist sie doch dafür, wenn ihre Wiederkehr zum Guten nur aufrichtig ist. Aber meine Freundin, Sie sind so gutmüthig, und Frauen Ihres Karakters werden so sehr leicht hintergangen; ich weiß das aus eigener Erfahrung, wenn man mit so viel Herzensreinigkeit und Aufrichtigkeit geboren ist, wie Sie, so kann man es gar nicht begreifen, dass jemand so unglücklich sein kann, diese Reinheit nicht zu besitzen. Indes, ist es ja ein sehr edler Fehler, von Andern stets gut zu urtheilen. Aber um auf Nahami zurückzukommen, so kann ich mich dennoch nicht so ganz der Befürchtung erwehren, dass sie, deren Seele so sehr an dem Weltlichen hing, es vermöchte, so leicht ihren großen Verirrungen zu entsagen. Die Schminke verlässt man [54] leichter als das Laster, denn oft nehmen solche Leute bloß zum Scheine eine enthaltsamere und bescheidene Miene an, die weniger den Zweck hat, mit der Tugend zu beginnen, als vielmehr die Welt über die Laster, denen man heimlich huldigt, zu täuschen.«

»Nein, lieber Freund,« sagte der Sultan gähnend, »diese Unterhaltung ist zum Sterben langweilig; lasse sie mir zu Liebe unbeendigt, diese abgeschmackten Personen regen mich bis zum äußerstem Punkte auf, sage mir auf Dein Gewissen, langweilet Dich das nicht selber? mache um Gotteswillen, dass sie so bald als möglich verschwinden, Deine Tugendheuchler.«

»Oh, sehr gerne, Herr,« antwortete Amanzei. »Nachdem sie ihr Gespräch über Nahami so viel als möglich erschöpft hatten, kehrten sie zu banalen Nachredereien zurück und ich kannte in wenigen Augenblicken alle intimen Abenteuer von ganz Agra. Hierauf lobte man sich gegenseitig, erschöpfte sich in Bewunderung aller hohen Tugenden der Anwesenden und begann sehr traurig über das Los der Verlorenen zu spielen an. Man [55] setzte hohes Spiel an, betrieb es mit Habsucht und allem möglichen Geize, und ging dann befriedigt nach Hause.«

»Ich bin schon wie auf Nadeln,« sagte der Sultan, »denn Du hast mich eben sehr verpflichtet, indem Du mir versprachst, dass diese Leute nicht mehr vorkommen werden, nicht wahr?«

»Ja, Herr,« antwortete Amanzei.

»Nun wohlan!« erwiderte der Sultan, »um Dir zu beweisen, wie großmüthig ich die Dienste, welche man mir erweiset, zu belohnen weiß, ernenne ich Dich zum Emir, da Du übrigens sehr gut sticken und ausschnitzeln kannst, und Du mit großem Eifer arbeitest, so glaube ich, dass Du auch Deine Märchen sehr gut durchführen wirst – denn schließlich diese Dingen erregen mein Wohlgefallen, und dann muss man doch das Verdienst ermuthigen und belohnen.«

Nachdem der neue Emir dem Sultan seinen innigen Dank ausgesprochen hatte, fuhr er folgendermaßen fort: »Trotz der freundlicher Miene Fatmes glaubte ich doch bemerkt zu haben, dass der Besuch dieser drei Personen denselben Eindruck auf sie, [56] wie auf Euer Majestät gemacht hatte, und dass sie, wenn sie es vermocht hätte, den Tag zu anderen Zerstreuungen benützt haben würde, als es die waren, welche ihr diese langweiligen Leute verschafft hatten. Sobald sie sich entfernt hatten, wurde Fatme träumerisch, aber ohne Melancholie, ihre Augen nahmen einen zärtlichen Ausdruck an, sie irrten verlangend im Kabinete herum, es schien, als ob sie lebhaft nach etwas verlangte, was sie nicht hatte, oder was sie zu genießen fürchtete; endlich rief sie. Auf ihren Ruf eilte ein junger Sklave von mehr kräftiger als angenehmer Gestalt herbei; Fatme beobachtete ihn mit feurigen Blicken, in denen Liebe und heißes Verlangen vorherrschte.«

»Schließe die Thüre, Dahis!« sagte sie endlich, »komme, wir sind allein, Du kannst Dich ohne Gefahr daran erinnern, dass ich Dich liebe, und mir ohne Scheu Deine Zärtlichkeit beweisen.«

Auf diesen gnädigen Befehl legte Dahis sofort die ehrfurchtsvolle Miene eines Dieners ab, und nahm die eines beglückten Mannes an. Er schien mir weniger zartfühlend, wenig zärtlich, aber lebhaft und [57] [59]feurig, er war ganz aufgezehrt vom heißen Verlangen und nicht bewandert in der Kunst seine glühenden Wünsche gradweise zu befriedigen, er kannte gar keine Galanterie, und fühlte nicht gewisse angenehmen Sachen, er ging nicht in zärtliche Einzelnheiten ein, er beschäftigte sich wesentlich nur mit Allem. Dahis war kein eigentlicher Liebhaber, und für Fatme, welche die geistige Unterhaltung nicht suchte, war er bloß ein sinnliches (körperliches) Bedürfnis. Er spendete ihr ein dummes, plumpes Lob, aber seine unzarten, derben Huldigungen missfielen Fatme nicht, welche bloß das Verlangen hegte, dass man ihr stark bewies, dass sie Begierden erweckte, und damit genug bewundert zu sein meinte. Fatme entschädigte sich mit Dahis reichlich für die kalte Zurückhaltung, zu welcher sie sich mit ihrem Gemahl gezwungen hatte, und war nun weit entfernt von allen strengen Gesetzen des Anstandes; ihre Augen strahlten im lebhaftesten Feuer, sie überhäufte Dahis mit den glühendsten Liebkosungen, nannte ihn bei den zärtlichsten Namen und es nicht für nothwendig haltend, das zu verhehlen, was sie fühlte, ergab sie sich völlig ihrem [59] Sinnestaumel. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, machte sie Dahis selber auf die Schönheiten, welche sie ihm darbot, aufmerksam, und forderte ihn selber auf, neue Beweise ihrer Liebe und Gefälligkeit von ihr zu verlangen, welche er aus eigenem Antriebe kaum zu wünschen gewagt hätte.

Dahis schien jedoch von ihrer Leidenschaftlichkeit wenig gerührt zu sein, seine Augen hafteten blöde auf allen Reizen, welche die leichtsinnige Fatme ihm bot, sie machten bloß einen oberflächlichen Eindruck auf ihn, seine rohe Seele empfand nichts davon, die Freude darüber drang nicht zu seinem Herzen, und dennoch war Fatme befriedigt. Das Stillschweigen und die Blödheit Dahis verletzten ihre Eitelkeit nicht im geringsten; sie hatte zu viele andere Gründe daran zu glauben, dass er für ihre Schönheit sehr empfänglich war, um nicht sein verblüfftes Stillschweigen den feurigsten Liebesschwüren eines abgelebten Stutzers vorzuziehen.

Die Ungebundenheit, mit welcher Fatme sich den sinnlichen Wünschen des Dahis hingab, bewies mir klar genug, dass sie weder [60] Zartgefühl noch Tugend besaß, sie forderte von ihrem Liebhaber durchaus keine lebhaften Kundgebungen des Entzückens, sie verlangte nicht jene zärtlichen Richtigkeiten, welche fein fühlende Seelen und Leute von ausgesuchter Lebensart oft über die sinnlichen Freuden stellen, oder welche die eigentlichen Freuden poetischer Liebe bilden. Trotz aller Genüsse gähnte Dahis mehreremale laut und ging endlich fort.

Er gehörte zu jenen unglücklichen Personen, welche weder etwas zu denken noch zu reden verstehen, welche besser zur rohen That geeignet sind und die man nur ungern sprechen hört.

Ich hatte nun über Fatme's Unterhaltungen meine eigenen Ansichten, und musste mir selber gestehen, dass ihr nach dem Fortgehen des Dahis wohl nicht mehr viel übrig blieb, worüber sie in diesem Kabinette noch ihre Betrachtungen hätte anstellen können, und dass sie sich nun von hier entfernen würde, aber ich irrte mich darin; sie war eine in dieser Art von Betrachtungen unermüdliche Frau. Es war nicht lange darnach, was sie sich so ganz den schönen [61] Reflexionen hingab, zu welchen ihr Dahis so angenehmen Stoff gegeben hatte, als sich ihr abermals eine gute Gelegenheit bot, neue und noch bessere Betrachtungen anzustellen.

Ein ernster, aber junger und schöner Bramine trat in das Kabinet. Er war eine jener Erscheinungen, deren würdevolles Benehmen erkünstelt war und die ihre Lebhaftigkeit nicht zu verbergen vermochte.

Trotz seiner Braminenkleidung, welche so wenig geeignet ist, die männliche Schönheit zur Geltung zu bringen, sah man es sogleich, dass er so schön gewachsen war, um gewisse Gedanken bei mehr als einer Scheinheiligen zu erwecken, auch war er einer der beliebtesten Braminen von Agra, ein unvergleichlicher Trostbringer für Damen, den man am meisten zu geheiligten Handlungen benützte. Er sprach so wunderbar, sagte man, er wusste mit so unendlich viel Sanftmuth den empfänglichen Seelen die Tugend beizubringen, er kannte das Mittel, ohne dem es unmöglich war, nicht auf schlechte Wege zu gerathen. Dieses und ähnliches redete man öffentlich von ihm und wir werden uns alsbald selbst überzeugen, worüber man ihm [62] außerdem noch ganz besonderes Lob schuldete, und ob dieses Lob auch jenes war, was man ihm am lautesten spendete.

Dieser schöne und gefeierte Bramine näherte sich jetzt Fatme mit einer gezwungen süßlichen, mehr frivolen, als artigen Miene. Er hatte nicht die Absicht, eine leichtfertige Miene zur Schau zu tragen, aber ahmte jene ganz schlecht nach, die er sich zum Vorbilde erkoren hatte, und überall drang der Bramine unter der angenommenen Maske hervor. »Herzenskönigin,« sagte er lächelnd zu Fatme, »Du bist heute schöner und lieblicher als die auserwählten Glücklichen, welche zum Dienste Bramas erkoren sind. Du versetzest meine arme Seele in ein unbeschreibliches Entzücken, das etwas hehres und himmlisches an sich hat und wovon ich sehnlichst wünsche, Du mögest es mit mir theilen und mit mir empfinden.« Fatme antwortete ihm schmachtend in derselben Weise und der Bramine behielt denselben Ton bei; auf diese Weise entspann sich hierauf zwischen Beiden eine höchst zärtliche Unterredung, worin jedoch die Liebe eine sehr ungewöhnliche Sprache führte, die für ihn sehr wenig [63] schicklich war. Ohne ihre Geberden zweifle ich daran, dass ich jemals ihre Gespräche verstanden hätte.

Fatme, welche natürlich keinen Wert auf diese Art von Beredsamkeit legte, und welche, was immer sie auch darüber sagte, jene des schönen Braminen missachtete, war die erste, welche sich bei diesen äußerst gefühlvollen Gesprächen ungemein langweilte. Dem Braminen gefielen sie ebensowenig, er that sich keinen weiteren Zwang an, und ließ sie sofort fallen und diese höchst faden, süßlichen Reden endeten gerade so wie jene, welche sie mit Dahis begonnen hatte. Es war augenscheinlich, dass Fatme jetzt, obzwar sie dasselbe wie zuvor that, dennoch mehr Sorgfalt auf ihr Benehmen verwendete.

Sie bemühte sich viel empfindlicher zu sein, damit der Bramine daran glaube, dass sie bloß aus reiner Liebe zu ihm nachgäbe. Der schöne Bramine, welcher in Gestalt und Karakter dem Dahis sehr gleichkam, war jenem in gar nichts untergeordnet und verdiente das Lob, welches ihm Fatme spendete, sehr wohl.

[64] Nachdem diese beiden würdigen Personen von ihrer gegenseitigen Zärtlichkeit so viel, als sich ihnen nur darbot, genossen hatten, begannen sie gemeinsam die blöde Tugend zu verhöhnen und lächerlich zu machen; sie unterhielten sich ungemein darüber, welches Vergnügen es ihnen stets gewährt, wenn es ihnen gelingt, andere irre zu führen, und sich dann recht lustig über sie zu machen; zum Schlusse ertheilten sie sich noch gegenseitig gründlichen Unterricht in der Heuchelei.

Endlich trennten sich diese beiden abscheulichen Leute unter gegenseitigen Versprechungen und Gelübden und Fatme bereitete sich darauf vor, ihren Gemahl zur Verzweiflung zu treiben und ungeheueres Aufsehen und großen Staat mit der heroischen Kasteiung und Abtödtung ihrer Sinne zu machen.

So lange, als ich mich in Fatmes Sopha aufhielt, sah ich ihrerseits keine andere Art von Unterhaltungen und Kurzweil als diese, von welchen ich Euer gnädigen Majestät soeben erzählt habe.

[65] So klug als Fatme auch gewesen sein mag, so übereilte sie sich doch manchmal.

Eines Tages, als sie wieder allein mit ihrem frommen Braminen war, ergab sie sich wohl etwas zu heftig ihren Ausschweifungen.

Ein unglücklicher Zufall führte ihren Gemahl vor die Thüre dieses Kabinets und er hörte zu seinem Erstaunen Liebesseufzer und verdächtige Laute, welche ihn überraschten.

Die öffentlichen Beschäftigungen Fatmes ließen ihre heimlichen Belustigungen nicht vermuthen, dass ich daran zweifelte, dass ihr Gemahl es sofort errieth, von wem diese sonderbaren Worte und verdächtigen Seufzer herrührten, welche an sein Ohr drangen. Vielleicht erkannte er Fatmes Stimme, oder trieb ihn die bloße Neugierde, sich über dieses Abenteuer aufzuklären, dazu, das Kabinet zu betreten.

Zu Fatmes größtem Unglück war die Thüre diesmal schlecht geschlossen und ihr Gemahl drückte sie mit einem einzigen Fußtritte ein.

Das unerwartete Schauspiel, welches sich seinen Blicken darbot, überraschte ihn [66] so sehr, dass seine plötzliche Wuth nicht gleich zum Ausbruche kam, da er an das, was er sah, nicht glauben konnte und war mehrere Augenblicke ganz unentschlossen, was er thun sollte. »Elende!« rief er endlich aus, »empfanget für Eure Laster und Heucheleien die wohlverdiente Strafe.«

Ohne weder Fatme noch den Braminen, welche sich zu seinen Füßen stürzten, eines Blickes zu würdigen, machte er sie unter seinen wohlgetroffenen Hieben sofort erbleichen. So schrecklich auch dieser Anblick war, rührte er mich gar nicht, denn sie hatten wohl Beide den Tod verdient und sind es nicht wert gewesen, bedauert zu werden; ich war sehr zufrieden damit, dass diese schreckliche Katastrofe ganz Agra davon unterrichtete, welcher Art eigentlich diese zwei Personen waren, die man so lange für besondere Muster der Tugend und Frömmigkeit gehalten hatte.

4. Kapitel
[67] Viertes Kapitel.

Worin man Sachen erfahren, welche man möglicherweise nicht voraussehen konnte.


Nach dem Tode Fatmes nahm meine Seele ihren Aufschwung und flog in einen benachbarten Palast, worin mir Alles ungefähr so geordnet schien, wie es in jenem war, den ich soeben verlassen hatte. Im Grunde dachte man aber hier doch ganz anders. Die Herrin dieses Hauses trat noch lange nicht in jenes Alter, in welchem alle verständigen Frauen, wenn sie auch gerade die Galanterie nicht wie ein Laster verurtheilen, sie doch wenigstens für lächerlich [68] halten; denn sie war jung und schön und man konnte es durchaus nicht behaupten, dass sie die Tugend nur deshalb liebe, weil sie für die Liebe nicht geschaffen war. Nach ihrem einfachen und bescheidenen Benehmen, nach dem Eifer, mit welchem sie Wohlthaten ausübte und sie zu verbergen suchte, und nach dem milden Frieden, der in ihrem Herzen zu herrschen schien, musste man wohl glauben, dass sie so gut war, als sie erschien. Sie war vernünftig ohne Beschränktheit und Eitelkeit, sie machte weder eine große Mühe noch ein Verdienst daraus, ihren Pflichten nachzukommen.

Niemals habe ich sie auch einen Augenblick weder launenhaft noch zänkisch gesehen; ihre Tugenden waren Sanftmuth und Friedfertigkeit; sie maßte sich auch nicht das Recht an, andere zu quälen oder zu verachten, und sie war in dieser Beziehung viel zurückhaltender und einsichtsvoller, als es jene Frauen sind, die sich selbst wohl das Ärgste vorzuwerfen haben, selbst aber niemanden kennen, der in ihren Augen frei von jedem Tadel wäre. Ihr Temperament war natürlich und heiter und sie bemühte [69] sich gar nicht ihre Lustigkeit einzuschränken.

Sie war nicht der Ansicht, dass man nur dann tugendhaft und ehrbar ist, wenn man sehr langweilig ist. Sie redete über niemanden Übles und wusste mit boshaften Nachreden niemanden zu unterhalten. Sie war überzeugt davon, dass sie ebensoviele Fehler wie andere Leute hatte und wusste daher jene zu verzeihen, die sie an Anderen bemerkte.

Nichts erschien ihr lasterhaft oder verbrecherisch, als was es in der That war. Sie versagte sich keine erlaubten Vergnügungen, um sich gleich Fatme bloß jenen hinzugeben, die für sie verboten waren. Ihr Haushalt war ohne Prunk aber vornehm gehalten und alle anständigen Leute von Agra machten sich eine besondere Ehre daraus, bei ihr empfangen zu werden, alle Leute wollten eine Frau von so seltenem Charakter kennen, und achten sie dann sehr hoch; trotz meines begründeten Misstrauens war ich schließlich auch gezwungen sowie alle Leute zu denken. Als ich mei nen Aufenthalt in dem Sopha dieser Dame nahm, [70] war ich noch ganz empört über die nieder, trächtige Falschheit Fatmes, dass ich keinen Augenblick daran zweifelte, hier dasselbe zu erleben, und ich verwechselte in erster Zeit die tugendhafte und edle Frau mit der gemeinen Heuchlerin.

Niemals sah ich einen Sklaven oder einen Braminen das Zimmer betreten, ohne nicht zu erwarten, dass man sich auch meiner bei den Unterredungen in bekannter Weise bedienen würde, und ich war ganz erstaunt, hier so gar nichts zu zählen.

Dass müßige Leben, zu welchem ich in diesem ruhigen Hause verbannt war, langweilte mich bald, denn ich war bald überzeugt davon, dass umsonst wäre zu warten, da man mir hier keinen Stoff zu neuen Beobachtungen bieten würde.

Ich verließ daher das Sopha dieser Dame und war ganz entzückt mich selber davon überzeugt zu haben, dass es noch wirklich tugendhafte Frauen gab. Trotz meiner Bewunderung und Verehrung für sie war ich aber wenig von dem Wunsche erfüllt, wieder zu einer so tugendhaften Dame zu kommen.

Um eine Abwechslung in die Schauspiele [71] zu bringen, welche meiner Seele ihr gegenwärtiger Stand zu bieten erlaubte, wollte ich, als sie diesen Palast verließ, in keinen andern mehr einkehren und begab mich deshalb in ein kleines, hässliches und finsteres Haus, von so ärmlichem Ansehen, dass ich anfangs daran zweifelte, ob meine Seele auch einen für sie nothwendigen Aufenthalt darin finden würde. Ich drang in ein trauriges, schlecht möblirtes Zimmer, worin ich aber glücklicherweise dennoch ein Sopha antraf, welches aber so zerrissen und niedergesessen war, dass es deutlich zu sehen war, dass es wohl auf seine Kosten gewesen, womit man die andern Möbel, die es umgaben, erworben hatte.

Dies waren meine ersten Gedanken, ehe ich es noch wusste, bei wem ich mich befand, und als ich es erfuhr, so änderte ich meine erste Meinung noch weniger.

In der That diente dieses Zimmer zum Aufenthalte eines recht hübschen Mädchens, welches aber sowohl durch seine niedrige Geburt als durch seine Persönlichkeit zu jenen gehörte, welche man im Allgemeinen die schlechte Gesellschaft zu nennen pflegt, [72] [74]welche aber sehr häufig solche Leute bei sich empfing, aus welchen, wie man sagt, die gute Gesellschaft bestehen soll. Es war eine hübsche junge Tänzerin, welche gerade unter jene des Kaisers aufgenommen worden war, und deren Glück und Ruf noch nicht gemacht war, obzwar sie theilweise fast alle jungen und vornehmen Männer von Agra kannte, welche sie mit ihren Gefälligkeiten überhäuften und die ihr als Vergeltung ihre Protektion versicherten. Ich zweifelte je doch, dass sie trotz der schönen Dinge, die ihr diese Herren versprachen, ohne einen Intendanten der kaiserlichen Güter, welcher Gefallen an ihr fand, kaum ihr Glück gemacht haben würde.

Abdalathif, das war der Name des Intendanten, spielte zwar weder durch seine vornehme Geburt noch wegen seiner persönlichen Verdienste eine bedeutende Rolle. Er war von Natur plump und roh und seitdem er reich geworden war, fügte er noch die Frechheit zu seinen andern Fehlern hinzu; er hatte zwar nicht die Absicht unhöflich zu sein, aber überzeugt davon, dass ein so vornehmer Mann wie er jedem eine [74] sehr große Ehre erweise, wenn er ihn überhaupt beachtet, nahm er die kalte und trockene Höflichkeit der Personen von sehr hohem Range an, die man wohl bei ihnen Würde nennen kann, welche aber bei Abdalathif den Gipfel der Dummheit und Impertinenz bildete; dass er in der tiefsten Niedrigkeit geboren war, hatte er nicht nur vergessen, sondern er bemühte sich nichts zu unterlassen, womit er sich den Anschein einer berühmten Abstammung geben konnte. Er krönte seine Wunderlichkeiten damit, dass er unaufhörlich den großen Herrn spielte, er war stolz und frech, seine Zutraulichkeit verletzte ebenso wie sein Hochmuth, er war geschmacklos und unnobel in seiner Herrlichkeit und dieselbe war bei ihm nur noch eine Lächerlichkeit mehr. Er hatte keinen Geist und noch weniger Erziehung und gab sich stets den Anschein, als ob es nichts in der Welt gäbe, was er nicht verstanden hätte, und behauptete oft hartnäckig den größten Unsinn. So unausstehlich er auch war, beobachtete man doch alle Rücksichten gegen ihn, man fürchtete weniger, dass er schaden konnte, aber er verstand es sehr wohl, [75] sich alle Leute zu verpflichten. Die Vornehmen von Agra waren regelmäßig seine Augendiener und Schmeichler, und selbst ihre Frauen waren stets bereit die Ungezogenheiten zu verzeihen, welche er mit ihnen bis zum Übermaße trieb, oder selbst geneigt seinen frivolen Wünschen nichts abzuschlagen. Er war so sehr beliebt in Agra, dass er oft recht froh war sich den zu häufigen Entgegenkommen vornehmer Frauen zu entziehen, um andere, ihm angenehmen Vergnügungen zu suchen, welche zwar weniger vornehm und sein, aber sehr lustig und aus, schweifend waren, und von denen er die Unverschämtheit zu sagen hatte, dass sie für ihn weniger gefährlich wären.

Es war eines Abends, als er in guter Laune von dem Kaiser gieng, vor welchem Amine gerade getanzt hatte, als dieser neue Beschützer sie nach Hause begleitete. In ihrer Wohnung angekommen, ließ er seine hochmüthigen blasirten Blicke mit Verachtung in diesem ärmlichen Wohnraume herumschweifen und geruhte dann kaum die Augen aufzuschlagen, wahrend er zu ihr sprach: »Sie wohnen hier schlecht,« sagte er, »man muss [76] Sie von hier entfernen. Es ist sowohl ihretals meinetwegen, dass ich es wünsche, dass Sie anständiger wohnen. Man würde mich verhöhnen, wenn ein junges Mädchen, das ich protegiere, nicht so wohnen würde, um sich Achtung bei den Leuten zu verschaffen.« Nach diesen Worten setzte er sich auf mich und zog sie heftig an sich, er erlaubte sich alle Frechheiten, die ihm beliebten, aber da er es mehr aus Leichtfertigkeit that als aus sinnlicher Begierde, so waren seine Liebesbeweise nicht sehr stürmisch. Amine, welche ich sonst viel hochmüthiger und launenhafter mit den Herren, die sie besuchten, gesehen hatte, wagte es nicht mit Abdalathif vertraulich zu sein, sondern behandelte ihn mit außerordentlicher Hochachtung und wagte es kaum ihn anzusehen, selbst wenn er es zu verlangen schien. »Du gefällst mir recht gut, Kleine,« sagte er zu ihr, »aber, ich will, dass Du vernünftig bist. Keine jungen Männer; strenge Sittsammkeit, eine musterhafte Aufführung; nur unter diesen Bedingungen werde ich Dich weiter besuchen, sonst würden wir nicht lange gute Freunde sein, verstehst Du mich? Lebe wohl, hübsche [77] [79]Kleine,« fügte er sich erhebend hinzu, »morgen sollst Du mehr von mir hören; Du bist nicht so eingerichtet, dass man bei Dir zu Nacht speisen könnte, ich will das aber können; guten Tag.« – Nach diesen Worten entfernte er sich, Amine begleitete ihn ehrfurchtsvoll und kam auf mich zurück, um sich ganz der Freude hinzugeben, welche ihr gutes Glück ihr bereitete und um mit ihrer Mutter von den Diamanten und Schätzen zu sprechen, welche sie von der Großmuth Abdalathifs erwartete.

Diese Mutter, obzwar eine ehrenhafte Frau, war die gefälligste aller Mütter, sie überredete ihre Tochter, sich vernünftig in dem Glücke, welches Brama ihr zu senden gefiel, zu betragen, und indem sie den traurigen Stand, in welchem sie sich gegenwärtig befanden, mit jenem verglich, in dem sie sich künftig befinden sollten, machte sie tausend fromme Betrachtungen über die Vorsehung der Götter, welche gewiss niemals jene verließen, die ihre Gunst verdienten. Hierauf begann die Mutter eine lange Reihe von vornehmen Herren aufzuzählen, welche früher die Freunde ihrer Tochter gewesen. »Von [79] welchem Nutzen war ihre Freundschaft für Dich, meine Tochter,« sagte sie zu ihr; »aber das ist nur Deine eigene Schuld, mein Kind. Ich habe es Dir tausendmal gesagt, dass Du von Natur zu sanft bist. Du gibst Dich zu oft mit großer Gleichgiltigkeit hin, was ein großer Fehler, ein Laster ist, was gar nichts taugt und Dich der Lächerlichkeit preisgab. Ich glaube wohl, dass Du manchmal das Bedürfnis und die Lust dabei empfindest, und Dich dabei sogar oft befriedigst! Aber man darf sich niemals so sehr seinen heimlichen Freuden hingeben, dass man dabei sein eigenes Glück vernachlässigt, hauptsächlich muss ein junges Mädchen es zu vermeiden wissen, dass man von ihr sagen kann, dass es sich unnützerweise der Liebe preisgibt; leider hast Du darin so manchen Stoff zu unangenehmem Gerede gegeben. Indes! Du bist noch so jung und ich hoffe, dass Dir dies keinen großen Schaden bringen wird. Denn wisse, nichts schadet so sehr einer jungen Person von Deiner Beschaffenheit, als jene Thorheit, welche ich Gefälligkeit aus Dankbarkeit nennen hörte. Wenn es einmal bekannt wird, [80] dass ein junges Mädchen die böse Gewohnheit hat, sich manchmal umsonst hinzugeben, so glaubt jedermann berechtigt zu sein, sie auch um denselben Preis oder wenigstens sehr billig haben zu können. Siehe Deine Freundinnen Romane, Atalis, Alzire, keine einzige von ihnen hat sich die Schwäche vorzuwerfen, und deshalb hat Brama ihr kluges Betragen sichtlich gesegnet. Alle sind sie viel weniger hübsch als Du, und siehe, wie sie reich sind, nehme Dir ein Beispiel an ihnen, sie sind wirklich vernünftige Mädchen.« »Gewiss sind sie es, meine Mutter,« antwortete Amine, welche diese weisen Lehren ihrer Mutter ungeduldig machten, »ich werde Deiner Ermahnungen eingedenk sein; aber willst Du mir vielleicht rathen bloß dem Ungeheuer anzugehören, welches mich soeben verließ? Das ist rein unmöglich, ich sage es Dir voraus.« »Wahrhaftig nein,« sagte die Mutter, »denn was unser Herz betrifft, darüber sind wir ja nicht Herrinnen, ich sage bloß, dass Du jetzt den Herren vom Hofe entsagen musst, außer Du würdest sie bloß im Geheimen empfangen, nur dass sie dann eine bessere Art gegen Dich annehmen [81] würden, als sie bisher hatten. Wenn Du willst, so werde ich es allein übernehmen, diese Angelegenheiten mit ihnen zu ordnen. Und dann hast Du auch den Massond, welchen Du liebest, das ist eine gute Wahl, niemand kennt ihn, er lässt sich zu Allem verwenden, Du lässest ihn für Deinen Verwandten gelten, man wird ihn dafür halten, und es ist darüber nichts zu sagen. Dein neuer Beschützer, der Dir wohlgeneigt ist, wird sich darin irren, ebensowohl wie die Andern; wenn Du klug bist, wird er an Deiner Treue nicht zweifeln und Du kannst ...«

»Glaubst Du, meine Mutter, dass er mir auch Diamanten schenken wird?«

»Es ist wahrlich nicht aus Eitelkeit, dass ich ein sehnsüchtiges Verlangen darnach hege,« fügte sie hinzu, »aber wenn man einen höheren Rang einnimmt, so ist man immer froh sich mit Andern messen zu können.« Nach diesen Worten begann sie eifrig alle ihr bekannten Mädchen aufzuzählen, welche über ihr unerhörtes Glück vor Neid vergehen werden, und sprach mit Enthusiasmus von den vielen Prachtgewändern, Juwelen und Diamanten, die sie dann besitzen wird. Dies [82] waren so herrliche Ideen und Träume, welche ihr viel mehr schmeichelten und wohlgefielen als das Glück selber.

Am nächsten Morgen und recht zeitlich in der Frühe kam ein eleganter Wagen, um sie abzuholen, und meine Seele, neugierig zu erfahren, welchen Nutzen Amine aus den weisen Rathschlägen ihrer würdigen Mutter ziehen würde, folgte sofort dem Wagen. Man führte Amine in ein schönes, vollständig eingerichtetes Haus, welches Abdalathif in einer entlegenen Straße besaß. Ich ließ mich sofort in einem kostbaren Sopha nieder, welches sich in einem der prächtig eingerichteten Gemächer befand. Niemals habe ich jemanden in so blöder Verwunderung gesehen, wie es Amine bei all den Kostbarkeiten, die sich ihren Blicken darboten, war. Nachdem sie alles sorgfältig untersucht hatte, setzte sie sich sofort behaglich zu ihrer Toilette.

Die kostbaren Gefäße, womit diese bedeckt war, ein mit Diamanten gefülltes Kästchen, erhoben ihre Begeisterung, schön gekleidete Sklaven, welche mit ehrfurchtsvoller Miene sich bemühen, ihr zu dienen,[83] Kaufleute, Arbeiter erwarteten ihre Befehle, alle diese ungewohnte Pracht und Herrlichkeit erfüllte sie mit höchstem Entzücken, sie schien zu träumen.

Als sie sich ein wenig besann, gedachte sie sofort ihrer Rolle, welche sie vor so vielen unberufenen Zu schauern spielen sollte.

Sie redete zu den Sklaven mit Hochmuth, zu den Kaufleuten und Arbeitern mit frecher Dreistigkeit, sie wählte, was ihr beliebte, ordnete an, dass alles, was sie befahl, längstens für den nächsten Tag bereit sein mus, dann setzte sie sich wieder zu ihrer Toilette, verweilte lange daselbst, und indem sie die Kostbarkeiten erwartete, welche für sie bestimmt waren, bekleidete sie sich vorläufig mit einem prachtvollen Hausanzuge, welcher für eine Prinzessin von Agra gearbeitet war und den sie kaum für schön genug für sich fand. Amine brachte den größten Theil des Tages damit zu, alle ihre Schätze zu bewundern, sich zu putzen und Abdalathif zu erwarten. Gegen Abend kam er endlich. »Nun wohl, meine Kleine,« sagte er zu ihr, »wie findest Du dies Alles?«

[84] [86]Amine stürzte ihm zu Füßen und dankte ihm in ganz gemeinen Worten für Alles, was er für sie gethan.

Ich war erstaunt, denn ich, der ich bisher stets in seiner Gesellschaft gewesen, war entsetzt von dem, was da meine Ohren berührte. Ich war daran gewöhnt Albernheiten zu hören, aber sie waren wenigstens elegant und von jener anziehenden Nichtigkeit, mit der man viel sagt und gar nichts meint.

5. Kapitel
[86] Fünftes Kapitel.

Besser zu übergehen als zu lesen.


Ehe Abdalathif sich noch in ein längeres Gespräch mit Amine einließ, zog er eine lange, mit Gold gefüllte Börse aus der [87] Tasche, welche er nachlässig auf einen Tisch warf. »Schließe dieses ein, Du wirst sehr wenig davon brauchen. Ich übernehme sämmtliche Auslagen für Deinen Haushalt und jene für Deine eigene Person. Ich habe Dir auch einen guten Koch geschickt, er ist nach dem meinigen der beste von ganz Agra, denn ich gedenke bei Dir sehr oft zu Nacht zu speisen.«

»Auch werden wir nicht immer allein hier bleiben, einige vornehme Herren, meine Freunde, mit lustigen Schöngeistern, denen ich häufig Geld leihe, was sie stets bedürfen, werden manchmal auch hierher kommen. Man wird auch Deine Gefährtinnen mitbringen, die hübschesten, selbstverständlich; da wird es viele fröhliche Mahlzeiten geben, solche, wie ich sie gerne habe.«

Hierauf geleitete sie Abdalathif in das kleine Kabinet, in welchem ich mich befand, und Amines Mutter, diese achtbare Frau, welche bei dieser Unterredung anwesend war, zog sich sofort zurück und verschloss die Thüre.

»Ich habe nicht die Absicht Euer Majestät genauen Bericht über ihre Unterhaltung zu [88] erstatten,« unterbrach sich Amanzei, »und erwöhne bloß, dass Amine sich dabei ungemein lebhaft und zärtlich bis zum höchsten Entzücken geberdete. Abdalathif war wohl darauf bedacht gewesen, ihr zuvor zu sagen, dass ihm im Gespräche enthaltsame Frauen sehr missfielen und da Amine das heißeste Verlangen hegte, ihm zu gefallen, sie aber gar keine Erziehung und bloß den eigennützigen Wunsch hatte, ihr zu gewinnen, so können Euer Majestät sich sehr leicht vorstellen, dass Abdalathif solche alberne Gespräche anhören musste, welche schwer wiederzugeben sind und übrigens nicht sehr schmeichelhaft für die Dame wären.«

»Weshalb denn?« frug der Sultan, »vielleicht würde ich diese Gespräche gerade für unterhaltend finden? lasse doch etwas davon hören?«

»Mag sein.« sagte die Sultanin, indem sie aufstand, »da ich es aber bestimmt weiß, dass mich diese Gespräche durchaus nicht unterhalten würden, so werden Sie wohl nichts dagegen haben, wenn ich hinausgehe.«

»Da haben wir's!« rief der Sultan, »die [89] reizende Unschuld, Sie glauben doch nicht, dass Sie mich damit irreführen können, lasset Euch eines Bessern belehren. Ich kenne die Frauen jetzt genau und ich er innere mich außerdem, dass ein kluger Mann, der sie ebenso gut wie ich, oder bloß ungefähr so gut kannte, mir gesagt hat, dass alle Frauen im Allgemeinen nichts mit so viel Vergnügen thäten, als das, was ihnen verboten ist, und dass sie bloß jene Gespräche am liebsten haben, welche sie nicht hören sollen. In Folge dessen, wenn Sie daher jetzt hinausgehen, so ist es nur Heuchelei und Sie haben keineswegs die Luft es zu thun.

Aber mir gleichviel, Amanzei wird mir beim Schlafengehen alles das erzählen, was Sie nicht wollen, das er jetzt sage, das wird für mich genau dasselbe Vergnügen sein, und ich glaube, dass mir dann davon gar nichts entgeht. Nicht wahr?«

Amanzei hütete sich wohl zuzustimmen, dass der Sultan recht habe, und nachdem er die Vorsicht seines Benehmens gegen die Sultanin etwas übertrieben, fuhr er folgendermaßen fort:

»Nach der Unterhaltung zwischen Abdalathif [90] [92]und Amine, welche eher lang als interessant war, trug man die Mahlzeit auf. Da ich nicht im Speisesaale aufgestellt war, so kann ich Euer Majestät nichts darüber berichten, was sie sprachen. Erst lange darauf kamen Beide zurück. Obzwar sie heute bloß zu zweien zu Nacht gespeist hatten, schien es mir doch nicht, dass sie deshalb mäßiger gewesen. Sie setzten sich und nach einigen unschönen Reden schlief Abdalathif auf den Busen der Dame ein.«

So gefällig auch Amine gegen ihre Freunde war, so nahm sie es Abdalathif dennoch übel, dass er sich gar so große Freiheiten mit ihr erlaubte. Ihre Eitelkeit war gröblich verletzt durch die wenigen Umstände, die er mit ihr machte. Sie war enttäuscht, denn das Lob, welches, er ihr über die angenehme Unterhaltung, die sie ihm geboten hatte, spendete, hatte sie ganz stolz gemacht, und ließ sie daran glauben, dass sie es wohl verdiente, er möge sich die Mühe geben, sich noch weiter mit ihr zu unterhalten.

Trotz der Aufmerksamkeit, welche sie ihrem Beschützer schuldete, ärgerte sich Amine [92] über die gezwungene und unbequeme Lage, in welcher er sie rücksichtslos zurückhielt, und sie würde gewiss bald unbesonnenerweise ihren Ärger darüber heftig geäußert haben, wenn Abdalathif nicht schwer die Augen öffnend, sie im herrischen Tone darnach gefragt hätte, wie viel Uhr es sei. Er erhob sich, ohne erst ihre Antwort abzuwarten. »Lebewohl,« sagte er zu ihr, indem er ihr eine rohe Liebkosung spendete, »ich werde es Dir sagen lassen, ob ich morgen hier zu Nacht speisen kann.« Nach diesen Worten wollte er sich entfernen. So froh auch Amine gewesen sein mag, dass sie Abdalathif's los wurde, so meinte sie dennoch, es wäre ihre Schuldigkeit ihn noch zurückzuhalten, und sie übertrieb ihre Falschheit so weit, dass sie es sogar zu stande brachte, über sein Fortgehen zu weinen; doch ihre Thränen rührten ihn wenig, er blieb unerbittlich und befreite sich gewaltsam aus ihren Armen, indem er ihr sagte, dass er es wohl wünsche, sie möge ihn lieb haben, aber dass er stets ungestört sein wolle.

Als er fortgegangen war, läutete sie rasch, ihm halblaut alle möglichen Beinamen [93] nachsendend, welche er verdiente. Während man sie entkleidete, kam ihre Mutter und erzählte ihr leise etwas. Die besondere Neuigkeit, welche sie Aminen brachte, veranlasste diese, dass sie die Sklaven zu größerer Eile antrieb; hierauf befahl sie, man möge sie allein lassen. Wenige Augenblicke später, als die Sklaven und ihre Mutter sich entfernt hatten, trat letztere abermals ein. Sie führte einen schlecht gewachsenen Neger, welcher schrecklich anzusehen war, herein, welchen Amine dennoch, kaum dass sie seiner gewahr wurde, mit zärtlicher Leidenschaft umarmte. »Amanzei,« sagte der Sultan, »könntest Du diesen Neger nicht aus Deiner Erzählung entfernen? ich glaube sie würde deshalb nicht schlechter werden.« – »Ich sehe nicht ein, was er daran verderben soll, Sire,« antwortete Amanzei. – »Ich will es Dir sofort sagen,« erwiderte der Sultan, »da Du nicht selber so viel Geist besitzest, es gleich zu begreifen. Die erste Frau meines Großvaters Schach-Biar schlief mit allen Negern ihres Palastes. Das war leider eine genug bekannte Thatsache. In Folge dessen ließ mein guter Großvater nicht allein diese, [94] [96]sondern auch alle anderen Frauen, die er hatte, erdrosseln, mit Ausnahme meiner edlen Großmutter, welche ihn auf diese üble Gewohnheit vergessen machte. Ich finde es daher wenig respektvoll, dass man nach dem, was in meiner erlauchten Familie vorging, es noch wagt, überhaupt von Negern zu sprechen, als ob ich daran gar keinen Antheil nehmen sollte. Ich gestatte Dir diesmal Deinen Neger, da er schon einmal gekommen ist, aber es soll nur kein anderer mehr vorkommen, ich ersuche Dich darum.« Nachdem Amanzei den Sultan wegen seines Leichtsinns um Verzeihung gebeten hatte, setzte er folgendermaßen fort:

»Ach! Massond,« sagte Amine zu ihrem Geliebten, »wie sehr habe ich diese Zeit gelitten, da ich zwei lange Tage leben musste ohne Dich zu sehen! wie sehr hasse ich das Ungeheuer, welches mir jetzt am Halse liegt! wie unglücklich ist man doch, wenn man sich seinem Glücke opfern muss.« Massond antwortete auf diese Zärtlichkeit genug wenig.

Er versicherte ihr zwar, dass obschon er sie mit der größten Innigkeit liebe, er doch [96] darüber gar nicht böse sein wird, wenn Abdalathif für sie die größten Aufmerksamkeiten haben möchte. Er sprach sich sogleich offen darüber aus, was man alles thun solle, das geeignet wäre ihn zu ruinieren, und indem er sich flegmatisch dem ganzen Sturme von Amines Liebkosungen hingab, fingen beide eine ganz besondere Art von Unterhaltung an, deren Ausgelassenheit, die Freude Abdalathif zu hintergehen, noch erhöhte. Noch ehe sie dieses Kabinet verließen, bezahlte sie Massond noch sehr großmüthig für die außerordentliche Liebe, welche er ihr erwiesen hatte.

Amine brachte den größten Theil der Nacht mit ihm zu und schickte ihn erst dann fort, als sie den Tag erscheinen sah, und ihre Mutter, welche ihn durch eine geheime Thüre aus ihrem Gemach, welche in das ihrer Tochter führte, hereingeleitet hatte, ließ ihn auf demselben Wege wieder hinaus.

Dann unterhielt sich Amine den ganzen Morgen damit, alle Kleider anzuprobieren, welche sie bestellt hatte, und wieder neue zu bestellen, was ihre einzige Beschäftigung bis zu der Stunde, welche bestimmt war, vor [97] dem Kaiser tanzen zu gehen, bildete. Sie wurde von dort von Abdalathif nach Hause zurückbegleitet; sie kamen in Gesellschaft einiger ihren hübschen Gefährtinnen; mehrere jungen Omrahs und dreier bekannten Schöngeister der beliebtesten von Agra. Sie übertrafen einander alle im enthusiastischen Lobe der Herrlichkeit Abdalathif's, seines auserlesenen Geschmacks, seines vornehmen Auftretens, der Zartheit seines Geistes und der Unfehlbarkeit seines hohen Verstandes. Ich war empört und konnte es nicht begreifen, dass diese Leute, welche durch ihre vornehme Geburt, oder ihre besondern Talente einen auserwählten Rang einnahmen, sich der Niedrigkeit und Falschheit ihrer lächerlichen Lobeserhebungen nicht schämten. Sie vergaßen es sogar nicht auch Amine zu bewundern und zu loben, aber es geschah bloß auf eine beleidigende Art, welche es sie wohl fühlen ließ, dass sie hier nur eine untergeordnete Person war, und dass man sie, bloß um Abdalathif zu gefallen, beachtete, man wäre auch sofort ganz familiär mit ihr gewesen, aber man hütete sich aus sehr begreiflichen Gründen. Nachdem man Abdalathif [98] genug bewundert und gelobt hatte, ließ man sich in den Salons nach Belieben, und jeder mit wem es ihm gefiel, nieder. Das Gespräch war je nachdem, wer redete, bald lebhaft, bald sehr oberflächlich und im Ganzen däuchte es mir, dass man sehr wenig Rücksicht gegen die anwesenden Damen nahm, welche bei Amine zu Nacht speisen sollten, und dass diese sich darüber durchaus nicht beleidigten.

Endlich begab man sich in den Speisesaal. Da es aber für meine Seele kein Versteck in den Raume, wo man speiste, gab, so konnte ich die Unterhaltung, welche man bei der Tafel führte, selbstverständlich nicht hören, aber nach jenen Gesprächen zu schließen, welche dem Nachtmahl vorgingen, und nach jenen, welche ihm folgten, hatte man nicht viel zu bedauern, außer Hörweite gewesen zu sein.

Abdalathif, vom Weine vollgetrunken und berauscht von dem überschwänglichen Lobe und der begeisterten Anerkennung der vorzüglichen Eingeschaften, die man an seinem Koche entdeckt hatte, und die man ihm von allen Seiten stürmisch ausdrückte, versäumte [99] es nicht alsbald einzuschlafen. Ein junger Mann aus der Gesellschaft, welcher ein lebhaftes Interesse daran hatte, dass Abdalathif Aminen so bald als möglich frei ließ, um selbst über sie verfügen zu können, wagte es ihn aufzuwecken, um ihm eifrig vorzustellen, dass ein so seltener Mann wie Abdalathif, der so belastet von den dringendsten Staatsgeschäften, und so wichtig für das Reich und den Staat wie er ist, sich zwar manchmal ein Vergnügen erlauben kann, um sich von seinen schweren Sorgen zu zerstreuen, aber sich den Unterhaltungen niemals vollkommen hingeben darf.

Er bewies in schwungvoller Rede so klar, wie sehr Abdalathif dem Fürsten und dem Volke theuer war, er überzeugte alle davon, dass er es ja nicht aufschieben dürfe, sich sofort schlafen legen zu gehen, da sonst dem Staate die große Gefahr drohen könnte, eine seiner festesten Stützen zu verlieren.

Abdalathif ging fort und alle Gäste mit ihm. Einige bedeutungsvollen Blicke, welche zwischen Amine und dem redegewandten jungen Manne, der es so gut verstanden hatte, Abdalathif zu überreden, gewechselt [100] wurden und die ich erhaschte, ließen mich sofort vermuthen, dass ich ihn sehr bald wiedersehen werde.

Amine setzte sich hierauf nachlässig zu ihrer Toilette und befreite sich von allem jenen kostbaren Plunder, welcher eher hinderlich bei gewissen Vergnügungen ist und bloß als Schaustellung der Eigenliebe schmeichelt. Sie befahl ihren Sklaven sie allein zu lassen. Amines schätzenswerte Mutter war wahrscheinlich von der lebhaften Schilderung der Liebespein des jungen Mannes gewonnen worden (denn ich konnte es kaum glauben, dass eine so edle Seele wie sie dem Eigennutze zugänglich war), führte ihn diskret in das Zimmer ihrer Tochter, und zog sich erst dann zurück, nachdem sie dem jungen Manne das Wort abgenommen hatte, ihrer Tochter keine solchen Anträge zu machen, welche das Zartgefühl und die Keuschheit eines so klugen, bescheidenen und sittsamen Mädchens verletzen könnten.

Amine empfing den jungen Mann sehr hochmüthig.

»In der That!« sagte sie zu ihm, »ich muss Ihnen dennoch recht geneigt sein, um [101] mich zu diesem gewagten Schritte zu entschließen. Denn ich hintergehe damit doch einen achtbaren Mann, den ich zwar in Wahrheit nicht liebe, welchem ich aber dennoch treu sein sollte. Ich hatte Unrecht, ich [102] fühle es wohl, aber die Liebe ist eine Tyrannin, und das, was sie mich heute zu thun zwingt, ist ganz gegen meinen sonstigen Karakter.« »Ich bin Ihnen für dieses Opfer unendlich dankbar,« antwortete der junge Mann, indem er sie umarmen wollte. – »Oh! deshalb will Ich ihnen dieses nicht gestatten,« erwiderte sie ihn zurückstoßend. – »Vertrauen, Mitgefühl habe ich Ihnen versprochen und das Vergnügen Sie zu sehen kann ich aussprechen, aber wenn ich weiter ginge, so würde ich mein Wort brechen und meine Pflicht verletzen.« – »Aber mein schönes Kind, bist Du denn närrisch geworden? Welche Art von Sprache führst Du da mit mir? Ich glaube es Dir, dass Du alle zarten und schönen Gefühle in der Welt besitzest, wahrhaftig, aber sage, wozu willst Du, dass sie uns dienen sollen? Bin ich deshalb zu Dir gekommen?« – »Sie haben sich in mir geirrt,« antwortete sie, »wenn Sie andere Dinge von mir erwartet haben. – Obzwar ich Herrn Abdalathif nicht liebe, habe ich doch das Versprechen gegeben, ihm treu zu sein, und nichts in der Welt wird mich dazu bestimmen, mein Wort nicht zu halten.«

[103] »Ah! kleine Königin,« erwiderte spöttisch der junge Mann, »ich habe dagegen nichts einzuwenden, dass Du einen Schwur gethan, das ist sehr schön von Dir und wegen der großen Seltenheit dieser Handlung erlaube ich Dir demselben treu zu bleiben. Aber sage mir doch, hast Du viele derartigen Schwüre in Deinem Leben geleistet?« – »Spotten Sie nicht,« sagte Amine, »ich bin jetzt sehr gewissenhaft.«

»Oh, erschrecke mich nicht mit Deinem Ernst,« antwortete er. »Ihr gewissen, wenn auch noch so wenig bekannten Mädchen, bewaffnet Euch immer mit aller möglichen Gewissenhaftigkeit, und Ihr habet deren in der Regel weit mehr, als die tugendhaftesten Frauen. Aber was Deinen heiligen Schwur betrifft, so hättest Du sehr wohl daran gethan, mich zuvor davon zu verständigen, damit ich der Mühe enthoben wäre, Deine Treue zu bewundern und meine Nacht hier umsonst zuzubringen.«

»Das ist wahr,« antwortete sie im verlegenen Tone »aber Sie haben mir so glänzende Anträge gemacht, welche mich anfangs verblendeten, das gestehe ich.«

[104] »Aber?« frug er sie, »hat denn Dein Bedenken sie Dir verdorben? Da,« fuhr er, eine Börse herausziehend, fort »hier ist, was ich versprochen, ich bin ein Mann von Wort; es ist genug darin, um Dich von Deiner allzugroßen Gewissenhaftigkeit zu heilen und Dich über die kühnsten Wünsche zu erheben, welche Du hegen konntest.«

»Das muss man gestehen, Ihr seid ein lustiger Spassvogel!« antwortete sie, rasch die Börse ergreifend; »indes Ihr kennt mich wenig und beurtheilt mich schlecht. Ich schwöre es Ihnen, dass ohne der Neigung, die ich für Sie fühle, Sie ... für keinen Preis Ihre Wünsche erreichen würden ...« »Enden wir diesen Streit; um Dir zu beweisen, wie großmüthig ich bin, entbinde ich Dich des Dankes und selbst jener übermäßigen Neigung, welche Du für mich hegest! auch hat mir Deine Neigung bei dem Handel, den wir zusammen abgeschlossen haben, gar nichts genützt. Ich zahle Dich ja doch so theuer, als ob ich der Erste bei Dir wäre, und Du weißt es wohl sehr genau, dass dies nicht der Gebrauch ist.« »Es scheint mir aber, wenn ich Ihretwegen einen treulosen [105] Verrath begehe und ...« »Wenn ich Dich im Verhältnisse zudem bezahlen würde, was Dich Deine Treulosigkeit kostet, so müsste ich Dich umsonst haben. Aber endigen wir endlich mit diesen Auseinandersetzungen, denn wenn Du auch so viel Geist, als es nur möglich zu haben ist, besitzen würdest, so langweilt mich dieses Gespräch doch unsäglich.«

Welche Ungeduld er auch verrieth, so konnte er es dennoch nicht verhindern, dass Amine, welche in dieser Beziehung die Klugheit selber war, das Geld, welches er ihr zuvor gegeben, nicht noch in seiner Gegenwart gezählt hätte. Es war nicht deshalb, weil sie ihm misstraute, sagte sie, aber er könnte sich selbst geirrt haben; und schließlich gab sie sich erst dann seinem Verlangen hin, bis sie sich genau davon überzeugt hatte.

Als es bereits zu tagen begann, kam Amines sorgsame Mutter wieder und sagte zu dem jungen Manne, dass es bereits an der Zeit für ihn sei, sich zurückzuziehen. Er selbst war zwar nicht ganz dieser Ansicht und obzwar Amine ihn bat, ihren Ruf zu [106] schonen, so würde dieses Bedenken ihn in seinem Vorsatz nicht wankend gemacht haben und er würde trotz ihrer Bitten dennoch geblieben sein. Er entfernte sich erst, nachdem ihm Amine feierlich gesprochen hätte, ihm in Zukunft so viele Nächte der Liebe zu gewähren, als sie Abdalathif zu entziehen im Stande war.

Außer Abdalathif, Massond und jenem jungen Mann, dem sie manchmal Wort hielt, empfing Amine, die den Vortheil der guten Rathschläge ihrer schätzbaren Mutter wohl begriff, ohne Unterschied alle jene Männer, die sie für schön genug fanden, um sie zu begehren, selbstverständlich nur dann, wenn sie reich genug dazu waren, dass sie sich herabließ, ihre Seufzer zu erhören. Bonzen, Braminen, Imans, Militairs, Budis, kurz Männer aller Nationalitäten, jeden Schlages, jedes Alters, niemand wurde abgewiesen. Es ist wahr, Amine hatte ihre besondern Launen und deshalb kostete es für Fremde, hauptsächlich für jene, welche sie für Ungläubige hielt, mehr als für ihre Landsleute, Glaubensgenossen. Nur für eine sehr hohe Geldsumme vermochte sie es dann ihren [107] Widerwillen zu besiegen und nachdem sie sich den Ungläubigen hingegeben, über ihre Gewissensbisse zu triumfieren.

Sie hatte hierin ganz eigenthümliche Anordnungen getroffen. So gebe es zum Beispiel gewisse Kulte, gegen die sie viel mehr Abscheu hatte, als gegen andere, und ich erinnere mich daran, dass es für einen Anhänger Zoroasters weit mehr, als es in demselben Falle einen Mahomedaner kostete.

Es sei dem, dass Abdalathif zu sehr von seinen eigenen Verdiensten gegen Amine überzeugt war, oder dass er lächerlicherweise ihren Schwüren vertraute, niemanden als ihm allein anzugehören; denn er fühlte sich lange genug ihrer Liebe vollkommen sicher und ohne eines unvorhergesehenen Ereignisses, welches zwar nicht ohne Beispiel war, würde er vielleicht für immer in diesem Vertrauen verharrt haben.

»Ich verstehe sehr wohl,« bemerkte darauf der Sultan »jemand hatte es ihm gesagt, dass sie ihm untreu war.«

»Nein, Sire,« antwortete Amanzei.

»Ah! so,« erwiderte der Sultan, »jetzt begreife ich, dass es eine ganz andere Sache [108] war, so etwas erräth sich sehr leicht; er selbst hat sie überrascht.«

»Durchaus nicht, Sire,« erwiderte Amanzei, »er würde sehr froh gewesen sein, sie so wohlfeilen Kaufs los zu werden.«

»Dann weiß ich wahrhaftig nicht, was es gewesen ist,« sagte Schach Baham. »Im Grunde ist das nicht meine Sache, und ich habe es nicht nöthig, mir den Kopf zu zerbrechen, um etwas zu errathen, was mich nicht interessiert.«

6. Kapitel
[109] [111]Sechstes Kapitel.

Nicht mehr außergewöhnlich, als unterhaltend.


»Der verhängnisvolle Augenblick, wo alle Diamanten und Reichthümer, die sie besaß, verschwinden sollten, war für Amine gekommen. Als einzige Trost war ihr wenigstens die Erinnerung an einen schönen Traum geblieben, der für Abdalathif, vorausgesetzt, dass er auch geträumt hätte, gewiss kein so angenehmer, wie für sie war.

Seit mehreren Tagen hatte ich die Bemerkung gemacht, dass Amine trauriger als gewöhnlich war, nachts war ihr Haus geschlossen und tagsüber sah sie bloß Abdalathif. Man hatte ihr viele Briefe geschrieben und alle waren kränkend für sie. Ich [111] erschöpfte mich in tausend Vermuthungen, um zu errathen, was ihr fehlte, und da ich nichts erforschen konnte, war ich genug albern zu glauben, dass Reue die alleinige Ursache ihres Kummers war.

Obzwar die Kenntnis ihres schlechten Karakters mir diese Vermuthung hatte untersagen sollen, so ließ sie bloß die Schwierigkeit, ihre Ursache zu erforschen, bei mir entstehen.

Eines Morgens saß Amine nachdenklich finster und verlegen bei ihrem Putztisch. Abdalathilf trat ein. Sie erröthete bei seinem Anblick, denn sie war nicht daran gewöhnt, ihn des Morgens bei sich zu sehen, und dieser unerwartete Besuch missfiel ihr sehr. Verwirrt und furchtsam, wagte sie es kaum, ihre Blicke zu ihm aufzuschlagen. Nach der verdrießlichen finstern Miene Abdalathifs, nach den drohenden Blicken, welche er von Zeit zu Zeit auf sie heftete, war es nicht schwer zu errathen, dass er von bösen Gedanken erfüllt war, zu welchen sie vermuthlich die Veranlassung gegeben hatte. Amine ahnte es ohne Zweifel, denn sie hatte nicht den Muth, ihn nach der Ursache seines [112] Zornes zu fragen. Einige Augenblicke verharrte er in unheimlichem Stillschweigen.«

»Sie sind hübsch,« sagte er endlich mit spöttischer Wuth, »Sie sind schön! Ja, und sehr treu! Oh! wahrhaftig, meine Holde. Man könnte Sie es wohl noch lehren, vernünftig zu sein, und sie an einen Ort bringen, wo sie gezwungen wären, es zu sein, wenigstens für einige Zeit.«

»Welche Sprache führen Sie da, mein Herr?« antwortete ihm Amine mit hochmüthiger Miene, »ist es denn erlaubt, eine Dame, wie ich bin, so rauh anzureden? Erwägen Sie ein wenig Ihrer Worte, ich bitte Sie.«

Amines Trotz in der gegenwärtigen Lage schien Abdalathif so befremdend, dass er ihn augenblicklich beirrte; aber schließlich packte ihn wieder die Wuth und er überhäufte sie mit allem Schimpf und aller Verachtung, die er ihr zu schulden glaubte; Amine wollte sich rechtfertigen, aber Abdalathif, der ohne Zweifel über alles das, wessen man sie anklagte, gute Zeugen hatte, befahl ihr hart, zu schweigen. Amine gestand es in diesem Augenblicke, dass Abdalathif das Recht hatte, [113] sich zu beklagen; aber es schien ihr so unmöglich, dass es über sie wäre, dass sie es kaum fasste. Sie glaubte auch ihrerseits berechtigt zu sein, ihn mit Vorwürfen wegen seiner Treulosigkeit zu überhäufen, ja sogar einige Einwendungen über die schlechten Wahlen, die er getroffen, zu machen; alle diese Dinge sagte sie ihm bloß, fügte sie hinzu, aus dem innigsten Antheil, den sie an allem, was ihn betraf, zu nehmen wagte.

Eine so beharrliche Unklugheit machte Abdalathif endlich so ungeduldig, dass er nahe daran war, sich vollkommen zu vergessen.

Als Amine es bemerkte, dass er sich weder von ihren Vorwürfen, noch von ihrem Trotze zum Besten halten ließ, fürchtete sie bei dem maßlosen Zorne, in welchem sie ihn sah, dass diese Scene für sie höchst tragisch werden könnte, sie versuchte es daher, noch ihre Zuflucht zu bittern Thränen und ruhiger Ergebung zu nehmen.

Es war umsonst: nichts beruhigte Abdalathif mehr; ich weiß es nicht, was ihn so erregte, aber niemals habe ich einen Mann [114] so aufgebracht wie ihn gesehen. Von Zeit zu Zeit befielen ihn derartige Wuthanfälle, in denen er ohne Zweifel alles, was ihm in den Weg kam, zertrümmert hätte, wenn das Haus und alles, was darin war, nicht zufällig sein Eigenthum gewesen wäre. Diese kluge Überlegung hielt ihn auch von einem unanständigen Lärm zurück, der ihm vielleicht[115] das Herz erleichtert hätte. Die Gewalt, womit er sich bezwang, sein Toben zu unterdrücken, steigerte seinen Zorn gegen Amine noch mehr. In die größte Wuth versetzte ihn der Gedanke, dass man es gewagt hatte, auf eine so freche Weise den Respekt, den man ihm schuldete, außer Acht zu lassen und dass dies einem so vornehmen Manne, wie er war, geschehen konnte, war ihm unbegreiflich.

Nachdem er Aminen alle Grobheiten, die ihm seine Wuth und seine verletzte Aufgeblasenheit eingab, nach und nach hergesagt hatte, bemächtigte er sich vor Allem sämmtlichen Gegenständen, die er Aminen gegeben hatte. Sie erwartete, dass sie hiemit abgefertigt werden sollte, und tröstete sich damit, dass von Zeit zu Zeit ihre Augen verlangend auf die kostbaren Dinge und Diamanten heftete, welche, wie sie glaubte, ihr bleiben würden; als sie aber sah, dass der unbarmherzige Abdalathif sich anschickte, alles zurückzunehmen, stieß sie ein lautes, schmerzliches und jammervolles Wehklagen aus.

Hierauf kam ihre Mutter hereingestürzt, warf sich unzähligemale zu Abdalathifs [116] Füßen und hoffte ihn damit zu beruhigen, indem sie ihm versicherte, dass es bloß ein verdammter Bonze war, der an Allem, was geschehen ist, die Schuld trug.

Weit entfernt davon, dass die alberne Geschichte, welche man von dem Bonzen erzählte, Abdalathif zu besänftigen vermochte, schien es eher, dass sie ihn noch mehr dazu bestimmte, alle mögliche Strenge gegen Amine anzuwenden.

»Wohlan!« sagte Amines Mutter betrübt, »wir sind recht hart dafür bestraft, dass wir uns so sorglos einem Treulosen anvertraut haben. Meine Tochter weiß es wohl, wie ich darüber dachte, und sie erinnert sich auch, dass ich es ihr stets gesagt habe, dass ihr diese Verbindung bloß Unglück bringen wird.«

Während dieser Klagereden ließ sich Abdalathif, ruhig eine Liste von allen Gegenständen, die er Amine gegeben, in der Hand haltend, alles der Reihe nach zurückzugeben. Als dies geschehen war, sagte er zu ihr: »Was das Geld, welches ich Euch gegeben habe, betrifft, so schenke ich es Dir; es ist nicht meine Schuld, kleine Königin, dass Du [117] nicht glücklicher gewesen bist; diese Demüthigungen werden Dich in Zukunft vorsichtiger machen, ich wünsche es aufrichtig; gehe, ich brauche Dich nicht mehr. Danke dem Himmel, dass ich meinen Zorn nicht weitertrage.«.

Nach diesen letzten Worten befahl er seinen Sklaven, die beiden Frauen hinauszuführen, wobei er ebenso kalt und theilnahmslos bei den abscheulichsten Schimpfworten der Mutter blieb, als er es bei den schmerzlichsten Thränen, die er Amine vergießen sah, gewesen. Trotz meines Abscheues, den mir ihre schlechte Sitten einflößten, ließ mich die Neugier doch den Entschluss fassen, Amine in ihren finstern Versteck, aus welchem sie Abdalathif hervorgezogen hatte, zu folgen, um zu erfahren, welchen Nutzen sie aus ihren Demüthigungen ziehen würde, und wohin sie sich grollend zurückzog, um ihre Niederlage, ihren Kummer, dass es nicht gelungen war, Abdalathif zu ruinieren, zu verbergen.

In diesem traurigen Orte war es nun auch, wo ich Zeuge ihrer Reue und der schrecklichen Verwünschungen ihrer lügenstrengen Mutter war.

[118] Schließlich trösteten sie die Trümmer ihres Vermögens, welche noch ziemlich beträchtlich waren, über den Verlust, den sie erlitten hatten.

[119] »Nun wohl! meine Tochter,« sagte eines Tages die Mutter Amines, »ist es denn ein gar so großes Unglück, das Dir widerfahren ist? Ich gestehe, dass das Ungeheuer, welches Du hattest, die Freigiebigkeit selber war, aber ist er denn der einzige, dem Du gefallen kannst? Außerdem, wenn Du auch nicht einen so reichen finden würdest, glaubtest Du deshalb unglücklicher zu sein? Nein, meine Tochter, denn wo die Qualität mangelt, muss man sich durch die Quantität zu entschädigen suchen. Wenn vier Männer nicht hinreichen, um den einen an Reichthum zu ersetzen, so nehme deren zehne, ja noch mehr, wenn es nöthig ist. Du wirst vielleicht einwenden, dass dies dem Zufalle unterliegt, das ist wohl wahr, aber, wenn man sich unterschätzt und alles fürchtet, so bleibt man im Unglück und der Verborgenheit.

Welche Lust Amine auch verspürte, die weisen Rathschläge ihrer Mutter sofort zu ihren Gunsten auszunützen, so erlaubte es ihr die Liederlichkeit, in der sie früher gelebt hatte, durchaus nicht, sich sobald sie es gewünscht hätte, darnach zu richten.

Ihr bekanntes Abenteuer mit Abdalathif [120] bereitete ihr in Agra den schlechten Ruf einer in Geschäftssachen unverlässlichen Person, so dass ich in letzter Zeit außer dem getreuen Massond, dessen Zärtlichkeit jede Probe aushielt, bei ihr bloß einige ihrer Kolleginnen sah, welche sie aber ohne Zweifel eher deshalb besuchten, um sich über ihr Unglück zu freuen, als um sie über ihren Verlust zu trösten.

Die Zeit, welche Alles ausgleicht, ließ endlich die Gesellschaft von Agra auch die schlechte Meinung, welche man von Amine hatte, vergessen. Man hielt sie für gebessert, man dachte, dass die Zeit, die man ihr zur Überlegung gelassen, sie von dem Hange, treulos zu sein, geheilt hatte. Die Liebhaber kehrten zurück. Ein persischer Edelmann, welcher derzeit nach Agra gekommen war, und der nur unbestimmte Anekdoten dieser Stadt kannte, sah Amine, fand sie hübsch und kaprizierte sich umsomehr auf sie; da einer jener gefälligen Männer, die sich mit der noblen Sorge beschäftigen, Andern seine Vergnügungen zu verschaffen, ihn versicherte, dass, wenn er das Glück haben würde, Amine zu gefallen, er ihm sehr dankbar[121] dafür sein müsse, weil es gewiss die erste Schwäche wäre, welche sie sich vorzuwerfen hatte.

Jeder andere Mann würde diese Behauptung für lächerlich gehalten haben, der gute Perser fand sie bloß für außergewöhnlich. Die Neuheit reizte ihn, und im Vertrauen auf den unfehlbaren Zeugen von Amines Tugend, kaufte er zu dem höchsten Preise die Gunstbeweise, welche man in Agra am niedrigsten anschlug, und die noch lange nicht so verachtet wurden, als sie es hätten sein sollen.

Das traurige Haus, welches Amine bewohnte, wurde noch einmal für einen prächtigen Palast, in dem alle Pracht Indiens herrschte, verlassen.

Ich weiß es nicht mehr, ob Amine klug ihr neues Glück genoss, denn meine Seele war ermüdet und angewidert, die ihrige zu studieren, sie ging hinweg, um andere Gegenstände zu suchen, die würdiger waren, sich mit ihnen zu beschäftigen, obzwar im Grunde ebenso verächtlich, doch anständiger, die sie weniger aufregten und mehr unterhielten.

[122] Ich flog daher in ein anderes Haus, das ich sofort nach dem auserlesenen Geschmack, der darin von allen Seiten herrschte, als eines jener, in welchen ich mich sehr gerne aufhielt, erkannte, nämlich ein Haus nach meinem Geschmack, worin man immer Vergnügungen und Höflichkeit findet, wo selbst das Laster unter dem Anscheine der Liebe verborgen, verschönert durch alle Zärtlichkeit und alle mögliche Feinheit sich dem Auge nur in der verführerischesten Gestalt darbietet.

Die Herrin dieses Palastes war reizend, und nach der Zärtlichkeit, die aus ihren schönen Augen strahlte, ebensowohl als nach ihrer seltenen Schönheit, schloss ich gleich, dass meine Seele bei ihr gewiss Vergnügen finden werde. Eine geraume Zeit verweilte ich indes schon in dem Sopha, ohne dass die Schöne es auch nur der Mühe wert fand, sich darauf zu setzen. Und dennoch liebte sie und wurde wieder zärtlich geliebt. Bestürmt von ihren Geliebten und gedrängt von ihren eigenen Gefühlen, hatte es daher den Anschein, dass ich ihr nicht immer so gleichgiltig bleiben sollte, als es ihr jetziges [123] [125]Betragen zu versprechen schien. Gerade, als meine Seele zu ihr kam hatte ihr Liebhaber bereits die Erlaubnis, ihr von seiner Liebe sprechen zu dürfen, erhalten, aber, obzwar er sehr liebenswürdig, leidenschaftlich und etwas ungestüm war und selbst schon von ihrer Neigung überzeugt, war er doch noch weit entfernt, davon zu siegen.

Phenime (so hieß sie nämlich) entsagte nur nach langem Kampfe ihrer Tugend, und Zulma zu ehrerbietig, um zu kühn zu sein, wartete mit Geduld von der Zukunft und von dem Antheile, den sie an ihm nahm, ebensoviel Liebe von ihr, als er für sie fühlte. Da ich besser unterrichtet von der Meinung Phenimes als er war, so begriff ich es nicht, dass er sein Glück so wenig kannte.

Mit Worten hatte ihm Phenime zwar nicht gesagt, dass sie ihn liebe, aber ihre Augen sagten es ihm immer. Selbst wenn sie mit Zulma ganz gleichgiltige Dinge sprach, nahm ihre Stimme eine gewisse Innigkeit an, ihre Rede wurde immer lebhafter und ausdrucksvoller. Je mehr sie sich ihm gegenüber zur Zurückhaltung zwang, umsomehr verräth sie [125] ihm ihre Liebe. Nichts an ihrem Geliebten erschien ihr gleichgiltig, sie fürchtete Alles, und selbst jene Leute, die sie am wenigsten liebte, behandelte sie scheinbar besser als ihn. Manchmal befahl sie ihm rauh, still zu schweigen, aber in demselben Augenblicke vergaß sie sich auch schon und führte ihr Gespräch, welches sie beenden wollte, im zärtlichen Tone fort. Jedesmal, wenn es ihm gelang sie allein zu finden, gab sie ihm, ohne es selbst zu ahnen, tausend Gelegenheiten dazu, ihr seine Liebe zu beweisen und es erfasste sie dann stets die zärtlichste und beredteste Erregung. Wagte es dann Zulma, während eines langen und belebten Gespräches ihr feurig die Hand zu küssen, oder vor ihr niederzuknien, erschrak Phenime stets, aber sie zürnte nicht und sie beklagte sich bloß in unendlich zärtlichem Tone über sein Wagnis.«

»Und dennoch,« unterbrach der Sultan, »setzte er mit seinen Liebeswerbungen nicht fort?«

»Nein, wahrhaftig nicht, Sire,« antwortete Amanzei. »Je verliebter er war, umso dümmer benahm er sich,« sagte der Sultan, [126] »das merke ich wohl. Die Liebe ist niemals scheuer, als wenn es daran kommt ...«

»Ja scheu, das ist eine saubere Erzählung. War er denn wirklich so dumm, es nicht zu sehen, dass er die Darme ungeduldig machte? Wäre ich an der Stelle dieser Frau gewesen, ich hätte ihn gewiss für immer fortgeschickt, ich, so wahr ich rede.«

»Es ist außer Zweifel,« antwortete Amanzei »dass mit einer Kokette Zulma nicht verloren gewesen wäre; da al er Phenime es aufrichtig wünschte, nicht besiegt zu sein, so wusste sie ihres Geliebten zarte Bescheidenheit sehr hoch anzurechnen. Überdies, je mehr er die Bedenken Phenimes achtete, desto mehr versicherte er sich den Sieg. Ein süßer Augenblick, der von der Laune der Liebe gespendet ist, kehrt, wenn er nicht erhascht wird, vielleicht niemals wieder, aber wenn es wahre Liebe ist, die ihm gewährt, so scheint es mir, dass, je weniger man ihn zu erhaschen strebt, es destomehr drängt, den süßen Augenblick wieder zu gewähren.« »Ich habe aber sagen gehört, dass die Frauen es durchaus nicht lieben, wenn man sie nicht erräth,« erwiederte Schach Baham.

[127] »Das mag wohl manchmal der Fall sein,« antwortete Amanzei, »aber Phenime dacht hierin ganz anders und liebte Zulma niemals so innig, als wenn er sich noch achtungsvoller, als sie es im Stillen gewünscht hatte, gegen sie benahm.«

»Und,« fragte der Sultan, »noch geschah es denn häufig, dass er sich darin irrte?«

»Ja, Sire, und manchmal sogar so gröblich, dass er damit fast lächerlich war. Eines Tages zum Beispiel kam er zu Phenime; es dauerte bereits eine Stunde, dass sie sich von ihrer Zärtlichkeit beherrscht, sich bloß mit ihm beschäftigte; sie begann ihn bereits lebhaft zu begehren, und ihre Fantasie war auf das Höchste erglüht, sie ergab sich wollüstig ihrer Verwirrung, welche den Höhepunkt erreicht hatte, als Zulma vor ihren Augen erschien. Ihre Erregung steigerte sich und sie erröthete lebhaft, als sie ihn sah! Ach! wenn er es nur begriffen hatte, was damals Phenime erröthend machte! wenn er es auch nur gewagt hätte, sie an sich zu drücken, aber er glaubte, dass sie ihn noch wegen einigen sehr unschuldigen Freiheiten, die er sich Tags vorher zu nehmen [128] erlaubt hatte, zürne. Er benützte die Zeit, zu welcher sie sich über nichts beleidigt haben würde, bloß dazu, um sie um Verzeihung zu bitten.«

»Ah, der Tölpel!« rief der Sultan, »es ist unglaublich, dass man so dumm sein kann!«

»Wundern Sie sich nicht darüber, Sire,« erwiderte Amanzei; »die ganze Zeit lang, als ich Sopha war, habe ich Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie man vielmehr günstige Augenblicke versäumt hatte, als ich deren kühn benutzen sah. Da die Frauen daran gewöhnt sind, uns stets zu verbergen, was sie denken, so verwenden sie auch ihre größte Aufmerksamkeit darauf, uns gerne Regungen zu verhehlen, die sie zur Zärtlichkeit hinreißen und allein eine solche Frau kann sich vielleicht dessen rühmen, niemals unterlegen zu sein, die diesen Vortheil weniger ihrer Tugend, als vielmehr der öffentlichen Meinung, die sie sich zu geben verstanden hat, verdankt.

Ich erinnere mich genau daran, dass ich bei einer wegen ihrer seltenen Tugend berühmten Frau war und längere Zeit bei [129] ihr zubrachte, ohne etwas gesehen zu haben, was der Meinung, welche man von ihr hatte, widersprochen haben würde. Sie war nicht schön, und man muss es auch zugeben, dass es keine Frauen in der Welt gibt, denen es leichter wäre, tugendhaft zu bleiben, als die hässlichen, oder jene, denen es an Anmuth fehlt.

Die Frau besaß neben ihrer Hässlichkeit einen harten und strengen Karakter, der ebenso abstoßend war wie ihr Äußeres und der ebenso abschreckte, als ihr Gesicht. Obzwar es bisher Niemand gewagt hatte, sie gefühlvoll zu stimmen, so glaubte man ebenso wenig daran, dass es möglich war, dass sie der Liebe fähig sei. Durch ich weiß nicht welchen Zufall wagte es ein vornehmer Mann, der kühner und launenhafter als die Andere war, oder an die Tugend der Frauen im Allgemeinen nicht glaubte, eines Tages, als er sich allein mit ihr befand, ihr gleich zu gestehen, dass er sie sehr liebenswürdig finde. Obzwar er es ihr in so kühlem Tone sagte, dass es ihm Niemand geglaubt hätte, machte eine für sie so neue Sprache einen überwältigenden Eindruck auf sie. Sie antwortete [130] bescheiden, aber mit tiefer Erregung, dass sie dazu nicht geschaffen sei, ähnliche Gefühle zu erwecken; er küsste ihr zärtlich die Hand, sie erbebte leise, ihre verlegene[131] Miene, ihr Erröthen, das Feuer, welches plötzlich ihre Augen belebte, waren sichere Bürgen der Unruhe, die ihre Seele erfüllte. Er wiederholte ihr stürmisch, sie mit Feuer umarmend, dass sie auf ihn den tiefsten Eindruck gemacht hatte. Ich weiß nicht, wie er es anstellte, dass er, während sie mehr darüber staunte, ihr bewies, wie sehr er die Wahrheit sprach, aber gewiss war, dass die Bescheidenheit, mit welcher sie sich gewappnet hatte, der Gewissheit seiner Neigung wich. Welcher Art auch die Probe war, auf welche er sie stellte, indem er sie von seiner Liebe überzeugte, sie endete damit, dieselbe zu überschätzen. Es war wohl möglich, dass für sie so neue Dinge sie blendeten, oder dass sie sich von der Last ihrer starren Tugend ermüdet fühlte, denn sie erinnerte sich kaum daran, dass es ihr der Anstand gebot, zuwiderstehen, und sie ergab sich viel schneller als selbst jene Frauen, die es gewöhnt sind, sich am wenigsten zu sträuben.

Dieses, und unzählige andere Beispiele überzeugten mich davon, dass es sehr wenige so tugendhafte Frauen gibt, die man ohne Erfolg angreifen kann, und dass alle jenen [132] Frauen, welche am wenigsten an die Liebe gewöhnt sind, immer am leichtesten zu besiegen sind; aber ich kehre jetzt zu den beiden Liebenden zurück, deren Geschichte ich Euer Majestät soeben erzählte.

7. Kapitel
[133] Siebentes Kapitel.

Worin man vieles zu tadeln findet.


Eines Abends, als Zulma Phenime verließ, fragte er, wann er sie wiedersehen dürfe; obzwar sie seine Gegenwart sehr fürchtete, konnte sie ihn dennoch nicht entbehren; nachdem sie eine Weile geträumt hatte, erwiderte sie ihm verschämt, dass er sie den nächsten Tag besuchen könnte. Da Phenime jedoch die [134] große Gefahr fühlte, welche für sie darin lag, allein mit ihm zu sein, so dachte sie anfangs daran, zu derselben Zeit auch andere Besuche zu empfangen, und dennoch sagte sie am Tage der Zusammenkunft mit Zulma zu ihrer Sklavin, dass sie für Niemand zu sprechen sei, außer für ihn. Es schien ihr, dass wenn er Jemanden bei ihr fände, er weniger die Freiheit hätte, von seiner Liebe mit ihr zu sprechen, sie fürchtete jedoch, dass er sich bemühen würde, durch tausend zärtliche Kleinigkeiten ihr zu beweisen, dass er unaufhörlich von leidenschaftlicher Liebe zu ihr eingenommen sei, und man ist so hellsehend in der Welt! Sie begriff Zulma nur zu gut Er war für sie weniger gefährlich, dachte sie, wenn sie mit ihm allein war, da er dann erfurchtsvoll zu sein musste, vor Zeugen aber war er nicht genug klug; deshalb durfte sie ihn niemals in Gesellschaft sehen, oder so wenig als möglich. Übrigens war er so traurig, wenn er mit ihr nicht reden konnte. Lag nicht zu viel Grausamkeit darin, ihn eines Vergnügens zu berauben, welches ihm zu gewähren sie bis jetzt so wenig gefährlich zu finden glaubte.

[135] Alle diese Gründe entschieden Phenime, so glaubte sie wenigstens. An diesem Tage schien sie ungemein versucht sein Glück zu machen; sie hatte sich alles das gesagt, was ein Weib sich sagen kann, welches sich selbst besiegen will, indem es seine Liebe zu bekämpfen strebt; sie hatte sich Zulma's Beständigkeit und zärtliche Sorgfalt vorgestellt, diesen immer so glühenden Wunsch, ihr zu gefallen. Zulma war übrigens jung, geistreich, von schöner Gestalt, alles Dinge, welchen sie nicht zu großen Wert beizulegen glaubte, aber diese waren es nichtsdestoweniger, die sie am meisten anzogen.«

»Was zum Teufel hielt sie also noch zurück?« fragte der Sultan.

»Dieses Weib erschöpft meine Geduld.«

»Acht Jahre der Tugend,« antwortete Amanzei, »nach acht Jahren sollte eine einzige Schwäche ihren ganzen Verdienst rauben.«

»In der That,« rief der Sultan »das nenne ich mir auch einen Verlust.«

»Er ist für eine denkende Frau beträchtlicher, als Euer Majestät es glaubt,« antwortete Amanzei.

[136] »Die Tugend ist stets von einem tiefen Frieden begleitet, sie unterhält nicht, aber sie befriedigt. Ein glückliches Weib, das sie besitzt, kann sich nie anders als mit Wohlgefallen betrachten. Die Achtung, welche sie für sich hat, wird immer durch diejenige der Andern gerechtfertigt, und die Vergnügungen, welche sie opfert, wägen nicht die auf, welche das Opfer ihr verschafft.«

»Sagen Sie mir einmal,« sagte der Sultan »glauben Sie, dass wenn ich ein Weib gewesen, ich auch tugendhaft geblieben wäre?«

»In Wahrheit, Sir,« antwortete Amanzei, verblüfft über die Frage, »ich weiß es nicht.«

»Warum wissen Sie es nicht?« fragte der Sultan.

»Ist es aber glaubwürdig, dass man solche Fragen stelle?« sagte die Sultanin.

»Ich habe nicht Sie gefragt,« erwiderte er »ich will nur, dass Amanzei mir sage, ob ich tugendhaft gewesen wäre.«

»Sir, ich glaube, dass ja,« erwiderte Amanzei.

»Nun gut, mein Lieber, Sie irren sich,« versetzte Schah-Baham »ich wäre ganz das [137] Gegentheil gewesen. Was ich übrigens darüber sage,« fügte er hinzu, sich an die Sultanin wendend, »Ihnen will ich damit vor der Tugend keinen Abscheu einflößen, was ich darüber denke, geht nur mich an, und wenn ich vielleicht ein Weib gewesen wäre, würde ich meine Ansicht ändern; über diese Art Sachen denkt Jeder, wie er will, und ich überrede Niemanden.«

»Ihr Herr wird ungeduldig,« sagte die Sultanin lächelnd zu Amanzei, »und ich stehe Ihnen dafür, dass er Ihnen sehr verbunden sein wird, wenn Sie Ihre Erzählung fortsetzen wollen.«

»Was ich da höre, ist nicht schlecht,« erwiderte der Sultan, »würde man nicht sagen, dass ich unterbreche?«

Amanzei fuhr fort:

»Zulma trat ein; obzwar er früher kam, als sie ihn erwartete, so sagte ihm Phenime dennoch, dass er recht spät komme.«

»Wie glücklich bin ich, Phenime,« sagte er zärtlich zu ihr, »dass Sie mich schuldig finden.«

Phenime bemerkte erst jetzt, was sie ihm [138] [140]gesagt, sie wollte sich deshalb entschuldigen, und wusste nichts zu antworten.

Zulma lächelte über die Verlegenheit, in der er sie sah, und sie erröthete, als sie ihn lächeln sah. Er kniete vor ihr nieder und küsst ihre Hand mit einem außerordentlichen Feuer; sie machte eine Bewegung, um ihm sie zu entziehen, da er aber keine Anstrengung machte, sie zurückzuhalten, überließ sie ihm dieselbe.

Zulma sagte ihr jedoch die zärtlichsten Dinge, sie antwortete ihm nicht, hörte ihm aber mit einer Aufmerksamkeit, einer Hingebung zu, welche sie im Stande gewesen wäre, ihre innere Bewegung zu bemeistern. Ihr Nacken war ein wenig entblößt, sie bemerkte, dass er seine Blicke dahin gerichtet, und wollte ihr Kleid schließen.

»Ach, Grausame,« sagte ihr Zulma.

Dieser Ausruf genügte, um die Hand Phenimes aufzuhalten. Um Zulma die leichte Gunst, die sie ihm gewährte, genießen zu lassen, ohne dass er gegen sie einen leichten Verdacht schöpfen konnte, machte sie sich scheinbar etwas an ihrem Kopfputz zu schaffen. Die Augen Zulmas konnten nicht lange [140] widerstehen, mit begehrlicher Glut den Gegenstand zu verschlingen, welchen Phenime ihm überließ. Zuerst gab sie sich dem Vergnügen hin, von dem, den sie liebte, bewundert zu werden, ihre Augen verschleierten sich, sie schaute Zulma schmachtend an und schien in die zärtlichste Träumerei versunken zu sein.

»Nun, und Zulma,« sagte dann der Sultan; »sah er denn das nicht? Ah, das grausame Unthier!«

Amanzei fuhr fort: »Trotz der Aufregung, die sich ihrer bemächtigte, bemerkte Phenime dennoch die ihres Geliebten, sie fürchtete gleichzeitig ihre Rührung und die Zulma's. Sie stand rasch auf.

Er bestrebte sich sie zurückzuhalten, da er aber nicht mehr die Kraft hatte, mit ihr zu sprechen, schien er durch die Thränen, womit er ihre Hand benetzte, ihr begreiflich zu machen, wie sehr er von dem grausamen Entschluss, den sie gefasst, gerührt war.

So viel Ehrerbietung rührte endlich Phenime, aber die Liebe hatte sie noch nicht gänzlich besiegt; sie triumphierte über ihre eigenen Wünsche und über die ihres Geliebten, [141] die für sie vielleicht noch gefährlicher als ihr eigenes Begehren waren.

Sobald sie sich aus den Armen Zulma's befreit hatte, gab sie ihm ein Zeichen, sich zu erheben; er gehorchte. Sie betrachteten sich einen Augenblick mit Stillschweigen. Endlich sagte ihm Phenime, sie wolle spielen. Wie unpassend auch dies Verlangen Zulma erschien, so konnte er dem Willen Phenimen's dennoch nicht widerstehen, und er bereitete selbst alles mit so viel Lebhaftigkeit, als ob er selbst das Spiel gewünscht hätte.

Dieser neue Beweis von Unterwürfigkeit rührte Phenime außerordentlich, und ich sah sie bereit, ihn um Verzeihung zu bitten, einer Laune wegen, die sie selbst lächerlich fand.

Die Reue Phenimen's dauerte nicht so lange, als zu Zulma's Glück erforderlich war; je mehr bewegt sie sich fühlte, um so mehr dachte sie ihm ihre Verwirrung verbergen zu müssen.

Sie fing also an zu spielen, aber das Spiel verursachte ihr eine Langweile, die ihr bald bewies, dass das, was sie gegen Zulma [142] erdachte, nur eine schwache Hilfsquelle für sie sei.

Sie wollte die Gefühle, die sie schmachtend zu Zulma hinzogen, nicht eingesstehen, und gab allein die Ursache dem Spiele, welches sie gewählt, und so zwang sie ihren Geliebten ein anderes zu nehmen; er gehorchte seufzend, sie aber war dadurch nicht weniger gequält.

Diese Aufregung, die sie zu beruhigen glaubte, die zärtlichen Gedanken, von denen sie sich zu zerstreuen dachte, schienen durch den Zwang, den sie sich auferlegte, zu wachsen und immer mehr Herrschaft über ihre Seele zu gewinnen. In ihrer Träumerei versunken, glaubte sie ihr Spiel zu betrachten und beschäftigte sich nur mit Zulma.

Die verstörte Miene, in der sie ihn sah, die tiefen Seufzer, die er ausstieß, seine Thränen und endlich seine Ergebenheit für sie, rührten endlich Phenime.

Ganz den zärtlichen Gefühlen, welche er ihr einflößte, hingegeben, begnügte sie sich allein damit, ihn anzusehen; sei es, dass der Zustand, in dem sie sich befand, oder dass sie [143] die Blicke Zulma's nicht länger ertragen konnte, stützte sie ihr Haupt auf seine Hand.

Kaum sah Zulma sie in dieser Stellung, so kniete er vor ihr nieder; entweder war Phenime zu sehr eingenommen, oder sie wollte ihn nicht daran hindern. Er benützte diesen Augenblick ihrer Schwäche, um ihr die Hand zu küssen, welche sie frei hatte, und er küsste sie mit mehr Hingebung, als ein gewöhnlicher Liebhaber es empfindet, dabei alles genießend, was ihn glücklich machen kann.

Mit einer Gunst überhäuft, die er in dem Verhältnis, wo sie waren, noch nicht zu hoffen wagte, wollte er in den Augen Phenime's suchen, welches sein Geschick sein sollte. Sie hatte immer noch den Kopf auf seine Hand gestützt, er bemächtigte sich ihrer sanft, und als Phenime ihr Gesicht enthüllte, ließ sie ihm dasselbe von Thränen bedeckt sehen. Dieses Schauspiel bewegte Zulma so sehr, dass auch er Thränen vergoss.«

»Ach, Phenime,« rief er aus, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß.

»Ach, Zulma!« antwortete sie zärtlich. Nach diesen Worten schauten sie sich zärtlich [144] an, mit diesem Feuer, dieser Wollust, welche die wahre Liebe allein empfinden lässt. Endlich nahm Zulma mit einer von Seufzern unterbrochener Stimme das Wort auf. »Phenime,« sagte er mit Entzückung, »ach, wäre es möglich, dass meine Liebe Dich endlich rührt? fürchtest Du mir es zu sagen? so lasse wenigstens diesen reizenden Augen, diesen Augen, die ich anbete, die Freiheit, zu meinen Gunsten sich erklären.«

»Nein, Zulma,« antwortete sie, »ich liebe Dich, und ich würde es mir nicht verzeihen, Dir das Verdienst Deines Triumphes zu schmälern, welches Du Dir so sehr verdient hast.«

»Ich liebe Dich, Zulma! Mein Mund, mein Herz, meine Augen, alles muss es Dir sagen und alles sagt es Dir ... Zulma! mein theuerer Zulma! Ich bin nur glücklich, seitdem ich Dir mittheilen kann, was ich für Dich empfinde.«

Nach diesen so süßen, so wenig erwarteten Worten dachte Zulma vor Freude sterben zu müssen. Er vergaß aber trotz des zärtlichen Befangens nicht, dass Phenime ihn noch glücklicher machen könne. Obzwar [145] er wohl wusste, dass das Geständnis, welches sie ihm machte, ihn zu tausend Dingen berechtigte, an welche er bis zu diesem Augenblick zu denken nicht gewagt, die Achtung, die er für sie fühlte, trug den Sieg über sein Verlangen davon, er wollte warten, bis sie sein Schicksal entscheide. Phenime kannte Zulma zu gut, um sich über den Grund zu täuschen, der seine Hingebung zurückhielt; sie schaute ihn noch mit äußerster Zärtlichkeit an, und endlich der sanften Regung, die sich ihrer bemächtigte, nachgebend, sank sie in seine Arme; die stärksten Ausdrücke, die glühendste Einbildung könnten diese Hingebung nicht beschreiben.

Welche Wahrheit, welch ein Gefühl in ihren Ergüssen! nein! wahrlich nie hatte sich ein zärtlicheres Schauspiel meinen Augen dargeboten. Alle Beide schienen im Rausche den Gebrauch ihrer Sinne eingebüßt zu haben.

Es war nicht dieser augenblickliche Drang, den der Wunsch erzeugt, es war das wahre Delirium, es war diese süße Glut der Liebe, stets gesucht und so selten empfunden.

»Oh, Gott! Gott!« sagte von Zeit zu [146] [148]Zeit Zulma, ohne mehr sagen zu können; Phenime ihrerseits war ganz ihrem Empfinden hingegeben, schloss Zulma zärtlich in ihre Arme, entwand sich ihm, um ihn anzusehen, warf sich wieder in seine Arme und schaute ihn noch an.

»Zulma,« sagte sie ihm mit Entzücken, »ach, Zulma! ich habe das Glück zu spät erkannt.«

Auf diese Worte folgte jenes so köstliche Stillschweigen, in welchem die Seele ganz aufgeht.

Zulma jedoch hatte noch viel andere Dinge zu wünschen, und Phenime war weit entfernt seinem Verlangen entgegen zu sein, sie gab sich blindlings ihren Gefühlen hin. Es schien selbst, dass er noch mehr für sie thue, als sie für ihn.

Je mehr sie seiner Liebe Widerstand geboten, um so mehr glaubte sie ihm beweisen zu müssen, wie viel ihr diese Zurückhaltung gekostet hatte.

Sie glaubte ihm eine Art Vergütung für die Qualen zu schulden, die sie ihn empfinden ließ.

Sie hätte erröthen müssen, sich in diese [148] falsche Zurückhaltung und Schicklichkeit zu hüllen, welche so oft hindert und die Freuden verdirbt, indem sie unaufhörlich die Reue neben die Liebe stellt. Sie lässt in Mitten des Glückes selbst noch ein viel Süßeres zu wünschen übrig. Die zärtliche und aufrichtige Phenime hätte sich gegen Zulma schuldbewusst gefühlt, wenn sie ihm etwas von der äußersten Glut, die er ihr einflößte, entzöge.

Sie kam seinen Liebkosungen im Fluge voraus, und wie sie vor einigen Augenblicken es hoch schätzte, ihm zu widerstehen, setzte sie nun ihren ganzen Ruhm darein, ihn von ihrer Zärtlichkeit zu überzeugen.

In einem dieser Zwischenräume, so kurz sie auch waren, und die sie mit tausend zärtlichen Hingebungen ausfüllten, sagte Zulma sehr leidenschaftlich zu Phenime: »Du hast zu viel Wahrheit in alle Deine Bewegungen gelegt, um dass ich nicht glauben sollte, dass Du mich liebtest; warum hast Du so lange mit diesem Geständnisse gezögert?«

»Mein Herz hatte sich schnell für Dich entschieden, jedoch hatte sich meine Vernunft [149] lange meinen Gefühlen entgegengesetzt. Je mehr ich mich von einer aufrichtigen Leidenschaft eingenommen fühlte, um so mehr fürchtete ich ein Verhältnis einzugehen, ohne zu lieben; ich fühlte, dass ich mehr Zärtlichkeit fordern würde, als ich erwiedern könnte. Du allein hast mich gelehrt, dass es noch Männer gibt, die im Stande sind zu lieben; Du hast mich gerührt, aber nicht besiegt. Soll ich es Dir gestehen, Zulma? Diese Tugend, welche ich Dir heute mit so vielem Vergnügen opfere, hat lange gegen Dich angekämpft.«

»Ach, Zulma,« fügte sie hinzu, indem sie ihn in ihre Arme schloss, »wie machst Du mir alle die Augenblicke verhasst, in welchen ich Dir meine Zärtlichkeit nicht bewies. Was ich, Zulma, ich konnte Dir widerstehen! Ich ließ Dich Thränen vergießen, und es waren nicht immer dieselben, die Du heute vergießest! Verzeih es mir, ich war unglücklicher als Du! Ja, Zulma, ich werde mir immer vorwerfen, dass ich glauben konnte, indem ich Dir angehörte, dass es nicht all' meine Wünschen ausfüllen und mir alles ersetzen könne.«

»Du liebtest mich und ich konnte noch [150] denken, dass Andere mich achten! Ach, kann ich noch Deine Achtung verdienen?«

»Euer Majestät erräth ohne Zweifel,« fuhr Amanzei fort, »welches die Folge einer solchen Unterredung war; was für ein Vergnügen sie mir auch gewährte, so wäre es mir doch unmöglich mich des Gespräches der beiden Liebenden zu erinnern, welche ganz berauscht von sich selbst waren, sich gegenseitig Fragen stellten, und sich doch nie Zeit gaben, sie zu beantworten, deren Gedanken nur die Leidenschaft ihrer Seele wiedergab, für einen Dritten demnach nicht den Reiz haben konnte, wie für sie.

Ich war überrascht von der Lebhaftigkeit ihrer Leidenschaft, und wie sie sich ganz auflösten.

Sie trennten sich erst sehr spät; kaum war Zulma fortgegangen, so begann Phenime ihm zu schreiben. Zulma kam des anderen Tages sehr zeitlich, immer mehr verliebt, und immer noch zärtlicher geliebt, zu den Füßen oder in den Armen Phenime's die köstlichsten Augenblicke zu genießen.

Trotz des Hanges, der mir eigen war, meinen Wohnort oft zu ändern, konnte ich [151] dem Verlangen nicht widerstehen, zu wissen, ob Zulma und Phenime sich lange lieben würden, und diese Neugierde hielt mich beinahe ein Jahr bei ihr auf; aber als ich sah, dass ihre Liebe, weit entfernt abzunehmen, alle Tage stärker wurde, und dass sie zu allen Zärtlichkeiten, zu aller Glut der Leidenschaft das Vertrauen einer bindenden und zarten Freundschaft hinzufügten, so ging ich meine Erlösung, oder neue Vergnügungen anderswo zu suchen.

8. Kapitel
[152] Achtes Kapitel.

Als ich von Phenime fortging, trat ich in ein Haus, wo ich nur Dinge sah, welche, da sie ganz gewöhnlich sind, weder anzusehen, noch erzählt zu werden der Mühe wert sind, und so blieb ich nicht lange. Ich war noch einige Tage umgewandert, ohne an den Orten, wohin mich meine Unruhe oder meine Neugierde führten, etwas zu finden, das mich unterhielt, oder mir neu erschienen wäre. Hier gab man sich aus Eitelkeit hin, [153] da war es die Laune, der Eigennutz, die Gewohnheit, selbst die Gleichgiltigkeit, waren die einzigen Beweggründe der Schwächen, deren Zeuge ich war.

Ich traf oft genug diesen lebhaften und vergänglichen Hang, den man mit dem Namen Geschmack zu bezeichnen beehrt, aber ich fand nirgend diese Liebe, diese Zartheit, die süße Wollust, welche so lange an Phenime meine Bewunderung und mein Vergnügen bildeten.

Müde endlich des herumirrenden Lebens, das ich führte, überzeugt, dass jenes Gefühl, von dem man immer erfüllt zu sein scheinen will, dennoch das ist, welches man am wenigsten empfindet, fing ich an, mich über mein Geschick zu langweilen, und lebhaft zu wünschen, endlich jene Gelegenheit zu finden, die der Strafe, zu der ich verurtheilt war, ein Ende ma chen sollte.«

»Was für Sitten!« rief ich manchmal aus; »nein, Brama, der sie kennt, schmeichelte mir mit einer eitlen Hoffnung, er glaubte nicht, dass mit diesem so zügellosen Geschmack für Vergnügen, welcher in Agra herrscht, und der Verachtung aller Grundsätze, die daselbst [154] allgemein verbreitet ist, ich jemals zwei Personen finden könne, so wie Brama sie verlangt, um mich zu einem andern Leben zu berufen.

Ganz diesem kummervollen Nachdenken hingegeben, versetzte ich mich in ein Haus, wo alles ein friedliches Aussehen hatte. Ein ungefähr vierzig Jahre altes Mädchen wohnte darin allein. Obzwar sie noch genug gut aussah, um sich, ohne lächerlich zu scheinen, der Liebe hinzugeben, war sie dennoch klug genug, sie floh die lärmenden Vergnügungen, empfing wenig Leute bei sich, und schien es selbst weniger gesucht zu haben, sich eine angenehme Gesellschaft zu schaffen, als mit Leuten zu leben, welche, sei es durch ihr Alter, sei es durch die Art ihrer Ämter, sie vor jedem Verdacht behüten konnten. Auch gab es in Agra wenig traurigere Häuser als das ihrige. Unter den Männern, die zu ihr gingen, war einer, den sie mit dem meisten Vergnügen zu sehen schien, und der sie auch am wenigsten verließ, ein Mann in gesetztem Alter, ernst, kalt, zurückhaltend, mehr noch aus Temperament, als durch seinen Stand, obzwar e: das Oberhaupt [155] [157]eines Braminen-Collegiums war. Er war hart, hasste die Vergnügungen und glaubte auch, dass es keines gäbe, wodurch die Seele eines wahren Weisen nicht erniedrigt wäre. Nach dieser schlechten Laune, nach diesem düstern Äußern hielt ich ihn zuerst für eine jener Persönlichkeiten, die wilder als tugendhaft, unerbittlich für Andere, nachsichtig für sich selbst waren. Im Öffentlichen tadeln sie mit Schärfe die Laster Anderer, welchen sie sich selbst im Geheimen ergeben; ich hielt ihn endlich für einen gleißnerischen Frömmler.

Fatmé hatte mir den Gefallen an den Leuten verdorben, deren Ärßeres klug und geregelt erschien.

Obzwar ich mich selten täuschte, indem ich schlechtes von ihnen dachte, so täuschte ich mich doch in Mocles; und als ich ihn erkannte, verdiente er, dass ich anders von ihm dachte. Seine Seele war gerade und von einer aufrichtigen Tugend. Ganz Agra hielt ihn für weiser, als er es scheinen wollte; Niemand zweifelte, dass seine Abneigung für die Vergnügungen nicht aufrichtig wären, und dass, wie hart auch seine Grundsätze [157] seien, er sie nicht immer befolgt hätte. Man hatte für Almaide, das ist der Name des Mädchens, bei dem ich war, eben so günstige Gedanken. Das vertraute Verhältnis, welches zwischen ihr und Mocles bestand, gab zu keinem Verdacht Grund, der ihnen nachtheilig gewesen wäre. Wie böse auch die Meinung des Publikums über die vertrauten Verhältnisse sei, gab es doch Niemanden, der das ihre nicht geachtet und in der Vorliebe, welche sie für die Tugend fühlten, nicht begründet gefunden hätte. Mocles kam jeden Abend zu Almaide, und ob sie in Gesellschaft oder allein waren, blieben ihre Handlungen stets tadellos, ihre Gespräche klug und gemessen.

Im Allgemeinen behandelten sie irgend welche moralische Punkte; Mocles ließ in seinen Abhandlungen seine Gelehrtheit und seinen geraden Sinn glänzen. – Nur eine Sache missfiel mir; und die war, dass zwei so über die andern erhabene Personen und die alle ihre Leidenschaften in engen Grenzen hielten, nicht über den Hochmuth triumphierten.

Oft ließen sie es außer Acht, die gegenseitige [158] Achtung zu erwägen; ein Jeder lobte sich mit einem Gefallen, einem Eifer, einer Eitelkeit, womit ihre Tugend gewiss nicht zufrieden gewesen war.

Obgleich mich ein so trauriges Haus sehr langweilte, so entschloss ich mich dennoch einige Zeit darin zu wohnen. Nicht dass ich hoffte, mich dort eines Tages zu unterhalten, oder meine Erlösung da zu finden. Je mehr ich Almaide und Mocles für vollkommen hielt, desto weniger wagte ich von ihnen eine solche Schwäche zu erwarten; aber müde noch von meinen Wegen, angewidert von der Welt und wohl fühlend, bis zu welchem Punkte sie mich verdorben hatte, war ich nicht böse von Moral reden zu hören; mag sein, dass die Neuheit, welche sie für mich hatte, mir dieselbe so angenehm machte, oder sah ich sie in der Stimmung, worin ich war, für eine Sache an, die mir heilbringend sein könnte.«

»Ach, wahrlich,« rief der Sultan aus, »ich bin nicht mehr erstaunt darüber, dass Du mich so ermüdet hast, ich sehe schon, wo Du das hergenommen hast, aber dass Du nicht versucht seist, mit Deiner Beredsamkeit oder vielleicht mit Deinem Gedächtnis zu [159] prahlen, so wiederhole ich die Drohungen, welche ich Dir mit so viel Vorsicht im Anfange Deiner Erzählung gemacht habe.«

»Wenn ich weniger gnädig wäre, würde ich Dich gewähren lassen, ohne Zweifel würdest Du mit dem Vergnügen, welches Du am Sprechen nimmst, sehr weit gehen, aber ich liebe die Hinterlist nicht, und ich will es Dir noch einmal sagen, dass Dir nichts weniger heilbringend ist als die Moral.«

»Trotz der seltenen Tugend, womit Almaide und Mocles begabt waren,« versetzte Amanzei, »mischten sie manchmal in die Moral, ein wenig zu sehr in Einzelnem dargestellt, das Laster. Ohne Zweifel war ihre Absicht gut, aber es war nicht klug von ihnen, sich bei Gedanken aufzuhalten, die man aus seiner Einbildungskraft nicht so leicht verbannen kann, will man den Unruhen entgehen, welche sich gewöhnlich in ihrem Sinne bergen.«

Almaide und Mocles, welche darin keine Gefahr sahen, oder sich darüber erhaben dünkten, fürchteten nicht genug über die Wollust abzuhandeln. Wohl ist es wahr, dass nachdem sie alle Reize dargestellt hatten, [160] übertrieben sie auch ihre Schmach und die Gefahren. Sie kamen selbst darin überein, dass die wahre Glückseligkeit nur im Schoße der Tugend zu finden sei; aber sie kamen darin sehr trocken überein und wie über eine Wahrheit, die zu sehr allgemein anerkannt, um nöthig zu haben, noch überhaupt besprochen zu werden. Es geschah nicht mit derselben Raschheit, dass sie das Vergnügen prüften; sie ergingen sich über einen so interessanten Stoff und vertieften sich in die gefährlichsten Einzelnheiten, mit einem Vertrauen, wo ich endlich hoffen konnte, dass sie sich als betrogen sehen könnten. Es war wenigstens einen Monat lang, dass sie sich über diese lebhaften Darstellungen unterhielten, welche ich so wenig für sie geeignet fand; und was immer für einen Gegenstand sie auch immer früher behandelten, verfielen sie doch immer auf diesen, den sie hätten vermeiden sollen.

Mocles, dessen Laune diese Gespräche unmerklich gemildert hatten, kam nun zu Almaide früher als gewöhnlich, unterhielt sich dort mehr und ging später fort.

Almaide ihrerseits erwartete ihn mit [161] mehr Ungeduld, sah ihn mit mehr Vergnügen und hörte ihn mit weniger Zerstreutheit zu. Wenn Mocles zu ihr kam und Besuch dort fand, sah er verwirrt und verlegen aus, und sie schien auch nicht zufriedener zu sein. Endlich ließ man sie allein; ich bemerkte auf ihrem Gesichte die Freude, welche zwei Liebende empfinden, die lange durch einen lästigen Besuch gestört waren, endlich das Glück haben, sich ihren Zärtlichkeiten hingeben zu können. Almaide und Mocles näherten sich einander mit Eifer und beklagten sich, dass man sie nicht genug sich selbst überließ; sie schauten sich gegenseitig mit größtem Wohlgefallen an.

Es war ungefähr dieselbe Sprache, die sie führten, aber es war nicht mehr derselbe Ton. Sie lebten endlich in einer Vertrautheit, die sie viel weiter führen musste, als sie in ihrer Unachtsamkeit es ahnten. Eines Tages lobte Mocles außerordentlich Almaide ihrer Tugend halber. »Bei mir,« sagte er »ist es nichts sonderbares, dass ich klug gewesen war; bei einer Frau helfen die Vorurtheile der Tugend, aber einen Mann verderben sie. Bei Euch ist es eine Art von Dummheit nicht [162] verliebt zu sein, bei uns aber ist es ein Laster, es zu sein. Dann mussten Sie zum Beispiel, die mich lobt und nicht anders als ich darüber denkt, dennoch mehr Achtung verdienen. Indem man die Dinge so prüfen würde, könnte man denken, dass ich schätzenswerter bin als Sie, und darin würde man sich irren.«

»Einem Manne ist es eicht der Liebe zu widerstehen, aber alles liefert die Frauen ihr aus. Wenn nicht die Zärtlichkeit, so sind es die Sinne, die sie der Liebe zuführen. In Ermanglung dieser beider Triebe, welche jeden Tag so viel Aufregung bereiten, haben sie die Eitelkeit, die um die Quelle ihrer Schwächen zu sein, man am wenigsten entschuldigen soll, deshalb nicht die gewöhnlichste ist, und,« fügte er hinzu die Augen gegen Himmel richtend, »noch viel schrecklicher für sie ist jedoch der beständige Mangel an Beschäftigung, worin sie beständig schmachten. Diese verhängnisvolle Nachlässigkeit liefert den Geist den gefährlichsten Gedanken aus; die von Natur aus lasterhafte Einbildung nimmt sie an und verbreitet sie. Die schon entstandene Leidenschaft nimmt mehr Herrschaft [163] über das Herz, oder wenn dasselbe noch frei von Verlangen ist, so neigt es dies Gespenst von Wollust, das man sich so gern vorstellt, der Schwäche zu.«

»Wenn ein Weib allein ist, und sich ganz der Lebendigkeit ihrer Einbildung hingibt, und eine Chimäre verfolgt, die sie ihre Unthätigkeit zu erzeugen zwang, um in diesem eingebildeten Genuss nicht gestört zu sein, beseitigt sie alle Gedanken der Tugend, welche sie über die Illusionen, die sie sich bildet, erröthen ließen; je weniger der Gegenstand, der sie verführt, wirklich ist, desto weniger glaubt sie ihm widerstehen zu müssen; es ist ja in der Verborgenheit, und sich selbst gegenüber ist sie schwach, was hat sie zu fürchten. Aber wird dies Herz, das sie in Zärtlichkeit wiegt, diese Sinne, die sie der wollüstigen Gewohnheit fügt, werden sie sich immer mit der Illusion begnügen?«

»Ach, Mocles,« rief Almaide erröthend »wie schwer ist es doch die Tugend zu üben!«»Du bist weniger als eine andere dazu angethan, um es zu glauben,« antwortete er, »Du, die Du mit allen möglichen Annehmlichkeiten geboren bist, um inmitten der [164] Vergnügungen zu leben, Du hast alles dieser Tugend geopfert, die man heute Dingen opfert, die am wenigsten den Sieg über sie davon tragen sollten.«

»Ich schmeichle mir nicht es zur Vollkommenheit gebracht zu haben,« antwortete sie bescheiden »aber es ist wahr, dass ich alles gefürchtet, besonders die Unthätigkeit, von der Du eben gesprochen hast, und diese Bücher, diese verderblichen Schauspiele, welche die Seele nur verweichlichen können.«»Ja, ich weiß es,« erwiderte er, »und dieser beständigen Sorge, Dich zu beschäftigen, verdankst Du hauptsächlich Deine Weisheit, denn ich sehe es bei uns selbst, nichts liefert uns so sehr den Leidenschaften, als die Müßigkeit, und wenn sie dennoch über uns den Sieg davonträgt, die wir weniger schwach geboren sind, urtheile, was sie dann über Euch vermag.«

»Es ist wahr,« antwortete sie, »dass wir alles zu bekämpfen haben.«

»Unendlich mehr, als Du denkst,« antwortete er »und das war es, was ich Dir sagte.«

»Übrigens musst Du noch bedenken, dass [165] die Frauen immer angegriffen sind, und wenn. Du deren auch einige ohne Scham und ohne Grundsätze ausnimmst, welche selbst ohne zu lieben die ersten sagen, dass sie lieben, so geschieht es nicht, dass, wie man auch heute sittenverderbt sei, man dieses Bedenken, diese Thränen und diese Beharrlichkeit, womit wir alle Tage mit so viel Erfolg gegen die Frauen vorgehen, zu bekämpfen hätten.«

»Wenn Du übrigens den Huldigungen, die man ihnen darbringt, noch das Beispiel hinzufügst.«

»Dem zu Folge,« unterbrach sie »haben wir über Euch keinen Vortheil. Das Beispiel soll Euch um so mehr hinreißen, da Ihr durch Eueren Stand galant seid.«

»Dieses ist nicht für alle Männer genau genommen wahr,« antwortete er, »da es deren viele gibt, welchen ihr Stand selbst diese Frenesie der Seele verbietet, die man das Vergnügen zu lieben nennt! Ich bin zum Beispiel in diesem Falle.«

»Wenn dies nicht wäre,« erwiderte sie; »genug glücklich geboren, um für die Leidenschaften [166] unzugänglich zu sein, hättest Du immer ...«

Hier hob Mocles die Augen gegen Himmel und seufzte.

»Was,« rief Almaide »solltest Du Dir etwas vorwerfen? Ach, Mocles! Wenn Du nicht mit Dir zufrieden bist, wer kann es dann wagen, mit sich zufrieden zu sein? Was, Du hättest die Liebe erkennen wollen?«

»Ja,« antwortete er traurig, »dieses Geständnis demüthigt mich, aber ich bin es der Wahrheit schuldig.«

»Es ist auch wahr, dass ich dieser verhängnisvollen Versuchung widerstand. Indem ich Dir gestehe, dass ich manchmal genöthigt war zu kämpfen, zeige ich mich ohne Zweifel in Deinen Augen mit solchen Schwächen, deren, ich sehe es wohl an Deinem Erstaunen, Du mich nicht für fähig gehalten, aber indem ich Dich von einem Irrthum befreie, der mir stets vortheilhaft war, fürchte ich, dass Du zu vortheilhaft von mir denkest.«

»Weniger demüthigend ist es in Versuchung geführt zu werden, aber glorreicher ist es der Versuchung zu widerstehen. Indem ich Dir meine Schwächen anvertraue, bin [167] ich gezwungen von meinen Triumphen mit Dir zu sprechen; das, was ich von einer Seite verliere, scheint, als wollte ich es von der andern Seite wieder erlangen und ich weiß nicht, ob ich nicht fürchten soll, dass Du dem Stolz ein Geständnis zuschreibst, welches ich Dir mache, nur um die Lüge zu vermeiden.«

Indem er dieses bescheidene Gespräch beendigte, schlug Mocles die Augen nieder.

»Ah, bei mir läufst Du keine Gefahr,« sagte ihm lebhaft Almaide, »ich kenne Dich. Nun, Du warst also auch manchmal versucht zu unterliegen, das wundert mich nicht an Dir; man kann wohl mit beständigem Schritt der Vollkommenheit entgegengehen, aber erlangt sie dennoch nie.«

»Was Du sagst, ist unglücklicherweise nur zu sehr bewiesen,« erwiderte er.

»Ach!« rief sie schmerzlich aus, »denkst Du denn, ich hätte mich so sehr zu loben, und ich sei frei von jenen Schwächen, die Du Dir vorwirfst?«

»Was?« sagte er ihr, »auch Du, Almaide?«

»Ich habe zu viel Vertrauen in Dich, um Dir etwas zu verbergen,« erwiderte [168] sie »ich will Dir nur gestehen, dass ich grausam zu kämpfen hatte. Was mich lange schon gewundert, und was ich heute noch nicht begreife, ist, dass diese Unruhe, die sich der Sinne bemächtigt und sie verwirrt, mich hundertmal bei den ernsthaftesten Beschäftigungen überrascht, die meine Seele natürlich weniger empfänglich hätte lassen: sollen. Manchmal bekämpfte ich sie mit genug Erfolg, in andern Zeiten weniger stark gegen dieselbe, trotzdem unterjochte sie mich, riss meine Einbildung mit sich fort, unterwarf sich alle meine Fähigkeiten.«

»Das, was man Klugheit nennt,« antwortete Mocles, »besteht weniger darin, nicht versucht zu sein, als über die Versuchung gesiegt zu haben, und es wäre zu wenig Verdienst dabei, tugendhaft zu sein, wenn man kein Hindernis zu überwinden hätte, um es zu werden.«

»Aber da wir einmal bei diesem Kapitel sind, sage mir gütigst, seitdem Du in dem Alter bist, wo das Blut mit weniger Ungestüm durch die Adern fließt, und Dich dem Verlangen weniger unterwirft; fühlst Du noch diese schrecklichen Regungen?«

[169] »Sie sind weniger häufig,« erwiderte sie, »aber ich bin ihnen noch unterworfen.«

»Auch ich bin in demselben Zustande,« antwortete er seufzend.

»Aber wir sind Thoren so zu sprechen, wie wir es thun,« sagte Almaide erröthend, »und diese Unterredung ist nicht für uns geschaffen.«

»Mir scheint,« sagte Mocles, »dass wir Grund haben dieselbe sehr zu fürchten,« er lächelte dabei mit eitler Miene; »es ist gut, wenn man sich selbst misstraut, aber es wäre doch eine zu schlechte Meinung, die wir von uns selbst hätten, uns für so schwach zu halten. Ich gebe zu, dass der Gegenstand, den wir behandeln, uns nothwendig auf sinnliche Gedanken bringt; aber es ist sehr verschieden, ihn in der Absicht, sich zu belehren, oder in der, sich zu verführen zu besprechen, und wir können, so glaube ich, ohne uns zu täuschen, unsere Beweggründe verantworten, und uns mit unserer Ruhe uns auf dieselben stützen. Übrigens musst Du nicht glauben, dass diese Art von Gegenständen, so gefährlich sie auch für Leute sind, die ein ungeordnetes Leben führen, denselben Eindruck [170] auf uns ausüben können, an und für sich bedeuten sie nichts; Personen von der reinsten Tugend sind manchmal gezwungen, sich bei derselben aufzuhalten, ohne dass die genaueste Besprechung dieser Gefühle auf die Unschuld ihrer Sitten einwirke. Alles ist Übel und Verderbtheit bei sittenverdorbenen Herzen, so wie die der Weisheit am meisten zuwidern Dinge über sie nichts vermögen, da sie keinen Gefallen an ihnen finden.«

»Daran ist nicht zu zweifeln, da Du es glaubst,« antwortete sie; »und ich hüte mich mir Bedenken zu machen, wenn es Dir scheint, dass ich mir keine machen soll.«

»Du solltest es auch niemals,« sagte er ihr, »die Neugierde, die mich beherrscht, kann ich Dir nicht entdecken, weil ich dieselbe unbescheiden glaube, und dennoch kann ich ihr nicht widerstehen; ich möchte wissen, ob man Dir jemals Anträge in einer gewissen Art gemacht; um Dir endlich meine Neugierde ganz zu zeigen, möchte ich wissen, ob Du nicht das Entzücken bei einem Manne empfunden, sei es freiwillig, oder gegen Deinen Willen.«

Bei dieser Frage, welche Almaide nicht [171] vorhersah, blieb sie ganz erstaunt, erröthete, und schien zu träumen, endlich entschloss sie sich. »Nun ja,« antwortete sie mit Verlegenheit, »und da Du es wissen willst, so will ich Dir gestehen, dass eines Tages ein junger Wildfang, der, denn ich will Dir nichts verhehlen, trotz meiner Abneigung gegen die Männer, mir genug liebenswürdig schien; da er mich allein fand, sagte er mir manche Artigkeit, welche die Männer uns schuldig zu sein glauben, wenn wir noch nicht jenes glückliche Alter erreicht haben, welches ihnen nur Achtung für uns einflößt, und wo wir genug zu beklagen sind, eine Gestalt zu haben, welche uns ihrem Begehen aussetzt. Wir waren allein; ich antwortete ihm nach den Grundsätzen, die ich mir gemacht. Weit entfernt, dass meine Antwort ihm imponiere, glaubte er vielmehr, ich suche ihm weniger seine Erroberung streitig zu machen, als deren Preis zu erhöhen, und er wagte es selbst mich zu versichern, dass ich ihn lieben würde; Du kannst Dir wohl denken, dass ich das Gegentheil behauptete.«

»Ich weiß nicht, mit was für Frauen dieser Wildfang gewöhnlich lebte; aber sie [172] hatten ihn gewiss nicht an Achtung gewöhnt. Er näherte sich mir, und mich in seine Arme schließend, legte er mich gewaltsam auf ein Sopha.«

[173] »Erlasse mir gütigst das Übrige einer Erzählung, die meine Schamgefühl verletzen würde, und die vielleicht noch gar meine Sinne verwirren möchte. Es genüge Dir zu wissen ...«

»Nein,« unterbrach Mocles, »Du wirst mir alles sagen: es ist weniger, ich sehe es und sehe es nicht ohne Beben für Dich, die Furcht Deine Sinne zu bewegen, oder die Scham zu verletzen, die Dir den Mund schließt, als die zu gestehen, dass Du zu empfindlich warst, und dieser Beweggrund, fern davon lobenswerth zu sein, kann deshalb nicht genug getadelt werden. Ich kann, ja ich glaube zu dem, was ich Dir sage, hinzufügen zu müssen, dass wenn es wahr ist, und Du fürchtest, dass die Erzählung, welche ich von Dir fordere, Dich in eine gefährliche Aufregung versetzen möchte, so kannst Du sie nicht beschönigen oder mildern, ohne schuldig zu sein.«

»Almaide, glaube mir, man fürchtet nie eine Gefahr genug, die man nicht kennt, und man fällt nur deshalb, weil man gewöhnlich zu sehr auf sich selbst gerechnet hat. Du kannst nicht Gewicht genug auf [174] alle Umstände Deiner Erzählung legen, nur durch den Eindruck, den sie heute auf Dich machen werden, kannst Du erkennen, welchen Fortschritt Du auf dem Wege der Tugend gemacht hast, oder was noch wesentlicher ist, was Dir noch übrig bleibt abzunehmen, um zu dieser gänzlichen Verabscheuung des Vergnügens zu gelangen, welche allein die Tugendhaften macht.«

Dieser Rath überraschte mich im Munde des Mocles, ich kannte ihn als wahrheitsliebend und gelehrt, ich begriff nicht, was ihn in diesem Augenblicke seinen Grundsätzen so zuwider reden machen konnte.

»Was,« sagte ich mir mit Erstaunen; »es ist Mocles, welcher Almaide räth, Gewicht auf Einzelnheiten zu legen, welche die Scham verletzen können, und zu der Verderbtheit führen können?« Das Verlangen, welches ich hatte, über die Beweggründe des Mocles aufgeklärt zu werden, ließ mich ihn mit Aufmerksamkeit betrachten, ich fand in seinen Augen so viel Verirrung, dass ich zu glauben anfing, meine Erlösung an dem Orte finden zu können, wo ich sie am wenigsten in der Welt erwartet hätte. –

[175] Während ich meine süße Hoffnung auf die Tugend Almaides und Mocles und auf ihre Verwirrung baute, fuhr Almaide ihre Erzählung fort.

9. Kapitel
[176] Neuntes Kapitel.

Wo man eine große Frage zu lösen finden wird.


»Ich werde Dir blindlings gehorchen,« antwortete Almaide dem Mocles; »Du hast mir eben fühlen lassen, dass die Eitelkeit allein mir den Mund verschloss, ich will mich aber dafür bestrafen, indem ich Dir ohne Verstellung die Begebenheiten meines Abenteuers vertraue, welches mich am meisten quält. Ich hatte Dir gesagt, so scheint es mir, dass dieser junge Mann mich auf ein Sopha umgeworfen hatte; ich war von meinem [177] Erstaunen noch nicht zu mir gekommen, so stürzte er sich auf mich.«

»Obzwar das Übermaß meines Erstaunens mir kaum gestattete, ihm meinen Zorn auszudrücken, so las er ihn doch leicht in meinen Augen, und da er sich vor meinem Geschrei sichern wollte, schloss er mir den Mund mit seinen frechen Küssen; es wäre mir unmöglich Dir zu sagen, wie sehr ich zuerst darüber empört war, dennoch muss ich gestehen, dass meine Empörung nicht lange gedauert hatte. Die Natur, die mich verrieth, ließ mich bald bis in den Grund meines Herzens diesen Kuss fühlen. Plötzlich mischten sich in meinen Zorn Regungen, die demselben nur eine schwache Oberhand ließen.«

»Mein ganzes Blut gerieth in Aufruhr, ein unbekanntes Feuer verbreitete sich durch alle meine Adern. Ich weiß nicht, welch ein Vergnügen mich fortriss und unmerklich meine ganze Seele erfüllte; mein Geschrei verwandelt sich in Seufzer, und hingerissen von Regungen, welchen ich trotz meinem Schmerz und trotz meinem Zorn nicht mehr widerstehen konnte, jammernd über den Zustand, in dem ich mich befand, hatte ich [178] nicht mehr die Kraft, mich dagegen zu wehren.«

»Das ist,« rief Mocles aus, »eine schreckliche Lage! Nun gut,« fuhr er fort, indem er sie mit flammenden Augen betrachtete.

»Was soll ich Dir sagen?« erwiderte sie. »Wann ich es konnte, machte ich ihm Vorwürfe, aber es war mechanisch. Ich glaube, dass ich zu ihm sprach, dass ich ihn mit aller Verachtung behandelte, die er verdiente, ich sage, dass ich es glaube, denn ich wage es nicht zu behaupten. In dem Maße, wie diese grausame Verwirrung zunahm, fühlte ich meine Kräfte und meine Wuth abnehmen, eine sonderbare Verwirrung herrschte in allen meinen Gedanken. Ich hatte mich doch noch nicht ergeben, aber welch ein Widerstand, wie schwach war er, und so schwach er war, so wünschte ich ihn doch! Mocles, ich erinnere mich dessen nur mit Schrecken, und die Schmach, die er mir verursacht, macht ihn mir so gegenwärtig, als ob ich noch in den Armen dieses Ungestümen ächzen möchte. Welch ein Augenblick für meine Tugend! Wie soll ich den ganzen Preis dieser Unschuld fühlen, die [179] man mir zu rauben suchte, inmitten aller dieser Hingebung fürchtete ich nichts mehr, als dieselbe zu verlieren. Warum hatte diese Angst mich diesem Vergnügen nicht entrissen, oder warum ließen diese Freuden noch so viel Macht in meinem Herzen für die Tugend? Ich wünschte (aber mit welcher Anstrengung! Wie viel hatte ich nicht zu leiden, indem ich wünschte), dass man mich dem Schicksal entreiße, welches mich bedrohte. Zur selben Zeit bildete ich mir diese Idee, die mir lebhaft wünschen ließ, dass sich nichts meiner Niederlage entgegenstelle.«

»Indem ich darüber, was ich fühlte, erröthete, so brannte ich doch noch mehr zu empfinden, die Gluth, die mich verzehrte, fing für mich an eine Strafe zu werden, und meine Sinne zu ermüden. Wie groß auch die Trunkenheit meiner Sinne war, konnte ich es dennoch nicht erreichen, diese unliebsame Stimme zu ersticken, die im Grunde meines Herzens rief, und die, da sie mich von meiner Schwäche nicht befreien konnte, fortfuhr mir dieselbe vorzuwerfen; als der junge Mann ohne Zweifel den Eindruck, den er auf mich ausübte, bemerkte, [180] trieb er die Schmach, die er nur anthat, auf's Äußerste. Er ...«

»Aber wie könnte ich Dir das, vorüber ich noch heute erröthe, ausdrücken. So sehr es meine Verwirrung gestattete, war ich damit beschäftigt, mich gegen seine Küsse zu wehren, womit er mich unaufhörlich überhäufte, übrigens hatte ich keine Vorsicht gegen ihn gebraucht. Trotz des grausamen Zustandes, in welchem ich mich befand, erweckte diese neue Beschimpfung meine Wuth; ach! es war nicht für lange. Ich fühlte bald meine Erregung zunehmen, bis auf die Anstrengungen, die ich machte, um diesem Kühnen zu entgehen, oder um ihn wenigstens zu stören, trug alles dazu bei, alles war schließlich dazu angethan, mich zu verführen. Einem unaussprechbaren Entzücken hingegeben, wovon Dir eine Idee zu geben mir unmöglich wäre, fiel ich ohne Kraft und ohne Regung in die Arme des Grausamen, der mir eine so schwere Beschimpfung angethan.«

»Welch' ein Zustand!« rief Mocles aus, »und wie fürchte ich dessen Folgen.«

»Dennoch waren sie nicht derart, wie [181] Du sie Dir einbildest,« antwortete Almaide. »In Mitte einer Lage, wo ich umsomehr zu fürchten hatte, ich nichts mehr fürchtete, weiß ich nicht, warum mein Feind plötzlich seine Glut und seine Wagnisse einstellte. Durch ein Wunder, das ich nie begreifen konnte, und das Du vielleicht nicht glauben wirst, so sehr außerordentlich ist es! In dem Augenblicke, wo ich ihm nichts mehr zu widersetzen hatte und wo er selbst auf dem höchsten Punkt der Erregung war, verwandelten sich seine Augen, deren Glut ich nicht ertragen konnte, und ein Ausdruck von Ermattung herrschte darin. Er wankte, schloss mich in seine Arme mit mehr Zärtlichkeit und weniger Heftigkeit wie vordem, er wurde (gerechte Strafe für die Unbill, die er mir angethan), eben so schwach, wie ich selbst. In diesem Augenblick fing meine Aufregung nachzulassen, und ich war genug glücklich, die ganze Demüthigung meines Feindes zu genießen; nachdem ich ihn mit dem möglichsten Vergnügen betrachtet hatte und Brama für den sichtbaren Schutz dankte, den er mir angedeihen ließ, erhob ich mich mit Ungestüm. Je mehr sich meine Sinne [182] beruhigten und meine Gedanken sich klärten, fühlte ich meine Schmach um so lebhafter. Zwanzigmal öffnete ich meine Lippen, um [183] diesen jungen Verwegenen mit Vorwürfen, die er verdiente, zu überhäufen; aber diese geheime Unruhe, die sich meiner bemächtigte, schloss mir dieselben stets, und nachdem ich ihn mit all der Verachtung betrachtete, die seine Frechheit und sein Vergehen verdiente, verließ ich ihn plötzlich. Ich hätte lieber geschwiegen, um Dir die Wahrheit zu sagen, als die Einzelnheiten aufzuzählen, die mich erröthen ließen. Es ist das erstemal,« fuhr sie fort, »auch das einzigemal, wo ich mich in dieser Gefahr befand, die ich immer gefürchtet hatte, bevor ich sie noch kannte, und die ich nur erkannte, um sie mit mehr Sorgfalt als jemals zu vermeiden. Ich glaubte mich um so mehr verpflichtet, sie zu fliehen, da ich nach den Regungen, die ich empfand, fürchtete, dass ich mehr Hang zur Liebe habe, als ich es gedacht.«

»Du siehst wohl,« sagte Mocles, »dass es nöthig ist, seine Seele zu versuchen, aber unter anderm, wie steht es mit der Deinen? Hat diese Erzählung jene Eindrücke gemacht, die Du fürchtetest?«

»Aber,« sagte sie erröthend, »sie ist nicht so ruhig, wie sie es war.«

[184] »Derart,« versetzte er, »dass wenn Du gegenwärtig einen Kühnen fändest, Du vermuthlich wieder ein wenig ins Wanken kämest.«

»Ach! rede nicht mehr davon,« rief sie aus, »das wäre das grausamste Unglück, welches mir geschehen könnte.«

»Ja,« antwortete er zerstreut, »das lässt sich leicht begreifen.«

Indem er diese Worte sprach, verfiel er in die tiefste Träumerei; von Zeit zu Zeit betrachtete er Almaide mit betroffener Miene und mit Augen, die sein Verlangen und seine Unentschlossenheit wiedergaben. Das Geständnis, welches Almaide ihm von ihrer Aufregung gemacht, ermuthige ihn; aber seine Unerfahrenheit erlaubte ihm nicht, davon Nutzen zu ziehen, beinahe wäre es ihm nutzlos gewesen.

Die Art, wie er es eigentlich anstellen sollte, um Almaide zu verführen, war nicht die einzige Sache, wovon er träumte. Zurückgehalten durch die Erinnerung dessen, dass er durch den Gedanken an das Vergnügen tyrannisiert war, sah ich ihn nach und nach bereit zu fliehen, oder alles zu wagen. [185] Während er so viele Kämpfe durchmachte, war Almaide in keinem ruhigeren Zustande.

Die Erzählung, welche Mocles von ihr verlangte, hatte alles, was sie davon fürchtete, erzeugt. Ihre Augen belebten sich, eine Röthe, ganz verschieden von der, welche die Keuschheit erzeugt, unterdrückte Seufzer, Unruhe, Schmachten, das alles bewies mir besser, als ihr selbst, die Stärke der Verwirrung, in die sie gerathen. Ich erwartete mit Ungeduld, welches die Lage von zwei so vernünftigen Personen sein würde, in die sie sich so unklug versetzt hatten. Ich fürchtete selbst, sie möchten den Irrthum, wohin sie ihre zu große Sicherheit führte, empfinden, und dass in Herzen, die so sehr an Tugend gewöhnt, dieselbe nicht die Oberhand erhalte, wie mein Zustand und die Versprechungen Bramas mich zu wünschen nöthigten.

Ich glaubte endlich an den Blicken Almaide's und Mocles, die von Augenblick zu Augenblick weniger schüchtern wurden und mehr in Wollust übergingen, dass es weniger die Angst zu unterliegen war, als die Verlegenheit den Fall herbeizuführen, die sie abhielt.

[186] Beide schienen dasselbe Verlangen zu haben, beide schienen gleich versucht zu sein. Diese Lage würde zwei welterfahrene Personen nicht in Verlegenheit versetzt haben, aber Almaide und Mocles, fern in der Kunst, sich gegenseitig zu helfen gewandt zu sein, wagten es nicht sich ihren Zustand zu vertrauen, noch sich anders als durch wenig beherrschte Blicke die Glut, welche sie verzehrte, begreiflich zu machen. Wenn sie auch einer bei dem andern dieselben Gedanken zu lesen glaubten, wussten sie denn, bis zu welchem Punkte sie beide verführt waren? Welche Schmach wäre es nicht für denjenigen, der zuerst gesprochen hätte, wenn er in dem Herzen des andern noch einige Überbleibsel von Tugend gefunden hätte, und wie sollten sie sich verständigen, da beide so viel Verstand hatten, nicht das Schweigen zu brechen? Dieser Klugheit, die sie immer ausgeübt, fügte sie noch die Keuschheit und den Anstand ihres Geschlechtes bei, welche es ihr nicht erlaubten, ihre Wünsche zu erklären, und obzwar dieses Gesetz nicht für alle Frauen unverletzbar ist, fürchtete Almaide dennoch die Verachtung, welche einem solchen Schritt [187] folgt, ob sie nun ganz unerfahren, oder der Liebe wenig hingegeben war; sie fürchtete die Verachtung, welche ein solcher Schritt zur Folge hatte; wusste sie übrigens, wie Mocles denselben deuten würde? Vielleicht, würde sie sich darüber hinweggesetzt haben, wenn er sie verachtend, sie dennoch befriedigt hätte, aber wenn er es einfach bei der Verachtung bewenden ließ?

Nachdem sie eine Zeit bei sich selbst überlegt hatten, auf welche Art sie mit einander sprechen könnten, ohne sich der Schande auszusetzen, keinen Erfolg zu haben.

Mocles, bei dem ein Geständnis seiner Gefühle zu sehr seinen Stolz und seinen Stand verletzt hätte, glaubte keinen bessern Erfolg als mit Sophismen zu haben; – angenommen, dass die Wahl der Mittel noch von einer Prüfung abhinge, die sein Verstand damit machen könne, und dass er nicht noch mehr sich selbst zu täuschen oder seinen Ruhm zu retten suche, im Falle der Versuch, den er unternehmen wollte, ihm nicht gelänge, als Almaide zu täuschen.

»Oh,« zum Kuckuck, sagte der Sultan, [188] »man möchte sagen, dass wenn er dabei schlecht zu Werke geht, dann ist nur Schuld, dass er zu viel darüber nachgedacht.«

»Aber,« sagte die Sultanin, »ich weiß nicht, warum Sie so sehr darüber erstaunt sind, dass er so viel überlegt hat, es scheint mir, dass die Lage, in welcher er sich befand, es forderte, dass er einige Erwägungen mache.«

»Einige, das würde noch angehen,« antwortete Schah-Baham, »und eben deshalb, weil er nur einigen machen sollte, hatte er nicht nöthig so viele zu machen. Diese Leute mussten schrecklich gereizt gewesen sein, wie kommt es, dass sie sich in dieser Zeit, die sie sich dazu ließen, nicht erkannten?«

»Sie wagten es eine treffende Bemerkung zu machen,« sagte die Sultanin.

»Sie haben gewagt,« sagte Schah-Baham, »dürfte ich Sie fragen, was das bedeutet? Sie machen wenig Umstände, indem Sie so wenig ehrerbietig sprechen und es gibt wohl in der Welt keinen Sultan, der sich das bieten ließe.«

»Aber ich wollte sagen,« erwiderte die [189] Sultanin, »dass alle die aufrührerischen Gedanken, welche Almaide und Mocles beherrschten, mit einer äußersten Schnelligkeit einander folgten, und wenn Sie gütigst davon denken wollten, so würden Sie sehen, dass alles, was Amanzei Ihnen nur in einer viertel Stunde gesagt, auch nicht zwei Minuten ihren Entschluss aufschieben durfte.« »Nun gut,« erwiderte der Sultan, »so ist der Erzähler dann ein Vieh, wenn er so viel Zeit dazu braucht, um darzustellen, was zwei Leute, von denen er spricht, mit so viel Raschheit dachten.«

»Ich möchte wohl,« erwiderte sie, »dass Sie genöthigt wären, sich dieses auszumalen.« »Ich habe meine Gründe zu glauben, dass ich recht gut damit zu Stande käme,« versetzte er, »aber ich würde es noch besser machen, denn das, was ich so schwer zu sagen fände, möchte ich keine Umstände machen, es zu übergehen.«

»Die Gedanken, in welche Mocles vertieft war, seine Wünsche, die Anstrengungen, die er machte, um sie zu unterdrücken, das Vergnügen, mit welchem er sich ihnen hingab, [190] gaben ihm ein so ernstes und nachdenkliches Aussehen, dass es Almaide endlich an der Zeit fand, ihn zu fragen, was ihm fehle, dass er so lange schweige.«

»Ich fürchte,« fügte sie hinzu, »dass Du Dir düstere Gedanken machest.«

»Du hast Recht,« versetzte er, und es ist die Erzählung, die Du mir eben gemacht, die erzeugte sie bei mir.

Almaide schien erstaunt darüber, was er ihr sagte.

»Sei nicht überrascht,« fuhr er fort, »und sei auch nicht verletzt über das, was ich Dir sagen werde, wie außergewöhnlich es auch in meinem Munde klingen wird. Ich bin außer mir, dass dieser junge Wagehals, der Dich so wenig schonte, nicht die Zeit hatte sein Vergehen zu vollenden.«

»Ach, Mocles,« rief sie aus, »und warum?«

»Weil,« antwortete er, »Du im Stande wärst die Zweifel zu beruhigen, welche mich schon seit lange quälen, und die Du mir eben in ihrer ganzen Stärke wiedergegeben hast, und welche unsere gegenseitige Unerfahrenheit [191] immer fortbestehen lassen wird, da Du auf meine Fragen nicht antworten können wirst, und da es für mich zu gefährlich wäre, eine andere Person als Dich über das, was mich erregt, zu befragen.«

»Es ist sicher,« antwortete sie, »dass Du mir alles sagen kannst, ohne etwas zu wagen.«

»Eben dieses ließ mich wünschen, Du wärest mehr gelehrt, denn da Du so viel Vertrauen in mich hast, so wie ich in Dich, würdest Du mir gewiss nichts verbergen. Wenn ich an Deiner Freundschaft und an der Art, wie Du auf meine Verschwiegenheit rechnest, hatte zweifeln können, die Wahrheit, mit welcher Du mir eben Deine geheimsten Regungen anvertraut, hätte mich davon überzeugt.«

»Lass uns denn wissen, was Dich bewegt,« versetzte sie, »vielleicht kommen wir durch eine Unterredung zu Ende.«

»Oh, nein!« unterbrach er sie, »Du könntest mir nur Vermuthungen geben; und das, was mich bewegt, ist von einer solchen Natur die vollkommenste Gewissheit zu [192] fordern. Ohne Dich mehr zu beunruhigen, will ich Dir sagen, was es ist, and Du wirst beurtheilen, ob es mir gleichgiltig sein soll, indem Du so wie ich denkst, über einen solchen Artikel in einer so tiefen Unwissenheit zu sein. Übrigens ist Dein Interesse mit meinem verbunden, da es nicht möglich ist, so tugendhaft wie Du auch seist, dass Du nicht, gleich mir, von demselben Gedanken gequält bist.«

»Du erschreckst mich,« sagte Almaide, »rede, ich beschwöre Dich.«

»Nun gut!« sagte er. »Ich denke, dass es wohl möglich ist, wir haben sehr wenig Verdienst, indem wir uns nie vom Pfade der Tugend entfernt.«

»Wäre es möglich?« rief sie aus, und zwar in einem ziemlich gereizten Tone, weil das Gespräch eine so ernste Wendung nahm.

»Gewiss,« erwiderte er, »ich will Dich davon überzeugen. Du hast nie die Wonne der Liebe empfunden, denn was auch immer Du davon glaubst, so ist es nicht zu bezweifeln, dass eben das, was Dir mit diesem jungen Manne begegnete, Dir davon doch nur eine sehr unvollkommene Idee gegeben [193] hat. Ich habe sie immer geflohen, aber Du wirst sagen, wir haben Verlangen gehabt, und haben sie besiegt, indem wir sie unterdrückten.«

»Ist es denn ein so großer Sieg, wussten wir, was wir wünschten? Sind wir auch sicher, Verlangen gehabt zu haben? Nein, unser Hochmuth hat uns getäuscht; das, was wir für Verlangen hielten, waren nur leichte Versuchungen. Vielleicht hatten wir uns aus Unwissenheit darüber getäuscht, gäbe es der Himmel! aber wenn es wahr ist, wie ich es wohl fürchte, dass das einzige Trachten, unsere Triumphe zu übertreiben oder zu glauben, dass wir deren davontrugen, uns dar über getäuscht, in welch schuldigem Irrthum haben wir gelebt!«

»Wir schmeichelten uns tugendhaft zu sein, während wir vielleicht unvollkommener waren als diejenigen, welche wir zu tadeln wagten, und dass wir durch unsere Eitelkeit ein Laster mehr als sie hatten.«

»Das ist wahr,« sagte Almaide, »Du machst da eben eine betrübende Betrachtung.«

»Nicht erst seit heute quält sie mich,« versetzte er mit trauriger Miene, und umsomehr, [194] da es nur ein einziges Mittel gibt, um mich von meinem Zweifel zu heilen das, so einfach es ist, deshalb doch nicht weniger gefährlich ist.

»Nun,« fragte sie ihn »ich möchte doch um alles in der Welt wissen, was Du gedacht hast.«

»Man muss Dich so kennen, wie ich Dich kenne,« antwortete er, »um nicht zu fürchten, es Dir zu sagen. Wir glauben tugendhaft zu sein, Du und ich; aber so wie ich es Dir vorhin sagte, wir wissen wirklicht nicht, was daran ist.«

»Worin besteht die Tugend? In der gänzlichen Entbehrung der Dinge, die am meisten die Sinne schmeicheln. Wer kann wissen, was sie am meisten reizt, nur der allein, welcher alles genossen. Wenn das Gewissen des Vergnügens uns dasselbe kennen lehrt, dann kennt derjenige es nicht, welcher es nie erfahren; was also kann er opfern? Nichts, eine Chimäre, denn wie anders soll man eine Sache benennen, die man nicht kennt? und wenn, wie es bestimmt entschieden ist, die Schwierigkeit des Opfers allein ihren Preis ausmacht, welches Verdienst [195] kann derjenige haben, der nur eine Idee opfert? Aber nachdem man sich den Vergnügungen hingegeben hat, und einen Gefallen daran gefunden hat, dann auf dieselben verzichten, sich selbst aufopfern, das ist die große, die einzige, die wahre Tugend, und es ist diejenige, die weder Du noch ich sich schmeicheln können zu haben.« »Ich sehe es nur zu gut ein,« sagte Almaide »dass es wahr ist, wir können uns dessen nicht rühmen.«

»Dennoch haben wir uns ihrer gerühmt,« antwortete lebhaft Mocles, der fürchtete, dass wenn er Almaide Zeit zur Überlegung ließe, sie es fühlte, wie sehr seine Beweisführung falsch sei; »wir wagten es zu glauben, und von diesem Augenblicke an sind wir des Hochmuths schuldig. Es freut mich sehr, und ich lobe Dich dafür, dass Du es fühlst, so lange man nicht im Stande ist einen genauen Vergleich zwischen Laster und Tugend zu machen, kann man nur von einem und dem andern einen falschen Begriff haben. Übrigens ist das Übel, so groß es auch sei, nicht das einzige, man wird unaufhörlich von dem Wunsch gequält, das zu erfahren, [196] was man hartnäckig nicht wissen wollte. Wenn unsere Seele wüsste, woran sie sich zu halten hat, betreff dessen, was sie zu kennen wünscht, dann wäre sie ruhiger, vollkommener. Man muss das Laster kennen, sei es, dass man weniger beunruhigt ist bei Ausübung der Tugend, sei es, dass man der seinen sicher sei.«

Almaide blieb einen Augenblick verzagt, aber das Verlangen, welches sie fühlte, sich über die Wollust zu belehren, oder sich ihr ganz hinzugeben, trug den Sieg über ihrem Schrecken davon, dass sie endlich mehr überrascht, als erschrocken über das war, was sie eben gehört hatte.

»Du glaubst also,« sagte sie mit zitternder Stimme, »dass wir dadurch vollkommener wären?«

»Aber wahrlich,« erwiderte er, »ich bezweifle es nicht; denn, betrachte gütigst die Lage, in der wir uns befinden.«

»Ich sehe es nur zu sehr ein,« sagte sie, »sie ist wirklich erschrecklich!«

»Erstens,« sagte er, »wissen wir ja nicht, ob wir tugendhaft sind, da wir über Leute, die so wie wir denken, betrübt sind.«

[197] »Wie grausam auch dieser Zweifel ist, ist er doch nicht das einzige Unglück, welches unsere Lage mitführt: Es ist nur zu sicher, dass, zufrieden mit der Lage, welche wir uns auferlegt, es gibt vielleicht tausend andere, wesentliche Dinge, über welche wir uns hinweggesetzt zu beobachten; demzufolge im Schatten einer Tugend, welche wohl nur eingebildet sein könnte, haben wir wirkliche Laster begangen, oder (das, was ohne dieselbe Wichtigkeit zu sein, dennoch bedeutende Unzukömmlichkeiten hat) wir haben versäumt gute Handlungen zu machen.«

»Leget verschiedene Lasten einem Menschen zur Wahl vor, es ist nicht zu zweifeln, dass er die leichteste auf sich nehmen wird.«

»Ich höre Dir zu,« sagte sie seufzend, »Du wolltest damit sagen, dass wir dasselbe gethan. Wie vielen Zweifeln lieferst Du mich aus,« fuhr sie fort, die Augen niederschlagend; »und wie soll man nicht davon gequält sein, wenn das einzige Mittel, welches man hat, um von ihnen befreit zu werden, in uns selbst solche Zweifel erweckt.«

»Dieses Mittel,« versetzte er lebhaft, »ist im Grunde weniger zu fürchten, als es erscheint. [198] Ich vermuthe, und es gäbe der Himmel, ich vermuthete nichts, dass unserer Ungewissheit müde, und wohl fühlend, dass es unsere Pflicht ist, uns davon zu befreien, wir das Vergnügen kennen wollen, um seine Reize selbst zu beurtheilen; und was für eine Gefahr läge dann in diesem Versuche, vielleicht die, uns nicht mehr von demselben losreißen zu können, wenn wir es erkannt hätten? Ich gestehe, es wäre eine Gefahr darin für schwächere Seelen, aber es scheint mir, dass ohne Vorurtheil wir auf uns selbst rechnen können.«

Diese Darstellung, welche Almaide ohne Zweifel verabscheut hätte, wenn sie mehr bei sich gewesen wäre, machte auf seine Seele, die, um zu unterliegen, nur auf den Schein einer Entschuldigung wartete, den ganzen Eindruck und die Wirkung, die der unglückliche Mocles sich davon versprach.

Nachdem sie ihn eine Zeit mit unsicheren und traurigen Augen angesehen hatte, sagte sie: »Ich fühle wie Du die Nothwendigkeit dieses Beweises, aber mit wem könnten wir diese Probe in Sicherheit unternehmen?«

Bei diesen Worten neigte sie sich schmachtend[199] über Mocles, der sich ihr nach und nach genähert hatte, so dass er sie in diesem Augenblicke in seinen Armen hielt.

»Ich glaube,« sagte er ihr, »dass, wenn wir es wagen wollten, so könnte es nur [200] zwischen uns beiden geschehen: Wir sind einer des andern sicher, und wir können nicht zweifeln, dass es nur geschieht, indem wir die Tugend suchen, dass wir uns zu Handlungen entscheiden, welche sie zu verletzen scheinen, wir sind sicher, uns eine Regung der Neugierde nicht zur Gewohnheit zu machen, welche nur von einem so guten Vorsatz ausgeht. In welcher Art es auch sein mag, so werden wir doch dabei gewinnen, da die Erinnerung an unseren Fall uns vor dem Hochmuth schützen wird.«

Obzwar Almaide nichts antwortete, schien sie noch ungewiss; Mocles, der sie um jeden Preis sich ergeben sehen wollte, widerstand ihr, um sie endlich zu besiegen, diesen Versuch unternahm er nur geradeweise; endlich sagte er, dass wenn sie bei ihrem ersten Versuch genug Wollust fänden, um ihren Zweifel festzustellen, so gingen sie nicht weiter.

»Sie willigte ein; bald vergaßen sie sich und erregten ihre Wünsche durch Dinge, die, obgleich ohne Anmuth und mit Unschicklichkeit, über ihre Sinne nichtsdestoweniger [201] Herrschaft nahmen; sie ließen den Vertrag, den sie schlossen, außer Acht.

Beide fanden zu viel oder zu wenig in dem, was sie fühlten, sie hielten es für richtig fortzusetzen, oder konnten nicht mehr aufhalten, und ...«

»Auf einmal bist Du was anderes geworden,« unterbrach der Sultan.

»Nein, Sir,« antwortete Amanzei.

»Ich kann das nicht begreifen,« erwiderte Schah-Baham »und ich weiß wohl warum, weil dieses unbegreiflich ist; denn es ist nicht zu bezweifeln, dass sie nicht alles hatten, was nur Brama verlangte.«

»Ich glaubte zuerst, wie Euere unbesiegbare Majestät,« erwiderte Amanzei; »wenigstens einer von Beiden hätte den anderen beherrschen sollen.«

»Ich bilde mir ein, dass Du sehr böse sein musstest,« versetzte der Sultan, »und sage mir, welchen von beiden misstrautest Du am meisten?«

»Die Erzählung von Almaide ließ mich großen Verdacht gegen sie schöpfen und die Unwissenheit, welche sie an den Tag legte, als sie sich Mocles ergab, obgleich sie außerordentlich [202] war, verhinderte mich nicht zu glauben, dass sie, als sie ihm die Erzählung ihres Abenteuers machte, den Umstand vorausgesetzt, der mich in meinem Gefängnisse zurückhielt.«

»Da seht die Frauen!« rief der Sultan aus, »oh, ja! Deine Vermuthung ist richtig! Nun gut! ich habe nichts dazu gesagt, aber ich hätte gewettet, dass sie nicht alles sagte; wenn ich mich dessen gerühmt habe, so gibt es hier Leute, die mich beschuldigt hätten, den starken Geist zu spielen. Geh, geh, sei dessen sicher; sie war es, die es verhinderte, dass Du nicht befreit wurdest.«

»Die Sache, wie wahrscheinlich sie auch ist,« antwortete Amanzei, »so scheint sie doch einige Schwierigkeiten zu haben; Mocles schien mir doch sehr viel Erfahrung für einen Mann zu haben, der bis jetzt für so fehlerfrei galt.«

»Dies ändert die These,« sagte der Sultan, »denn ... ah ja! man sieht es wohl, er war es.«

»Aber verständigen Sie sich doch,« sagte die Sultanin; »sie war es, er war es, [203] warum, ohne sich so sehr zu quälen, glaubt Ihr nicht, dass sich Beide verstellt haben?«

»Sie haben recht,« erwiderte der Sultan, »streng genommen, könnte es sein; es scheint mir jedoch, dass es besser wäre, wenn es einer oder der andere sei, ich weiß nicht warum, aber es möchte mir so besser gefallen. Lass sehen, was sagten sie hernach? Das interessiert mich nicht am wenigsten.«

»Der erste, der aus seiner Verwirrung zu sich kam, war Mocles; er kam mir anfangs wie erstaunt darüber vor, dass er sich in der Umarmung Almaidens befand, und als seine Vernunft nach und nach Oberhand gewann, folgte auf das Erstaunen der Abscheu. Er konnte das, was er sah, gar nicht begreifen; er bemühte sich, daran zu zweifeln, und gab sich der Täuschung hin, dass ein böser Traum ihm so unschöne Dinge zeigte.«

Bestürzt über sein Unglück bereute er und stellte sich alles vor, was er gethan hatte, um Almaide zu verführen, wie sehr ihn seine verbrecherische Leidenschaft verblendet hatte, und wie sehr sie ihn stufenweise [204] verdorben hatte; er verfiel in den bittersten Schmerz.

Endlich öffnete auch Almaide ihre Augen; sie war noch erregt und unterschied die Lage noch nicht so gut wie Mocles, sie war zuerst mehr zerstreut als betrübt.

Es sei, dass die Verzweiflung, in der sie ihn sah, sie ihren Fall deutlich fühlen ließ, es sei, dass sie selbst erkannte, was [205] sie sich vorzuwerfen hatte. »Ah, Mocles,« rief sie weinend aus, »Du hast mich entehrt!«

Mocles gestand es, er klagte sich an, sie verführt zu haben, bemühte sich, sie zu trösten, und sprach mit ihr wie ein Mann, der tief gedemüthigt war über die Gefahr, die darin liegt, wenn man zu viel auf seine Selbstbeherrschung rechnet.

»Endlich, nachdem er ihr alles gesagt hatte, was der lebhafteste Schmerz und die aufrichtigste Reue eingeben kann, nahm er für immer Abschied von ihr und entfernte sich, ohne es zu wagen, sie anzusehen.

Nachdem Almaide allein geblieben, verbrachte sie die ganze Nacht weinend und warf sich alles, selbst den Vorwurf, den ihr Mocles gemacht hatte und in welchem sie zu viel Eitelkeit fand, vor.

Mocles entschloss sich am nächsten Tage zur strengsten Zurückgezogenheit.«

»Nun endlich entschließe ich mich zu glauben,« unterbrach der Sultan, »dass er es nicht war.«

»Und Almaide,« fuhr Amanzei fort, »folgte nach einigen Tagen seinem Beispiele.«

[206] »Dieses stört mich,« erwiderte der Sultan, »sie hätte es nicht sein sollen. Nie hat sich eine schwerer zu entscheidende Frage meinem Geiste dargeboten und ich überlasse es jenem, dieselbe zu lösen, der es im Stande sein wird.«

10. Kapitel
[207] [209]Zehntes Kapitel.

Oder man wird unter anderen Dingen die Art finden, die Zeit zu tödten.


Wie sehr ich auch Gefallen an der Moral fand, so fing ich mich dennoch an bei Almaide zu langweilen, als Mocles sie verführte. Einen Tag später wäre ich mit der Überzeugung fortgegangen, dass es in Agra wenigstens zwei gefühllose Frauen gibt: Glücklicherweise bewahrte mich meine Geduld vor einem falschen Gedanken.

Nachdem ich Almaide verlassen hatte, irrte ich lange herum; die Lächerlichkeiten und Laster einer Art, die mir schon bekannt waren, versprachen mir wenig Vergnügen, [209] und ich vermied sorgfältig jene Häuser, wo alles ein anständiges und geregeltes Aussehen hatte.

Meine Irrfahrten führten mich in eine Vorstadt von Agra, welche aus sehr verzierten Häusern bestand; das, für welches ich mich entschied, gehörte einem jungen Herrn, der nicht darin wohnte, der aber manchmal incognito dahin kam.

Des anderen Tages, als sich meine Seele im Sopha niederließ, sah ich gegen Abend eine Dame hereinkommen, welche ich nach der Pracht und noch mehr ihrem edlen Aussehen nach für eine Frau von sehr hohem Range hielt.

Meine Augen waren von ihren Reizen geblendet; noch auffallender als Phenime, hatte sie dieselbe Bescheidenheit und eine so sanfte Physiognomie, dass ich sie nicht ansehen konnte, ohne mich für sie lebhaft zu interessieren.

Nach dem Aussehen, wie sie in das Kabinet, wo ich war, eintrat, schien es, dass sie über den Schritt, den sie gemacht, erstaunt war; sie sprach nur zitternd mit dem Sklaven, der sie führte, und ohne die Augen zu erheben, [210] setzte sie sich träumerisch auf mich nieder, aber mit so viel Sehnsucht, dass es mir nicht schwer wurde zu errathen, welche die Regung war, die sie einnahm.

Kaum war sie allein und sich selbst überlassen, so gab sie sich den traurigsten Betrachtungen hin; nachdem sie mehrmals geseufzt hatte, füllten sich ihre schönen Augen [211] mit Thränen. Ihr Schmerz war eher zärtlich als lebhaft, sie schien eher ein Unglück zu beweinen als dasselbe zu fürchten.

Kaum hatte sie ihre Thränen getrocknet, als ein sehr schöner junger Mann, mit Ungestüm und singend, in das Kabinet trat. Seine Gegenwart schien sie gänzlich zu verwirren; sie erröthete, ihre Augen schweiften über ihn hinweg, und indem sie ihr Gesicht verbarg, versuchte sie ihm ihre Verlegenheit zu verheimlichen.

Er näherte sich ihr zwar ohne Zärtlichkeit, aber auf die galanteste Weise und warf sich ihr zu Füßen.

»Ah, Zephis,« sagte er zu ihr, »täuschen mich meine Augen nicht, ist es wirklich Zephis, die ich hier sehe? bist Du es? Du, die ich anbete, und worauf zu hoffen ich fast nicht wagte! Wie, bist Du es, die ich in meinen Armen halte?«

»Ja,« antwortete sie seufzend, »ich bin es, die niemals hierherkommen sollte, und die vor Scham stirbt, dennoch hier zu sein!«

»Wie lieb machst Du mir diese Einsamkeit,« rief er aus, ihr die Hand küssend.

[212] »Ah,« antwortete sie, »wie sehr werde ich es eines Tages bereuen.«

»Die Beweise, welche ich Dir hier von meiner Schwachheit gebe, werden für mich um so [213] grausamer sein, je mehr sie aus Deinem Gedächtnis schwinden werden; und sie werden aus Deinem Gedächtnisse entschwinden, Mazulhim; oder wenn Du Dich daran erinnerst, so wird es nur geschehen, um mich zu verachten, für das, was ich für Dich gethan habe.«

»Aber, welch ein Irrthum!« rief er in einem scherzhaften Tone aus, »wie kannst Du, so schön wie Du bist, Dir solche Chimären bilden; in Wahrheit weißt Du, dass ich nie jemanden so zärtlich geliebt habe, als Dich; und Du zweifelst an meinen Gefühlen!«

»Nein, ich habe nicht das Glück, daran zu zweifeln,« versetzte sie traurig; »ich weiß, dass Du weder beständig noch treu sein kannst; ich zweifle selbst daran, dass Du zu lieben verstehst; dennoch liebe ich Dich, ich habe es Dir gesagt, und ich komme an diesen Ort, um es Dir zu wiederholen. Ich fühle meine Schwäche vollständig und bedauere mich selbst deshalb, ich sehe alle Folgen davon, und dennoch gebe ich nach. Meine Vernunft zeigt mir alles, was ich zu fürchten habe, meine Liebe lässt mich allem trotzen.«

[214] »Aber in der That,« antwortete er, »weißt Du denn, dass Du mir grausam Unrecht thust, nicht zu sehen, wie zärtlich ich bin?«

»Ah, Mazulhim,« rief sie aus »so fühlst Du, was ich Dir opfere, und so beruhigst Du mein Herz!«

»Ich liebe Dich, Mazulhim; wenn Du mich besser kenntest, so würdest Du nicht daran zweifeln. Dieses Herz, welches Dich anbetet (Du kannst darüber nicht in Ungewissheit sein), es hat nie Jemanden anderen angehört, als Dir; sage mir, dass Du wünschest, es sei immer so. Wenn Du wüsstest, wie sehr ich es nöthig habe zu glauben, Du liebest mich, dann würdest Du Dich nicht weigern, es mir zu sagen; selbst wenn es nur aus Menschlichkeit wäre. Du allein machst mein Glück aus, Dich zu sehen, Dich immer zu lieben, das ist mein einzig Gut und mein einziger Wunsch. Wäre es denn wirklich wahr, dass Du unfähig seist, an mich so zu denken, wie ich an Dich denke?«

»Ah!« rief er aus, »ich widerspreche Dir ...«

»Mazulhim,« unterbrach sie »überlasse [215] es mir, Dich zu rechtfertigen, ich werde damit besser zu Stande kommen, als Du selbst, denn ich habe mehr Verlangen zu glauben, dass Du mich liebst, als Du, um mich davon zu überzeugen.«

»Madame,« versetzte er mit ernster und gerührter Stimme »ich fühle mich genug unglücklich, dass die Beweise meiner Zärtlichkeit, die ich Dir seit sechs Monaten zu liefern trachtete, Dich davon so wenig überzeugt haben.«

»Ich fühle wohl, dass eine außerordentliche Liebe, wie die, welche ich das Glück hatte, Dir einzuflößen, nie ohne ein wenig Misstrauen besteht; wenn das, welches Du mir beweisest, nur mich allein quälen möchte,« fügte er hinzu, indem er sie in seine Arme schloss, »würde ich mich weit weniger beklagen, und das Vergnügen, Dich so zart zu finden, möchte mich vergessen machen, wie sehr Du ungerecht bist; aber es handelt sich da um Deine Ruhe, und wenn Du von meinen Gefühlen eine Ahnung hättest, so würdest Du leicht glauben, dass mir Deine Ruhe unendlich viel theuerer ist, als die meine.«

[216] Indem er diese Worte zu Ende sprach, wollte er sich mit Zephis die zärtlichsten Freiheiten erlauben, aber sie wehrte sich auf eine so entschiedene Art, dass er nicht mehr glauben konnte, sie ziere sich nur zum Schein; er schaute sie mit Erstaunen an.

»Nun was! Zephis,« sagte er ihr, »so beweisest Du mir Deine Zärtlichkeit? sollte ich mich auf so viel Gleichgiltigkeit vorbereiten?«

»Mazulhim,« sagte sie weinend, »höre mich gütigst an. Ich bin hierhergekommen, obzwar ich wohl wusste, wessen ich mich aussetze, und Du würdest mich weniger Thränen vergießen sehen, wenn ich nicht entschlossen wäre, mich Deiner Zärtlichkeit hinzugeben; ich liebe Dich, und wenn ich den Regungen meines Herzens nachgebe, so wäre ich jetzt in Deinen Armen; aber Mazulhim, dazu ist es noch Zeit, und wir sind noch nicht genug vertraut miteinander. Es wäre zu jeder Zeit schrecklich für mich, zu erfahren, dass Du mich nicht liebst; aber bedenke, wie sehr ich mich über Dich zu beklagen hätte, wenn ich es dann erst erführe, [217] bis meine Schwäche Dir nichts mehr zu wünschen übrig ließe.«

»Von dem Wunsche zu gefallen beherrscht, durch die Erfolge, welche nicht zu leugnen sind, an Unbeständigkeit gewöhnt, suchst Du nur zu siegen, und willst nicht lieben.«

»Vielleicht hast Du meinen Besitz ohne Neigung für mich angestrebt. Prüfe Dein Herz genau, Du bist Herr meines Geschickes, und ich verdiene es nicht, dass Du dasselbe unglücklich gestaltest. Wenn es nicht die zärtlichste Liebe ist, die Dich an mich fesselt, mit einem Worte, wenn Du mich nicht so liebst, wie ich Dich liebe, so fürchte Dich nicht, es mir zu gestehen; ich werde nicht erröthen, das Opfer der Liebe zu sein, aber ich würde vor Schmach und Schmerz sterben, wenn ich nur als Gegenstand einer Laune angesehen wäre.«

Obzwar diese Worte und die Thränen, welche Zephis vergoss, Mazulhim nicht rührten, so ließen sie ihn dennoch einen weniger kalten Ton anschlagen, als den, welchen er früher ihr gegenüber annahm.

»Wie sehr betrüben mich Deine Befürchtungen,« sagte er ihr, »aber wie wenig [218] verdiene ich sie! Ist es möglich, dass Du Dir einbildest, ich stelle Dich mit jenen verächtlichen Wesen gleich, die allein mich bis zu diesem Tage beschäftigten? Ich gestehe, dass die Art, nach der ich lebte, zu Deinem Verdachte Grund geben konnte. Zephis, wolltest Du, dass ich die Schmach noch dazu fügte, jene Frauen, welche meine Mußestunden ausgefüllt, geliebt zu haben?«

»Es ist wahr, dass ich der Liebe auswich, was konnte ich besseres thun, um ihr zu entgehen, als mit solchen Frauen, die keine Sitten und keine Grundsätze hatten, zu leben, welche mich durch ihre schlechten Charaktere vor der Gefahr einer Leidenschaft schützten.«

»Ich bin, wie Du sagst, durch meine Erfolge an die Unbeständigkeit gewöhnt?«

»Schätzest Du mich so gering, um zu glauben, dass ich, bevor ich Dich berührte, mir schmeichelte, deren viele gehabt zu haben? Es gibt unter diesen Siegen, auf die Du mich so stolz sein glaubst, keinen, der mich nicht in meinem Innersten unbefriedigt gelassen hätte; und schließlich keinen, den ich nicht um den Preis meines Herzblutes davongetragen [219] zu haben wünschte, wenn er mich Deiner würdiger macht!«

Zephis schien bei diesen feurigen Worten Mazulhim's ein wenig beruhigt zu sein, sie überließ ihm ihre schöne Hand, indem sie ihre Augen mit einem so zärtlichen und sprechenden Ausdruck auf ihn heftete, den allein die Liebe zu geben vermag.

»Ja, Zephis,« fuhr Mazulhim fort, »ich liebe Dich, ach, wie sehr! Mit welchem Entzücken fühle ich es jetzt, zu Deinen Füßen, dass es selbst in den glühendsten Ergüssen die wahre Liebe war, der ich opferte! Ach, wie süß ist es für mich, sie nun zu fühlen und sie nur durch Dich allein zu kennen! – Ohne Deine Reize, selbst ohne Deine Tugenden hätte ich ohne Zweifel niemals dieses hohe Gefühl gekannt, dem ich mich so lange widersetzte, bis ich Dich erkannte. Dir allein verdanke ich diese göttliche Wonne, und nur für Dich allein will ich ewig von diesen hohen Gefühlen erfüllt sein!«

»Ah, Mazulhim!« rief sie aus, »wie glücklich wären wir, wenn Du wirklich so dachtest, wie Du sprichst, wenn es wahr [220] wäre, dass Du mich liebest, dass Du mich stets lieben wirst!«

Bei diesen Worten neigte sie sich über Mazulhim und indem sie ihn in ihre Arme schloss, neigte sie ihr Haupt zu dem seinen.

Die zärtlichste Trunkenheit spiegelte sich [221] in ihren Augen, und bald erfüllte Mazulhim ihre ganze Seele.

Götter, welche Blicke, ich sah solche nur bei Phenime.

»Du zweifelst nicht daran, dass ich Dich liebe,« sagte sie, indem sie ihm den schwächsten Widerstand bot, »aber kannst Du nicht ...«

»Ach, Zephis,« sagte er, »kannst Du immer noch fürchten, mir Deine Zärtlichkeit zu beweisen?«

Zephis seufzte und antwortete nichts.

Sie war mehr von ihrer eigenen Leidenschaft beherrscht, als sie von der Liebe des Geliebten überzeugt war, und gab endlich seinem Verlangen nach. Oh, überglücklicher Mazulhim, welche Reize boten sich Deinem Blicke dar, und wie sehr erhöhte die Keuschheit Zephis ihren Wert.

Auch schien mir Mazulhim darüber sehr überrascht; er staunte über alles, und fand alles zu küssen; ich war fern davon, die Bewunderung, in die er versunken war, zu verdammen, denn ich theilte sie mit ihm, nur schien es mir, dass die Lage, in welcher er sich befand, zu lang dauerte.

Es ist wahr, je zartfühlender man ist, [222] umsomehr erfreut man sich über unbedeutende Dinge. Ich hatte von Mazulhim eine ziemlich gute Meinung, und die Verblüfftheit, in der ich ihn sah, schrieb ich den Reizen Zephis zu, welche diesen Gedanken rechtfertigte.

Wahrscheinlich glaubte Zephis dasselbe, und noch länger als ich.

Ich begriff nicht, wie die Glut eines so zärtlichen Liebhabers, der es so eilig hatte, glücklich zu werden, sich in dem Momente abschwächte, wo er den größten Grund hatte, sein Entzücken zu vergrößern. Er war lebhaft, ohne feurig zu sein; er lobte, er bewunderte beständig. Aber kann denn ein Liebender nur durch Lobsprüche seine Wünsche ausdrücken?

Obzwar Mazulhim mit großer Geschicklichkeit sein Missgeschick zu verdecken suchte, bemerkte Zephis doch den geringen Erfolg ihrer Reize, sie schien darüber weder überrascht noch erzürnt, und indem sie ihre schönen Augen ihrem Geliebten zuwandte, sagte sie ihm mit dem süßesten Lächeln:

»Stehe auf, ich bin noch glücklicher, als ich es dachte!«

[223] Nach diesen Worten, die ihm beschimpfend erschienen, wollte Mazulhim Zephis beweisen, dass er die Meinung, welche sie von ihm hatte, nicht verdiene.

Er war gezwungen, sich zu rechtfertigen.

»Wahrhaftig, Madame,« sagte er in einem Tone, der mich lachen machte, »Du hast mich betrübt.«

»Deine Verlegenheit belustigt mich, aber Dein Schmerz würde mich beleidigen; es wäre zu grausam für mich, wenn Du mein Herz verwundet glaubtest ...«

»Ah, Zephis!« unterbrach Mazulhim, »wie schwer ist es, Dir Unrecht zu thun, und schwer sich zu rechtfertigen.«

»Höre doch auf, Dich zu betrüben,« erwiderte Zephis zärtlich; »ich glaube, dass Du mich liebst, ich glaube es, aber erst seit einem Augenblick und Du konntest mir Deine Zärtlichkeit nicht besser beweisen, als durch die Dinge, welche Du Dir vorwirfst.«»Ah! das ist, wie man so sagt, gut reden,« sagte der Sultan; »aber im Grunde ihrer Seele war diese Dame gewiss nicht zufrieden. Erstens, weil diese Sache an und für sich betrübend ist, und weil, wie es [224] scheint, das, was alle Frauen betrübt, nicht eine unter ihnen belustigen wird, oder, das wirst Du wohl zugeben, sie müsste sehr launenhaft sein. Übrigens könnte man wohl sagen, dass es keine sehr angenehme und tröstende Sache ist, wenn einem das geschieht.«

»Da fällt mir eben ein (ich war noch sehr jung), es war eine Frau.«

»Ich will Euch nicht sagen, wie das geschah; wir waren dennoch beide ... in Wirklichkeit hätte ich mir niemals misstraut; und da plötzlich ... ich weiß nicht recht, wie ich Euch das erklären könnte. Nun gut! Ich konnte ihr die schönsten Liebeserklärungen der Welt machen, je mehr ich in sie hineinsprach, umso mehr weinte sie. Ich habe das nur einmal gesehen, aber es ist wahr, dass dies eine sehr rührende Sache war.«

»Ich sagte ihr unter anderen Dingen, dass man an nichts verzweifeln müsse, und dass ich es nicht vorsätzlich gethan hätte.«

»Ei, hören Sie mit ihrer grausamen Geschichte endlich auf,« unterbrach die Sultanin.

»Ich finde es sonderbar,« erwiderte [225] Schach-Baham, »dass es mir nicht gestattet sei, eine Erzählung zum besten zu geben, und besonders zu Hause. Seitdem, wie ich Euch sagte,« fuhr er fort, »habe ich ein für allemal den Schluss gefolgert, dass es kein Weib gebe, welcher diese Sache nicht ein gewisses Vergnügen verursachte, folglich auch die Dame des Mazulhim, welche so schöne Dinge sagte.«

»Wenn sie auch noch so sehr geliebt hätte, sollte sie es doch nicht sagen,« unterbrach die Sultanin, »das ist gewiss; aber wisset doch, dass das, was Ihr für eine Frau so ärgerlich haltet, sie mehr in Verlegenheit setzt, als betrübt.«

»Ah, ja!« erwiderte der Sultan, »ich hätte zum Beispiel nur ... aber haben Sie keine Furcht! fahre fort, Emir.«

»Wie bestürzt auch Mazulhim über sein Abenteuer war, schien es mir, dass er es noch mehr über die Art sei, womit es Zephis aufnahm.«

»Wenn mich etwas über dieses schreckliche Missgeschick trösten kann,« sagte er ihr, »so ist es zu sehen, dass es über, Dein Herz nichts vermag; wie viele Frauen würden [226] mich verabscheuen, wenn sie sich ebenso über mich zu beklagen hätten.«

»Ich gestehe Dir,« antwortete Zephis, »dass ich vielleicht ebenso wie sie handeln würde, wenn ich diesen Unfall Deiner Kälte zuschreiben könnte; wenn aber, wie Du mir versicherst und wie ich es glaube, die Liebe allein Deine Sinne verwirrt, so finde ich in diesem Abenteuer tausend Dinge, die für mich schmeichelhafter sind, als alle Deine Liebesbeweise.«

»Ich liebe Dich zu sehr, um nicht zu glauben, dass Du mich liebst, vielleicht bin ich auch zu eitel,« fügte sie lächelnd hinzu, »um mir einzubilden, dass die Schuld an mir liegt; aber was auch der Grund meiner Nachsicht sei, was wahres daran ist, dass ich Dir verzeihe. Ich versichere Dich übrigens, dass ich über den einfachsten Verdacht in Bezug auf Deine Treue weniger beruhigt bin, als über das, was Du ein Verbrechen nennst. Ja, Mazulhim, bleibe mir treu, und möchte ich Dich doch immer so finden, wie Du es gegenwärtig bist. Das, was ich an dem, was Du Vergnügen nennst, verlieren möchte, würde ich es nicht wieder [227] in der Gewissheit, dass Du beständig bliebest, wiederfinden?«

Während Zephis sprach, versäumte Mazulhim nichts, um sein Missgeschick wieder gut zu machen.

Zephis gab sich seinem Verlangen mit einer Gefälligkeit hin, welche er in seinem Innern vielleicht nicht billigte.

Diese Gefälligkeit wurde selbst zärtlicher, und nahm unmerklich zu. Zephis sträubte sich weniger oder gewährte alles mit mehr Nachsicht, ihre Augen strahlten in einem Feuer, welches ich noch nicht an ihnen sah; es schien, dass sie sich nur in diesem Augenblicke wahrhaft ergeben hatte: sie hatte bis jetzt nur das Liebesdrängen Mazulhims geduldet, jetzt theilte sie es. Dieser vom ersten Augenblick unzertrennliche Widerstand, welchen so viele Frauen zur Schau tragen und nicht fühlen, hatte aufgehört.

»Zephis erduldete ohne Verlegenheit die Lobpreisungen Mazulhims, und schien selbst zu wünschen, ihm Grund zu neuen zu geben; sie erröthete, es war nicht die Keuschheit, die sie erröthen machte; ihre Blicke wandten sich nicht mehr von dem Gegenstande [228] ab, der sie zuerst verletzen schien; das Mitleid, welches ihr Mazulhim einflößte, hatte endlich keine Grenzen mehr; jedoch ...«

»Ah, ja,« unterbrach der Sultan, »jedoch ... Ich verstehe schon, das ist ein unverschämter Mann! Ich kenne nichts, was auf die Länge unerträglicher wäre, als sein Verfahren mit Zephis. Ich bin sicher, dass sie sich darüber ärgerte.«

»Und ich,« sagte die Sultanin, »denke das Gegentheil davon; eines solchen Unglücks wegen böse zu sein, das ist so viel, als es zu verdienen.«

»Gut,« sagte der Sultan, »glauben Sie, dass ein Weib eine solche Erwägung mache? Ich würde mich in einem ähnlichen Falle sicher auch ärgern. Lass sehen, was Zephis sagte, denn so viel ich sehe, hat in diesen wie in allen anderen Dingen doch jeder seinen Geschmack.«

»Wie nachsichtig auch Zephis war,« erwiderte Amanzei, »so schien sie doch die Hartnäckigkeit des Unglücks ihres Geliebten zu langweilen, sei es, dass nachdem sie für ihn mehr als das erstemal gethan hatte, sie [229] es weniger zu verdienen dachte; sei es, dass sie in diesem Augenblicke günstiger aufgelegt war. – Mazulhim, weniger als Zephis von seinem Missgeschick überzeugt, oder gewohnt diesem in ähnlichen Fällen zu trotzen, dachte von Zephis nicht so gut, wie er sollte, und versuchte das, was, wenn er höflicher oder klüger gewesen wäre, nicht versucht hätte. Es schien mir, dass sie nicht eine Probe gestattet hätte, welche ihr weniger den Dünkel Mazulhim's zeigte, als die schlechte Meinung, welche er von ihren Reizen zu haben wagte.«

Trotz ihrer Erregung entschlüpfte ihr ein boshaftes Lächeln, welches Mazulhim zu sagen schien, dass sie nicht die Person sei, bei der eine solche Kühnheit am Platze wäre.

Gewiss, dass er dafür bald bestraft sein würde, gab sie sich diesen lächerlichen Unternehmungen mit einer Unerschrockenheit hin, welche jede Frau so eitel ist, in einem ähnlichen Falle zu haben, aber welche nicht bei allen durch Erfolg gerechtfertigt ist.

Obzwar Mazulhim in diesem Augenblicke weniger zu bedauern war als früher, so war er doch nicht in einer Lage, wo man [230] ihn beglückwünschen konnte, und wie sehr er sich auch bemühte, so hatte Zephis Recht, seine Anstrengungen nicht zu fürchten.

Nach der erstaunten Miene Mazulhim's musste ich glauben, dass wenn einem Anderen geschähe, was ihm geschah, so würde er keine Frau finden, die wie Zephis ihm in seinem Unglücke eine Ausflucht gelassen. Ich sage es jedoch, ohne eine Frau beleidigen zu wollen, und weiß man es, ob man immer sie beschuldigen sollte?

Wie dem auch sei, die Überraschung Mazulhims war so spasshaft, dass Zephis sich des Lachens nicht enthalten konnte.

»Wenn Du mich darnach gefragt hättest,« sagte sie ihm, »würde ich es Dir vielleicht gesagt haben, aber Du hättest mir vielleicht nicht geglaubt.«

»Ich würde gewiss Unrecht gehabt haben,« antwortete er, »aber das konnte ich nicht erwarten; eine zehnjährige glückliche Erfahrung schien mir die Möglichkeit dessen zu sichern, was ich mit Dir umsonst versucht habe. Ah, Zephis!« fügte er hinzu, »muss ich darin, was meine Wünsche erfüllen sollte, neuen Grund mich zu beklagen finden!«

[231] »In der That,« antwortete sie lachend, »ich begreife es sehr wohl, wie unglücklich Du bist, und ich beklage Dich sehr!«

»Zephis,« versetzte er entzückt, »nichts kommt der Zärtlichkeit, die ich für Deine Reize fühle, gleich; jeder Augenblick vermehrt meine Gluth und meine Trostlosigkeit; und ich fühle ...«

»Ei, Mazulhim,« unterbrach sie ihn, »was wäre denn das Glück gewesen, dessen Verlust Du so sehr bedauerst? Nein, wenn es wahr ist, dass Du mich liebst, bist Du nicht zu beklagen. Ein einziger Blick von mir muss Dich glücklicher machen, als alle Vergnügen, welche Du suchst.«

»Deine Gefühle erfreuen und durchdringen mich,« sagte er, »aber indem sie meine Liebe verdoppeln, so vergrößern sie mein Bedauern und meinen Schmerz.«

»Beenden wir diese Unterhaltung,« sagte Zephis, sich erhebend.

»Was,« rief er aus, »willst Du mich schon verlassen? Ah, Zephis! überlasse mich nicht meiner entsetzlichen Lage.«

»Nein, Mazulhim,« erwiderte sie. »Ich habe Dir versprochen, den Tag mit mir zu [232] verbringen, und möge er Dir nicht länger erscheinen als mir! Aber gehen wir aus diesem Kabinet hinaus, gehen wir diese köstliche Luft zu genießen, die sich jetzt verbreitet, Deine Einbildung zu zerstreuen, sie endlich von jenen Gegenständen abzulenken, welche sie zermartern und betrüben; vielleicht, Mazulhim, ist es so, dass je mehr man die Vergnügungen sucht, desto weniger man sie genießen kann; versuchen wir es, uns in den Gegenstand besser hineinzuleben, indem wir unsere Gedanken weniger darauf richten.«

»Die großmüthige Zephis ging hinaus indem sie diese Worte endigte, und Mazulhim gab ihr auf die ehrerbietigste Art der Welt seine Hand.

Das eigenthümlichste ist, dass Mazulhim, der die Zusammenkünfte, welche man ihm gab, so schlecht benützte, der gesuchteste Mann in Agra war; es gab keine Frau, die ihm nicht nahe gestanden wäre, oder ihn nicht als Geliebten zu haben wünschte; lebhaft, liebenswürdig, flatterhaft, immer trügerisch, fand er doch nicht wenige, die sich täuschen ließen, alle Frauen kannten ihn, und dennoch [233] suchten ihm alle zu gefallen, sein Ruf war erstaunlich.

Man glaubte an ihn! ... wie sollte man nicht an ihn glauben! Und dennoch, was war er? Was verdankte er nicht alles der Verschwiegenheit der Frauen, er, der mit ihnen so schlecht umging, und sie so wenig schonte.

Nach einer Stunde des Spazierganges kamen Zephis und er aus dem Garten zurück. [234] Ich forschte schnell in ihren Augen, ob sie zufriedener schienen, als sie hirausgegangen waren. – Nach dem bescheidenen Aussehen Mazulhim's glaubte ich das nicht, und täuschte mich keineswegs. Zephis setzte sich nachlässig auf mich hin, und Mazulhim ließ sich zu ihren Füßen auf den Polster nieder. Da er ihr ziemlich wenig zu sagen hatte, und ihr auf keine Art eine Unterhaltung bieten konnte, überließ er sich der Träumerei, sie dabei zärtlich anschauend.

Bald darauf beschämt, eine so traurige Rolle bei der schönsten Frau von Agra zu spielen, aber noch immer über sein Missgeschick bestürzt, zitternd, indem er dasselbe gut machen wollte, neue Beschimpfungen zu wagen, blieb er einige Augenbicke, ohne zu wissen, für was er sich entschließen sollte. Er fürchtete endlich, dass seine Stille und seine Kälte Zephis eher Beweise von Gleichgiltigkeit, als die der Furcht oder Reue erschienen. Er schloss sie stürmisch in seine Arme, und indem er ihr die zärtlichsten Küsse gab, schien es, als ob er plötzlich wie durch einen Schlag aus der Lethargie, in welche Zephis ihn versetzt, heraustreten wolle. Zephis überlegte [235] zuerst, ob sie sich den neuen Angriffen Mazulhims hingeben sollte. Ob ihre Zärtlichkeit sie alles zu gewähren hieße, diese Zärtlichkeit selbst ließ sie mit Schmerz einsehen, dass sie nie mehr Grausamkeit für Mazulhim hatte, als wenn sie ihm nichts verweigerte. Wünschte er glücklich zu sein, oder kannte er sie wenig genug, um zu glauben, dass sie verletzt sein würde, wenn er es nicht zu errathen versuchte? War es endlich die Liebe oder die Eitelkeit, welche ihn zu solcher Zärtlichkeit zurückführte?

Während sie sich mit diesen Gedanken beschäftigte, trachtete Mazulhim (sei es, dass er bloß trachtete sich aus einer Situation zu ziehen, welche ihn langweilte, oder wollte er Zephis verhindern, sich zu langweilen), über sein Unglück zu triumphieren.

Zephis weigerte sich zuerst seiner Leidenschaft hinzugeben, sie gab aber endlich dem übermäßigen Drängen Mazulhims nach, der von ihr mehr Gefälligkeiten, als nöthig war, begehrte, sie zuckte bloß mit den Achseln, dass er sich so große Gedanken mache, und man muss ihr Gerechtigkeit widerfahren [236] [238]lassen, sie erwartete bei weitem weniger als er.

Die unaufmerksame und selbst gelangweilte Miene, welche sie lange zur Schau trug, fern davon, Mazulhim zu verletzen, trieb ihn an seine Zärtlichkeit zu verdoppeln, und da er ein Mann seiner Zeit war, der die kleinen Dinge am besten zu behandeln wusste, zwang er sie ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken, von der Aufmerksamkeit führte er sie zum Interesse über; das Wenige an Wirklichkeit der Dinge, die er ihr bot, verschwand unmerklich ihren Augen; sie lebte sich selbst in die Illusion hinein, und er kannte endlich, von wie vielen Vergnügungen die Einbildung der Quell ist, und wie sehr die Natur ohne ihr beschränkt wäre.

Zum Höhepunkt des Glückes für Mazulhim machte er auf Zephis einen günstigeren Eindruck, als er sich dessen geschmeichelt hatte.

Die Reize Zephis wurden immer rührender und ließen ihm jene Regung fühlen, die er bis jetzt umsonst gesucht hatte, und in dem süßen Aufwallen seiner Sinne hatte er die Erinnerung an sein Unglück verloren, oder [238] da er dann mehr aufgeregt als niedergeschlagen war, besiegte er endlich glorreich diese Hindernisse, durch welche er sich so lange und grausam aufgehalten sah.«

»Ich verstehe,« sagte der Sultan, »das hat er gut gemacht, denn es ist besser spät als nie, das heißt, dass ...«

»Möchten Sie uns das nicht erklären,« unterbrach die Sultanin »und denken Sie, dass Amanzei die Klugheit oder Feinheit gehabt habe, uns etwas errathen zu lasen?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte der Sultan, »und kümmere mich nicht darum, aber Sie werden das so gut wie ich wissen, dieser Mazulhim ist ein wenig den Zufällen unterworfen, und es scheint mir ganz einfach zu sein, dass man sich erkundige ... Nun gut, sage mir einmal also, Mazulhim?«

»Sire, er war glücklich, aber er verstand es besser zu beleidigen, als das Ungemach, welches er verursacht, wieder gut zu machen, und ich zweifle, dass wenn er mit einer Person zu thun gehabt hätte, die weniger großmüthig als Zephis gewesen wäre, er so leicht Verzeihung erhalten hätte. Mehr eitel als verliebt, schien er mir weniger [239] das Glück zu fühlen, Zephis zu besitzen, als das Vergnügen, vor ihr nicht erröthen zu müssen. Sie fingen ein zärtliches Gespräch an, worin Zephis mehr Gefühl, Mazulhim aber äußerst viel Dünkel entwickelte.

Kurze Zeit nachher trug man ein Souper auf, wobei er seinen Geschmack für Feinheit erschöpfte. Zephis, die durch die Gegenwart ihres Geliebten immer mehr begeistert war, sagte ihm tausend zarte und leidenschaftliche Dinge, die mich ihren Geist und ihre Zartheit bewundern ließen. Obgleich er selbst von so vielen Reizen entzückt war, so wirkten sie doch nicht auf ihn so wie auf mich, und es schien mir, als ob sein Hochmuth mehr durch die Eroberung der Zephis geschmeichelt sei, als dass sein Herz von dieser lebhaften und zarten Leidenschaft, welche sie für ihn hatte, gerührt war; und von dieser Leidenschaft war sie ganz erfüllt, trotzdem sie seine Unbeständigkeit fürchtete.

Wenn der Besitz der Zephis Mazulhim nicht so verliebt gemacht, als er es sollte, so wurde er wenigstens lebhafter, sein dem Gefühle unzugängliches Herz schmachtete [240] noch; alle die Tugenden der Zephis, welche der Undankbare lobte, ohne sie zu kennen, und vielleicht ohne an sie zu glauben, fern davon, ihn an sie zu fesseln, schienen ihn von ihr, zu entfernen. Ich sah ihn nicht einmal gerührt von der zärtlichen und wahren Liebe, die sie für ihn empfand, aber sie fing an ihm Begehren einzuflößen.

Er schaute sie mit Entzücken an, er seufzte, er sprach voll Glut von dem Glücke, welches er genoss, zu ihr, und schien mit Ungeduld das Ende des Nachtessens zu erwarten. Er sagte es ihr selbst; aber sei es, dass sie eine weniger gute Meinung von dem Nachsouper hatte als er, sie war weniger ungeduldig. Sie liebte ihn dennoch, er drang in sie bald ... Ah, Mazulhim, wie glücklich wärest Du gewesen, wenn Du zu lieben gewusst hättest!

Kurze Zeit nachher ging Zephis fort, und Mazulhim folgte ihr, indem er ihr Betheuerungen von Liebe und Dankbarkeit machte, welche ich aber um so weniger für wahr hielt, als sie dieselben besser verdient hätte. Zephis war zu schätzenswert, als dass er sich für immer an sie gebunden hätte. Sie [241] war wahrhaft, ohne Schminke, ohne Gefallsucht; Mazulhim war ihr erstes Verhältnis, aber was das Glück eines Anderen gebildet hätte, für dieses verdorbene Herz war es nur eine Bekanntschaft, die ihm weder Vergnügen noch Unterhaltung bereitete. Er brauchte nur jene Frauen, welche ohne Gefühl und Scham geboren, tausend Abenteuer erleben, ohne jedoch einen Geliebten zu haben, und die man nach der Unzukömmlichkeit ihres Betragens anklagen könnte, eher die Unehre als das Vergnügen zu suchen. Es war nicht zu verwundern, dass Mazulhim, welcher ein Geck wahr, den Frauen dieser Art gefiel und er sie seinerseits auch aufsuchte.«

»Aber Amanzei,« fragte die Sultanin, »wie konnte ein Mann von so wenig Verdienst eine so schätzenswerte Person rühren, wie Sie uns Zephis beschreiben?«

»Wenn Ihre Majestät sich gnädigst erinnern wollte, welches Bild ich von Mazulhim entwarf,« antwortete Amanzei, »so würde Sie sich weniger wundern, dass er Zephis gefallen konnte, er hatte Annehmlichkeiten und wusste Tugenden zu heucheln. Übrigens wäre [242] Zephis nicht die erste vernünftige Frau, welche das Unglück gehabt hätte einen Gecken zu lieben, und es ist Ihrer Majestät nicht unbekannt, dass man etwas ähnliches alle Tage sieht.«

»Ohne Zweifel,« sagte der Sultan, »er hat zum Beispiel Recht, man sieht nur das; übrigens fraget nicht warum, denn ich weiß nichts davon.«

»Ich verlange es auch nicht von Ihnen zu wissen,« erwiderte die Sultanin. »Es sind dies Dinge, welche, wie es mir scheint, Sie mit all dem Geist, den Sie besitzen, dennoch nicht wissen.«

»Dass eine vernünftige Frau,« fuhr sie fort, »sich einem Manne hingibt, von dessen Gegenliebe und Rechtlichkeit sie überzeugt ist, das überrascht mich nicht, aber dass sie fähig sei, für Mazulhim eine Schwäche zu haben, das kann ich nicht begreifen.«

»Die Liebe wäre nicht das, was sie ist,« antwortete Amanzei, »wenn ...«

»Wenn, wenn,« unterbrach der Sultan, »wirst Du noch lange den Schöngeist spielen, erinnerst Du Dich nicht, dass ich die Abhandlungen verboten habe? Was geht es [243] Dich an, dass diese Zephis diesen Mazulhim liebt, dass die eine spröde und der andere ein Geck ist? Nun gut! Sie liebt ihn so, wie er ist.«

»Sie wollen wissen warum,« fuhr der Sultan fort, »warum fragten Sie nicht Amanzei, während er eine Frau war? Glauben Sie, dass er sich dessen jetzt erinnert? Sie sind schließlich die Ursache, mit all Ihren Reden, dass die Märchen, welche man mir erzählt, gar nicht endigen, und das bringt mich auf. Nein, Emir, wo sind wir geblieben? warum wird diese Zephis so vernünftig, dass sie mich langweilt? Welches war das Ende davon?«

»So, wie es kommen musste,« versetzte Amanzei »Mazulhim, wollte zuerst nicht gänzlich die Rücksicht für Zephis außer Acht lassen, und täuschte sie so heimlich, wie er nur konnte.

Entweder waren die Rücksichten nicht genug geschickt angewandt, um sie zu täuschen, oder waren die Treulosigkeiten, die er ihr anthat, zu häufig und zu auffallend, als dass er ihr dieselben stets verbergen konnte. Wie dem auch sei, sie beklagte sich; aber da[244] sie ihn liebte und verblendet war so gelang es ihm leicht sie zu beruhigen. Er setzte seine Treulosigkeiten fort, und sie fing ihre Vorwürfe wieder an. Endlich wurde er ungeduldig, und wenig von ihrer Liebe und ihren Thränen gerührt, brach er völlig mit ihr, und überließ sie der Schmach, ihn geliebt, und der Kälte, ihn verloren zu haben.«

»Meiner Treu,« sagte der Sultan, »er that wohl daran, sie zu verlassen; und der Beweis davon ist, dass ich dasselbe gethan hätte. Ich weiß wohl, dass sie sehr schön war, und sehr viel Verdienst hatte, aber dieses Verdienst hätte mich, der ich unterhalten sein will, ebenso gelangweilt wie ihn.

Nicht, dass ich ein Mazulhim wäre, ich denke, dass man mir dieses nicht vorwerfen wird, aber es ist deshalb nicht weniger unterhaltend Frauen zu verlassen und wäre es nur darum, um zu hören, was sie dazu sagen.«

11. Kapitel
[245] [247]Eilftes Kapitel.

Welches eine Erzählung gegen den Zauber enthält.


Drei Tage später, als ich Zephis zum erstenmale sah, kam Mazulhim allein. Kaum hatte er einige Befehle ertheilt, als eine kleine Frau in das Kabinet eintrat; sie hatte eine lebhafte und flatterhafte Miene.

Von Weitem machte sie keinen unschönen Eindruck, in der Nähe hatte sie aber nur eine mittelmäßige Gestalt, welche man ohne ihren Lächerlichkeiten und ihrer übermäßigen Lebhaftigkeit, welche sie zur Schau trug, nicht leicht bemerkt hätte. Auch war dies die einzige Sache, welche bei Mazulhim den Wunsch erweckte, sie zu besitzen.

[247] »Ah!« rief er aus, als er sie erblickte, »Sie sind es, aber wissen Sie wohl, dass sie göttlich sind, so zeitlich zu kommen?«

[248] Diese Schöne näherte sich Mazulhim trotz ihrer kindlichen Miene mit jener vornehmen Leichtigkeit, welche fast all ihre Anmuth ausmachte, ohne ihm zu antworten, noch ihn anzusehen.

»Sie hatten Recht, mir zu sagen, dass Ihr kleines Haus hübsch sei, es ist reizend, wie geschmackvoll ist es möbliert! Das ist göttlich!« – »Ist es nicht wahr,« rief er, »dass es eines der schönsten der Vorstadt ist?«

»Ich bin erfreut, sie darin zu sehen, und dass es Ihnen gefällt.«

»Oh, was mich betrifft,« erwiderte sie, »ich habe vielleicht nicht so viel Umstände gemacht, wie ich sollte, um bis daher zu gelangen; es ist nicht deshalb, dass ich nicht ebenso wie eine Andere die Kunst verstände, mich zu verstellen und einen gewissen Anstand in eine Sache zu legen, aber ...«

»Sie beobachten ihn gewiss nicht,« unterbrach er sie, »indem muss man Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen ...«

»Wenn das wahr ist, so bin ich wenigstens nicht falsch. Gestern, als Sie mir sagten, dass Sie mich lieben und mir vorschlugen, hierher zu kommen ..... war ich [249] sehr versucht, nein zu sagen, aber die Wahrheit meines Charakters erlaubte es mir nicht, ich bin aufrichtig, natürlich, Sie gefallen mir und da bin ich. Sie denken deshalb vielleicht nicht schlecht von mir?«

»Wer, ich?« antwortete er, »das ist ein schöner Gedanke, ich würde von Ihnen tausendmal besser denken, wenn es mir möglich wäre.«

»Sie sind wirklich liebenswürdig,« antwortete sie; »aber sagen Sie mir doch, ist es schon lange, dass Sie hier sind?«

»Ich bin eben gekommen,« versetzte er, »und schäme mich dessen; aber dachten Sie, die Erste hier zu sein?«

»Das wäre schön gewesen,« antwortete sie. »Aber hören Sie, ich muss Ihnen etwas Neues sagen: Zobeide hat eben Arebchan verlassen.«

»Hat sie ihm nur dieses angethan?« fragte er.

»Und Sophie,« fuhr sie fort, »hat eben Dara genommen.«

»Hat sie nur ihn genommen?« fragte er wieder.

Während sie sprach, nahm sich Mazulhim, [250] der sie zu gut kannte, um sie zu respektieren, mit ihr die größten Freiheiten heraus. Sie schien davon aber weit weniger berührt als er, und ließ ihre Augen mit einer gewissen Zerstreutheit in dem Kabinet herumschweifen, dann heftete sie dieselben auf die Uhr.

»Aber, welche Thorheit, Mazulhim,« sagte sie zu ihm, »werden wir denn diesen ganzen Tag allein sein?«

»Ohne Zweifel,« versetzte er.

»Wirklich?« antwortete sie, »darauf habe ich nicht gerechnet. Lassen Sie doch,« fügte sie hinzu, ohne zu wünschen, dass er fortsetze oder aufhöre (auch kümmerte er sich darum nicht mehr als sie). »Sie sind wirklich über alle Maßen thöricht.«

»Es scheint mir,« antwortete Mazulhim kalt, »dass diese Unterredung unsere Unterhaltung nicht stört und dass es unter uns abgemacht war.«

»Abgemacht,« antwortete sie, »welch ein Märchen; wo haben Sie denn dos hergenommen? Ich habe kein Wort gesagt, ich versichere Sie.«

»Ah, Zulika!« sagte er, »Sie haben [251] Geschmack, sagen Sie mir, was denken Sie über diesen Plafond?«

»Eben träumte ich darüber; ich möchte ihn weniger mit Vergoldung überladen, als er ist, aber ich finde ihn dennoch schön,« fügte sie hinzu, indem sie sich auf seine Knie setzte.

»Ich müsste doch recht thöricht sein, zu denken, dass Sie mir treu bleiben, Sie sind es ja noch keiner geblieben.«

»Ah, sprechen wir nicht davon,« erwiderte er (sich Dank der Güte Zulika's sehr bequem beschäftigend).

»Sie wären vielleicht in Verlegenheit, wenn ich beständiger wäre, als Sie es vermuthen.«

»Sie wollen mich also nicht in Ruhe lassen?« sagte sie, machte aber nicht die geringste Bewegung, ihm zu entschlüpfen, »was mich betrifft, so bin ich sehr beständig, das muss ich sagen.«

»Die Beständigkeit ist heutzutage keine Tugend,« antwortete er, »und man kann, ohne sich zu rühmen, sagen, dass man ihrer fähig ist. Sie haben dennoch manchmal [252] trotz der Beständigkeit, deren Sie sich rühmen, mit ihrer Neigung gewechselt.«

»Nicht so sehr, wie Sie es glauben.«

»Aber ich kenne Sie ja, und Sie können ihre zahlreichen Liebhaber nicht gut wegleugnen.«

»Nun gut; in diesem Falle werden Sie zugeben, dass es nur auf mich ankam, deren mehrere zu haben: hören Sie doch auf, Sie quälen mich.«

»Viel weniger, als ich es sollte.«

»Aber schließlich,« sagte sie, »ist das mehr, als ich verlange?«

»Was,« sagte er ihr, »lieben Sie mich denn nicht? haben wir denn nicht alles geordnet?«

»Ei, ja ...« antwortete sie, »aber ... Ei, Mazulhim, Sie missfallen mir!«

»Das ist ein Märchen,« wiederholte sie kalt, »das kann nicht sein.«

Dann legte er sie sanft auf mich.

»Ich versichere Sie, Mazulhim,« sagte sie, indem sie sich zurecht machte, »ich bin gegen Sie stark aufgebracht; ich sage Ihnen, dass ich eine solche Beschimpfung nie verzeihen werde.«

[253] Trotz dieser schrecklichen Drohung wollte Mazulhim ihr dennoch gänzlich missfallen. Da er unter anderen Dingen sehr ungeduldig war und sie die schlechte Gewohnheit hatte, auf Niemanden zu warten, so missfiel er ihr in der That in einem Punkte, den man sich nicht vorstellen könnte.

Trotz ihres Zornes wartete sie aber doch und die Eitelkeit ließ sie noch ihr Urtheil aufschieben.

Bei allen Gelegenheiten (und diese Gelegenheiten waren doch gewiss häufig) hatte man ihr gegenüber nie versagt. Das war für sie ein unwiderleglicher Beweis, was sie für einen Wert hatte. Übrigens dieser Mazulhim, den sie so wenig achtungswert fand, welcher Wunder, wenn man dem Publikum Glauben schenken sollte, war er nicht fähig! Sie hatte es von aller Welt sagen gehört, dass sie reizend sei; der Ruf Mazulhims war in dieser Hinsicht bekannt, sie dachte daher, dass der Zustand, in den er sie versetzt hatte, nicht natürlich sei und deshalb nicht anhalten konnte.

Bei diesen tröstenden Gedanken hatte sich Zulika mit Geduld gewappnet und verbarg [254] ihren Ärger, so gut sie konnte. Mazulhim jedoch glaubte sich verpflichtet, die galantesten Reden der Welt über ihre Schönheit zu halten, die ihn jedoch so wenig zu entflammen schien.

»Es mussten,« sagte er, »für den Zustand, in dem ich mich befinde, alle Zauberer Indiens gegen mich gearbeitet haben, aber,« fuhr er fort, »was vermögen deren Zauber gegen den Ihrigen, anbetungswerte Zulika? Die bösen Mächte haben ihre Gewalt nur aufgeschoben, aber sie werden niemals triumphieren.«

Diese missliche Lage erbitterte Zulika mehr als Mazulhim, der nicht aus der Fassung gekommen war; sie antwortete ihm darauf nur mit einem leichten, boshaften Lächeln, dem sie jedoch aus Furcht, ihm gänzlich zu missfallen, nicht jenen Ausdruck zu geben wagte, den sie gerne gewollt hätte.

»Sie haben sich also mit den Zauberern überworfen?« fragte sie ihn mit spöttischer Miene. »Ich rathe Ihnen, sich mit denselben zu versöhnen, denn Leute, die im Stande sind, solche Streiche zu spielen, sind gefährliche Feinde.«

[255] »Sie würden es weniger sein, wenn Sie sich vorgenommen hätten, sie Lügen zu strafen,« antwortete er, »und ich zweifle auch, dass es denselben trotz ihrer bösen Absicht gelungen wäre, wenn ich sie mit weniger Glut lieben möchte ...«

»Oh, das ist eine Rede, der ich wenig Glauben beimesse,« unterbrach Zulika, welcher [256] die Zeit zu lang wurde, da sie genug Aufschub geleistet zu haben glaubte.

»Ich weiß wohl,« erwiderte er, »dass, wenn Sie streng über mich urtheilen, Sie nicht zufrieden mit mir sein können; aber je weniger Sie es sind, umsomehr sollten. Sie es unterlassen, mir mein Unrecht vorzuhalten.«

»Ich zweifle,« erwiderte sie, »dass dies schicklich sein würde.«

»Ich glaubte, dass Sie weniger auf den Anstand halten,« erwiderte er mit spöttischer Miene »und ich wagte zu hoffen –«

»Sie wählen Ihre Zeit gewiss gut, um über solche Dinge zu spotten,« unterbrach sie ihn, »Sie haben Recht, nichts ist so glorreich für Sie, wie dieses Abenteuer!«

»Aber Zulika, können Sie denn niemals begreifen, dass der Ton, welchen Sie annehmen, meine Demüthigung vergrößert?«

»Das kümmert mich am wenigsten, ich schwöre es Ihnen.«

»Aber,« fragte er sie, »wenn Sie sich so wenig darum bekümmern, worüber ärgern Sie sich denn so sehr?«

»Sie erlauben mir, Ihnen zu sagen, [257] mein Herr, dass dieses eine sehr dumme Frage ist, die Sie mir da stellen.«

Bei diesen Worten stand sie, trotz aller Anstrengungen, die er machte, um sie zurückzuhalten.

»Lassen Sie mich doch,« sagte sie ihm mit herbem Tone, »ich will Sie weder sehen, noch anhören.«

»Gewiss!« rief er aus, »ich habe schon so unglückliche, aber noch nie so böse Damen gesehen.«

Dieser Ausruf Mazulhims gefiel der Zulika nicht; verzweifelt über den Unfall, der ihr begegnete und über die kalte Miene Mazulhims aufgebracht, ließ sie ihren Zorn an einer großen Porzellanvase aus, die sie eben zur Hand hatte, und zerbrach sie in tausend Stücke.

»Ah! Madame!« sagte Mazulhim lächelnd, »Sie hätten hier nichts zu zerbrechen gefunden, wenn alle Personen, welche mit mir nicht zufrieden waren, sich auf dieselbe Art gerächt hätten; übrigens,« fügte er hinzu, indem er sich auf mich setzte, »beschwöre ich Sie, sich keinen Zwang anzuthun.«

[258] »Das ist eine Frau, deren Charakter mir gefällt,« sagt Schah-Baham, »sie hat Gefühl und gleicht nicht dieser Zephis der alles gleichgiltig, und die übrigens die dümmste Zierpuppe ist, die ich meinem Leben begegnet habe. Ich fühle, dass sie mich unendlich interessiert, und ich empfehle sie Ihnen, Amanzei. Trachten Sie, dass man sie nicht fortwährend kränke.«

»Majestät,« antwortete Amanzei, »ich würde sie so sehr begünstigen, als die der Wahrheit gebührende Achtung es mir erlauben wird.

Als Mazulhim zu reden aufhörte, fing er zu träumen an. Zulika setzte sich in einen Winkel, ertrug ruhig die verächtliche Gleichgiltigkeit, die er ihr bezeugte, und fing an zu singen, um dieselbe zu erwiedern.«

»Wenn ich mich nicht irre,« sagte er, als sie geendigt hatte, »so ist das Stück, welches mir Madame vorgesungen hat, aus einer gewissen Oper.«

Sie antwortete nichts.

»Sie haben eine schöne Stimme,« fuhr er fort, »von geringem Umfang, aber klangvoll [259] und deren Töne gerade zum Herzen dringen.«

»Ein Glück, dass sie Ihnen gefällt,« antwortete sie, ohne ihn anzusehen.

»Sie glauben es vielleicht nicht,« erwiderte er, »aber es ist dennoch wahr und Sie können sich darüber geschmeichelt fühlen, denn wenige Leute verstehen das besser zu beurtheilen als ich. Eine andere Annehmlichkeit, die ich bei Ihnen finde, ist der reizende Ausdruck, der in seiner Lebhaftigkeit und Genauigkeit nichts zu wünschen übrig lässt und mit welchem ihre Augen so gut im Einklange stehen, dass es unmöglich ist, Sie zu hören, ohne bis in den Grund seines Herzens gerührt zu sein. Sie werden mir wieder antworten, dass es ein Glück ist, dass mir dies gefällt.«

»Nein,« antwortete sie mit sanfterer Stimme, »ich ärgere mich nicht, dass Sie liebenswürdige Dinge an mir finden, und je mehr ich Sie als einen Kenner schätze, umsomehr sollten mir Ihre Lobsprüche schmeicheln.«

»Das sind ja eben die Gründe, die mir Ihre Achtung erwerben sollten.«

[260] »Ah, ohne Zweifel,« sagte sie.

»Wollen Sie sagen, dass Sie sich in Nichts auskennen,« sagte er, »und um das Maß der Ungerechtigkeit voll zu machen, würden Sie sich nicht auch einbilden, dass es mir gleichgiltig sei, ob Sie gut oder schlecht von mir denken? Ah, Zulika! ist es möglich, dass das, was Ihre Zärtlichkeit vergrößern sollte, nur dazu diene, Sie gegen mich aufzubringen?«

»Ist es auch möglich?« erwiderte sie mit erregter Stimme, »dass Sie mich für genug angeführt halten, um die tiefste Beschimpfung, die Sie mir angethan haben, als einen Beweis der Liebe anzusehen?«

»Eine Beschimpfung!« rief er aus, »liebenswürdige Zulika! Sie kennen die Liebe wenig, wenn Sie glauben, dass wir über das, was uns widerfahren ist, erröthen sollten. Ich fürchte selbst nicht, Ihnen noch mehr zu sagen.«

»Die Leute, welche Sie mit Ihrer Zärtlichkeit beehrt haben, haben Sie sehr wenig geliebt, wenn Sie sie nicht alle so unglücklich gefunden haben, wie mich.«

»Oh, was das betrifft, hören wir auf, [261] mein Herr, oder ich verlasse Sie,« sagte sie aufstehend, »ich kann die Lächerlichkeiten und Unzukömmlichkeiten Ihrer Äußerungen nicht mehr ertragen.«

»Ich wusste nicht, dass Sie dieselbe verletzt,« antwortete er, »und ich bin überrascht, ich gestehe es, dass sie diese Wirkung auf Sie ausübt, aber das, worüber ich nicht zu mir kommen kann, ist, dass Sie mich durchaus für so schuldig finden. Aber Spass bei Seite,« sagte er, indem er aufstehen wollte, »ich will Ihnen beweisen, dass ich nicht Unrecht habe.«

»Nein, mein Herr,« rief sie aus, »ich verbiete Ihnen, mir nahe zu kommen.«

»Ich werde Ihre Befehle erfüllen, wie ungerecht sie auch sind, und werde nur von Weitem beweisen, da Sie es so für Recht finden.«

»Ja,« versetzte sie, »das wird Ihnen gewiss viel bequemer sein; aber besser noch, sprechen wir nicht mehr davon. Bin ich vielleicht so dumm, zu glauben, dass ein Liebhaber, je mehr Zärtlichkeit er fühlt, er sie umsoweniger ausdrücken kann?«

[262] »Das will ich sagen,« erwiderte er, »dass Sie von dem Gegentheile überzeugt sind?«

»Gewiss,« antwortete sie, »weil ich von keiner Sache mehr überzeugt sein kann, als ich es von dieser bin.«

»Nun gut, Madame, Sie können sich rühmen, die am wenigsten zartfühlende Frau der Welt zu sein, und wenn ich Sie nicht so sehr liebte, dass nichts in der Welt mächtig genug wäre, um mich von Ihnen loszureißen, so gestehe ich es Ihnen doch, Madame, dass diese Art Ihres Denkens mich auf ewig von Ihnen entfernen würde.«

»Es wäre in der That sehr merkwürdig,« sagte sie »wenn Ihnen dieselbe sehr gefiele.«

»Oh, nein,« erwiderte er mit leidenschaftlicher Miene, »ich bin nicht so eigennützig, wie Sie mir die Ehre anthun, es von mir zu glauben, aber das, was zu allen Zeiten entschieden wahr gewesen ist, dass, je mehr Liebe man empfindet, man umso weniger Herr seiner Sinne ist, und dass es nur gefühllosen Herzen, die unfähig sind, die Reize der Sinneslust zu empfinden, sich in solchen Momenten zu bemeistern, wie sie mich gefunden haben. Wenn die Hoffnung auf die[263] Liebesfreuden hinreicht, um einen Liebenden zu bestricken, bedenken Sie, wie sehr die Annäherung der von ihm so sehnlichst herbeigewünschten Augenblicke ihn beglücken mag; wie sehr seine Seele von dem Entzücken, das diesem Augenblicke vorangeht, erschöpft sein muss, und wenn diese Ausschweifung, die Sie mir vorwerfen, für eine denkende Frau so unliebsam ist, ferner, dass ich dieser Kaltblütigkeit nur aus Mangel von Überlegung von Ihnen beschuldigt worden.«

»Aufrichtig,« fügte er hinzu, indem er sich ihr zu Füßen warf, »sollte es das erstemal sein, dass Sie ...«

»Ah, hören Sie mit diesem schlechten Scherz auf,« unterbrach sie ihn, »lassen Sie mich, ich will fortgehen und Sie in meinem Leben nicht mehr sehen.«

»Aber, Zulika,« sagte er ihr, indem er sie mir zuführte, »es scheint, dass Sie nach der Art, mit welcher Sie mein Unglück aufnehmen, nicht genug Reiz zu haben glauben, um dasselbe aufhören zu lassen?«

Sei es, dass die zarte Anspielung Mazulhims Zulika zur Nachsicht geführt, kurz, sie ließ sich auf mich führen, indem sie diesen [264] leichten Widerstand leistete, der gewöhnlich noch mehr entflammt, als er aufhalten sollte.

»Nach und nach empfing Mazulhim mehr und er befand sich endlich in derselben Lage wie früher, worüber Zulika böse wurde. Schon war sie durch den Ungestüm Mazulhims verwirrt und schien lebhaft zu wünschen, er möge weniger von seinen Sinnen überwältigt sein, als das erstemal, als Mazulhim abermals ihre süßesten Wünsche enttäuschte.«

»Nun gut,« sagte der Sultan »er soll doch endlich aufhören; denn das langweilt mich ebenso sehr als sie. Nicht deshalb, weil ich die Partie der Zulika genommen habe, aber ich frage Dich, ob es Jemanden gibt, den dies nicht in Ungeduld versetzen möchte, selbst wenn es ein Derwisch wäre?«

»Es steht wirklich nicht der Mühe wert, sie warten zu lassen! Amanzei, das hast Du mir nicht versprochen, Du wirst mich noch am Ende glauben machen, dass Du gegen diese Frau eingenommen bist, und ich will Dir ganz offen sagen, dass ich dies nicht gutheißen würde.«

»Aber durchaus nicht, Sir,« antwortete [265] Amanzei, »wenn ich Euer Majestät ein Märchen erzählen wollte, wäre es mir ein Leichtes, die Dinge so zu richten, wie es Euer Majestät wollte, aber ich kann, ohne die Wahrheit zu trüben, Mazulhim keine anderen Erfolge zugestehen, als die er hatte.«

»Ah, welch ein Dummkopf dieser Mazulhim doch war,« rief Schah-Baham aus, »und wie bin ich gegen ihn aufgebracht!«

»Aber,« sagte die Sultanin, »ich begreife nicht, warum Sie sich so ärgern; er hat es ja nicht absichtlich gethan.«

»Er,« entgegnete der Sultan, »war ein böser Mann.«

»Übrigens,« sagte die Sultanin, »diese Zulika, welche Ihnen so gefällt, war eine der letzten ...«

»Ich bitte Sie, Madame,« unterbrach er sie, »denken Sie darüber, was Ihnen beliebt, aber ich bitte darum, nichts Übles von ihr zu sagen. Ich weiß wohl, dass es genügt, wenn ich Jemandem meine Freundschaft schenke, dass er Ihnen missfalle, und das bringt mich auf, ich muss es Ihnen sagen.«

»Ihr Zorn erschreckt mich durchaus nicht,« [266] antwortete die Sultanin, »und ich wäre gar nicht erstaunt, wenn diese Zulika, die Sie jetzt so in Schutz nehmen, Sie nicht morgen tödtlich langweile.«

»Ich bezweifle es,« erwiderte der Sultan, »denn ich habe kein Vorurtheil gegen dieselbe; jedoch, bevor dieses geschieht, wollen wir den Rest der Geschichte hören.«

Zulika erröthete vor Zorn bei der abermaligen Beschimpfung, die Mazulhim ihren Reizen anthat: »Wahrlich, mein Herr,« sagte sie, indem sie ihn mit Heftigkeit zurückstieß, »wenn dies ein Vorzug sein soll, den Sie mir da geben, so muss ich Ihnen sagen, dass er schlecht angebracht ist.«

»Ich würde der Erste sein, der es sagte,« antwortete er, »wenn ich mir einbilden könnte, das Sie nur einen Augenblick glauben, das Unrecht verdient zu haben, welches ich Ihnen angethan habe.«

»Wenn man sich von einer gewissen Seite kennt, so sollte man die Leute in Ruhe lassen.«

Darauf stand sie auf, nahm ihren Fächer, zog die Handschuhe wieder an, und indem sie eine Schachtel Schminke hervorzog, stellte [267] sie sich vor einen Spiegel. Während sie sich mit aller Aufmerksamkeit herzurichten trachtete, bat Mazulhim zärtlich, der sich[268] hinter sie gestellt hatte, und sie in ihrer Beschäftigung unaufhörlich störte, sie möge sich doch nicht so bemühen, denn sie müsse doch noch einmal anfangen.

Zulika antwortete ihm darauf nur mit einer Miene, welche ihm den schwachen Glauben beweisen sollte, den sie in seine Vorhersagungen setzte, aber da sie sah, dass er fortfuhr, sie zu quälen, sagte sie: »Nun gut, mein Herr, wird das ewig fortdauern und wollen Sie verhindern, dass ich mich entferne?«

»Aber was mir gerade einfällt,« erwiderte er, »wollen Sie hier nicht zu Nacht speisen?«

»Schließlich, ich bin vergeben,« sagte sie, »und es ist spät.«

»Das ist eine Thorheit,« sagte er, indem er sie auf mich zurückwarf und noch versuchen wollte, ob er endlich das Mittel finden würde, ihr die Stunden weniger lang erscheinen zu lassen.

»Sehen Sie, Mazulhim,« sagte sie ihm mit sanftem Tone, »ich sage es Ihnen ohne Zorn, die Rolle, die Sie mich spielen lassen, ist unerträglich.«

[269] »Mehr Güte Ihrerseits,« antwortete er, »hätte mich minder beklagenswert gemacht; aber Sie sind so wenig gefällig!«

»In Wahrheit,« erwiderte sie, »es wäre zu unmenschlich, Ihnen die einzige Entschuldigung zu rauben, die Ihnen noch übrig bleibt.« Er antwortete ihr mit Festigkeit, dass er es gerne noch wagen würde.

Sie ging auf seine Vorschläge ein, um das Vergnügen zu haben, ihn des Gegentheils zu überzeugen.

Je mehr er ihr Mitleid verdiente, desto mehr (denn sie war nicht großmüthig geboren) fühlte sie sich empört. Verletzt, dass er wenig empfindlich für ihre Reize gewesen, schien sie es noch mehr gewesen zu sein, dass er so wenig ihrer letzten Güte entsprach. Zwanzigmal war sie nahe daran, einer Hoffnung zu entsagen, welche sich ihr anscheinend näherte, um sie dann um so grausamer zu täuschen.

Aber was? Nach all dem, was sie für Mazulhim gethan, sollte sie ihn seinem Schicksale überlassen? Wenn er nur zärtlicher gegen sie gewesen wäre.

Mazulhim, der nach der Art, wie sie [270] ihn ansah, fühlte, dass er ihr zu Hilfe kommen müsse, um die Kälte, die er ihr wider seinem Willen zeigte, zu bannen, machte ihr beständig die schmeichelhaftesten Lobeserhebungen über ihren theilnehmenden Charakter.

»Sicher,« rief sie in einem Augenblick, wo sie die Geduld verließ, aus, »sicher, ich muss gestehen, dass ich eine großmüthige Seele habe.«

Bei diesem so gut angewandten Ausbruch konnte Mazulhim nicht umhin, in ein Gelächter auszubrechen, und Zulika, welche wusste, wie sehr es manchmal gefährlich sei, zu lachen, wurde ernstlich böse, weil er gelacht hatte. Mazulhim's Lustigkeit war für sie keineswegs so unheilbringend, als sie gefürchtet. Die bösen Zauberer, die ihn bisher so grausam verfolgt hatten, fingen an, ihre verderbenbringenden Arme von ihm zurückzuziehen. Kaum fühlte Mazulhim, der übrigens der angenehmste Mann der Welt war, sich von diesem bösen Zauber etwas befreit, als er sofort die Kühnheit hatte, sich der größten Unternehmungen fähig zu halten.

Was immer auch Zulika, die in solchen Dingen schärfer als er urtheilte, ihm sagen [271] mochte, sie konnte ihn nicht mehr aufhalten. Vielleicht bildete er sich ein, nichts mehr hinausschieben zu dürfen, ohne sich bloßzustellen, oder er dachte es nicht nöthig zu haben, sich mit ihr in weitere Gespräche darüber einzulassen, er wollte noch das versuchen, was ihm nur einmal im Leben versagte. Zulika verblendete sich nicht so leicht, sie gehörte auch nicht unter jene galanten Damen von Agra, die sich am wenigsten auf ihre Schönheit einbildeten. Sie war daher über seine Kühnheit erstaunt und machte ihm über seine Anmaßung nicht sehr schmeichelhafte Vorstellungen. Diese waren von keiner Wirkung, in Folge eines nothwendigen Vertrauens in ihre Reize und um ihn zu demüthigen, weigerte sie sich nicht minder als Zephis seinen Ideen nachzugeben, über deren Lächerlichkeit sie nicht genug staunen konnte.

»Ah! ja,« sagte sie mit verächtlicher Miene.

»Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und ich schloss aus dem Erröthen und aus ihrem Ärger, ebenso wie aus der spöttischen, beleidigenden Miene Mazulhims, dass das, was sie für unausführbar erklärt, äußerst leicht zu erreichen war.«

[272] »Da seht Ihr es!« rief der Sultan, »und dann wollen sich die Frauen beklagen und die Unübertrefflichen spielen! es ist sehr gut, wenn man das weiß.«

»Was?« fragte die Sultanin, »was haben Sie denn da für eine wunderbare Entdeckung gemacht?«

»Oh! ich kenne mich darin sehr gut aus,« antwortete der Sultan; »das heißt, wenn man es sich jemals einfallen ließe, mir Vorwürfe zu machen, so weiß ich jetzt sehr gut, was ich zu antworten habe. Ich bin aber doch sehr böse darüber, dass Zulika diese Demüthigung geschehen ist, sie verdiente sie gewiss weniger als jede Andere; aber fahre fort, Emir; es sind ganz nette Sachen in dem, was Du uns soeben erzählt hast; und das gibt mir bereits im Voraus eine gute Meinung von dem Übrigen.«

[273]

Zweiter Theil

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Ungefähr dasselbe, wie das Vorhergehende.


»Wenn auch die Unannehmlichkeit, welche Zulika widerfuhr, sie sehr verdross, so verlor sie dennoch die Geistesgegenwart nicht, die ihr bei einem so bösen Zufalle wie dieser so nöthig war.

Sie beglückwünschte Mazulhim sehr höflich, beklagte sich über allerlei andere Dinge und sprach von allem Möglichen, nur von dem nicht, was sie am meisten mit Wuth erfüllte. Um ihr früheres Ansehen zu retten, scheute sie sich nicht, ihm sogar alle Ehren zu erweisen, die er sicherlich nicht verdiente.

[277] Ich weiß nicht, ob es bloß darum geschah, um Zulika zu demüthigen, oder ob er gegen seine sonstige Gewohnheit, sich vor sich selbst rechtfertigen wollte, aber was auch immer er verschuldet hatte, er wollte es niemals zugeben, dass er das that, was sie sagte.«

»Es gibt,« sagte er hartnäckig »so unglückliche, so verfehlte Tage, an denen man, wenn man sie voraus sehen könnte, lieber sterben möchte, als sie abwarten zu müssen.« Zulika stimmte darin ein, dass es so unglückliche Tage gäbe, welche keineswegs auf glänzende Art anfingen, aber an denen man oft schließlich doch mehr zu loben, als zu tadeln fand.

»Ich gestehe Ihnen,« fügte sie mit gezwungener Zärtlichkeit hinzu, von der sie in diesem Augenblick weit entfernt war, »dass ich große Ursache hatte, an dem, was Sie mir hundertmal über meine Schönheit gesagt haben, zu zweifeln und es nicht für aufrichtig zu halten, oder dass jene Dinge, die Sie an mir zu bewundern schienen, nicht von den Fehlern verdunkelt worden wären, welche sie umsomehr abstießen, als Sie sie nicht [278] geahnt hatten; aber Sie haben mich so oft versichert, dass ...«

»Ach, Zulika!« rief der unerbittliche Mazulhim aus, »ihre Befürchtungen waren doch recht kleinlich! Ich fühle wohl alles, was ich ihrer großen Güte verdanke, aber sie verblendet mich nicht und je großmüthiger ich Sie finde, umso mehr vergrößern Sie meine Gewissensbisse.«

»Aber, welche Thorheit,« erwiderte sie, »lassen Sie sich wenigstens nicht von so falschen Ideen beherrschen, nichts ist unrichtiger.«

Nach diesen deprimierenden Erörterungen begannen Beide im Zimmer spazieren zu gehen, und waren einer vor dem anderen in Verlegenheit, so ohne Verlangen, ohne Liebe und durch ihre beiderseitige Unvorsichtigkeit eingeschränkt, welche das intime Stelldichein in einem diskreten Hause mit sich bringt und nach welchem es Sitte ist, den Rest des Tages mit einander auf eine Weise zuzubringen, die ihnen den Um ständen nach nicht gefallen konnte.

Zulika hatte Gelegenheit, schöne Betrachtungen über die Falschheit des guten Rufes [279] mancher Leute zu machen. Was sie innerlich zur Verzweiflung brachte, denn ich las sehr klar in ihrer Seele, war die Unmöglichkeit, sich an Mazulhim rächen zu können.

»Wenn ich es sagen würde, wer wird es mir glauben,« sagte sie zu sich selber; »die große Vorliebe, welche man allgemein für ihn hegt, wird es niemals gestatten, dass man daran glaubt, dass er mir so sehr Unrecht gethan hat, wenn es in meiner Macht lag, es zu verhindern. In allen Fällen würde es mir unmöglich sein, jedermann eines Bessern zu belehren.«

Derartige verdrießliche Gedanken beschäftigten sie und stimmten sie traurig. Was Mazulhim betrifft, so that er, als ob ihn das Alles nichts anginge. Beide spazierten eine geraume Zeit im Zimmer auf und ab, ohne etwas zu reden, und lächelten sich von Zeit zu Zeit kühl und gezwungen an.

»Sie träumen?« sagte er endlich höhnisch zu ihr.

»Und staunen Sie so sehr darüber?« antwortete sie spröde. »Glauben Sie denn, dass es für eine vernünftige Frau, wie ich bin, nicht eine ganz absonderliche Sache sei, [280] mit Jemanden auf dem Punkte zu stehen, wie ich mit Ihnen?«

»Nein,« erwiderte er kühl, »ich glaube, dass vernünftige Frauen an derartiges vollkommen gewöhnt sind.«

»Es scheint in der That,« erwiderte sie, »dass Sie davon keine Ahnung haben, wie nahe es uns geht, und welche Kämpfe es eine edle Frau kostet, ehe sie sich ergibt.«

»Das, was Sie mir hier sagen und zum Beispiel anführen, ist sehr wahrscheinlich,« erwiderte er, »denn nach der Art, auf die Sie sie abgekürzt haben, müssen Sie diese Kämpfe grausam ermüdet haben.«

»Das ist!« rief sie entrüstet, »einer der schlechtesten Grundsätze, die man haben kann!«

»Sie glauben wahrscheinlich, sehr viel Geist gehabt zu haben, wenn Sie derartige Dinge sprechen? Wissen Sie, dass es die echte Sprache eines Gecken ist?«

»Ich werde deshalb keine schlechtere führen,« antwortete er.

»Wenigstens werden Sie vielleicht eine genug falsche finden,« erwiderte sie, »denn [281] wenn Sie wüssten, was es mich gekostet hat, Sie zu gewinnen.«

»Was?« rief er aus, »Sie haben davon geträumt? das beleidigt mich, ich schmeichelte mir das Gegentheil und weiß Ihnen wenig Dank dafür, dass Sie mir meine Täuschung nehmen, wobei ich im Vortheil war, ohne dass Sie dabei in meinem Geiste etwas verloren hätten. Ah! sagen Sie mir gnädigst, hat Ihnen Zadis auch so viel Überlegung gekostet?«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie kühl, »was hat dies mit Zadis zu thun?«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« antwortete er spottend, »ich glaubte, dass Sie ihn sehr gut kennen?«

»Ja,« antwortete sie, »so wie man alle Leute kennt.«

»Ich glaube aber doch, dass, so wenig er Sie kennt, er doch recht böse wäre, wenn er es wüsste, dass Sie da sind, und,« fuhr er fort, »ich müsste mich sehr irren, wenn ich dächte, dass Ihre große Güte gegen mich ihn nicht sehr kränken würde. Sind Sie getrost darüber, ich weiß, dass Zadis Ihnen sehr wohl gefiel, noch ehe ich das Glück [282] hatte, Ihnen zu gefallen,« fügte er hinzu, als er sah, dass sie die Achseln zuckte, »und ich würde darauf wetten, dass Sie noch gegenwärtig sehr gut zusammen sind.«

»Das ist,« antwortete sie, »ein sehr schlechter Scherz!« – »Im Grunde,« sagte er, »wenn Sie ihm auch untreu würden; er wäre deshalb noch immer sehr glücklich, denn ein Mann, wie Zadis, ist wenig dazu geschaffen, geliebt zu werden, und ich war immer erstaunt, dass eine so lebhafte Dame von so bezaubernder Heiterkeit, wie Sie sind, einen so kühlen und schweigsamen Liebhaber wählen konnte.«

»Mazulhim,« antwortete sie, »er ist nur zartfühlend. Ich habe Ihnen denselben geopfert; es wäre unnütz, das Gegentheil zu sagen; aber ich fürchte sehr, dass Sie mich nicht zwingen, es zu bereuen.«

»Sie waren leichtsinnig,« erwiderte er, »und ich gestehe, dass ich unbeständig war, aber so wenig, als wir bis jetzt einer ernsten Neigung fähig waren, um so größeres Verdienst werden wir haben, uns ferner einer an den Andern zu fesseln.«

Nach diesen Worten geleitete er sie an [283] [285]meine Seite, aber mit einer so feierlichen Miene, die leicht erkennen ließ, dass nur der Anstand seine Schritte leitete.

»Es ist wahr, dass Sie reizend sind und ohne Ihrer fast zu anständigen Miene, die Sie selbst bei mir nicht ablegen, kenne ich keine andere Frau, welche besser als Sie das höchste Glück ihres Liebhabers machen könnte.«

»Ich gestehe es,« antwortete sie »dass ich von Natur sehr zurückhaltend bin; aber Ihnen steht es nicht zu, sich darüber zu beklagen. Sie machen mich sehr glücklich, ohne Zweifel, aber Sie sind ohne Verlangen geboren und gewähren jenen, die Sie hervorrufen, nicht genug: ich fühle einen gewissen Zwang aus Allem, was Sie mir gewähren, sie ängstigen sich ohne Unterlass sich zu viel hinzugeben und unter uns, ich habe Sie in Verdacht, sehr wenig gefühlvoll zu sein.«

Indem Mazulhim so zu Zulika sprach, presste er mit leidenschaftlichem Ausdruck ihre Hände.

»Obzwar das Übermaß ihrer Reize mir schon geschadet hat,« fuhr er fort, »so vermöchte [285] ich es doch nicht, mir die Freude zu versagen, Sie dennoch zu bewundern; selbst wenn ich daran zu Grunde gehen sollte, so viele Anmuth und Schönheit dürfen mir nicht länger verborgen bleiben. Götter!« rief er mit Begeisterung aus, »machet mich meines Glückes würdig.«

Was auch immer Zulika früher zu Mazulhim über seine Gefühllosigkeit gesagt hatte, so rührte und erregte sie seine heiße Bewunderung und die Liebesschwärmerei, in der er versunken schien, es berauschte sie die Lebhaftigkeit seines Entzückens und die zärtliche Sorgfalt, womit er sich die größte Mühe gab, sie zu bewegen, seine Leidenschaft zu theilen.

»Werden Sie sich dann wieder beklagen?« sagte sie zärtlich zu ihm.

Er antwortete bloß damit, indem er ihr seine ganze Dankbarkeit beweisen wollte, aber Zulika erinnerte sich noch daran, wie wenig man sich auf ihn verlassen konnte, und fürchtete Alles von der Aufregung, in der sie ihn sah.

»Ach! Mazulhim,« sagte sie in einem [286] Tone zu ihm, der alle ihre Furcht verrieth, »werden Sie mich nicht allzu sehr lieben?«

Obzwar Mazulhim sich über ihre Angst des Lachens nicht enthalten konnte, fand sie sich weniger verliebt, als sie es zu sein fürchtete.

Ihr gegenseitiges Glück benahm beiden das gelangweilte Aussehen und den Zwang, [287] den sie sich seit einiger Zeit anthaten. Ihr Gespräch belebte sich allmählig.

Zulika glaubte Mazulhim aus den Händen der bösen Zauberer erlöst zu haben, sie triumphierte über die Mächte ihrer Reize, Mazulhim war mehr befriedigt mit sich selber und ergab sich seinem Genusse.

Als sie in der glücklichsten Stimmung waren, kam man das Mahl aufzutragen: ihre Mahlzeit war fröhlich, sie unterhielten sich lebhaft und da Zulika und Mazulhim die zwei böswilligsten Personen waren, die es am Hofe von Agra gab, so entging ihnen nichts und sie verschonten niemanden mit ihren bissigen Bemerkungen..

»Könnten Sie mir nicht sagen,« fragte Mazulhim, »weshalb Altun-Can seit einigen Tagen diese wichtige Miene zur Schau trägt, die man an ihm allgemein bemerkt?«

»Mein Gott! sicher,« antwortete sie lustig, »wissen Sie es denn nicht, dass er unendlich gut mit Aischa steht?«

»Aber, das wäre doch, wie es mir scheint,« antwortete er, »ein Grund mehr, um sehr bescheiden zu thun.«

»Ja wohl, für jemanden andern vielleicht,« [288] erwiderte sie, »aber finden Sie ihn denn nicht sehr glücklich, ihn?«

»Ich würde Ihnen versichern, dass nein,« entgegnete er; »wie lächerlich auch Altun-Can sein mag, so kann ich mich doch nicht enthalten, ihn zu beklagen; denn ein Mann, der Aischa angehört, ist ohne Widerrede der unglücklichste Mann der Welt.«

»Aber das eigenthümlichste an der Sache ist, dass Sie ein Geheimnis daraus macht,« sagte Zulika.

»Also als Vergeltung für den Streich,« meinte er, »bemühen Sie sich, ihr den Ruf eines liederlichen Lebens zu geben; Aischa hat nie ihre Liebhaber verleugnet und ich könnte darauf schwören, dass sie bei dem Alter und der unförmigen Gestalt die sie hat, weniger als jemals dazu geneigt ist. Und dennoch ist nichts so wahr als das, was ich Ihnen sage.«

»Nun wohlan, wenn dem so ist, so hat Altun-Can es verlangt, ein Geheimnis daraus zu machen.«

»Und wie geht es der reizenden Mesem, ich glaube, dass Sie dieselbe nicht mehr besuchen?«

[289] »Weil man sie überhaupt nicht mehr besuchen kann,« erwiderte sie, eine gespreizte Miene annehmend, »und weil sie eine ganz schlechte Aufführung hat.«

»Sie haben vollkommen Recht,« stimmte er sehr ernst bei, »denn nichts ist von so großer Wichtigkeit für eine Dame, die sich selbst achtet, als eine gute und gewählte Gesellschaft. Ich finde,« fuhr er fort, »dass sie immer schöner wird.«

»Ganz das Gegentheil,« antwortete sie, »sie wird abscheulich hässlich. Ich bin da durchaus nicht ihrer Meinung,« sagte sie; »sie bekommt seit letzter Zeit einen ganz gelben Teint, ein müdes Aussehen und man bemerkt eine gewisse Ermattung, die ihr sehr gut steht; wenn sie mit diesem ungesunden Aussehen fortfährt, wird sie in der That ungemein reizend werden.«

»Ich werde nicht enden, Sire,« sagte Amanzei, sich unterbrechend, »wenn ich Euer Majestät alle Äußerungen wiederholen sollte, die von der Dame gemacht wurden –«

»Ach! ich kann mir dieselben sehr leicht denken, und ich erlaube es Dir, sie abzukürzen; aber wenn ich es genau erwäge, so [290] könntest Du mich damit, wenn Du sie erzählen würdest, dennoch gut unterhalten.«

»Ich gestatte mir, Euer Majestät vorzustellen, dass darin vielleicht viele Äußerungen vorkommen könnten, die nicht genug interessant sind, um ...«

»Ja, gewiss,« unterbrach der Sultan, »das würde mich nicht interessieren; aber warum (denn ich habe bereits zwanzigmal diese Bemerkung gemacht), warum, sage ich, ist in einer Geschichte oder in einem Märchen (wie es Ihnen beliebt) nicht Alles interessant?«

»Aus sehr vielen Gründen,« sagte die Sultanin; »der Stoff, welcher dazu diente, eine Handlung herbeizuführen, dürfe zum Beispiel nicht so anziehend sein, als die Handlung selber; übrigens, wenn derartige Dinge stets auf derselben Stufe des Interesses stehen bleiben würden, so müssten Sie durch die unablässige Fortdauer der Spannung auch ermüden, der menschliche Geist kann nicht immer aufmerksam sein, das Herz könnte es nicht immer aushalten, leidenschaftlich bewegt zu sein, und eines sowohl wie das andere bedarf zu Zeiten der Ruhe.«

[291] »Ich verstehe,« antwortete der Sultan, »das ist gerade so, als das, um sich besser unterhalten zu können, es sehr rathsam ist, sich manchmal zuvor recht zu langweilen; aber wenn man sein eigenes Urtheil hat, und seine eigene Art zu denken, so bemüht sich jeder vergebens, man erräth Alles. Aber weiter, Amanzei!«

»Mazulhim war leider nach dem Speisen von Zulika Reizen ebenso wenig entzückt, als er es während des Tages gewesen, er fand unter tausenden ihrer Vorschläge zur Unterhaltung keinen einzigen, der ihm zugesagt haben würde, und Zulika schickte sich mit so verdrießlicher Miene an, wegzugehen, die mich darüber außer Zweifel ließ, dass ich sie je wieder sehen würde.

Aber trotz der üblen Laune Zulikas und der unschönen Art, mit der Mazulhim sie behandelt hatte, wagte er es dennoch, ehe er sie verließ, noch zu fragen, wann er sie wiedersehen könnte, und hinzuzufügen, dass es unbedingt in zwei Tagen sein müsse.

Obzwar sie in diesem Augenblick, wie ich merkte, gar keine Lust dazu hatte, ihm das zu gewähren, was er so glühend zu [292] verlangen schien, so antwortete sie ihm doch, dass sie es auch wünsche, aber sie sagte es in einem so kühlen Tone, der es mir verrieth, dass sie ihr Wort nicht halten wolle.

In diesem Augenblicke machte ich die Bemerkung, dass auch ich mich nach dem Weggehen Mazulhims in seinem kleinen Hause langweilen möchte, und es genügen würde, dahin zurückzukehren, wenn er selbst wiederkommen würde; ich konnte daher, um mich zu belehren und zu unterhalten, nichts klugeres thun, als Zulika in ihre Wohnung zu folgen; ich fasste diesen Entschluss und folgte ihr in ihrem Palankin.

Sobald ich in ihrem Palaste ankam, so beeilte ich mich mittelst der Anziehungskraft, womit mich Brama ausgestattet hatte, mich sofort in das erste Sopha, welches sich meinen Augen darbot, zu verbergen.

Als Zulika sich den nächsten Morgen zu ihrer Toilette setzen wollte, meldete man Zadis; sie ließ ihn bitten zu warten. Vielleicht wollte sie vor seinen Augen bloß in ihrem ganzen Liebreiz erscheinen, dm sie gewöhnlich annahm, wenn sie darauf vorbereitet war, ihre Verehrer zu empfangen, [293] oder hielt sie es für unanständig, dass er sie in der Unordnung sehen sollte, in der sie sich augenblicklich befand. Aber nach der Falschheit Zulikas zu schließen, war der letztere Grund weniger denkbar als der erste.

Endlich wurde Zadis vorgelassen; wenn man ihn auch nicht genannt haben würde, so hätte ich ihn nach dem Portrait, das Mazulhim Tags vorher von ihm beschrieben hatte, sofort erkannt haben. Er war ernst, kühl, sehr zurückhaltend, und hatte ganz das Aussehen, die Liebe mit jenen würdevollen, altmodischen Gefühlen dieser peinlichen Zartheit zu behandeln, die heute so lächerlich sind und welche vielleicht zu jeder Zeit mehr langweilig als ehrenwert waren.

Zadis näherte sich auch jetzt Zulika mit so viel Schüchternheit, als ob er ihr noch niemals seine leidenschaftliche Liebe bewiesen hätte; sie empfing ihn ebenfalls mit einer eingelernten, ceremoniellen Höflichkeit und so heuchlerischer Miene, als es nöthig war, ihn immer zu betrügen.

So lange Zulikas Dienerinnen anwesend waren, sprachen sie gleichgiltig von verschiedenen [294] Neuigkeiten und anderer nichtssagenden Dingen.

Da Zadis fest daran glaubte, der einzige zu sein, den Zulika liebte und der fand, dass selbst die zarteste Schonung nicht zu jener hinreichte, welche sie verdiente, erlaubte sich auch nicht den bescheidensten Liebesblick und Zulika, die allem Anscheine nach einen Mann genug blöde fand, sie so zu achten, ahmte seine Zurückhaltung ironisch nach oder sah ihn bloß mit heuchlerischen und gesenkten Blicken verstohlen an, welche gewöhnlich den schönen Spröden eigen sind, in welcher Lage sie sich auch befinden mögen.

Obzwar sich Zadis vollkommen beherrschte, so glaubte Zulika doch in seinen Augen eine noch ganz andere Trauer als jene, die ihnen sonst eigen war, zu lesen; sie fragte ihn vergebens, was ihm fehle.

Alle Fragen, die sie im sanften, innigen Tone an ihn richtete, beantwortete er bloß mit einer tiefen Verbeugung und noch tieferen Seufzern.

Als Zulika frisiert war, entfernten sich die Frauen.«

»Wollen Sie wohl, Zadis,« fragte sie [295] ihn in befehlendem Tone, »mir gefälligst sagen, was Ihnen fehlt? Denken Sie, dass ich bei meiner Theilnahme für Alles, was Ihre Person betrifft, die Sie wohl kennen, mich über Ihr hartnäckiges Stillschweigen nicht sehr betrüben soll? Mit einem Worte, es ist mein Wille, antworten Sie mir, ich werde es Ihnen niemals vergeben, wenn Sie darauf beharren, zu schweigen.«

»Sie werden mir vielleicht noch weniger verzeihen, wenn ich gesprochen haben werde,« erwiderte er schließlich; »denn das, was mich bewegt, darf Ihnen unter keiner Bedingung anvertraut werden.

Aber Zulika bestand auf eine so eindringliche Weise darauf, dass er glaubte, ohne sie zu beleidigen, nicht länger schweigen zu dürfen.«

»Würden Sie es wohl glauben, Madame,« sagte er über die Albernheit erröthend, die er darin fand, was er eben sagen wollte.

»Ich bin eifersüchtig.«

»Sie, Zadis!« rief sie mit erstaunter Miene aus; »Sie lieben mich ja! und ich [296] liebe Sie! und Sie können eifersüchtig sein. Haben Sie denn nicht daran gedacht?«

»Ach! Madame,« erwiderte er mit tief betrübter Miene, »strafen Sie mich nicht mit ihrem gerechten Zorne. Ich fühle ja die ganze Lächerlichkeit meines Dankens, ich erröthe ja selbst darüber. Mein Verstand widerspricht der Bewegung meines Herzens und weist sie von sich, und dennoch reißt mich die Liebe hin und alle Verehrung, die ich Ihnen schulde, verhindert es dennoch nicht, dass ich grausam gemartert werde. Selbst die Schande, die ich über mein Misstrauen empfinde, vernichtet diese Marter nicht.«

»Hören Sie mich an, Zadis« antwortete sie ihm mit majestätischer Miene, »und erinnern Sie sich dessen für immer, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Ich liebe Sie, ich fürchte nicht, es Ihnen zu wiederholen und ich will Ihnen einen Beweis meiner Gefühle geben, der für Sie ohne Widerrede sein muss, das ist, Ihnen Ihr Misstrauen zu verzeihen. Vielleicht sollte ich Sie an die Mühe erinnern, die es Ihnen gab, mich zu besiegen und zu erringen, dann an die zurückhaltende Art, in der ich lebe, die Ihnen [297] durchaus keine Veranlassung geben kann, an meiner Treue zu zweifeln; denn eine Frau von so ehrbarem Charakter wie ich, muss jedem Manne die größte Achtung einflößen. Ich sollte sogar Ihre unbegründeten Befürchtungen verachten, oder mich darüber empören und beleidigen; aber wie viel süßer ist es für mein zärtliches Herz, Sie meiner Treue zu versichern, und meine Liebe will sich selbst bis zu einer Erklärung herablassen.«

»Ach! Madame!« rief Zadis aus, indem er sich auf die Knie warf.

»Ich glaube es nun, dass Sie mich lieben, und ich würde vor Schmerz vergehen, wenn ich denken müsste, dass der ungerechte Verdacht, den ich ja nicht lange hegte, für Sie eine betrübende Ursache war, an meiner innigen Verehrung zu zweifeln.«

»Nein, Zadis,« antwortete sie anmuthig lächelnd, »ich zweifle nicht mehr daran, aber sagen Sie mir doch, was war denn die Ursache davon?«

»Was kümmert es mich nunmehr, Madame, wenn ich nun keine mehr habe.«

»Ich will sie kennen,« erwiderte sie.

[298] »Nun wohlan!« sagte er; »die Aufmerksamkeit, die Ihnen Mazulhim zu schenken scheint ...«

»Was?« unterbrach sie ihn, »ist er es, auf den sie eifersüchtig waren? Ach, Zadis, sind Sie denn dazu geschaffen, einen Mazulhim zu fürchten und haben Sie mich wirklich so gering geschätzt, um glauben zu können, dass er mir gefallen könnte? Ach, Zadis, soll ich, kann ich Ihnen dies jemals verzeihen?«

13. Kapitel
[299] Dreizehntes Kapitel.

Ende eines Abenteuers und Anfang eines andern.


Indem sie diese Worte beendete, füllten sich ihre schönen Augen mit Thränen, und Zadis, der sie für aufrichtig hielt, konnte sich nicht enthalten mitzuweinen.

»Ja, ich hatte gewiss Unrecht gehabt,« sagte er zärtlich, »und so heiß meine Liebe für Sie auch sein mag, so fühle ich dennoch, dass Sie mir nicht zur Entschuldigung für mein Vergehen dienen kann.«

»Ach, Grausamer!« antwortete sie schluchzend; »seien Sie so eifersüchtig, als sie es nur wollen; geben Sie sich ganz ihrer Raserei [300] hin, ich gestatte es Ihnen, aber wenn Sie mich so wenig kennen, um an meiner treuen Liebe zu zweifeln, so verdächtigen sie mich[301] wenigstens nicht dessen, dass ich fähig wäre, Mazulhim zu lieben.«

»Ich will ja gerne daran glauben, dass Sie ihn nicht lieben, und ich habe niemals gedacht, dass er Ihnen gefallen könnte; aber ich konnte ihn dennoch nie ohne innern Beben herkommen sehen.«

»Und doch ist er,« antwortete sie, »von allen, die Sie herkommen sahen, der am wenigsten Gefährliche für mich. Und selbst wenn mein Herz nicht von Ihrem Bilde erfüllt wäre und ich nicht die innigste Zärtlichkeit für Sie fühlen würde, und wenn Mazulhim mich vergöttern würde und die Anzahl seiner Vorzüge, wenn dies möglich wäre, die Unzahl seiner Laster übersteigen würden, so bliebe er noch immer in meinen Augen der allerletzte unter den Männern. Wie könnte eine Frau, ich sage nicht, die sich selbst achtet, aber die noch nicht jedes Schamgefühles bar ist, Mazulhim angehören? ihm, der niemals geliebt hat, der es öffentlich sagt, dass er eines jeden edleren Gefühles unfähig ist und für den selbst die leiseste Zärtlichkeit ein lächerliches Hirngespinst ist; und schließlich er, der keine andere Freude kennt, als jene [302] Frauen, die er besitzt, zu entehren. Ich übergehe alle seine lächerlichen Eigenschaften, nicht darum, dass ich deren nicht genug wüsste, um mich darüber auszulassen; aber wahrlich ich musste ja vor Scham erröthen, wenn ich noch weiter mit Ihren darüber reden sollte. Aber schließlich, obzwar ich Ihren Verdacht eben so ungerecht als meiner unwürdig finde, so bin ich doch recht froh darüber, dass sie mir den Gegenstand Ihrer Unruhe anvertraut haben, und ich verpflichte mich feierlichst, dass sie Mazulhim nur so lange Zeit hier sehen werden, als nöthig sein wird, um ohne Aufsehen mit ihm zu brechen.«

Zadis sagte ihr, mit Begeisterung ihre Hände küssend, tausend Dank für das, was sie für ihn that.

»Wofür danken Sie mir denn?« fragte ihn »ich bringe Ihnen ja kein Opfer.«

»Aber Madame, ist es denn möglich, dass Mazulhim Ihnen niemals gesagt hat, dass Sie ihm liebenswert erschienen?«

»Das ist ein herrlicher Einfall!« rief sie lächelnd; »oh, nein, ich versichere Ihnen, dass Mazulhim mich besser kennt als Sie mich [303] kennen, und dass so übermüthig als er auch erscheinen will, er doch zu vorsichtig dazu ist, sich an Frauen einer gewissen Art heranzuwagen. Übrigens zum Übermaße seiner schlechten Eigenschaften werde ich mich gar nicht darüber wundern, dass er, ohne mich jemals verlangt zu haben, ja ohne mir jemals im Leben etwas Ähnliches gesagt zu haben, öffentlich zu behaupten wagt, und vielleichst schon in den nächsten Tagen, dass er es gewesen, oder dass er gegenwärtig mit mir in einem vertraulichen Verhältnis steht. Wahrhaftig,« fügte sie hinzu, »daran könnte nur ein so eifersüchtiger Mann, wie Sie sind, glauben; nicht wahr, theurer Freund?«

»Nein,« entgegnete er, »ich konnte wohl die lächerliche Einbildung gehabt haben, es manchmal zu fürchten, aber ich schwöre Ihnen, dass ich niemals so thöricht sein werde, daran zu glauben.«

»Aber ich würde nicht darauf schwören,« meinte sie, »bei Ihrem misstrauischen Charakter mag es wohl eine köstliche Sache für Sie sein, schlecht von Ihrer Geliebten reden zu hören und dann mit ihr den größten Streit anzufangen, der unbegründet [304] bloß auf dem albernen Gespräch des ersten besten Dummkopfes beruht, welcher Ihren misstrauischen Charakter kennt und sich einen Spass daraus machen will, sie zu beunruhigen.«

»Verschonen Sie mich gnädigst,« sagte er zu ihr, »und bedenken Sie, dass die Eifersucht, welche Sie mir schon verzeihen wollten ...«

»Vielleicht heute nicht die letzte sein wird,« unterbrach sie ihn. »Um Sie in Ihren alten Kummer verfallen zu sehen, bedürfte es bloß, dass Mazulhim den Einfall hätte wiederzukommen.«

»Sprechen wir nicht mehr von ihm,« antwortete er, »da Sie mir ja verziehen haben; denn bis auf meine Ungerechtigkeit, beweist Ihnen ja Alles, wie sehr ich Sie anbete, verlieren wir daher nicht diese kostbaren Augenblicke, und geruhen Sie mir gnädigst Ihre Verzeihung mit einigen Gunstbezeugungen zu bestätigen.«

Nach diesen Worten, die Zulika sehr wohl begriff, nahm sie eine sehr betrübte Miene an.

»Wie unbequem sind Sie doch mit Ihren [305] ewigen Wünschen,« sagte sie ihm; »werden Sie mir denn dieselben niemals erlassen? wenn Sie es nur wüssten, wie sehr ich Sie lieben würde, wenn Sie vernünftiger wären ... Ich sage die Wahrheit,« fügte sie hinzu, als sie ihn ungläubig lächeln sah, »gewiss ich würde Sie deshalb noch tausendmal mehr lieben, wenn ich von Ihnen in einer Sache, welche ich hasse, nichts zu befürchten hätte.« Indem sie diese gehaltvollen Worte aussprach, ließ sie sich schmachtend nach der Seite, wo ich stand, hingleiten. »Ich schwöre es Ihnen,« sagte sie zu Zadis, als sie sich anmuthig auf mich niederglassen hatte, »dass ich in meinem ganzen Leben nicht mehr mit Ihnen streiten werde.«

»Das wollten die Götter,« antwortete er, »aber ich hoffe es nicht.«

»Und ich,« erwiderte sie, »fange nach dem, was mich die Wiederverständigung kostet, daran zu glauben an.« Trotz ihres Widerstrebens ergab sich Zulika endlich den Wünschen des Zadis, aber es geschah dabei Alles mit vollkommenem Anstande, einer gewissen Würde und solcher Schamhaftigkeit, wie man in ähnlichen Fällen kaum ein Beispiel hat. [306] Ein anderer Mann als Zadis würde sich vielleicht darüber beklagt haben, ihn aber, der gar zu streng an den Formen des Anstandes hielt, erfüllte diese übel angebrachte Tugendheuchelei Zulikas mit höchsten Entzücken, und er selbst ahmte, so gut er es vermochte, ihre großartige Miene und ihr würdevolles Benehmen nach, und war umsomehr zufrieden, je weniger Liebe sie ihm bewies.

Die Sache musste sich zum Schluss doch recht gut und zur Zufriedenheit beider gewendet haben, da Zulika den Einfall hatte ihm vorzuschlagen, den übrigen Theil des Tages mit ihr zu verbringen. Damit es niemand erfahre, dass sie zusammen waren, und wie lange sie mit einander verweilten, mit einem Worte, um unnützes Gerede zu vermeiden, befahl sie ihrem Diener jedem zu sagen, dass sie nicht zu Hause sei. Zadis, den seine rasende Eifersucht, wie dies gewöhnlich der Fall ist, nur noch verliebter gemacht hatte, stimmte sehr mit der besonderen Güte Zulikas überein. Er verließ sie erst gegen Mitternacht, und ging mit der festen Überzeugung, dass sie die vernünftigste [307] und zärtlichste Frau von ganz Agra war, nach Hause.

Ich habe es bereits erwähnt, dass ich nach der Miene, mit der Zulika Mazulhim verlassen hatte, und noch mehr nach der Art ihrer Denkungweise nicht daran glaubte, dass sie ein für eine Frau ihres Charakters so wenig anziehendes Verhältnis fortsetzen wollte, worin weder die Liebe noch das Vergnügen sie interessierten; doch trug die Neugier, über alle Vernunftsgründe, die sie haben konnte, den Sieg davon. Sie sagte zu Zadis, als sie ihn verließ, dass eine sehr wichtige Angelegenheit sie den nächsten Tag daran hindere, ihn wiederzusehen; und kaum war der für das Rendezvous bestimmte Abend herangekommen, als sie auch schon ihren Palankin bestieg und in Gesellschaft meiner Seele, die ihr folgte, die Richtung nach dem kleinen Häuschen einschlug, wo wir bloß einen Sklaven fanden, der sie und Mazulhim erwartete.

»Wie kommt denn das?« sagte sie zu dem Sklaven im barschen Tone, »ist er denn noch nicht hier? Ich finde es nicht sehr artig, [308] dass er mich auf sich warten lässt! Es ist sehr schön, dass ich die erste hier bin.«

Der Sklave versicherte ihr, dass Mazulhim sofort erscheinen werde.

»Aber,« erwiderte sie, »das ist eine ganz eigenthümliche Art, die er jetzt annimmt.« Der Sklave ging hinaus und Zulika kam in zorniger Laune sich auf mich zu setzen. Da sie von Natur heftig war, so blieb sie auch hier nicht still, und sich laut eines beispiellosen Leichtsinnes beschuldigend, schwur sie, Mazulhim nie mehr wiederzusehen.

Endlich hörte man unten einen Wagen halten; sie war bereit Mazulhim alles zu sagen, was ihr der Zorn eingab, stand lebhaft auf und rasch die Thüre öffnend, sagte sie:

»In der That, mein Herr, Sie haben eben so eigenthümliche als seltene Eigenschaften.«

»Oh, Himmel!« rief sie aus, als sie den Mann eintreten sah, der angekommen war. Ich war fast ebenso erschrocken beim Anblick eines reden Mannes, den ich nie gesehen.

[309] »Was!« fragte der Sultan, »war denn das nicht Mazulhim?«

»Nein, Sire,« antwortete Amanzei.

»Das war nicht er,« staunte der Sultan, »das ist wirklich sehr eigenthümlich! Und warum war er es nicht?«

»Sire,« antwortete Amanzei, »Euer Majestät werden es sofort erfahren.«

»Wissen Sie wohl,« erwiderte der Sultan, »dass es nichts komischeres geben kann als das? Dieser fremde Mann irrte sich wahrscheinlich. Ah, ohne Zweifel, er irrte sich, das merkt man sogleich. Aber, sage mir doch, Amanzei, was bedeutet denn ein solches kleines Haus? Seitdem Du davon erzählest, habe ich mich so gestellt, als ob ich es wüsste, was es bedeutet, aber ich kann meine Neugier nicht mehr bezähmen.«

»Sire,« erwiderte Amanzei, »das ist ein entlegenes heimliches Haus, wohin man sich allein, ohne Gefolge und ohne Zeugen begibt, um zu ...«

»Ah, so,« unterbrach der Sultan, »jetzt errathe ich es, das ist wahrhaftig sehr bequem, fahre fort.«

Die Wuth und Überraschung, welche [310] Zulika bei dem Anblicke des fremden Mannes ergriff, hinderte sie daran zu sprechen. »Ich weiß es, Madame,« sagte ihr der Inder mit galanter Miene, »wie sehr Sie erstaunt sein müssen, mich hier zu sehen. Mir sind die Ursachen, welche Sie hier einen andern Anblick als den meinen wünschen lassen, nicht genug bekannt. Aber wenn meine Gegenwart Sie überrascht, so verursacht mir die Ihrige eine nicht geringere, sehr angenehme Überraschung. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass die Person, welcher Mazulhim mich bat seine Entschuldigungen zu überbringen, diejenige von allen sein würde (wenn ich das Glück hätte an seiner Stelle zu sein), der ich am liebsten meine Huldigungen darbringen wollte. Aber Mazulhim ist deshalb nicht schuldig; nein, Madame, er weiß es sehr wohl, was er alles Ihrer Güte verdankt, er verzehrte sich vor Verlangen darnach, sich Ihnen zu Füßen werfen zu können, Ihnen von seiner unbegrenzten Dankbarkeit sprechen zu dürfen; grausame Befehle, denen er zwar nicht zu gehorchen beabsichtigte, so heilig sie ihm auch sein sollten, haben ihm so süßer Freuden beraubt. Er [311] glaubte daher mehr meiner Ehrenhaftigkeit als der Verschwiegenheit eines Sklaven vertrauen zu können und hat es dabei nicht bedacht, dass er dem Zufall ein Geheimnis preisgibt, worin eine so reizende Persönlichkeit wie Sie ganz besonders betheiligt ist.«

Zulika war so verblüfft über das, was ihr begegnet war, dass der Inder wohl noch viel länger hätte reden können, ohne dass sie die Kraft gehabt hätte ihn zu unterbrechen. Die Verlegenheit, in der sie sich befand, ließ es sie wünschen, dass er wo möglich noch mehr Dinge ihr zu sagen gehabt hätte. Fassunglos und starr vor sich hinsehend, und fast ohne Bewegung, schlug sie die Augen zu Boden, wagte es nicht ihn anzusehen, erröthete vor Scham und fing schließlich zu weinen an.

»Der Inder nahm sie theilnahmsvoll und höflich bei der Hand und führte sie zu mir, wo sie ohne ein einziges Wort auszusprechen sich auf mich warf.«

»Ich sehe es wohl, Madame, dass sie darauf beharren, Mazulhim für schuldig zu halten, und ich bemühe mich vergebens, denn alles, was ich Ihnen sage, um ihn zu rechtfertigen, [312] scheint Ihren Unwillen gegen ihn noch zu vermehren.«

»Wie glücklich ist er! Wie glücklich ist er! So sehr er auch mein guter Freund ist, wie sehr beneide ich ihn um diese kostbaren Thränen, die seinetwegen vergossen werden! ah, welches Übermaß von Liebe! ...« »Wer sagte Ihnen, dass ich ihn liebe, mein Herr?« unterbrach ihn Zulika, die unterdessen Zeit gewonnen hatte sich zu erholen, sich stolz aufrichtend. »Ist es denn nicht möglich, dass ich wegen andern Dingen herkam, woran die Liebe keinen Theil hat? Kann man denn Mazulhim nicht sehen, ohne für ihn jene Gefühle zu hegen, die Sie mir zu zuschreiben scheinen? Wonach wollen Sie denn schließen, dass Sie mein Herz getroffen?«

»Ich wage es aber,« antwortete der Inder lächelnd, »daran zu glauben, dass wenn meine Folgerungen nicht richtig sind, sie wenigstens wahrscheinlich sind, die bitteren Thränen, die Sie vergießen, Ihr Zorn, die gewisse Stunde, um welche Sie sich an einem Ort befinden, der stets nur der Liebe geweiht war, kurz Alles macht mich daran glauben, dass [313] nur Mazulhim das Recht hatte, Sie hierherzuführen.«

»Vertheidigen Sie sich nicht so sehr, Madame,« fügte er hinzu, »Sie lieben; machen Sie, wenn es Ihnen beliebt, ein Verbrechen aus dem Gegenstande und nicht aus Ihrer Leidenschaft.«

»Was!« rief Zulika, die ihrer Falschheit nicht entsagen konnte, »Mazulhim hatte es gewagt, Ihnen zu sagen, dass ich ihn liebe!«

»Ja, Madame.«

»Und sie glauben das?« fragte sie ihn mit Erstaunen.

»Sie erlauben mir wohl, zu sagen,« antwortete er, »dass diese Sache so klar ist, dass es lächerlich wäre daran zu zweifeln.«

»Nun wohl, ja, mein Herr,« erwiderte sie, »ja, ich liebte ihn, ich habe es ihm auch gesagt, und ich kam her es ihm zu beweisen, dem Undankbaren gelang es endlich mich bis hierher zu führen. Ich erröthe nicht es Ihnen zu gestehen, aber der Rücksichtslose soll nie mehr andere Beweise meiner Schwäche haben, als das Geständnis, das ich ihm davon [314] gemacht habe. Nur einen einzigen Tag später! Himmel! Was wäre aus mir geworden!«

»Aber Madame!« sagte der Inder kühl, »glauben sie denn, dass Mazulhim eine so [315] üble Meinung von mir und kein Vertrauen zu mir habe, um mir bloß die Hälfte Ihres Geheimnisses anzuvertrauen?«

»Was hat er Ihnen denn sagen können?« fragte sie spitz. »Hat er zu seiner Verleumdung noch die grobe Beschimpfung hinzugefügt, und wäre er genug rücksichtslos zu sagen, dass ...«

»Mazulhim mag verwegen und rücksichtslos sein, aber es ist mir unmöglich ihn für einen Lügner zu halten.«

»Ah! der Schurke!« rief sie aus »es ist bei meiner Ehre das erstemal, dass ich hierher gekommen bin.«

»Ich muss es wohl glauben, da Sie es wollen,« erwiderte er, »und ich glaube viel lieber, dass Mazulhim mich betrogen hat, als ich daran, was Sie mir sagen, zweifle. Aber Madame, vor wem vertheidigen Sie sich dessen? Wenn Sie gegen mich gerecht sein wollten, so wage ich es, mir zu schmeicheln, dass sie gewiss weniger Angst haben würden, mich als den Mitwisser Ihrer Geheimnisses zu haben. Sie weinen! Ah! damit erweisen Sie dem Undankbaren zu viele Ehre! Wenn man so schön wie Sie ist, [316] so ist es viel vortheilhafter daran zu denken, wie man sich rächen könnte? Ja, Madame, ja, Mazulhim hat mir allesmitgetheilt; es ist mir nicht unbekannt, dass Sie seine kühnsten Wünsche erhört haben, ja, ich kenne selbst genaue Einzelnheiten seines süßen Glückes, über die Sie in das größte Erstaunen gerathen würden.«

»Beleidigen Sie sich nicht darüber,« fuhr er fort, »aber sein Entzücken war zu groß, als dass er es in seinen Busen verschließen konnte; wäre er weniger glückselig, weniger entzückt gewesen, so würde er ohne Zweifel viel kühler und rücksichtsvoller gehandelt haben. Denn es war nicht seine Eitelkeit, sondern sein Glück, das ihn nicht schweigen ließ.«

»Mazulhim,« unterbrach sie ihn schmerzlich. »Ach, der Verräther! Was, Mazulhim opfert mich! Mazulhim hat ihnen Alles gesagt? Indes, er hat wohl daran gethan,« fuhr sie im mäßigeren Tone fort, »ich kannte ja die Männer noch nicht; und Dank seiner Mühe, werde ich für meine Schwäche bestraft und jeder Verpflichtung gegen ihn ledig sein.«

[317] »Ach! Madame,« antwortete der Inder kühl, indem er sich so stellte, als ob er ihr glauben würde, »das heißt nicht sich rächen, das heißt sich selbst bestrafen.«

»Nein,« antwortete sie, »alle Männer sind schlecht; ich habe darin eine zu empfindliche Erfahrung gemacht, um daran zu zweifeln, sie gleichen alle Mazulhim.«

»Oh! glauben Sie das nicht,« rief er aus, »ich schwöre Ihnen, dass wenn Sie mich statt seiner geliebt hätten, Sie ihn niemals an meiner Stelle gesehen haben würden.« »Aber,« erwiderte sie, »ich weiß es nun, dass jene Pflichten, die ihn zurückgehalten haben sollen, bloß leere Ausflüchte sind und ohne Zweifel will er mich verlassen.«

»Ach, scheuen Sie sich nicht mich davon in Kenntnis zu setzen.«

»Leider ja, Madame,« erwiderte der Inder, »es wäre nutzlos es Ihnen verbergen zu wollen. Mazulhim liebt Sie nicht mehr.«

»Er liebt mich nicht mehr,« stöhnte sie schmerzlich. »Ach! dieser Schlag tödtet mich; der Undankbare! das ist der Lohn, den er für meine Liebe bestimmt hat!« Nach diesen Worten erleichterte sie ihren Kummer noch [318] mit einigen Schmerzensausbrüchen und Klagen, worin der Reihe nach Thränen, Wuth und Niedergeschlagenheit abwechselten. Der Inder, der sie kannte, ließ sie ruhig gewähren und stellte sich ganz durchdrungen von glühender Bewunderung für sie.

»Ich fühle, dass ich sterben werde, mein Herr,« sagte sie zu ihm, nachdem sie lange geweint hatte, »denn einem so gefühlvollen und zarten Herzen, wie dem meinigen, darf man nicht ungestraft so harte Schläge versetzen; aber was würde denn er gethan haben, wenn ich ihn hintergangen hätte?« »Er würde Sie dann vielleicht noch mehr angebetet haben,« antwortete der Inder.

»Ich kann ein solches Betragen nicht begreifen,« erwiderte sie, »ich werde ganz irre daran. Wenn der Undankbare mich nicht mehr liebte, und er nicht mehr den Muth dazu gehabt hat, es mir zu sagen, konnte er es mir denn nicht schreiben? Ist es denn möglich unwürdiger mit dem verachtenswertesten Gegenstande zu brechen? Und weshalb wählte er gerade Sie, es mir zu sagen?«

»Ich sehe leider nur zu deutlich, dass [319] die Wahl seines Vertrauten Ihnen noch mehr missfällt als das Anvertraute selbst, und ich schwöre Ihnen, dass wenn ich Ihre ungerechte Abneigung gegen mich geahnt hätte, Sie mich jetzt nicht hier sehen würden, und wenn Mazulhim nur die Dame, der er mich bat seine Entschuldigung zu bringen, genannt hatte. Ich zweifle selbst (dass wenn ich Ihnen in einer für mich günstigeren Stimmung als ich das Unglück habe, Sie jetzt zu sehen, gegenüber stehen würde), dass ich daran geglaubt hätte, wenn er mir die schöne Zulika genannt haben würde. Ich würde es nie vermocht haben zu denken, dass es jemanden in der Welt gäbe, der nicht sein höchstes Glück darin finden würde, von ihr geliebt zu werden.«

»Das ist doch sehr harmlos,« fügte er hinzu, »dass ich es übernahm, Ihnen den empfindlichsten Kummer zu machen, der Sie treffen konnte, und dass ich mich in Geheimnisse verflochten finde, welche Sie lieber in andern als in meinen Händen wissen würden.«

»Ich weiß nicht, was Sie bestimmt daran zu glauben,« erwiderte sie mit verlegener [320] Miene; »Geheimnisse dieser Art, in deren Besitze Sie heute sind, vertraut man gewöhnlich niemanden an; aber ich habe wahrhaftig keine besonderen Gründe ...«

»Entschuldigen Sie, Madame,« unterbrach er lebhaft, »Sie hassen mich. Es ist mir nicht unbekannt, dass bei jeder Gelegenheit mein Verstand, mein Antlitz, meine Gewohnheiten, meine Sitten der Gegenstand Ihres beißenden Spottes und Ihrer strengen Kritik gewesen sind. Ich würde es selbst gestehen, dass wenn ich einige Tugenden habe, ich sie bloß dem innigen Verlangen verdanke, ihres Lobes würdig zu sein, oder Sie wenigste as zu verpflichten mir diese bitteren Bemerkungen zu erlassen, mit denen Sie mich, seit wir uns in der vornehmen Welt begegnen, überhäufen.«

»Ich! mein Herr,« sagte sie erröthend, »ich habe niemals etwas über Sie gesprochen, worüber Sie mir böse sein könnten; übrigens wir kannten uns ja kaum, Sie haben mir ja niemals Veranlassung dazu gegeben, mich über Sie zu beklagen und ich halte mich nicht für genug lächerlich, um ...«

»Brechen wir das Gespräch hier ab, ich bitte sie inständigst,« unterbrach er, »eine [321] längere Auseinandersetzung würde Ihnen lästig sein. Aber da wir einmal bei diesem Kapitel angelangt sind, so erlauben Sie mir Ihnen nur noch zu sagen, dass ich bei den zärtlichen Gefühlen, die ich immer für Sie hegte, bei den Gefühlen, die selbst Ihre Ungerechtigkeit gegen mich nicht einen Augenblick zu trüben vermochte, gewiss allein derjenige Mann in der Welt bin, der am meisten Ihr Mitgefühl und am wenigsten Ihren Hass und ihre Verachtung verdient hat. Ja, Madame,« fügte er hinzu, »ich gestehe Ihnen, dass nichts im Stande war, die unglückliche Liebe, die Sie mir einflößten, zu ersticken, ihre Missachtung, ihr Hass, ihre Erbitterung gegen mich haben mir großen Jammer verursacht, aber sie haben mich nicht geheilt. Ich kenne Ihr Herz zu genau, als dass ich mir einbilden könnte, dass es eines Tages auch für mich jene zärtlichen Gefühle hegen könnte, die ich so sehnlich verlange, aber ich hoffe, dass mein Zartgefühl in Allem, was Sie betrifft, Sie doch von manchem Vorurtheil gegen mich heilen wird, und welches, wenn es so groß ist, dass Sie mir Ihre Freundschaft niemals gewähren [322] können, Sie mir doch Ihre Achtung nicht zu entziehen vermögen.«

Zulika war von seiner ehrfurchtsvollen Sprache gewonnen, zögernd gestand sie ihm, dass sie in der That aus irgend einer Laune, deren Quelle sie zwar nicht zu entdecken vermag, sich öffentlich als seine erbitterte Feindin erklärt hatte, dass sie es nun wohl einsah, Unrecht gehabt zu haben, welches, wie sie hoffte, wohl bald gut zu machen wäre; sie bat ihn, dass davon zwischen ihnen keine Rede mehr sei, und versicherte ihm ihrer nunmehrigen Freundschaft, Achtung, ja selbst inniger Dankbarkeit. Nachdem sie ihn inständigst gebeten hatte, ihr Geheimnis unverbrüchlich zu bewahren und zu respektieren, stand sie auf und wollte sich entfernen.

»Wohin wollen Sie jetzt gehen. Madame?« sagte der Inder sie zurückhaltend, zu ihr. »Sie haben niemanden zu Ihren Diensten hier; ich habe meine Leute weggeschickt, und die Stunde, zu welcher sie wiederkommen werden, ist noch sehr fern.«

»Gleichviel,« erwiderte sie, »ich kann an [323] einem Orte, wo mich Alles an meine Schwachheit erinnert, nicht länger verweilen.«

»Vergessen Sie den undankbaren Mazulhim,« erwiderte er; »dieses Haus gehört von heut an nicht mehr ihm, er hat es mir überlassen, und erlauben Sie dem Weltmanne, der sich für Sie interessiert, Sie zu bitten, hier zu befehlen. Oder überlegen Sie [324] wenigstens, was Sie zu thun beabsichtigen. Sie können um diese Stunde nicht mehr ausgehen, ohne sich dem auszusetzen, begegnet zu werden. Möge Ihre gerechte Entrüstung Sie nicht darauf vergessen lassen, was Sie ihrem Rufe schulden. Denken Sie an das ungeheuere Aufsehen, das Sie erregen würden, denken Sie daran, dass Sie vielleicht schon morgen das Stadtgespräch von Agra bilden möchten, und man trotz Ihrer Vorzüge, Tugenden und edlen Gefühle, die man wirklich hochschätzen muss, glauben würde, dass Sie eine jener gemeinen Personen sind, denen solche Abenteuer ganz gewöhnlich sind.«

Zulika widerstand lange diesen ernsten Vernunftsgründen Nasses, das war der Name des Inders, die er vorbrachte, um sie zum Bleiben zu bewegen.

»Alles ist hier vorbereitet, um Sie würdig zu empfangen,« fügte er hinzu, »dulden Sie es nur, dass ich mit Ihnen einen Abend verbringen darf, das, was Sie sind, und der Rang, den ich einnehme, muss Ihnen für meine Achtung bürgen. Ich stütze mich durchaus nicht auf meine Gefühle für [325] Sie; denn wenn ich es wage, Ihnen davon zu sprechen, so geschieht es bloß, um Ihnen zu beweisen, wie sehr ich mich für Sie interessiere, denn ich bemühe mich bloß den traurigen Eindruck, den Mazulhims unwürdiges Benehmen und Rücksichtslosigkeit bei Ihnen zurückließ, zu verscheuchen.«

Nach kurzem Sträuben willigte Zulika ein zu bleiben, von der Wahrheit dessen überzeugt, was Nasses ihr gesagt.

»Bei Ihrer Ansicht, Madame, bin ich sehr erstaunt, Sie so empfindlich zu finden ...«

»Wohl!« unterbrach der Sultan, »er weiß nicht, was er sagt, denn so weit ich mich dessen erinnere, so ist es immer dieselbe Dame, die so sehr aufgebracht darüber war, dass Mazulhim nicht genug artig gegen sie gewesen.«

»Ohne Zweifel,« sagte die Sultanin »das ist immer dieselbe.«

»Einen Augenblick gefälligst,« erwiderte der Sultan, »finden wir uns darin zu recht. Wenn es dieselbe ist, warum sagt er ihr ... das, was er ihr sagt? Sie sehen doch wohl ein, dass er sich irrt. Diese Dame [326] da ist doch gewohnt daran, viele Liebhaber zu haben, in Folge dessen ist es sehr lächerlich, wenn er ihr sagt, dass sie darüber sehr erstaunt sein muss.«

»Sehen Sie denn nicht, dass er sie lächerlich machen will?« antwortete die Sultanin.

»Ach, das ist eine andere Geschichte!« erwiderte der Sultan »Aber weshalb hat man mich nicht darauf aufmerksam gemacht? oder will man, dass ich es errathen soll? Ah! er verspottet sie, dass sehe ich wohl; aber weshalb spottet er über sie? das möchte ich gerne wissen.«

»Das wird Ihnen Amanzei gewiss mittheilen, wenn Sie ihm fortzufahren erlauben.«

»Mag sein,« sagte der Sultan; »das, was ich darüber sage, wie Sie es wohl begreifen werden, ist nicht, dass es mir gleichgiltig wäre: man redet nur um zu sprechen, und was meine Person betrifft, ich hasse eine gute Unterhaltung durchaus nicht.«

14. Kapitel
[327] Vierzehntes Kapitel.

Welches weniger Thatsachen als Gespräche enthält.


Amanzei setzte des andern Morgens seine Erzählung also fort:

»Da ich so wie Sie denke, Madame,« sagte Nasses zu Zulika, »müssen Sie sehr erstaunt sein, sich so empfindsam zu finden?«

[328] »Daran ist nicht zu zweifeln,« antwortete sie; »und das ist, ich versichere Sie, das sonderbarste Abenteuer in meinem Leben.«

»Ich staune nicht darüber, dass Sie geliebt haben,« erwiderte er, »denn es gibt sehr wenige Frauen, welche sich vor der Liebe bewahrt haben; aber dass es gerade Mazulhim gewesen ist, der den Sieg über Ihr Herz davongetragen hat, über dieses Herz, welches so wenig geschaffen schien die Liebe zu kennen, das ist, ich muss es Ihnen gestehen, was ich nicht verstehe.«

»Ich verstehe es selbst nicht,« antwortete sie, »und wirklich, wenn ich mich prüfe, kann ich es nicht begreifen, wie er mir gefallen und mich verführen konnte.«

»Ah, Madame,« rief er mit theilnehmender Miene aus, »welch ein trauriges Schicksal ist doch das Ihre! Sie lieben den, der Sie nicht mehr liebt, und ich liebe Diejenige, welche mich nie lieben wird. Warum verharren Sie immer bei dieser ungerechten Abneigung, die Sie, wie ich wohl wusste, gegen mich fühlen? hatte ich Ihnen nicht gesagt, bis zu welchem Punkte Sie einen [329] Eindruck auf mich gemacht? Vielleicht, ach! werden meine Bemühungen, meine Beständigkeit, meine Achtung Sie endlich entwaffnet haben.«

»Vielleicht,« sagte sie »würden Sie mich auch so behandelt haben, wie Mazulhim mich behandelt.«

»Nein,« antwortete er, indem er ihre Hand fasste; »nein, Zulika hätte sich so angebetet gesehen, wie sie es zu sein verdient.«

»Aber,« erwiderte sie, »Mazulhim hat gerade so zu mir gesprochen wie Sie; warum sollte ich glauben, Sie hätten nicht dieselben Dinge gethan wie er?«

»Sein ganzes Benehmen hätte Sie an der Wahrheit seiner Gefühle zweifeln lassen sollen,« antwortete er, »Mazulhim, der Unbeständige und Zerstreute, konnte keiner ernsten Liebe fähig sein. Darüber konnten Sie nicht in Ungewissheit sein, dass er rücksichtsloser und trügerischer ist, als es uns erlaubt ist zu sein. Es ist jedoch wahr, dass wie untreu er auch war, so hätten Sie doch, ohne zu sehr des Hochmuthes angeklagt zu werden, ihn an sich fesseln können. Die [330] Schwierigkeit, Ihnen zu gefallen, Ihre Reize, das so seltene Vergnügen in einem Herzen zu herrschen, das vor ihm niemanden sich unterworfen hatte, alles das hätte Sie von seiner Seite eine ewige Zärtlichkeit erwarten lassen können.«

Das, was für jede Andere eine lächerliche Eitelkeit gewesen wäre, gestaltete sich für Zulika zu einem so natürlichen Gedanken, dass sie nicht umhin konnte ihn zu haben.

»Es ist wenigstens sicher,« antwortete sie bescheiden, »dass ich durch meine edle Art zu denken einige Rücksicht verdient hätte.«

»Rücksicht! Sie!« rief er aus, »ersetzt sie Ihnen denn Alles das, was man Ihnen schuldet? Also Sie würden als Preis für all Ihre Güte nur das fordern, was man selbst einer Frau, die man nicht achtet, schuldig ist?«

»Sie sehen also,« erwiderte sie, »dass ich nicht zu viel gefordert habe.«

»Wenn es mir erlaubt wäre mit Ihnen zu sprechen ...« erwiderte Nasses.

»Sie können es,« unterbrach sie, »und [331] Sie sollen nicht daran zweifeln, dass das, was heute zwischen uns vorgeht, uns nicht mit der zartesten Freundschaft verbinden soll.«

»Ja, Madame,« sagte er lebhaft, »mit der zartesten; aber bin denn ich es, ist es denn Nasses, der so lang gehasste, dem Zulika die zarteste Freundschaft zu versprechen geruhte?«

»Ja, Nasses,« antwortete sie, »es ist Zulika, welche ihre Ungerechtigkeit erkennt, welche darüber verzweifelt ist und Ihnen schwört, sie wieder gut zu machen.«

Dann schaute sie ihn sehr gütig an, er hatte ein sehr einnehmendes Gesicht; und obzwar weniger in der Mode als Mazulhim, so stand er ihm dennoch in nichts nach.

»Was,« rief er aus, »Sie sind es, die mich zu lieben verspricht?«

»Ja,« antwortete sie, »mein Herz wird Ihnen angehören, meine geringsten Gedanken, meine Gefühle, alles wird Ihnen bekannt sein.«

»Ah, Zulika!« sagte er, indem er sich ihr zu Füßen warf und ihre Hand küsste, »wie wird Ihnen meine Zärtlichkeit entgelten, [332] was Sie für mich thun? Herrin meines Lebens, Ihre Befehle allein werden mein Betragen leiten.«

[333] »Lassen wir das,« sagte sie lächelnd, »und stehen Sie auf, ich sehe Sie nicht gern zu meinen Füßen; kommen wir auf das zurück, was Sie mir sagen wollten.«

Er stand auf, setzte sich neben sie, und indem er ihre Hand hielt, fuhr er folgendermaßen fort:

»Nun will ich Sie befragen, wenn Sie es mir gütigst erlauben. Wodurch konnte Mazulhim Ihnen denn gefallen? Durch welchen Zauber konnte die Frau die durch ihre Gefühle und ihr Betragen so einzunehmen weiß, Gefallen an ihm finden?«

»Wie konnte ein so eitler und ungestümer Mann einer so klugen und bescheidenen Frau, wie Sie sind, gefallen? Denn dass er Frauen gefalle, die seines Charakters sind, Frauen, die leichtfertig und flatterhaft sind, denen kein Gegenstand Liebe einflößt, und die von all denen, die sich ihren Blicken darbieten, besiegt werden, dass er solchen gefalle, das wundert mich nicht, aber Sie?«

»Um mit den Vertrauensbeweisen anzufangen, die ich Ihnen versprochen habe,« antwortete Zulika, »will ich es Ihnen aufrichtig [334] gestehen, dass ich es nicht zu fürchten brauchte, dass Mazulhim mir jemals theuer sein könnte. Denn ohne die grausame Erfahrung, die ich seitdem gemacht habe, wusste ich genau, dass es nur eines Augenblicks bedarf, um selbst die tugendhafteste Frau auf die verhängnisvollsten Abwege zu führen; aber beruhigt durch meine Gefühle, durch die Zeit selbst, während welcher ich in der Welt war, ohne gegen die geringsten Pflichten zu verstoßen, die uns vorgeschrieben sind, wagte ich es mir zu schmeicheln, dass dieser Ruhestand ewig dauern würde.«

»Ohne Zweifel,« sagte Nasses mit einer ernsten Miene, »nichts ist den Frauen so verhängnisvoll, als diese Sicherheit, von der Sie sprechen.«

»Das ist wenigstens wahr,« antwortete sie; »eine Frau ist dem nie mehr ausgesetzt zu unterliegen, als wenn sie sich für unbesiegbar hält.«

»Ich wiegte mich in dieser trügerischen Sicherheit,« fuhr sie fort »als Mazulhim mir vor die Augen kam; ich werde es Ihnen nicht erzählen, wie er es angestellt hat, um mich zu verführen. So viel ich weiß, nachdem [335] ich ihm lange widerstanden, war mein Herz bewegt und mein Kopf verwirrt. Ich fühlte Regungen, welche mich übermannten, umsomehr, als ich dieselben noch nicht empfunden. Mazulhim, der es besser als ich wusste, welcher Art diese Regungen wären, benutzte dieselben, um mich zu Schritten zu verleiten, deren Folgen ich nicht kannte; schließlich brachte er mich dahin, dass ich hierher kam. Ich glaubte, und er hatte mir es auch versprochen, dass er sich bloß ungezwungener unterhalten wolle, als wir es in dem öffentlichen Leben hoffen konnten. Ich kam hierher, seine Gegenwart hat mich mehr bewegt, als ich gedacht hatte; allein mit ihm fand ich mich weniger stark, als ich gedacht; ohne mir dessen bewusst zu sein, was ich gewährte, konnte ich ihm doch nichts verweigern; die Liebe hat mich endlich zum Äußersten verführt.«

Nachdem sie diese Worte beendigt, hatte sie die Augen von Thränen befeuchtet, die sie sich zu vergießen zwang.

Nasses, der an ihrem Schmerze den lebhaftesten Antheil zu nehmen schien, sagte ihr Dinge, um sie scheinbar zu trösten, die [336] geeignet dazu waren, sie in Verzweiflung zu bringen.

Besonders erwähnte er mit absichtlicher Bosheit die kurze Zeit, während der sie Mazulhim bei sich behielt.

»Es ist gewiss nicht der Fall, dass Sie nicht die Eigenschaft besäßen, einen Mann zu fesseln, und ihn glücklich zu machen, wenigstens muss man es so annehmen. Dennoch ließe diese Unbeständigkeit, die Mazulhim bewies, bei jeder anderen Frau, Sie ausgenommen auf die unvortheilhaftesten Dinge schließen.«

Zulika nahm bei dieser Erwähnung des Nasses eine Miene an, nach der man schließen konnte, dass sie sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen hatte.

»Man weiß wohl, dass die Männer oft so unglücklich sind, sich nicht lange selbst des liebenswürdigsten Gegenstandes erfreuen zu können, ohne dass sich ihre Wünsche schwächen; aber man liebt wenigstens drei Monate, sechs Wochen, selbst vierzehn Tage, mehr oder weniger. Man hat es sich nie einfallen lassen, eine Frau so plötzlich und rauh zu verlassen, wie Sie Mazulhim verließ; [337] es ist lächerlich eine Abscheulichkeit, die man sich gar nicht vorstellen kann.«

»Ah, Zulika,« fügte er hinzu, »ich wage es noch zu wiederholen, mich hätten Sie viel beständiger gefunden.«

Zulika antwortete ihm, dass sie davon wohl überzeugt sei, aber da sie nicht mehr lieben wolle, so wäre es ihr von nun an eine sehr gleichgiltige Sache, ob die Männer beständig seien oder nicht, und aus aufrichtiger Freundschaft, die sie für ihn fühle, wünsche, dass die Liebe, welche, wie er betheuerte, sie ihm einflößte, nicht wahrhaft sei, und es ihr leid thäte, wenn er sich Gefühlen hingäbe, die er doch nie belohnt oder erwidert sehen könnte.

»Ja,« erwiderte Nasses mit trauriger Miene, »ich fühle wohl alles, was Sie mir sagen. Ich finde in ihrem Charakter jene Festigkeit, die ich bei Ihnen immer gefürchtet, und die ich nicht umhin kann zu bewundern, obzwar sie mich unglücklich macht. Wenn Sie weniger schätzenswert wären, würde ich weniger zu beklagen sein; denn es wäre mir endlich erlaubt zu glauben, dass nachdem Sie Mazulhim geliebt haben,[338] so wäre es nicht unmöglich, dass Sie auch mich liebten.«

»Das ist ein Gedanke, den man sich von allen Frauen der Welt machen könnte, ohne dieselben zu beleidigen, aber Sie gleichen unglücklicherweise niemanden, ohne eine Folge für die Zukunft daraus zu ziehen, dass Sie eine Schwäche gehabt haben.«

Zulika, welche ohne Zweifel über die falsche Idee, die Nasses von ihr hatte, innerlich lachte, versicherte ihm, dass sie ihm recht gebe, und sie mache sich ein Verdienst daraus, zu denken, sie habe von der Natur diese glückliche Anlage erhalten, sich nicht so leicht erregen zu lassen, und die Kälte, die sie bei den Vergnügungen empfindet, denen sich die meisten Frauen mit äußerstem Entzücken hingeben, sie selbst bei der heftigsten Liebe, welche ihr Mazulhim einflößte, nicht verließ.

»Um so schlimmer für Sie, Madame,« sagte ihr Nasses; »je achtungswerter Sie sind, umsomehr sind Sie zu beklagen. Ihre Gefühllosigkeit wird das Unglück ihres Lebens sein. Mazulhim wird Ihren Augen stets gegenwärtig sein. Die demüthige Art, [339] auf die er Sie verließ, wird keinen Augenblick aus ihrem Gedächtnis schwinden; es ist eine Strafe, die Sie selbst in der Einsamkeit verfolgen wird, und keine Vergnügungen der Welt werden Sie zerstreuen können.«

»Aber was soll ich thun, um einen so grausamen Gedanken aus meinem Geiste zu bannen? Ich glaube wie Sie, dass eine neue Liebe mich Mazulhim vergessen machen könnte, aber ohne die Unfälle in Betracht zu ziehen, welche vielleicht damit verbunden sein werden, so kann ich nicht glauben, dass mein Herz sich ihr so hingeben möchte, als es eben zu meiner Heilung nothwendig wäre?«

»Nein, Nasses, glauben Sie mir, eine Frau, die in einer gewissen Art denkt, kann nicht zweimal lieben.«

»Das ist eine falsche Ansicht!« rief er aus, »ich kenne Frauen, welche mehr als sechs geliebt haben, und welche sich deshalb nicht geringer schätzen. Übrigens sind Sie in einem so grausamen Fall, der Sie über alle Regel hinaussetzt, und wenn Ihr Abenteuer bekannt würde, und man Sie zehn Männer auf einmal lieben sähe, würde man es [340] ganz natürlich finden, dass Sie sich für die Ihnen angethane Schmach entschädigen wollen.«

»Ah,« sagte Zulika träumend, »leider findet man uns tadelnswert, selbst wenn wir mit der aufrichtigsten Leidenschaft und Treue lieben; wir haben oft Mühe der Verachtung zu entgehen, und so groß ist unser Unglück, dass man das, was man bei uns als Tugend betrachten sollte, als Laster ansieht.«

»Ja, einst dachte man so,« antwortete er, »aber da die Sitten sich geändert haben, so haben sich unsere Gedanken auch geändert.«

»Oh! nein, wenn es nur die Furcht vor dem Tadel wäre, die uns zurückhielt, so konnten wir uns wohl der Liebe hingeben.«

»Im Grunde haben Sie recht,« erwiderte er, »denn was liegt daran, wenn man sein Herz beständig beschäftigt; ich sehe nicht das geringste Übel dabei. Und dennoch, mit Ihrem Geiste, der Sie so genau das Wahre von dem Falschen unterscheiden lässt, opfern Sie doch den Vorurtheilen wie Jemand, der nicht Vernunftgründe anwenden kann? Sie [341] sind also entschlossen Ihr ganzes Leben lang die Schwäche zu beweinen, die Sie für Mazulhim hatten, statt dass Sie sich klugerweise darüber zu trösten trachten? Sie glauben, dass eine Frau Ihrer Denkungsart nur einmal lieben soll; Sie fühlen wohl, dass der Grundsatz, nach welchem Sie handeln, nicht der wahre ist; aber Sie verleugnen offenbar Ihre Einsicht, um das noble Vergnügen, traurig zu sein, zu genießen, und wahrscheinlich auch darum, dass man nicht aufhöre davon zu sprechen, dass es der Verlust von Mazulhims Liebe ist, den Sie immer beklagen werden. Ist das nicht ein schöner Stoff zu interessanten Gesprächen von Ihnen?«

»Von mir!« antwortete sie, »aber ich schmeichle mir, dass man nicht davon reden wird.«

»Ich glaube es wohl,« erwiderte er »ja ich weiß es bestimmt, Madame, Sie werden davon nichts erwähnen; es ist selbstverständlich, dass ich nichts davon reden werde, die Sache macht Mazulhim so wenig Ehre, dass er sich verpflichtet fühlt, darüber zu schweigen; wenn Sie jedoch Ihre Gesinnung [342] nicht ändern, so wird es jedermann erfahren.«

»Aber warum?« fragte sie.

»Wahrlich!« erwiderte er, »glauben Sie, man wird Sie betrübt sehen, ohne darnach forschen, warum Sie es sind, und wenn man hartnäckig darnach forscht? Denken Sie, dass Mazulhim selbst, dessen Eitelkeit Ihre Traurigkeit schmeicheln wird, dem Vergnügen entsagen wird, es Jedem mitzutheilen, dass sein Verlust schuld daran ist?«

»Das ist wahr,« sagte sie; »aber Nasses, hängt es denn nur von mir allein ab, dass ich so traurig bin?«

»Ohne Zweifel, das hängt von Ihnen ab. Schließlich was bedauern Sie denn jetzt noch? Mazulhim? Wenn er zu Ihnen zurückkehren möchte, würden Sie einwilligen, ihn zu empfangen?«

»Ah!« rief sie aus, »ich würde lieber dem allerletzten der Männer angehören als ihm.«

»Wenn er es nicht mehr vermag Ihr Herz wieder zu gewinnen,« erwiderte er, »so ist es lächerlich, dass Sie seinen Verlust beklagen.«

[343] »Sagen Sie mir gefälligst,« fragte der Sultan, »wird das noch lange dauern?«

»Ja, Sire,« antwortete Amanzei.

»Dann, bei Mahomet, ist es umso schlimmer,« erwiderte Schah-Baham. – »Das sind Gespräche, die mich entsetzlich langweilen, ich mache Sie darauf aufmerksam. Wenn Sie dieselben weglassen, oder wenigsten abkürzen können, so werden Sie mir damit ein Vergnügen bereiten, und ich werde Ihnen dafür nicht undankbar sein.«

»Sie haben Unrecht, sich darüber zu beklagen,« sagte die Sultanin zu ihm. »Dieses Gespräch, welches Sie so sehr langweilt, ist eine natürliche Folge. Das ist durchaus keine unnütze Auseinandersetzung, die zu nichts führt, das ist eine Thatsache ... Ist das nicht im geschickten Dialog abgefasst, was man da sagt?« fragte sie Amanzei lächelnd.

»Ja, Madame,« antwortete er.

»Diese Art, den Stoff zu behandeln, ist recht angenehm,« erwiderte sie, »sie zeichnet besser und allgemeiner die Charaktere, welche man auf die Szene bringt; aber sie ist so manchen Unzukömmlichkeiten unterworfen.«

[344] »In der Absicht alles zu ergründen oder jede Wendung zu erfassen, läuft man Gefahr, in Kleinlichkeiten zu verfallen, welche vielleicht fein, jedoch nicht genug wichtige Gegenstände sind, um dabei zu verweilen, und man erschöpft und ermüdet leicht die Zuhörer.«

»Der Sultan hat Unrecht zu verlangen, dass Sie Ihre Erzählung schneller fortsetzen, aber Sie würden mir und jeder Person von Geschmack gegenüber Unrecht haben, sich von der Gewalt der Rede hinreißen zu lassen, wenn Sie nicht von Zeit zu Zeit die Sachen, die Ihnen am angenehmsten erscheinen, zu opfern wüssten.«

»Der Sultan hat Unrecht,« sagte Schah-Baham, »das ist leicht gesagt, und ich behaupte, dass dieser Amanzei nur ein Schwätzer ist, der den Schöngeist spielt, und der, oder ich kenne mich nicht darin aus, das Laster hat, lange Gespräche zu lieben. Das verdrießt Dich,« fügte er hinzu, indem er sich Amanzei zuwandte, »aber siehst Du, ich bin aufrichtig; und wenn Du es auch sein willst, so wette ich darauf, dass Du eingestehst, dass ich recht habe.«

[345] »Ja, Sire,« antwortete Amanzei, »und die hofmännische Höflichkeit bei Seite, ich bin gezwungen darin übereinzustimmen, da man schon vor langer Zeit bei mir den Fehler entdeckt hat, den Euer Majestät mir zu Vorwurf macht.«

»So bessere Dich,« sagte Schah-Baham. »Wenn es mir so leicht fiele, mich zu bessern, wie es mir ist meinen Fehler einzugestehen,« antwortete Amanzei, »dann hätten Euer Majestät mir keinen Vorwurf zu machen.«

»Die Kraft der Rede des Nasses überraschte Zulika,« fuhr Amanzei fort.

»Im Grunde haben Sie Recht,« sagte sie ihm, »auch beweine ich Mazulhim nicht mehr, sondern meine Schwäche, dass ich mich einem meiner so unwürdigen Manne hingegeben habe.«

»Ich gestehe,« erwiderte Nasses treuherzig, »dass der Streich, den er Ihnen gespielt hat, ihn in ihren Augen nicht liebenswürdiger machen kann; wenn Sie ihn jedoch ohne Voreingenommenheit beurtheilen, so zweifle ich nicht daran, dass Sie ihn dennoch [346] sehr liebenswürdig finden werden, denn er ist es wirklich.«

»Wenn Sie es glauben,« antwortete sie verächtlich »fürs erste ist er nicht schön gewachsen.«

»Ich weiß in der That nicht,« erwiderte er, »aber ich kenne niemanden, der anmuthiger ist als er, er hat den schönsten Kopf und ein schöngeformtes Bein, ein vornehmes und sicheres Benehmen, lebhaften Geist und ist sehr unterhaltend.«

»Ja,« antwortete sie, »ich leugne es nicht, dass er eine hübsche aber unbedeutende Persönlichkeit ist, aber er ist nichts weiter, und ich versichere Ihnen, dass noch sehr viel dazu gehört, dass er so unterhaltend sei, als man es von ihm glaubt. Unter uns gesagt, ist er ein Geck, der sich sehr viel einbildet und überschätzt.«

»Ich verzeihe jedem Mann ein wenig Stolz, der das Glück hatte, Ihnen zu gefallen.«

»Aber Nasses,« erwiderte sie, »Sie halten mir da fort sonderbare Reden für einen Mann, der behauptet, mich zu lieben und auch will, dass ich es glaube.«

[347] »So sehr Sie Mazulhim auch jetzt hassen,« antwortete Nasses, »so ist es doch weniger als mich, und ich glaube mehr dabei zu wagen, wenn ich von einem Liebhaber rede, den Sie niemals lieben werden, als wenn ich von ihm spreche, den Sie so zärtlich geliebt haben. Er beschäftigt Ihre Phantasie noch so lebhaft, dass ich seinen Namen niemals ausspreche, ohne dass sich Ihre schönen Augen nicht mit Thränen füllen; gegenwärtig sind sie thränenfeucht und sie bemühen sich umsonst es zu verbergen. Ah! Halten Sie Ihre Thränen zurück, liebenswürdige Zulika,« rief er aus, »sie zerreißen mein Herz! Ich kann sie ohne Rührung, die mir verhängnisvoll wird, nicht aus Ihren Augen fließen sehen.«

Zulika, die schon seit längerer Zeit zum Weinen keine Lust mehr hatte, konnte diese Reden nicht anhören, ohne sich verpflichtet zu fühlen, neue Thränen zu vergießen.

Nasses, der sich über diese Verstellungskünste unterhielt, überließ sie eine Zeit lang ihrem geheuchelten Kummer. Jedoch um seine Zeit bei ihr nicht vergebens zu verbringen, unterhielt er sich damit, ihr den[348] Busen zu küssen, den sie nur leicht verschleiert hatte.

Sie blieb ziemlich lange ruhig, ohne darauf zu achten, was er that, und erst dann, als sie ihm die vollständige Freiheit gelassen, so fiel es ihr ein, sich ein wenig zu sträuben.

»Wo denken Sie hin, Nasses?« sagte sie [349] ihm, indem sie noch immer ihr Taschentuch vor die Augen hielt, »das sind Freiheiten, welche mich verletzen.«

»Wahrhaftig! ich glaube es,« antwortete er, »wollen Sie dieses vielleicht für eine Gunst erklären? Sehen Sie mich doch an,« fügte er hinzu, »damit ich Ihre Augen sehe.«

»Nein,« versetzte sie, »Sie sind zu verweint, um schön zu sein.«

»Ohne Ihren Thränen würden Sie mir bei weitem weniger schön erscheinen. Hören Sie mich an,« fuhr er fort, »die Lage, in der Sie sich befinden, betrübt mich, ich wünsche es entschieden, dass Sie sich daraus befreien. Ich habe Ihnen die Nothwendigkeit bewiesen, dass Sie noch lieben müssen, und ich will, so viel es mir möglich sein wird, Ihnen gegenwärtig beweisen, dass ich es bin, denn Sie lieben müssen.«

»Ich zweifle,« antwortete sie, »dass es Ihnen gelingen wird.«

»Das wollen wir gleich sehen,« antwortete er. »Erstens haben Sie eingestanden, mich ohne Grund gehasst zu haben; das ist eine Ungerechtigkeit, die Sie nur dadurch gut [350] machen können, wenn Sie mich grenzenlos lieben.«

Sie lächelte.

»Übrigens,« fuhr er fort, »liebe ich Sie, und Sie werden niemand erfinden, der so geneigt dazu wäre, Sie mit aller Zärtlichkeit zu lieben, die Sie verdienen.«

»Ob wir Recht oder Unrecht haben, so denken wir doch im allgemeinen schlecht von den Frauen; wir sind fest überzeugt davon, dass sie weder treu noch beständig sind, und aus diesem Grunde glauben wir es nicht verpflichtet zu sein ihnen weder Treue noch Beständigkeit zu schulden; wir sollen daher ihren Charakter prüfen, ebenso ihre Lebensweise, und nach diesen den Grad der Achtung für sie erwägen ...«

»Nun gut,« unterbrach sie, »wer hindert Sie daran?«

»Sie spotten, Madame,« erwiderte er, »dieses Studium braucht Zeit, während wir damit beschäftigt sind, könnte uns eine Frau der Unbeständigkeit beschuldigen, und das ist für uns eine so unangenehme Sache, dass wir, um dem nicht ausgesetzt zu sein, sie oft verlassen, ehe wir davon überzeugt [351] sind, ob sie es verdienen würde, dass wir sie länger lieben.«

»Aber,« fragte sie, »von welcher Bedeutung ist dies alles für Sie?«

»Von folgender,« antwortete er; »aber wird denn dieses Taschentuch ewig Ihre Augen bedecken?«

»Habe ich Sie denn nicht schon angesehen?«

»Nicht genug,« antwortete er, »ich will, dass dieses Taschentuch nicht mehr erscheine, oder ich hasse Sie, wenn es möglich ist, eben so sehr, wie Sie mich gehasst haben.«

Darauf schaute sie ihn lächelnd auf eine ziemlich verliebte Weise an.

»Fahren Sie doch fort,« sagte sie, indem sie sich über ihn neigte.

»Ja,« antwortete er, indem er sie heftig in seine Arme schloss, »ich will fortfahren, zweifeln Sie nicht daran. Das, was ich von Ihnen hier gesehen habe, ist mir des Studiums wert, von dem ich gesprochen habe, da es Ihnen meine ganze Achtung erwarb, und meine Liebe verdoppelte; ein anderer kann Sie doch nicht so lieben wie ich, er [352] würde nur ihre Reize sehen und die Schönheit ihrer Seele nicht verstehen.«

»Ja, ich glaube es,« sagte sie, »und man kann sich nicht geistreicher ausdrücken als Sie.«

Nasses wollte ihr zum Dank für dieses Lob zuerst die Hand küssen, da aber Zulika's Lippen näher waren, so hielt er es [353] für zweckmäßiger, seine Dankbarkeit durch einen Kuss zu beweisen.

»Ah, Nasses,« sagte sie sanft zu ihm, »wir werden uns entzweien.«

»Sie sehen es doch,« fuhr er fort, ohne zu antworten, »da ich der Mann bin, der Sie am meisten achtet und der die meiste Ursache dazu hat, so muss ich auch der einzige sein, den Sie lieben sollen.«

»Nein,« antwortete sie, »die Liebe ist zu gefährlich.«

»Eine veraltete Ansicht,« erwiderte er, »die Sie übrigens gar nicht daran hindern wird, mich zu lieben.«

»Aber warum verlangen Sie meine Liebe?« antwortete sie, »habe ich Ihnen nicht meine Freundschaft versprochen?«

»Ohne Zweifel!« erwiderte er, »der Vorsatz ist großmüthig! Es ist bestimmt, dass, wenn ich Sie nicht lieben würde, so solle ich mich damit zufriedenstellen, aber die Gefühle, die ich für Sie hege, können nur durch die zärtlichste Erwiederung Ihrerseits belohnt werden, und ich kann es Ihnen schwören, dass ich nichts unterlassen [354] werde, um alle Glut in Ihnen zu erwecken, die ich von Ihnen verlange.«

»Ich versichere Sie auch,« erwiderte sie, »dass ich nichts vergessen werde, um mich zu wehren.«

»Ah! ah!« sagte er, »Sie wollen also Vorsichtsmaßregeln ergreifen, ich bin entzückt darüber, das ist ein Beweis, dass Sie mich für gefährlich halten. Sie haben Recht, bei einer minder schätzenswerten Frau, als Sie es sind, wäre das wohl nicht nöthig.«

»Jedoch,« erwiderte sie, »je ehrbarer ich bin, desto mehr werde ich widerstehen.«

»Ganz im Gegentheil,« erwiderte er »die Koketten allein lassen sich schwer besiegen, man überzeugt sie leicht davon, dass sie liebenswürdig sind, die leichteste von allen Eroberungen ist die von einer vernünftigen Frau.«

»Das hätte ich sicher nicht geglaubt,« sagte sie.

»Und doch ist nichts wahrer,« antwortete er, »Sie können zum Beispiel nicht daran zweifeln, dass ich Sie liebe. Antworten Sie, zweifeln Sie daran?«

»Seien Sie getrost! ich war so albern leichtgläubig,« [355] erwiderte sie, »dass ich glaube, dass man mich jetzt nicht so bald überzeugen wird.«

»Aber Mazulhim bei Seite,« nötigte er, »was denken Sie darüber?«

Sie antwortete, sie glaube, dass er sie nicht gehasst habe; er bestand aber hartnäckig auf seiner Meinung und erreichte endlich von ihr, dass sie überzeugt davon war, er liebe sie.

»Und Sie,« setzte er fort, »Sie finden mich nicht mehr abscheulich?«

»Abscheulich!« sagte sie, »nein, in der That, ich wollte, ich könnte gleichgiltig sein, aber ich will nicht ungerecht sein.«

»Sie glauben also, dass ich Sie liebe!« rief er aus, »Sie hassen mich nicht, und bilden sich ein, dass Sie mir lange widerstehen werden! Sie! Mit diesem aufrichtigen Charakter! Sie bilden sich ein, mich unglücklich machen zu können, wenn Ihre eigenen Wünsche zu meinen Gunsten sprechen werden, und die Zeit gekommen sein wird, wo Sie denken werden, sich mit mehr Anstand ergeben zu können! Nein, Zulika, nein, ich habe eine bessere Meinung von Ihnen als Sie selber. Sie sind nicht so falsch, um [356] einen Mann, den Sie lieben, zur Verzweiflung zu bringen. Sie kennen die Kunst nicht, mich von Gunst zu Gunst zu führen, bis zu der äußersten Seligkeit, die mich überglücklich machen und wieder beleben wird. Der Augenblick, wo ich Sie erweichen werde, soll auch der sein, wo ich vor Wonne in Ihren Armen sterben werde, und dieser reizende Mund ...«

»Sehr gut das, sehr gut,« unterbrach der Sultan, »Du ziehst mich aus einer großen Verlegenheit. Auf Ehre! Ich fürchtete schon, dass es nie zu Stande kommen wird ... Ah! Dieses Dumme Geschöpf, diese Zulika mit ihrer Ziererei!«

»In der That!« sagte die Sultanin, »man muss gestehen, dass man eine Gunst nicht länger erwarten lassen kann. Wie kann man eine Stunde lang widerstehen? Das ist beispiellos!«

»Was Wahres daran ist, dass es mich so langweilte, als ob es vierzehn Tage gedauert hätte, und wenn Amanzei die Sache noch ein wenig verzögert hätte, so wäre ich daran vor Verdruss und Galle gestorben;[357] aber es hätte zuerst ihm das Leben gekostet, denn ich würde ihn gelehrt haben, dass man ein gekröntes Haupt nicht vor Langweile sterben lässt.«

15. Kapitel
[358] Fünfzehntes Kapitel

Welches Diejenigen nicht unterhalten wird, die sich in dem vorhergehenden gelangweilt haben.


»Nach dem Stillschweigen, welches auf den Augenblick folgte, der Euer Majestät gestern so sehr befriedigte,« sagte Amanzei am anderen Tage, »schloss ich, dass Nasses Zulika zu sprechen hinderte, und dass sie ihn verhinderte fortzusetzen.«

»Ach, Nasses,« rief sie aus, sobald sie konnte; »Nasses! Denken Sie auch daran, was Sie thun? Wenn Sie mich liebten –«

Je mehr Nasses die Vorwürfe Zulika's fürchtete, desto weniger ließ er ihr die Freiheit, welche zu machen. Nie begriff ich es besser als in diesem Augenblicke, wie sehr [359] vortheilhaft es sei, den Frauen gegenüber hartnäckig zu sein.

»Aber hören Sie mich doch,« sagte Zulika, »Nasses! Hören Sie mich! Wollen Sie denn, dass ich Sie verabscheue?«

Alle diese Worte, welche unterbrochen und schwach ausgedrückt waren, verloren an Kraft und wirkten gar nicht. Zulika sah bald ein, dass es nutzlos sei, noch mehr zu einen Manne zu sprechen, der von seiner Leidenschaft beherrscht war.

Was thun? Nachdem sie sich gegen die Angriffe gesichert hatte, welche Nasses in seinem Entzücken mit aller möglichen Kühnheit versuchte, wartete sie geduldig, bis er im Stande sei, ihre Zurechtweisungen anzuhören, die er für sein Vorgehen verdiente.

Jedoch Nasses, sei es um ihre Verzeihung leichter zu erlangen oder hatte Zulika in der That einen tieferen Eindruck auf ihn gemacht, sank auf ihren Busen und befand sich in einer Niedergeschlagenheit, in der er nichts empfand, als den Zustand, der ihn beherrschte.

Neue Verlegenheit für Zulika, denn was [360] nützt es zu jemanden zu sprechen, der nicht zuhört?

Sie versuchte es aber dennoch, sich ganz aus seinen Armen zu befreien, aber es gelang ihr nicht.

[361] Als er aus seinem Sinnesrausch erwachte, nahm er eine zärtliche Miene an. Er sah sie so schmachtend an, stieß so tiefe Seufzer aus, dass sie, weit davon entfernt, ihm so viel Groll zu zeigen, als sie beabsichtigte, trotz ihrer Gefühllosigkeit sein Entzücken theilte.

Diese tugendhafte Person wäre verloren gewesen, wenn Nasses die Regungen, die sich ihrer bemächtigten, wahrgenommen hätte.

Nachdem Nasses aus diesem Taumel erwachte, ergriff er die Land Zulika's.

»Nasses,« sagte sie in ärgerlichem Tone, »glauben Sie sich auf diese Weise meine Liebe zu erringen?«

Nasses entschuldigte sich wegen seiner Heftigkeit. – Zulika aber behauptete, dass die Liebe, wenn sie aufrichtig ist, immer von Achtung begleitet sei, und dass man so rücksichtslos nur gegen Frauen sei, die man verachtet. Er seinerseits behauptete, dass er ihr durch nichts die Kraft seiner Achtung beweisen könne, als durch heiße Liebe, die sie in ihm so sehr verdammte.

»Wenn ich Sie geringer geschätzt hätte, so hätte ich von Ihnen das verlangt, was ich Ihnen soeben geraubt habe.«

[362] »Ich glaube kein Wort davon,« antwortete Zulika, »aber wenn das, was Sie mir soeben gesagt haben, auch wahr wäre, so bleibt es noch immer eine festgestellte Regel, dass man das Geständnis seiner Gefühle nicht auf eine so eigenthümliche Art ausdrückt, wie Sie es gethan haben.«

»Setzen wir den Fall, ich hätte mich so ungestüm benommen, wie Sie sagen,« erwiderte er, »so wäre es nur eine Aufmerksamkeit für Sie, wofür Sie mir danken sollten.«

»Nein,« versetzte sie mit Ungeduld, »Sie haben ganz eigenthümliche Meinungen, denen nichts gleich kommt!«

»Es ist spasshaft,« erwiderte er, »dass diese Meinungen, welche Sie so eigenthümlich finden, alle auf Vernunft gegründet sind. Diese, welche Sie mir gegenwärtig vorhalten, ist von solcher Wahrheit, die ich Ihnen gewiss fühlen lassen werde; denn nicht nur dass Sie Geist haben, aber Sie haben noch das richtige Verständnis, ein Verdienst, das bei Ihrem Geschlechte genug selten ist, um Ihnen dazu gratulieren zu können.«

»Dieses Kompliment verführt mich nicht,« [363] sagte sie im barschen Tone, »und ich versichere Ihnen, dass ich mir gar nichts daraus mache.«

»Cs ist sehr unangenehm für mich,« antwortete er, »Sie so wenig geneigt für meine verbindliche Rede zu finden.«

»Mit einem Worte, mein Herr,« unterbrach sie, »um gewisse Dinge zu unternehmen, muss man zuvor das Vertrauen haben. Finden Sie es in Ordnung, dass ich Ihnen es sage?«

»Ich begreife Sie, Madame,« erwiderte er, »Sie wollen, dass ich Sie in der Gesellschaft bloßstelle. Nun wohl! Ich werde Sie bloßstellen; ich wollte Sie dahin bringen, mich zu lieben, ohne dass es jemand ahne, da Ihnen aber diese Schonung meinerseits missfällt, so will ich mich darum bekümmern, Madame, man wird es erfahren, dass ich Sie liebe, und ich werde keine dieser zärtlichen Thorheiten sparen, die dem Publikum deutlich zeigen, welcher Art die Gefühle sind, die ich für Sie hege.«

»Aber was wollen Sie damit sagen?« fragte sie ihn, »Sie sind ein sonderbarer Mann. Ist es vielleicht aus Achtung für [364] mich, dass Sie mir diese Ungezogenheit anthun, die ich Ihnen niemals verzeihen sollte, oder ist es vielleicht die unendliche Aufmerksamkeit in Betreff dessen, was mich angeht, dass Sie mich so drängen, wie man es nur einer Frau thut, welche die geringste Berücksichtigung verdient? Sie begehen tausend abscheuliche Dinge, und doch bin ich es die Unrecht hat. Sagen Sie mir doch gütigst, wie geht das alles zu?«

»Wenn Sie weniger unerfahren in der Liebe wären,« erwiderte er, »so würden Sie mir diese Erklärungen ersparen.«

»Ich will Ihnen dennoch sagen, wie lästig sie mir auch sind, dass es mir tausendmal lieber ist Sie in diesem Punkte belehren zu können, als zu sehen, dass Sie hierin genug bewandert sind, um dessen zu bedürfen. Wissen Sie es noch nicht, dass es weniger die Gunstbezeugung ist, welche die Frau einem Geliebten gewährt, die sie bloßstellt, als die Zeit, in der sie ihn auf deren Erfüllung warten lässt?«

»Glauben Sie denn,« fuhr er fort, »dass ich Sie lieben könne und unglücklich sein werde, ohne dass mein eifriges Werben um [365] Sie und mein eifriges Streben, Sie zu rühren, dem Publikum entgehen werde?«

Zulika schien staunend und stillschweigend alles, was Nasses sagte, gutzuheißen.

»Sie sehen wohl,« sagte er, »dass, wenn ich Sie bestürme, mich rasch zu beglücken, es weniger für mich als für Sie ist, dass ich es von Ihnen verlange. Indem Sie meinem Rath folgen, werden Sie mir Qualen ersparen, Sie werden das Aufsehen vermeiden, welches immer der Anfang einer Leidenschaft macht, übrigens in der Lage, in der wir uns zusammen befanden, könnte ich nicht, ohne zuvor alles zu entdecken, Liebe für Sie zur Schau tragen. Wenn wir aber beide einig sein werden, so werden wir Publikum unsere Angelegenheit bloß so viel, als es uns gutdünken wird, durchblicken lassen.«

»Bei Hofe oder bei der ersten Fürstin, woselbst wir zusammentreffen werden, müssen Sie die erste Gelegenheit ergreifen, die sich Ihnen bieten wird, um mir eine Höflichkeit zu erweisen; kümmern Sie sich nicht um die Situation; ich werde Sorge tragen, dass sie entstehe. Ich werde Ihnen sogar [366] von einem unserer bekannten Freunde den Vorschlag machen lassen, Sie mögen es gütigst erlauben, dass ich Sie besuche; Sie werden sagen, dass es Ihnen angenehm ist, ich werde mich Ihnen vorstellen lassen: ich werde die Annehmlichkeit, die Ihr Umgang bietet, schildern, und über das Unglück klagen, dessen so lange beraubt gewesen zu sein.«

»Mehr wird nicht nöthig sein, um meinen Eifer zu rechtfertigen: Er wird einfach und natürlich erscheinen und wir werden es nicht nöthig haben, unsere Liebe vor jemanden zu verheimlichen.«

»Nein,« erwiderte sie träumerisch, »wenn ich Ihren Wunsch so rasch erhören möchte, so müsste ich Ihre Unbeständigkeit fürchten. Ich gestehe, dass ich nicht böse darüber wäre, mit Ihnen einen Umgang zu haben, der auf mehr Achtung, Freundschaft und Vertrauen gegründet ist, ein so schönes Verhältnis, wie man dasselbe in der Welt nicht so leicht findet; ich will Ihnen noch mehr sagen, ich würde die Liebe nicht verabscheuen, wenn ein Liebhaber von einer Frau nichts [367] mehr als das Geständnis ihrer Zärtlichkeit verlangen würde.«

»Das, was Sie von mir verlangen,« versetzte er zärtlich, »ist bei Ihnen eine weit schwerere Sache als bei irgend einer anderen Frau. Ich gestehe auch, dass man auf das Wenige, was man von Ihnen erhaltet, weit stolzer sein kann, als wenn eine andere Frau alles gewährt hat. Aber Zulika, glauben Sie mir, ich bete Sie an, Sie lieben mich, machen Sie den Mann, der für Sie die glühendste Leidenschaft empfindet, zum glücklichsten der Welt.«

»Wenn Ihre Wünsche bescheidener wären,« erwiderte sie bewegt, »und wenn das, was man Ihnen gewähren könnte, nicht ein Recht für Sie wäre, noch mehr zu verlangen, so könnte man es versuchen, Sie weniger unglücklich zu sehen.«

»Nein, Zulika, Sie sollen mit meinem Gehorsam zufrieden sein.«

Auf diese Antwort, deren Gefahr Zulika wohl fühlte, beugte sie sich nachlässig über Nasses, welcher über sie herfiel, und ohne Schonung die Gunst ausnützte, die ihm gewährt wurde.

[368] »Ach! Zulika!« sagte er zärtlich, »soll ich diese wonnigen Augenblicke nur Ihrer Gefälligkeit verdanken, wollen Sie denn nicht, dass dieselben für Sie ebenso süß, als sie es für mich sind?«

Zulika antwortete nichts, aber Nasses beklagte sich nicht mehr. Bald theilte er Zulika's [369] Seele all das Feuer mit, welches die seinige verzehrte. Er vergaß bald das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, und sie selbst erinnerte sich nicht mehr daran, was sie von ihm gefordert hatte.

Sie beklagte sich wirklich, aber so sanft, dass es weniger einem Vorwurf, sondern eher einem zärtlichen Seufzer glich. Da Nasses es fühlte, bis zu welchem Grade er sie aufregte, so glaubte er, es sei an der Zeit sich so köstliche Augenblicke nicht entgehen zu lassen.

»Ach, Nasses,« sagte sie zu ihm mit erstickter Stimme, »wenn Sie mich nicht lieben, wie unglücklich werden Sie mich machen!«

Wenn der Zweifel Zulika's an der Liebe Nasses so lebhaft und wahrhaftig gewesen wäre, wie es schien, so war es wahrscheinlich, dass die Leidenschaft Nasses diese Furcht verscheucht hätte.

Auch war er nun sicher, dass sie an seiner Liebesglut nicht mehr zweifeln könne, er hielt es daher nicht für angemessen, ihr darauf zu antworten, um seine Zeit nicht zu verlieren, die er anwenden musste, um sie besser von seiner Liebe zu überzeugen, [370] als es die rührendsten Reden gemacht hätten. Zulika beleidigte sich nicht über sein Stillschweigen; bald jedoch (denn es bedarf oft nur einer Kleinigkeit, um die wichtigsten Dinge außer Acht zu lassen) schien sie sich nicht mehr mit einer gewissen Furcht zu quälen, die sie ohne Nasses nahe zutreten nicht länger zu haben brauchte.

Sie wollte sprechen, konnte aber nur einige unzusammenhängenden Worte finden, die nichts weiter als die Unruhe ihrer Seele ausdrückten. Als er aufgehört hatte, warf sich Nasses ihr zu füßen.

»Ah! Lassen Sie mich,« sagte sie mit schwacher Stimme.

»Was!« antwortete er mit erstaunter Miene, »sollte ich das Unglück gehabt haben, Ihnen zu missfallen, wäre es möglich, dass Sie sich über mich zu beklagen hätten?«

»Wenn ich mich nicht beklage,« erwiderte sie, »so ist es nicht deshalb, weil ich keinen Grund dazu habe.«

»Ei, worüber könnten Sie sich denn beklagen?« er widerte er, »sollten Sie denn nicht von einem so schrecklichen Widerstand müde sein?«

[371] »Ich gestehe,« antwortete sie, »dass es viele Frauen gibt, die sich schneller ergeben hätten, ich fühle aber nichtsdestoweniger, dass ich Ihnen noch länger hätte widerstehen sollen!«

Dann schaute sie ihn mit so schmachtenden Augen an, welche das Verlangen verrathen und zugleich erregen.

»Lieben Sie mich?« fragte sie Nasses so zärtlich, als ob er sie wirklich geliebt hätte.

»Ah! Nasses,« rief sie aus, »welche Freude kann Ihnen ein Geständnis bereiten, das ihr Ungestüm mir schon entrissen hat; blieb mir darüber noch etwas zu sagen übrig?«

»Ja, Zulika,« antwortete er, »ohne dieses reizende Geständnis, welches ich von Ihnen verlange, kann ich niemals glücklich sein; ohne dasselbe kann ich mich nur als einen Räuber betrachten. Ah! Wollen Sie, dass ich mir einen so grausamen Vorwurf machen muss?«

»Ja, Nasses,« sagte sie seufzend zu ihm »ich liebe Sie!«

»Nasses wollte Zulika soeben danken, als [372] ein Sklave Mazulhims hereinkam, um das Nachtessen aufzutragen; er seufzte darüber.«

»Verwünscht! Ich glaube es wohl,« unterbrach der Sultan, »aber so sind alle Diener! Man sieht sie nur dann, wenn man ihre Gegenwart am wenigsten wünscht. Ob er nicht früher kommen konnte, als Nasses und Zulika sich so sehr langweilten! Nein, er muss gerade dann kommen, um sie zu unterbrechen, und dann, wenn es mir das meiste Vergnügen bereitet zuzuhören.«

»Ich war ohne dies sehr erstaunt darüber,« sagte die Sultanin, »dass Sie nichts gesagt haben.«

»Wahrhaftig,« rief er aus, »ich habe mich gehütet sie zu stören, ich wir neugierig darauf zu erfahren, wie dies alles enden wird. Ich bin sehr zufrieden damit,« fügte er hinzu, indem er sich zu Amanzei wandte; »das kann man in der That eine rührende Szene nennen, ich habe darüber Thränen in den Augen.«

»Was,« sagte die Sultanin zu ihm, »Sie weinen über dieses?«

»Warum denn nicht?« antwortete er »es ist ja sehr interessant, wenigstens für [373] mich, es ist wie ein Trauerspiel, und wenn Sie nicht darüber weinen, so ist es nur deshalb, weil Sie kein gutes Herz haben.« Indem er diese Worte sprach, befahl er mit befriedigter Miene Amanzei fortzufahren.

»Nasses seufzte vor Ungeduld, da er sich unterbrochen sah, nicht weil er so sehr verliebt war, aber er fühlte jene Glut, die, ohne dass man verliebt sei, in uns Empfindungen wachruft, die der Liebe gleichen, und die viele Frauen für Symptome einer wahren Leidenschaft halten. Es sei, dass sie fühlen, wie sehr es ihnen nöthig ist, sich uns gegenüber zu verstellen, oder dass sie in der That nichts besseres kennen.

Zulika, welche die Ungeduld, die sie bei Nasses wahrnahm, bloß ihren Reizen zuschrieb, war dafür so dankbar als möglich, aber um den Charakter einer zurückhaltenden Person, den sie zu haben vorgab, zu behaupten, gab sie ihm ein Zeichen, indem sie ihm die Hand drückte, und gab ihm so zu verstehen, mehr Vorsicht vor dem Sklaven Mazulhims zu beobachten. Sie setzten sich zu Tische.«

[374] »Nach dem Nachtmahl ...«

»Langsam, wenn's beliebt,« unterbrach Schah-Baham, »ich möchte, wenn es Ihnen nicht missfällt, die beiden zu Nacht speisen sehen. Ich liebe vor allen Dingen die Tischgespräche.«

»Sie haben eine eigenthümliche Beständigkeit in Ihren Ansichten!« sagte die Sultanin; »bei Gesprächen, die nothwendig waren, haben Sie unzähligemal die Geduld verloren, und nun verlangen Sie solche, die ganz außer der Geschichte sind und dieselbe nur unnöthig verlängern.«

»Nun gut!« antwortete der Sultan, »wenn ich unbeständig sein will, so ist hier niemand, der mich daran hindern darf! Lasst sehen! Ich will jedermann beweisen, dass ein Sultan sprechen kann, wie es ihm beliebt; denn alle meine Vorfahren haben dasselbe Recht gehabt, welches man mir streitig machen will, und dass nie ein Weib, wenngleich ein Schöngeist, das Vorrecht gehabt, ihnen vorzuschreiben, wie sie reden sollen, und dass selbst meine Großmutter, mit der sich zu vergleichen Sie nie die Kühnheit haben werden, es doch niemals wagte [375] Schah-Riar, meinem Ahnen, zu widersprechen.«

»Das, was ich übrigens darüber sage, ist nur um zu beweisen, dass ich meine Genealogie genau kenne,« fuhr er mit gemäßigterem Tone fort, »und nicht um jemanden zu ärgern; nun kannst Du fortfahren, Amanzei.«

»Es ist,« sagte Zulika einen Augenblick nachher, als sie sich zu Tische gesetzt hatten, »eine ganz eigenthümliche Sache, wie die Ereignisse oft herbeigeführt werden, die am entscheidensten in unserem Leben sind! Wer zum Beispiel würde einer Frau sagen: Du wirst noch diesen Abend einen Mann mit ganzer Hingebung lieben, an den Du nicht nur niemals gedacht hast, aber den Du sogar hassest; sie würde es gewiss nicht glauben, und doch ist es nicht ohne Beispiel und geschieht manchmal.«

»Ich stehe dafür,« entgegnete Nasses, »und wäre sehr erzürnt, wenn es nicht geschähe. Übrigens ist nichts so allgemein, als dass Frauen jemanden lieben, den sie zum erstenmal sehen, oder den sie früher [376] gehasst haben. Auf diese Weise entstehen die heftigsten Leidenschaften.«

»Und dennoch,« versetzte sie, »gibt es viele Leute, welche behaupten, dass es keine plötzlichen Sympathien gäbe.«

»Wissen Sie,« erwiderte Nasses, »wer die Leute sind, die das behaupten? Entweder sind es junge Leute, welche die Welt noch nicht kennen, oder Frauen, deren Geist theilnamslos und deren Herz kalt ist, indolente Frauen, die eine Leidenschaft mit aller möglichen Vorsicht nehmen und sich nur gradeweis entflammen.«

»Nun gut,« antwortete sie, »wie lächerlich sie auch sein mögen, so haben sie dennoch ihre Anhänger, und ich, die mit Ihnen spreche, dachte noch vor kurzem gerade so wie sie.«

»Sie?« antwortete er, »wissen Sie denn, dass Sie alle diese Vorurtheile haben?«

»Das ist möglich,« antwortete sie, »aber gegenwärtig habe ich um eines weniger, denn ich glaube an die plötzlichen Sympathien.«

»Was mich betrifft,« sagte er, »so bin ich überzeugt, dass sie sehr allgemein sind, [377] ich kenne sogar eine Frau, die denselben so unterworfen ist, dass sie deren drei bis vier täglich findet.«

»Ah! Nasses,« rief sie aus, »das ist unmöglich! Wenn Sie wenigstens sagen möchten, dass es nicht alltäglich ist.«

»Wissen Sie wohl,« erwiderte er, »dass Sie sich noch täuschen würden, und dass eine Frau, die das Unglück hat, verliebter Natur zu sein, keinen Augenblick für sich selbst stehen kann? Nehmen wir an, Sie wären gezwungen mich zu lieben, was würden Sie thun?«

»Ich würde Sie lieben,« erwiderte sie.

»Nun gut; setzen Sie jetzt den Fall,« fuhr er fort, »es sei eine Frau in der Nothwendigkeit drei bis vier Männer täglich zu lieben.«

»Ich fände sie sehr zu beklagen,« antwortete sie.

»Es sei, ich stimme bei, aber was wollen Sie, dass sie thue? –«

»Aber,« antwortete sie träumerisch, »viere zu lieben!«

»Da Sie die Zahl verletzt,« antwortete er, »so nehme ich zwei davon weg.«

[378] »Ah,« sagte sie, »das ist wahrscheinlicher und selbst möglich.«

»Ah, was für Umstände haben Sie nicht gemacht,« rief er aus, »um nur einen davon zu lieben!«

»Schweigen Sie,« sagte sie lächelnd zu ihm, »ich weiß nicht, woher Sie die Reden nehmen, die Sie mir da halten, und ich die Antworten, die ich für Sie bereit habe.« »Von Natur aus,« antwortete er, »sind Sie aufrichtig und ohne Verstellung, Sie lieben mich genug, um mir nichts von dem, was Sie denken, zu verheimlichen, und ich schätze Sie umsomehr, da es sehr wenige Frauen gibt, die einen so ehrlichen Charakter haben.«

Unter diesen Gesprächen und anderen, die nicht viel interessanter waren, gelangte man endlich zu Dessert.

Kaum war es aufgetragen, und sie ohne Zeugen waren, stand Nasses auf und warf sich zu Zulika's Füßen.

»Sie lieben mich?« fragte er sie.

»Habe ich es Ihnen denn noch nicht genug gesagt?« antwortete sie schmachtend.

»Himmel,« rief er aus, indem er aufstand [379] und sie umarmte, »kann ich es denn genug oft von Ihnen hören, und können Sie es mir genug beweisen?«

»Ach, Nasses!« erwiderte sie, indem sie sich in seine Arme schmiegte und auf mich niederließ, »welchen Gebrauch machen Sie von meiner Schwäche!«

»Ei!« sagte der Sultan, »was beim Teufel wollte sie denn, dass er mache? Das ist nicht schlecht! Sie wäre, wie ich glaube, sehr unzufrieden gewesen, wenn er sie nachher in Ruhe gelassen hätte. Nein, wie die Frauen so sonderbar sind! Sehr sonderbar! Sie wissen niemals, was sie eigentlich wollen, und man weiß niemals, woran man bei Ihnen ist ...«

»Welch ein Zorn,« unterbrach die Sultanin, »welch eine Flut von Epigrammen! Was haben wir Ihnen denn gethan?«

»Nein,« sagte der Sultan, »es ist ohne Zorn, dass ich dies alles sage. Man muss durchaus nicht böse auf die Frauen sein, um sie lächerlich zu finden.«

»Sie sind von einer beispiellosen Kaustik,« sagte die Sultanin, »ich fürchte sehr, [380] dass Sie, der die Schöngeister so hasst, nicht selbst unverzüglich einer werden.«

»Das ist nur diese Zulika, die mich erzürnt hat, denn ich liebe solche unzeitige Zierereien nicht.«

»Mögen Euer Majestät sich gegen sie weniger erzürnen, sie hat sich ja nicht lange gesträubt.«

16. Kapitel
[381] Sechzehntes Kapitel.

Welches eine Abhandlung enthält, die nicht Jedem gefallen wird.


»Nachdem sie diese wenigen Worte gesagt hatte, welche Euer Majestät missfallen haben, schwieg Zulika.«

»Glauben Sie,« fragte Nasses, »dass Mazulhim Sie mehr geliebt hat als ich?«

»Er lobte mich mehr,« antwortete sie, »aber es scheint mir, dass Sie mich mehr lieben.«

»Ich will Ihnen keine Ursache lassen, an meiner Zärtlichkeit zu zweifeln,« versetzte er. »Ja, Zulika, Sie werden es bald erfahren, wie sehr Mazulhim meinen Gefühlen nachsteht.«

[382] »Nun was,« versetzte sie, »was ...?«

Nasses ließ sie nicht ausreden, und sie beklagte sich nicht, unterbrochen worden zu sein.

»Ach, Nasses!« rief sie zärtlich aus, »wie würdig sind Sie, geliebt zu werden.«

Nasses antwortete auf diese Lobeserhebung nur wie ein Mann, der dachte, dass man ihn für die Zukunft ermuthigen wollte. Er hatte Zulika gerührt, es gelang ihm dieselbe zu überraschen; auch fühlte sie für ihn eine Hochachtung, eine Art Ehrerbietung, die in Anbetracht des Beweggrundes, welchem er sie verdankte, äußerst spasshaft wurde, und die einem Mann schmeicheln musste, umsomehr als sie bei den Frauen nicht die Wirkung eines Vorurtheiles sind, wie das Gefühl.

Nasses, der mit sich selbst zufrieden war, glaubte, dass er die Bewunderung, welche er Zulika einflößte, nun einen Augenblick aufschieben könne. Über sie triumphiert zu haben genügte ihm nicht: er kannte sie zu gut, um sich davon geschmeichelt zu fühlen, und die Gunstbezeugungen, die sie ihm [383] spendete, hatten den Hass, welchen er für sie empfand, nur noch vergrößert.

Er fühlte für sie diese tiefe Verachtung, die uns die Verstellungen und Rücksichten mit den Personen, welche sie uns einflößt, unmöglich machen, und unter deren Einflusse glaubte er ihr nicht bald genug zeigen zu können, welchen Eindruck ihr Benehmen auf seine Seele gemacht hatte.

»Sie finden also,« fragte er sie, »dass ich Sie nicht so sehr lobe wie Mazulhim?«

»Ja,« antwortete sie, »aber ich finde zu gleicher Zeit, dass Sie besser zu lieben wissen als er.«

»Das ist ein Unterschied, den ich nicht verstehe; welchen Wert legen Sie gegenwärtig dem Worte Liebe bei?«

»Den, welchen es hat,« erwiderte sie, »ich kenne nur einen, und von diesem will ich sprechen; aber Sie, der Sie so gut lieben zu verstehen scheinen, warum fragen Sie mich, was die Liebe ist?«

»Wenn ich es frage,« erwiderte er, »so ist es nicht deshalb, weil ich darüber in Ungewissheit bin; aber da jeder dieses Gefühl nach seinem Charakter definiert, möchte [384] ich wissen, was sie darunter im Besondern verstehen, Sie, die Sie behaupten, dass Mazulhim Sie nicht so geliebt, wie ich Sie liebe. Ich kann den Unterschied nicht erkennen, den Sie zwischen ihm und mir finden, wenn Sie mir seine Art zu lieben nicht erklären.«

»Aber,« antwortete sie, indem sie sich stellte, als ob sie erröthen möchte, »weil er ein erschöpftes Herz hat.«

»Ein erschöpftes Herz!« versetzte er; »dieses ist meiner Ansicht nach ein Ausdruck, der keinen klaren Sinn hat. Das Herz erschöpft sich ohne Zweifel von einer zu langen Leidenschaft; aber Mazulhim konnte bei Ihnen nicht in diese Lage kommen, da Sie für seine Augen und für seine Phantasie ein neuer Gegenstand waren. Demzufolge ist das, was Sie mir da von ihm sagen, nicht das Richtige, was Sie mir sagen sollten.«

»Ich werde eben nur dieses von ihm sagen,« antwortete sie; »so viel ich weiß (wenigstens zweifle ich daran), gibt es wenige Männer, die so wenig zur Liebe geschaffen sind, wie er es ist, und fragen Sie mich nicht mehr; denn ich fühle, dass ich [385] über diesen Gegenstand nichts mehr zu antworten habe.«

»Ah! Ich begreife Sie,« erwiderte er, »aber trotzdem erkenne ich Mazulhim nicht nach dem Bilde, welches Sie mir von ihm darstellen.«

»Aber,« versetzte sie, »es scheint mir, dass ich Ihnen nichts von ihm sage.«

»Ah, verzeihen Sie mir,« erwiderte er, »man fühlt leicht, was man eigentlich einem Manne vorwirft, wenn man von ihm sagt er hat ein erschöpftes Herz; es ist dies eine bescheidene und gemessene Anspielung, aber man versteht dieselbe. Und dennoch bin ich überrascht, dass Sie sich über ihn zu beklagen haben.«

»Ich beklage mich ja nicht über ihn, Nasses,« antwortete sie; »aber da Sie wissen wollen, was ich über ihn denke, so will ich Ihnen sagen, dass es wahr ist, und ich darüber sehr überrascht war.«

»Ah! Ah!« sagte er, »was, Sie fanden, dass er ...«

»Das ist staunenswert,« versetzte sie »wenigstens, so viel ich glaube.«

»Oh! Ich verlasse mich auf Sie.«

[386] »Ohne Zweifel,« antwortete sie ironisch, »die Erfahrung hat mich darüber aufgeklärt.«

»Erfahrung oder nicht,« erwiderte er, »man weiß, wie ein Geliebter sein soll, wenn man demselben nichts mehr zu wünschen übrig lassen will; darüber herrscht eine allgemein verbreitete Meinung.; aber ich gestehe noch einmal, dass Sie mich überraschen, denn Mazulhim ...«

»Schon gut! Nasses,« unterbrach sie »in diesem Punkte kann man sich nichts einbilden!«

»Ich kann von meiner Überraschung gar nicht zu mir kommen,« antwortete er, »ich weiß unglaubliche Dinge von ihm, ja Wunder!«

»Das wird wahrscheinlich nur er selbst gewesen sein, der Ihnen dieselben erzählte,« sagte sie.

»Wenn er das nur aus Eigenliebe gethan hätte,« antwortete er, »so würde ich mich gehütet haben, einer solchen Erzählung Glauben zu schenken. – Nein, er hat zu mir von nichts gesprochen, was dies betrifft, denn er ist sehr bescheiden.«

[387] »Was die Bescheidenheit betrifft, so ist dieselbe nicht seine schwache Seite.«

»Madame, Madame,« sagte er zu ihr, »ein so glänzender Ruf wie der Mazulhim's muss einen Grund haben, und Sie werden mich nie glauben machen, dass jemand, von dem alle Frauen Agras eine gute Meinung haben, ein so wenig schätzenswerter Mann sei.«

»Eh! Denken Sie,« antwortete sie »dass eine Frau, selbst wenn sie mit Mazulhim unzufrieden ist (wenn es wahr ist, dass es eine gibt, die empfindlich dafür ist, wovon wir sprechen), die Ursache eingestehe, warum sie so unzufrieden sei?«

»Gewiss,« versetzte er, »wird sie es nicht jedem sagen, aber sie wird es jemanden anvertrauen, und der Beweis davon ist, dass Sie mir es sagen. Ich weiß wohl, dass ich dieses Vertrauen nur unserem Verhältnisse verdanke. Aber Mazulhim gefiel noch anderen Frauen, als Sie es sind. Nach demselben haben sie Männer geliebt, denen sie ihre Abenteuer vertrauten. Es gibt in Agra vielleicht mehr als tausend Frauen, welche Mazulhim nicht widerstehen konnten; demzufolge [388] würde es vierzigtausend Männer geben, oder ungefähr so viele, welche auf das Genaueste wissen, wie er ist, und Sie wollten, dass unter den geärgerten Frauen und den gedemütigten Männern ein derartiges Geheimnis verschwiegen geblieben wäre? Das ist nicht wahrscheinlich. Nein, Madame, noch einmal nein, ein Mann, wie Ihnen Mazulhim erschien, hätte sich nicht so lange behauptet. Soll ich Ihnen noch mehr sagen?«

»Sie kennen doch Telmisse; sie ist gewiss nicht mehr jung noch schön. Es sind höchstens zehn Tage, das Mazulhim ihr all seine Achtung bewies und dafür die ihre erworben und verdient hat. Das ist doch eine Thatsache.«

»Telmisse sagt es jedem, der es nur anhören will, und das ist gewiss keine Person, die ohne Ursache Gutes von jemanden sagen wird, und wir kennen keine andere, deren Beifall mehr Ehre erwiese und schwerer zu erlangen wäre, als der ihre. Können Sie nach dem schlecht von Mazulhim denken?«

»Nein,« antwortete sie trocken, »ich glaube, er ist unvergleichlich. Das ist ohne Zweifel [389] mein Fehler,« fügte sie mit einem höhnischen Lächeln hinzu.

»Das kann ich nicht glauben,« versetzte er; »aber es ist wahr, dass etwas unbegreifliches daran ist. Überdies werden Sie eine Sache nicht glauben; wenn ich eine Frau wäre, so würden mir diese Art Leute, wie Mazulhim Ihnen erschien, weit besser gefallen als die Anderen.«

»Ich glaube,« antwortete sie »dass dies keine Ursache sei, sie nicht zu lieben, oder sie zu verlassen, aber ich muss zugleich gestehen, dass ich es durchaus nicht begreife, weshalb man ihnen den Vorzug geben sollte.«

»Sie verstehen es besser zu lieben,« sagte er; »sie allein kennen die zärtliche Sorgfalt und Gefälligkeit; je mehr sie fühlen, dass man sich zu ihnen herablässt, umsomehr bemühen sie sich geliebt zu werden. Durch Nothwendigkeit unterworfen, sind sie mehr Sklaven als Liebhaber. Sinnlich und feinfühlend bemühen sie sich unaufhörlich tausend Entschädigungen zu ersinnen, und die Liebe verdankt ihnen vielleicht die auserlesensten ihrer Freuden. Geschieht es ihnen sich hinreißen zu lassen, so ist es niemals [390] die Folge blinder Leidenschaft, und demzufolge niemals schmeichelhaft für eine Frau, dieser die Glut zu verdanken, wovon ihre Seele erfüllt ist; sie allein ist es, es sind ihre Reize, welche die Natur des Mannes unterjochen. Kann es jemals für sie einen herrlicheren und süßeren Triumph geben?«

»Sie erstaunen mich nicht,« sagte Zulika zu ihm, »Sie lieben sonderbare Ansichten.«

»Sie denken zu gut,« antwortete er, »wenn Ihnen dieses so erscheint, und ich weiß, dass mehr als eine Frau ...«

»Lassen wir das,« unterbrach sie, »ich habe mich nie um Sachen gestritten, die mich nicht interessierten. Übrigens scheint es mir, dass es sich weniger für Sie als für Mazulhim schickt, dass man diese Meinung von ihm habe.«

»Sie hat Recht,« sagte der Sultan. »Wann wird sie denn fortgehen?«

»Wie ungeduldig Sie aber sind,« antwortete die Sultanin.

»Nicht, dass ich mich langweilen würde,« sagte der Sultan, »bei weitem nicht; aber obgleich ich mich sehr gut unterhalte, so [391] scheint es mir doch, dass ich lieber etwas anderes hören möchte. Ich bin einmal so.«»Was wollen Sie damit sagen?« fragte die Sultanin.

»Versteht sich das nicht von selbst?« antwortete er, »ich finde, dass ich mich doch genug deutlich ausspreche, wenn ich sage, dass ich so bin, das heißt, dass ich denke, dass ein Vergnügen uns nicht daran hindert, ein anderes zu verlangen. Ich will mich noch deutlicher ausdrücken.«

»Es gibt tausend Dinge, die an Wert verlieren, wenn man sie erklärt, man versteht sie sehr genau,« entgegnete die Sultanin, »wünschen Sie noch etwas mehr?«

»Ja,« sagte der Sultan, »ich will, dass Amanzei seine Geschichte beende.«

»Ich will, dass er fortfahre,« antwortete die Sultanin.

»Im Gegentheil,« versetzte Schah-Baham, »es scheint mir, dass, wenn er hier stehen bliebe, er sie früher beendigt hätte, da ich jedoch die Gefälligkeit selbst bin, so erlaube ich es ihm, fortzusetzen.«

»Übrigens,« fuhr Zulika fort, »würden [392] Sie mich sehr verpflichten, wenn Sie nicht mehr von Mazulhim reden wollten.«

»Sehr gerne,« erwiderte er, »es ist dies erschöpfte Herz, von dem Sie gesprochen haben, welches uns zu einer unnützen Auseinandersetzung geführt hat, die ich mir zum Vorwurf machen würde, da sie Sie erzürnt hat. Wenn ich mich nicht daran erinnern möchte, dass meine Zärtlichkeit für Sie, und der Wunsch zu wissen, weshalb Sie glauben, dass Mazulhim Sie weniger geliebt hat als ich, diese Erörterung herbeigeführt hat.« »Nein,« erwiderte sie mit trauriger Miene, »es scheint mir seit einigen Augenblicken, dass Sie mich nicht mehr so lieben wie früher, ich weiß nicht warum, aber ich glaube es, und dieser Gedanke betrübt mich.« »Beruhigen Sie sich,« fuhr er fort, »liebliche Zulika, Himmel! Welch ein Vergnügen bereitet es mir, ihre Traurigkeit zu bannen! Reizende Zulika! Könnte diese Wonne für Ihr Glück und das meine unaufhörlich wiedererstehen!«

Indem er diese Worte sprach, nahm er Zulika in seine Arme und überhäufte sie mit den zärtlichsten Liebkosungen.

[393] »In welch ein Entzücken versetzen Sie mich,« rief sie aus. »Ich fühle, wie Ihre Glut in mein Herz übergeht, es ganz erfüllt und mein ganzes Wesen durchdringt! Ah, Nasses! Welch ein Vergnügen für mich, Ihnen diese Wonne zu verdanken, welche ich so wenig kannte! Sie allein! ... Ja, Sie allein ... Aber Nasses! Ah! Grausamer!«

[394] »Obzwar Zulika nicht zu reden aufhörte, war es mir dennoch nicht mehr möglich zu hören, was sie sagte.«

»Wahrscheinlich weil sie zu leise sprach,« antwortete der Sultan.

»Es ist sehr wahrscheinlich,« entgegnete Amanzei.

»Und dann,« fuhr der Sultan fort, »es ist doch wahr, Sie verloren dabei nicht viel, wenn Sie nichts mehr hörten, denn entweder habe ich nichts davon verstanden, oder es war kein Sinn in dem, was sie sagte.« »Ich bin Ihrer Ansicht, Sire,« sagte Amanzei, »nichts ist weniger klar. Entweder hörte sie Nasses nicht, oder er hatte in diesem Moment nicht mehr Geist als sie, denn er sagte ungefähr dieselben Dinge.« »Sagte ich es Dir denn nicht,« versetzte der Sultan, »diese Leute hatten keinen gesunden Menschenverstand.«

»Als Nasses und Zulika vernünftiger wurden,« fuhr Amanzei fort, »sagte Zulika, indem sie ihn zärtlich ansah: Sie sind reizend, ah, warum habe ich Sie nicht früher geliebt?«

»Sie haben sich darüber weniger zu beklagen [395] als ich,« antwortete er, »ich, der ich jeden Augenblick fühle, dass ich erst dann zu leben anfing, seitdem Sie mich geliebt haben. Wenn ich daran denke, für welch' köstliche Reize Mazulhim blind war, wie muss ich ihn bedauern. Was, Zulika! An diesem Orte, wo wir uns befinden, an diesem Orte, der mir durch die Güte, die Sie mir erwiesen, so theuer geworden. Der Undankbare, er sollte erröthen, schon andere daselbst geliebt zu haben, er sollte seiner Unbeständigkeit für immer entsagen! Welcher Genius, welcher Gott selbst wachte für mich; indem er ihn für so viele Reize gefühllos machte, flößte er ihm die Absicht ein, mich zu wählen, um Ihnen seine Treulosigkeit mitzutheilen. Ah, Zulika, wie groß wäre doch mein Unglück gewesen, wenn er Ihnen treu geblieben wäre, oder wenn irgend ein anderer als ich ...«

»Halten Sie ein,« unterbrach Zulika majestätisch; »wenn er mir treu geblieben wäre, so hätte ich nie einen Anderen als ihn geliebt, aber um ihn aus meinem Herzen zu verbannen, brauchte nur eben ein Nasses zu kommen.«

[396] »Ich glaube, da Sie mich gewählt haben,« antwortete er, »so war ich in der That nur der Einzige, der Ihnen gefallen konnte, aber wenn ich an den Zustand denke, in welchem Sie sich hier befanden, und an das, was ein Unbesonnener, den Mazulhim hierhergeschickt hatte, von Ihnen verlangen konnte, um welchen Preis er seine Verschwiegenheit von Ihnen erkauft hätte, so kann ich mich nicht enthalten, zu schaudern.«

»Ich sehe nicht ein, warum,« erwiderte sie, »wenn ich nichts gewähren wollte, so wäre es mir ziemlich gleichgiltig gewesen, wenn man von mir etwas gefordert hätte.« »Das können Sie nicht behaupten,« sagte er, »es gibt für die Frauen oft schreckliche Lagen und jene, in welcher ich Sie sah, war vielleicht eine der ärgsten!«

»Wie Sie meinen,« unterbrach sie; »aber ich bitte Sie zu glauben, dass es weniger hart für eine gefühlvolle Frau ist, von einem Manne, der sie liebt, verlassen zu sein, als sich jemanden hinzugeben, den sie nicht liebt.«

»Das ist nicht zu bezweifeln,« versetzte [397] er, »es ist eine unangenehme Sache, in dem Hause eines Junggesellen überrascht zu werden. Ich weiß nicht, was ich thun würde, wenn ich eine Frau wäre und mir das widerfahren möchte; aber ich glaube, dass ich recht froh wäre, wenn der Mann, der mich dort überrascht hat, kein Wort davon reden würde.«

»Sie wären sehr froh,« versetzte sie, »dies scheint ganz einfach; und ich wäre auch sehr froh, dass wer auch immer mich hier überrascht hat, nichts darüber sagen würde.«

»Welch' schöne Redensarten, Sie müssen wohl den Verstand verloren haben, um so zu denken. Glauben Sie, dass ein anständiger Mann es nöthig habe, zu schweigen, und dass man ihn mit solchen Dingen, die Sie sich da einbilden, zum Stillschweigen verpflichtet – oder glauben Sie, dass man Frauen einer gewissen Art Vorschläge macht?«

»Gewiss,« fuhr er fort, »jede Frau, die in einer Junggesellenwohnung überrascht wird, beweist, dass sie ein sehr gefühlvolles Herz hat; denn die allgemeine Regel lautet, [398] dass, je liebenswürdiger die Frau ist, umso weniger großmüthig ist der Mann.«

»Oh, das ist ein Märchen,« versetzte Zulika, »und ich glaube nicht, dass es eine Frau gibt, welche die Verschwiegenheit so theuer erkauft hätte, wie Sie glauben; und die Ehre ...«

»Gut!« unterbrach er »glauben Sie, dass eine Frau es jemals fürchtet, ihre Ehre dem guten Ruf zu opfern? Schließlich,« sagte sie, »ich würde es nicht thun, und ich kenne keine Lage, wie schrecklich sie auch sei, die mich dazu bestimmen würde, einem Mann das zu gewähren, was mein Herz ihm verweigern wollte.«

»Man muss sehr zartfühlend sein,« erwiderte er, »um diesen Unterschied zu machen.«

»Ich fange an, Sie zu begreifen, mein Herr,« sagte sie zu ihm; »Sie wollen es mich fühlen lassen, dass Sie meinen Besitz nur der Lage verdanken, in welcher Sie mich hier fanden, und Sie bilden sich lieber ein, dass ich Ihnen nur darum meine Gunst schenkte, damit Sie nicht schlecht von mir denken. Das ist also,« fügte sie weinend [399] hinzu, »das Glück, auf welches ich hoffte? Ah, Nasses, musste ich von Ihnen eine so grausame Missachtung erleben?«

»Aber, Zulika,« antwortete er, »glauben Sie, dass ich den Widerstand vergessen habe, den Sie mir geleistet haben, und was es mich gekostet hat, ehe ich mein Glück bei Ihnen erreicht habe?«

»Ei! Denken Sie,« versetzte sie schluchzend, »dass ich es nicht fühle, dass Sie mir vorwerfen, mich nicht genug gesträubt zu haben? Hingerissen von der Neigung, die ich für Sie fühlte, gab ich nach, ohne zu ahnen, dass Sie eines Tages ein Verbrechen daraus machen werden, dass ich nicht lange genug widerstand.«

»Aber was haben Sie denn da für Gedanken, Zulika?« antwortete er, indem er sich ihr näherte. »Ich sollte Ihnen einen Vorwurf daraus machen, dass Sie mich so glücklich gemacht haben! Können Sie das glauben, ich, der Sie anbetet,« fügte er hinzu, indem er nichts davon vergaß, was ihr beweisen konnte, dass er wahr gesprochen. »Lassen Sie mich,« sagte sie, ihn sanft zurückstoßend, »lassen Sie mich vergessen,[400] wenn es möglich ist, wie sehr ich Sie geliebt habe.«

[401] Der Widerstand Zulikas war so sanft, dass, wenn auch das Drängen des Nasses weniger lebhaft gewesen wäre, er doch gesiegt hätte.

»Sie! aufhören mich zu lieben,« sagte er mit zärtlicher Miene, »Sie, die ewig mein Glück sein sollten? Nein, Ihr Herz ist nicht dazu geschaffen, mich zu hassen, wenn das meinige seine besten Gefühle für Sie hegt.« »Nein,« antwortete Zulika in einem Tone, in dem man nicht mehr den Zorn wahrnahm, »nein, Verräther, der Sie sind! Sie werden mich nicht mehr betrügen!«

»Himmel!« fügte sie noch sanfter hinzu, »Sie sind der ungerechteste und grausamste der Männer!«

»Ah! lassen Sie mich ... Nein, Sie wer den mich nicht überzeugen ... Ich sollte Ihnen nie verzeihen ... Wie ich Sie hasse ...« Trotz all diesen Versicherungen des Hasses, welche Zulika Nasses machte, so wollte er doch keinen Augenblick glauben, dass sie ihn hasse, und Zulika schien sich in der That nicht viel zu kümmern, dass er sich nicht mehr geliebt zu sein glaube.

»Ich weiß nicht, ob ich mir schmeichle,« [402] sagte er endlich, »aber ich möchte darauf schwören, dass Sie mich weniger hassen, als Sie sagen.«

»Ein schöner Triumph,« sagte sie, indem sie die Schultern in die Höhe zog. »Glauben Sie, dass ich Sie deshalb weniger verabscheue?«

»Ist es mein Fehler, wenn ... Aber es ist doch wahr, ich hasse Sie sehr. Lachen Sie nicht,« fügte sie hinzu, »nichts ist gewisser, als das, was ich sage.«

»Ich schätze Sie zu hoch, um es zu denken,« antwortete er, »ich bin und ich will überzeugt davon sein, dass Sie mich so sehr lieben, wie Sie nur jemanden lieben können.«

»In diesem Falle,« versetzte sie, »liebe ich Sie also so viel als möglich: mein Herz ist durchaus nicht geschaffen für gemäßigte Gefühle.«

»Ich glaube es wohl,« entgegnete er, »und ich wollte es eben sagen. Wahrhaftig, ich wage es zu behaupten, die Sittenverderbnis von heutzutage ist derart, dass je schätzenswerter eine Frau ist, man sie umso lächerlicher findet; ich behaupte durchaus nicht, dass es die Frauen allein sind, welche diese Ungerechtigkeit angeht, das wäre sehr einfach, [403] aber man will es nicht eingestehen, dass es auch die Männer sind. Sie, die von den Frauen stets nur Gefühle verlangen.«

»Das ist nur zu wahr,« sagte sie.

»Ich sehe tausend Beispiele im Leben,« fuhr er fort; »was suchen wir darin? Die Liebe? Nein, ohne Zweifel, wir wollen unsere Eitelkeit befriedigen, wir wollen, dass man unaufhörlich von uns spreche; von einer Frau zur anderen flattern, um ja nicht eine zu übergehen, wir suchen Eroberungen und wären es auch die elendsten, mehr aus Eitelkeit, deren eine gewisse Anzahl zu machen, als sich lieber mit einer zu begnügen, die es wert ist, sie unaufhörlich zu suchen und niemals zu lieben.«

»Ah! Wie sehr haben Sie recht,« rief sie aus; »aber daran sind auch die Frauen schuld, Ihr würdet sie weniger verachten, wenn alle gleicher Gesinnung wären, und sich mehr Achtung zu verschaffen wüssten.«

»Ich gestehe es mit Bedauern,« antwortete er, »aber es ist gewiss, dass man es nicht leugnen kann, dass die ein wenig Gefühle abgenommen haben.«

[404] »Ein wenig,« sagte sie staunend, »ah! Sagen Sie viel.«

»Es gibt noch vernünftige Frauen,« entgegnete er, »die so klug denken und derselben Meinung sind, wie Sie.«

»Wozu nützt es, Dinge zu verhehlen, die so bekannt sind,« antwortete sie, »was mich anbelangt, wollte ich Ihnen sagen, so sehr ich auch wünsche, dass man vernünftige Frauen schone, ebenso möchte ich es auch, dass man diejenigen mit Verachtung behandle, deren Benehmen auf der niedrigsten Stufe steht. Jede Schwäche ist verzeihlich, aber das Laster kann man niemals genug verdammen.« »Man verdammt es,« entgegnete er, »aber man unterstützt es; das Laster erscheint nicht das, was es ist, nur bei solchen, die nicht dazu geschaffen sind, Verlangen zu erwecken, und die größte Annehmlichkeit bei den Frauen von heutzutage ist vielleicht eben diese unanständige Miene, die uns verräth, dass wir bei ihnen leicht siegen können.«

»Ich weiß es wohl, dass Sie solche am eifrigsten suchen,« antwortete sie, »Ihr verlanget niemals das Herz und da Ihr selber [405] nicht liebet, so kümmert Ihr Euch nicht darum, wiedergeliebt zu werden; wenn man nur über die Person triumphieren kann, die Eroberung scheint Euch im übrigen unnütz.«

»Einen Augenblick, Amanzei,« sagte der Sultan, »wann hat er sie denn verachtet?«

»Wunderbare Frage!« rief die Sultanin aus.

»Das, was ich sage, ist durchaus keine Bosheit. Eine Frage ist einmal eine Frage, und ich habe nicht Unrecht, wie es mir scheint, dieselbe zu stellen. Man langweilt mich, und man will nicht einmal, dass ich rede; das ist wirklich spasshaft, ja, man bietet mir als Märchen eine Sammlung von Gesprächen, worin kein Wort zum Lachen ist, außer wenn man nicht selbst spricht und dann bin ich es, der Unrecht hat, mit einem Worte, wie mit tausend, Amanzei, wenn Nasses Zulika morgen noch nicht verachten wird, so sage ich Dir nur dieses, dann wirst Du es aber mit mir zu thun haben.«

17. Kapitel
[406] Siebzehntes Kapitel.

Welches unerfahrene Frauen darüber belehren wird, ob man darin die heiklen Fragen umgehen kann.


»Euer Majestät erinnern sich ohne Zweifel,« sagte Amanzei den nächsten Tag.

»Ja,« unterbrach heftig der Sultan, »ich erinnere mich, dass ich gestern vor Langweile beinahe starb; fragtest Du mich vielleicht darnach?«

»Wenn die Erzählung Sie langweilt,« sagte die Sultanin, »so soll er aufhören.«

»Nein, durchaus nicht, wenn's beliebt,« antwortete der Sultan, »ich will, dass man fortsetze, dass man mich aber nicht langweile, wenn möglich, es versteht sich, dass ich keine unmöglichen Dinge verlange.«

Amanzei ergriff wieder das Wort.

[407] »Sie, zum Beispiel,« fuhr Zulika fort »haben, wie ich fürchte, nicht zu viel Einsicht.«

»Sie thun mir Unrecht,« antwortete er mit ruhiger Miene, »ich bin von Natur für die Liebe sehr empfänglich, und dennoch muss ich gestehen, dass ich mehr Frauen gehabt, als ich deren geliebt habe.«

»Aber das ist ja niederträchtig,« versetzte sie, »ich begreife nicht, wie man sich dessen rühmen kann.«

»Ich rühme mich dessen auch nicht,« entgegnete er, »ich sage nur, was wahr ist.«

»Ich glaube,« sagte sie, »dass Sie viele Frauen betrogen haben.«

»Ich habe einige verlassen, aber keine betrogen,« antwortete er, »sie hatten mich gar nicht darum gebeten, beständig zu sein, demzufolge habe ich auch ihnen nicht versprochen, es nicht zu sein. Sie begreifen wohl, wenn man einander ohne Bedingung näher tritt, dass man sich auch von keiner Seite zu beklagen hat.«

»Ich wäre äußerst neugierig, alles zu erfahren, was Sie gethan haben?«

»Wollen Sie vielleicht eine umständliche [408] Geschichte meines Lebens erfahren?« entgegnete Nasses. »Es würde sehr lange dauern, und ich könnte Sie langweilen. Ich kann Ihnen jedoch gehorchen, ohne viel zu wagen, indem ich die Einzelnheiten umgehe. Es sind zehn Jahre her, dass ich mich in der Gesellschaft bewege; ich bin jetzt fünfundzwanzig, und Sie sind die dreiunddreißigste Schönheit, die ich erobert habe.«

»Dreiunddreißig!« rief sie aus.

»Es ist wahr,« antwortete er, »dass ich nur so viele gehabt habe, aber staunen Sie nicht darüber, ich war ja doch nie in der Mode.«

»Ach, Nasses!« sagte sie, »wie sehr bin ich zu beklagen, dass ich Sie liebe, und wie wenig werde ich auf Ihre Beständigkeit rechnen können?«

»Ich sehe nicht ein, warum,« antwortete er, »glauben Sie, weil ich dreiunddreißig Frauen gehabt habe, dass ich darum weniger liebe?«

»Ja,« versetzte sie, »je weniger Sie geliebt hätten, umsomehr könnte ich es glauben, dass Sie noch im Stande seien, zu [409] lieben, und dass Sie endlich nicht völlig gefühllos seien.«

»Ich glaube,« entgegnete er, »Ihnen bewiesen zu haben, dass mein Herz nicht erschöpft ist, übrigens, um aufrichtig mit Ihnen zu reden, so gibt es wenige derartige Verhältnisse, wo das Gefühl dabei etwas zu thun hat. Die Gelegenheit, die Privatrücksichten und der Müßiggang erzeugen sie fast alle. [410] Man sagt sich gegenseitig, ohne davon überzeugt zu sein, dass man sich liebenswürdig findet man vereint sich, ohne einander zu vertrauen, man weiß, dass es umsonst ist, Liebe zu erwarten, und man verlässt sich noch, ehe man sich langweilt. Es geschieht auch manchmal, dass man sich in dem täuschte, was man erwartete und was man fühlte; man hielt das für Leidenschaft, was nur ein oberflächliches Gefallen und eine kurzdauernde Hingebung war, welche sich während des Vergnügens schon erschöpft, anstatt dass die Liebe von neuem daraus entstehen möchte. Nach all dem kann man, wie Sie sehen, viele derartige Verbindungen gehabt haben, ohne deshalb noch wahrhaft geliebt zu haben.«

»Sie haben also noch niemals geliebt?« fragte sie ihn.

»Verzeihen Sie,« sagte er, »ich habe schon zweimal bis zur Raserei geliebt. Aber Sie, die Sie mich so ausfragen, wäre es nicht auch meinerseits erlaubt, auch Sie zu fragen, wie vielmal Sie sich verliebt haben?«

»Ja,« erwiderte sie, »ich würde es Ihnen recht gerne erlauben, wenn ich es [411] Ihnen nicht schon gesagt hätte, denn es ist Ihnen nicht unbekannt, dass Mazulhim und Sie die Einzigen sind, welche mir gefallen konnten.«

»Wenn wir einander weniger kennen würden,« erwiderte er, »so wäre es begreiflich, dass Sie so zu mir sprächen. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, obzwar es unmöglich war, Mazulhim zu verleugnen, und Sie es dennoch thun wollten; aber jetzt, da unser gegenseitiges Vertrauen hergestellt ist und ich vor Ihnen nichts mehr zu verbergen habe, so scheint es mir ganz eigenthümlich, ich gestehe es, dass Sie mich nicht zum Vertrauten Ihrer Geheimnisse machen wollen.«

»Sie würden es gewiss sein,« erwiderte sie, »wenn ich mir welche vorbehalten hätte, aber ich schwöre Ihnen, dass ich mir in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen habe, und dass es mir selbst staunenswert ist, dass ich so großes Vertrauen in Sie setze, seit der kurzen Zeit, in welcher ich Sie liebe.«

»Es freut mich, Madame,« antwortete er mit gereizter Miene; »trotzdem erlaube ich [412] mir zu bemerken, dass auf die Art, wie ich mich Ihnen anvertraut habe, ich wohl das Recht hätte, dasselbe von Ihnen zu erwarten.«

Nach diesen Worten wollte er sich entfernen, aber sie hielt ihn zurück.

»Was ist denn das für eine Laune, Nasses,« fragte sie ihn zärtlich, »wie kommt es, dass Sie es vorhin für ein Vergehen hielten, an dem, was ich sagte, zu zweifeln, da es scheint, dass Sie sich jetzt einen Vorwurf daraus machen, mir zu glauben?«

»Wenn ich es Ihnen schon sagen muss, Madame,« antwortete er, »vorhin glaubte ich Ihnen nicht; aber da ich derzeit mit einem für mich viel dringenderem Interesse beschäftigt war, so glaubte ich, es wäre besser, Sie davon zu überzeugen, als in Einzelnheiten einzugehen, die Ihnen in diesem Augenblick missfallen könnten, und die ich auch gar nicht das Recht hätte, von Ihnen zu verlangen.«

»Aber Nasses,« sagte sie, »ich schwöre, dass ich Ihnen nichts zu sagen hätte, als das, wovon ich sprach.«

»Das ist nicht möglich, Madame,« unterbrach [413] er barsch. »Seit den fünfzehn Jahren, wo Sie sich in der Gesellschaft bewegen, ist es unglaublich, dass Sie nicht oft Anträge bekamen, und dass Sie sich nicht wenigstens einigemal ergeben haben. Sie wären die erste, die in einer so geraumen Zeit nur zwei Liebhaber gehabt hat, oder Sie wären gezwungen einzugestehen, dass die Vorliebe für galante Abenteuer sich bei Ihnen sehr spät einstellte.«

»Das wäre nichts so Neues, dass man es so unglaublich finden könnte,« antwortete sie; »und ich müsste mich sehr täuschen, wenn es nicht auch anderen geschehen wäre, so lange gleichgiltig zu bleiben.«

»Ich habe Ihnen gewiss nichts zu sagen, aber wenn es wahr wäre, und ich Ihnen über diesen Gegenstand etwas zu vertrauen hätte, so würde ich es aus Furcht, Sie zu verlieren, nicht thun. Ich weiß, dass solchen Vertraulichkeiten stets die Verachtung folgt, und obzwar wir sie der Person, die wir lieben, nicht schuldig sind, so ist es doch sehr selten, dass deren Eitelkeit es uns verzeihe, nicht der erste gewesen zu sein, der uns beglückte.«

[414] »Aber welche Idee,« sagte er ihr, »wer, ich? Ich sollte Sie deshalb verachten, weil Sie mir damit einen Beweis Ihrer Zärtlichkeit gegeben, indem Sie mir alles gestanden haben, was Sie gethan haben? Nun gut, Sie haben Mazulhim geliebt, war ich denn darüber erstaunt? Habe ich Sie deshalb minder geschätzt? Warum sollten einige Liebhaber mehr oder weniger auf mich einen unangenehmen Eindruck machen? Habe ich deshalb, weil dieselben mir vorangingen, mit Ihnen einen Streit auszufechten? Ist es Ihre Schuld, dass mich das Schicksal nicht zuerst vor Ihre Augen führte? Nein, Zulika, nein; ich bin nicht einmal der Ansicht, dass eine Frau, die viel geliebt hat, nicht fähig sei, noch zu lieben! Weit entfernt davon zu glauben, dass das Herz sich durch übermäßige Liebe erschöpfe, bin ich im Gegentheil überzeugt davon, dass man, je öfter man liebt, umso lebhaftere Gefühle hat.«

»Nach diesem Grundsatz,« erwiderte sie, »wären Sie also gar nicht geschmeichelt, der erste Liebhaber einer Frau zu sein?«

»Ich gestehe, dass nein,« erwiderte er, [415] »und ich habe darüber meine eigene Ansicht, die Ihnen vielleicht lächerlich erscheint. Wenn eine Frau in dem zarten Alter, wo sie noch nicht geliebt hat, es wünscht, geliebt zu werden, so ist es weniger, dass sie durch das Gefühl dazu gedrängt wird, als aus Neugierde es zu kennen; sie hat vielleicht weniger das Verlangen, zu lieben, als zu gefallen, man blendet sie mehr, als man sie rührt. In einem Herzen, worin die schwächsten Regungen durch ihre Neuheit bemerkenswerte Gegenstände sind, wird die geringste Erregung zum Entzücken, und das einfachste Verlangen zur Wollust.«

»Vielleicht übertreibt man in der That diese Regungen,« antwortete Zulika. »Nein, Nasses, so ungünstig Sie auch diese ersten Gefühle schildern mögen, so würde ich Sie, wenn es möglich wäre, noch tausendmal mehr lieben, wenn ich die Erste wäre, der Sie huldigten.«

»Sie würden dabei mehr verlieren, als Sie denken,« erwiderte er, »ich bin jetzt tausendmal mehr im Stande, das zu schätzen, was Sie wert sind, als ich es derzeit im Stande war, wo Sie gewünscht haben, dass [416] ich Sie geliebt hätte. Damals entging mir alles, Geist, edles Gefühl, ich war immer verführt, liebte niemals, mein Herz empfand nie etwas dabei, selbst in jenen Augenblicken, wo ich hingerissen von einem Entzücken, nicht mehr mir selbst angehörte, dennoch hielt man mich für verliebt, ich glaubte es auch zu sein, man rühmte sich, dass man im Stande war, meine Sympathie erweckt zu haben, und ich selbst war entzückt darüber, einer so zarten Leidenschaft fähig zu sein.«

»Unaufhörlich zu Füßen jener, die ich liebte, war ich manchmal schmachtend, niemals erschöpft fand ich in meiner Seele tausend Hilfsquellen, dass ich erstaunt war, so wenig Gebrauch von ihnen gemacht zu haben. Ein einziger Blick goss Feuer und Verwirrung in meine Sinne, meine Phantasie war immer hoch über meinen Freuden ...«

»Ah, Nasses!« rief Zulika lebhaft aus, »nein! Sie lieben nicht mehr so, wie Sie damals liebten!«

»Tausendmal mehr,« erwiderte er, »in der Zeit, von welcher ich Ihnen erzähle, [417] liebte ich nicht. Hingerissen von dem Feuer meiner Jugend, verdankte ich alle Regungen ihr, die ich für Liebe hielt, und ich fühlte wohl seit dem ...«

»Ah,« unterbrach sie, »es ist unmöglich, dass Sie nicht eine Täuschung erlebt hätten. Denn die Eifersucht, das Misstrauen und tausend andere Ungeheuer, die Sie sich damals kaum in Ihrer Phantasie eingebildet hätten, vergiften jetzt Ihre Freuden. Ihr Geist konnte sich nur auf Kosten Ihres Herzens klären; Sie sprechen jetzt viel schöner über die Gefühle, aber Sie lieben nicht mehr so wahr.«

»Diese Vernunftsgründe,« erwiderte er, »waren eben so gut gegen Sie, wie gegen mich gerichtet, und ich muss es glauben, voraussetzend, dass Mazulhim Ihr erster Liebhaber war, dass Sie nicht mehr im Stande sind, so innig zu lieben, wie Sie ihn geliebt haben.«

»Ich wäre durchaus nicht überrascht sein,« erwiderte sie, »dass Sie diesen Gedanken hätten ... aber lassen wir das.«

»Durchaus nicht,« sagte er, »durchaus nicht.«

[418] »Übrigens,« fuhr sie erbittert fort, »nach der Art, wie Sie gelebt haben, ist es nicht überraschend, dass Sie schlecht von den Frauen denken.«

»Und wenn dem so wäre,« unterbrach er, »so ist die Art, auf welche die Frauen leben, die Ursache davon, dass ich von Ihnen schlecht denke.«

»Nein, ich schwöre es Ihnen,« versetzte sie mit verächtlicher Miene, »dass ich mir nicht die Mühe nehmen werde ...«

»Ah, ich verstehe,« erwiderte er, »Sie fürchten, dass es unnütz wäre? Sie wollen mir also durchaus nicht sagen, wen Sie geliebt haben?«

»Was?« rief sie aus, »Sie denken noch daran? Wenn Sie mich liebten, würden Sie an dem, was ich sage, zweifeln?«

»Wahrhaftig, Zulika,« sagte er zu ihr, »Sie mögen mir glauben, wenn es Ihnen beliebt, aber dieses ist höchst lächerlich.«

»Wie Euer Majestät zu sehen geruhen,« sagte Amanzei, »bemühte sich Zulika schon lange, das Gespräch von diesem Gegenstande abzuwenden ...«

»Sie that sehr wohl daran,« unterbrach [419] der Sultan, »aber Du hättest besser gethan, wenn Du Dir alle diese Abhandlungen erspart hättest, worin Du alles durcheinander mischtest. Du wirst doch zugeben, dass Du nur ein Schwätzer bist. Wie willst Du denn, dass man an solche Schlechtigkeiten glaube; mit einem Worte, schließe Deine Geschichte.«

»Zulika,« so setzte Amanzei fort, »widersetzte sich noch lange den Drängen des Nasses. Endlich schien es, dass sie sich ergeben wollte, nachdem sie sich zuvor das Versprechen geben ließ, dass er sie deshalb nicht geringer schätzen werde.«

»Je mehr ich mich gesträubt habe, Ihre Neugierde zu befriedigen,« sagte sie zu ihm, »umso weniger sollte ich Ihnen jetzt nachgeben, Sie wären mir vielleicht weniger dankbar für das Geständnis, welches Sie mir endlich entreißen, als Sie mir zürnen, Ihnen dasselbe so lange verweigert zu haben.«

»Sie werden Unrecht haben, es kann Ihnen nicht unbekannt sein, dass es viel leichter ist, mit einer Frau einneues Verhältnis anzufangen, als sie dazu bewegen, jene einzugestehen, die sie schon gehabt hatte. Ich [420] weiß nicht, ob es aus Falschheit ist, dass manche Leute so denken; aber was mich betrifft, so kann ich es Ihnen schwören, dass mein Stillschweigen keinen unwürdigen Grund hatte. Ich halte es für unmöglich, dass man sich mit Vergnügen einer Schwäche erinnert, deren Reiz bereits erblasst, oft von Vorwürfen begleitet, oder die Erinnerung an einen treulosen Geliebten zurückläßt.«

»Das ist sehr wahr,« sagte Nasses, »eine zartfühlende Frau ist immer sehr zu beklagen.«

»Alles recht gut,« sagte der Sultan, »aber für das Vergnügen, welches ich Dir bereite, indem ich Dir zuhöre, wünsche ich, dass Du die Fortsetzung auf Morgen verlegst, denn ich will noch nicht sagen, das Ende dieser unerhörten Geschichte.«

18. Kapitel
[421] Achtzehntes Kapitel.

Welches schwerverständliche Anspielungen enthält.


»Sie behaupten also,« setzte Zulika fort, »dass, als ich in die Gesellschaft eingeführt wurde, es mir nicht daran mangelte, so viele Liebhaber zu finden, als ich deren wünschte, so unwissend ich damals in dem war, was man die Herrschaft der Liebe nennt.«

»Wenn ich Liebhaber sage, so meine ich damit jene Menge unthätiger junger Männer, die mehr aus Gewohnheit, als aus Gefühl behaupten, dass sie lieben; welche man anhört, weil es sein muss, und denen es viel leichter gelingt, uns daran glauben zu machen, dass wir liebenswürdig sind, als dass man sie selbst so findet.«

»Da ich zartfühlend geboren bin, so [422] fürchtete ich die Liebe; ich fühlte, dass es schwer ist, ein so treues und aufrichtiges Herz, wie das meine ist, zu finden, und dass es das größte Unglück für eine vernünftige Frau ist, eine Leidenschaft zu haben, so glücklich sie auch sein mag. So lange ich gleichgiltig bleiben sollte, gewannen diese Betrachtungen die Oberhand über alles; aber ich begriff bald, dass sie mein Herz nur deshalb zurückhielten, weil man noch nicht die richtige Saite berührt hatte, und dass diese Ruhe, mit der wir uns brüsten, weniger das Werk der Vernunft in uns ist, als die Wirkung des Zufalls. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick reichte hin, um mein Herz zu beunruhigen. Sehen, lieben, ja selbst anbeten, und zugleich mit äußerster Heftigkeit das fühlen, was die Liebe an süßesten und grausamsten Regungen hat, ich den schmeichelhaftesten Hoffnungen hinzugeben, aus diesen in die schrecklichsten Ungewissheiten zurückzufallen, all dieses war das Werk eines Blickes und einer Minute. Ich sah endlich ein, dass ich liebte. Wie sehr mich dieses Gefühl auch schon beherrschte, so suchte ich es dennoch zu bekämpfen. Die [423] Ermahnungen der Pflicht, die Furcht meinen guten Ruf zu verlieren, Seufzer, Thränen, Reue, alles war umsonst oder besser gesagt, alles vermehrte noch dieses Gefühl, welches mich so grausam quälte. Ah, Nasses! Wie unbeschreiblich war meine Freude, als ich erkannte, dass ich geliebt wurde!«

»Welches Entzücken! Welche Wonne! Mit welcher Rücksicht und mit welcher Schonung gestand er mir seine Leidenschaft, welchen Schmerz empfand ich, als ich die meine unterdrücken musste.«

»Wie glücklich sind Sie doch, Nasses, dass Sie bei der ersten Regung, die Ihre Seele bewegt, dem Gegenstande, der sie hervorgerufen hat, alles mittheilen können, dass Sie diese Verstellung nicht kennen, welche nothwendig ist, uns unsere Achtung zu erhalten, die aber für ein zartfühlendes Herz so schwierig ist.«

»Wie oft, wenn ich ihn neben mir seufzen hörte, bebte ich selber vor Schmerz, wenn ich seine Augen zärtlich auf mir ruhen sah, und diesen zärtlichen, schmachtenden Ausdruck darin, und endlich die Liebe selbst darin fand. Endlich erklärte er sich. Nasses, [424] Sie kennen die Wonne nicht, welche dieses zärtliche Geständnis verursacht.«

»Man gesteht es Ihnen nicht, dass man Sie liebt, man zögert oftmals zu lange damit. Aber einen angebetenen Geliebten zu sehen, der sein Glück nicht ahnt, in Angst und Verehrung uns alles gesteht, was er für uns fühlt, Nasses! Glauben Sie mir von allen Freuden der Liebe sind jene, von denen ich spreche, die süßesten.«

»Wenn die Eitelkeit hinreicht, Ihnen das Schauspiel, welches Sie mir beschreiben, angenehm zu machen, so gestehe ich, dass, wenn die Liebe das Interesse des Herzens hinzufügt, es nichts befriedigenderes geben kann. Er sprach also endlich, dieser zärtlich Geliebte, antworteten Sie?«

»Stellen Sie sich meine Verlegenheit vor,« erwiderte sie: »ich war besiegt von der Liebe und Tugend, und wenn letztere auch nicht den Sieg davontrug, so diente sie doch dazu, die Liebe zu verbergen; aber es gelang mir nicht so vollständig, wie ich es wünschte ... Da ich seinen Gesprächen zu lange zuhörte, verrieth sich meine Erregung und das Geheimnis meines Herzens, und [425] obgleich ich ihm nur kalt zu antworten glaubte, so sagten ihm meine Augen tausendmal, dass meine Zärtlichkeit der seinen gleichkäme.«

»Das ist ein Unglück, welches schon anderen widerfahren ist,« sagte Nasses kalt. »Nun gut, wer war dieser so gefährliche Mann, dass ihn zu sehen und zu lieben trotz ihrem angeborenen Stolze eine und dieselbe Sache war?«

»Was kümmert Sie sein Name?« fragte sie, »sagte ich Ihnen bereits nicht das, was Sie wissen wollten?«

»Noch nicht,« versetzte er. »Sie fühlen es wohl selbst, dass das Vertrauen nicht vollständig ist.«

»Nun wohl!« antwortete sie »es war der Raja Amagi.«

»Amagi!« rief er aus »zu welcher Zeit haben Sie denn mit ihm verkehrt? Er ist mein Freund und verheimlicht mir nichts, und ich weiß, dass er nur Canzade wahrhaftig geliebt hat. Amagi!« wiederholte er, »aber täuschen Sie sich denn wirklich nicht?«

»Gewiss!« rief sie aus, »das ist eine eigenthümliche Frage! Sie ist einzig.«

[426] »Durchaus nicht,« fuhr er fort, »Sie werden gleich sehen, dass sie sehr einfach ist. Amagi hat mir gesagt, dass trotz einer außerordentlichen Zärtlichkeit für Canzade, und dem geringen Verlangen, welches er empfand, ihr dauernd untreu zu sein, er sich doch manchmal anderswo unterhalten hatte, weil es Frauen gibt, deren Aufforderungen so wenig zu verkennen sind, und wir doch solche Gecken sind, dass trotz der Verachtung, welche wir ihnen gegenüber fühlen, es uns dennoch nicht daran hindert, Ihnen wenigstens für den Augenblick Dank zu wissen, wo sie uns Gefälligkeiten erweisen. Indem er mir von den Treulosigkeiten erzählte, die er gegen Canzade beging, gestand er mir, dass er dieselben umsomehr bereue, als er unter den Frauen, welche ihn ihr abgelockt, nicht eine gefunden habe, welche Achtung und Anhänglichkeit verdiente. Sie aber gehören nicht zu diesen Frauen? Demzufolge muss ich glauben, dass er Sie nicht geliebt hat.«

»Sie sehen wohl, dass er Ihnen nicht alles mitgetheilt hat; wenn er es mir nicht gesagt hat,« fuhr er fort, »so war es nicht [427] deshalb, weil er ein Geheimnis daraus machen wollte, sondern weil er sich dessen nicht erinnert hat. Waren Sie es vielleicht, die ihm untreu war?«

»Werden Sie mir noch lange solche Fragen stellen?« fragte sie ihn.

»Ich bitte Sie um Verzeihung,« versetzte er; »aber Sie sind so wenig geschaffen, um verlassen zu werden, dass dieselbe Sie nicht in Erstaunen setzen darf. Er hat Sie also verlassen? Und wer hat denn nach ihm das Glück gehabt, Sie zu besitzen?«

»Niemand,« antwortete sie mit trockener Miene. »Lange Zeit fühlte ich schmerzlich seinen Verlust, ich glaubte nie wieder lieben zu können, aber Mazulhim erschien, und ich wurde meinem Vorsatz untreu.«

»Wahrhaftig!« rief er aus, »die Frauen sind sehr unglücklich und der Verleumdung grausam ausgesetzt.«

»Das ist nur zu wahr,« entgegnete sie, »aber an was erinnern Sie sich denn jetzt?«

»An das, was Sie anbelangt,« erwiderte er, »der man, da ich es Ihnen schon gestehen muss, ganz ungerechter Weise mehr Abenteuer [428] zumuthet, als ich sehe, dass Sie deren gehabt haben.«

»Oh!« antwortete sie, »das erstaunt und ärgert mich auch nicht. Wenn eine Frau nicht abschreckend hässlich ist, so dichtet man ihr verschiedene Abenteuer zu, und oft führt sie das Publikum mit solchen Männern zusammen, von denen sie nichts wissen wollte. Aus derartigem Unsinn mache ich mir gar nichts.«

»Könnte man Sie denn nicht dazu bewegen, von anderen Dingen zu sprechen?« »Es ist also nicht wahr, dass Sie alle diese Liebhaber gehabt haben, die man Ihnen zuschreibt?« fragte er sie noch.

Zulika erwiderte auf diese neue Bosheit nur mit einer verächtlichen Geberde.

»Sind Sie nicht böse über das, was ich Ihnen sage?« fuhr er fort, »wenn Sie weniger liebenswürdig wären, so würde ich es leichter glauben, dass Sie nichts von Ihren Abenteuern verschweigen.«

»Entschuldigen Sie,« erwiderte sie, »ich habe die ganze Welt gehabt.«

»Endlich,« erwiderte er, »sind wir dabei, das ist's, was man mir gesagt hat. [429] Ihre Anfänge sind etwas zweifelhaft, man weiß jedoch, dass Sie in Ihrer frühesten Jugend sehr leidenschaftlich für Talente eingenommen waren und dass Sie fest davon überzeugt sind, dass das Mittel, sich dieselben anzueignen, darin besteht, ihre Lehrer nicht zu verschmähen, und dass Sie deshalb so schön singen und so anmuthig tanzen.«

»Große Götter! Wie abscheulich!« rief Zulika.

»Sie haben alle Ursache, sich darüber zu ärgern, Madame,« erwiderte er kühl, »denn in der That, das war ganz abscheulich. Was mich betrifft, ich verurtheile sie nicht. Bei Ihrem Eintritt in die Welt waren Sie überzeugt davon, dass man nie genug falsch sein kann. Sie verbargen hinter einer kalten und heuchlerischen Miene Ihren Hang, der Sie zum Genuss zwingt. Wenig zärtlich, aber entsetzlich neugierig geboren, reizten alle Männer, die Sie sahen, Ihr Verlangen und Ihre Neugierde, und Sie lernten sie alle so gründlich als möglich kennen. Wenn man einen so scharfen Geist besitzt, wie Sie, so ist das Studium eines Mannes keine besondere Schwierigkeit [430] und ich hörte davon reden, dass derjenige den Sie am längsten beobachteten, Sie höchstens acht Tage beschäftigte. Diese philosophischen Unterhaltungen machten großes Aufsehen. Man legte Ihren Absichten einen bösen Zweck bei; ohne Ihrer Neugier vollständig zu entsagen, mäßigten Sie sich ein wenig. Es war jedoch nicht für lange; Ihre eigenthümliche Handlungsweise errang sich nicht die Zustimmung derer, die Zeugen davon waren, Sie glaubten sich ihren Augen entziehen zu müssen, entsagten der Einsamkeit, und Sie gingen hinaus in die Welt, um Ihrer natürlichen Neigung, alles zu kennen, Genüge zu leisten. Damals hatte die Prinzessin Saheb Iskender zum Geliebten, Sie wollten sich davon überzeugen, ob man sich auf ihren Geschmack verlassen könne, und Sie lockten ihr ihn ab. Sie hat es Ihnen niemals verziehen und beklagt sich noch heute darüber!«

»Ah! Gerechter Himmel!« rief Zulika vor Zorn außer sich, »welch' abscheuliche Verleumdungen gibt es doch in der Welt.«

»Man hat mir versichert,« fuhr er mit derselben Kaltblütigkeit fort, »dass Sie [431] Iskender bald aufgaben, um Akebat Mirza zu nehmen, der, obzwar er ein Fürst war, Sie sehr bald langweilte und dem Sie den Vesir Atamulk und den Emir Moreddin beigesellten. Dass der Prinz Sie nur über den schlechten Zustand seiner Gesundheit [432] unterhielt, der Vesir war zu sehr von sei nen Staatsangelegenheiten eingenommen, um sich so mit Ihren Reizen zu beschäftigen, als er sollte, und der Emir erzählte zu viel von den großen Kriegsthaten, die er vollbrachte; infolgedessen langweilten Sie die drei Persönlichkeiten, welche mehr wichtig als liebenswürdig waren.«

»Man darf hinzufügen, dass wohl wissend, wie gefährlich es sei, sich bei Hofe Feinde zu machen, ließen Sie diese drei Herren in Ungewissheit, und warfen sich im Geheimen in die Arme des jungen Velid, der weniger groß, weniger kriegerisch, aber angenehmer als seine Rivalen, Sie eine Zeit lang allein für die Langweile entschädigte, welche Ihnen die anderen verursacht hatten. Man sagt auch, dass Velid Ihnen zu wenig verliebt war, und dass Sie es für nöthig hielten, um seine Eifersucht zu erwecken, Jemla als Geliebten zu nehmen, und Velid, der böse war, einen Nebenbuhler zu haben, spähte Ihnen sorgfältig nach, entdeckte endlich die drei anderen und diese ganze Angelegenheit, welche Sie so schlau durchgeführt hatten, kam ans Licht [433] und bereitete Ihnen einen sehr bösen, öffentlichen Skandal.«

»Ah! Das ist zu viel,« unterbrach Zulika, indem sie sich erhob, »nun gehe ich ...«

»Noch einen Augenblick, wenn's Ihnen gefällig ist, Madame,« sagte Nasses, sie zurückhaltend, »man hat die Unklugheit so weit getrieben, mir zu sagen, dass, als Sie sahen, die abgeschlossenen Geschäfte gelängen Ihnen nicht mehr, Sie sich, die Liebe hassend, nur noch vorübergehende Unterhaltungen erlaubten, welche genug angenehm, um Ihre freien Augenblicke auszufüllen, aber nie genug lebhaft waren, um Ihr Herz einzunehmen; eine Art Philosophie, welche, um es nur im Vorübergehen zu sagen, nicht aufgehört hat, in diesem Jahrhundert ihre Fortschritte zu machen und deren Nutzen und Weisheit leicht beweisbar ist, wenn hier Zeit und Gelegenheit dazu wäre.«

Am Schlusse dieser Erzählung fing Zulika vor Zorn zu weinen an, und Nasses, der sich stellte, als ob er es nicht bemerkte, fuhr also fort:

»Sie gestehen also, dass ich Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lasse, und dass ich [434] Sie nun zu genau kenne, um absolut alles zu glauben, was man mir von Ihnen gesagt hat.«

»Sie erweisen mir damit eine zu große Gnade,« erwiderte sie.

»Nein,« sagte er bescheiden, »das, was ich für Sie thue, ist ganz einfach, und um über die Meinung, die ich davon haben soll, im Klaren zu sein, brauche ich nur an die Art zu denken, auf welche Sie sich mir ergeben haben; aber, wenn ich nicht an alles glaube, so fühlen Sie es wohl gut, dass es mir unmöglich ist, an nichts zu glauben.«

[435] »Warum denn?« fragte sie ihn, »alles, was man Ihnen sagte, ist ja so wahr, scheinlich, dass ich es nicht begreife, warum Sie für mich eine derartige Schonung hätten?«

»Ich glaube doch nur ...« versetzte er.

»Ah! Glauben Sie alles, mein Herr,« unterbrach sie, »glauben Sie alles, was Sie wollen, wir sehen uns ja niemals wieder.«

»Wenn Sie meine Rücksicht verdienen würden, so möchte ich alles widerrufen.«

»Nein, nein, mein Herr,« erwiderte sie, »Sie glauben alles, was man gesagt hat; Sie glauben es und ich finde es nicht der Mühe wert, Sie aus dem Irrthume herauszuführen.«

»Wir werden uns also entzweien,« erwiderte er, »und für immer. Ein und derselbe Abend sah Ihre Liebesglut entstehen und verschwinden,« fügte er seufzend hinzu. »Ich fühle es nur zu sehr, dass sie ewig sein wird.«

»Ja, mein Herr,« antwortete Zulika, »ja, wir werden für immer entzweit sein.«

»Für immer?« rief er aus, »das heißt, [436] dass Sie mich ebenso schnell aufgeben, als Sie mich genommen haben. Das ist auf Ehre eine Sache, die ich nicht für möglich hielt. Aber wie kommt es, dass diese großartige Beständigkeit, womit Sie prahlten, und Ihre zarte und feinfühlende Seele sich in eine solche Sache finden kann, welch' schreckliche Gewalt werden Sie sich anthun müssen, um Ihr Wort zu halten? Wie sehr beklage ich Sie! Nach allem ist nichts so vortheilhaft für mich, da Sie schon wechseln müssen, als dass Sie mich so schnell als möglich verlassen; bei längerem Umgang mit Ihnen hätte ich Ihre Unbeständigkeit zu schmerzlich empfunden. Ich schmeichle mir jedoch, dass Sie es sich noch überlegen werden, und wenn es wahr ist, dass Ihr Interesse an meiner Person vollständig erloschen ist, Sie es dennoch fürchten werden, da Sie mich mit Ihrer Güte überhäuften und allen Grund dazu hatten, mit mir zufrieden zu sein. Sie sind es nicht im Stande, auch nur vierundzwanzig Stunden treu zu bleiben.«

»Nach den vielen kleinen Freiheiten, welche Sie mir gestatteten, wird man Ihr [437] Benehmen schlecht und niedrig finden, dessen versichere ich Sie.«

»Nein,« fuhr er fort, indem er sich ihr näherte und sie zärtlich in seine Arme schloss, »nein, Sie werden diese Ungerechtigkeit einem so zärtlichen Liebhaber nicht anthun.«

»Wer, ich,« rief sie aus, indem sie sich gewaltsam seinen Armen entziehen wollte, »ich? ich sollte Ihnen noch angehören?« sie ließ Nasses bei diesen Worten ihre ganze Verachtung fühlen. Umsonst versuchte er ihren Widerstand zu besiegen, ihr Zorn diente ihr hierbei besser, als alle zur Schau getragene Tugend, für welche sie so schlecht und zur Unzeit gekämpft. Sie sträubte sich noch immer in seinen Armen, als man unten einen Wagen vorfahren hörte, der dem Angriff und Widerstand ein Ende machte.

»Das sind gewiss meine Leute, mein Herr,« sagte sie zu ihm, »und ich gehe fort. Ich zwinge Sie nicht dazu, darüber nachzudenken, was zwischen uns vorgefallen ist, das wäre unnütz; je mehr man einer schlechten Handlungsweise fähig ist, umso weniger empfindet man sie.«

»Indem sie diese Worte endigte, stand sie [438] auf und wollte hinausgehen, als etwas, was ich Euer Majestät morgen sagen werde, sie zu bleiben zwang.«

»Warum morgen,« sagte der Sultan; »denkst Du, dass Du es mir heute nicht sagen müsstest, wenn ich dazu gelaunt wäre? Glücklicherweise bin ich gar nicht neugierig auf Deine Erzählung, und ob es morgen oder an einem anderen Tage geschieht, ist mir ganz gleichgiltig.«

19. Kapitel
[439] Neunzehntes Kapitel.

Ah! umso besser!


Nachdem, was zwischen Zulika und Mazulhim vorgegangen war, dürfte sie wohl nicht mehr darauf rechnen, ihn wieder zu sehen; und dennoch war es er, der soeben eintrat.

Sie wich vor Überraschung zurück, als sie ihn sah, und Thränen folgten ihrem Erschrecken, sie sank vernichtet auf mich. Er stellte sich so, als ob er den trostlosen Zustand, in welchen seine Gegenwart sie versetzte, gar nicht bemerkte, und sprach, zu ihr hinschreitend, in dem ungezwungendsten Tone der Welt:

»Ich komme, meine Königin,« sagte er zu ihr, »Sie um Verzeihung zu bitten. Eine [440] lästige Verkettung von überwältigenden, schrecklichen und verzweifelten Geschäften haben mich daran gehindert, zu Ihren Befehlen zu sein ...«

»Was! Sie weinen? Ah, Nasses, das ist nicht recht; Sie haben meine Leichtgläubigkeit, meine Freundschaft und mein Vertrauen missbraucht ...«

»Aber offen gestanden, ich verstehe Ihr Benehmen nicht. Sie sind erzürnt! Darüber bin ich außer mir, verzweifelt, ich werde mich niemals darüber trösten. Das ist ja ein seltsames, überraschendes Abenteuer ... Kann man denn endlich erfahren, was diese Thränen bedeuten? Sagt doch Ihr Beide? Ihr sprechet nicht? Ach! endlich merke ich, was es ist, ich bin die schuldlose Ursache Ihres Kummers. Sie halten mich für treulos ja, Sie glauben es. Wie wenig kennen Sie mein Herz! Ich kehre ja zu Ihnen tausend, mal, ich sage tausendmal verliebter, zärtlicher und entzückter als jemals zurück.«

Je mehr Zärtlichkeit Mazulhim kundgab desto starrer und rathloser verharrte Zulika im Stillschweigen. Nasses weidete sich boshaft an ihrer Verlegenheit, und befürchtete [441] bloß, dass, wenn er Mazulhim antwortete, sie Zeit dazu gewinnen möchte, sich von ihrer Verwirrung zu erholen; er wartete [442] daher ungeduldig darauf, dass sie selber antwortete.

Sein Warten war vergebens. Sie verharrten daher alle Drei im unbehaglichen Stillschweigen.

»Erklären Sie mir doch gefälligst das Geheimnis,« sagte endlich Mazulhim zu Nasses; »hat Madame sich über mich oder über Sie zu beklagen? Liebt sie mich nicht mehr, oder liebt sie Sie?«

»Durchaus nicht,« erwiderte Nasses; »ich bin es, da ich es Ihnen sagen muss, den die Ungetreue für rathsam hält, nicht mehr zu lieben. Wir sind entzweit.«

»Ah, Verrätherin,« sagte Mazulhim. »Nach den Schwüren, die Sie mir geleistet haben, mir immer treu zu bleiben ... Welche Abscheulichkeit!«

»Es gelang mir nur mit größter Anstrengung, Madame über Ihren Verlust zu trösten,« erwiderte Nasses; »das ist eine Rechtfertigung, die ich ihr schulde, und um meine Pflicht bis zur äußersten Grenze zu erfüllen, will ich es, Sie, welche harte Überwindung es mich auch kosten mag, versuchen lassen, ob Sie im Stande sind, Madame [443] schneller über meinen Verlust zu trösten als ich es über den Ihrigen vermochte.«

»Leben Sie wohl, Madame,« fuhr er, sich an Zulika wendend, fort, »mein Glück hat nicht lange gedauert, aber ich bin zu sehr von der Güte überzeugt, die ihr Vorurtheil mich heute verlieren lässt. In diesem Falle, wenn es Ihnen belieben würde, sich meiner zu erinnern, so können Sie versichert sein, dass ich stets zu ihrem Befehle sein werde.«

Nachdem Nasses sich entfernt hatte, erhob sich Zulika plötzlich und ohne Mazulhim zu beobachten, wollte auch sie weggehen.

»Nein, Madame,« sagte er mit ehrfurchtsvollem Tone zu ihr, »ich kann mich nicht entschließen, Sie zu verlassen, ohne mich früher gerechtfertigt zu haben; es könnte ja auch der Fall sein, dass auch Sie mir einige Entschuldigungen zu sagen haben, denn, wie auch immer unsere Sachen stehen, so scheint es mir unanständig, dass wir uns trennen, ohne uns zuvor erklärt zu haben. Werden Sie stets in Ihrem peinlichen Stillschweigen verharren? Erinnert Sie nichts mehr daran, [444] dass wir uns ewige Beständigkeit versprochen haben?«

»Ach, mein Herr,« antwortete sie weinend, »fügen Sie zu Ihren Unwürdigkeiten nicht noch jene hinzu, mir von einer Liebe zu sprechen, die Sie niemals empfanden.«

»Nun wohl!« erwiderte er. »So sind die Frauen! Man fehlt, ohne es zu wollen, man kränkt sich darüber, man stirbt vor Ungeduld, man verschmachtet vor Sehnsucht; und wenn man bloß beklagt zu sein verdient, und man voll zärtlicher Erwartung zurückkehrt, um sich jener zu Füßen zu werfen, die man anbetet, so findet man sich verabscheut! Nach allein zu schließen, würden Sie weniger ungerecht sein, wenn Sie nicht so empfindsam wären.«

»Bei empfindsamen Seelen darf man niemals kleine Unarten haben. Ich bin Ihnen aber doch für Ihren Zorn sehr dankbar, ohne ihn hätte ich vielleicht mein ganzes Leben nicht geahnt, wie sehr Sie mich liebten und ich selber würde Sie dann weniger geliebt haben. Aber sagen Sie mir doch,« fügte er, sich ihr vertraulich nähernd, hinzu »sind Sie mir denn ernstlich böse?«

[445] Zulika antwortete auf diese Frage bloß damit, dass sie ihn mit derselben Verachtung wie früher ansah.

»Im Grunde,« setzte er fort, »wäre es mir ja sehr leicht, mich zu rechtfertigen. Aber sicherlich,« fügte er hinzu, als er sah, wie sie die Achseln zuckte, »sehr leicht, ich sage da nichts Unwahres, denn in was besteht denn eigentlich mein Unrecht gegen Sie?«

»Wahrhaftig!« rief sie aus, »ich bewundere Ihre Unverschämtheit. Mich herkommen zu lassen, ohne sich darum zu bekümmern, wie schlecht, wie unverschämt dieses Benehmen auch sein mag, so sind Sie ganz geeignet dazu, es zu haben.«

»Ich war ja darüber gar nicht erstaunt, aber die letzte Frechheit noch hinzuzufügen! Mir einen Fremden herzusenden, den Sie über meine Schwäche belehrten, ihm das anzuvertrauen, was Sie vor der ganzen Welt verbergen sollten ...«

»Ja, es verbergen,« unterbrach er, »das wäre ein reizendes Geheimnis und sehr nützlich wäre es auch. Denken Sie denn, dass ein ähnliches Ereignis zwischen derartigen Personen, [446] wie wir sind, unbekannt bleibt? Aber ich setze voraus, dass selbst bei Ihrer Erfahrung Sie sich sehr darüber täuschen, wenn Sie glauben, dass man uns nicht nennen wird; worin, gestatten Sie es mir zu fragen, habe ich Sie denn preisgegeben? Ist vielleicht unser Geheimnis nicht besser in den Händen eines Mannes vom Stande bewahrt, als in jenen eines Sklaven? Hatte ich damals gerade jenen Diener bei der Hand, um ihn zu Ihnen zu senden, welcher bei mir in die Einzelnheiten solcher Angelegenheiten eingeweiht ist, und war er denn nicht hier, um Sie zu erwarten?«

»Die Zeit drängte. Um Sie davon zu benachrichtigen, was mich zu kommen hinderte, wählte ich jenen meiner Freunde, der meiner Ansicht nach die besten Sitten hat. Und endlich ist Nasses ein Mann, der außer seiner guten Sitten auch noch Geist besitzt, er ist unter uns Lebemännern am beliebtesten und eine Persönlichkeit, der man, ich muss es gestehen, auch Achtung und Bewunderung schuldet.«

»Schließlich nehme ich mir noch die Freiheit, Ihnen zu sagen, dass ich es nach seinen [447] innigen Danksagungen, zu denen Sie ihn verpflichtet haben, nicht begreifen kann, weshalb Sie sich darüber so sehr beklagen, dass ich ihn zu Ihnen gesandt habe. Unter uns gesagt, dürfte dieser Punkt einer näheren Erklärung verdienen, doch Sie können mir ja dieselbe, nur so weit es Ihnen beliebt, geben, denn ohne beleidigend sein zu wollen, muss ich Ihnen gestehen, dass ich weder so neugierig noch so unbequem wie Sie bin.«

»Welche Frechheit und Albernheit!« rief Zulika aus.

»Sachte, wenn es Ihnen beliebt, Madame, mit derartigen Äußerungen,« sagte Mazulhim lebhaft, »so wie Sie mich kennen, so gibt es für mich tausend Dinge, gegen die ich protestieren könnte, und ich bitte Sie daher, mich gütigst nicht dazu zwingen zu wollen, meine Wiedervergeltung nehmen zu müssen. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, meinen Worten zu glauben, so werden wir freundschaftlich mit einander sprechen; vielleicht werden Sie dabei ebenso viel Nutzen wie ich haben. Sehen wir ein wenig genauer nach. Die Gegenwart Nasses hat Sie [448] zuerst verdrossen, daran ist nicht zu zweifeln, und woran ich aber noch weniger zweifle, ist, dass Sie, um mit ihm in gutes Einverständnis zu kommen, die große Güte hatten, ihn mit allen jenen Gunstbeweisen zu überhäufen, welche Sie die Gnade hatten, für mich zu bestimmen.«

»Und wenn dem so wäre?« antwortete Zulika stolz.

»Ich verstehe,« unterbrach er, »es ist dem so.«

»Nun wohl! Ja,« erwiderte sie kühn, »ja, ich habe ihn geliebt.«

»Mißbrauchen wir keine Worte,« erwiderte er, »Sie haben ihn nicht geliebt; aber das kommt auf eins heraus. Gestehen Sie es, da Sie ihn jetzt ein wenig kennen und wissen, dass er ein Mann von seltenen Verdiensten ist ...«

»So viel ich darüber sagen kann,« erwiderte sie kühl, »ist, dass er fade, anmaßend und rücksichtslos ist, aber dafür wenigstens etwas an sich hat, wofür man es ihm verzeihen kann, und dass Andere, die es wagen, denselben Ton anzunehmen, mehr [449] als eine Ursache hätten, sehr bescheiden zu sein.«

»Obwohl dieses Epigramm sehr verblümt gesagt ist,« erwiderte er, »so fühle ich sehr wohl heraus, dass es auf mich gemeint ist, [450] und ich will Ihnen gerne, ohne mich darüber zu ärgern, den kleinen Trost gewähren, es mich gestehen zu hören. Ja, ich werde selbst meine zarte Rücksicht noch weiter ausdehnen und werde mir keine Rechtfertigung erlauben, womit ich vielleicht die Höflichkeit gegen Sie verletzen könnte.«

»Welche erbärmliche Sprache führen Sie da,« rief sie, ihn mitleidig ansehend, aus, »und wie schlecht eignet sich dieser leichte, spöttische Ton für eine Sorte von Männern, wie Sie sind!«

»Sie bemühen sich umsonst, Madame, ich werde nicht von der Achtung, die ich Ihnen schulde, noch von dem Plane ablenken, über welchen ich mich mit Ihnen unterhalten wollte. Ich würde nicht böse darüber sein, Ihnen mit meiner Person als Muster der Mäßigung zu dienen; denn vielleicht werden Sie, wenn Sie mich so standhaft finden, Lust bekommen, mir nachzuahmen.«

»Sie werden sie gewiss ganz allein ausüben, Ihre so sehr gerühmte Mäßigung,« erwiderte sie, indem sie sich erhob, »denn ich gehe ...«

»Nein, wenn es Ihnen beliebt, Madame,« [451] sagte er, sie zurückhaltend, »Sie werden mich nicht verlassen, nicht auf diese Art dürfen kluge Leute, wie wir, aus einandergehen; um Ihrer Ehre wegen, um der meinigen Willen, müssen wir zu jeder gegenseitigen Erklärung bereit sein und jedes Aufsehen vermeiden, welches sowohl für Sie als für mich zu fürchten wäre. Mit einem Worte, Zulika, Sie müssen mich anhören.« Möglich, dass Zulika die üblen Folgen fühlte, welche dieses Abenteuer für sie haben könnte, wenn das Gerücht davon sich verbreiten würde, und sie glaubte deshalb, nach ernster Überlegung, nichts unbeachtet zu lassen, um Mazulhim zum Schweigen zu bewegen; oder möglich, dass sie selbst zu verächtlich war, um lange darüber böse zu sein, dass man sie so verachtete; genug, ihr Zorn kühlte sich ab, sie warf sich abermals auf das Sopha, ohne jedoch Mazulhim eines Blickes zu würdigen, der aber von diesem Zeichen der Verachtung wenig gerührt zu sein schien und sein Gespräch folgendermaßen wieder aufnahm:

»Sie haben es mir gestanden, dass Sie Nasses erhört haben; ein anderer Mann [452] würde Ihnen sagen, dass eine anständige Frau sich nur dann in anderes Verhältnis einlässt, wenn das, welches sie vordem hatte, vollständig aufgelöst ist; und auf dieses Recht hin würde er Sie mit den größten Schmähungen überhäufen, welche dieses Benehmen aller Wahrscheinlichkeit nach zu verdienen scheint. Was mich betrifft, der ich genug Lebenserfahrung habe, um zu wissen, wie sich das zuträgt, ich bin weit entfernt davon, es Ihnen übel zu nehmen, im Gegentheil, ich liebe Sie deshalb nur noch mehr.«

»Es ist durchaus nicht meine Absicht, irgend eine Wirkung auf ihr Herz zu machen,« erwiderte sie.

»Davon brauchen Sie nichts zu wissen,« antwortete er, »in der Bestürzung, in welcher Sie sich befanden, war es leicht möglich, dass Sie die Beweggründe, welche Sie zur Handlung veranlasst haben, verwechselten. Sie hielten mich für unbeständig, man beschwor Sie, sich einzulassen; wenn Sie mich weniger geliebt hätten, würden Sie es gewiss nicht gethan haben, und Nasses würde sich vergebens bemüht haben, Sie so weit zu [453] bringen, wie es ihm gelungen ist. Es ist bloß der heißesten Liebe eigen, glauben Sie es mir, jene heftigen Gefühle einzuflößen, die der kühlen Überlegung weder die Zeit noch die Freiheit zu handeln gestatten. Ich würde sehr darüber staunen, dass Nasses so wenig rücksichtsvoll gewesen sei, um die augenblickliche Lage, in der Sie sich befanden, ausnützen zu wollen; ich glaube schwerlich, dass er genug verblendet und eitel ist, um nicht zu sehen, dass Sie selbst in seinen Armen einem Andern angehörten, und dass Sie ohne Ihre leidenschaftliche Liebe zu mir ihn niemals beglückt hätten.«

»Oh, nein,« antwortete sie »Nasses gefiel mir sehr gut und ich beging eine Treulosigkeit in aller Form gegen Sie.«

»Die reinste Eitelkeit von ihrer Seite, glauben Sie das nicht, nichts ist weniger wahr.«

»Warum,« sagte sie, »soll das nicht wahr sein? Ich finde es sehr sonderbar, dass Sie es besser wissen wollen als ich, was daran ist.«

»Ich weiß es dennoch ganz genau, so dass ich es Ihnen Wort für Wort sagen [454] könnte, wie er es anstellte, um Sie zu verführen,« antwortete er. »Nasses fand Sie schön, es gefiel ihm viel besser, Sie von dem Verlangen, das Sie in ihm erweckten, zu überzeugen, als mich zu entschuldigen, und ich würde darauf wetten, dass er anstatt zu meinen Gunsten zu reden, lieber selbst ...«

»Das ist ganz natürlich,« unterbrach sie.

»Sage ich Ihnen denn nicht,« fuhr er fort »welchen erbärmlichen Sieg er damit errungen hat und welch' ein schlechter Schmeichler er ist? Aber schließlich gibt es ja Leute, denen man die kleine Kriegslist verzeihen muss, denn Sie bedürfen ihrer, um zu gefallen.«

»Was?« sagte sie erstaunt, »Sie können es wagen, noch zu behaupten, dass Sie mir nicht untreu waren?«

»Sicherlich,« erwiderte er »ich bin es nicht gewesen und das ist eben, was Ihr Abenteuer so lustig macht.«

»Sie waren nicht schuldig?« wiederholte sie. »Was ist denn aus Ihnen geworden?«

»Ich habe mich nicht früher von dem Kaiser entfernt, als zu derselben Stunde, [455] in der Sie mich hier erscheinen sahen; und selbst Zadis, dem man, nebenbei gesagt, tausend Neckereien darüber sagte, dass er gestern den ganzen Tag verschwunden war, hat mich nicht verlassen, er kann es Ihnen selbst sagen.«

Bei dem Namen Zadis erbebte Zulika und sah Mazulhim erröthend an, der scheinbar ihre Verlegenheit nicht bemerkte und folgendermaßen fortfuhr:

»Obzwar ich noch immer ein sehr lebhaftes Gefallen an Ihnen finde, werden Sie es doch einsehen, dass wir nunmehr nicht in jener Vertraulichkeit zusammen leben können, die Sie mir früher gewährt haben. Ich will Sie deshalb aber doch nicht von allem entbinden, aber ein bestimmter Umgang behagt Ihnen nicht mehr, denn schließlich haben wir uns ja doch nur mehr aus Laune als aus Liebe vereint; es waren ja keine zärtlichen Gefühle, die uns verbanden, und das, was nun folgt, darf Sie weder verletzen, noch Ihnen missfallen, noch uns Beide daran hindern, der Laune zu folgen, wenn wir, ohne uns wieder vollständig besitzen zu [456] wollen, uns dennoch manchmal zu einander hingezogen fühlen sollten.«

»Ich schmeichle mir,« antwortete sie verächtlich, »dass Sie, während Sie diese Maßregeln trafen, dennoch deren ganze Lächerlichkeit fühlten, und dass Sie nicht darauf hofften, mich dazu zu bewegen, einzuwilligen.«

»Verzeihen Sie mir,« erwiderte er, »aber Sie sind zu vernünftig dazu, um nicht zu wissen, welche Schonung und Aufmerksamkeit man alten Freunden schuldet; außerdem weiß ich auch, dass es Ihnen nicht unbekannt ist, dass es heute allgemein festgestellter Gebrauch ist, so viele Verbindungen, als es nur möglich ist, einzugehen und seinen neuen Freunden so viel, als man vermag, zu gewähren, ohne deshalb den alten Freunden etwas zu entziehen. Sie werden es daher gewiss für recht finden, des die Sachen sich gerade so verhalten werden, wie ich die Ehre habe, es Ihnen zu sagen, und dass ich diesen Punkt für ganz entschieden unter uns halte.«

Bei diesem schamlosen Handel (obzwar Zulika dessen sehr würdig war), den er mit ihr abmachte, beleidigte sie sich dennoch, dass [457] Mazulhim sie dessen für fähig hielt, was sie doch alle Tage that; sie wollte deshalb mit ihm in einem würdevollen Tone reden, der sie noch verächtlicher machte, und ihn noch mehr dazu ermuthigte, sie gar nicht zu schonen.»Wenn es nicht schon so spät wäre,« sagte er zu ihr, »so würde ich Ihnen noch beweisen, dass Sie weit eher, als sich zu beklagen, mir tausend Dank zu sagen hätten. Es ist mir nicht unbekannt, dass Zadis gestern bei Ihnen war und mit Ihnen allein den ganzen Tag und einen großen Theil der Nacht zugebracht hat. Mehr neugierig als eifersüchtig und sicher dessen, dass Sie das Wort, welches Sie mir gegeben haben, ihn niemals wiederzusehen, nicht halten würden, ließ ich Euch beide beobachten.«

»Es war durchaus nicht nöthig, dass Sie sich bemühten,« unterbrach sie. »Ich hatte nicht die Absicht, mich zu verstecken; die Ursache, aus welcher ich Zadis gestern bei mir empfangen habe, kann mir stets nur zur größten Ehre gereichen.«

»Ah, ah!« rief er mit überraschter Miene, »das ist sehr außergewöhnlich!«

[458] »Ihre spöttische Miene wird mich nicht daran hindern, die Wahrheit zu sprechen,« erwiderte sie; »ich hatte noch nicht vollständig mit ihm gebrochen und ich empfing ihn nur deshalb, um ihm zu sagen, dass ich ihn nie wiedersehen werde ...«

»Wobei Sie den ganzen Tag und die Nacht mit ihm zubrachten.«

»Ich widerlege Ihren Grund, so außergewöhnlich er auch sein mag, durchaus nicht; aber schließlich müssen Sie es mir doch zugestehen, dass es ein seltener Fall ist, wenn eine schöne Frau sich mit einem interessanten Manne vierundzwanzig Stunden lang einsperrt und dabei bloß die Absicht hat, sich mit ihm zu entzweien.«

»Aber, da eine so beispiellose Sache deshalb nicht weniger Sinn haben kann, nehme ich an, ich, der ich mich einzig und allein darum bemühe, Sie zu rechtfertigen, dass Zadis, als er von Ihnen die Entscheidung über sein Unglück erfuhr, gewiss aus Gram und Verzweiflung zu Ihren Füßen sterben zu müssen glaubte, und gerührt von seiner Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, in welche Ihre Unbeständigkeit ihn versetzte, haben [459] Sie ihn mit der ganzen Huld und Freundlichkeit, deren Sie fähig sind, getröstet, so gut, dass Ihre Besorgnisse um ihn gar nichts an der Treue, die Sie mir geschworen haben, verletzten, denn ein verzweifelter Mann ist wenig verständig; man hat so unendlich viele Mühe ihn zu einem vernünftigen Benehmen zu bringen, man muss eine Sache so oft sagen, wiedersagen und tausendmal umdrehen; Reue, Vorwürfe, Thränen, Zorn und Strenge anwenden; nichts raubt mehr Zeit.«

»Aber schließlich muss ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, dass Sie das Mittel, welches Sie anwendeten, um Zadis zu trösten, nicht zu bereuen haben, denn er war heute ganz außergewöhnlich lustig.«

»Zadis lustig! Scheint Ihnen das passend? Wenn Sie die Wahrheit sagen, woran zu zweifeln ich mich wohl hüten werde ...«

»Entweder haben Ihre weisen Rathschläge so viel Herrschaft über ihn gehabt, oder liebte er Sie nur sehr wenig, um Sie so leicht, wie er es thut, zu vermissen. Wenn eines Ihrem Geiste große Ehre macht, so macht das andere Ihren Reizen deren [460] sehr wenig; aber ich will Sie damit nicht kränken, Sie wissen ja in solchen Dingen selber am besten, woran Sie sich zu halten haben. Auf jeden Fall sollten Sie es ihm dringlich empfehlen, betrübter zu erscheinen, wenigstens für so lange Zeit, als Sie benöthigen, um mich zu hintergehen.«

Bei diesem Gespräche wollte Zulika es versuchen, sich zu rechtfertigen, aber Mazulhim sprach, sie unterbrechend:

»Alles, was Sie mir da sagen, Madame, wäre unnütz. Ersparen Sie sich j-de Rechtfertigung, die ich von Ihnen durchaus nicht verlange und welche ich nicht erhalten will, da sie Ihnen sehr schwer fallen würde, ohne mich zu überzeugen.«

»Leben Sie wohl,« fügte er sich erhebend hinzu, »es ist spät; und wir sollten uns schon längst getrennt haben. Doch da fällt mir gerade noch ein, was werden Sie denn mit Nasses machen?«

Zulika erschien bei dieser Frage sehr erstaunt.

»Das, was ich Sie frage, ist sehr vernünftig. Sie sind nicht in gutem Einvernehmen mit ihm auseinander gegangen, und [461] es scheint mir, dass Sie in diesem Punkte nicht klug gehandelt haben.«

»Wenn Sie vernünftig sind, werden Sie ihn wiedersehen; glauben Sie mir und vermeiden jedes Aufsehen, es muss Ihnen ja nicht so schwer fallen, ihn zu behalten, wenn Sie ihn hassen, dass es Ihnen möglich war, ihn zu nehmen, ohne ihn zu lieben. Wenn Sie darauf beharren, ihn nicht mehr wiederzusehen, wird er vielleicht sprechen, und obzwar es gewiss nichts Natürlicheres gibt, als das, was Sie gethan haben, so werden sich doch genug schwarze Seelen, genug Ungerechte finden, um Ihnen Unrecht zu thun und um aus einer ganz alltäglichen Sache eine unerhörte, lächerliche zu machen. Im Grunde ist es ja nicht das, was man über Sie reden wird, was Sie beunruhigen muss; denn, wenn man einen gewissen Ruf hat und eines gewissen Standes ist, dann ist ja ein Geschäft mehr oder weniger nicht eine Sache, die man so genau zu nehmen braucht; aber man muss sorgfältig vermeiden, sich unnöthige Feinde zu machen.«

»Morgen werde ich ihn Ihnen selbst vorstellen.«

[462] »Ich!« rief sie aus, »ich soll ihn wiedersehen?«

»Aber gewiss,« antwortete er, indem er ihr die Hand bot, um herunter zu steigen, »Sie müssen sich so weit überwinden. Wenn Zadis zufällig genug unfreundlich wäre, unser Übereinkommen schlecht zu finden, so rechnen Sie auf mich; dann wird er entweder gezwungen sein, Sie zu verlassen, oder er muss sich schließlich daran gewöhnen, uns ruhig zuzusehen, wie Ihnen alle regelmäßig den Hof machen.«

Nachdem er diese Worte beendet hatte, bot er ihr noch einmal die Hand und sah, dass sie ihm dieselbe hartnäckig verweigerte. »Welches Elend,« sagte er ihr, indem er trotzdem ihre Hand ergriff. »Sie spielen das große Kind bis zum äußersten Punkte, der mir unerträglich ist.«

Dann gingen sie hinaus.

»Sie gingen fort?« rief der Sultan aus.

»Ach! das große Wort, das ist meiner Ansicht nach das beste aus Deiner Geschichte; und kamen sie nicht mehr wieder?«

[463] »Ich sah Zulika nicht mehr,« antwortete Amanzei, »aber ich sah Mazulhim noch lange.«

»Und immer,« sagte der Sultan, »so, Sie wissen schon wie?«

»Wahrhaftig, das war ein seltener Jüngling!«

»Welche Frau besaß er nach Zulika?« »Viele, welche nicht mehr wert waren, als sie, und einige, welche es sogar nicht einmal verdienten, ihn zu haben und deren Los ein sehr beklagenswertes war.«

»Aber da fällt mir gerade ein,« fragte Schach-Baham die Sultanin, »haben Sie es nicht gefunden, dass dieser Mazulhim Zulika sehr schlecht behandelte?«

»Ich finde sie so verächtlich,« erwiderte die Sultanin, »dass ich wollte, er hätte sie, wenn es möglich wäre, noch viel mehr bestraft.«

»Und mir, mir schien es,« erwiderte der Sultan, »dass sie viel zu sanft mit ihm umging; das ist nicht in der Natur der Frauen.«

»Und ich glaube das Gegentheil,« sagte die Sultanin, »eine solche Frau, wie Zulika, [464] hat keine Hilfsmittel gegen die Verachtung, und wie die Schmach ihrer Aufführung sie den grausamsten Beschimpfungen preisgibt, so lassen ihr die Niedrigkeit ihres Karakters und die innere Schande, die sie oft empfindet, nicht die Kraft, diese Beleidigungen zurückzustoßen. Wenn es übrigens wahr wäre, dass Amanzei die Demüthigung Zulika's übertrieben hatte, so bin ich weit entfernt davon, ihm darüber Vorwürfe zu machen, ich würde ihm sogar dafür großen Dank wissen.«

»Ach, ja,« erwiderte der Sultan, »das ist gewiss sehr nothwendig! Aber lassen wir das, der Streit vergrämt mich stets und ich zweifle nicht daran, dass ich mich ärgern würde, wenn wir noch länger so sprächen. Als sie Mazulhim verließen, wo gingen sie dann hin, Amanzei?«

20. Kapitel
[465] [467]Zwanzigstes Kapitel.

Die Vergnügungen der Seele.


»Obzwar ich in Mazulhims Hause großes Vergnügen gefunden hatte, so zwang doch der Vortheil meine Seele sich davon los zu reißen, und da ich nun davon überzeugt war, dass es keineswegs hier sein kann, wo meine Seele ihre Erlösung finden wird, so ging ich fort, um ein Haus zu finden, worin ich möglicherweise glücklicher sein würde, als in allen jenen, de ich bereits bewohnt hatte.

Nach längerem Herumirren das meinen Augen bloß solche Dinge bor, wie ich sie bereits gesehen hatte, oder wobei ich Ereignisse erlebte, die es nicht wert sind, Euer [467] Majestät erzählt zu werden, flog ich endlich in einen geräumigen Palast ein, welcher einem der vornehmsten Großen von Agra gehörte.

Ich irrte einige Zeit darin herum, und bestimmte endlich meinen Aufenthalt in einem der vielen herrlichen Räume, der mit besonderem Geschmack und großer Prachtliebe ausgestattet war.

In diesem Raume athmete Alles Wollust; die kunstvolle Ausschmückung, die schwellenden Möbel, der Wohlgeruch auserlesener Gewürze, die man hier unaufhörlich verbrannte, alles führte die weichste Üppigkeit vor das Auge, alles erfüllte die Seele mit Wollust in diesem feenhaften Aufenthalte des Vergnügens.

Kaum war ein Augenblick vergangen, seit ich mich in einem prächtigen Sopha niedergelassen hatte, so sah ich auch schon die Göttin, der ich angehören sollte, eintreten.

Es war die schöne Tochter des Omrah, bei dem ich mich aufhielt. Jugend, Anmuth, Schönheit und ein gewisser Reiz, welcher diese Vorzüge allein zur Geltung [468] bringt, der mächtiger als die Schönheit selber ist, und der noch niemals enträthselt wird, vereinten sich in dieser lieblichen Erscheinung.

Ihr Antlitz vereinte alles, was man sich an Liebreiz und Anmuth vorstellen kann. Meine Seele konnte sie ohne Rührung nicht ansehen, ich empfand bei ihrem Anblick tausend köstliche Gefühle, die ich zuvor nie gekannt.

Da ich nun dazu auserlesen war, manchmal den Körper dieses göttlichen Wesens zu tragen, so hörte ich auf, mich über mein hartes Los zu quälen, ja, ich begann auf einmal sogar zu fürchten, jemals gezwungen zu sein, ein anderes Leben beginnen zu müssen.«

»Ah! Brama,« sagte ich zu mir selber, »welcher Art ist denn die Glückseligkeit, die Du jenen bereitest, welche sie wohl verdienten, wenn Du in Deiner großen Güte es erlaubst, dass jene Seelen, die Deinge rechter Zorn verdammt hat, den Anblick so bezaubernder Reize genießen dürfen! Komm,« fuhr ich in Begeisterung fort, »komm, herrliches Ebenbild der Gottheit! komm eine glühende [469] Seele zu beruhigen, welche schon mit der Deinen vereint wäre, wenn ein grausamer Befehl sie nicht gewaltsam in ihrem Gefängnisse zurückhielte.«

Es schien mir fast, als ob Brama in diesem köstlichen Augenblicke meine heißen Wünsche erhören wollte.

Die Sonne war gerade am Höhepunkt angelangt. Es war unerträglich heiß. Zeinis bereitete sich gerade vor, bald die Annehmlichkeiten eines sanften Schlummers zu genießen; indem sie selbst die Vorhänge zuzog, blieb in dem Zimmer bloß jenes, für den Schlummer und die Freuden der Liebe günstige Halbdunkel, welches dem Auge nichts entzieht und dennoch viel zu den Gefühlen der Wollust beiträgt, das schließlich die Schamhaftigkeit weniger scheu sein lässt und ihr gestattet, der Liebe mehr zu gewähren.

Bald war bloß eine durchsichtige Tunika von Gaze, welche beinahe ganz offen war, die einzige Bekleidung Zeinis. Sie warf sich nachlässig auf mich.

Götter, mit welchem Entzücken nahm ich sie auf! Zum Glück für mich hatte Brama meiner Seele, als er sie in ein Sopha [470] bannte, die Freiheit gewährt, sich dort, wo es ihr beliebte, niederzulassen, wovon ich jetzt so gerne Gebrauch machte. Ich wählte mit Überlegung jenen Ort, von wo aus ich die Reize Zeinis am besten bewundern konnte, und ich that es mit dem ganzen Feuer eines zärtlichen Liebhabers und mit der Bewunderung, die selbst der gleichgiltigste Mensch ihr hatte nicht verweigern können. Himmel! welche Schönheiten boten sich meinen Blicken dar! Endlich kam der süße Schlummer, um die schönen Augen, welche mir so viel Liebe einflößten, zu schließen. Ich beschäftigte mich dann damit, alle ihre Reize einzeln zu bewundern und dann wieder auf jene zurückzukommen, die ich bereits gesehen. Obzwar Zeinis ziemlich ruhig schlummerte, so wendete sie sich doch einigemal um; und jede Bewegung, die sie machte, brachte ihre Tunika in größere Unordnung und bot meinen neugierigen Blicken neue Reize. So viel verführerische Schönheit berauschte meine Seele. Bedrückt von der Heftigkeit und der Zügellosigkeit ihrer Wünsche, blieben alle Fähigkeiten meiner Seele eingestellt und erstarrt. Umsonst bemühte ich mich einen ruhigen Gedanken [471] zu fassen, ich fühlte nur Eines, dass ich liebte, und ohne die Folgen einer so verhängnisvollen Leidenschaft vorherzusehen, oder sie zu fürchten, ergab ich mich ihr ganz.

»Köstliches Wesen,« rief ich endlich aus. »Nein, Du kannst kein sterbliches Weib sein. So viele Reize sind ihnen nicht zu Theile! Du stehst selbst über den himmlischen Wesen, und es gibt deren keines, dass Du nicht verdunkeln würdest! Ach, geruhe die Huldigungen einer Seele, die Dich anbetet, anzunehmen, hüte Dich ihr einen unwürdigen Sterblichen vorzuziehen! nein, Zeinis! Göttliche Zeinis! nein, es lebt kein Mann, der Deiner wert ist! nein, Zeinis, denn es gibt keinen, der Dir an Schönheit gleich kommt.«

Während ich mich so lebhaft mit Zeinis Schönheit beschäftigte, machte sie eine rasche Bewegung und wendete sich um. Die Lage, welche sie jetzt annahm, war mir sehr günstig und ich dachte trotz meiner Aufregung sofort daran, meinen Vortheil daraus zu ziehen. Zeinis lag jetzt auf der Seite, ihr Kopf war auf ein Kissen des Sophas geneigt [472] und ihre Lippen berührten es fast. Trotz der Strenge Bramas vermochte ich es nicht der Heftigkeit meiner Wünsche etwas [473] versagen; meine Seele beeilte sich sofort auf das Kissen und ließ sich so nahe an dem süßen Munde Zeinis nieder, dass sie schließlich ganz darauf heften blieb. Es gibt ohne Zweifel für die Seele solche Wonnengefühle, für welche es keine Worte, keinen Ausdruck der Freude gibt und für welche selbst die Freuden der Wollust nicht genug stark sind. Dieser süße, heftige und ungestüme Rausch, in welchem meine Seele sich auflöste, der alle ihre Sinne beherrschte, dieses Hochgefühl der Liebe lässt sich nicht beschreiben.

Es ist zweifellos, dass unsere Seele, wenn sie von ihren körperlichen Organen belästigt und genöthigt ist, ihre Begeisterung nach deren Schwäche zu messen, nicht im Stande ist, sich den heißen Gefühlen der Liebe so vollständig hinzugeben, als wenn sie von der körperlichen Hülle entfesselt ist. Wir bemerken ja oft, wie sie bei der lebhaftesten Empfindung dieser Freuden bemüht ist, die Hindernisse, die ihr der Körper machte, zu bewältigen. Wir fühlen, dass sie sich in ihrem ganzen Gefängnis verbreitet, eine Betrübnis hineinbringt und wie dann das quälende Feuer den Körper [474] verzehrt und vergebens einen Ausweg sucht. Wir nehmen dann wahr, wie die Seele von den vergeblichen Bemühungen, die sie gemacht, gedrückt, in eine tödliche Mattigkeit verfällt, die sie während einiger Zeit zu vernichten scheint. Ich glaube, dass dies die Ursache der Erschöpfung sei, in die uns das Übermaß der genossenen Wollust schleudert. Es ist gewiss ein trauriges Los, dass unsere Seele stets unbefriedigt bleibt, und dass sie inmitten der größten Freuden gezwungen ist, deren stets noch mehr zu verlangen, als sie finden kann. Auch meine Seele, gepresst an dem reizenden Munde Zeinis, verloren in ihrer Glückseligkeit, suchte sich noch eine größere Freude zu verschaffen. Sie versuchte es, aber vergebens, ganz in Zeinis zu schlüpfen. Denn von Brama's Machtspruch zurückgehalten, waren die Bemühungen meiner Seele vergebens und alle Anstrengungen vermochten es nicht, sie zu befreien. Ihre verdoppelten Ausfälle, ihre Glut, die Raserei ihrer Begierde, erwärmten dem Anscheine nach auch Zeinis Sinne. Kaum bemerkte es meine Seele, welchen Eindruck sie auf die ihrige machte, so verdoppelte sie ihre [475] Anstrengungen, sie irrte in größerer Lebhaftigkeit auf den süßen Lippen Zeinis herum, sie schwang sich mit größerer Geschwindigkeit empor und heftete sich mit innigerer Glut wieder darauf zurück. Die Aufregung, welche sich Zeinis Seele zu bemächtigen begann, erhöhte die Freuden und Extase der meinigen. Zeinis seufzte, ich seufzte auch, ihr Mund flüsterte einige unklaren Worte, eine anmuthige Röthe färbte ihr Antlitz. Der lieblichste Traum umfing ihre Sinne. Sanfte Bewegungen folgten dem Frieden, von dem sie befangen war.

»Ja! Du liebst mich,« rief sie zärtlich aus. Einige sanften, von zärtlichen Seufzern unterbrochenen Worte folgten diesem Ausruf. »Zweifelst Du daran,« fuhr sie fort, »dass Du nicht geliebt seist?«

Noch weniger frei als die schlafende Zeinis, hörte ich ihr süßes Flüstern mit großer Erregung, und hatte leider nicht die Kraft, ihr zu antworten. Bald war ihre Seele ebenso hingerissen wie die meinige und ergab sich ganz der Glut, von welcher sie verzehrt wurde; ein süßer Schauer zu Zweien ... Himmel! wie schön wurde [476] Zeinis in diesem Augenblicke. Mein Glück und ihre Freuden entwichen mit ihrem Erwachen. Es blieb ihr bloß ein süßer Wohn, der sich ihrer Sinne bemächtigt hatte, nur ein zärtliches Schmachten, welchem sie sich mit derselben Wollust hingab, wie dem Vergnügen, das sie zuvor genossen hatte. Ihre Blicke, in denen die Liebe allein thronte, waren noch belebt von dem göttlichen Feuer, das ihre Adern durchströmte. Als sie die Augen öffnete, hatten sie jenen wollüstigen Ausdruck, den meine Seele und der Aufruhr ihrer Sinne hineingelegt hatten, bereits verloren, aber wie rührend schön waren sie dennoch! Welcher Sterbliche wäre nicht dem Übermaße seiner Zärtlichkeit und der Glückseligkeit erlegen, die er sich selbst bereitet, diese Augen so zu sehen.

»Zeinis!« rief ich in Extase aus. »Reizende Zenis, ich allein bin Derjenige, der Dich glücklich machen könnte; nur in der Vereinigung Deiner Seele mit der meinigen kannst Du Deine wahren Freuden finden. Ach! möchtest Du sie stets bloß ihr allein verdanken, und nur allein mein glühendes Verlangen erwidern. Nein, Zeinis, niemals [477] kannst Du eine treuere und zärtlichere Seele finden! Ach, vermöchte ich meine Seele der Gewalt Bramas zu entziehen, oder wenn er sie vergessen wollte; ewig so an die Deinige gefesselt, könnte ihre Unsterblichkeit durch Dich allein ein unbeschreibliches Glück für sie werden, so dass sie gerne daran glauben würde, ihr Sein zu verewigen. Wenn ich Dich jemals verlieren sollte, angebetete Seele! Ach! wie könnte ich in der Unermesslichkeit der Natur, oder von den grausamen Fesseln Bramas, womit er mich vielleicht belasten würde, niedergedrückt, Dich jemals wiederfinden! Ah. Brama! Wenn Deine erhabene Macht mich von Zeinis losreißt, so gewähre mir wenigstens, dass ich, so schmerzlich meine Erinnerung an Zeinis auch sein mag, sie niemals verliere.«

Während meine Seele so zärtlich zu Zeinis sprach, ergab sich dieses reizende Mädchen den süßesten Träumereien, und ich begann mich über die Gleichgiltigkeit zu betrüben, mit der sie sich den holden Traum hinnahm, über welchen ich mich einige Augenblicke zuvor so sehr beglückt fühlte.

»Zeinis,« sagte ich zu mir, »ist ohne [478] Zweifel an ähnliche Freuden, wie sie eben genossen, schon gewöhnt. So sehr diese Freuden ihre Sinne bewältigt haben, so wenig haben sie ihre Einbildungskraft überrascht, sie träumt, aber sie scheint nicht nach der Ursache der Erregung, von welcher sie bewegt war, zu forschen. Sie scheint wohl mit Allem vertraut zu sein, was der Liebe an zärtlichsten Ausdrücken eigen ist, und ich, ich habe ihr bloß die Vorstellung davon angedeutet. Ein anderer Sterblicher hat schon in dem Herzen Zeinis den Keim aller Zärtlichkeit erweckt, welche die Natur hineingelegt hat. Es ist sein Bild, nicht meine Glut, die sie entfacht hat; sie kennt die Liebe schon, sie hat von ihr gesprochen, sie schien in der größten Aufregung, von der Sorge gequält zu sein, sich ihren Geliebten zu sichern, der vielleicht daran gewöhnt ist, ihre Angst und ihre Besorgnisse in seiner Gewalt zu haben. Ach! Zeinis! Wenn es wahr wäre, dass Du einen Andern liebst, um wie vieles schrecklicher würde mein trauriges Los in dem Zustande, zu welchem Brama mich verdammt hat, noch sein.«

Meine unglückliche Seele quälte sich noch [479] mit tausend ähnlichen Gedanken, als ich ein leises Klopfen an der Thüre vernahm.

Zeinis heißes Erröthen, bei diesem unerwarten Geräusch, erhöhte meine Befürchtungen und erfüllte meine Seele mit Trauer. Sie richtete hastig die Unordnung ihrer leichten Kleidung, in welche sie die Täuschung ihres Traumes versetzt hatte, und als sie anständiger aussah, um vor jemanden erscheinen zu können, befahl sie, man möge eintreten.

»Ach!« sagte ich in namenlosem Kummer zu mir selber; »dass ist vielleicht ein Gegner, der hier vor meinen Blicken erscheint; wenn es ein Glücklicher ist, oh! welche Qual. Wenn er es wird, dann möge Zeinis so unschuldig sein, als ich sie dafür halte, und ich möge nur ihr meine Befreiung verdanken, aber welch harter Schlag wird mich treffen, wenn ich bei den Gefühlen, die ich für sie hege, gezwungen sein werde, mich von ihr zu trennen.«

Obzwar ich bei meiner Kenntnis der Sitten und Gebräuche von Agra wohl gegen die Furcht, Zeinis verlassen zu müssen, gesichert sein konnte, und es ziemlich wahrscheinlich [480] war, dass sie in dem Alter von fünfzehn Jahren, welche sie ungefähr zählen mochte, kaum mehr jene Eigenschaft hatte, die Brama verlangte, um mich zu erlösen und einem andern Leben wiederzugeben, so konnte es auch leicht möglich sein, dass ich in dieser Beziehung das Ärgste von ihr zu fürchten hatte, und so grausam es auch für mich war, ein steter Zeuge aller Gefälligkeiten zu sein, welche sie meinem Nebenbuhler erwies, so zog ich diese Qualen doch jenen vor, sie zu verlieren.

Auf Zeinis Befehl trat ein junger Inder, eine schöne glänzende Erscheinung, in das Zimmer ein. Je mehr er mir würdig schien, ihr zu gefallen, desto mehr entflammte er meinen Hass; und er verdoppelte sich, als ich die zärtliche Miene sah, womit Zeinis ihn empfing. Erregung, Liebe und Bangen malten sich wechselweise auf ihrem Antlitz, er selbst erschien ebenso bewegt wie sie, aber nach seiner bescheidenen und ehrfurchtsvollen Miene schloss ich, dass, wenn er auch geliebt wurde, sie es sich noch nicht gestanden hatten.

Trotz seiner Bescheidenheit und seiner [481] außerordentlichen Jugend (denn er kam mir kaum älter als Zeinis vor) schien es mir doch nicht, als ob er bei seiner ersten Liebe wäre, und ich hoffte, dass ich bei diesem Abenteuer bloß jenen Kummer haben würde, den ich am leichtesten zu tragen vermochte.

»Ach, Pheleas,« sagte ihm Zeinis mit Erregung, »was suchst Du hier?«

»Dich, die ich zu finden hoffte,« antwortete er, auf die Knie sinkend, »Dich, ohne der ich nicht mehr leben kann, und die mir gestern versprach, sie ohne Zeugen sehen zu dürfen.«

»Ach! hoffe es nicht, dass ich Dir Wort halten werde,« erwiderte sie lebhaft; »gehen wir hinweg, ich will nicht länger in diesem Zimmer verweilen.«

»Zeinis,« erwiderte er, »missgönnst Du mir das süße Glück, einen Augenblick mit Dir allein zu bleiben, und ist es möglich, dass Du sobald die erste Gunst bereuest, die Du mir erweisest?«

»Aber,« antwortete sie mit verlegener Miene »kann ich denn nicht anderswo als hier mit Dir sprechen, und wenn Du mich so sehr liebtest, wie Du behauptest, würdest [482] Du dann auf einer Sache, die mir so viel Widerwillen einflößt, beharren?«

Ohne ihr zu antworten, ergriff Pheleas ihre schöne Hand und küsste sie mit solchem Feuer, wie nur ich selber es im Stande gewesen wäre. Zeinis sah ihn schmachtend an, sie seufzte; vielleicht war sie noch bewegt von dem schönen Traume, der ihr den Geliebten so innig verlangend gezeigt hatte und in dem sie so nachgebend gewesen. Durch den süßen Eindruck, den er bei ihr zurückgelassen, war sie jetzt zur Liebe mehr als jemals geneigt; jedesmal, wenn ihre schönen Augen jenen des Pheleas begegneten, wurden sie zärtlicher und bekamen jenen wollüstigen Ausdruck, den meine heiße Liebe wenige Augenblicke zuvor hineingezaubert hatte. Trotz der geringen Erfahrung des Pheleas ließ ihm die zärtliche Aufmerksamkeit, womit er selbst die leiseste Bewegung Zeinis scharf beobachtete, nur zu deutlich erkennen, dass sie ihn mit Freude sah. Die reizende Zeinis war im Grunde einfach und natürlich, sie bemühte sich nur aus Schamhaftigkeit die Verwirrung, in welche sie seine Gegenwart versetzte, zu verbergen; es gelang ihr [483] schlecht, denn je mehr sie sich verstellte, desto mehr verrieth sie ihm ihre Neigung.

Pheleas war noch nicht genug gewandt, um über eine kluge Kokette zu triumphieren, deren falsche Tugend und Anstand ihn erschreckt haben würden; aber er war nur zu gefährlich für Zeinis, die von ihrer Liebe gedrängt, trotzdem sie sich nachzugeben fürchtete, dennoch die Art nicht kannte, auf welche sie sich hätte vertheidigen können.

So sehr es sie auch beglückte, Pheleas vor sich auf den Knien zu sehen, bat sie ihn dennoch, sich sofort zu erheben. Ohne ihr zu antworten, umfasste er ihre Knie und presste sie mit so zärtlichem Drucke und solcher Leidenschaft an sich, dass Zeinis bloß darüber seufzte.

»Ach, Pheleas!« sagte sie mit Rührung zu ihm, »gehen wir weg von hier, ich beschwöre Dich.«

»Wirst Du mich stets fürchten?« fragte er sie zärtlich. »Ach, Zeinis, wie wenig rührt Dich meine Liebe! Was kannst Du denn von einem Geliebten fürchten, der Dich anbetet, der fast von Kindheit an Deinen Reizen huldigte; und der seither nur für [484] sie ein Auge hatte und nur für Dich leben will? Zeinis,« klagte er Thränen vergießend, »sieh den Zustand, in den Du mich versetzest.«

[485] Nachdem er diese Worte gesprochen, sah er mit thränenfeuchten Augen zu ihr empor; sie betrachtete ihn eine Weile mit bewegter Miene und folgte endlich den Gefühlen, die ihre Liebe und Pheleas Kummer in ihr erweckten.

»Ach, Grausamer,« sagte sie mit erstickter Stimme zu ihm, »habe ich diese Vorwürfe von Dir verdient, und welche Beweise meiner Zärtlichkeit kann ich Dir denn noch geben, wenn Du nach allen, die Du erhalten, noch an meiner Liebe zweifelst?«

»Wenn Du mich liebtest,« erwiderte er, »würdest Du gerne mit mir in dieser Einsamkeit verweilen und anstatt von hier hinweg zu eilen, würdest Du keine andere Befürchtungen hegen, als jene, dass man kom men könnte uns hier zu stören.«

»Nun wohl,« erwiderte sie naiv, »wer sagt Dir denn, dass ich andere Befürchtungen habe.«

Bei diesen Worten erhob sich Pheleas rasch von seinen Knien, lief zur Thüre und verschloss sie. Im Zurückgehen begegnete er Zeinis, welche erröthend darüber, was er [486] that, sich erhoben hatte, um ihn an seinem Beginnen zu hindern; aber er achtete nicht darauf, sondern nahm sie in feine Arme, [487] und trug sie trotz ihres Sträubens, welches sie ihm entgegensetzte, über das Zimmer, legte sie wieder auf mich und setzte sich neben sie.

Ich weiß nicht, ob Zeinis dachte, dass wenn eine Thüre verschlossen ist, es unnütz sei, sich weiter zu vertheidigen, oder dass, wenn sie weniger fürchtete überrascht zu werden, sie selbst vor den Folgen mehr Angst bekam; aber kaum als Pheleas neben ihr war, so erröthete sie weniger darüber, was er that, als sie das befürchtete, was er zu thun beabsichtigte; noch ehe er etwas von ihr begehrte, beschwor sie ihn mit zitternder Stimme und bestürzter Miene, nichts von ihr zu verlangen.

Der ängstliche Ton, in welchem Zeinis sprach, war mehr zärtlich und gar nicht befehlend. Er verletzte Pheleas gar nicht, noch hielt er ihn zurück. Er legte sich neben sie und presste sie mit solcher Glut in seine Arme, dass Zeinis es bald einsah, wie sehr sie ihn zu fürchten hatte, und dennoch theilte sie willenlos seine Wonne.

Obzwar sie sehr bewegt war, so trachtete sie dennoch mit Gewalt sich den Armen [488] des Pheleas zu entwinden, aber es geschah mit so vielem Verlangen, noch weiter darin zu verweilen, dass er es nicht nöthig hatte, sich besonders anzustrengen, um ihr ohnmächtig Sträuben unmöglich zu machen. Sie sahen einander einige Zeit ohne zu sprechen an. Als jedoch Zeinis fühlte, wie sehr ihre Aufregung zunahm, fürchtete sie, später nicht mehr die Kraft zu haben sich zu beherrschen, und bat Pheleas sanft und ergeben, sie zu lassen.

»Willst Du mich denn niemals glücklich machen?« fragte er sie.

»Ach!« antwortete sie mit solcher Unbesonnenheit, die ich ihr noch nicht verziehen habe, »Du bist es ja nur zu sehr, und noch ehe Du hierher kamst, warst Du es noch viel mehr.«

Da diese Worte für Pheleas geheimnisvoll waren, so schien es ihm sehr wichtig zu erfahren, was sie bedeuten sollten; er beschwor sie so lange, ihm dieselben zu erklären und trotz ihrer Unlust, davon zu sprechen, zwang er sie so zärtlich dazu, sah sie liebesglühend an, dass er sie schließlich mit seinen magischen Blicken in Verwirrung brachte.

[489] »Aber wenn ich es Dir sage,« sprach sie mit erregter Stimme, »wirst Du es dann nicht missbrauchen?«

Er schwur ihr, dass nein, aber es geschah mit einer solchen Leidenschaft, welche sie, statt zu beruhigen, darüber in keinem Zweifel mehr lassen konnte, dass er sein Wort nicht halten werde. Sie war wohl zu erregt, um diese Idee fassen zu können, oder zu unerfahren, um die Macht dieses Geständnisses, das sie ihm soeben gemacht, zu kennen.

Nachdem sie sich noch einige Augenblicke schwach gegen sein stürmisches Drängen vertheidigt hatte, gestand sie ihm endlich, dass sie einige Augenblicke, bevor er eingetreten war, geschlummert und ihn im Traume, aber in so mächtiger Liebesglut gesehen hat, von der sie wachend keinen Begriff hatte.

»War ich in Deinen Armen?« fragte er sie, indem er sie fest in die seinigen presste.

»Ja,« antwortete sie, ihre erregten Augen zu ihm anschlagend.

»Ach,« fuhr er in äußerster Rührung fort, »Du liebtest mich im Traume mehr, als Du mich jetzt liebst.«

[490] »Ich könnte Dich ja nicht mehr lieben,« erwiderte sie, »aber es ist wahr, dass ich mich ängstigte, es Dir zu sagen.«

»Und dann?« fragte er sie.

»Ach, Pheleas!« rief sie erröthend aus »wonach fragst Du mich? Du warst glücklicher, als ich wünschte, dass Du es jemals wärest, und Du warst doch nicht weniger ungerecht.«

Pheleas konnte bei diesen süßen Worten seine glühende Liebe nicht mehr mäßigen und durch das Geständnis, welches Zeinis ihm gemacht, verwegener, erhob er sich ein wenig, und sich über sie hinneigend bemühte er sich, um seinen Mund ihren Lippen zu nähern.

So verwegen auch sein Beginnen war, vielleicht hätte Zeinis sich nicht darüber beleidigt; da aber Pheleas in seiner Glut bloß darauf bedacht war, sein Glück zu erreichen, so trieb er seine Kühnheit so weit, dass Zeinis meinte, ihm das, was er that, niemals verzeihen zu können.

»Ach! Pheleas!« rief sie schmerzlich aus »hältst Du so Deine Versprechungen, die Du mir gemacht hast, und fürchtest Du so wenig mich zu erzürnen?«

[491] Da die leidenschaftliche Umarmungen des Pheleas immer heftiger wurden, so vertheidigte sich Zeinis wirklich ernst, und er gewahrte so viel Zorn und Unmuth in ihren Augen, dass er beschloss nicht mehr so hartnäckig auf seinem Sieg zu bestehen, den er jetzt nicht erringen konnte, ohne jene, die er so heiß liebte, nicht tödlich zu beleidigen, und der durch den entschiedenen Widerstand Zeinis für ihn ein sehr zweifelhafter wurde. Ob aus Achtung, ob aus Bescheidenheit, er ließ endlich nach und wagte es hierauf nicht mehr Zeinis anzusehen.

»Nein,« sagte er traurig zu ihr, »wie grausam Du auch sein magst, ich werde mich nicht dem Unglück aussetzen, Dir zu missfallen. Wenn ich Dir theuerer wäre, dann würdest Du Dich ohne Zweifel weniger scheuen, mein Glück zu erhöhen; aber da ich nicht mehr hoffen darf, Dich gefühlvoller zu machen, so werde ich Dich deshalb doch nicht weniger zärtlich lieben.«

Nachdem er diese Worte beendet hatte, erhob er sich und ging hinaus. Tödlich betrübt darüber, dass Pheleas sie so verließ, wagte es Zeinis dennoch nicht ihn zurückzurufen. [492] Das Haupt auf die Hände gestützt blieb sie auf dem Sopha zurück und weinte. Über dem plötzlichen Weggang ihres Geliebten beunruhigt, stand sie endlich auf, um nachzusehen, was aus ihm geworden war, da stürzte er von seiner zärtlichen Liebe wieder zu ihr hingezogen in das Zimmer zurück. Sie erröthete vor Wonne, als sie ihn wiedersah, und sank einen tiefen Seufzer ausstoßend auf mich zurück.

[493] Er beeilte sich vor ihr auf die Knie niederzusinken und nahm zärtlich ihre Hand in die seine, doch wagte er sie nicht zu küssen, sondern benetzte sie bloß mit Thränen.

»Ach! stehe auf,« sagte Zeinis, ohne ihn anzusehen.

»Nein, Zeinis,« erwiderte er, »nur zu Deinen Füßen will ich mein Urtheil hören, ein einziges Wort. – Aber Du weinest, Geliebte! Ach, Zeinis, bin ich die Ursache Deiner Thränen?«

Die unbarmherzige Zeinis drückte ihm in diesem entscheidenden Augenblicke die Hand, sie heftete ihre Augen, welche die Zähren noch verschönerten, auf ihn und seufzte bloß, ohne ihm jedoch zu antworten. Der süße schmachtende Ausdruck in ihren Augen war für Pheleas nicht mehr so unheilbringend, als sie es für mich gewesen.

»Himmel!« rief er sie stürmisch umarmend aus. »Ist es möglich, dass Zeinis noch im Stillschweigen verharrt?«

»Leider! Pheleas verlor nichts mehr von dem, was sie ihm zu sagen schien, und er suchte das Geständnis, welches sie ihm verweigerte, auf ihren Lippen.

[494] Jetzt hörte ich nur mehr das Geräusch erstickter Seufzer. Pheleas hatte sich dieses reizenden Mundes bemächtigt, wo meine Seele einige Augenblicke vor ihm ...

Aber warum quäle ich mich selber und rufe für mich so traurige Erinnerungen wach? ...

Zeinis stürzte sich nun freiwillig in die Arme ihres Geliebten. Die Liebe, ein kleiner Rest von Schamhaftigkeit, der ihr geblieben war, erhöhten ihre Anmuth, belebten ihr Angesicht und strahlten aus ihren Augen. Dieses erste Sichhingeben dauerte lange; Zeinis und Pheleas beide blieben lange unbeweglich, ihre Seelen verschmolzen in einander, sie waren von ihrer Seligkeit überwältigt und der Welt entrückt.«

»Aber dies Alles,« meinte der Sultan »machte Dir gewiss kein großes Vergnügen, nicht wahr? denn in was hättet Ihr Euch denn zu verlieben gehabt, da Du keinen Körper hattest. Das war eine unbegreifliche Thorheit: denn bei meiner Ehre, wohin konnte denn diese Laune führen? Du siehst wohl ein, dass man Dir manchmal Einwendungen machen muss.«

[495] »Sire,« antwortete Amanzei, »es war leider erst dann, als meine Liebe bereits erwacht war, dass ich es fühlte, wie sehr mich diese unheilvolle Leidenschaft quälen würde, wie es aber in diesem Falle gewöhnlich geschieht, kam meine Einsicht zu spät.«

»Ich bedauere wahrhaftig Dein Missgeschick; denn Du gefielst mir so ziemlich auf dem Munde dieses jungen Mädchens, von dem Du eben erzählst,« erwiderte der Sultan, »und es ist wirklich sehr schade, dass man Dich gestört hat –«

»So lange als Zeinis Pheleas widerstanden hatte,« sagte Amanzei, »hoffte ich, dass nichts sie besiegen konnte, und als ich sie gefühlvoll werden sah, so glaubte ich noch, dass sie, durch die Vorurtheile ihres zarten Alters zurückgehalten, ihre Schwäche nicht bis zu jenem Punkte führen würde, der mein Unglück herbeiführen könnte.

Ich fühlte es zwar, als ich sie ihren Traum erzählen hörte, von dem ich dachte, dass sie ihn bloß mir verdankte, und ich von ihr selbst hörte, dass es allein Pheleas Bild war, welches ihr im Traume vorgeschwebt [496] war, und sie die Freuden, die sie darin genossen, bloß der Gewalt, die er über ihre Sinne hatte, verdankte, dass mir sehr wenig Hoffnung blieb, dem harten Schicksale, welches ich so sehr fürchtete, zu entgehen. Weniger zartfühlend, as ich vielleicht hätte sein sollen, tröstete ich mich vorläufig mit der Gewissheit, die ich hatte, das Glück mit ihm zu theilen. Obzwar er Zeinis seiner einzigen Liebe und seiner Treue, die er ihr stets bewahrt hatte versicherte, so schien es mir nicht möglich, dass Pheleas, der das Alter von fünfzehn bis sechzehn Jahren erreicht hatte, nicht wenigstens die Neugier und Wissbegierde gehabt hätte, die ihn unfähig dazu machte, meine Seele aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen, die mir lange so grausam und schmachvoll erschienen, die ich aber nun leider dem ruhmreichsten Posten, der eine Seele ausfüllen konnte, vorzog. Obzwar ich über Zeinis Schwäche ganz verzweifelt war, so erwartete ich ihre Folgen nun mit weniger Kummer, seit ich es vermuthete, dass, was auch immer sich nun ereignen würde, ich nicht gezwungen wäre sie zu meiden. So unerträglich [497] für mich auch die zärtliche Lethargie, in der sie schwelgten, wurde, und jeder Seufzer, jedes Wonneflüstern meine eifersüchtige Qual erhöhte, so hielt sie das verhängnisvolle Vorhaben des Pheleas noch zurück. Obzwar mir diese Stille bewies, in welchem hohen Grade sie ihre Wonne fühlten, so bat ich dennoch Brama innigst, nicht zuzugeben, dass sie sich zerstreute. Unnützer Wunsch! ich war ja zu lasterhaft dazu, dass meinetwegen zwei unschuldige Seelen, die ihrer Glückseligkeit würdig waren, geopfert werden sollten.

Nachdem Pheleas eine geraume Zeit an den Busen Zeinis geschmachtet hatte, empfand er neue Wünsche und war gedrängt von dem Verlangen, das die Schwäche seiner Geliebten noch heftiger erwachen ließ. Er betrachtete sie mit glühenden Blicken, die den wonnigen Rausch seines Herzens wiederstrahlten. Zeinis wurde von den glühenden Blicken Pheleas betäubt, sie verhüllte seufzend ihren Busen.«

»Was! Du fliehst meine Blicke?« sagte er zu ihr. »Ach! wende lieber Deine schönen Augen zu mir. Oh, komm und lese darin [498] die unaussprechliche Liebe, welche Du mir einflößest.«

Hierauf umschlang er sie wieder mit seinen Armen. Zeinis bemühte sich nochmals, sich seiner Heftigkeit zu entziehen; aber mag sein, dass sie nun nicht mehr lange widerstehen wollte, oder dass sie selbst von einer [499] Täuschung befangen war, und nachgebend zu widerstehen glaubte, Pheleas wurde bald darauf so unendlich zärtlich angesehen, als er es nur verlangen konnte.

Da die letzten Gunstbezeugungen der Zeinis sie in eine zärtlich schmachtende, von jener, in welche meine Leidenschaft im Traume sie versetzt hatte, wenig verschiedene Stimmung brachten, so sah sie nun Pheleas mit der ganzen Wollust an, die er von ihr verlangte.

Gleich darauf bereute sie es aber doch, sich so willig seiner maßlosen Liebe ausgesetzt zu haben, und bemühte sie sich seinen Armen zu entziehen.

»Ach, Zeinis,« sagte er zu ihr »in. Deinem Traume, von dem Du mir erzähltest, scheutest Du Dich gewiss nicht so sehr, mich glücklich zu machen.«

»Leider!« antwortete sie, »wie innig meine Liebe zu Dir auch sein mag, ohne den Traum, ohne den Aufruhr, in den er meine Sinne versetzte, würdest Du davon nicht mehr genossen haben.«

»Denke Dir, o, Herr, wie groß mein. Kummer war, als ich aus ihrem eigenen [500] Munde hörte, dass mein Nebenbuhler nur allein mir sein Glück verdanke,« sagte Amanzei.

»Du könntest mit Deinem Siege nun zufrieden sein,« fuhr Zeinis fort »denn Du darfst ihn nicht, ohne mich zu beleidigen, noch weiter ausdehnen wollen. Ich habe ja mehr gethan, als ich sollte, um Dir meine Zärtlichkeit zu beweisen, aber ...«

»Ach, Zeinis!« unterbrach der unerbittliche Pheleas, »wenn es wahr wäre, dass Du mich liebtest, so würdest Du Dich weniger scheuen, es mir zu gestehen, oder würdest Du es mir wenigstens besser sagen. Statt meine heiße Liebe bloß mit Zaghaftigkeit zu erwidern, würdest Du Dich dann gerne ganz meiner Zärtlichkeit hingeben und dennoch glauben, nicht genug für mich gethan zu haben. – Komm,« fuhr er zärtlich fort, sich mit Lebhaftigkeit an ihrer Seite niederlassend, woran ich beinahe gestorben wäre, wenn eine Seele überhaupt sterblich wäre. »Komm,« rief er, »und vollende Dein Werk, mich glücklich zu machen.«

»Ah, Pheleas!« rief die schüchterne Zeinis [501] mit zitternder Stimme, »denkst Du daran, dass Du mich verlieren kannst? Achtet man auf diese Weise das, was man liebt?«

Zeinis Thränen, ihre Bitten, ihre Befehle, ihre Drohungen, nichts vermochte es mehr den liebesglühenden Pheleas zurückzuhalten. Obzwar die Tunika vom Gaze, welche allein zwischen ihm und ihr war, ihm bereits mehr als genug ihre Reize enthüllte, da seine Heftigkeit sie schon mehrmals in dieselbe Lagen brachte, die sie während Zeinis Traume gehabt hatte, so war er doch noch nicht so befriedigt von dem Anblick dieser Reize, als er von dem heftigen Verlangen durchglüht war, noch alle jenen Schönheiten zu sehen, welche ihm die neidische Tunika noch verbarg; er zerriß schließlich voll Ungeduld diesen zarten Schleier der Keuschheit, welchen Zeinis nur noch mehr schwach vertheidigte. Mit Ungestüm stürzte er dann auf jene Reize los, welche seine Dreistigkeit unverhüllt seinen Blicken errungen, er überwältigte Zeinis mit so lebhaften und inbrünstigen Liebkosungen, dass ihr bloß nur mehr die Kraft zu seufzen übrig blieb.

[502] Die Scham kämpfte zwar noch mit der Liebe in Zeinis Herzen und Augen. Die eine verweigerte dem Geliebten. Alles, die andere ließ ihm fast nichts mehr zu wünschen übrig. Sie wagte es nicht, ihre Blicke auf Pheleas zu heften, und erwiderte bloß mit inniger Zärtlichkeit alle seine Liebesbeweise. Sie verweigerte ihm eine Sache, um gleich darauf eine gefährlichere zu gestatten; sie wollte, und wollte nicht; sie verhüllte einen ihrer Reize, um den andern zu entblößen; sie stieß ihn mit Entsetzen von sich und schmiegte sich mit Entzücken an ihn.

Das Vorurtheil siegte noch manchmal über die Liebe und ward ihr im nächsten Moment wieder geopfert, aber mit so fiel Zurückhaltung und Vorsicht, die so überwunden, als sie auch erschienen, von der Liebe doch besiegt wurden. Zeinis schämte sich abwechselnd bald über ihre Nachgiebigkeit bald über ihr vergebenes Widerstreben; die Angst, Pheleas zu missfallen, ihn zu verscheuchen, die Aufregung, in die sie seine leidenschaftlichen Liebkosungen versetzten, und die Erschöpfung, in welche sie nach so langem [503] Ringen verfiel, zwangen sie schließlich sich zu ergeben.

Sie selbst war ja auch jenen Wünschen, die sie ihm einflößte, ausgesetzt, sie ertrug daher nur mit Ungeduld die Freuden, welche sie aufregten, ohne sie zu befriedigen; sie fühlte die Wollust, die er ihr andeutete und nicht zu gewähren wagte.

Ich war vor Zorn außer mir über das Schauspiel, das sich meinen Augen darbot, denn ich begann nach gewissen Äußerungen des Pheleas, die mir seine Unerfahrenheit [504] bewiesen, zu befürchten, dass er dazu geeignet war, meine Seele von einem Orte zu verjagen, wo ich trotz meiner Leiden die er mir bereitete, so gerne verweilte; ich wollte mich sogar auf einige Momente aus Zeinis Sopha entfernen und den strenger Verfügungen Bramas zu spotten suchen.

Aber meine Bemühungen waren vergebens, denn dieselbe Macht, die mich darin gefesselt hielt, widersetzte sich meiner Anstrengung und zwang mich unbarmherzig in trostloser Verzweiflung die Entscheidung meines Schicksals zu erwarten.

»Pheleas ...«

Oh schauderhafte Erinnerung! qualvoller Moment, dessen Vorstellung niemals in meiner Seele erblassen wird. Pheleas, der von Liebe berauscht war, und durch die hingebende Gefälligkeit Zeinis nun Herr aller jener göttlichen Reize war, die ich selbst so heiß begehrte und anbetete, bereitete sich dazu vor, sein Glück zu krönen und zu vollenden.

Zeinis ergab sich nun wollüstig allen Liebkosungen des Pheleas und wenn auch neue Hindernisse seine Glückseligkeit noch [505] verzögerten, so verminderten sie dieselbe um nichts mehr.

Zeinis herrliche Augen vergossen Thränen, ihr süßer Mund wollte einige sanften Klagen flüstern, doch in diesem Augenblick höchster Seligkeit ließ sie ihre Zärtlichkeit nicht mehr Seufzer ausstoßen.

»Pheleas, der glückliche Urheber so vieler Leiden, war deshalb nicht mehr verabscheut, und Zeinis, über die sich Pheleas so sehr beklagt hatte, war nun nicht minder zärtlich geliebt. Endlich verkündigte mir ein durchdringender Schrei, den sie ausstieß, und die lebhafte Siegesfreude, die ich in Pheleas Augen aufleuchten sah, mein Unglück und meine Befreiung. Meine Seele musste dann, von unglücklicher Liebe und Schmerz erfüllt, von diesem Orte entfliehen, um murrend die Befehle Bramas und neue Fesseln zu empfangen.«

»Was! ist denn das Alles?« fragte hierauf der Sultan, »dann warst Du entweder bloß sehr kurze Zeit Sopha, oder Du hast während der Zeit, was Du es gewesen bist, nur sehr wenig gesehen.«

»Ich fürchtete Euer Majestät zu langweilen, [506] wenn ich alles erzählt haben würde, wovon ich während meines Aufenthaltes in verschiedenen Sophas Zeuge gewesen bin,« antwortete Amanzei, »und ich hätte es nicht gewagt, Ihnen alle Ereignisse, deren Zeuge ich gewesen bin, zu schildern; ich wählte deshalb bloß jene, von denen ich annahm, dass sie Euer Majestät unterhalten könnten.«

»Wenn die Ereignisse, die Sie uns geschildert, interessanter als jene waren, die Sie verschwigen haben,« sagte die Sultanin »so glaube ich (obzwar es mir unmöglich ist, hierin einen Vergleich zu machen), dass man Ihren Erzählungen immer ausstellen kann, nur einige eigenthümliche Charaktere auf die Scene gebracht zu haben, während doch allerlei in Ihren Händen waren, und dass Sie absichtlich einen reichen Stoff zusammengedrängt haben, der in sich sehr weitläufig ist.«

»Ich habe ganz ohne Zweifel Unrecht gethan, Madame,« antwortete Amanzei »wenn alle geschilderten Charaktere angenehm waren, oder wenn sie dasselbe Gepräge trugen, da ich es doch nicht vermochte, sie alle so treu zu schildern, ohne in eine gewiße [507] Unanständigkeit zu verfallen, oder vor Ihren Augen abgedroschene Scene zu entrollen.«

»In der That,« sagte der Sultan, »wenn man diese Umstände genau erwägt, so könnte man schließlich doch daran glauben, dass er Recht habe; aber was mich betrifft, mir ist es lieber, dass er Unrecht habe, damit ich der großen Mühe enthoben bin, zu untersuchen, was an dem Streite wahr ist. Ach! meine theure Großmutter, so schön, wie Du erzähltest, war es nicht!«

[508]

Notes
Erstdruck: Paris 1742.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Crébillon, Claude-Prosper-Jolyot de. Das Sopha. Ein orientalisches Sittenbild. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-58DE-3