Wächter und Bürgermeister

In einer Stadt ein Wächter war,
Wo? hab ich nicht gefunden,
Der blies da schon manch liebes Jahr
Des Nachts und rief die Stunden;
Und zwar war das sein Methodus:
Er tat das Horn aufs Maul und blus,
Und denn pflegt' er zu sagen:
»Das Klock hat zehn geschlagen.«
Einmal nun, eh er sich's versah,
War Wipp, der Rathausdiener, da:
Gleich marsch zum Bürgermeister!
»Was ruft Er denn so falsch und dumm?
Der Klock heißt's, Bärenhäuter!
Denn Klock ist genris masculum,
So ruf Er also weiter!«
»Ihr Exzellenz und Hochgeborn
Hat in der Stadt zu schalten;
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Sonst hätt ich wohl ein Wort verlorn:
Der Klock reimt nicht zu meinem Horn;
Drum will ich das Klock halten.«
»Er will nach einer solchen Tat
Noch wider den Hochweisen Rat
Ein Wort und Obstat wagen?
Im Namen unsrer guten Stadt:
Will Er bald der Klock sagen?
Das genus hat Er uns verhunzt
All unsre Ehr zerreißt Er!
Meint Er, man trägt das Schwert umsunst?
Ich schätze Wissenschaft und Kunst!
Und bringst mich da in solche Brunst« –
»Der Klock, Herr Bürgermeister!«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Wächter und Bürgermeister. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-55FC-8