Brief an Andres

Da schreib ich Ihm schon wieder, und diesmal halt Er mir nur noch stand, mein lieber Andres, denn soll Er auch fürerst Ruhe haben. Ich kann doch nicht so ins große Blaue schießen, muß doch jemand haben nach dem ich ziele, und Er ist mir so recht bequem und paßlich, nicht zu dumm und nicht zu klug, und Sein Gemüt ist nicht böse. Will auch Brüderschaft mit Dir gemacht haben, Bruder Andres.

Was Du mir unterm 34. passati von dem neuen Holzbein und [95] der Bärenmütz schreibst, die Du dem alten lahmen Dietrich heimlich auf sein Strohlager hast hinlegen lassen, hat mir nicht unrecht gefallen; darüber aber muß ich recht lachen, daß Dir nun nach seinem Dank 's Maul doch so wässert, 's wässert einem denn so, Andres, mußt aber alles hübsch hinterschlucken. Dietrich bleibt ja im Lande, kannst ja alle Tage, wenn er vorbeihinkt, Dein Holzbein noch sehen und Deine Bärenmütz. Aber dem Dank wolltst Du gar zu gern zu Leibe? Nun, reiß Dir deshalb kein Haar nicht aus, 's geht andern ehrlichen Leuten auch so; man meint wunder, was einem damit geholfen sein werde, und ist nicht wahr; hab's auch wohl eher gemeint, aber seit Bartholomäi hab ich mich drauf gesetzt daß ich von keinem Dank wissen will, und wenn mir nun einer damit weitläuftig angestiegen kommt, so karbatsch ich drauflos, und das alles aus purem leidigen Intresse, wahrhaftig aus purem Intresse. Denn sieh, Andres, Du wirst's auch finden, wenn die Sach unter die Leut ist und Dietrich gedankt hat, denn hat man seinen Lohn dahin und 's ist alles rein vorbei; und was ist es denn groß zu geben, wenn man's hat? Wenn aber keine Seel 'von weiß, sieh! denn hat man noch immer den Knopf auf'm Beutel, denn ist's noch immer ein treuer Gefährt um Mitternacht und auf Reisen, und man kann's ordentlich als 'n Helm auf 'n Kopf setzen wenn ein Gewitter aufsteigt. Herzlicher Dank tut wohl sanft, alter Narre, doch ist das auch keine Hundsfötterei, heimlich hinlegen, und denn dem armen Volk als 'n unsichtbarer Fierk hinterm Rücken stehn und zusehen, wie's würkt, wie sie sich freuen und handschlagen, und nach dem unbekannten Wohltäter suchen. Und da muß man sie suchen lassen, Andres, und mit seinem Herzen in alle Welt gehn.

Aber, hör, man muß auch nicht jedem Narren geben der einen anpfeift. Die Leut wollen alle gern haben, und ist doch nicht immer gut. Mangel ist überhaupt gesunder als Überfluß, und traun, glaube mir, 's ist viel leichter zu geben, als recht zu geben. Auf 'n Kopf mußte Dietrich was haben und 'n neues Bein auch, das versteht sich, aber es gibt sehr oft Fälle, wo es besser und edler ist, abzuschlagen und hart zu tun.

Versteh mich nicht unrecht; wir sollen nicht vergessen, wohlzutun und mitzuteilen, das hat uns unser Herr CHRISTUS auch gesagt, und was der gesagt hat, Andres, da laß ich mich tot drauf schlagen. –

Hast du wohl eher die Evangelisten mit Bedacht gelesen, Andres? – Wie alles, was er sagt und tut, sowohltätig und [96] sinnreich ist! klein und stille, daß man's kaum glaubt, und zugleich so über alles groß und herrlich, daß einem 's Kniebeugen ankommt, und man's nicht begreifen kann. Und was meinst Du von einem Lande, wo seine herrliche Lehr in eines jedweden Mannes Herzen wäre? Möchtst wohl in dem Lande wohnen?

Ich habe mir einen hellen schönen Stern am Himmel ausgesucht, wo ich mir in meinen Gedanken vorstelle, daß er da sein Wesen mit seinen Jüngern habe. Ich segne den Stern in meinem Herzen und bet ihn an, und oft wenn ich 's Nachts unterwegen an den Rabbuni denke und zu dem Stern aufseh, überfällt mich ein Herzklopfen und eine so kühne überirdische Unruhe, daß ich würklich manchmal denke, ich sei zu etwas Besserm bestimmt, als zum Brieftragen; ich trag indes immer den Weg hin und find auch bald wieder, daß es mein Beruf sei. Halt! 's wird schon Tag, und der Morgen guckt durch die Vorhänge ins Fenster! Junge, mir ist's so wohl dahier hinter den Vorhängen in dieser Fruhstund! möchte Dich gleich umarmen, wenn Du den fatalen sauren Ruch aus'm Magen nicht an Dir hättest. Leb wohl, Du alter Sauertopf, und grüße Deinen H. Pastor, für den ich Respekt habe, weil er so 'n lieber guter H. Pastor ist, und so fromm aussehend, als ob er immer an etwas jenseit dieser Welt dächte, und nicht so dick.

's Morgens bei meiner

Lampe, die NB. keine von

den berühmten »nächtli-

chen Lampen der Weisen« ist,

sondern eine ganz natürliche Tranlampe.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Erster und zweiter Teil. Brief an Andres [2]. Brief an Andres [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-55BC-5