Briefe an Andres

Erster Brief

Es geht mir ebenso, Andres, wenn ich in der Bibel von einem Alten und Neuen Bunde, von einer Konnexion und einem Verkehr zwischen dem HÖCHSTEN Wesen und unserm Geschlecht lese; ich mache auch oft das Buch zu, und falte die Hände: daß die Menschen vor Gott so hoch geachtet und wert sind!

Es drückt einen das freilich nieder in den Staub; aber man kriegt zu gleicher Zeit Respekt für sich selbst, und wittert Morgenluft – und man kann und kann den Mittler zwischen beiden nicht genug ansehen und lieben, und möchte ihn für andre mit lieben, die es nicht besser wissen.

Der Mensch kann die Wahrheit verkennen, verachten und aufhalten; aber, wie umwegs oder verkehrt er es auch treibe, so irrt er sich nur, und mitten in solchem Treiben suchet und meinet er sie. Er kann ihr'r nicht entbehren; und es ist nicht möglich, wenn sie ihm erscheint, daß er sein Haupt nicht vor ihr beuge.

[477] Irren ist menschlich, Andres! Aber die Wahrheit ist unschuldig. Sie ist immer bereit und immer wert, und wird auch wohl am Ende recht behalten.

Aber es macht Dir graue Haare, schreibst Du, unsern Herrn Christus verkannt und verachtet zu sehen. – Du liebe gerechte Seele, mag es doch; wer sie um ihn trägt, der trägt mit Ehren graues Haar.

Zwar seinetwegen brauchst Du Dir keine wachsen zu lassen. Er will wohl bleiben, was er ist. So viele ihrer die Wahrheit nicht erkennen und nutzen, die haben des freilich Schaden; aber was kann es ihr schaden, ob sie erkannt und genutzt wird, oder nicht? Sie bedarf keines, und es ist die Größe und Herrlichkeit ihrer Natur, daß sie immer bereit ist, von Undank nicht ermüdet wird, und wie die aufgehende Sonne mit den Wolken und Dünsten ringt, um sie zu reinigen und zu vergolden.

Laß sie denn ringen, Andres; und brich Dir auch um was Du nicht ändern kannst das Herz nicht.

Wer nicht an Christus glauben will, der muß sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und Du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte weil wir leben, und uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen; und das kann er überschwenglich, nach dem was von ihm geschrieben steht, und wir wissen keinen, von dem wir's lieber hätten.

Keiner hat je so geliebt, und so etwas in sich Gutes und in sich Großes, als die Bibel von ihm saget und setzet, ist nie in eines Menschen Herz gekommen und über all sein Verdienst und Würdigkeit. Es ist eineheilige Gestalt, die dem armen Pilger wie ein Stern in der Nacht aufgehet, und sein innerstes Bedürfnis, sein geheimstes Ahnden und Wünschen erfüllt.

Wir wollen an ihn glauben, Andres, und wenn auch niemand mehr an ihn glaubte. Wer nicht um der andern willen an ihn geglaubt hat, wie kann der um der andern willen auch aufhören an ihn zu glauben.

Nur eine so zarte überirdische Gestalt ist gar zu leicht verändert und verstellt, und sie kann von Menschenhänden sozusagen nicht berührt werden ohne zu verlieren. Deswegen ist auch immer des Zankens und Streitens über ihn unter den Menschen kein Ende gewesen.

Von allen den Streitern sind die, welche die Bibel aufrechthalten und doch alles Übernatürliche natürlich machen und mit ihrer Philosophie belegen und reimen wollen, unstreitig die schwächsten; [478] denn sie haben weder Verstand noch Mut, und sind nicht Fisch noch Fleisch. Dazu sind sie immer in Not und kommen nicht zum Ziel, denn es ist viel schwerer die Vernunft gegen die Offenbarung, als die Offenbarung gegen die Vernunft zu retten; und, wenn sie zum Ziel kommen, so haben sie nichts.

Wer menschliche Weisheit sein läßt was sie ist, sich aber bescheidet, daß es eine größere gebe, undGott Mittel und Wege haben könne davon der Mensch nicht weiß, und daß eine Offenbarung über unsre Einsichten sein müsse, und das Unbegreifliche an ihr kein Flecken, sondern, wenn sie sonst das Gepräge göttlicher Liebe trägt, grade ihr Wahrzeichen und ihre Schöne sei; der ist besser daran, und kann allen den Zänkereien unbekümmert zusehen, und indes in seine Scheuern sammlen.

Alles muß allerdings zusammenhängen, und wird sich auch wohl reimen lassen, wenn die data bekannt sind. Die Spekulanten lassen es sich nicht träumen, daß das brillanteste Feld der Spekulation hinter der Kirchmauer liege.

Doch, dem sei wie ihm wolle, Andres; wir glauben der Bibel aufs Wort, und halten uns schlecht und recht an das, was die Apostel von Christus sagen und setzen.

Die ihn selbst gesehen und gehört haben, und an seiner Brust gelegen sind, die sind ihm doch näher gewesen, als wir und die Glosse. Und was auch bisher unter den Gelehrten erfunden sein mag, und wie gut sie auch wissen und verstehen mögen; so scheint es doch, die Wahrheit zu sagen, daß die Apostel es besser wissen und verstehen müßten.

Lebe wohl, Andres, und schreibe bald wieder.


Dein etc.

Zweiter Brief

Als die Leute in dem Markt der Samariter, bei denen unser Herr Christus Herberge bestellen ließ, ihn nicht annehmen wollten, sprachen seine Jünger, Jakobus und Johannes: »Herr willt du, so wollen wir sagen, daß Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elias tät« – Und das nimmst Du so übel und kannst es den beiden Jüngern nicht vergeben noch vergessen! – Du freust einen, Andres! Aber ich kann auf meinen Jakobus und Johannes nichts kommen lassen, und ich muß ihnen bei Dir das Wort reden und ihre Ehre retten.

[479] Vorläufig darf man über das »Feuer vom Himmel fallen lassen« so ängstlich nicht sein, denn es hat damit gute Wege; und wer es kann fallen lassen, der wird schon wissen, was er zu tun und zu lassen hat. Über Handlungen höherer Ordnung können wir nicht urteilen, und so müssen wir auch nicht darüber urteilen wollen. Die Sache, wovon hier geredet wird, ist bloß menschlich, und da will ich, wie gesagt, versuchen, die Donnerskinder mit Dir auszusöhnen.

Erstlich hatten sie das Exempel des Elias vor sich, den sie noch kürzlich in sehr glorreichen Umständen gesehen hatten; und denn suchten sie ihres Meisters Einwilligung, und, natürlich, auch seine Kraft. Doch, Du pflegst zu sagen: schweige von einem andern, oder setze dich ganz an seine Stelle. Wir wollen uns denn hinsetzen. Es sitzt sich ohnedas an der Stelle so gut.

Christus war mit den Jüngern auf der Reise nach Jerusalem. Er reiste hier eigentlich in Angelegenheiten der Samariter, und tat diese Reise, wie alle das andre, um sie und alle Menschen sanft zu betten, und ihnen eine ewige Herberge zu bereiten. Zwar das mochten die Jünger, ob er ihnen gleich verschiedentlich darüber gesprochen hatte, doch vielleicht noch so ganz nicht begriffen haben. Aber sie waren doch zwei drei ganzer Jahre mit ihm umhergezogen, und hatten gesehen, daß er nicht seinetwegen umherzog, und nicht gekommen war, sich dienen zu lassen; daß er nichts als Gutes lehrte und Gutes tat, links und rechts und ohne Ansehen der Person, und daß er sich nicht zweimal bitten ließ, und jedem, der sein bedurfte, mit Liebe und Freundlichkeit zuvorkam. Dazu war es itzt das letzte Mal, daß er ihre Herberge brauchte, denn die Zeit war erfüllet, daß er sollte von hinnen genommen werden, und er ging hier der Schmach und dem Tode entgegen – Und nun wird ihm das Nachtlager versagt, und seine Boten werden abgewiesen ... Andres, kannst Du es den Jüngern übelnehmen, wenn sie da unwillig wurden? Der ist kein schlechter Mann, dem die Galle überläuft, wenn er so Gutes mit Undank belohnen, und Recht und Billigkeit mit Füßen treten sieht!

Und nimm nun noch dazu die Anhänglichkeit und Liebe, womit die Jünger ihrem Herrn und Meister zugetan waren und anhingen. Wem alles gleichviel und einerlei ist, der hat gut sprechen. Aber, wem es an etwas gelegen und in der Brust nicht hohl ist, dem ist anders zumute, als den Eiszapfen am Dache des Toleranztempels. Das Herz hat auch seine Rechte, und läßt [480] nicht mit sich spielen wie mit einem Vogel. Überhaupt ist es nicht Unrecht: Auge um Auge; Zahn um Zahn! Und schilt mir den Mann nicht, der für Recht und Billigkeit stehen bleibt, und die Hand ans Schwert legt. Etwas von dem Dreimännertrotz, der sich auf nichts in der Welt als auf sich selbst und seine gute Sache stützt, und doch vor der Gewalt und Menge nicht beugen will, ist nicht so übel. »Unser Gott«, sagten sie, »kann uns wohl erretten. Und wenn er es auch nicht tun will; so sollt ihr dennoch wissen, daß wir das goldene Kalb nicht anbeten wollen.«

Kurz, wie es an den drei Männern edel war, daß sie an Feuer nicht dachten; so war es an den beiden Jüngern nicht unedel, daß sie daran dachten.

Freilich Christus bedräuete sie; und wer, das »Feuer vom Himmel« in seiner Hand, unter seinen durch und durch gewürkten Rock zurückhalten und verbergen und sich vor Freund und Feind wie ein Verbrecher hinführen lassen konnte, damit der Wille des Vaters im Himmel geschehe; der konnte dräuen, und vor dem hatten die Jünger sich zu schämen, daß sie nicht wußten, wes Geistes Kinder sie waren. Aber ich will auch wissen, daß sie vor einem jeden andern Geist sich nicht zu schämen hatten, und daß der Geist des Christentums nicht ohne Ursache ein Geist der Herrlichkeit genannt wird.

Gut ist ein ander Ding, als edel; und Freisein ein ander Ding, als an seiner Kette reißen und rütteln. Edle Menschen gibt es von Natur, aber gut ist niemand, als der einige Gott, und wen der gut gemacht hat.

Dein etc.

Dritter Brief

Ich soll Dir das weiter auseinandersetzen –.

Edel ist: Ahndung der Heimat; das Gute in Feindesland; der König im Gefängnis. Wer Freude am Guten hat und gerne gut wäre, und mit sich kämpft und streitet, daß er's sei, der ist ein edler Mann.

Was soll ich Dir viel auseinandersetzen? Du weißt ja, besser als ich, wie es geht. Man will gern immer – das Eitle nicht liebhaben, unparteiisch sein, nicht böse werden wenn man beleidigt wird, geistlich gesinnt sein usw.; aber man kann es nicht. Wenn auch auswendig, so geht es doch inwendig nicht rein ab. Und, wenn auch das Feld behalten wird; so ist darum doch kein [481] Friede. Der Feind bleibt im Lande, und man muß mit dem Gefangenen sich placken und plagen.

All Fehd ein Ende, und rein Haus machen: das ist die Weisheit Gottes, welche die Edeln gelüstet zu schauen, die Weisen wissen, und die Toren verachten.

Edel ist also nicht gut; aber es ist darum edel und nichts Gemeines, und ihm gebührt Ehre und Achtung von jedermann, wo es sich sehen läßt.

Von den Mund-Edeln, die nämlich nur von Edel und Gut sprechen und schreiben, tiefgelehrt oder ungelehrt, ist hier die Rede nicht. Die werden gar nicht mitgezählt.

Ohne Kampf und Verleugnung gibt es keinen Adel und wahren Wert für den Menschen, und ohne Kampf kennet er die Kluft nicht, die in unserm Inwendigen zwischen Wollen und Sein, zwischen Edel und Gut, befestiget ist, und kann sie nicht kennen. »Die auf dem Meer fahren, die sagen von seiner Fährlichkeit –. Daselbst sind seltsame Wunder, mancherlei Tiere und Walfische: durch dieselben schiffet man hin.«

Erfahrung machet den Meister. Und nur die, welche sich in den Defileen und Labyrinthen jener großen Kluft versucht, und mit den seltsamen Wundern und mancherlei Ungeheuern vor den Toren des Friedes, gekämpft und sich selbst daran gewagt haben, nur die können wissen: ob es dort Mühe und Fährlichkeit hat, und ob man dort eines heiligen Zweiges bedarf oder nicht. Und es wäre sehr lustig zu sehen, wenn ein Stubenzeichner einen solchen edlen Ritter und Veteran, der unter den Waffen an Ort und Stelle grau geworden ist, aus seinen Landkarten zurechtweisen und eines Bessern belehren wollte.

Du siehst denn, welchen Leuten die Religion gleichgültig und entbehrlich bedünken kann, und welchen Leuten sie unentbehrlich und heilig ist; und daß diese, alle Komplimente beiseite gesetzt, sich ihrer Anhänglichkeit und Achtung nicht zu schämen brauchen.

Leb wohl, Andres.

Vierter Brief

Du möchtest gern den Sinn der unterirdischen Unternehmungen in der Mythologie der alten Völker wissen, und warum doch die großen heroischen Menschen, die feurigen Sucher und Liebhaber der Wahrheit, in die Unterwelt heruntergestiegen sind. – [482] Ich denke, Andres, weil sie, was sie suchten, hier oben nicht haben finden können. Wer hier sein Gnüge findet, der muß mit unvollkommner, sichtbarer, veränderlicher und vergänglicher Natur genug haben. Wenn also eine vollkommne, unsichtbare, unveränderliche und unvergängliche Natur der Freund war, den ihre Seele liebte; so mußten sie ihn anderswo suchen gehen. Seine Fußstapfen fanden sie in dem Sichtbaren und Vergänglichen wohl, aber ihn fanden sie nicht.

Doch, warum grade unter der Erde die Veredelung sein selbst suchen? –

Wird doch nichts in der Luft gesäet! Samen und Tierarten legen in der Erde die Schale ab, ehe sie ihre neue Gestalt und Existenz erhalten. Gehen doch auch die Menschen leiblich in die Erde, ihren Staub abzuschütteln und der Wahrheit näher zu kommen. Vielleicht, daß daher ein Bild genommen ist; oder, weil das Weizenkorn, ehe es Frucht bringet, zuvor ersterben, und also einen Schritt rückwärts, herunter, tun muß; oder, weil die Weisen sich fügen wollten in die Ideen der Welt, die dort Schätze vermutet und sucht; oder, weil der ihrige da gefunden wird, wo es Mühe kostet hinzukommen, und wo nicht ein jeder von Hause aus hinsehen kann. Vielleicht ist's auch noch anders, Andres, ich weiß nicht; aber, mich dünkt, wenn wir hätten erfinden sollen, wir hätten auch, die Schwärmer in der Luft, und die wahren ernsthaften Liebhaber unter der Erde suchen lassen.

Offenbar muß man von Erde und Himmel und von allem, was sichtbar ist, die Augen wegwenden, wenn man das Unsichtbare finden will. Nicht, daß Himmel und Erde nicht schön und des Ansehens wert wären. Sie sind wohl schön, und sind da, um angesehen zu werden. Sie sollen unsre Kräfte in Bewegung setzen, durch ihre Schöne an einen, der noch schöner ist, erinnern und uns das Herz nach ihm verwunden. Aber, wenn sie das getan haben, denn haben sie das Ihrige getan, und weiter können sie uns nicht helfen.

Der Mensch ist reicher als sie, und hat, was sie nicht geben können. Alles, was er um sich her Leben haben sieht, stirbt; und er weiß von Unsterblichkeit. Er sieht in der sichtbaren Natur nichts als Zeitliches und Örtliches; und er weiß von einem Ewigen und Unendlichen. Er sieht nur Mannigfaltigkeit, lauter Zerstreutes und Zerstückeltes; und doch will er immer Einen, unter Eins fassen, aus Einem herleiten usw.

[483]

Wie und woher könnten ihm solche heterogene und bewundernswürdige Dinge kommen, wenn sie nicht aus ihm selbst kämen und in ihm nicht etwas Heterogenes und Bewundernswürdiges wäre.

Selbst die Weisheit und Ordnung, die der Mensch in der sichtbaren Natur findet, legt er mehr in sie hinein als er sie aus ihr herausnimmt. Denn er könnte ihrer ja nicht gewahr werden, wenn er sie nicht auf etwas, das er in ihm hat, beziehen könnte, so wie man ohne Maß nicht messen kann. Himmel und Erde sind für ihn nur eine Bestätigung von einem Wissen, des er sich in sich bewußt ist, und das ihm die Kühnheit und den Mut gibt: alles zu meistern und aus sich zu rektifizieren. Und mitten in der Herrlichkeit der Schöpfung ist und fühlt er sich größer, als alles was ihn umgibt; und sehnt sich nach etwas anderm.

Andres, der Mensch trägt in seiner Brust denKeim der Vollkommenheit, und findet außer ihr keine Ruhe. Und darum jagt er ihren Bildern und Konterfeis in dem sichtbaren und unsichtbaren Spiegel so rastlos nach, und hängt sich so freudig und begierig an sie an, um durch sie zu genesen. Aber Bilder sind Bilder. Sie können, wenn sie getroffen sind, sehr angenehm überraschen und täuschen, aber nimmermehr befriedigen. Befriedigen kann nur das Wesen selbst, nur freies Licht und Leben – und das kann ihm niemand geben, als der es hat.

Gott befohlen, Andres.

Dein etc.

Fünfter Brief

»Und es begab sich darnach, daß er in eine Stadt mit Namen Nain ging: und seiner Jünger gingen viel mit ihm, und viel Volks.

Als er aber nahe an das Stadttor kam: siehe, da trug man einen Toten heraus, der ein einiger Sohn war seiner Mutter; und sie war eine Witwe, und viel Volks ging mit ihr.

Und da sie der Herr sähe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: ›Weine nicht.‹

Und trat hinzu, und rührete den Sarg an: und die Träger stunden. Und er sprach: ›Jüngling, ich sage dir, stehe auf.‹

Und der Tote richtete sich auf, und fing an zu reden. Und er gab ihn seiner Mutter.«

[484] Man kann eine solche Geschichte nicht lesen, ohne die Mutter seligzupreisen, und den Toten und die Träger und alle Menschen die dabeiwaren; aber doch sonderlich die Mutter. Du weißt, Andres, wenn man ein Kind schwer krank hat das man gerne behalten will, wie man da geht und die Hände ringt, und immer hofft, auch wenn man nicht mehr kann und sollte. Man hofft noch immer, und hört auch nicht auf, solange die Kranke noch lebendig und im Bette ist. Wenn sie aber auf dem Brett liegt, wenn der Sarg kommt und die Träger, und die Tote herausgetragen wird; denn muß man wohl aufhören, und bleibt denn nichts übrig als hinter den Sarg herzugehen und zu weinen.

Die Witwe zu Nain scheint auch keinen andern Rat gewußt zu haben, und sie hoffte wohl auch nicht mehr, als sie, hinter der Leiche her, aus dem Stadttor ging. Und es würde ihr auch nicht anders als uns andern ergangen sein, ihr Kind wäre eingesenkt und mit Erde beschüttet worden und sie hätte allein wieder zurückgehen müssen; wenn nicht unser lieber HerrChristus grade des Weges hergekommen wäre, und sie ihm mit der Leiche begegnet wären.

Und darum ist es eben so groß und erfreulich, daß er einmal auf Erden gewesen ist, und Menschen das Glück haben konnten, ihm zu begegnen.

»Und als sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: ›Weine nicht.‹«

Es ist immer etwas über alle Maßen Zartes und Großmütiges in dem Benehmen Christi. Wer nicht helfen kann hat gewöhnlich Mitleiden, und wer Mitleiden hat kann gewöhnlich nicht helfen. Auch ist mancher mitleidig, weil die Reihe auch an ihn kommen kann, weil er den andern braucht, oder ihm Verbindlichkeit hat usw. Hier ist das alles ganz anders. Auch, nach dem ersten Ansehen hatte die Witwe recht, Mitleiden von Christus zu erwarten und zu fodern; nach der Wahrheit aber war ein anderes Verhältnis zwischen ihm und ihr. Vor ihm war sie, was wir alle sind: undankbare Kinder, eine ungeratene Tochter die ihres Vaters Haus mutwillig verlassen und sich selbst unglücklich gemacht hatte; undChristus war: der Vater, der ihr nachgegangen war, um das verlorne Kind aufzusuchen, und der sie nun hier in einer elenden Hütte mitten unter den bittern Folgen ihrer Vergehung antraf. Sie mußte sich schämen, ihm unter die Augen zu kommen, und hatte nichts als Vorwürfe zu erwarten, und verdient.

[485] Aber »als sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: ›Weine nicht.‹«

Und das war ihm noch nicht genug. Er wollte nicht allein vergeben und vergessen, sondern auch in der gegenwärtigen Lage und Verlegenheit Rat schaffen.

»Und er trat hinzu, und rührete den Sarg an, und die Träger stunden.«

Vermutlich kannte die Witwe den Herrn Christus nicht, und wird also in ihrem Schmerz nach dem Rabbi und seinem: »Weine nicht«, wohl nicht sonderlich hingehört haben. Sie hat gewiß den Sarg mit keinem Auge verlassen, und von dem Rabbi nichts erwartet – noch nicht, als er hinzutrat, und den Sarg anrührete, und dem Jüngling aufzustehen gebot.

Als aber der Kopf aus dem Sarge emporkam, als der einzige Sohn sich aufrichtete und anfing zu reden, und ihr wiedergegeben wurde ... Andres, wie wird sie da den wunderbaren Rabbi angesehen, sich vor ihn auf die Erde hingeworfen, und ihm Hände und Füße geküßt haben.

Und was meinst Du die Umstehende? – Lukas sagt: »Es kam sie alle eine Furcht an, und preiseten Gott etc.«, und das scheint mir sehr natürlich. Denn, so rührend die Szene auch immer sein mochte; so mußte doch das höhere Interesse die Oberhand gewinnen. Man verliert die Witwe aus den Augen, und zittert, und preiset Gott: daß es also wahr ist, daß im Tode nur das Gehäuse und die Hülse zerfällt; daß der Geist des Menschen nach dem Tode übrigbleibt, und man wahrhaftig auf Wiedersehen rechnen kann.

Andres! die in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und herfürgehen ...


Aber auch die Toten, die nicht in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und herfürgehen.

Sein Reich war nicht von dieser Welt. Ob er gleich Herr und Meister der sichtbaren Natur war, und seine Lehre über alles wohltätig auch für das Leben ist, und er selbst, im Leiblichen immer und bei aller Gelegenheit half und diente; so war doch dies eigentlich sein Feld und Gebiet nicht. Er war gesetzt über das Unsichtbare, und ein Pfleger der heiligen Güter. Und alle seine sichtbare Werke und Wunder waren nur seine kleinere und Nebenwerke, die er verrichtete und tat, um die Menschen über [486] die größere zu belehren, und ihnen, durch das was sie sahen, die Augen zu öffnen über das was sie nicht sahen.

Als er dort zu dem Gichtbrüchigen sprach: »Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben«; so wird der Gichtbrüchige selbst zwar wohl inneworden sein und gewußt haben: was das sei, wenn Christus einem Menschen seine Sünden vergibt; aber, die Schriftgelehrten die umherstanden wußten es nicht, und hatten deswegen ihre Bedenklichkeiten. Und Christus sagte: »›Auf daß ihr wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu vergeben‹, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: ›stehe auf, hebe dein Bette auf und gehe heim.‹ Und er stund auf und ging heim.«

So auch hier. Die Auferweckung eines Toten ist freilich ein großes Werk; aber es gibt noch ein größeres. Wie Geist und Willkür größer und edler ist, als Leib und Mechanismus; so ist auch die Auferweckung des geistlichen Jünglings zu Nain, oder: die Herstellung unsers Geistes in seine ursprüngliche Herrlichkeit, ein ander Werk. Aber dies hohe, und eigentliche Werk Christi, ist unsichtbar. Damit wir aber wüßten, daß er der von der Welt her erwartete, und von allen guten Menschen begehrte, Held und Helfer sei, und Macht habe, den erstorbenen Geist des Menschen zu wecken; so weckte er leiblich Tote. Und die das hörten und um die Wahrheit bekümmert waren, die wußten, weil niemand die Werke tun kann: daß er sei ein Lehrer von Gott kommen; und gingen zu ihm, um bei ihm Rat und Trost für ihre Seele zu finden.

Menschen können keinen geben, was sie auch sagen und versprechen. Sie können von der Leiche wohlreden, können sie kleiden und mit Blumen schmücken, ihr den Kopf und die Hände zurechtlegen etc.; aber tot ist tot, und sie bleibt stille und stumm im Sarge liegen. Wenn aber Christus den Sarg anrühret; so richtet der Tote sich auf, und fängt an zu reden.

Durch Worte und Floskeln wird aus dürrem Winterholz kein grünes; wohl aber durch ein gleichartiges Leben.

Sechster Brief

Es war einmal ein Edler, des Freunde und Angehörige durch ihren Leichtsinn um ihre Freiheit gekommen, und in fremdem Lande in eine harte Gefangenschaft geraten waren. Er [487] konnte sie in solcher Not nicht wissen, und beschloß, sie zu befreien.

Das Gefängnis war fest verwahrt, und von inwendig verschlossen, und niemand hatte den Schlüssel.

Als der Edle sich ihn, nach vieler Zeit und Mühe, zu verschaffen gewußt hatte; band er dem Kerkermeister Hände und Füße, und reichte den Gefangenen den Schlüssel durchs Gitter, daß sie aufschlössen und mit ihm heimkehrten. Die aber setzten sich hin, den Schlüssel zu besehen und darüber zu ratschlagen. Es ward ihnen gesagt: der Schlüssel sei zum Aufschließen, und die Zeit sei kurz. Sie aber blieben dabei, zu besehen und zu ratschlagen; und einige fingen an, an dem Schlüssel zu meistern und daran ab- und zuzutun.

Und als er nun so nicht mehr passen wollte; waren sie verlegen, und wußten nicht, wie sie ihm tun sollten. Die andern aber hatten's ihren Spott, und sagten: der Schlüssel sei kein Schlüssel, und man brauche auch keinen.

Siebenter Brief

Es ist immer so, Andres, die Hauptpunkte einer Religion sind verhüllt und zugedeckt; und so ist das heilige Abendmahl allerdings ein Geheimnis. Dafür haben es die Anhänger Christi von Anfang an genommen, und dafür nimmt es auch Luther. Auch pflegten die ersten Christen es gerne in geheim zu halten, und noch in den Zeiten des öffentlichen christlichen Gottesdienstes mußte die übrige Versammlung abtreten.

Wie es nun überhaupt mit Geheimnissen ist; wer sie nicht weiß, der erklärt sie, und wer sie erklärt, der weiß sie nicht. Erzwingen und mit Gewalt nehmen lassen sie sich nicht; wer sie aber zu verdienen sucht und sich den Besitzer zum Freunde zu machen weiß, der erfährt sie bisweilen. Darum wollen wir ehrerbietig und demütig vor der Tür dieses hochheiligen Geheimnisses stehenbleiben, und die Außenseite ansehen, schlecht und recht und wie die Bibel sie gibt. Sie liegt jedermann offen; und ist, so wie der ganze letzte Abend und Abschied – als in dieser Welt nichts anders; wie denn auch ein solcher Abend und Abschied in dieser Welt nur einmal gewesen ist.

Wie Christus selbst sagt und die ganze Christenheit glaubt, bezieht das Alte Testament sich auf das Neue. So hohe geistige [488] Ideen, als die: von himmlischen Gütern; von einer unsichtbaren Befleckung und einem geistlichen Fall, die geschehen waren; von unsichtbarer Reinigung und einem Wiederhersteller der versprochen war und zu seiner Zeit kommen werde etc., konnten unter den ersten Menschen, die den großen Begebenheiten näher waren, wohl von Mann zu Mann fortgepflanzet werden; sie würden aber mit der Zeit für die Welt erloschen und verloren gewesen sein, wenn sie nicht von den alten Weisen und Propheten unter einer sinnlichen Hülle öffentlich vor die Augen gebracht und beständig gehalten worden wären. Moses war vor allen andern ein solcher Weise und Prophet, und er knüpfte diese Hüllen, um ihnen desto mehr Interesse zu geben, an die politische Geschichte seines Volks, damit es ihnen »ein Zeichen sei in ihrer Hand und ein Denkmal in ihren Augen, auf daß des Herrn Gesetz sei in ihrem Munde, daß der Herr sie mit mächtiger Hand aus Ägypten geführt habe«. – Und man kann den mosaischen Gottesdienst, außer dem was er in sich war, als die allervollkommenste Prophezeiung ansehen, die wir von Christus haben. Die Schrift sagt auch: daß hinfort kein Prophet in Israel aufgestanden sei wie Mose; und Moses redete noch auf dem Berge mit Christus über den Ausgang, welchen er sollte erfüllen zu Jerusalem.

Die heiligen Schriften des N.T. drücken sich sehr bestimmt darüber aus, daß der Leib und das BlutChristi das Reinigungs- und Erlösungsmittel für den gefallenen Menschen sei.

»Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, aber den Leib hast du mir zubereitet.«

»Das Blut Jesu Christi seines Sohnes macht uns rein von aller Sünde.«

»Nun aber hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod.«

»Und wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seid von eurem eiteln Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.«

»Moses hat euch nicht Brot vom Himmel gegeben; sondern mein Vater gibt euch das rechte Brot vom Himmel.«

»Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel kommen: wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.« –

[489] »Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.«

Wir mögen nun verstehen oder nicht verstehen, was der Leib und das Blut Christi sei; nach der Bibel muß der Mensch sie genießen und ihrer teilhaftig werden, wenn er genesen will. Und so hatte Moses ein Osterlamm angeordnet das genossen werden mußte, und mit dessen Blut »beide Pfosten an der Tür und die Oberschwelle bestrichen wurden, daß der Würgengel vorübergehe«. So waren Opfer, und ein Hoherpriester, der am Versöhntage mit Blut ins Heilige ging usw.

Diese Hüllen und Schatten der himmlischen Güter bestanden noch zu Christi Zeiten, und nun war die große Stunde gekommen, wo sie ausgedienet hatten, und das wesentliche Opfer, das durch jene bedeutet war, selbst geopfert werden sollte.

»Wir haben auch ein Osterlamm, Christus, für uns geopfert.«

»Am Ende der Welt ist Christus einmal erschienen, durch sein eigen Opfer die Sünde aufzuheben.«

»Christus ist kommen, daß er sei ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommenere Hütte die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist. Auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern er ist durch sein eigen Blut einmal – in den Himmel selbst – eingegangen, und hat eine ewige Erlösung erfunden.«

Entweder, oder! Wir müssen die Bibel zerreißen, oder festhalten an dem Bekenntnis: »Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden«; wie es auch bisher beim Genuß gesagt, und geglaubt wird.

Daß die ganze Sache über unsre Einsicht ist, und wir sie nicht verstehen; ist nicht wider sie. Denn sie soll nicht Menschenwitz und -werk sein; und wird, in unserer und in den Traditionen aller Völker wo davon dunkler oder heller geredet wird, als höheren Gehalts und Ursprungs gegeben. Und, wenn in dieser Sache ein Wille erscheint, der mit unbegreiflicher Erbarmung will; so kann es nicht befremden, wenn kein Verstand ihm gewachsen ist.

Übrigens genießen wir jeden Tag und Augenblick Wohltaten, die wir nicht verstehen. Wir werden geboren und gesäuget, und holen Odem, und verstehen nichts. Wir verstehen auch die leibliche Medizin nicht die wir einnehmen, und doch hilft sie uns und rettet uns bisweilen das Leben. Der Kunstverständige versteht [490] sie, und weiß sie zuzurichten. Und darum ist ein Unterschied zwischen einem Weisen, und einem – Nicht-Weisen. Die Nicht-Weisen mögen unwahr und ohne Grund sein; aber die Sache kommt von guter Hand.

Aber ich komme wieder zu dem letzten Abend, wo er seinen Vertrauten über das was bevorstand, und über das neue Gesetz und Testament die nötige Auskunft geben, und Abschied von ihnen nehmen wollte.

Andres, der Abschied des Sokrates aus der Welt war sehr schön und rührend; auch als Sokrates mit seinen Jüngern ausgeredet hatte und den Giftbecher nun ansetzte und trank, weinten sie und warfen sich an die Erde. Aber hier ist mehr, als Sokrates; hier ist die Herrlichkeit Gottes; und man will vergehen, so wie er, dem Tode geweiht und schon gesalbt zu seinem Begräbnis, in den großen gepflasterten Saal hereintritt und sich neben dem Osterlamm hinsetzt.

»Mich hat herzlich verlangt«, sagte er zu den Zwölfen, »dies Osterlamm mit euch zu essen, ehedenn ich leide.«

Wie er hatte geliebt die Seinen, so liebte er sie bis ans Ende. Man kann sich nicht satt daran lesen: wenn er, der solch ein Werk zu vollbringen und solch einen Kelch zu trinken vor sich hatte, noch bei der letzten Mahlzeit den Johannes an seiner Brust zu Tische sitzen läßt, und den Jüngern Bissen eintaucht und gibt; wenn er so bekümmert von dem Jünger spricht der ihn verraten werde, den Verräter nicht nennen will, und nur ihn selbst fühlen läßt, daß er sein Geheimnis wisse; wenn er dem Petrus, der sich vermaß, von dem Hahn sagt der nicht zweimal krähen werde; wenn er hingehen will, den Jüngern die Stätte zu bereiten; wenn er sie seine Freunde nennt; wenn sie ihn wiedersehen sollen, und ihr Herz sich freuen und ihre Freude niemand von ihnen nehmen soll etc. etc.

Doch in diesem heiligen Kreise war nicht bloß von einem Abschied von Freunden, sondern von größern Dingen die Rede. Und er unterrichtete seine Boten und die künftigen Lehrer der Welt noch einmal von dem Geheimnis des Reiches Gottes: – Eins mit dem Vater, das ist das Ziel; er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand komme zum Vater als durch ihn; wenn er nicht hingehe zum Vater, so komme der Tröster nicht zu ihnen; wenn er aber hingehe, wolle er ihn senden, den Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgehet und den die Welt nicht kennet, und nicht empfahen kann; und der werde bei [491] ihnen bleiben ewiglich, und in ihnen sein, und sie würden denn alles wissen, und ihre Bitten würden geschehen.

Aber eine Lehre, die solche Verheißungen und Macht dem Menschen gibt, konnte mißverstanden werden. Damit aber die Jünger wüßten: was sie meine und wes Geistes Kind sie sei; stand der Herr und Meister, als »er wußte, daß ihm der Vater alles hatte in seine Hände gegeben und daß er von Gott kommen war und zu Gott ging«, auf, legte seine Kleider ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich, goß Wasser in ein Becken und wusch ihnen die Füße.

Wie wird Dir, Andres, wenn Du ihn Fuß waschen, und, mit dem Schurz, und dem Becken in der Hand, von einem Jünger zum andern gehen siehst?

Und, wenn man denn an die und jene denkt, die sich nach seinem Namen nennen!

Aber sie sind auch nicht sein, und können sich nennen nach wem sie wollen.

Keiner, und hätte er aller Sternen Lauf erfunden und trüge Kron und Szepter und wär ein Herr der ganzen Welt, wenn er nicht das alles und sein eigen Leben für ihn vergessen kann; der ist sein nicht wert.

Seine Lehre war nicht für diese Welt, und ihre Hauptseiten sind darüber hinaus, und unsichtbar. Weil sie aber doch in dieser Welt sein sollte; so mußte sie eine sichtbare haben, und die Welt wissen, wes sie sich zu ihr zu versehen habe. Und der Stifter gab dies Beispiel der Demut und Entäußerung, und setzte die Liebe als das Kenn- und Wahrzeichen seiner Jünger.

So groß und hehr nun auch alle diese Belehrungen und Eröffnungen waren, und so viel erfreuliches Licht auch daraus den Jüngern über das Neue Gesetz und Testament aufgehen mußte; so blieb doch der Stein auf ihrem Herzen, und es fehlte noch ein Aufschluß.

Er hatte in der Schule zu Kapernaum, als er von den Kräften seines Leibes und Blutes redete, den Genuß derselben ausschließlich als das Mittel des Lebens und einer ewigen Vereinigung mit ihm gesetzt; und nun wollte er hingehen zum Vater, von ihnen weg und wo sie ihm nicht folgen konnten.

Natürlich war ihr Herz, wie die Schrift sagt, voll Traurens worden, weil er solches zu ihnen geredt hatte. Und du kannst denken, Andres, sie saßen um ihn und sahen ihn an, und sehnten sich nach seinem Leib und Blut.

[492] Lege Deine Stirne auf die Erde.

»Und er nahm das Brot, dankete und brach's, und gab's den Jüngern, und sprach: ›Nehmet, esset; das ist mein Leib.‹

Und er nahm den Kelch, und dankete, gab ihnen den, und sprach: ›Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Neuen Testaments, welches vergossen wird für viele, zur Vergebung der Sünden.‹«

Das sagte er, und mehr hat es ihm nicht gefallen zu sagen.

Und darauf ging er hinaus, den Haß und die Verachtung der Welt zu verdienen und ihnen »das gute Werk zu erzeigen von seinem Vater, um welches sie ihn steinigen«.

[493][495]

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TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Sechster Teil. Briefe an Andres. Briefe an Andres. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-546C-3