Meta

Am Donnerstag kam Meta in die Schule,
Am Donnerstag nach Ostern. – Wie das Kind
Sich drauf gefreut hat! Wie sein kleines Herz
Der Mädchenträume bunte Fülle träumte!
Die Tage all vorher hat's von dem einen,
Von diesem einen immer nur geplaudert –
Selbst in den festen Jugendschlaf schlich sich
Die Neugier lockernd ... Und dann kam der Tag ...
Und kaum zu bändigen von der Hand der Mutter,
Die es zur Schule brachte, war das Mädchen ...
[220]
Nachher kam's zu mir. In den braunen Augen
Stand klares Leuchten ... und der Freude Schimmer
Entzückte hold das zarte Angesicht ...
Die kleinen dünnen Finger hielten tapfer
Die rote Düte, die fast größer war,
Denn's ganze winzige Persönchen ... »Onkel!
Das hat der Lehrer mir geschenkt –« ich nickte ...
Und ließ die Hand nach einer Mandel suchen ...
Und krabbelte ganz unten eine auf ...
Und biß sie durch ... und schob das größte Stück
Dem Leckermädchen durch die schmalen Lippen ...
Dann lachten wir ... und weich ward mir die Brust,
Verschollenes hob aus Dämmertiefen sich,
Drin's lang bedeckt gelegen ... kam ... und ging
Vorbei ... die Mandelbrocken schluckt' ich hinter ...
Und küßte Metas kleinen, roten Mund ...
Zum ersten Male heute soll das Kind
Allein zur Schule gehn ... Nun weint's und schreit:
Es kann den Weg nicht finden ... und die Furcht
Schnürt ihm das kleine Herz zusammen ... das
Vorgestern noch in heller Freude schlug
Und sich zum Richtplatz seiner Reinheit sehnte ...
Tiefsinn der Kindheit! – Sich aufs Leben freuen,
Es nicht erwarten können. – Ach! Wir alle,
Die wir nun alt und müd geworden sind,
Wir haben's auch einmal getan! Doch keiner,
Den nicht auch einmal jäh die Furcht gepackt
[221]
Vor dieses Lebens ungeheurem Wirrwarr –
Der nicht auch einmal bangte, ob er nicht
In diesem Dickicht doch den Weg verlöre ...
Und nimmermehr zu seinem Ziele kehre –?
Es stockt sein Fuß ... und ratlos irrt sein Blick ...
Sein Atem steht ... Mein Gott! Nun doch zurück –?
Nein! Vorwärts! Nun? Ach irgendwo ein Pfad
Wird sich schon finden – ob's der rechte ist –
Wer wüßte es! – Das aber wissen wir:
Zur Wirklichkeit den Irrtum umzubiegen:
Wir klugen Menschen nennen's eine »Tat« –
Und für die allerletzte Nacht die Herberg' –
Kann schließlich auch an diesem Wege liegen ...
Ob Meta morgen wieder weinen wird –? ...

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Conradi, Hermann. Gedichte. Gedichte aus der Spätzeit. Meta. Meta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5800-4