Siebenter Teil

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Pränumerationsanzeige

Ich kündige endlich den siebenten und letzten Teil des Wandsbecker Boten an, ob etwa ein und andrer wäre, der an den sechsen nicht schon genug hätte, angesehen die Idiosynkrasie des Boten und seine Mischung von Schöngeisterei und Religion denen Herren Rezensenten mehr und mehr unerträglich geworden, und die Urteile über die Theologie des Geschmäcklers und den Geschmack des Theologen so verschieden ausgefallen sind.

Es ist eigentlich schlecht um die Schriftsteller bestellt, die erst von andern erfahren müssen, was sie wollen, und es ist viel besser, wenn einer das selbst weiß; und bisweilen ist es gut, wenn er's auch sagt. Ich muß mich also beim Abschied, so unnötig und unbedeutend es auch scheinen mag, über meine »Sämtliche Werke« erklären, und über die darin vorkommende christliche Äußerungen, die man als Poesie, als in ihrer Gesellschaft deplaziert, als überflüssig usw. hat ansehen wollen. Poesie sind sie nun erstlich nicht, sondern mein rechter wahrer heiliger Ernst; und deplaziert können sie wohl auch nicht sein, denn sie stehen, denke ich, allenthalben am rechten Ort, und ist da, wo sie stehen, immer obenan. Was endlich die Überflüssigkeit anlangt, so kann es sein, daß andre Leute mit einigen Einsichten über das Sichtbare, und mit Vermutungen undTräumen über das Unsichtbare ausreichen können; ich kann das nicht, und brauche etwas, darauf ich mich ruhen und verlassen kann; und ich habe in meinem Leben nicht klein für groß und nichts für etwas halten können.

Der Mensch lebet nicht vom Brot allein, das die Gelehrten einbrocken; sondern ihn hungert noch nach etwas andern und Bessern, nach einem Wort das durch den Mund Gottes gehet. Und dieses andre und Bessere; dies Wort, das uns auf der Zunge schwebt und wir alle suchen, ein jeder auf seine Art, finde ich zu meiner großen Freude im Christentum wie es die Apostel und unsre Väter gelehrt haben. – Sollte ich damit zurückhalten und hehlen, weil es hie und da nicht die öffentliche Meinung ist, und berühmte und unberühmte Leute es besser wissen wollen und darüber spotten? Was kümmert mich berühmt und unberühmt, wo von ernsthaften Dingen die Rede ist? Und was gehen Meinungen mich an, in Dingen die nicht Meinung sind, sondern Sache; frägt man auch den Nachbar, ob die Sonne scheint? Und die berühmten Leute, die sich klug dünken, wissen zwar manches besser; aber es könnte doch sein, daß sie nicht wüßten, was sie amChristentum haben und wie gut und klug sie, und alle Menschen, daraus werden könnten, wenn der Schlösser so viel nutzte als das Schloß.

[497] Es stehet nur wenigen an, dies große Thema zu dozieren; aber auf seine Art und in allen Treuen aufmerksam darauf zu machen; durch Ernst und Scherz, durch gut und schlecht, schwach und stark auf allerlei Weise, an das Bessere und Unsichtbare zu erinnern; mit gutem Exempel vorzugehen und taliter qualiter durchs Faktum zu zeigen, daß man – nicht ganz und gar ein Ignorant nicht ohne allen Menschenverstand – und ein rechtgläubiger Christ sein könne ... das steht einem ehrlichen und bescheidnen Mann wohl an. Und das ist am Ende das Gewerbe, das ich als Bote den Menschen zu bestellen habe, und damit ich bisher treuherzig herumgehe und allenthalben an Tür und Fenstern anklopfe.

Ich werde auch im siebenten Teil das nämliche Gewerbe treiben, und fortfahren, meine ungeheuchelte und unbegrenzte Achtung für das alte apostolische Christentum zu bezeugen und an den Tag zu legen. Und, wahrlich, ich müßte nicht glauben was ich glaube, und nicht wissen was ich weiß, wenn ich das nicht tun sollte, sonderlich zu einer Zeit, wo der apostolische Christus, an mehr als einem Ort, den Menschen aus den Augen gerückt und ein andrer untergeschoben wird, aus dem man nicht klug werden kann, und der freilich keine Wunder tut, und nichts ist; denn sie können ihn ja nicht mehr machen als sie sind, wenn sie ihn nach ihrer Vernunft modeln, und nicht lassen wollen, was er ist und wie er uns von Gott gegeben worden.

Wer nun den siebenten Teil haben will, und beiFriedr. Perthes in Hamburg, bei mir oder andern sichern Leuten, die sich damit befassen wollen, 3 Mk. bis Weihnachten pränumeriert, soll ihn zu Johannis und vielleicht schon zur Ostermesse haben.


Wandsbeck den 30. Sept. 1802.

Matthias Claudius.


(S. die Hamb. Zeitungen vom 13. Okt. 1802.)
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Vorrede

Kupfer sind diesmal nicht zu erklären, und das übrige erklärt sich selbst.

Das S. 540 haben die hiesigen Armen 1793 an ihre Wohltäterin gemacht. Ihre Wohltäterin ist seitdem gestorben, und sie haben mich gebeten, es ihr im Grabe zu Lob und Ehren mit drucken zu lassen.

S. 552 etc. sind Übersetzungen aus dem Lateinischen und Englischen. Das übrige besagt das Postskript.

S. 541 und 545 etc. ist schon sonst gedruckt gewesen.

S. 573 etc. ist für Unmündige. Verderbet es nicht, es ist ein Segen darin. 61

In dem Valet S. 598 etc. wird etwas Ähnliches gehandelt, aber auf andre Art. Übrigens ist das Valet ein Valet an meine Leser. Es spinnt sich zwischen Schriftsteller und Leser, wenn sie es gut miteinander meinen, eine Art Liebe und Anhänglichkeit an, und ich konnte den Botenstab nicht niederlegen, ohne förmlich Abschied zu nehmen und noch ein gut freundlich Wort zu sagen.

Wiehert doch ein Pferd, wenn es von seinen Genossen getrennt wird.

Eine asiatische Vorlesung

Das Wort asiatische scheint hier etwas zweideutig zu sein, und möchte vielleicht so genommen werden, als ob die Vorlesung aus Asien, oder der Vorleser ein Asiate wäre. Dem muß ich aber förmlich widersprechen, weil es die Zuhörer am Verstehen hindern und irren könnte, und doch auf gewisse Weise daran gelegen ist, daß man verstehe, was vorgelesen wird.

Der Vorleser ist kein Asiate, und die Vorlesung ist nicht aus Asien; sie heißt bloß darum asiatisch, weil sie es mit Asien zu tun hat und von asiatischer Gelehrsamkeit, Kunst und Weisheit, die lange Zeit verborgen und unbekannt gewesen ist, Nachricht geben will.

Sollte es jemanden einfallen zu fragen: wie ich zu der asiatischen Weisheit, die lange Zeit verborgen und unbekannt gewesen [499] ist, komme, da ich von der europäischen, die je und je offenbar und bekannt war, nicht ein Wort weiß; dem weiß ich nichts anders zu antworten, als daß die Wissenschaften nicht aus Europa nach Asien, sondern aus Asien nach Europa gekommen sind, und ich am rechten Ende anfange und dem Strom folge. Übrigens kann der Leser unbesorgt sein, ich weiß von der asiatischen Weisheit so wenig als von der europäischen, ich will aber auch nicht selbst reden, sondern nur andere Leute, die mehr davon wissen, reden lassen.

Baco sagt irgendwo, daß es den Produktionen der Gelehrten in dem »Fluß der Zeit« ergehe, wie den Produktionen der Natur, dem Golde und dem Korkholz, in der Elbe und in einem jeden andern Fluß; nämlich das Gold sinkt und geht zu Grunde, und die Korkhölzer bleiben oben und treiben so den Fluß hinab.

Es ist das, dünkt mich, sehr artig gesagt, wenn es wahr wäre. – Aber, wenn denn die Ballen des erleuchteten Jahrhunderts kommen, das wird 'n Treiben werden ... und der »Fluß der Zeit« wird zu tun haben, daß sie sich nicht stopfen.

Doch das geht uns nicht an, wir haben es hier mit Ballen zu tun, die aus dem Grund wieder heraufgebracht worden sind, und noch heraufgebracht werden sollen.


Die Leser werden sich erinnern, daß, wo ich nicht irre, der König von Frankreich Ludwig der Vierzehnte, der auf seinen ewigen Feldzügen und Kriegen manche Bibliothek in Europa beschädiget und ruiniert hatte, Leute nach Asien geschickt hat, um andere Bücher wieder zu suchen. Nämlich man konnte wohl denken, daß in einem so großen Lande, als Asien ist, Schriften und Bücher sein müßten. Man wußte das auch aus den alten arabischen, griechischen und lateinischen Schriftstellern. So hatte auch Alexander, den sie den Großen nennen, in Persien bei den Priestern Bücher und Schriften angetroffen, davon er ein Teil verbrannt und ein Teil geraubt und mitgenommen hat, als ob man bei andrer Leute Sachen nur so zulangen und mitnehmen könnte. Ist aber auch kein Segen dabei gewesen, denn kein Mensch hat weiter von diesen Büchern und Schritten gehört, noch erfahren, wo sie hingekommen und was aus ihnen geworden wäre.

Man wußte also, wie gesagt, schon aus alten Zeiten, daß Bücher und Schriften in Asien wären; und die Nachrichten, die neuere Gelehrte, die dahin verschlagen waren, und sonderlich [500] die päpstlichen Missionärs bei den verschiedenen Völkern Asiens, darüber mitteilten, bestätigten es, und machten die Aufmerksamkeit der Europäer mehr und mehr rege. Es schickten denn mehrere europäische Könige, Fürsten und Regenten Leute nach Asien, die sich näher darüber und darum erkundigen sollten. Auch unser geliebter König, Friedrich der Fünfte, schickte seinerzeit eine ganze Gesellschaft von Gelehrten dahin, um gewisse bestimmte Nachrichten zu holen, und sonst überhaupt Merkwürdigkeiten dortiger Gegend zu sammlen und mitzubringen; aber sie kamen nicht zurück, oder, wie der Dey von Algier neulich an seinen Freund jenseit des Meers schrieb, Gott wollte, daß sie alle in Asien umkommen sollten, bis auf einen, der denn desto fleißiger gewesen ist.

Es reisten auch wohl von Zeit zu Zeit gelehrte und wißbegierige Leute nach Asien, die nicht hingeschickt waren, und suchten und sammleten auf ihre eigne Hand, und unter diesen auch ein gewisser Anquetil du Perron, dem es zwar mit Indien nicht glücken sollte, der aber, was Hyde vor ihm in Persien schon ausrichten wollte, vollständig ausgerichtet, und uns, durch seinen Mut und seine Beharrlichkeit, die Urkunde der alten Parsenreligion, in europäischer Sprache, glücklich geliefert hat.

Nämlich es war das so leicht nicht getan, und dem Gedeihen aller solcher Bemühungen stunden, in Hinsicht der religiosen Weisheit Asiens, zwei Haupthindernisse im Wege; eins: daß die Religionsschriften aller der Völker Asiens in Sprachen geschrieben sind, die wenige Leute mehr verstehen und die schwer zu lernen sind; und zweitens: daß die Priester diese Schriften nicht hergeben wollten, und gegen die Europäer scheu und zurückhaltend waren, das man ihnen, so wie sich die Europäer im ganzen in den andern Weltteilen betragen haben, auch nicht verdenken noch übelnehmen kann. Zu Kirman wußte indes Anquetil diese Hindernisse zu überwinden, und in Indien sind sie vorher schon, sonderlich von Engländern, z.E. dem liebenswürdigen Hollwell 62 und andern mehr oder weniger überwunden worden, bis endlich ein Institut, das nicht um der asiatischen Kenntnisse willen errichtet war, dazu dienen mußte, diese Kenntnisse näher an uns zu bringen. Nämlich die Beamte derEnglischen Ostindischen Kompanie, die an Ort und Stelle waren und Geld und Ansehen und überhaupt alle nötigen Mittel in Händen hatten, machten es sich seit 20–30 Jahren zum Geschäft, sowohl die Altertümer [501] und Merkwürdigkeiten Indiens und der angrenzenden Länder aufzusuchen und darüber von den Beikommenden Erkundigungen einzuziehen, als auch dieSanskritsprache zu lernen und das Vertrauen der Brahminen zu gewinnen. Und das letzte ist ihnen, durch ein aufrichtiges edles Benehmen, wie der Generalgouverneur Warren Hastings in der Vorrede zu derBaghat Gita sagt, so gut gelungen, daß sie Kopien von verschiedenen Stücken der alten Religionsschriften Indiens, sogar der Vier Bengalischen Haupt-Vedas, in Händen haben, auch daraus schon mehr als eine Probe in englischer Sprache herausgegeben haben, und nun zu allen Schriften der Brahminen freien Zutritt haben etc. wie das alles aus den, von der zu dieser Absicht 1784 zu Kalkutta gestifteten Gesellschaft in 7 Quartbänden herausgegebenen Asiatick Researches, und aus dem daraus zu London in 6 Oktavbänden gemachten Auszug, damit sich unsereiner behelfen muß und der auch nur bei den Zitationen gemeint ist, mit mehrern erhellet.

Die Chineser halten noch am meisten zurück; doch haben auch hier, sonderlich die Franzosen ziemlich vorgearbeitet und geerntet, so wie unser Landsmann Kämpfer in Japan usw.

Auf solche Weise haben wir seit hundert Jahren eine große Menge Schriftsteller und Schriften über Asien erhalten, und sind in den Besitz von Nachrichten gekommen, die unsre Vorfahren nicht hatten, und die zum Teil äußerst merkwürdig sind. Der fleißige Thomas Maurice hat am Ende noch über alles, Altes und Neues, Buch gehalten, und eine Geschichte von Indien stellen wollen 63 usw.

Ich weiß wohl, daß die Gelehrten alles dies wissen, und alle diese Bücher gelesen haben, aber einmal darf ich unter meinen Lesern dergleichen gelehrte Leser nicht vermuten; und denn so wird Öl zum Brennen und Leuchten gebraucht, es kann aber auch zumEinmachen und rostige Schlösser einzuschmieren gebraucht werden; und am Ende hört sich eine Geschichte, die uns gerade in den Weg kommt, wohl noch zum zweitenmal wieder, sonderlich wenn sie auf die Schnur gezogen ist, und so viel Interesse hat, als ein groß Teil dieser Nachrichten für einen jeden rechtlichen Menschen notwendig haben muß.

Ich wollte, daß ich den Gesamteindruck von Asien, den das wenige, was ich davon gelesen habe, mir gemacht hat, meinen Lesern mitteilen könnte, so wohltuend ist er; aber es geht mir [502] damit, wie sans comparaison dem heiligen Augustinus mit der Zeit; solange ihn niemand fragte, wußte er was sie sei, fragte aber jemand und er wollte Antwort geben, so konnte er's nicht. 64

Die wahre Religion und das Geschlecht der Menschen ist in Asien entstanden; die Quelle ihrer Urkenntnisse sprudelte in Asien zuerst, und man sieht hier rundum an den Büschen und Steinen noch die dicken Tropfen hängen.

Die Bibel gibt uns Nachricht von der Schöpfung der Welt, von dem Fall und der Verführung des Menschen durch das Prinzipium des Bösen, von den ersten Menschengeschlechtern, von der Sündflut, von der Zerstreuung der Menschen und Völker usw. Und alle diese große Begebenheiten, welche die christliche Religion zum Teil voraussetzt und zum Teil darauf sich gründet, hallen in den ältesten Schriften der asiatischen Nationen wider.

Gott weiß, daß ich um einen neuen Beweis für die Wahrheit der Religion nicht weit gehe; aber ich kann es doch nicht gleichgültig anhören, wenn Parther und Meder und Elamiter, Kreter und Araber etc. die großen Taten Gottes reden; wenn die Söhne eines Vaters Dinge aus dem väterlichen Hause, die ihnen zum Teil nicht sehr zur Ehre gereichen, alle aus einem Munde erzählen. Und ich dächte, die Leute, die in dem Sattel ihrer Philosophie so fest und sicher sitzen daß sie von allen diesen Dingen und von dem was sich darauf gründet nichts wissen wollen, sollten die Zeit daran wagen, und den Gurt und die Steigriemen doch lieber noch einmal nachsehen.

Sie wollen z.E. von keiner Sündflut wissen. Nun, wenn keine Sündflut gewesen wäre, so wäre keine gewesen, und wir brauchten keine zu glauben. Wenn nun aber die Weltkugel auswendig so aussieht, als wenn eine gewesen wäre: man darf sie nur auf der Landkarte ansehen; sieht sie doch mit allen ihren Spitzen und Winkeln, ihren zerrissenen Küsten und Inseln aus – nicht wie ein κοσμος oder Mundus aus der Hand des Meisters – sondern wie eine verunglückte Entreprise und wie eine Welt-Trümmer undRuine; wenn ferner ihre inwendige Gestalt, soweit wir sie kennen, nach dem Urteil von Leuten, die doch so viel davon wissen als die Ungläubigen und Krittler, auf eine Begebenheit, wie die Sündflut beschrieben wird, hindeutet 65; und [503] wenn nun dazu die ältesten Annalen aller Völker, jede auf ihre Art, aber alle ohne Ausnahme, von einer solchen Begebenheit sprechen, auf die schwerlich ein Mensch a priori gefallen wäre; so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß einmal etwas der Art vorgefallen und geschehen ist, und es ist doch närrisch, daß sie es leugnen wollen, bloß weil sie nicht mit dabeigewesen und mit ersoffen sind.

Es wird nicht so übel getan sein, denke ich, aus den alten Urkunden der asiatischen Völker, die gleiches Alters mit der Mosaischen sind, eine und die andre Erzählung von allen diesen großen Begebenheiten anzuführen, daß man, wenigstens, sehe, wie sie sich zu der – Weisheit will ich nicht sagen, denn dazu gehören Augen wie sie nicht in unsern Köpfen sitzen – sondern zu der äußern Sublimität und Einfalt der mosaischen Erzählungen verhalten.

Über die Schöpfung hat eines der ältesten Sanskritbücher, das Gesetzbuch des Menu, folgendes:

»Dies Universum existierte, als es noch nicht auseinandergebreitet war, bloß in der ersten göttlichen Idee, wie in ein Dunkel eingewickelt, unvernehmbar und unbestimmbar, unentdecklich durch Vernunft und unentdeckt durch Offenbarung, als schlummerte es in einem tiefen Schlaf.

Dann erschien die einzige selbstexistierende Kraft, die selbst ungeschieden, aber die Welt durch fünf Elemente und andre Naturprinzipien scheidend, mit unverwelkter Herrlichkeit und wickelte ihre Idee auseinander, oder zerstreuete das Dunkel.

Er, den die Seele allein vernehmen kann, dessen Wesen den äußern Organen entgeht, der keine sichtbaren Teile hat, der von Ewigkeit existiert, eben Er, die Seele aller Wesen, den kein Wesen begreifen kann, brach leuchtend hervor in Person.

Er, der beschlossen hatte, verschiedene Wesen aus seiner eignen Substanz hervorzubringen, schuf zuerst durch einen Gedanken die Wasser.

Die Wasser wurden Nara genannt, weil sie die Produktion des nara oder des Geistes Gottes waren: und da sie auch sein erster Ayana oder Bewegungsort waren, wird er daher narayana genannt oder der sich auf dem Wasser Bewegende.

Aus dem was ist, der ersten Ursache, die nicht der Gegenstand der Sinne ist, die in Substanz allenthalben existiert, für unsre Wahrnehmung nirgends, ohne Anfang oder Ende, ward das göttliche Mannsbild gemacht.

[504] – Er bildete den Himmel oben und die Erde unten: in die Mitten stellte er den feinen Äther, die acht Regionen und das bleibende Behältnis der Wasser.

– Er bildete alle Geschöpfe.

– Er beschied auch anfangs allen Geschöpfen verschiedene Namen, verschiedene Arten der Tätigkeit und verschiedene Beschäftigungen.

– Er gab Dasein der Zeit, und den Abteilungen der Zeit, den Sternen auch und den Planeten, den Flüssen, Meeren und Bergen, den flachen Ebenen und den unebnen Tälern, dem Gottesdienst, der Sprache etc. denn er wollte die Existenz aller geschaffenen Dinge.

Damit handeln und handeln nicht gleichgültig sei, machte er eine totale Verschiedenheit zwischen Recht und Unrecht.

– Da er seine eigne Substanz geteilt hatte; so ward die mächtige Kraft halb männlich und halb weiblich.

Er, dessen Gewalt unbegreiflich ist, ward, nachdem er das Universum geschaffen hatte, wieder in den Geist verschlungen, und verwechselte die Zeit der Wirksamkeit mit der Zeit der Ruhe.« 66

Die alten Schriften der Parsen teilen die geschaffene Welt in die himmlische und irdische, unsichtbare und sichtbare. Ormuzd ist das erste der Wesen und Urquell alles des was lebt und ist. Der himmlischen Geschöpfe oder Geister sind zwei Ordnungen: Amschaspands, die zunächst um Ormuzds Thron stehen; ihrer sind sieben, und er ihr König: die zweite Ordnung der guten Geister sind die Izeds, zum Segen der Welt und zum Schutz der Reinen geschaffen; ihre Zahl ist unbestimmt.

»Die sichtbare Welt, Himmel und Erde, ward in sechs Zeitfolgen geschaffen, und die Amschaspands waren dabei wirksam.

1) Zuerst schuf Ormuzd das Licht zwischen Himmel und Erde; und Stand- und Irrsterne.

2) Darauf das Wasser, welches die ganze Erde bedeckte – und durch himmlischen Wind – in die Höhe getrieben wurde, daß sich Wolken bildeten.

3) Alsdann ward die Erde. Hier war Ahriman, das Prinzipium des Bösen, mitgeschäftig, wie auch beim Wasser; denn diese Elemente haben schon Finsternis, und Finsternis kommt von Ahriman.

4) Ferner wurden Bäume aller Art geschaffen.

[505] 5) Fünftens wurden die Tiere. Zuerst ward ein Stier gebildet. Dieser starb – und aus seinem Samen, den die Izeds in den Mondhimmel brachten, ward, nachdem er durch dessen Licht gereiniget worden war, ein neuer Körper gebildet, und ein neues Paar, das Vater und Mutter aller Tiergeschlechter die nur auf Erden sind, der Vögel in den Wolken, und der Fische im Meer, wurde.

6) Endlich wurden Menschen. Nach den Zendbüchern ist der Keim zum ersten Menschen auch aus dem Stier. Das Parsensystem läßt nichts aus nichts werden. Alles muß Keim und Samen seines Werdens vorher haben. Der erste Stier ist ihnen ein wichtiges, hohes, vielsagendes und heiliges Bild; er enthält den Keim und Samen von allem was unter dem Himmel lebt und wächset. Alle Arten von Geschöpfen haben ein Erstes, Oberstes, einen Mittelpunkt, worin sich alles vereinigt, und woraus, wie aus dem Mittelpunkte, alles ausgeflossen ist; Menschen haben Keiomorts, Berge haben Albordj, Wasser haben Arduisur oder Bordi der Wasser usf. So ist wieder von allen Geschöpfen, die entweder wie Pflanzen, oder wie Tier oder Mensch leben, der erste Stier der allgemeine Quell. – Den Urvater des Menschengeschlechts nennen sie Keiomorts; er war lichtglänzend, mit himmelanschauenden Augen, rein durch seinen Feruer. – Ahriman brachte ihm den Tod; und, wie er starb, weissagte er den künftigen Triumph des Menschengeschlechtes über Ahriman. – Aus seinem Samen wuchs ein Zwitterbaum, den Ormuzd zu einem Doppelmenschen bildete, und der, statt Früchte, zehn Menschenpaare trug. Das erste Paar war Meschia und Meschiane, des ganzen Menschengeschlechtes Stammeltern.« 67

Übrigens ist das Buch, das die eigentliche Kosmogonie der Parsen enthält, nicht mehr vorhanden, vielleicht von Alexander dem Großen verbrannt oder mitgenommen, oder sonst verloren worden. Denn ihrBundehesch ist nicht im Zend, sondern nur in Pelvi geschrieben, und scheint mehr eine Sammlung von Bruchstücken oder Erklärungen einer ältern Schrift zu sein, die sie nicht mehr haben.

Die Tibetaner sprechen von einem himmlischenBaum, der unsterbliche Früchte trägt neben großen Felsen, aus denen sich vier heilige Flüsse ergießen. Auch aus den Vedas, dem Leben des ersten Menu, dem indischen Adam, und dem goldenen Weltalter der Indier etc. könnte man vieles, das aufs Paradies etc. paßte, [506] ohne alle Schwierigkeit herbeiziehen; wir wollen aber nur das nehmen was von selbst kommt.

Die Poeriodekeschans, d.i. Menschen des ersten Gesetzes, in den Schriften der Parsen, scheinen aber wohl ohne Bedenken auf die Patriarchen vor der Sündflut gemeint zu sein.

Den Fall des Menschen erzählen die Vedas in Bildern, die den mosaischen sehr ähnlich sind.

Die parsischen Schriften haben von dem Meschia und der Meschiane, die aus dem Keiomorts geworden waren, folgendes: »Ihnen war der Himmel bestimmt unter der Bedingung der Reinigkeit in Gedanken, im Reden und im Tun und Lassen, und daß sie keineDews (böse Geister) anbeteten. Anfangs sagten sie: von Ormuzd kommt alles Gute, und was reine Wurzel und reine Frucht hat. In der Folge bemächtigte sichPretiare Ahriman ihrer Gedanken und gab ihnen ein: es sei Ahriman, der alles geschaffen habe. Das glaubten sie, und Ahriman betrog sie durch Irrtum in der Lehre von den Dews, und durch den Glauben an ihn wurden Meschia und Meschiane Darvonds 68 (Böse, Ahriman ähnlich, unglücklich).« Und zwar wurde, nach den Urkunden der Parsen, Meschiane, das Weib, zuerst und darauf Meschia, der Mann, von Ahriman verführt.

Den Ahriman, oder das Prinzipium des Bösen beschreiben diese Bücher so:

»Ahriman, geschaffen vom Ewigen nach Ormuzd, war anfangs gut und kannte das Gute, wurde aber durch Neidsucht gegen Ormuzd, Dew, arg, Quell, Grund und Wurzel alles Unreinen, Argen, Bösen. Sein Licht wandelte sich in Finsternis; im Lichtreich der Schöpfung wurde Schatten. Die Zerrüttung seines Wesens aus Licht in Finsternis kam nicht vom Ewigen, sondern aus und durch ihn. Durch ihn wurde dieFinsternis geboren, Same alles Bösen, Argen, des Todes; sobald er Dew wurde, stürzt' er aus der Höhe und wurde vom Abgrund der Finsternis verschlungen, bis auf die Wurzel des Wesens böse; Ormuzd ist im Wesen Licht und wohnt im Lichtreich höher denn die Himmel, und Ahriman ist im Wesen Finsternis, d.i. Laster, Zerrüttung, Argheit selbst, und seiner Wohnung Sphäre, alles was ihn umhüllet, ist Finsternis der Finsternisse, in Duzakhs Tiefen ist sein Thron; so weit Finsternis reicht, so weit ist er König, grausamer Gewalthaber. Seine Kenntnis ist groß, aber durch Finsternis beschränkt; seine Macht, als des zweiten nach Orzmuzd, ist ausgedehnt, [507] reicht aber nicht bis zu Ormuzds Erhabenheit in Licht und Glanz.

Aller seiner Neigungen Wurzel ist ewige Grundfeindschaft gegen alles Gute, was durch Ormuzds Herrlichkeit erzeugt wird; er, als mächtig wirkendes Wesen, symbolisierte Finsternis, ist in beständigem Kampf gegen das Licht, wenn und wieweit es ihm gegeben ist. Durch ihn wird alles Böse: wie nichts Reines, Gutes, Seliges in der Welt sein kann, ohn aus Ormuzds Lichtquell zu fließen; so steigt alles Bösen Grund von Ursach zu Ursach bis in seinen Abgrund. Sein Sinnen und Dichten endet sich in beständigem Streben und Wirken zur Erweiterung seines Reichs; darum vergiftet er mit seinen Dews die ganze Natur, Pflanzen und Tiere und Menschen, durch Krankheiten, Seuchen, Plagen, und besonders streuet er Samen zu unreinen Gedanken, schwarzen Begierden in der Menschen Herz, als wodurch sein und der Dews Reich an Umfang und innerer Macht recht eigentlich großer wird. Er durchstreift die Welt, um überall Irrtum, Tod und Laster auszustreuen; denn hiemit ist er stets schwanger, und ist der einzige, der unter denIzeds im Himmel erscheinen darf. Wo er einen Menschen findet mit großer Kraft und Heldeneifer für des Guten Vermehrung in Ormuzds Lichtwelt, dem ist er todfeind, der bloße Gedanke oder Anblick desselben macht ihn blaßgelb; er wagt alles gegen ihn, vermag aber nichts, denn der Streiter fürs Gute gehört zu Ormuzds geliebtem Volk, hat aller Licht-Izeds Schutz für sich. – Seines Wesens Bild ist derSchlangen-Drache 69

Was die Sündflut anlangt, da bestätigen die ältesten klassischen Schriften der Asiaten sowohl die Flut als die Sünde, das heißt, sowohl das Faktum als die Veranlassung.

Die Sineser fangen ihre Zeitrechnung an: »von der großen Flut, wo das Wasser gekommen und überall geflossen ist, und sich denn wieder gesetzt und das ältere Menschenalter von dem neuern getrennt und der Welt eine neue Gestalt gegeben hat.« Sie erzählen an einem andern Ort: »von einer großen Flut, die sich bis zum Himmel erhob, über die Berge und Anhöhen; die große Verwüstungen anrichtete, und darin die erschrockenen Völker durchs Wasser umkamen.«

Kongkong veranlaßte diese Flut, und wollte die Herrschaft der Welt an sich bringen. Dieser Kongkong hatte übrigens das Antlitz eines Menschen, den Körper einer Schlange und rotes [508] Haar; er war hochmütig und grausam, und ein Feind und Verfolger der Menschen.

In den alten Schriften der Indier ist die Sündflut ein halber locus communis. Ankündigung derselben, Arche, Zurüstung zum Eingehen, Eingang, Fahrt, etc. von allem ist darin an mehr als einem Ort die Rede, und sie haben einen ganzen Purana der umständlichen Erzählung dieser Begebenheit gewidmet. Sie nennen die Sündflut Praleyam oder Vellepraleyam d.i. die Zerstörung der Welt durch Wasser, und beschreiben weitläuftig die Versuche und Künste welche die bösen Geister angewandt haben, die Welt durch Wasser zu zernichten, und daß Vischnu, wie er immer bei Übergewalt des Bösen tut, eine sichtbare Gestalt angenommen und den Satyavrata, den Gerechten selb acht Personen, von dem allgemeinen Verderben gerettet habe.

In der ersten Purana des Bhagarat wird, unter andern sonderbaren Dingen die Sündflut betreffend, auch erzählt: der böse Dämon Hagagriva habe die Religionsbücher gestohlen gehabt, sie wären aber dem Satyavrata, der in einem sonderlichen großen Fahrzeug, mit sieben Heiligen und Paaren unvernünftiger Tiere, von dem allgemeinen Untergang gerettet wurde, von Vischnu wieder zugestellet und ihm die Kenntnis des Wesens der Wesen, als ein Geheimnis das er bei sich bewahren und nie aussprechen sollte, mitgeteilet worden.

In Ansehung der Wiederbevölkerung der Erde und der Zerteilung und Zerstreuung der Menschen und Völker, darüber die Bibel nur Winke gibt, scheinen die alten asiatischen Schriften auch mehr zu winken als zu sprechen. Sie sprechen zwar von einer gedoppelten Nachkommenschaft des Satyavrata, Kindern der Sonne die von seinen Söhnen, und Kindern des Mondes die von seiner Tochter abstammen, geben gewisse Generationen und Völker an, die da und dort hingekommen wären; aber es ist so dunkel und unbestimmt, daß man nicht recht sieht, ob es historisch oder bloß mythologisch zu verstehen sei. Ein fleißiger Forscher der alten Geschichte 70, will indes aus den alten sinesischen Schriften herausgefunden haben, »daß Yao-tang, Stifter dieses Reichs, 171 Jahr nach der Sündflut, aus dem Lande Sennar, wo der Babylonische Turm war, nach Cang-kin bis an den Berg Hao, die diesem Geschichtschreiber Maßa und das Gebirge Sephar, die erste Wohnung der Nachkommen Hebers, zu sein scheinen, gezogen sei, von wo er 50 Jahre hernach weiter nach Sina gegangen [509] ist und die Verwüstungen, welche die Flut angerichtet hat, verbessert hat etc.« welcher Zug sich mit den Mosaischen Nachrichten recht gut reimen ließe.

Was übrigens die Bibel von Noah rundheraus erzählt, das gibt die Padma Pura der Indier so:

»1) Dem Satyavarman, dem Herrn der ganzen Welt, wurden drei Söhne geboren, genannt Scharma, denn Charma und drittens Jyapeti.

2) Sie waren alle gutgesittete Leute, trefflich in Tugend und tugendhaften Taten, geübt in Waffen zum Hau oder Wurf; tapfere Leute und siegbegierig in Schlachten.

3) Aber Satyavarman, der unausgesetzt in heiliger Betrachtung seine Freude suchte, sahe, daß seine Söhne zum Herrschen geschickt waren, und legte die Last der Regierung auf sie;

4) Indes er die Sorge für die Götter und die Priester und die Kühe für sich behielt. Eines Tages durch ein Verhängnis verlor der König, als er Met getrunken hatte,

5) Die Besinnung und lag und schlief nacket. Da ward er von Charma gesehen, der seine zwei Brüder herbeirief,

6) Und zu ihnen sagte: ›Sehet, was ist das? In welchem Zustand ist dieser unser Herr?‹ Diese zwei bedeckten ihn mit Kleidern, und brachten ihn nach und nach wieder zu Besinnung.

7) Als er seinen Verstand wiedererhalten hatte und alles erfuhr was geschehen war, verfluchte er den Charma und sagte: ›Du sollst der Knecht der Knechte sein.

8) Und weil du in ihrer Gegenwart ein Lacher warest, sollst du vom Lachen einen Namen haben.‹ Darauf gab er dem Scharma das große Gebiet im Süden der Schneeberge,

9) Und dem Jyapeti gab er alles im Norden des Schneeberges; er aber gelangte durch die Kraft religioser Beschauung zur höchsten Seligkeit.« 71

Der Präsident der Kalkutter scheint bei dieser Gelegenheit für das Ansehen Moses besorgt gewesen zu sein, denn er fügt der Übersetzung dieser indischen Erzählung die Anmerkung hinzu: »Man könne aus ihrer Ähnlichkeit mit der Mosaischen keinesweges folgern, daß Mose irgendeinen Teil seines Werks von den Ägyptern geborgt habe; er sei ohne Zweifel in aller Weisheit der Ägypter, so wie sie denn war, bewandert gewesen; er habe aber geschrieben, was er selbst Wahrheit wußte, unabhängig von ihren Erzählungen, darin Wahrheit mit Fabeln gemischt war;[510] auch könnten alle Lebensumstände des Patriarchen wohl durch Tradition von Vater auf Sohn gekommen sein.«

»Von den Ägyptern«, sagt er vermutlich, weil die eine indische Kolonie waren und also die Wissenschaft des Mutterlandes mit sich nach Ägypten gebracht hatten. Aber Mose hat seine Nachrichten sowenig von den Ägyptern und Indiern genommen, als die Indier die ihrigen von ihm nehmen konnten, und die ganze Besorgnis ist unnötig. Die Indier konnten nicht von Mose nehmen, weil ihre Schriften so alt als Mose, und einige, wie Herr Jones in der Vorrede zu Menus Gesetzen zu beweisen sucht, noch gegen hundert Jahre älter sind; und Mose hat nicht von den Indiern genommen, weil er viel kürzer und aus der ersten Hand dazu konnte. Denn »daß die Lebensumstände des Patriarchen von Vater auf Sohn fortgepflanzt wurden« konnte wohl nicht bloß sein, sondern ist wohl sonder allen Zweifel. Die Altväter nach Noah und ihre Traditionen waren aber älter als die Indier, und daher konnten sie freilich ihre Nachrichten haben. Daher hätte Mose, wie gesagt, die seinigen auch haben können, und vielleicht hat er auch daraus genommen, was und wieviel er gut fand. Übrigens braucht's des alles nicht, denn Mose hatte eine Erkenntnisquelle, die ihm alle andre unnötig und überflüssig machte. Wir kehren zu der Art und Kunst Asiens zurück.


Die großen Urkenntnisse sind zwar von hier aus mit den Menschen und Völkern in alle Lande und Weltgegenden gezogen, und wir finden sie in den Mythologien aller Völker wieder; aber sie scheinen hier, an der Wurzel, kräftiger und blühender hervorzutreiben, und auf den Zügen und Wanderungen mehr oder weniger verwittert zu sein.

Der Riese Ephialtes z.E. und seine Gehülfen, die wider die Götter zu Felde zogen und den Himmel stürmen wollten, hatten bei den Römern hundert Arme, und sie streckten sie freilich auch in der römischen Mythologie alle vergebens aus; aber der indische Ephialtes, Baratscherem der Sohn Bali, hattetausend Arme, die Krischna ihm alle abhaute bis auf zwei, mit denen er huldigen mußte. So ist auch die winzige Halbgaleere auf der Kehrseite einiger alten Münzen des Saturns aus der großen prächtigen Bhahitra oder Arche, wie sie in den Vedas beschrieben wird, sehr zusammengeschmolzen, wenn nämlich Herr Jones, der sie mit Bochart von der Geschichte Noahs herleitet, recht haben sollte. Darin hat er wenigstens nicht unrecht, daß die Erklärung [511] des Ovids von dieser Halbgaleere: damit nämlich nicht vergessen werde daß Saturn in Italien zu Wasser angekommen sei, etwas mager ist; denn es hatte allerdings, wie Herr Jones sagt, seine Schwierigkeiten, von Griechenland aus in Italien zu Pferde anzukommen.

Ferner scheinen die alten Asiater das Eigentümliche zu haben, daß ihre Werke nicht so sehr für andere Leute, auf Schau, Beifall und Parade berechnet sind.

Dies gilt auch von ihren Kunstwerken, die mehr Kühnheit und Beharrlichkeit in sich, als nach außen, verraten.

Zum Exempel die Wunderwerke zu Iugernat und Ilura, auf Salsette und Kalpuri sind nicht etwa große, prächtige, in die Augen fallende Bauten über und auf der Erde, sondern sie sind in die Berge und Felsen hineingehauen, und von den Bergen zugedeckte Schätze; und doch sagt Sonnerat, daß die ägyptischen Pyramiden nichts gegen sie sind, und auch der sinnige Niebuhr meint, daß jene leichter gefertigt werden konnten. Es gibt freilich auch in Afrika dergleichen unterirdische Werke; die aber muß man als Nachahmungen der asiatischen Bescheidenheit ansehen.

Die Pagode auf der kleinen Insel Kalpuri oder Elephanta bei Bombay wird für die älteste von allen Pagoden in Indien gehalten, und ist eine in den Felsen hineingehauene Höhle von ca. 130 Fuß Breite und Tiefe, und 18 Fuß Höhe. Vier Reihen von auf einem viereckigten Piedestal ruhenden Säulen, die man, beim Aushauen, von dem Felsen hat stehen lassen, tragen die Decke, die in Salsette gewölbt, hier auf Kalpuri aber flach ist; und die hintere Wand ist von einem Ende zum andern mit Basreliefs und 40–50 Ronde-Bosse-Figuren von 12 bis 15 Fuß Höhe, die hinten mit der Wand zusammenhangen, bedeckt. Die Hauptfigur ist die Trimurti, oder Dreieinheit, 18 Fuß hoch, und zwischen den Schultern gegen 20 Fuß, und das Gesicht der mittelsten Gestalt 4 Fuß, breit. An den Seiten dieser Höhle und hinten sind mehrere Nischen und Kammern, alle voll Figuren zum Teil 12 Fuß und drüber hoch, und linker Hand halbweg die Höhle hinein ist noch ein Zimmer von 30 Fuß im Quadrat mit 4 Eingängen und einem Altar in der Mitte; und zu beiden Seiten eines jeden Eingangs steht eine Figur von ca. 14 Fuß Höhe etc. alles aus dem harten Felsen gehauen.

Dergleichen Werke finden sich in Indien nicht wenige, die zwar nicht alle genau auf einerlei Art eingerichtet, aber alle mit [512] Tempeln und einer Menge Bilder und Vorstellungen ihrer Götter und Göttergeschichte versehen sind. Gewöhnlich sind sie mit einer doppelten starken Mauer in Quadrat umgeben, von solchem Umfang, daß mehrere Lustwäldchen und Reinigungsteiche mit eingeschlossen sind.

In den weitläuftigen Ruinen zu Mawalipuram, die auch die Sieben Pagoden genannt werden, sind unter andern die 10 Avataars, Inkarnations des Vischnu, abgebildet, und er selbst liegt hier, in einem der verschiedenen Tempel, in Riesengestalt und schläft mit einer ungeheuern in sich gewundenen Schlange unter dem Kopf.

Zu Ilura scheint das indische Pantheon gewesen zu sein, das aber in einem etwas andern Stil ist als das zu Rom. Nämlich Ilura ist ein großer Berg in Gestalt eines Hufeisens an beiden Seiten mit hohen steilen Felswänden. In diese Wände sind nun Tempel, größere und kleinere, einige mehrere Etagen hoch, Säulengänge, Gemächer, Kapellen etc. bei hunderten eingehauen, so daß man, sagt Thevenot, einige Stunden an dem Berg hingehen kann und immer solche Wunderwerke neben sich und zur Seite hat. An den hintern Wänden ist hier unter andern der ganze Pandawen-oder Gigantenkrieg ausgehauen, und andere Vorstellungen und Bilder ohne Ende und Zahl. Sonnerat sagt von den Pagoden zu Salsette und Ilura, daß sie und die Tausende von Figuren, Basreliefs und Säulen, womit sie geziert sind, und die alle mit dem Meißel und Hammer in den lebendigen Felsen hinein- und ausgehauen werden mußten, wenigstens tausend Jahre einer ununterbrochen fortgesetzten Arbeit verkündigen, und daß die Zeit wenigstens dreitausend Jahre habe nagen müssen, um das davon abzunagen, was sie davon abgenagt hat. Indes möchte hier, wenn nicht das Alter selbst, doch die Art es zu berechnen etwas unsicher scheinen, da bei der zu der Arbeit erforderlichen Zeit die größere oder kleinere Zahl der Arbeiter natürlich mit in Anschlag kommt, und beimNagen das Augenmaß leicht trügen könnte.

Alle diese Pagoden werden itzo nur noch von Einsiedlern und Büßenden besucht, sonst aber nicht mehr gebraucht, und man weiß die Zeit nicht, wann sie aufgehört haben, Tempeldienste zu tun, viel weniger die Zeit, wann sie gemacht sind. Die Indier erzählen, es wären einen Abend, man wüßte nicht wann, einige himmlische Wesen gelandet, und den andern Morgen sei alles fertig gewesen.

[513] Eine Bemerkung darf hier nicht übergangen werden, daß nämlich die Bilder und Vorstellungen der verschiedenen Götter in diesen alten Pagoden vollkommen und genau so sind, wie die, welche man von ebendiesen Göttern in den neuen und itzigen Pagoden antrifft, daß also die indischen Priester der Neuerungssucht und dem Kitzel der Eigenweisheit viertausend Jahre widerstanden sind. Es wird auch noch heut diesen Tag auf die alte Form so heilig gehalten, daß es z.E. den Fremden nicht erlaubt ist, irgendeins dieser Bilder durch einen Bildhauer kopieren zu lassen, ohne daß ein Brahmine dabeisei und zusehe, damit auch keine Kopie mit der geringsten Abweichung in die Welt komme. Sie sagen darüber ganz natürlich: die Bilder und alles an ihnen habe seine Bedeutung und müßte deswegen nicht geändert und schöner oder vernünftiger gemacht werden, weil sonst mit der Sache auch das Zeichen, und, so an, alles verloren sei. Und diese asiatischen Priester sind um dieser Denkart willen nicht genug zu bewundern und zu loben, und sie sollten eigentlich von den andern Weltteilen darüber komplimentiert werden.

Man kann von diesen kühnen ungeheuren Werken nicht reden oder reden hören, ohne daß einem die Frage käme: warum heutzutage dergleichen nicht mehr gemacht, warum keine Pyramiden mehr gebaut und keine Iluras mehr ausgehauen werden? Denn es scheint zu wenig für ein aufgeklärtes und hellsehendes Jahrhundert, bloß das Maul über das aufzusperren, was das blinde gemacht hat.

Soviel ist vor der Hand wohl klar, daß die Regenten der Zeit mit dem jährlichen Etat und seiner Berechnung nicht alle Hände voll zu tun, sondern noch nebenher Zeit gehabt haben, an etwas anders zu denken; und daß die Rubrik: für außerordentliche Ausgaben, in ihrem Kammerkataster, ziemlich ansehnlich gewesen sein müsse. Aber das allein reicht noch nicht zu; sondern es muß auch noch derzeit mehr Mut und Trieb in den Menschen gewesen, und sie mußten nicht durch eitele Spitzfindigkeiten, Unglauben und Kleinmeisterei ausgemergelt und ausgedorrt sein.

Bei den alten Asiaten gmg's aus dem Vollen und Großen. Wenn wir auf Velinpapier und an Fibelbrettern schreiben; so schrieben sie unterm Himmel an ihren Felsen und Bergen, mit Riesenbuchstaben, die, wie Knox von einigen sagt, nicht ohne Erstaunen angesehen werden können und so tief eingehauen sind, daß sie bis an das Ende der Welt stehen werden. Und diese Bergschriften [514] betreffen nicht etwa einen Chan oder Konsul, sondern die Angelegenheiten der Menschheit.

Kurz, es ist mir schon oft so vorgekommen, und kommt mir immer wieder so vor, daß die aus dem Bergwerk gewonnene Barre immer dünner und dünner geschlagen und gehämmert worden sei, und so am Ende freilich Blattgold zum Vergolden und andern Zieraten gebe, aber keine Barre mehr bleibe.

Nun muß ich aber doch auch über die Sprache Asiens ein Wort vorlesen.

Wir wissen aus der Bibel, daß alle Menschen in der Welt von einem Menschen, und alle Sprachen von einer Sprache abstammen. Man kann aber denken, daß es seit dem Ursprung und die sechstausend Jahre hindurch, ziemlich kraus und bunt durcheinandergegangen sei, bis es mit den Menschen und Sprachen zu der Krisis gekommen, darin sie dermalen stehen. Indes so kraus und bunt durcheinander der Gang auch gewesen sein mag; so hat es doch einen solchen Gang gegeben, und es ist nicht zu leugnen, wenn man einen Globus haben könnte, darauf dieser Gang von Anfang bis zu Ende, wie Cooks Reise, verzeichnet stünde, daß das wohl ein interessanter Globus wäre.

Es kann freilich vielen Menschen gleichgültig sein, daß die ungeschlachten Namen der kabyrischen Gottheiten: Axieros, Axiocersa, Axiocersus, Casmillus, und die bisher unerklärten Worte: Κογξ ΟμΠαξ, mit denen die Versammlung zu Eleusis entlassen zu werden pflegte, aus der Sanskritsprache erklärt werden können; aber erklärt ist doch besser als nichterklärt. Es kann freilich vielen Menschen gleichgültig sein, ob sie wissen oder nicht wissen, daß Budha, Bouta, Bhud, Bhod, bei den Indiern; Pout, im Balischen; Put, bei den Siamesen; Bod, bei den Singalesen; Po, Pho, Fo, bei den Sinesen; Othin, Odin, Wodan, bei den alten nordischen Völkern usw. nicht allein ein und dasselbe Wort sei das in den verschiedenen Ländern nur verschiedentlich geschrieben und ausgesprochen wird, sondern daß es auch allenthalben einerlei und denselben Gott bedeute, wie noch an dem heutigen Wednes-day im Englischen, Wodans-Day, zu sehen ist – es kann, wie gesagt, vielen Menschen gleichgültig sein, ob sie das wissen oder nicht wissen; aber es ist doch angenehm, zu sehen: wie das Klima und Lokale auf die Finger und Zungenmuskeln gewürkt und sie so oder anders gestimmt hat; zu sehen: wie so ein armes Wort sich hat müssen hudeln lassen, und der Sinn noch wohl mehr als das Wort. Auch lehren solche Exempel, [515] wie die Menschen sich immer in das Viel und Vielfache hineingearbeitet haben, und daß man also, wenn man das Einfache sucht, rückwärts gehen müsse.

Verschiedene europäische Gelehrte haben bekanntlich mehrere Versuche gemacht, aus den datis, die wir hatten, eine solche Globuszeichnung, oder vielmehr Beiträge dazu, zu liefern. William Jones, der gelehrte Stifter der Kalkuttischen Gesellschaft, hat nun die data, die er in asiatischen Büchern und überhaupt in Asien, sonderlich in Indien und Sanskritbüchern aufgefunden hat, dazu genommen, und in den Schriften der Gesellschaft, eine neue Zeichnung dieses Ganges der Menschen und Sprachen versucht.

Er findet in Asien eigentlich nur drei verschiedene Völker, die er die Araber, die Indus und die Tatarn nennt, und drei verschiedene Sprachen nämlich dieSprache des ersten Parsischen Reichs, Mutter der Sanskrit-, der Zend- und Parsi-, der griechischen, lateinischen, der alten ägyptischen, äthiopischen und der skythischen oder gotischen Sprachen; zweitens die Sprache der Assyrer oder zweiten Perser, Mutter der chaldäischen, syrischen etc., kurz eigentlich die Sprache der Semiten; und die erste tatarische Sprache, von der er, weil die Tatarn nicht auf Literatur und Schreiberei sollen gehalten haben, wenig zu sagen weiß. Diese drei Völker und Sprachen findet Herr Jones in den ältesten Zeiten in Iran oder Persien im allgemeinen Verstande, und läßt sie nun von da nach allen Seiten, nach Arabien, der Tartarei und Indien, und von da weiter nach den andern Weltteilen auswandern, weil Iran im Mittelpunkt dieser Länder liegt und eine so bequeme Lage zum Auswandern nach allen Seiten hat.

Der Grund klingt beim ersten Anblick etwas lustig, da wohl ein jedes Land in der Welt die bequeme Lage hat, daß man von da nach allen Seiten auswandern kann, sonderlich wenn es nicht an Schiffen fehlt; und es braucht's wohl keines andern und bessern Grundes daß sie von Iran ausgewandert sind, als des daß sie in Iran waren. Aber es ist doch auch möglich, daß diese drei Völker, die Herr Jones in Iran antrifft, zuerst in ihren Sitzen waren, und von da nach Iran kamen; und das hat er auch nur im Sinn, und führt verschiedene Gründe an, die es wahrscheinlicher machen, daß sie von Iran nach ihren Sitzen, als umgekehrt gezogen sind. Und so kommt es auch mit den Mosaischen Nachrichten besser überein, denn die Länder, wo, nach der Bibel, die ersten Nachkommen [516] Noahs lebten, und die Völkerzerstreuung geschahe, gehörten zu Iran, wie es Herr Jones nimmt.

Wann die Auswanderung nach Amerika stattgehabt habe, läßt Herr Jones unerörtert, scheint aber doch aus einer Ähnlichkeit zwischen dem Rama in der ältesten indischen Mythologie und Ramasithea dem Hauptfest der Peruaner, und daß Rama wie die Inkas ein Sohn der Sonne war, zu glauben, daß sie sehr frühe geschehen sei.

Wenn sie aber von den nordöstlichen Küsten Asiens, wo nach dem itzigen Zustande der Sachen die Kommunikation am leichtesten gewesen wäre, geschehen sein sollte; so dürfte man sie schwerlich so früh annehmen können. Denn es ist wohl nicht wahrscheinlich, daß die Menschen die schönen südlichen Gegenden Asiens, wo sie vorderhand Raum genug hatten, gegen die rauhen nördlichen Gegenden, vorausgesetzt daß die Klimata der Zeit schon so unfreundlich gewesen sind, freiwillig sollten vertauscht haben. Doch vielleicht ist derzeit von den westlichen Küsten Europas oder Afrikas ein praktikabler Weg nach Amerika gewesen, und das Meer hat ein Land verschlungen, davon die Kanarischen, Azorischen und Capoverdischen Inseln und der Archipelagus von Inseln an den östlichen Küsten von Amerika die Überbleibsel sind.

Auch über die Einwanderung nach Europa bleibt es bis weiter unentschieden, ob sich gleich beim Auszug aus Iran ein Haufe links nach den östlichen Grenzen von Europa gewendet habe, oder ob der ganze Schwarm erst nach Indien gezogen sei. Genug, die Ähnlichkeit in den Sitten und Sprachen der Indier und nordischen europäischen Völker läßt keinen Zweifel über ein näheres Verhältnis zwischen beiden übrig, und auf das Nähere kommt es hier nur an. Denn wer z.E. entdeckt, daß die alten Einwohner Britanniens aus Asien gekommen sind, der hat nicht viel entdeckt. Wir wissen einmal aus der Bibel, daß alle Einwohner von Europa nach Asien gekommen sind, und so müßten's die alten Britannier wohl auch sein; aber wann sie dahin gekommen, aus welchem Volk, auf welchem Wege, und überhaupt unter welchen Umständen, das wissen wir nicht und darüber erwarten wir Entdeckungen.

Herr Jones, damit wir doch ein Beispiel von der Ähnlichkeit in Sitten haben, erzählt, daß jährlich in Indien ein gewisses Huli-Fest gefeiert wird, das darin besteht, daß die Inder mit vielem Witz, Kunst und Erfindung ihre Nächsten und Nachbarn [517] in April schicken; eine Gewohnheit, welche die Nachkommen der nordischen Völker und ihre Philosophen zum Teil ja heutiges Tages noch haben.

Über die Ähnlichekit der deutschen und Sanskritsprache mögen folgende Wörter zeugen, die zugleich die oben angeführte Abstammung der griechischen und lateinischen Sprache bestätigen.

aham heißt Ich;

tavam – Du;

viam – Wir;

jujam – Ihr;

ekam – Eins;

duajam – Zwei;

trajam – Drei;

tijiatuvaram – Vier;

pagnuvamam – Fünf;

tschaschtam – Sechs;

sapitamam – Sieben;

aschdamam – Acht;

navamam – Neun;

daschemam – Zehn;

ekdascham – Eilf;

duadascham – Zwölf;

treijadascham – Dreizehn;

mata oder mada heißt Mutter;
madra – Mütter;
methyama – Mittelpunkt;
manuscha – Mensch.

Ich gäbe gern mehr Exempel der Ähnlichkeit beider Sprachen; aber ich habe meine Ursachen, warum ich nicht weiter in See gehe als mein Lotse. Das ist aber noch zu merken, daß in Asien nur vier Alphabete sind, damit das Sanskrit geschrieben werden kann, und daß die europäischen Buchstaben nicht taugen, ihre Laute auszudrücken, und also leicht eine Ähnlichkeit geringert werden oder gar verlorengehen kann, wenn man die Laute nur geschrieben sieht, wie das ja im Englischen oft der Fall ist.

Übrigens gehört die Sanskritsprache nicht zu »der Gattung«, die vor- und rückwärts gelesen werden kann; sie wird nur nach einer Seite gelesen, und zwar von der Linken zur Rechten.

[518] Wir kommen zur Philosophie und Theologie der alten Asiaten.

Es ist wie allgemein angenommen, als wären die Philosophen und die Theologen im Lande widereinander, und als müßten sie es auch sein; da sie doch von Natur und Rechts wegen Herzensfreunde sein sollten.

Nach der alten bekannten Regel »führt die Philosophie, oben abgeschlürft, von Gott ab; bis auf den Grund ausgetrunken, aber wieder zu ihm zurück«. 72 Und wie könnte es auch anders sein? – Die eingeschränkte Vernunft kann ja, ihrer Natur nach, keinen höhern Wunsch und kein ander Ziel haben, als die uneingeschränkte unendliche Vernunft; wie könnte sie sich denn, bei den kleinen Reussiten innerhalb ihrer Schranken, einfallen lassen, daß es mit ihr, in der Verfassung, etwas auf sich habe, und daß jenseit dieser Schranken nichts sei? So unvernünftig kann und wird ja die Vernunft nicht sein. Vielmehr wird sie durch diese kleinen Reussiten und durch die Freude, die sie gewähren, bewogen werden, ihre Schranken desto schmerzlicher zu fühlen, nach der uneingeschränkten desto brünstiger zu verlangen; und wird, wo sich etwas Näheres von dieser, halb oder ganz, wittern läßt, demütig und ehrerbietig stille stehen. Und so haben es die gründlichen Philosophen auch immer gemacht; und mit den Schlürfern, die im leeren Raum arbeiten, muß man Geduld haben, bis sie zu Grunde gehen.

Es gibt Philosophien, wie die gnostische, die Sofi-bei den Parsen, die Vedanta-Philosophie bei den Indiern etc. die mit der Theologie zusammenschmelzen und mystisch genannt werden, weil sie auf verborgenem Wege und, sozusagen, von innen heraus prozedieren. Von der Art sind fast alle Kosmogonien der alten Völker. Die sinesische Naturlehre z. Exempel ist in dem Buch In-kin, das unter ihren fünf klassischen Büchern das dritte ist, enthalten, und das Buch In-kin verbirgt mehr als es sagt. Es besteht bloß aus geraden Linien, eine ungebrochen: –, und eine gebrochen: –, die auf mannigfaltige Art miteinander zusammengeordnet und verbunden sind. Nämlich Fo-hi, der Verfasser dieses Buchs, nahm zwei Prinzipien der physischen Natur an, ein vollkommenes, yam, das durch die ungebrochene, und ein unvollkommenes, yn, das durch die gebrochene Linie bezeichnet wird. Aus diesen zwei Prinzipien, die aus dem Tai-kie, eine Art Chaos, [519] herkommen sind, bestehen nach ihm alle und jede Wesen der physischen Natur, und ihre Verschiedenheit hängt bloß von dem Mehr oder Weniger des einen und des andern dieser Prinzipien, und der Art ihrer Verbindung ab. Um nun darüber zu belehren, hat Fo-hi 4 zweizeiligte, Su siam, 8 dreizeiligte, Pa qua, und 64 sechszeiligte Linien-Figuren gegeben, und darin soll die Erklärung der ganzen Natur, des Menschen und wohl gar der unsichtbaren Welt enthalten und angezeigt sein. An dieser Tafel arbeiten und deuten nun die sinesischen Gelehrten seit mehrern tausend Jahren, und erklären sie, der so und jener anders; viele auch bloß moralisch, wie sie denn gewöhnlich mit Moral kommen, wenn sie nichts Bessers wissen.

Die Indier haben ein ebenso dunkles System, und was bei Fo-hi das Vollkommene und Unvollkommene ist, das ist bei ihnen die männliche und weibliche Kraft, aus welchen zwei Kräften sie alle Produkte, auch der physischen Natur, zusammensetzen, und ihre Verschiedenheit aus dem Mehr oder Weniger dieser Kräfte und ihrer verschiedenen Zusammensetzung herleiten.

Auch der Bundehesch der Parsen gibt nur Resultate von innen heraus, und ohne daß man sieht, wie er dazu gekommen ist.

Das aber ist nicht der eigentliche Begriff von Philosophie. Die Philosophie sucht die Weisheit und Erkenntnis auf offenem Wege, und von außen hinein. Sie nimmt vor jedermanns Augen die Uhr auseinander, um den Sinn des Meisters zu erraten; zupft am Vorhang, um zu wissen, wer sich damit bedeckt; betastet die Sterne und das Meer, um von ihnen zu erfahren, wer der ist, der sie gemacht; kurz, sucht Gott aus den Geschöpfen, die Ursache aus der Wirkung. Da aber der mittelbare und unmittelbare Weg von einer und derselben Hand sind; so können die reinen Resultate beider Wege nicht widereinander sein, und die Disharmonie zwischen der Philosophie und Theologie eines Landes ist immer ein schlimmes Zeichen für die eine oder die andre.

Die Indier nun haben Philosophien und philosophische Systeme aller Art und für alles; Systeme der Logik, von denen sogar, einer alten Sage zufolge, eins durch Kallisthenes nach Griechenland gekommen sein und den Grund zur Aristotelischen Methode gelegt haben soll; Systeme der Metaphysik; sechs verschiedene Systeme der Philosophie; sechs verschiedene Systeme des Atheismus usw. Die Sanskritsprache hat eine Menge Wörter für feine metaphysische Distinktions und Spekulations, eine ganze [520] Rüstkammer voll allerlei Gerät zum Disputieren usw. so daß ich sagen muß, so ungerne ich es auch sage, es habe auch in Asien an Schlürfern nicht gefehlt.

In der Moralphilosophie trifft man in Asien wohl auch einige systematische Schriften an, z.E. die Niti-Sastra; doch wird dort die Moral fast durchgängig, und von Peking bis Bagdad, in kurzen Sentenzen und Sprüchen und meistenteils metrisch vorgetragen, und ist der Bücher in allen fünf Hauptsprachen Asiens, die das tun und trefflich und mit vielem Geist tun, kein Ende.

Es soll Leute geben, die den Vorzug und den Wert des Christentums in ihrer Moral suchen, und die Erhabenheit und Vortrefflichkeit der christlichen Moral, als die dem Christentum ausschließlich eigen sei, nicht genug loben und preisen können. Wenn es ihnen mit diesen Lobpreisungen ein Ernst ist, und sie sich nicht etwa durch diese Generosität gegen das Christentum von dem Glauben an die eigentliche Sache desselben loskaufen wollen; so kann ich ihnen aus meinen Gewährsleuten vorlesen, daß sie über die Ausschließlichkeit nicht recht berichtet sind, und daß sie die hohe vortreffliche Moral, die das Christentum lehret, auch in chinesischen, arabischen, persischen und indischen Schriftstellern, und namentlich im Konfuzius, Chamacya, Sadi, Hafis usw. finden und bewundern können.

Wie der Stifter des Christentums lehrte und sprach, kann einmal kein anderer sprechen; aber hier ist vom Inhalt, soweit wir verstehen, die Rede; und da sagt z.E. Sadi: »Gutes für Gutes, das ist keine sonderliche Vergeltung; aber dem, der dir Böses getan hat, Gutes tun, das ist eine bessere.«

Doch Sadi könnte am Ende aus einer christlichen Quelle geschöpft haben; ich führe also noch einen andern Spruch an, der nicht daher geschöpft sein kann, weil er wenigstens dreihundert Jahre vor Christi Geburt geschrieben ist. Dieser schöne Spruch ist indisch, und lehret wie man gegen seinen Feind und Verderber und Zertreter tun soll. Er lehret aber so: »Ein guter Mann muß seinem Feinde, der ihn zertritt, vergeben; aber das ist noch nicht genug, sondern er muß ihm wohlwollen, indem er von ihm zertreten wird, wie der Sandelbaum, der umgehauen wird, im Fallen auf die Axt, die ihn umhaut, Wohlgeruch ausschüttet.«

Übrigens ist an einer genauen Darstellung der asiaschen Literatur vorderhand noch nicht zu denken; denn so fleißig auch auf diesem asiatischen Ährenfelde gearbeitet worden ist, und so fleißig sonderlich die Engländer in Indien darauf gemähet [521] und Garben gebunden und aufgestellt haben, so liegt da doch das meiste noch ungemähet und ungebunden und ziemlich durcheinander. Es sind der Bücher in Asien und sonderlich der Sanskritbücher gar sehr viele, und sind zum Teil nicht kleine Flugschriften. Die vier Haupt- Vedas, davon der Obrist Polier eine Abschrift hat, machen allein 11 starke Bände, und das einzige Gedicht des Viosa, die Mahabaratha, enthält hunderttausend vierzeilige Stanzen. Die wollen doch gelesen sein, und sie lassen sich, nach der daraus im Englischen bekanntgemachten Probe zu urteilen, nicht so wie ein Lesebuch weglesen. In den Puranas sollen noch fünfmalhunderttausend Stanzen, und über eine Million in den andern Schriften gelesen werden usw.

Soviel erhellet indes aus dem, was davon gelesen und benutzt ist, daß die Indier, außer dem Erbgut, einen großen Vorrat allerlei wohlerworbener Güter haben. Von der Philosophie in Indien ist eben die Rede gewesen, und mag hier nur noch hinzukommen, daß in den Sanskritbüchern Spuren oder vielmehr die Wurzeln aller philosophischen Schulen in Griechenland und Italien zu finden sind, und daß man gegen einen jeden Stifter jener Schulen einen Indier nennen kann, der sein Vorgänger war. Aber auch die eigentlich sogenannten Wissenschaften sind von den Indiern nicht vernachlässiget worden.

Sie haben über die Jurisprudenz vortreffliche Schriften, davon die Engländer eine übersetzt und bekanntgemacht haben.

Ihr ältestes medizinisches Buch heißt Chareca, und wird für ein Werk des Gottes Siva gehalten. Übrigens ist die asiatische Medizin nicht sehr systematisch. Die Araber und Persier folgen den Griechen, und in Indien findet man eigentlich nur Pathologien und Materia-Medicas, aber sehr gute.

Die Indier haben zahlreiche Schriften über die Musik, die bei ihnen, wie bei den Arabern und Persern, Ausdruck der Leidenschaft und nicht lieblicher Gesang ist; über die Chronologie, wiewohl fast lauter unverständlicher astronomischer Mythos; über die Chymie, die Grammatik, Rhetorik, Mechanik, Chirurgie, Anatomie etc. und besonders über Physik, Mathematik und Astronomie. Ein gewisser Yavan Acharia hat ein Weltsystem geschrieben, das auf die Attraktion und die Zentralstellung der Sonne gebaut ist.

»Und, wie wir aus dem Cicero wissen«, sagt der Präsident William Jones, »daß die alten europäischen Philosophen eine Idee von Zentripetalkraft und einer allgemeinen Gravitation hatten [522] (welche zu beweisen sie indes nie versucht haben), so darf ich behaupten, ohne ein Blatt von dem unverwelklichen Lorbeerkranz unsers unsterblichen Newtons abbrechen zu wollen, daß seine ganze Theologie, und ein Teil seiner Philosophie in den Vedas und in den Werken der Sufis mag gefunden werden: der äußerst feine Geist, der, nach seiner Vermutung, die natürlichen Körper durchgeht, und, in ihnen verborgen, die Attraktion und Repulsion verursacht; die Ausströmung, Reflektion und Refraktion des Lichts, die Elektrizität, Wärme, Empfindung und Muskelbewegung etc. wird von den Indiern als ein fünftes Element beschrieben, das mit allen diesen Kräften versehen ist; und die Vedas spielen häufig auf eine allgemein anziehende Kraft an, die sie hauptsächlich der Sonne zuschreiben, die davon Aditya, oder der Anzieher genannt wird. Aber die merkwürdigste Stelle über die Theorie der Attraktion kommt in dem schönen allegorischen Gedicht Schirin und Ferhad, oder der göttliche Geist und die menschliche Gott ohne Eigennutz suchende und liebende Seele, vor; ein Werk, das von der ersten bis zu der letzten Zeile eine Loderflamme eines religiosen und poetischen Feuers ist. Die ganze Stelle scheint mir so merkwürdig, daß ich ohne weitere Entschuldigung eine treue Übersetzung derselben hersetze: ›Es ist eine starke Anneiglichkeit, die einen jedweden Atomen durchwandelt und jedes kleinste Partikelchen gegen irgendeinen gewissen besondern Gegenstand hinzieht; durchforsche dieses Universum von seinem Fuß bis zu seinem Haupt, vom Feuer bis zur Luft, vom Wasser bis zur Erde, von allem was unterm Monde bis zu allem was über den himmlischen Sphären ist: und du wirst nicht ein Sonnenstäublein finden, das diese natürliche Attraktabilität nicht hätte; das eigentliche Ende des ersten Fadens dieser offenbar geflochtenen großen Garndocke ist nichts anders, als ein solches Prinzip der Attraktion und alle andre Prinzipien außer diesem mangeln eines reellen Grundes; von einer solchen Anneiglichkeit entsteht eine jede Bewegung, die wir an himmlischen oder irdischen Körpern wahrnehmen; es ist eine Disposition: angezogen werden zu können, die den harten Stahl lehret, von seiner Stelle aufzufahren, und sich an den Magneten anzunageln; es ist die nämliche Disposition, die den leichten Strohhalm treibt, sich fest an den Bernstein anzuhängen; diese Eigenschaft gibt einer jeden Substanz in der Natur ein Hinstreben zu einer andern und eine zu einem bestimmten Punkt gewaltsam gerichtete Neigung‹ etc.

[523] Diese Begriffe sind freilich unbestimmt und ungenugtuend: aber darf ich denn nicht fragen, ob der letzte Paragraph von Newtons unvergleichlichem Werk viel weiter gehe, und ob irgend spätere Erfahrungen mehr Licht über einen so unverständlichen und dunkeln Gegenstand ausgebreitet haben; daß die erhabene Astronomie und die treffliche Geometrie, durch welche dies Werk erläutert wird, auf irgendeine Art von den asiatischen Mathematikern erreicht werden sollte, wäre eine eitle Vermutung, da unter allen europäischen, die je gewesen sind, nur der einzige Archimedes damit nebenbuhlen kann; doch müssen wir unser Urteil über die astronomischen Kenntnisse Indiens zurückhalten, bis die Surya Sidhanta in unserer Sprache herauskommt, und selbst dann ist es noch zu früh, zu urteilen: denn um eine historische Nachricht von der eigentlichen indischen Astronomie vollständig zu haben, brauchen wir noch Übersetzungen von wenigstens drei andern Sanskritbüchern, nämlich von der Abhandlung des Parasara, für das erste Alter der indischen Wissenschaft; von der Abhandlung des Varaha mit den vollständigen Erläuterungen seines sehr gelehrten Sohns, für das mittlere Alter; und von den Abhandlungen des Baßcara für die verhältnismäßig neuern Zeiten.«

Es gibt in Indien auch algebraische Schriften, und John Playfair, Professor der Mathematik zu Edinburg, vermutet aus einigen Berichten der Kalkutter, daß den alten Indiern Rechnungsarten bekannt gewesen sind, die erst seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts in Europa bekannt sind. Sie haben vollständige Beschreibungen nicht allein des Tierkreises und derMondhäuser, sondern auch der andern Sterne in beiden Hemisphären. Und dies alles haben die Asiatensehr früh gehabt. Ein indischer Astronom, Meya, hat in der Surya Sidhanta die Schiefe der Ekliptik seinerzeit zu 24 Gr. angegeben, und Herr Davis hat, angenommen daß diese Angabe zu 24 Gr. richtig gewesen sei und sie von der Zeit an jährlich um 1/2 Sekunde abgenommen habe, daraus das Alter der Surya Sidhanta auf 3840 Jahr berechnet, daß also Meya 1959 nach der Schöpfung, und so an ca. 500 Jahr nach der Sündflut gelebt habe.

Die Sineser-Annalen erzählen gar, daß ihr Stifter Yao, der, wie wir oben gehört haben, ca. 200 Jahr nach der Sündflut gelebt haben soll, schon die 12 Monate, 6 zu 30 und 6 zu 29 Tagen und alle 19 Jahre Schaltmonate angeordnet habe usw. usw. Außer daß die Abteilung in Wochen zu 7 Tagen, die Benennung[524] dieser Tage nach den Planeten, die vier Weltalter etc. und die Affären von Sonne und Mond etc. in den ältesten Urkunden aller Völker angetroffen werden.

Die Indier haben auch ihren Apoll und die Neun Musen, die bei ihnen Gopias heißen. Ihre früheren Gedichte sind, wie bei allen andern Völkern, religiosen Inhalts. Der erste indische Poet heißt Valmici, der ein episches Gedicht, Ramayana, geschrieben hat; und der zweite heißt Viosa, Verfasser der Mahabaratha, der als Poet ebenso groß und als Mensch noch größer und heiliger als Valmici gehalten wird. Dieser Viosa soll auch 18 Puranas geschrieben haben, wegen ihrer Vortrefflichkeit die achtzehn genannt, davon die vier ersten: Brahma, oder der große Eine;Padma, oder Lotos; Brahmanda, oder das Weltei, und Agni, oder das Feuer, sich auf die Schöpfung; die neun folgende auf die Attribute und Kräfte der Gottheit, und vier andre auf so viele Inkarnationen des großen Einen beziehen.

Die spätem Poesien, kleinern und andern Inhalts, sollen leicht versifiziert, und voll Witz und Imagination, und ihrer eine sehr große Menge, sein.

Wir gehen endlich zur Theologie der Asiaten über, und soll uns die Vedanta-Philosophie der Indier, die, wie gesagt, mit der Theologie zusammenfließt und also nicht mehr eigentliche Philosophie ist, zur Brücke dienen.

Diese Vedanta-Philosophie, die auch in Europa nicht unbekannt ist und bei den Sinesern, in Griechenland etc. nicht unbekannt war, lehret: daß die materielle und sinnliche Welt kein reelles Wesen und keine reelle Existenz habe, sondern nur Schein und Täuschung sei und nur insoweit existiere, als sie empfunden wird. Nämlich: das selbständige Wesen wollte dadurch, als durch ein großes mannigfaltiges und doch harmonisches Gemälde oder musikalisches Drama, in den sinnlich gewordenen Geistern eine Reihe von Bildern, Empfindungen und Ideen erregen und hervorbringen, ohne die sie nicht genesen und wieder zurechtgebracht werden konnten; und diese Art von Täuschung, zu der sich jenes Wesen aus Liebe herabließ, nennen die Vedanta-PhilosophenMaya. Indes war die Reihe von Bildern, Empfindungen und Ideen selbst, ihnen noch nicht die Genesung; denn sie lehrten, daß alle Bewegungen, alles Würken und Treiben in der menschlichen Seele Maya sei, d.i. Täuscherei, vergänglich und eitel; ausgenommen, was durch die erste Ursache in ihr gewürkt werde.

[525] Und hier treten wir auf den Boden der Theologie oder Religion, wo die eigentlichen und wahren Begriffe von Gott alleine zu Hause sind.

Gott kann nur aus Gott erkannt werden; nichts kann von ihm einen wahren Begriff geben, als er selbst. Alle Eindrücke, Ideen und Begriffe, die seine sichtbaren und sinnlichen Werke auf uns machen, sind nur Begriffe von endlichen und unvollkommenen Dingen; die können keine Erkenntnis des Unendlichen, Vollkommenen geben, aber den Anfang dazu machen können sie, und eine Gärung veranlassen, wie die Vedanti sagen, die damit endigt, daß die Seele sich ihres Ursprungs lebendig bewußt, und alles andre Bewußtsein in ihr wie nichts wird.

So lehret unsre sogenannte natürliche Theologie, die Naturlehre etc. kurz die Philosophie, daß ein Gott sei, und reizet uns, eigentliche und wahre Begriffe von ihm zu suchen; bereitet auch und disponiert den Menschen dazu auf mehr als eine Weise. Und das ist auch das eigentliche Geschäft der Philosophie, das soll sie und das kann sie, sonderlich die Physik und Experimentalphilosophie, wenn sie in guten Händen ist.

»Noch ein ander Ding«, sagt Robert Boyle, »das den Experimentalphilosophen disponiert: eine geoffenbarte Religion, und, so an, das Christentum anzunehmen, steht darin, daß, indem er immer daran ist, von den Naturphänomenen klare und genugtuende Erklärungen zu geben und immer sieht, wo es fehlt, diese beständige Gewohnheit in seinem Gemüt eine große und unverstellte Bescheidenheit zuwege bringt; und daß er, infolge dieser Tugend, nicht allein sehr geneigt wird, über Dinge, die ihm dunkel und verborgen dünken, nähern Unterricht zu wünschen und anzunehmen, sondern ihm auch der Mut vergeht, seine bloße und abstrakte Vernunft für einen authentischen Maßstab der Wahrheit zu halten. Und obgleich ein gemeiner Philosoph, der sich kein Bedenken macht, die dunkelsten Sachen in der Natur mit Substantialformen, wesentlichen Qualitäten, Sympathie, Antipathie und einigen wenigen andern Kunstwörtern, die er um sie zu brauchen nicht verstehen darf und vielleicht wegen ihrer Dunkelheit nicht verstehen kann und wodurch er alle Dinge in der Natur zu erklären meint und würklich eins auch so gut als das andre erklären kann, abzufertigen – obgleich, sage ich, ein solcher Scheinphilosoph sich dünkt, daß er alles verstehe und daß nichts wahr sein könne, was mit seiner Philosophie nicht reimt; so wird doch ein verständiger und erfahrner Naturkündiger, [526] der da weiß, was in den vermeintlich klaren Vorstellungen und Erklärungen, selbst mancher körperlichen Dinge, noch für Schwierigkeiten unaufgelöst bleiben, sich nicht einfallen lassen, seine Kenntnis von übernatürlichen Dingen für vollständig zu halten, und einen nähern Unterricht darüber nicht verwerfen noch versäumen.

Und diese Stimmung des Gemüts ist gerade recht für einen Forscher der geoffenbarten Religion, dem Vorsicht ebenso notwendig ist, um Irrtum zu vermeiden, als Gelehrigkeit nützlich ist, um die Wahrheit zu lernen.

Ein fleißiger Umgang mit den so vortrefflich eingerichteten und so bewundernswürdig gebildeten Werken Gottes verschafft einem erfahrnen Beobachter derselben Gelegenheit zu sehen, daß so manche Dinge möglich oder wahr sind, die er, solange er bloß aus Gründen der unzulänglich unterrichteten Vernunft zu Werke ging, falsch und unmöglich glaubte, daß es ihm nach und nach zur Gewohnheit wird etc.

Die meisten Verächter der Religion verachten sie unter andern darum, weil sie eine Verachtung und Geringschätzung für alle Wahrheiten haben, die ihren Leidenschaften und ihrem Interesse nicht schmeicheln; der Liebhaber der Experimentalphilosophie ist dahingegen gewohnt, Wahrheiten aufzusuchen, zu schätzen und zu lieben, die seine Sinne nicht ergötzen und seinen Leidenschaften und seinem Interesse nicht schmeicheln, sondern die bloß seinem Verstande die männliche und geistige Freude gewähren, die er über den Anblick klarer und edler Wahrheiten, als die sein eigentümliches Teil und Erbe sind, natürlich empfinden muß. – Und wer gewohnt ist, Wahrheiten von einer geringen Art zu schätzen, weil sie Wahrheiten sind, der wird so viel mehr geneigt sein, göttliche Wahrheiten, die einer viel höhern und edlern Art und von unschätzbarem und ewigem Nutzen sind, zu schätzen. –

Überdas versiehet die Spekulation- und Zankphilosophie ihre Schüler selten mit mehr als dialektischen oder wahrscheinlichen Beweisen, darauf sich von der andern Seite ebensoviel antworten läßt, so daß Leute, die mehr Talent als aufrichtige Liebe zur Wahrheit haben, mit einem Schein der Wahrheit ohne Ende fortdisputieren können. Und in der Tat gibt es ja in der Aristotelischen Philosophie verschiedene Streitfragen, darüber schon Jahrhunderte gestritten ist, und darüber noch Jahrhunderte gestritten werden kann, wenn diese Philosophie noch so lange [527] dauern sollte. Aber ein gründlicher Naturforscher, der gewohnt ist, in seinen Demonstrationen auf die Prinzipien der Mathematik und einer gesunden Philosophie, und auf das klare Zeugnis der Sinne oder verifizierter Erfahrungen Rücksicht zu nehmen, erlangt einen Habitum, das Stringente eines Argumentes zu packen, und weiß sehr wohl, daß dialektische Subtilitäten und Schulkünste ihm seine Kraft nicht nehmen. Auch ist ihm mehr daran gelegen, eine erwiesene Wahrheit anzunehmen, als gelehrt und tiefsinnig über sie zu streiten. –

Ich habe mit Leidwesen bemerkt, daß der größte Teil der Religionsspötter die unter uns sind, den Sinn des Pilatus haben (der spöttisch fragte, was Wahrheit sei und dann nach der Tür griff, ohne die Antwort abzuwarten), und daß ihnen alle Untersuchung der Wahrheit, die eine ernsthafte und fortgesetzte Anstrengung erfodert, anekelte. Sie sind größtenteils oberflächliche, flatterhafte Parteigänger, die an der Außenseite der Dinge stehenbleiben und von einem zum andern hüpfen. Und darum sind sie auch unter andern, was auch Leute die nicht mehr als sie sind von ihnen rühmen mögen, gewöhnlich ebenso schlechte Phistrengung erfodert, anekele. Sie sind größtenteils oberflächliche, Einsicht, dergleichen man oft bei den Religionsspöttern antrifft und die sie mit zu Religionsspöttern macht, füglich einem gewöhnlichen Schwimmer vergleicht, der nur die Dinge erreichen kann, die oben auf dem Wasser treiben; so ist ein Experimentalphilosoph einem geschickten Taucher zu vergleichen, der sich nicht allein was oben auf dem Wasser liegt, holen, sondern der auch auf den Grund des Wassers gehen, und von da Perlen, Korallen und andere köstliche Dinge, die hier vor anderer Menschen Augen und Händen verborgen und sicher liegen, herauf und ans Land bringen kann.«

Ich läse wohl gerne noch mehr vor von diesem verständigen, rechtlichen Mann, der von einer Wissenschaft, mit der er sein ganzes Leben zugebracht und sich darin einen Namen durch ganz Europa gemacht hatte, so bescheiden und unparteiisch urteilt, und einer bessern, die eigentlich nicht die seinige war, ihren Vorzug nicht allein zugesteht, sondern ihn auch weitläuftig zu beweisen sucht 73; aber ich darf meinen Lesern nicht zu viel zumuten, und habe ihnen vielleicht schon zu viel zugemutet.

[528] Sie sollen nun aber auch nicht lange mehr aufgehalten werden, da sie bekanntlich über die Theologie der Asiaten Vorlesungen haben können, darin sie besser bedient werden: über die indische Theologie, eine ziemlich umständliche von einem gelehrten Kenner in diesem wie in manchem andern Fach 74; über die Theologie der alten Parsen, die Zend-Avestas; über die sinesische unter andern den Pater Intercetta und seine drei Kollegen 75. Man hat diesen Jesuiten vorwerfen wollen, daß viele Dichtung in ihr Werk mit eingeflossen sei. Es kann auch wohl sein, daß es nicht ohne alle Dichtung abgegangen ist, wie es denn bei einer solchen Materie aus einer Sprache wie die sinesische fast ohne alle Dichtung nicht abgehen kann; aber wegen der Hauptsachen hat es gute Wege, die lassen sich nicht erdichten.

Die Ausübung der Parsenreligion ist, seitdem die Mahomedaner in Persien und den Gegenden die Überhand gewonnen haben, auf Kyrman und Suratte eingeschränkt, die übrigen werden noch durch große Länder und Reiche geübt, und die Asiaten sind sehr strenge und eifrige Anhänger und Ausüber der Religion. Sie kommen täglich in die Pagode und verrichten einzeln ihre Andacht, und an Festtagen strömen sie haufenweise zu, tragen das Götzenbild durch die Gassen und begleiten es wieder zurück in die Pagode. Sie halten strenge Fasten, und beten die vorgeschriebenen Bußgebetlein oft hundert- und tausendmal hintereinander nach ihrem Rosenkranz, aus wilden Sam-Arten, auch wohl aus Edelgesteinen in Gold gefaßt. Sie beten nicht allein für sich und die Lebenden, sondern haben auch herzliche Gebete für die Verstorbenen, die ihnen nach dem Tode noch sieben Bobuns oder Reinigungs-Stufen zu bestehen haben.

Die Pagoden, die zum Teil und sonderlich in dem orthodoxen Nepal große und prächtige Gebäude sind, haben zwei Abteilungen, eine äußere für das Volk und eine innere für die Brahminen. Dem Götzenbilde in der äußern bringen die gutmütigen [529] Indoos ihr Opfer, Früchte und Blumen, selbst; und dem Götzenbilde in der innern lassen sie es von ihretwegen durch die Brahminen hineinbringen, und stehen indes draußen unter dem Vordach mit gefalteten Händen und warten, bis der Brahmine wieder herauskommt und ihnen Öl oder Blumen gibt, die dem Götzenbilde nahe gewesen sind, und gehen dann vergnügt zu Hause. – Honny soit qui mal y pense. – Sie pflegen auch wohl ihr Speise und Trank, ehe sie es genießen, einige Zeit vor dem Götzenbild hinzustellen, daß es ihnen desto gesegneter sei.

Die Sünden sind bei ihnen in drei Klassen eingeteilt, große, mittlere und kleine; zu den großen rechnet man hierzulande unter andern: Beleidigung eines frommen Einsiedlers, Undank gegen seinen Lehrer und Vorenthaltung des verdienten Arbeitlohns. Von den kleinern Sünden lassen sich die Indier durch Besprengung mit geweihetem Wasser entsündigen, und für die größern unterwerfen sie sich willig beschwerlichen Reinigungen, Wallfahrten oft auf einige hundert Meilen weit, und allerlei andern harten Büßungen, die ihnen die Brahminen auflegen. Von diesen Büßungen und Entsündigungen sind hier auch die Könige und Fürsten nicht ausgenommen, und die Brahminen lassen ihnen in Sachen der Religion nichts nach. So hatte der König von Travancar um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in einem Kriege gegen die Europäer einige Religionshäuser zerstört, und er konnte keine Vergebung und Entsündigung erhalten, bis er durch eine große goldene Kuh, die er machen lassen mußte, zum Munde herein- und am andern Ende wieder herausgekrochen war; und diese Kuh steht noch auf dem Schloß zu Padmannsborn, als ein Dokument der rechtlichen und geraden Handhabung der Religion in Indien, und des Nichtansehens der Person.

Das Anachoretenleben und die Wallfahrten sind in Asien sehr gebräuchlich, und meist aus eignem freiem Entschluß, um sich das Wohlwollen der Götter zu erwerben; wie denn bisweilen, allein zu Jagrenat, einer sehr berühmten Pagode am Ausfluß des Ganges, 20000 Pilger, sagt Thevenot, zusammentreffen, die dort, wenn sie arm sind, auf Kosten der Pagode täglich mit dem Nötigen versehen werden usw. usw.

Über dies alles verweise ich, wie gesagt, den Leser an die erstgenannten Vorlesungen, wo er sich über die asiatischen Religionen nähern Rats erholen, und einer jeden ins Gesicht sehen kann.

[530] Er wird bei der Gelegenheit finden, daß sie, wie die Kinder eines Vaters, zwar eine jede ihr eigenes Gesicht, aber alle, gewisse Familienzüge haben, die hier stärker hervorliegen als bei den meisten alten Völkern der andern Weltteile. Was die Kinder Verschiedenes haben, das haben sie, denke ich, ein jedes von sich; was sie aber alle gemein haben, die Familienzüge und Ähnlichkeiten, die haben sie vom Vater, und können sie nicht anders haben als vom Vater.

Der Weber kann aus einem Faden, der dies Gewebe, ein anderer ein anderes machen; aber den Faden müssen sie alle haben. Der Faden kann ohne alle diese Gewebe bestehen und gedacht werden; aber nicht eins von den Geweben ohne den Faden.

Wir wollen uns denn diesen goldenen Faden, der von der Welt her vom Himmel auf die Erde für die Menschen herabgehangen hat, in den asiatischen Geweben zum Beschluß noch ansehen, und zu einem etwanigen Gebrauch aufbewahren.

»Alle asiatische Religionen, soweit wir gesehen haben, gründen sich auf den Fall der Geister, so Engel als Menschen, und sind für diese das Gesetz und der Weg zur Herstellung.«

Nach den ältesten Vedas der Indier wäre den gefallenen Geistern, Engeln, ein solches Gesetz unter gewissen Bedingungen auch angeboten worden; einige von ihnen hätten diese Liebe und Güte auch mit Dank erkannt. Aber ihr Oberhaupt und Anführer habe nichts von Liebe und Rückkehr wissen wollen, und seinen Anhang zu gleicher Gesinnung beredet; und so hätten sie sich sämtlich verstockt und geschworen, unversöhnliche und ewige Feinde des Guten zu sein.

»Alle sind übermenschlichen Ursprungs, und durch ein himmlisches Wesen geoffenbaret und mitgeteilet worden, den Parsen durch Hom oder Ormuzd, den Indiern durch Brahma etc. in einer himmlischen Sprache, Dewte Negari bei den Indiern, und Avesta bei den Parsen etc. daraus sie in eine menschliche Sprache, aus Avesta in Zend, und aus Dewte Negari in Sanskrit übertragen worden, usw.«

»Alle nehmen ein erstes unbegreifliches unerforschliches höchstes Wesen, Xam-Ti im Sinesischen, Oromasdes im Parsischen, Parabramasta im Sanskrit etc. an, das sie in einer dreifachen Gestalt anbeten, und durch einen Triangel oder ein ander dreifaches Bild bezeichnen und darstellen.« Über das Verhältnis des einen zu der andern sind die Asiaten nicht alle einig, wie denn die Indier ihre Trimurti als die erste Offenbarung und als ein [531] Erzeugnis jenes ersten Wesens anzusehen scheinen; aber das dreifache Bild ist überall. Kämpfer fand es in Japan, der Mithra der Parsen ist dreifach, das Prinzipium der Chaldäer dreifach, in den Pagoden steht, wie wir gesehen haben, das Bild der Trimurti, das in Sanskrit, wie Nappa Nappa bei den Südamerikanern, Drei-in-Eins bedeutet. So ist bei den Indiern auch der geheimnisvolle Name der Gottheit, den sie nicht aussprechen, sondern nur im Geist stillschweigend betrachten, dreifach; denn o'm, wie dieser Name oft geschrieben wird, ist nach Herrn Jones eigentlich aum, Wischnu Schiwa Brahma. Auch die sinesischen Schriften haben einen Namen von drei Buchstaben etc.

»Alle nehmen eine wesentliche Gleichheit zwischen dem ersten Wesen und der menschlichen Seele, und die Möglichkeit einer unmittelbaren Kommunikation zwischen beiden und einer transzendentalen Veränderung im Menschen an.

Gott ist das unvergängliche Wesen und wohnt in einer heiligen Wohnung; die denkende Seele ist ein lauter Licht, sie scheinet mit ungeborgtem Glanz. Diese denkende Seele, das unsterbliche Prinzip genannt, ist eine Offenbarung jener lichtausstrahlenden Kraft, welche die höchste Seele genannt wird.« 76

»Ich sinne im Geist jener Lichtkraft nach, die Brahma heißt, geleitet durch das verborgene Licht, das in mir wohnet und durch das ich denken kann; es existiert in meinem Herzen. – Ich selbst bin eine lichte Offenbarung des höchsten Brahma.« 77

»Obgleich«, sagt der sinesische Theologe Cou-su, »die dem Menschen vom Himmel mitgeteilte Natur in ihrer Wurzel etwas Wahres und Unveränderliches ist; so kann der Mensch doch, weil er von jener ursprünglichen Reinheit, Unschuld und Wahrheit abgewichen ist, sie nicht klar erkennen, und nicht im Handeln befolgen, bis er heilig wird.«

»Der allerhöchste Brahma«, beten die Brahminen, »der die sieben Welten erleuchtet, wolle meine Seele mit seinem Licht vereinigen, d.i. mit seiner eigenen Seele, die über der siebenten Welt wohnt.« 78 Und eine ganze Upanga der Indier, die Mimansa, lehret: durch welche Mittel sich die Seele zu ihrem ersten Prinzip erheben könne.

Die Vedantaphilosophen statuieren, wie ich oben vorgelesen habe, die Einwürkung der ersten Ursache in die menschliche [532] Seele. Die sinesischen Philosophen auch, und zwar sagen sie: »Wenn der Mensch von dem höchsten Herrscher des Himmels stille und sanft gelenket und geleitet wird, so geschieht dies nicht durch Vernehmen oder Hören irgendeiner körperlichen Stimme, sondern das Herz empfängt diese stille und sanfte Leitung.«

Sie lehrten, »der Mensch könne aus seinem Herzen, insoweit dies eine gewisse Herrschaft über alle Bewegungen und Affekten des Gemüts und Leibes hat, zu der Erkenntnis jenes großen und höchsten Herzens der göttlichen Weisheit gelangen«. – »Er könne aus der Erkenntnis seiner Seele zu der Erkenntnis der Seelen seiner Mitmenschen und ihrer Heilung, und weiter der andern Wesen und selbst des Himmels aufsteigen, so daß er zwischen Himmel und Erde in der Mitte stehe und mit ihnen ein dreifaches Wesen ausmache.«

»Alle gebieten Streben nach Reinigkeit in Gedanken, Worten und Werken, und den Kampf gegen das Böse und gegen das Prinzipium des Bösen mittelst der Kräfte der Religion

»Ich bete«, spricht der Parse, »mit der Weite des Herzens, ich bete mit Reinigkeit der Gedanken, mit Reinigkeit des Worts, mit Reinigkeit der Tat. Jedem guten Gedanken, jedem guten Worte, jeder guten Tat weihe ich mich ganz, und entsage allem Bösen in Ge danken, in Worten und in der Tat. Ich weihe mich den Amschaspands, den unsterblichen und herrlichen, und lobpreise sie mit dem Gebet aller meiner Gedanken, meiner Worte und meiner Werke. In dieser Welt sei ihnen mein Leib und meine Seele heilig! Ich rufe sie an mit Weite des Herzens.« 79

»Von Norden und allen Nordgegenden«, heißt es im Vendidad, »eilt Ahriman, erster der bösen Geister, schwanger von Tod, herbei; Ahriman, Vater des argen Gesetzes, läuft und läuft ohne Ruhe. – Ich, sprach Honovar, brachte das reine Gesetz in Gang, und so zog sich dieser Darudi, Mörder und Lehrer des bösen Gesetzes zurück.« 80 Überhaupt wird in den Schriften der Parsen die gesamte Religion als eine Offenbarung einer Lichtkraft und eines Lichtreichs zur Bekämpfung und Besiegung der Kraft und des Reichs der Finsternis vorgestellet.

Auch in der Indoos-Religion ist es ebenso. Moisasur ist hier, seit seinem Abfall und seit er mit seinem Anhang aus dem Himmel, Maha Sarga, in den Ondera oder den Abgrund herabgestoßen [533] worden, der große Widersacher der Menschen und alles Guten. Sie suchten gleich anfangs die Schöpfung der Welt zu hindern, und suchen seitdem unaufhörlich, sie und die Menschen zu verderben und die Herrschaft über beide an sich zu reißen. Und: die Menschen gegen jene bösen Einflüsse durch Lehre und Kraft zu wappnen, ist so sehr das Geschäft des Brahma und Siwa und Vischnu, daß dieser, wie wir gesehen haben, wenn das Böse und die Finsternis die Überhand gewinnen will, sichtbar wird.

»Alle sprechen von Gottesdienst, Reuempfindung, Büßung, Opfer etc. von einer Dazwischenkunft von Hülf- und Mittelwesen und von Reinigungsmitteln.« Die Indier haben den heiligen Ganges. »Ihr Wasser, Mutter der Welten, reiniget uns – denn ihr göttlichen Wasser nehmt alle Sünde hinweg.« 81 Die Reinigungen durch Wasser sind ein Hauptstück der indischen Religion, und ist neben jeder etwas größern Pagode gewöhnlich ein Teich zum Waschen und Baden.

Die Parsen haben den heiligen Arduisur. »Richte dein Gebet«, heißt es bei ihnen, »an das reine himmlische heilige Wasser, das nicht gezeuget ist. – Es ist böse Lust, es ist Tod auf Erden; aber Wasser vertreibt beide.« 82

Die sinesischen Philosophen klagen laut über die böse Lust, und daß die Menschen sie nicht erkennen wollen.

»Alles ist umsonst«, sagt Konfuzius, »es ist alles umsonst; denn wo findet man Menschen, die strenge Beobachter, Zeugen, Ankläger und Richter ihrer selbst wären? Ich habe noch keinen gesehen, der seine Schuld erkenne, der geneigt wäre, sich vor dem innerlichen Gericht seines Gewissens zu stellen, sich strafbar zu finden und die verdiente Strafe auf sich zu nehmen und über sich ergehen zu lassen.« – »Aller äußerlicher Dienst und alle Gebräuche müssen aus einem mit wahrhaften und gebührlichen Gesinnungen angefüllten Herzen, als aus ihrer Quelle und Wurzel, herfließen, und sind, wenn ein solches Herz nicht da ist, ein eitles Menschengemächte und eine bloße Lüge.«

Das Opfern ist bei ihnen so alt als die Religion; sogar bedeutet Fo-hi, oder Pao-hi wie der Stifter ihrer Religion auch oft genannt wird, im Sinesischen Victima, Opfer. Sie glauben, daß die himmlische Luft, wie sie es nennen, die in dem Opferer ist, sich mit derhimmlischen Luft des Himmels durch eine gewisse[534] Sympathie vereinige, deswegen auch der Opferer vorher Enthaltung und Fasten üben müsse, damit seine Luft, die durch eitle Sorgen und Lüste, wie durch Nebel, verfinstert wird, rein und er so zum Opfern geschickt sei.

»Alle haben endlich zugedeckte und durch hieroglyphische Bilder, mythologische Erzählungen, heilige Zeremonien etc. verschleierte Punkte, die zwar eine erste offenbare Bedeutung fürs Auge haben, deren eigentlichen und geheimen Sinn aber nur die Vorsteher und Lehrer der Religion wissen und verstehen, um davon zum Besten der Schüler nach ihrem Eifer und ihrer Treue einen weisen Gebrauch zu ma chen.«

Aber, die Wahrheit zu sagen, es kommt mir vor, als wenn die Vorsteher und Lehrer in Asien diesen Sinn selbst nicht mehr verstünden und wüßten.

Till, der Holzhacker

Zur Erläuterung der neuen philosophischen Methode: die Reinheit in unsre Willkür aufzunehmen


Till hackte Holz auf Mord und Brand
(Der Mond am Himmel vor ihm stand),
Husch auf, husch kräftig nieder;
Da fuhr ihm 's Beil, bei Ja und Nein,
Vom Schaft, und in den Mond hinein,
Hinein, und kam nicht wieder.
»Feirabend«, sprach Till, »alleweil!
Denn hack mir einer ohne Beil,
Koch einer ohne Kohlen! –
Weil Till denn ohne Beil nichts kann;
So muß er, halter, wohl daran,
Und muß es wiederholen.«
Gesagt, getan. Er geht zur Stund
Und nimmt die Leiter von der Wand,
Wirft von sich Hut und Mütze,
Und stellt die Leiter frank und frei
Vor sich hin, und – und, ein zwei drei,
Bis oben auf die Spitze.
[535]
Da saß er, sah zum Mond hinan;
»Noch«, sagt' er, »bin ich nicht daran,
Doch vivat meine Leiter!«
Und drehete, so wie er saß,
Sie um, als wie ein Stundenglas,
Und stieg allmählich weiter.
So fuhr er fort: bald ruht' er sich,
Dann dreht' er wieder um und stieg,
Und stieg und drehte wieder;
Und kam, nachdem er's oft getan,
Im Monde wohlbehalten an,
Und setzte sich dort nieder.
Der Mond ist groß, ein wüster Ort,
Und mancher sucht vergebens dort;
Tilln sollte alles glücken.
Er ging kaum drei vier Schritte weit,
So lag das Beil da groß und breit;
Und er steckt's in die Ficken.
Uns andern würd's in solcher Höh
Wohl schwarz vor Augen, angst und weh;
Doch Till blieb keck und munter.
Er witterte nicht Furcht noch Fahr,
Und, wie er aufgestiegen war,
So stieg er auch herunter.
Das Ding war also abgemacht;
Indes war es nun Mitternacht,
Und ihn fing's an zu grauen.
Da macht' er 's Beil geschwinde fest
Am Schaft, und lief damit zu Nest,
Und sagt' es seiner Frauen.

Über den allgemeinen Eifer der Menschen für Religion und religiose Handlungen

Alle Völker, wie wir in Asien gesehen haben und in allen Weltteilen sehen können, haben, und hatten je und je, eine große Vorliebe, Anhänglichkeit, Achtung, Andacht, Ehrfurcht [536] etc. für die Religion, ein jedes für die seine. Diese Ehrfurcht ist gewöhnlich blind, doch gehört das nicht notwendig zu ihrer Natur; das aber gehört dazu, daß sie ihren Gegenstand als etwas Höheres, außer ihrem Bereich und Begriffen Liegendes, ansiehet. – Was sollte es mit dieser allgemeinen Ehrfurcht wohl eigentlich für eine Bewandtnis haben? Woher ist sie, und wie ist sie in die Menschen und Völker gekommen?

Abwärts, oder: wie diese Ehrfurcht, wenn sie einmal unter den Menschen gang und gäbe geworden und eingeführt war, auf die folgenden Geschlechter fortgehe? ist die Antwort so schwer nicht. Der Vater und der Herr hatten und bezeigten diese Ehrfurcht, so wird sie der Sohn und der Knecht auch wohl haben und bezeigen. Bergab läuft das Wasser leicht, und findet von selbst seinen Weg; aber bergauf kommt man endlich an einen Punkt, welcher der höchste ist, und da kann das Wasser nicht gelaufen kommen, sondern muß entspringen. Ebenso kommt man aufwärts bei unsrer Frage auch endlich an einen Mann, der diereligiöse Ehrfurcht hatte, ohne das Beispiel eines Vaters oder eines Herrn vor sich zu haben; – und wie kam sie dem?

»Wie alle Ehrfurcht kam«, wird die Philosophie antworten. »Die Menschen haben immer nützlichen Erfindungen Aufmerksamkeit und Achtung bewiesen, wie hätten sie denn bei der nützlichsten von allen eine Ausnahme machen sollen?«

Mag wohl sein; aber so und damit läßt sich unsre Frage noch nicht abspeisen. Die Achtung für eine nützliche Erfindung, und die Anhänglichkeit und Ehrfurcht für die Religion sind etwas verschiedener Art und Natur, und die Fälle sind selten, wo sich ein ganzes Geschlecht oder ein ganzes Volk für einen Sextanten oder Dollondschen Tubus hätte sengen und brennen oder gar ausrotten lassen. Auch müßte der Nutze der Erfindung sehr nach Sinn, und sehr in die Augen fallend sein, wenn die Achtung nur einigermaßen allgemein werden sollte.

»Ja, die Menschen sind von Natur abergläubisch, und nichts blendet und rührt sie so leicht und so tief, als Religion und religiose Handlungen, Opfern und dergleichen.«

Freilich müssen die Menschen wohl eine Disposition haben von Religion und religiosen Handlungen gerührt zu werden, denn die Tiere werden nicht davon gerührt; sie mögen wohl gar in sich, ohne daß sie es selbst recht verstehen oder wissen, die Notwendigkeit und Möglichkeit von beiden fühlen. Aber von[537] Aberglauben dürfen wir hier noch nicht reden. – Denn liefe das Wasser ja schon; und wir fragen: wie es zum Laufen gekommen sei.

Es ist eine tiefere Frage, als mancher wohl denkt, wie der erste Opferer zu der Idee des Opferns gekommen; und es möchte sich bei einer nähern Untersuchung und Beherzigung vielleicht ergeben, daß es überhaupt keine menschliche Erfindung sei. Aber wir wollen es der Philosophie einmal zugeben, um desto handgreiflicher zu sehen, ob ein durch die ganze Welt eingeführter und sechstausend Jahre bestehender Gebrauch, und ob die allgemeine Ehrfurcht, die wir noch nach sechstausend Jahren bei allen Völkern dafür antreffen, sich aus einem solchen menschlichen Einfalle, Erfindung und Grille herleiten und erklären lasse.

Es soll also ein Mensch, bloß aus sich selbst, auf die Idee des Opferns verfallen, und zwar wollen wir ihn auf eine ganz billige und honette Art darauf verfallen lassen. Wir nehmen an, daß ein Mann mit einem warmen und dankbaren Herzen zwischen den Rippen, der nie eine Wohltat annehmen und genießen konnte und nicht annahm und genoß, ohne vorher den Wohltäter aufgesucht und ihm die Hand gedrückt zu haben – daß der, unter dem Sternhimmel oder in sei nem Blumengarten, neben seiner Wiege oder zwischen seinen Saaten, kurz bei dem Anblick der unzähligen Wohltaten Himmels und der Erden, sich nach dem Wohltäter umgesehen, und als er keinen finden konnte und die Wohltaten immer neu zuströmten, einmal übergeflossen sei und mit seinem Herzen nicht zu bleiben gewußt habe; wir nehmen an, daß er, um sich in dieser Verlegenheit zu helfen und seines Dankes loszuwerden, einen sonderlichen Einfall gehabt, dem unbekannten Wohltäter, der doch am Ende irgendwo sein mußte, einen Altar gebaut, und ihm, sehe er's oder sehe er's nicht, sein bestes Lamm daraufgelegt oder darauf verbrannt habe. Was wird nun daraus werden? – Nicht viel.

Sein Sohn, und einige empfindsame Nachbarn würden etwa dies Opfern recht artig gefunden, und es alle, gleich und die ersten Wochen, nachgemacht haben, wie die Leute zu einer gewissen Zeit die empfindsamen Reisen artig fanden und sich alle eine Yoricksche Dose anschafften; aber es würde nicht lange gewährt haben, so wäre dies Opfern alt geworden, und, wie die Dose, bei ihnen wieder aus der Mode gekommen. Die andern undankbaren oder unempfindsamen Zeitgenossen aber hätten den Mann gar nicht verstanden, und über ihn und seinen Altar gelacht; und,[538] zehn gegen eins, er selbst wäre des Dinges müde geworden, oder er hätte anders müssen gebaut sein als andre Menschen. Man gratuliert wohl seinem Wohltäter auf frischer Tat zum Geburtstag, Namenstag und zu Neujahr etc.; aber nach und nach kommen die Briefe sparsamer, und allendlich bleiben sie gar aus.

Und von mitteilen, einprägen und in Gang bringen religioser Andacht und Ehrfurcht bei den Zeitgenossen, ist hier keine Ahndung, und gar die Rede nicht. Für wen hätten sie diese Ehrfurcht auch haben sollen? Für den, der opferte? – Der war ja ihresgleichen, der seine Empfindung auf seine Art ausdrückte, und er tat nichts, als was sie alle nachtun konnten, so viel sie Lust hatten. Für den, dem geopfert ward? – Aber, wenn sie von dem auch einen Begriff hatten; so wußten sie ja nicht, und konnten auf keine Weise wissen, aus keinem Umstand schließen, daß der bei diesem Altar und Opfer mehr gegenwärtig sei, als an einem jeden andern Ort. Und der Opferer selbst wußte es ebensowenig, und konnte es ebensowenig wissen.

Was nun bei diesem Opfer gilt, das gilt bei allen menschlichen Erfindungen, die nur ein Ausdruck der Empfindung und Gesinnung sind; und gilt in dem Maße mehr, als die ausgedrückte Gesinnung edler, d.i. gegen den Strom und wider und zur Bändigung der sinnlichen Triebe und Leidenschaften der Menschen gemeint ist. Denn die Menschen, die mit diesen Trieben und Leidenschaften behaftet sind, werden, wenn sie sonst keine andern Ursachen und Veranlassung haben, sich auf dergleichen wohl nicht einlassen, und noch viel weniger mit Eifer und Ehrfurcht dafür erfüllt werden.

Auf die Weise bringen wir den Altar in der Welt nicht zum Stehen, und auf die Weise können wir von der allgemeinen Ehrfurcht keine Rede und Antwort geben. Wenn also diese Ehrfurcht allgemein in der Welt ist – und das ist sie ja – und wenn der Altar in der Welt fest steht – und das tut er ja –; so muß es mit dem Ursprung der einen und des andern eine andre Bewandtnis haben. Und es bleibt wohl nichts übrig, als daß bei dem Gottesdienst, der diese Andacht und Ehrfurcht mitteilte und einprägte, etwas Außerordentliches und über das Wissen und Können derer, denen er sie mitteilte und einprägte, Erhabenes, stattgefunden habe. Sie mußten etwas gewahr werden, das sie nicht begreifen, und nur ehrerbietig fürchten und anbeten konnten, und ihren Kindern und Nachkommen als unbegreiflich und anbetungswürdig erzählten und überlieferten.

[539] »Aber«, erwidert die Philosophie, »wenn man das auch zugeben wollte, nun so war dieses Unbegreifliche Betrug, und der Opferer ein Betrüger, der den Zuschauern Ehrfurcht einjagen wollte, um sie zu seinen Absichten zu mißbrauchen.«

Allerdings konnte das sein. Das ist, überhaupt und an sich, nicht allein möglich, sondern es ist auch leider mehr als zu oft würklich gewesen. Dieser Betrüger konnte auch noch dazu der erste Betrüger sein; aber der erste Opferer konnte er nicht sein, auch wußte er ja auch schon von einem Gottesdienst und von einer Ehrfurcht, die dadurch eingeprägt werden konnte. Der Mißbrauch, sollte man denken, setzt den rechten Gebrauch voraus, der Aberglauben den Glauben, die Abweichung von der Regel die Regel etc.

Das Wahre und Gute ist notwendig das erste, und das Böse und die Lüge kann nur das zweite sein. Der erste Opferer mußte schon geopfert und nicht betrogen haben, und denn konnte der Betrüger erst kommen und betrügen wollen.

Die Armen in Wandsbeck

an die Frau Schatzmeisterin Gräfin von Schimmelman, zu ihrem Geburtstag, den 29. September 1793


Wir hatten heut nicht Ruh noch Rast,
Das kannst Du leicht gedenken. –
Wenn Sorg und Not uns kränken,
Ist eine, der Du Kundschaft hast,
Die mag so gerne schenken,
Und speisen uns und tränken,
Und lindern uns des Lebens Last.
Das kannst Du leicht gedenken,
Drum hatten wir nicht Ruh noch Rast.
Wohltaten, still und rein gegeben,
Sind Tote, die im Grabe leben;
Sind Blumen, die im Sturm bestehn;
Sind Sternlein, die nicht untergehn.
Wir Menschen sind mit Geld und Ehr
Hier nicht in gleichem Falle,
[540]
Und mancher hat des Geldes mehr,
Ob er vielleicht so edel wär
Und sich zum Mangel freundlich kehr,
Und aufs Geschrei der Armen hör
Allein sie tun's nicht alle.
Daß Du so christlich bist,
Das lohn Dir Jesus Christ!
– Gib, und vergiß, was Du getan,
Er wird es nicht vergessen;
Er sieht's aus seinem Himmel an,
Und wird Dir wieder messen.
Wer ihn und seinen Willen ehrt,
Dem ist sein Lohn beschieden.
Leb lange noch hienieden,
Und fahre dann in Frieden!
Dies Leben ist der Müh nicht wert;
In seinem Haus, an seinem Herd
Da laben sich die Müden;
Da bring sein Engel Dich zur Ruh
Und drück Dir sanft die Augen zu.

Bemerkung

Freiheit und Knechtschaft sind wohl zwei;
Doch oft im Grunde einerlei.

Vorrede zu der Übersetzung von Fénelons Werken religiosen Inhalts

Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnet sich nach dem Vollkommnen, Ewigen und Unendlichen, als seinem Ursprung und Ziel. Er ist hier aber an das Unvollkommne gebunden, an Zeit und Ort; und wird dadurch gehindert und gehalten, und von dem väterlichen Boden getrennt.

Und darum hat er hier keine Ruhe, wendet und mühet sich hin und her, sinnet und sorgt, und ist in beständiger Bewegung [541] zu suchen und zu haben, was ihm fehlt und ihm in dunkler Ahndung vorschwebt.

Da er sich aber nicht anders, als in und mit seinem Hindernis, bewegen kann; so ist sein Mühen umsonst und vergebens, was er auch tue und welchen Fleiß er auch anwende. Er kann, rundum in seinem Zirkel, Entdeckungen machen, viel und mancherlei finden, Schönes und Nützliches, Scharfsinniges und Tiefsinniges; aber zu dem Vollkommnen kann er, sich selbst gelassen, nicht kommen; denn er bringt, wie gesagt, gerade was ihm im Wege ist und hindert in alles mit, was er beginnet und tut, und kann nicht über sich selbst hinaus.

Soll er zu seinem Ziel kommen; so muß für ihn ein Weg einer andern Art sein, wo das Alte vergeht und alles neu wird, wo das Hindernis, das ihm im Wege ist und hindert und das er selbst nicht abtun kann, durch eine fremde Hand abgetan; und er, nicht sowohl belehrt, als verwandelt und über sich und diese Welt gehoben und so der vollkommnen Natur teilhaftig wird.

Und diesen Weg, der das Geheimnis des Christentums ist, lästern und verbessern die Menschen, und wollen lieber auf ihrem Bauch kriechen und Staub essen.

Es ist aber darum nicht weniger groß und heilig, und darum nicht weniger wert, daß wer sich des Odems in seiner Nasen bewußt ist alles für nichts achte und Vater und Mutter verlasse, um hineinzuschauen und sein teilhaftig zu werden.

Wenn nun gleich hier mit »Weisheit« und »Kunst« nichts ausgerichtet ist, und die Gabe Gottes nicht um Geld und um keine zeitliche Gesinnung verkauft wird, und der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben; so kann er sich doch, durch eine gewisse fortgesetzte Behandlung und Richtung Seiner-Selbst, empfänglicher machen, und der fremden Hand den Weg bereiten.

Von diesem Wegbereiten und Empfänglichmachen etc. handelt der Erzbischof Fénelon in den hier übersetzten Werken, und teilt darin, nicht als ein Klügling und Urteiler des Weges und als Menschen zu gefallen, sondern als einer, der die Sache versucht hat und dem an seiner und anderer Menschen Seligkeit gelegen ist, seine Erfahrungen und seinen Rat einfältig und unbefangen mit. Und es kann nicht fehlen, ob er wohl eigentlich für die Christen seiner Konfession geschrieben hat und die der andern, in einigen Punkten, verschiedener Meinung sind, daß nicht alle, denen ein Kampf verordnet ist, und die eine Hoffnung und[542] einen Jesum Christum haben, ihn gern und mit Nutzen lesen werden.

Und vielleicht werden selbst von den Nicht-Christen und Un-Christen, einige durch die Milde und den Ernst dieses liebenswürdigen Schriftstellers veranlaßt, ihren Weg noch einmal in Überlegung zu nehmen, sosehr sie auch glauben, desselben gewiß zu sein.

Die Geschichte des griechischen Jünglings ist bekannt: der kam, auch seines Weges und seines Glücks gewiß, das Haar nach dem Sinn der Zeit mit Rosen bekränzt in den Hörsaal eines Weisen, der von dem unsterblichen Geist, der im Menschen ist, und von seinem wahren Glück redete. Und als er ihm eine Zeitlang zugehöret hatte, riß er heimlich und verstohlen eine Rose nach der andern herunter, und warf sie an die Erde.

Ein Seliger an die Seinen in der Welt

Hier ist alles heilig, alles hehr!
Und die kleinen Erdenfreuden,
Und die kleinen Erdenleiden
Kümmern uns nicht mehr.
Doch wir denken hier an die da drüben,
Denken hier an sie, und lieben.

Kron und Szepter, 1795

Die sind keine Menschen-Habe,
Wie die Rede geht,
Sind ursprünglich Himmels-Gabe,
Heiliges Gerät,
Damit Gott den König zieren,
Und fein sanft und still,
Durch ihn, seine Welt berühren
Und sie segnen will.
Jeder König sei des hehren
Großen Rufes wert! –
[543]
Doch denn muß er nichts begehren,
Was ein Mensch begehrt;
Muß nicht seine Wege wandeln,
Alles Eignen rein
Nur vor Gott und mit Gott handeln,
Sonst ist er nicht Sein;
Muß, wie Gott, zu allen Zeiten
Nur barmherzig sein,
Und nur Licht und Recht ausbreiten;
Sonst ist er nicht Sein;
Und durch jede seiner Taten,
Wo er des vergißt,
Hat er Gott den Herrn verraten,
Dessen Bild er ist;
Und der Königliche Segen,
Licht und Kraft und Glück,
Kehrt zu dem, von dessentwegen
Er Sein war, zurück;
Kehrt zurück – der Geist entflieget,
Weil ihm Leid geschah,
Und die große Leiche lieget
Zur Verwesung da
Menschen-Will und -Werk vergehet,
Wie die Wahrheit spricht;
Was, mit Gott geeinigt, stehet,
Das vergehet nicht;
Kann nicht überwunden werden,
Und muß ewig stehn
Wie im Himmel so auf Erden;
Und die Welt wird sehn:
Daß nicht Dünkel glücklich mache,
Gottesfurcht und Scheu
Ewiglich die große Sache
Aller Menschen sei.

[544] An meinen Sohn Johannes 1799

Gold und Silber habe ich nicht;

was ich aber habe, gebe ich dir.


Lieber Johannes!

Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg gehen muß, den man nicht wiederkömmt. Ich kann Dich nicht mitnehmen; und lasse Dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.

Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier, und fegen die Tenne.

Ich habe die Welt länger gesehen als Du.

Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen.

Darum will ich Dir einigen Rat geben, und Dir sagen was ich funden habe, und was die Zeit mich gelehret hat.


Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und ist nichts wahr, was nicht bestehet.

Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier, mit und neben ihm, sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewußt, und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorübergehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür und Macht unterworfen; er ist sich selbst anvertraut, und trägt sein Leben in seiner Hand.

Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe.

Laß Dir nicht weismachen, daß er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse.

Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er nicht und kennet sie nicht.

Spare Dir denn vergebliche Mühe, und tue Dir kein Leid, und besinne Dich Dein.

Halte Dich zu gut, Böses zu tun.

Hänge Dein Herz an kein vergänglich Ding.

Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.

Was Du sehen kannst, das siehe, und brauche Deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte Dich an Gottes Wort.

[545] Bleibe der Religion Deiner Väter getreu, und hasse die theologischen Kannengießer.

Scheue niemand so viel, als Dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist, als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es Dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was Du sinnest und vorhast, schlage zuvor an Deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind; doch, wenn Du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird Dir vernehmlicher sprechen.

Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird; da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, daß sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, daß man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behende dahinfahren; da sei auf Deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes.

Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß.

Wenn Dich jemand will Weisheit lehren, so siehe in sein Angesicht. Dünket er sich noch; und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, laß ihn und gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünket daß er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit innegeworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist.

Was im Hirn ist, das ist im Hirn; und Existenz ist die erste aller Eigenschaften.

Wenn es Dir um Weisheit zu tun ist; so suche sie und nicht das Deine, und brich Deinen Willen, und erwarte geduldig die Folgen.

Denke oft an heilige Dinge, und sei gewiß, daß es nicht ohne Vorteil für Dich abgehe und der Sauerteig den ganzen Teig durchsäuere.

Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint, und Du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne.

[546] Es ist leicht zu verachten, Sohn; und verstehen ist viel besser.

Lehre nicht andre, bis Du selbst gelehrt bist.

Nimm Dich der Wahrheit an, wenn Du kannst, und laß Dich gerne ihrentwegen hassen; doch wisse, daßDeine Sache nicht die Sache der Wahrheit ist, und hüte, daß sie nicht ineinanderfließen, sonst hast Du Deinen Lohn dahin.

Tue das Gute vor Dich hin, und bekümmre Dich nicht, was daraus werden wird.

Wolle nur einerlei, und das wolle von Herzen.


Sorge für Deinen Leib, doch nicht so als wenn er Deine Seele wäre.

Gehorche der Obrigkeit, und laß die andern über sie streiten.

Sei rechtschaffen gegen jedermann, doch vertraue Dich schwerlich.

Mische Dich nicht in fremde Dinge, aber die Deinigen tue mit Fleiß.

Schmeichle niemand, und laß Dir nicht schmeicheln.

Ehre einen jeden nach seinem Stande, und laß ihn sich schämen, wenn er's nicht verdient.

Werde niemand nichts schuldig; doch sei zuvorkommend, als ob sie alle Deine Gläubiger wären.

Wolle nicht immer großmütig sein, aber gerecht sei immer.

Mache niemand graue Haare, doch wenn Du recht tust, hast Du um die Haare nicht zu sorgen.

Mißtraue der Gestikulation, und gebärde Dich schlecht und recht.

Hilf und gib gerne, wenn Du hast, und dünke Dir darum nicht mehr; und wenn Du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand, und dünke Dir darum nicht weniger.

Tue keinem Mädchen Leides, und denke, daß Deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist.

Sage nicht alles, was Du weißt, aber wisse immer, was Du sagest.

Hänge Dich an keinen Großen.

Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die elendesten unter allen Kreaturen.

Nicht die frömmelnden, aber die frommen Menschen achte, und gehe ihnen nach. Ein Mensch, der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie die Sonne, die da scheinet und wärmt, wenn sie auch nicht redet.

[547] Tue was des Lohnes wert ist, und begehre keinen.

Wenn Du Not hast, so klage sie Dir und keinem andern.

Habe immer etwas Gutes im Sinn.


Wenn ich gestorben bin, so drücke mir die Augen zu, und beweine mich nicht.

Stehe Deiner Mutter bei, und ehre sie solange sie lebt, und begrabe sie neben mir.

Und sinne täglich nach über Tod und Leben ob Du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der Welt, ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgend etwas öffentlich bezeuget zu haben.


Dein treuer Vater.

Ein gülden ABC

A

Armut des Geistes Gott erfreut;
Armut, und nicht Armseligkeit.
B

Besprich dich nicht mit Fleisch und Blut,
Fahr zu, gleich zu, wie Paulus tut.
C

Creuz ist ein Kraut, wenn man es pflegt,
Das ohne Blüte Früchte trägt.
D

Dürst nicht nach Rache und nach Blut;
Vergeben wäre wohl so gut.
E

Ein edles Herz glänzt hell und hold,
Ein gutes ist gediegen Gold.
F

Für was du Gutes hier getan,
Nimm keinen Lohn von Menschen an.
G

Geduldig sein – Herr lehr es mich,
Ich bitte dich, ich bitte dich.
[548] H

Hau deinen Götzen mutig um,
Er sei Geld, Wollust oder Ruhm.
I

In dir ein edler Sklave ist,
Dem du die Freiheit schuldig bist.
K

Kämpf und erkämpf dir eignen Wert;
Hausbacken Brot am besten nährt.
L

Liebt euch auf Erden, liebt, und wißt,
Daß Gott im Himmel Liebe ist.
M

Merk auf die Stimme tief in dir;
Sie ist des Menschen Kleinod hier.
N

Nimm wahr der Zeit; sie eilet sich,
Und kommt nicht wieder ewiglich.
O

O Herr lehr uns bedenken wohl,
Daß wir sind sterblich allzumal.
P

Parabeln sind wohl fein und schön,
Doch muß sie einer auch verstehn.
Q

Quäl nicht dein Herz ohn Unterlaß,
Ein freier Mut gefällt Gott baß.
R

Recht halte heilig bis in'n Tod,
So bleibt ein Freund dir in der Not.
S

Straf keck das Böse ins Gesicht;
Vergiß dich aber selber nicht.
T

Treib Tugend jeden Augenblick;
Wer nicht vorangeht, geht zurück.
[549] U

Und wenn sie alle dich verschrein,
So wickle in dich selbst dich ein.
V

Verlaß dich nicht auf diese Welt;
Sie ist Schaum, der zusammenfällt.
W

Wie wird es dann, o dann uns sein,
Wenn wir der bessern Welt uns freun?

X
Y

In Sturm die Sonne spiegelt nicht
Im Meer ihr heilig Angesicht.
Z

Zerbrich den Kopf dir nicht zu sehr,
Zerbrich den Willen, das ist mehr.

Ein silbern dito

A

Aus nichts wird nichts, das merke wohl,
Wenn aus dir etwas werden soll.
B

Betrüge nicht; du hast nicht Rast
Noch Ruh, wenn du betrogen hast.
C

Cränz einen Welterobrer nicht,
Schlepp lieber ihn zum Hochgericht.
D

Dring und durchdringe die Natur;
Wer sie durchdringt, beherrscht sie nur.
E

Erleuchtet das Jahrhundert ist;
Der Esel Stroh und Disteln frißt.
[550] F

Fahr nicht zu hoch her, eitler Mann;
Noch hast du 's letzte Hemd nicht an.
G

Greif nicht leicht in ein Wespennest;
Doch, wenn du greifst, so stehe fest.
H

Häng an die große Glocke nicht,
Was jemand im Vertrauen spricht.
I

Im Anfang war die Erde leer,
Am Ende sind's die Köpfe mehr.
K

Kratz nicht im Staube wie ein Tier,
Der Kopf sitzt ja noch oben dir.
L

Leih dem in Not, und sei bereit;
So hast du zwei zugleich erfreut.
M

Mach keines Glauben deinen Spott;
Ein jeder glaubet sich und Gott.
N

Nichts ist so elend als ein Mann,
Der alles will, und der nichts kann.
O

Oft galt das Faustrecht statt der Pflicht;
In unsern Jahren gilt es nicht.
P

Pfeif immer auf dem Finger nicht;
Die Narren tun's, wie Sirach spricht.
Q

Querfeldein braust der Waldstrom wohl;
Der Bach im Wege bleiben soll.
R

Rebekka wählen ist Geschmack;
Nicht wahr, Kollege Isaak?
[551] S

Sir Newton war ein großer Mann,
Ein Tropfen aus dem Ozean.
T

Trag deine Tugenden nicht Schau,
Und ehr und liebe deine Frau.
U

Umsonst ist's, frühe aufzustehn;
Und besser, früh zu Bette gehn.
V

Vor Kritikastern hüte dich;
Wer Pech angreift, besudelt sich.
W

Wer Pech angreift, besudelt sich;
Vor Kritikastern hüte dich.
X

Xerxes verließ sich auf sein Heer;
Allein das Heer auf ihn nicht sehr.
Y

Ygreck ein böser Buchstab ist;
Bei ihm hilft nicht Gewalt noch List.
Z

Zuletzt nehmt noch die Warnung an:
Daß keinem Schelm man trauen kann.

Das letzte Kapitel aus dem unvergesslichen und vergessenen Werk des Grosskanzlers Franz Baco v. Verulam: De Dignitate et Augmentis Scientiarum

Nachdem denn mein Schifflein, so einmastig es auch ist, die alte und neue Welt der Wissenschaften umfahren hat; so kann ich nun zu Anker und an Land gehen. Doch ist noch die heilige und inspirierte Theologie übrig. Wenn wir aber auch die noch abhandeln wollten, so müßten wir das Schifflein der menschlichen Vernunft verlassen, und in das Schiff der Kirche treten, die allein die göttliche Nadel hat, die Fahrt zu richten. Denn die philosophischen Sterne, die uns bisher sonderlich geleuchtet haben, [552] reichen nicht mehr zu, und wir sollten also wohl lieber vor der Theologie stillschweigend vorübergehen. Wir lassen deswegen auch die eigentlichen Ein- und Abteilungen derselben weg; doch wollen wir auch auf ihren Altar nach unserer Wenigkeit einige Gaben hinlegen, als Gelübde und Wünsche. Und wir lassen es um so mehr dabei bewenden, da wir in dem Gebiet der Theologie durchaus keine Landschaft oder Gegend finden, die ganz wüste oder ungebaut wäre; so groß ist der Fleiß der Menschen gewesen, Weizen oder Unkraut zu säen.

Wir schlagen denn drei Anhänge zur Theologie vor, die nicht von dem, was durch die Theologie bestimmt und ins reine gebracht ist oder gebracht werden soll, sondern nur von der Art und Weise: ins reine zu bringen, handeln. Auch werden wir nicht bei jenen Traktaten (wie wir bei den übrigen pflegten) weder Exempel beifügen, noch Vorschriften geben. Das überlassen wir den Theologen. Denn, was wir darbringen, ist, wie wir gesagt haben, nur als Wünsche anzusehen.

1) Die Prärogative Gottes begreift den ganzen Menschen, und geht nicht weniger auf die menschliche Vernunft als auf den menschlichen Willen: daß nämlich der Mensch sich und alle dem Seinen absage, und sich Gott hingebe. Wie wir also dem göttlichen Gesetz gehorchen müssen, obgleich der Wille widerstrebt: so müssen wir dem Worte Gottes glauben, obgleich die Vernunft widerstrebt. Denn, wenn wir nur die Dinge glauben, die unsrer Vernunft gemäß sind, so vertrauen wir nicht dem Urheber, sondern nur den Sachen, was wir auch verdächtigen Zeugen nicht zu versagen pflegen. Aber jener Glaube, der dem Abraham zur Gerechtigkeit gerechnet ward, betraf etwas, das der Sarah lächerlich dünkte, die in diesem Stück auf gewisse Weise ein Bild der natürlichen Vernunft war. Je ungereimter und unglaublicher also irgendeingöttliches Geheimnis ist, desto mehr Ehre geschieht Gott durch die Annahme desselben, und der Sieg des Glaubens wird desto edler. Ebenso bei Sündern; je mehr ihr Gewissen ihnen Vorwürfe macht und sie anklagt, eine desto größere Ehre tun sie Gott, wenn sie darum doch und nichtsdestoweniger Vertrauen und Hoffnung ihrer Seligkeit in seine Barmherzigkeit setzen. Alles Verzweifeln aber ist Gott eine Schmach. Ja, glauben ist an sich, die Sache genau angesehen, etwas Würdigers als wissen. Denn im Wissen leidet der menschliche Verstand von dem sinnlichen Eindruck, der von den körperlichen Dingen herrührt; imGlauben aber leidet die Seele von der Seele, die ein[553] würdiger Agens ist. Anders verhält die Sache sich in dem Stande der Herrlichkeit: dann wird der Glaube aufhören, und wir werden erkennen, wie wir erkannt sind.

Wir setzen also zum Grunde: daß die heilige Theologie nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Wort und den Aussprüchen Gottes geschöpft werden müßte. Denn es stehet wohl geschrieben: die Himmel verkündigen die Ehre Gottes: aber man findet nirgends geschrieben: die Himmel verkündigen den Willen Gottes. Von diesem heißt es: nach dem Gesetz und den Zeugnissen; wenn sie nicht tun nach jenem Wort etc. Und dies, was von dem Ursprung der Theologie gesagt worden, gilt nicht allein bei jenen großen Geheimnissen von der Gottheit, der Schöpfung, derErlösung; sondern es bezieht sich auch auf die vollkommnere Auslegung des moralischen Gesetzes: Liebet eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen etc. damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel, der da regnen läßt über Gerechte und Ungerechte: von welchen Worten mit Recht gesagt werden kann:die Stimme war keines Menschen Stimme. Denn sie sind eine Stimme, die über das Licht der Natur ist. Wir sehen, daß die heidnischen Poeten sogar, sonderlich im hohen Flug, nicht selten auf die Gesetze undmoralische Lehren (die doch viel nachsehender und freier als die göttlichen Gesetze sind) Ausfälle tun, als ob diese der natürlichen Freiheit auf gewisse Weise hämisch und schadenfroh entgegen wären.


– Et quod natura remittit,
Invida iura negant. –

So sagte der Indier Dendanus zu den Boten des Alexanders: er habe zwar etwas von dem Namen des Pythagoras und anderer Weisen aus Griechenland gehört, glaube auch, daß sie große Leute gewesen wären; sie hätten aber doch auch ihre Fehler gehabt, unter andern eine zu große Anhänglichkeit und Achtung für ein gewisses phantastisches Ding, das sie Gesetz und Sitte genannt hätten. Es ist denn außer allem Zweifel, daß ein großer Teil des moralischen Gesetzes höher ist, als das Licht der Natur reichen kann. Wenn indes gesagt wird, daß die Menschen auch aus dem Licht und Gesetz der Natur, einige Begriffe von Tugend, Laster, Gerechtigkeit, Unrecht, Gut, Böse etc. hätten; so ist das allerdings wahr. Doch muß man merken, daß Licht der Natur in einer zwiefachen Bedeutung genommen werde. Erstlich, insoweit es aus den Sinnen, der Induktion, aus Vernunft und Schlüssen entsteht, [554] nach den Gesetzen des Himmels und der Erde. Zweitens, inwieweit es dem menschlichen Gemüt durch eine innerliche Ahndung leuchtet, nach dem Gesetz des Gewissens, das noch ein Funke und gleichsam ein Überbleibsel der alten und ursprünglichen Reinigkeit ist. In dieser letzten Bedeutung hauptsächlich ist die Seele einiges Lichts teilhaftig, die Vollkommenheit des moralischen Gesetzes einzusehen und zu schätzen; indes ist dies Licht nicht völlig klar, sondern von der Art, daß es mehr Laster und Vergehungen zeihet, als über die Pflichten vollständig unterrichtet. Die Religion hängt also sowohl in Hinsicht der Moral als der Geheimnisse, von der göttlichen Offenbarung ab.

Bei dem allen aber findet doch der Gebrauch dermenschlichen Vernunft in geistlichen Dingen auf mehr als eine Art statt und hat ein weites Feld. Denn es ist nicht ohne Ursache, daß die Apostel die Religion einen vernünftigen Gottesdienst nennen. Man denke nur an die Zeremonien und Bilder des Alten Testaments. Die waren vernünftig und bedeutend, und sehr verschieden von den Zeremonien der Abgötter und Zauberer, die gleichsam taub und stumm waren, meistenteils nichts lehrten, nicht einmal auf etwas hindeuteten. Sonderlich aber ragt der christliche Glaube, wie in allem, so auch eben darin hervor, daß er, im Gebrauch der Vernunft und des Disputierens (das eine Tochter der Vernunft ist) zwischen den Gesetzen der Heiden und des Mahomeds, die zu beiden Seiten fehlen und abweichen, die goldene Mittelstraße hält. Die Religion der Heiden hat nämlich gar nichts Festes in Glauben und Bekenntnis; in der Religion des Mahomeds ist hingegen alles Disputieren verboten, so daß die eine wie ein vager buntscheckigter Irrtum, und die andere wie ein arglistiger und schlauer Betrug aussieht, da indes der heilige christliche Glaube den Gebrauch der Vernunft und die Disputation (aber nach gehörigen Schranken) sowohl erlaubt als verwirft.

Der Gebrauch der menschlichen Vernunft in Sachen, die Religion betreffend, ist gedoppelt; einer, inErklärung des Geheimnisses, und der andre, in denFolgerungen, die daraus hergeleitet werden. Was dieErklärung der Geheimnisse anlangt, so sehen wir, daß Gott so gnädig ist, sich zu der Schwachheit unsrer Fassungskraft herabzulassen; indem er nämlich seine Geheimnisse so auslegt, daß sie füglich von uns gefaßt werden können, indem er seine Offenbarungen gleichsam in die Konzepte und Begriffe unsrer Vernunft einimpfet, und seine Inspirations so zur Eröffnung [555] unsres Verstandes einrichtet, wie die Figur des Schlüssels nach der Figur des Schlosses eingerichtet wird. Nur müssen wir es in diesem Stück an uns selbst nicht fehlen lassen. Denn da Gott sich selbst des Dienstes unsrer Vernunft in seinen Erleuchtungen bedient; so müssen wir sie auch, auf alle Weise und nach allen Seiten hin, um sich sehen und sich umtun lassen, damit wir dadurch den Geheimnissen desto bessere Aufnahme und Eingang bereiten. Nur muß dabei das Gemüt so viel möglich nach der Größe der Geheimnisse erweitert, und das Geheimnis nicht nach der Kleinheit des Gemüts eingeengt werden.

Was die Folgerungen anlangt; so müssen wir wissen, daß uns (in Hinsicht der Geheimnisse) kein erster und absoluter, sondern nur ein untergeordneter und relativer Gebrauch der Vernunft und des Schließens zustehe. Denn, wenn die Artikel und Grundlehren der Religion ihres Orts gesetzt worden, so daß sie von aller Untersuchung der Vernunft ganz und gar ausgenommen sind, alsdann ist es uns allererst erlaubt, aus ihnen, nach ihrer Analogie, Folgerungen zu ziehen und herzuleiten. In natürlichen Dingen ist dies nicht so. Denn da werden auch die Prinzipien selbst der Untersuchung unterworfen; durch Induktion nämlich, obwohl auf keine Weise durch Schlüsse. Und ebendiese Prinzipien enthalten nichts, das der Vernunft nicht gemäß wäre, so daß hier sowohl die ersten als die mittlern Sätze aus einer und derselben Quelle hergeleitet werden. In der Religion aber sind einmal die ersten Sätze selbständig und für sich bestehend, und denn werden sie auch nicht von jener Vernunft regiert, welche die Folgesätze herleitet. Indes ist dies nicht allein der Fall in der Religion, sondern auch in andern Wissenschaften, sowohl wichtigern als geringern, wo nämlich die ersten Sätze willkürlich angenommene, nicht selbststehende sind: und auch bei diesen kann der Gebrauch der Vernunft nicht absolut sein. Wir sehen bei Spielen, z.E. beim Schachspiel oder dergleichen, daß die ersten Vorschriften und Gesetze des Spiels bloß positiv und willkürlich gemacht sind; die müssen angenommen werden und wird auf keine Weise darüber gestritten; daß man aber gewinne und geschickt spiele, das ist künstlich und vernünftig; auf ebendie Weise hat es sich auch bei den menschlichen Gesetzen: hier sind auch nicht wenige sogenannte Maximen, das ist, angenommene Rechtsgrundsätze, die mehr auf Autorität als Vernunft gegründet, und über die nicht gestritten wird: was aber nun gerecht und das Gerechteste sei, nicht absolut, sondern relativ (das ist [556] nach der Analogie jener Maximen) das ist allererst vernünftig, und eröffnet ein weites Feld zum Zanken und Streiten. Der Art also ist die Vernunft zweiter Ordnung, die in der heiligen Theologie, die nämlich auf die Aussprache Gottes gegründet ist, stattfindet.

Wie aber der Gebrauch der menschlichen Vernunft in göttlichen Dingen gedoppelt ist, so ist auch bei diesem Gebrauch selbst ein gedoppelter Abweg, einer: wenn in die Art und Weise des Geheimnisses über die Gebühr eingegangen und fürwitzig geforscht; der andre: wenn den Folgerungen ein ebenso großes Ansehen als den Prinzipien selbst beigelegt wird. Denn das wäre ein guter Schüler des Nikodemus, der immer fortfragen wollte, wie ein Mensch könne geboren werden, wenn er alt ist? Und der kein guter Schüler Pauli, der nicht von Zeit zu Zeit in seinen Brief mit einfließen ließe: Ich, nicht der Herr; oder:nach meiner Meinung; denn so gebührt's sich, bei den meisten Folgerungen zu sprechen. Es scheint uns also eine heilsame und gar sehr nützliche Sache, wenn ein nüchterner und fleißiger Traktat abgefaßt würde, der, gleichsam als eine göttliche Dialektik, über denGebrauch der menschlichen Vernunft in theologischen Dingen nützliche Vorschriften gäbe. Dieser Traktat sollte nämlich in Zukunft als eine Opiatmedizin dienen, die nicht allein die eitlen Spekulations der Schule einschläfre, sondern auch die Wut der Streitigkeiten, die etwa die Kirche beunruhigen möchten, in etwas mildere. Einen solchen Traktat setzen wir unter die fehlenden Dinge und nennen ihn Sophron, oder: von dem rechtmäßigen Gebrauch der menschlichen Vernunft in göttlichen Dingen.

2) Es ist für die Ruhe der Kirche sehr wichtig, daß der Bund der Christen, der in zwei Sätzen, die ein weniges voneinander verschieden zu sein scheinen:wer nicht mit uns ist, der ist wider uns; und: wer nicht wider uns ist, der ist mit uns; von dem Heiland vorgeschrieben ist, eigentlich und klar erklärt werde. Es erhellet aus diesen Sätzen offenbar, daß einige Artikel sind, die von jedem angenommen werden müssen, der nicht als außer dem Bunde angesehen werden will; andre aber, darin man anderer Meinung sein und doch zum Bund gehören kann. Die angenommenen Wahrzeichen der christlichen Gemeinschaft sind: Ein Glaube, Eine Taufe etc. Nicht: Eine Zeremonie, Eine Meinung. Wir sehen auch, daß der Rock des Heilands ungenähet gewesen ist; das Kleid der Kirche aber buntscheckigt. An der Ähre muß die Spreu von dem Weizen gesondert, aber das Unkraut auf dem[557] Acker nicht allerdings ausgeraufet werden. Als Moses einen Ägypter fand, der mit einem Israeliten zankte, sagte er nicht: »Warum zanket ihr?« sondern er zog das Schwert und tötete den Ägypter; als er aber zwei Israeliter fand, die miteinander zankten, und alle beide wohl schwerlich gleich viel Recht hatten, redete er sie gleichwohl so an: »Ihr seid Brüder, was zanket ihr?« Dies erwogen scheint es von großer Wichtigkeit und von großem Nutzen zu sein, daß bestimmt werde, was das für Punkte sind, welche die Menschen vom Körper der Kirche durchaus abscheiden und aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausstoßen, und inwieweit sie es tun. Sollte etwa einer und der andre meinen, daß dies schon längst geschehen sei, der wolle doch die Augen auftun und sehen, mit welcher Aufrichtigkeit und Mäßigung. Indes ist es sehr wahrscheinlich, daß wer von Friede spricht, jene Antwort des Jehu auf die Botschaft (Ist's Friede, Jehu?) davontragen werde: »Was gehet dich der Friede an? wende dich hinter mich«; denn den meisten liegt nicht der Friede, sondern die Parteisucht am Herzen. Bei dem allen hat es uns gut gedünkt, einen Traktat von den Graden der Einheit in der Stadt Gottes, als ein heilsam und nützliches Werk in die Rubrik der fehlenden Dinge zu setzen.

3) Da die Heilige Schrift für die Theologie von so großem Einfluß und Gewicht ist, so muß über dieAuslegung und Erklärung derselben vor allen Dingen gehandelt werden. Und wir reden nun nicht von derAutorität sie auszulegen, die in Einstimmigkeit der Kirche steht, sondern von der Art und Weise sie auszulegen. Diese ist zwiefach; methodisch und frei. Denn jene göttlichen Wasser, die dem Brunnen Jakobs unendlich vorgehen, werden fast auf ähnliche Art und Weise geschöpft und mitgeteilt, wie die natürlichen Wasser aus den Brunnen geschöpft und mitgeteilt zu werden pflegen. Diese nämlich werden entweder aus dem Brunnen zuerst in Zisternen gesammlet, von wo sie durch mehrere Röhren zum Gebrauch füglich abgeleitet werden können, oder sie werden gleich in Gefäße geschüttet und so nach Bedürfnis gebraucht! Jene erste methodische Art hat uns endlich die Scholastische Theologie erzeugt, durch welchesLehrgebäude die Theologie in eine Kunst, gleichsam in eine Zisterne gesammlet ist; und sind daraus Axiomata und Sätze wie Bächlein nach allen Seiten abgeleitet worden. Aber bei der freien Art der Auslegung fallen zwei Abwege vor. Der eine von ihnen setzt in der Schrift eine solche Vollkommenheit voraus, daß auch alle [558] Philosophie aus ihrer Quelle hergeholt werden müsse, und eine jede andre Philosophie ein profanes und heidnisches Ding sei. Diese Ausgelassenheit hat vornehmlich in des Paracelsi Schule, wie auch bei einigen andern, festen Fuß gefaßt, ursprünglich aber schreibt sie sich von den Rabbinen und Kabbalisten her. Solche Leute erreichen aber nicht, was sie wollen; denn sie bringen, wie sie denken, der Schrift keine Ehre, sondern setzen sie herab und beflecken sie. Wer in dem Wort Gottes (von dem gesagt wird:Himmel und Erde werden vergehen, mein Wort aber wird nicht vergehen) den materiellen Himmel und die Erde sucht, der jagt vergänglichen Dingen unter ewigen vergeblich nach. Denn wie: die Theologie in derPhilosophie suchen, ebensoviel ist, als wenn man dieLebendigen unter den Toten suchen wollte; so ist im Gegenteil: die Philosophie in der Theologie suchen, nichts anders als die Toten unter den Lebendigen suchen. Die andre Art der Auslegung (die wir für einenAbweg erklären) scheint beim ersten Anblick nüchtern und züchtig; aber sie entehrt doch die Schrift an sich selbst, und bringt der Kirche vielfältigen Nachteil. Sie besteht kurz und gut darin, wenn die Schriften, die göttlich inspiriert sind, auf ebendie Art, wie menschliche Schriften, erklärt werden. Man sollte aber bedenken, daß zwei Stücke, davon der Mensch als Mensch nichts weiß, vor Gott, dem Urheber der Schrift, bekannt und offenbar sind, nämlich die verborgenen Heimlichkeiten des Herzens und die Zeitfolgen. Weil nun die Aussprüche der Schrift der Art sind, daß sie dem Herzen geschrieben werden, und die Abwechselungen aller Jahrhunderte umfassen, mit einer ewigen und gewissen Vorwissenheit aller Ketzereien, Widersprüche und des ungleichen und veränderlichen Zustandes der Kirche, sowohl im allgemeinen als bei einzelnen Auserwählten; so müssen sie nicht bloß nach dem Umfang und dem entgegenkommenden Sinn des Orts, oder allein nach der Gelegenheit bei der die und jene Worte gesagt worden, oder ängstlich nach dem Zusammenhang der vorhergehenden und folgenden Worte, oder nach dem Hauptzweck des Spruchs; sondern sie müssen so ausgelegt werden, daß es einleuchte, daß sie nicht allein im Ganzen und zusammengefaßt, sondern zerteilt, auch in einzelnen Klauseln und Worten, unzählige Bächlein und Adern der Lehre, die einzelnen Teile der Kirche und Seelen der Gläubigen zu wässern, enthalten. Denn es ist sehr richtig und schön angemerkt worden, daß die Antworten unsers Heilandes auf nicht wenige von den Fragen, die ihm [559] vorgelegt wurden, nicht zu passen, sondern ganz ungereimt zur Sache scheinen. Und dies hat eine gedoppelte Ursache, die eine: daß er, da er die Gedanken derjenigen, die fragten, nicht aus den Worten, wie bei uns Menschen der Fall ist, sondern unmittelbar und aus sich selbst erkannte, auf ihre Gedanken und nicht auf dieWorte geantwortet hat; die andere: daß er nicht bloß zu denen, die damals zugegen waren, geredet hat, sondern auch zu uns, die wir leben, und zu den Menschen aller Zeiten und Orten, denen das Evangelium noch würde geprediget werden. Und ebendies gilt auch bei andern Stellen der Schrift.

Dies also vorausgesetzt, kommen wir nun zu demTraktat, der, wie wir dafürhalten, noch fehlet. Es sind freilich unter den theologischen Schriften Streitschriften genug und mehr als genug; die Hülle und Fülle von Theologie, die wir die positive genannt haben; loci communes; Spezialabhandlungen, Gewissensfälle, Predigten und dergleichen; endlich auch viele weitläuftige Kommentarien über die Bücher der Heiligen Schrift. Was wir aber desiderieren, ist das: eine kurze, gesunde und mit Urteil gemachte Sammlung von Anmerkungen und Beobachtungen übereinzelne Texte der Heiligen Schrift, die nicht auf locos communes hinauslaufen, oder sich auf Streitigkeiten einlassen, oder in Kunstform zusammengefaßt werden, sondern die zerstreut, jede für sich, und natürlich sind. In bessern Predigten, die sich gewöhnlich vergreifen, findet sich bisweilen etwas dieser Art, aber es ist noch nicht in Bücher, die auf die Nachkommen fortgehen, zusammengesammlet worden. So wie der Wein, der beim ersten Treten von selbst abfließt, milder und lieblicher ist, als der durch die Kelter ausgepreßt wird, weil dieser schon etwas nach dem Kern und der Haut der Beeren schmeckt; ebenso sind die Lehren wohltätig und milde, die bei einem geringen Druck aus der Heiligen Schrift abfließen, und die Streitigkeiten und locos communes an ihren Ort gestellt sein lassen. Einen solchen Traktat nun nennen wir: Emanationen der Heiligen Schrift.

Und so glaube ich denn, so treu als ich nur gekonnt, die kleine Kugel der intellektuellen Welt dar gestellet zu haben, zugleich mit Bezeichnung und Beschreibung derer Teile, die ich durch den Fleiß und die Arbeiten der Menschen entweder nicht immer eingenommen oder nicht genug angebaut finde. Wenn ich nun hierin irgendwo von der Meinung der Alten abgegangen bin; so soll man wissen, daß es geschehen ist in der Absicht, etwas Besseres, und nichtetwas Neues und anderes zu geben. Denn [560] ich hätte weder mir selbst, noch der Sache, die ich unter Händen habe, Gerechtigkeit widerfahren lassen können, wenn es nicht mein ernster Wille gewesen wäre, zu den Erfindungen der andern hinzuzutun, soviel in meinen Kräften war; aber zugleich ebensosehr mein ernster Wunsch, daß meine Erfindungen von andern in Zukunft übertroffen werden möchten. Wie billig ich aber in dieser Sache zu Werk gegangen bin, erhellet allein daraus, daß ich meine Meinungen bloß und wehrlos hingestellt, und nicht gesucht habe, durch streitbare Widerlegungen fremder Freiheit in den Weg zu treten. Denn ich habe die Hoffnung, daß bei dem, was ich recht gesetzt habe, wenn auch beim ersten Lesen ein Skrupel oder Einwurf gemacht werden sollte, doch beim wiederholten Lesen die Antwort sich von selbst ergeben werde; bei dem aber, wo ich etwa geirrt hätte, bin ich mir bewußt, daß ich der Wahrheit keine Gewalt getan habe durch zänkische Argumente, die eigentlich nur dazu dienen, den Irrtümern Ansehen zu verschaffen und dem Rechterfundenen Abbruch zu tun; denn zweifeln bringt dem Irrtum Ehre, und der Wahrheit Nackenschläge. Indes fällt mir jene Antwort desThemistokles ein; als ein gewisser Gesandte aus einer kleinen Stadt viele und große Worte machte.Freund, sagte Themistokles, deine Worte verlangen (desiderant) eine große Republik. Ich glaube allerdings, daß mir mit Recht vorgeworfen werden könne, daß meine Worte ein Jahrhundert verlangen, vielleicht ein ganzes Jahrhundert zum Beweisen, viele Jahrhunderte aber zum Vollenden. Weil es aber doch bei allen großen und den größten Dingen auf ihre Anfänge ankommt; so muß ich mich damit begnügen, den Nachkommen und dem unsterblichen Gott gesäet zu haben, und ich flehe ihn durch den, der sein Sohn und unser Heiland ist, demütig an, daß er diese und ähnliche Opfer des menschlichen Verstandes, die mit Religion, wie mit Salz, besprengt und seiner Ehre gewidmet sind, nach seiner Barmherzigkeit annehmen wolle.

[561]

Bacons Glaubensbekenntnis

(Aus dem Englischen) 83


Ich glaube, daß nichts ohne Anfang ist, als Gott; keine Natur, keine Materie, kein Geist, nur allein der Eine und derselbe Gott. Dieser Gott, wie er ewig allmächtig, allein weise, allein gut, in seiner Natur ist; so ist er ewig Vater, Sohn und Geist in Personen.

Ich glaube, daß Gott so heilig, rein und eifrig ist, daß es für ihn unmöglich, an irgendeiner Kreatur Wohlgefallen zu haben, ob sie gleich das Werk seiner eigenen Hände ist; so daß weder Engel, Mensch, noch Welt, einen Augenblick in seinen Augen bestehen konnte oder bestehen kann, ohne von ihm in dem Angesicht eines Mittlers angesehen zu werden; und daß deswegen vor ihm, bei dem alle Dinge gegenwärtig sind, das Lamm Gottes erwürgt war ehe der Welt Grund gelegt ward; ohne diesen seinen ewigen Ratschluß wäre es für ihn unmöglich gewesen, irgendein Werk der Schöpfung zu beginnen; und er hätte der hochheiligen und individuellen Gesellschaft von drei Personen in der Gottheit unverändert genossen.

– Daß er aber, als er aus seiner ewigen und unendlichen Güte und Liebe den Vorsatz faßte, Schöpfer zu werden und sich seinen Geschöpfen mitzuteilen, in seinem ewigen Rat beschloß, daß eine Person der Gottheit mit irgendeiner Natur und mit irgendeiner besondern Kreatur unter seinen Kreaturen vereinigt werden sollte; damit solchergestalt, in der Person des Mittlers, die wahre Leiter gefestiget würde, auf der Gott zu seinen Kreaturen herunter-, und seine Kreaturen zu ihm heraufsteigen könnten; so daß Gott, unter Vermittelung des Mittlers sein Angesicht auf seine Kreaturen erhebend (wiewohl nicht in gleichem Licht und Grad) den Beschlüssen seines allerheiligsten und verborgenen Willens Bahn machte; darnach einige von seinen Kreaturen bestehen und ihren Stand behalten möchten; andre vielleicht fallen und wiederhergestellt werden möchten; und andre fallen möchten, und in ihren Stand nicht hergestellt würden, aber doch fortdauerten, wiewohl unter dem Zorn und im Verderben; alles in bezug auf den Mittler, der das große Geheimnis und der vollkommene Mittelpunkt von allen Gottes Wegen mit seinen Kreaturen ist, und dem alle seine andern Werke und Wunder nur [562] dienen und sich darauf beziehen. Daß er (nach seinem Wohlgefallen) den Menschen wählte, daß der die Kreatur sei, mit dessen Natur die Person des ewigen Sohn Gottes vereinigt werden sollte; und daß er unter den Geschlechtern und Völkern der Menschen ein kleines Volk auserwählte, an dem (mittelst Teilhaftigkeit seiner selbst) er den Reichtum seiner Herrlichkeit zeigen wollte; indes die Dienstbarkeit der Engel, die Verdammnis der Teufel und Verdammten, und die allgemeine Regierung aller Kreaturen und Handhabung aller Zeiten kein ander Ziel haben und nichts sind, als kürzere und längere Wege Gottes, zu seiner desto größern Verherrlichung an seinen Heiligen, die eins sind mit ihrem Haupt dem Mittler, der eins ist mit Gott.

– Daß er, kraft dieses seines ewigen Ratschlusses, aus eignem freiem Wohlgefallen und nach den ihm bewußten Zeiten und Umständen sich herabließ, Schöpfer zu werden; und durch sein ewiges Wort alle Dinge schuf; und durch seinen ewigen Geist sie stärket und erhält. – Daß er alle Dinge in ihrem ersten Stande gut machte, und den Anfang alles Bösen und aller Eitelkeit von sich entfernte, in die Freiheit der Kreatur, den Anfang aller Herstellung aber, in sich, der Freiheit seiner Gnade vorbehielt; und doch nichtsdestoweniger den Fall und die Abweichung der Kreatur (die seiner Vorwissenheit ewig bekannt waren) brauchte und anwendete, seinen ewigen Ratschluß, den Mittler und das Werk das er in ihm ausführen wollte betreffend, zu fördern.

– Daß Gott Geister schuf, davon einige treu blieben, und andere fielen; er schuf Himmel und Erde und alle ihr Heer und Nachkommenschaften; und gab ihnen beständige und dauernde Gesetze, die wir Natur nennen; welche Natur nichts anders ist, als die Gesetze der Schöpfung. Diese Gesetze haben nichtsdestoweniger drei Veränderungen oder Zeiten gehabt, und werden noch eine vierte oder letzte haben: die erste, als die Materie Himmels und der Erden geschaffen aber noch formlos war; die zweite, die Zwischenzeit, bis alle die sechs Tagewerke vollendet waren; die dritte, veranlaßt durch den Fluch, der gleichwohl keine neue Schöpfung war; und die letzte, am Ende der Welt, deren Art und Weise noch nicht völlig offenbaret ist – so daß die Gesetze der Natur, die nun bestehen und unverbrüchlich bis an das Ende der Welt regieren, damals als Gott zuerst ruhete von seinen Werken und aufhörte zu schaffen, in Kraft traten, aber, in gewissen Stücken, durch den Fluch gehemmt wurden; seit welcher Zeit sie sich nicht verändern.

[563] – Daß Gott, ob er gleich geruhet hat und seit dem ersten Sabbat aufgehört hat, zu schaffen, doch nichtsdestoweniger noch itzo seinen göttlichen Willen, in allen Dingen, großen und kleinen, besondern und allgemeinern, mittelst Vorsehung ebenso vollkommen und genau vollendet und ausführt, als er nur durch Wunder und neues Schaffen könnte, obgleich sein Würken nicht unmittelbar und direkt ist, sondern nach und nicht wider die Natur, die sein eigenes Gesetz für die Kreatur ist.

– Daß ursprünglich die Seele des Menschen nicht durch Himmel und Erde hervorgebracht, sondern unmittelbar durch den Odem Gottes gegeben ward: so daß die Wege und das Walten Gottes mit Geistern, nicht in der Natur, das ist in den Gesetzen Himmels und der Erde eingeschlossen ist, sondern dem Gesetz seines verborgenen Willens und der Gnade vorbehalten; worin Gott unaufhörlich geschäftig ist, und von dem Werk der Erlösung nicht ruhet, wie er von dem Werk der Schöpfung geruhet hat, sondern unausgesetzt fortwürket bis an das Ende der Welt; zu welcher Zeit dies Werk auch vollendet sein, und ein ewiger Sabbat folgen wird. Ebenso, daß Gott, wenn er je durch Wunder (die immer als eine neue Schöpfung angesehen werden können) die Gesetze der Natur übertritt, es nie anders und allemal nur in Hinsicht des Erlösungswerks tut, das sein größeres Werk ist, und darauf alle Gotteszeichen und -wunder sich beziehen.

– Daß Gott den Menschen schuf nach seinem eignen Ebenbilde, mit einer vernünftigen Seele, in Unschuld, mit einem freien Willen und Herrscherkraft: daß er ihm ein Gesetz und Gebot gab, das er halten konnte, es aber nicht hielt; daß der Mensch einen vollkommenen Abfall von Gott verübte, indem er sich beikommen ließ, sich einzubilden, daß die Gebote und Verbote Gottes nicht die Regeln von Gut und Böse wären, sondern daß Gut und Böse ihre eignen Prinzipien und Anfänge hätten, und er nach der Kenntnis dieser eingebildeten Anfänge lüsterte, um nicht mehr von Gottes geoffenbartem Willen abzuhängen, sondern von sich selbst und seinem eignen Licht, als ein Gott: eine Sünde, die dem ganzen Gesetz Gottes so sehr entgegen war als keine andre sein konnte; daß aber doch diese große Sünde nicht ursprünglich von der Bosheit des Menschen her, sondern ihm durch die Eingebung und Versuchung des Teufels kam, der die erste Kreatur war, die von Gott abfiel und die aus Bosheit fiel und nicht durch Versuchung.

– Daß nach dem Fall des Menschen, Tod und Eitelkeit, kraft [564] der Gerechtigkeit Gottes, in die Welt kamen; und das Ebenbild Gottes im Menschen verlorenging, und Himmel und Erde, zum Nutzen des Menschen gemacht, durch seinen Fall dem Verderben unterworfen worden; daß alsdann aber, nachdem das Wort des göttlichen Gesetzes durch den Fall des Menschen in Hinsicht des Gehorsams vereitelt worden war, augenblicklich und ohne Zeitverlust das größere Wort der Verheißung an die Stelle trat, damit die Wahrhaftigkeit Gottes durch Glauben in Kraft bliebe.

– Daß allerdings sowohl das Gesetz Gottes als das Wort seiner Verheißung ewiglich dieselben bleiben: daß sie aber auf verschiedene Arten, wie es die Zeiten mit sich brachten, geoffenbaret worden sind. Denn das Gesetz ward zuerst dem Funken des natürlichen Lichts, der dem Menschen nach dem Fall übrigblieb und zum Anklagen genug ist, einverleibt. Darauf ward es deutlicher in dem geschriebenen Gesetz ausgedrückt; ward noch mehr eröffnet durch die Propheten; und zuletzt in der wahren Vollkommenheit ausgelegt von dem Sohn Gottes, dem großen Propheten, der der vollkommene Ausleger des Gesetzes, sowie der Erfüller desselben ist. Daß ebenso das Wort der Verheißung bekanntgemacht und geoffenbart ward: zuerst durch unmittelbare Offenbarung und Inspiration; hernach durch Sinnbilder, die zweierlei waren: erstlich, die Gebräuche und Zeremonien des Gesetzes; und denn, die fortgehende Geschichte der alten Welt und der jüdischen Kirche; die, ob sie gleich buchstäblich wahr ist, doch eine reichhaltige und beständige Allegorie und Schatte des zukünftigen Erlösungswerkes in sich faßte. Dieselbe Verheißung oder Evangelium ward klärer geoffenbaret und entdeckt durch die Propheten, und dann durch den Sohn selbst; und zuletzt durch den Heiligen Geist, der die Kirche erleuchtet bis ans Ende der Welt.

– Daß in der Fülle der Zeit, nach Verheißung und Eid, von einer auserwählten Geschlechtslinie der gebenedeiete Weibessame in die Welt kam, Jesu Christus, der Eingeborne Sohn Gottes und Heiland der Welt; der empfangen ward durch Kraft und Überschattung des Heiligen Geistes, und Fleisch annahm von der Jungfrau Maria; daß das Wort nicht allein Fleisch an sich nahm, oder mit Fleisch vereint ward, sondern Fleisch ward, doch ohne Vermischung der Wesenheit oder Natur, so daß der einige Sohn Gottes und der ewig gebenedeite Sohn von Maria eine Person war; so eine, daß die gesegnete Jungfrau, nach der Wahrheit und der Lehre der allgemeinen Kirche gemäß, Deipara, [565] oder die Mutter Gottes genannt werden kann; so eine, daß in der gesamten Natur keine Einheit so vollkommen ist, auch die des Leibes und der Seele im Menschen nicht; denn die drei himmlischen Einheiten (von denen diese die zweite ist) übertreffen alle natürliche Einheiten: das will sagen, die Einheit der drei Personen in der Gottheit; die Einheit von Gott und Mensch in Christo; und die Einheit Christi und der Kirche; und zwar ist der Heilige Geist der Schaffer dieser beiden letztern, denn durch den Heiligen Geist ward Christus Mensch und im Fleisch lebendig gemacht, und durch den Heiligen Geist wird der Mensch wiedergeboren und im Geist lebendig gemacht.

– Daß Jesus, der Herr, im Fleisch ein Opferer und ein Opfer für die Sünde ward; eine Genugtuung und Lösegeld für die Gerechtigkeit Gottes; ein Verdiener der Herrlichkeit und des Reichs; ein Muster aller Vollkommenheit; ein Prediger des Worts, das er selbst war; ein Endiger der Zeremonien; ein Eckstein zur Wegtuung der Scheidewand zwischen Juden und Heiden; ein Vertreter der Kirche; ein Herr der Natur in seinen Wunderwerken; ein Überwinder des Todes und der Macht der Finsternis in seiner Auferstehung; und daß er, indem er alle seine heiligen Verrichtungen und die Salbung auf Erden verrichtete, den ganzen Rat Gottes erfüllet; das ganze Werk der Erlösung und die Herstellung des Menschen in einen über die Engel erhabenen Stand (da der Stand des Menschen durch die Schöpfung unter die Engel war) vollendet, und alle Dinge versöhnt und zurechtgebracht hat nach dem ewigen Willen des Vaters.

– Daß, in der Zeit, Jesus der Herr in den Tagen Herodes' geboren ward, und unter dem Regiment des Pontius Pilatus, dem Landpfleger der Römer, und unter dem Hohenpriestertum des Kaiphas gelitten hat, und von Judas, einem der Zwölf Apostel, verraten, und zu Jerusalem gekreuziget worden ist; daß er, nach einem wahren und natürlichen Tod und nachdem sein Leib in das Grab gelegt worden war, am dritten Tage die Banden des Todes zerbrochen, auferstanden ist und sich vielen erwählten Zeugen, verschiedene Tage hindurch, lebendig erzeigt hat, und am Ende dieser Tage im Angesicht von vielen gen Himmel gefahren ist, wo er fortfährt zu vertreten; und von dannen er an dem bestimmten Tag in der größten Herrlichkeit kommen wird, die Welt zu richten.

– Daß die Leiden und das Verdienst Christi, ob sie wohl hinreichend sind die Sünde der ganzen Welt abzutun, doch nur für [566] die allein ihre Kraft wirklich beweisen, die da wiedergeboren sind durch den Heiligen Geist, der da wehet, wo er will, aus freier Gnade; welche Gnade, wie ein unvergänglicher Same, den Geist des Menschen lebendig macht, und ihn zu einem Sohn Gottes und Glied Christi neu gebiert: so, daß, indem Christus des Menschen Fleisch und der Mensch Christi Geist hat, ein offener Weg und eine gegenseitige Zurechnung stattfindet, dadurch Sünde und Zorn vom Menschen auf Christum; und Verdienst und Leben von Christo auf den Menschen gebracht wird. Dieser Same des Heiligen Geistes gestaltet zuerst durch einen lebendigen Glauben das Bild des getöteten oder gekreuzigten Christus in uns; und erneuert denn in uns das Ebenbild Gottes in Heiligkeit und Liebe, obgleich beides unvollkommen und in sehr verschiedenen Graden selbst bei den Auserwählten Gottes, was sowohl das Feuer des Geistes, als die davon abhangende Erleuchtung anlangt, die größer oder in einem großen Abstand geringer ist, wie namentlich, in der Kirche vor Christo, welche aber doch gleichwohl einer und derselben Seligmachung mit uns, und einer und derselben Mitteln der Seligmachung mit uns, teilhaftig war.

– Daß das Werk des Geistes, wiewohl es an keine Mittel in Himmel und Erden gebunden ist, doch gewöhnlicherweise gehandhabet wird durch die Predigt des Wortes, die Spendung der Sakramente; denSegen der Väter über die Kinder; durchs Gebet; Lesen; kirchliche Züchtigungen; durch nähere Verbindungen der Kinder Gottes; durch Kreuz und Leiden; durch Gottes Wohltaten; durch seine Gerichte an andern; Wunder; Betrachtung seiner Kreaturen: welche Stücke alle (wiewohl einige vorzüglicher sind) er als Mittel zur Berufung und Bekehrung seiner Auserwählten gebrauchet; doch daß dadurch seiner Macht: durch seine Gnade und zu allen Stunden und Augenblicken des Tages (das ist, des menschlichen Lebens) nach seinem freien Wohlgefallen unmittelbar zu rufen, kein Abbruch geschiehet.

– Daß das Wort Gottes, dadurch sein Wille geoffenbaret wird, in Offenbarung und Tradition bis auf Mose fortdauerte; die heiligen Schriften von Moses Zeit bis zu den Zeiten der Apostel und Evangelisten; zu deren Zeit, nachdem der Heilige Geist, der Lehrer aller Wahrheit, gekommen war, das Buch der heiligen Schriften zugeschlagen und geschlossen ward, um durchaus keinen Zusatz mehr aufzunehmen; und daß die Kirche keine Gewalt über die Heilige Schrift hat, irgend etwas, das dem geschriebenen Wort zuwider wäre, zu lehren oder zu befehlen, sondern daß sie gleichsam [567] wie die Bundeslade ist, darin die Tafeln des ersten Testamentes gelegt und aufbewahrt wurden; das heißt, daß der Kirche bloß die Bewachung und Mitteilung der heiligen Schriften anvertraut ist, nebst der Auslegung derselben, doch einer solchen allein, die aus ihr selbst hergenommen ist.

– Daß es eine allgemeine oder rechtgläubige Kirche gibt, über die ganze Erde zerstreuet, welche Christi Braut und Christi Leib ist; gesammlet aus den Vätern der alten Welt, aus der jüdischen Kirche, den Geistern der aufgelösten Gläubigen und den Geistern der streitenden Gläubigen, und den Namen derer, die noch geboren werden sollen, und schon geschrieben sind in dem Buch des Lebens. Daß auch eine sichtbare Kirche ist, die sich durch die äußerlichen Werke des göttlichen Bundes, und durch die Annehmung der heiligen Lehren, nebst dem Gebrauch der Geheimnisse Gottes, und der Anrufung und Heilighaltung seines heiligen Namens unterscheidet. Daß es auch eine heilige Folge bei den Propheten des Neuen Testamentes und Vätern der Kirche gebe, von der Zeit der Apostel und Jünger, die unsern Heiland im Fleisch sahen, an, bis zur Vollendung des Werks des Predigtamts; welche Personen durch Gabe oder innerliche Salbung von Gott berufen werden, und denn auf solchen Ruf Gottes ein äußerlicher Ruf und Ordination der Kirche folgt.

Ich glaube, daß die Seelen derer, die in dem Herrn sterben, selig sind, und von ihrer Arbeit ruhen, und des Anschauens Gottes genießen, doch so, daß sie eine größere Erscheinung ihrer Herrlichkeit am Jüngsten Tage, erwarten. Zu welcher Zeit alles Fleisch der Menschen auferstehen und verwandelt werden, und vor Jesu Christo erscheinen und von ihm sein ewiges Urteil empfangen; und alsdann die Herrlichkeit der Heiligen vollkommen sein und das Reich Gott dem Vater übergeben werden wird; und von nun an in dem Sein und in dem Zustande, den es alsdann erhalten wird, in Ewigkeit fortdauert. Daß also drei Zeiten (wenn es: Zeiten, genannt werden kann) oder Teile der Ewigkeit sind: die erste, die Zeit vor dem Anfang, als die Gottheit allein war, ohne irgendeine Kreatur: die zweite, die Zeit des Geheimnisses, die von der Schöpfung bis zur Auflösung der Welt gehet; und die dritte, die Zeit der Offenbarung der Kinder Gottes; welche Zeit die letzte, und ewig während ist ohne Wandel.


Es ist von diesem Glaubensbekenntnis in den Werken desBacon auch ein lateinischer Text; der war aber nicht zur Hand, so wie bei der folgenden kleinen Probe aus dem Newton der englische fehlte.

[568]

Aus Newtons Observationen zum Propheten Daniel, das 11. Kapitel,

darin er die Zeiten der Geburt und der Leiden Christi zu bestimmen sucht. 84


Die alten Propheten nahmen, wenn sie etwas mit Nachdruck lehren wollten, ihre Allegorien nicht allein von Sachen und Zufällen, die sich gerade ereigneten, her; wie zum Exempel von dem Riß an Samuels Rock, 1. Sam. 15, von dem Sabbatjahr, Esaias 37, von den Gefäßen des Töpfers, Jerem. 18 etc. sondern sie pflegten auch, wo es daran fehlte, dergleichen durch ihre eigne Handlungen selbst zu schaffen: wie durch Zerreißung eines Mantels, 1. König. 11, durch Abschießung eines Pfeils vom Bogen, 2. Könige 13, durch Entblößung des Leibes, Esai. 20 – durch Vergrabung eines Gürtels am Ufer des Euphrats, Jerem. 13, durch Zerbrechung irdener Geräte, Jerem. 19, durch Umhängen eines Jochs um den Hals, Jerem. 27 – durch Machen einer Kette, Ezechiel 12 etc. Durch solche bildliche Vorstellungen lehrten die Propheten. Christus aber, der einen höhern prophetischen Geist hatte, und in der bildlichen Lehrart ihrer aller Meister war, lehrte nie etwas durch Handlungen (als welches unter ihn gewesen wäre und sich für ihn nicht geschickt hätte) aber auf die Dinge und Umstände, die unter Augen waren und sich wie von selbst darboten, nahm er Rücksicht, und nutzte sie zu Parabeln. – So gebot er seinen Jüngern um die Zeit des Paschafestes, zu welcher Zeit die Bäume Blätter trieben, ein Gleichnis am Feigenbaum zu lernen; »Wenn sein Zweig jetzt saftig wird«, sagte er, »und Blätter gewinnet; so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist.« Matth. 24, 33. Luk. 21, 19. An demselben Tage erzählte er, in Rücksicht auf die Jahrszeit und auf seine zwei Tage darauf bevorstehende Leiden zugleich, ein Gleichnis von der bevorstehenden Zeit der Früchte und von dem getöteten Erben des Weinbergs, Matth. 21, 33. In der Gegend des Tempels bei den Schafställen, wo die Schafe zu den Opfern feilgehalten wurden, redete er mancherlei in Gleichnis von Schafen, dem Hirten und der Tür des Schafstalls, Joh. 10, und auf dem fruchtbaren Ölberg, Matth. 26, 30, Joh. 14, 31, wo es an Weinbergen nicht gefehlt haben kann, manches verborgen von dem Weingärtner, dem Weinstock [569] und seinen Zweigen oder Reben, Joh. 15. Zu seinen Fischern sprach er von Menschenfischern, Matth. 4, 10, und neben dem Tempel, von dem Tempel seines Leibes, Joh. 2, 19. – Von der eigentlichen Speise nahm er Gelegenheit, die Seinen über die verborgene Speise und das geheimnisvolle Essen und Trinken seines Leibes und Blutes zu unterrichten, Joh. 6, 27, 53, und an dem Tage der Laubrüsten, der am herrlichsten war und an dem die Juden eine große Menge Wasser aus dem Fluß Siloa in den Tempel zu tragen pflegten, trat Christus auf, rief und sprach: »Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke; wer an mich glaubet, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen« etc.

Postskript an Andres

Da, Du lieber Andres, hast Du Proben von Bacon und Newton; eine Probe von Boyle findest Du vorne pag. 526 u. ff.

Und, wie gefallen Dir diese Philosophen? Heutzutage lautet die Sprache anders.

An Fleiß, Scharfsinn, Einsicht und Geschicklichkeit hat es doch diesen Leuten nicht gefehlt, und es wird wohl nur wenigen einfallen, sich mit ihnen zu messen; erfunden ist sint ihrer Zeit auch nichts, das zu einer andern Sprache berechtigen könnte; und doch wissen sie jetzo alles anders und besser.

Ich leugne Dir nicht, Andres, daß ich an diesem Robert Boyle, an diesem Franz Bacon und an diesem Isaak Newton meine große Freude habe. Nicht sowohl der Religion wegen, die kann, versteht sich von selbst, durch Gelehrte nicht verlieren noch gewinnen, sie mögen klein oder groß sein. Aber es freut, wenn man z.E. so einen der fleißigsten und unverdrossensten Naturforscher, der in ihrem Dienst grau geworden war und mehr von ihr wußte und erfahren hatte, als die meisten von ihr wissen und erfahren haben; wenn man so einen Vogel Jupiters mit dem hohen und scharfen Blick, der den, von den Nachkommen bis itzo mehr bewunderten als benutzten, Plan und Grund zu einer neuen und wahrhaft großen Philosophie gelegt hat; und einen der ersten, wenn nicht den ersten, Mathematiker von Europa, der was Condamine und Maupertuis, durch Messungen unter dem Äquator und am Pol der Erde, über ihre Gestalt fanden, auf seiner Studierstube ahndete und vorhersagte, und durch [570] seine kühne Mathematik und sein Attraktionssystem den Sternhimmel und die ganze Schöpfung in ein neues Licht setzte etc. – wenn man solche Männer mit ihren Einsichten sich nicht weise dünken, und sie, nachdem sie in die Geheimnisse der Natur tiefer als andere eingedrungen waren, lehrbegierig und mit dem Hut in der Hand, wie es sich gebührt, neben dem Altar und den größern Geheimnissen Gottes stehen sieht ... es freut, Andres, und man faßt wieder Mut zu der Gelehrsamkeit, die ihre Freunde und Anhänger wirklich mehr wissen, und doch dabei vernünftige Leute bleiben, läßt, und sie nicht zu Narren und Spöttern macht. Und es tut einen sonderlichen Effekt, Andres, wenn man nun auf der andern Seite von den leichten Truppen mit dem Hut auf dem Kopf vorbeidefilieren und hochweise die Nase rümpfen sieht.

Aber Du sagst, es habe freilich mit dem Naserümpfen nichts zu bedeuten; Du möchtest aber gerne wissen, wie es möglich sei, da die Sachen nach wie vor dieselben sind, daß Leute, denen man doch Scharfsinn nicht absprechen kann, sie jetzt so anders ansehen und urteilen; und wie die Religionsverachtung so allgemein geworden?

Wer weiß das, Andres, und wer kann das sagen?

In der physischen Welt zieht von Zeit zu Zeit, sonderlich im Frühjahr, man weiß nicht nach welchen Gesetzen, so ein kalter giftiger Nebel durch Gärten und Wiesen, der, auf dem Strich den er trifft, die Pflanzen und Gewächse übel zurichtet. Es muß wohl auch so in der moralischen Welt sein. Denn da ist auch, seit dreißig vierzig Jahren, so ein, alles Positive wegwerfender und kein Gesetz außer sich anerkennender, Geist durch die gelehrten und durch die politischen Gärten und Wiesen gezogen. Gewesen sind diese Geister immer in der moralischen Welt, denn sie sind ihr πρωτον ψευδος; und was sie gerade so in den Zug gebracht hat, weiß ich nicht; aber gefördert und fortgeholfen haben sie sich einander wechselsweise. Und wer recht behält, weißt Du wohl, wird von den meisten gelobt und angesehen, als ob er auch recht habe; und, was von den meisten gelobt wird, weißt Du wohl, dem geht man gerne nach.

Sieh nun, durch eine solche Denkart ist, im allgemeinen, der Geschmack an der Erfahrung mehr verleidet und der Ekel daran mehr vermehret worden.

Es erfordert nämlich Geduld, Ruhe und Deferenz, zu den Füßen der Erfahrung zu sitzen und auf ihre Winke zu warten, [571] sich oft sein Konzept, wenn man sie meint verstanden zu haben, wieder von ihr verrücken und sich überhaupt von ihr hudeln, placken und plagen zu lassen; der Bau aus ihren Backsteinen geht nur langsam vonstatten, und fällt, gleich, nicht immer sehr in die Augen; es ist langweilig, an ihren Krücken gehen zu lernen etc. Und es ist viel leichter und lustiger und glor-reicher, ohne sie Schlösser zu bauen und auf seinen Flügeln kühn und hoch in Lüften zu schweben. Nur jenes, sagt Boyle, macht bescheiden und bessert, und dieses blähet auf und macht leichtsinnig.

Vernunft und Erfahrung sind hier einmal Mann und Frau. Wenn die beide einträchtig und ordentlich miteinander leben und haushalten, so hängt der Himmel nicht gleich und immer voll Geigen; aber man krüppelt sich hin, und bringt doch mit der Zeit einige Pfenninge für die Nachkommen zusammen. Wenn aber dem Mann die Zeit bei der Frau lang wird und er sie sitzenläßt und allein und auf eigne Hand leben will; so verfällt er, ohne daß er es selbst weiß und will, auf Torheiten und Unsinn, und verführt am Ende die Polizeibedienten mit.

Seine Torheiten gingen uns nun weiter nicht an, Andres; aber wenn man bedenkt, daß sie dadurch so manchen, der es nicht besser versteht, irremachen und um den Segen des Christentums bringen; so muß man sie hassen, und ich hasse sie von ganzem Herzen und hänge ihnen, wo ich nur kann, eins mit Vergnügen an. Und doch und trotzdem bin ich so ein alter Narre, daß es mir im Grunde doch leid sein kann, und ich ihnen, wenn ich könnte, lieber was anders täte.

Sieh Andres, und so übersetze ich denn, in Ermanglung eignen Vermögens, daß wenigstens die Leute, die es vielleicht nicht wissen und sich durch das Wort Philosoph blenden lassen, sehen, wie Philosophen wohl sonst über Religion und Christentum gesprochen haben.

Sieh Andres, darum übersetze ich, und darum habe ich jene große Schatten bemüht. Und wer weiß, wozu es gut ist; der reiche Mann meinte ja auch: »wenn einer von den Toten zu ihnen käme«.

[572]

Einfältiger Hausvater-Bericht über die christliche Religion

an seine Kinder Caroline, Anne, Auguste, Trinette, Johannes, Rebekke, Fritz, Ernst und Franz


Nach der Heiligen Schrift


Lieben Kinder, »die Welt vergehet mit ihrer Lust. Wir fahren dahin wie ein Traum, und sind wie ein Schlaf: gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird, das frühe blühet und bald welk wird, und des Abends abgehauen wird und verdorret. Unser Leben währet siebenzig Jahr, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig«. Dann müssen wir sterben, müssen alles, was uns hier nahe und lieb ist, zurücklassen, und allein weitergehen. Und was es im Grabe mit uns sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen sowenig, wo wir herkommen, als wo wir hingehen, noch was wir hier eigentlich sollen und sind; und wir haben nichts in Händen, darauf wir uns verlassen, und damit wir uns trösten und unser Herz stillen könnten.

Aber Gott hat uns unser Herz gestillet durch eine Schrift, die er selbst frommen und heiligen Männern eingegeben hat, und die darum die Heilige Schrift, die Offenbarung, oder die Bibel, das Buch aller Bücher, genannt wird.

In diesem Buch finden wir Nachrichten und Worte die kein Mensch sagen kann, Aufschlüsse über unser Wesen und über unsern Zustand, und den ganzen Rat Gottes von unsrer Seligkeit in dieser und jener Welt.

So hoch der Himmel ist über der Erde, ist dieser Rat über alles, was in eines Menschen Sinn kommen kann; und Ihr könnet diese Schrift nicht hoch und wert genug haben und halten. Doch ist sie, versteht sich, immer nicht die Sache, sondern nur die Nachricht von der Sache.

Die Heilige Schrift fängt mit einem Stand der Unschuld an, oder mit dem, was der Mensch im Anfang war, und lehret uns, daß wir von Gott gemacht sind: gut und weise und heilig wie er; daß wir gemacht sind: über die Erde zu herrschen und sie vor dem Bösen zu bewahren, seines Heiligen Geistes zu leben und ewig vor ihm aus und ein zu gehen wie die lieben Kinder um den lieben Vater; sie lehret uns, daß die Menschen sich selbst freiwillig von Gott, dem Urquell alles Guten und aller Seligkeit, getrennt, und mit dem Bösen Gemeinschaft gemacht haben; daß ihnen bei dieser Trennung ihr Wesen geblieben, aber das Leben [573] desselben, sein Heiliger Geist, von ihnen gewichen sei, als der mit dem Bösen nicht Gemeinschaft haben kann.

»Und Gott sprach«, so erzählt die Heilige Schrift, »lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei; die da herrschen über die Fische im Meer, und über die Vögel unter dem Himmel, und über das Vieh und über die ganze Erde, und über alles Gewürm das auf Erden kreucht. Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein.

Und Gott pflanzte einen Garten gegen den Morgen, mit allerlei Bäumen lustig anzusehen und gut zu essen, und einen Strom, ihn zu wässern, der sich daselbst in vier Hauptströme teilete, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses; und setzte den Menschen in den Garten, daß er ihn bauete und bewahrete, und gebot dem Menschen und sprach: ›Du sollt essen von allerlei Bäumen, aber von dem Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses sollt du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.‹ Und die ersten Menschen ließen sich die Schlange verführen, den Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses anzurühren und von seiner Frucht zu essen; und wurden, nachdem ihnen Gott Röcke von Fellen gemacht und angezogen hatte, aus dem Paradies von dem Baum des Lebens hinausgetrieben auf den, um ihretwillen, verfluchten Dorn- und Distelacker, im Schweiß ihres Angesichts ihr Brot zu essen, und sich darauf zu nähren mit Kummer ihr Leben lang.« 85

So gingen sie nun zwischen den Dornen und den Disteln mit Kummer, und mit Scham und Reue, untröstlich über ihren Verlust, und ohne Ende elend und unglückselig; und war für sie und alle ihre Kinder kein Rat, oder ihr Wesen mußte wieder durch den Geist Gottes belebt und mit Gott vereiniget werden. Das aber konnte nicht sein, sintemal Himmel undErde sich nicht vereinigen können.

Aber Gott ist die Liebe, und die Liebe ruhet nicht; sie kann in ihren Wirkungen und in ihrem Wohltun gestöret und gehindert werden; aber sie hört nicht auf zu lieben, wie die Sonne nicht aufhört zu scheinen. Gott hatte den Menschen geliebt ehe der Welt Grund gelegt ward 86, und er hatte ihn auch in seiner Not und in seinem Elende nicht aus den Augen verloren. Er hatte [574] sich ihre Scham und Reue rühren lassen, sich erbarmt, und ein Mittel versprochen.

Und dies Mittel war, daß das Leben das da ewig und bei Gott war, erscheinen 87; daß das Wort, das bei Gott und das Gott war, Fleisch werden sollte 88. Und das ist in Christo geschehen.

Diese hohe göttliche, all menschlich Wissen, Verstand und Hoffen übersteigende, Veranstaltung ist gleich den ersten Menschen zu ihrem Trost verkündiget, und diese Verkündigung und Verheißung und die darauf gegründete Hoffnung und Erwartung der Herstellung und des Herstellers, als ein heiliges Geheimnis, von Vater auf Sohn, auf die Nachkommenschaft fortgepflanzet worden.

Vor der Sündflut, und die ersten tausend Jahre nachher, war dies Geheimnis bei den Hausvätern und Häuptern einzelner Familien von Gerechten, und wurde dann, als die Welt voll Menschen war, einemganzen Volk anvertrauet.

Über die Art und Weise wie jene Familienväter davon Gebrauch gemacht haben, und über ihren Gottesdienst, ist uns in der Heiligen Schrift wenig Umständliches aufgezeichnet; nur daß von ihrer nähern Verbindung und ihrem nähern Umgang mit Gott, und von weitern Eröffnungen, die einigen von ihnen, dem Noah und sonderlich dem Abraham, geschehen; und, gleich von Anfang an, von Altar und Opfer darin die Rede ist. Ohne Zweifel aber werden sie, wie auch von einigen ausdrücklich erzählt wird, als Gerechte unter dem unschlachtigen Geschlecht, und als Leute, die eines höhern und außerordentlichen Schutzes und Segens genossen, in der Welt geleuchtet, und die Achtung und Aufmerksamkeit ihrer Zeitgenossen auf sich gezogen, und sie nach der Erkenntnis ihres Gottes und Gottesdienstes lüstern und begierig gemacht haben. Und, aus den Spuren die man bei allen andern alten Völkern antrifft zu urteilen, scheinen nicht alle, die sich in der Absicht an sie gewandt haben mögen, ganz unbefriedigt wieder weggegangen zu sein.

Indes konnte doch bei jenen Familienvätern das Exempel und der Eindruck nicht so auffallend und allgemein sein, als bei dem ganzen Volk, wo es zum Schauspiel aller Völker der Erde ward, als dessen großer Heerführer öffentlich und vor aller Welt Augen ein Wunder nach dem andern tat, und durch den unerwarteten Auszug aus dem mächtigen Ägyptenlande allen [575] Völkern umher Furcht und Schrecken einjagte; er auch, auf die erhabne und majestätische Art 89, dasGesetz von Gott empfing, und nach Gottes Weisung einen öffentlichen Gottesdienst einrichtete, der zuerst im kleinen in der Stiftshütte, und hernach, fünfhundert Jahre später, im großen in dem weltberühmten Tempel zu Jerusalem gefeiert wurde.

So herrlich dieser Gottesdienst in sich selbst war, so war er doch sonderlich figürlich, und sollte mit seinen Reinigungen und Opfern etc. auf das wahrhaftige Opfer und die wahrhaftige Reinigung etc. die zukünftig waren, hindeuten und durch seine Figuren und äußere Zeremonien, die Mose alle nach dem was der Herr geboten, und nach den Bildern, die ihm auf dem Berge gezeigt waren 90, gemacht und eingerichtet hatte, als ein heiliger Fingerzeig, und als die vollkommenste Weissagung von dem Erlöser und dem Erlösungswerk, den Sinn und Verstand der Menschen beschäftigen und gängeln, und die Idee des großen Heils in ihren Herzen, bis die Verheißung den Vätern geschehen erfüllet würde, lebendig erhalten.

Mose hatte ihnen zwar den Segen und den Fluch, der mit der Beobachtung oder Nichtbeobachtung dieses Gottesdienstes und der Wege des Herrn verbunden sei, nicht verhalten, und bei seinem Abschied Himmel und Erde über sie zu Zeugen genommen: daß er ihnen Leben und Tod vorgelegt habe, damit sie das Leben wählten und sie und ihr Same leben möchten 91; aber, was sind wir Menschen, sie erkannten diese Erweisung göttlicher Liebe und Barmherzigkeit, und ihre hohe Erwählung: daß ihnen das lebendige Wort anvertrauet war 92, und sie sein Eigentum vor allen Völkern, und ihm ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein 93 sollten, nicht wie sich's gebühret, und hingen sich, ungeachtet der Warnungen ihres treuen Mose, und ungeachtet der reichen Fülle und der abgesonderten Lage des ihnen beschiedenen Landes, doch an die andern Völker, und wurden gleich in den ersten fünfhundert Jahren nach ihrem Einzug ein weltlich Königreich, und wandten ihr Herz mehr oder weniger von ihrem Gottesdienst zu den Torheiten und Weisen jener Völker und wurden mehr oder weniger hülflos und elend, bis zur Zeit[576] ihres Tempels, den ihnen Salomo dreitausend Jahr nach Erschaffung der Welt und tausend Jahr vor Christi Zukunft zu Jerusalem erbaute, und darin die Bundeslade samt der ganzen Stiftshütte aufbewahrte.

Aber auch dieser herrliche Tempel schaffte das nicht lange, wozu er erbaut war, und es ging die folgenden fünfhundert Jahre noch übler als vorhin. Sie trennten sich untereinander, verachteten und verließen den Herrn ihren Gott und seine Wege, und liefen den Greueln der Heiden nach; und erfuhren auf eine schreckliche Art, was das für Herzeleid bringet.

Gott hatte ihnen Samen übrigbleiben lassen 94, die das Geheimnis von dem Erretter heilig bewahrten, seinen Tag zu sehen wünschten und auf seine Erscheinung hofften; und durch einige von diesen ließ Gott, während dieser Periode, die davon »die Zeit der Propheten« genannt wird, von Zeit zu Zeit das abtrünnige Volk nachdrücklich warnen und an den Erretter erinnern und von seiner Erscheinung weissagen. Und, als auch diese Langmut vergebens war, stieß er ihren Tempel um und warf sie unter die Heiden nach Ninive und Babylon. Von Babylon kamen sie zwar, durch Vermittelung des damaligen Weltbeherrschers, der einen von ihren Propheten hatte kennen lernen, nach Jerusalem zurück, und bauten ihren Tempel wieder; aber das Böse hatte einmal die Überhand gewonnen und das Gute war geflohen. Sie sanken die letzten fünfhundert Jahre tiefer und tiefer, und blieb ihnen am Ende nichts übrig als ein selbstkluger blinder Stolz auf dürre Gebeine, aus denen der Geist gewichen war. Ihr Herz war ganz ins Äußere gewandt; sie suchten nur von außen und im Äußern Hülfe, und der Sinn für die rechte Hülfe und den rechten Helfer war verloren.


Endlich, als die Zeit erfüllet war, vor tausendachthundert Jahren, erschien das Leben hier bei uns auf Erden; das Wort ward Fleisch und wohnete unter den Menschen die damals lebten, und sie sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohns vom Vater voller Gnade und Wahrheit.

Ihr Kinder, schlägt Euch nicht das Herz? ... Man wünscht sich die zween Flügel der Seraphim des Jesaias, mit denen sie ihr Antlitz bedeckten 95, und kann doch zu gleicher Zeit nicht umhin, die Menschen seligzupreisen und zu beneiden, denen es von Gott [577] beschieden war, seine Herrlichkeit zu sehen und Augenzeugen dieser hochheiligen Erscheinung zu sein.

Wir sind so glücklich, von seinem Wandel auf Erden in der Heiligen Schrift von vier verschiedenen Leuten Nachrichten zu haben, die, wie Ihr wohl denken könnt, nicht allein für uns die wichtigsten, sondern auch die merkwürdigsten Nachrichten sind, die je durch Menschen gegeben worden, und von Menschen gelesen werden können.

Er ist in menschlicher Gestalt umhergegangen und hat wohlgetan und gesund gemacht alle die vom Teufel überwältiget waren 96; er hat Blinde sehend, Taube hörend, Sprachlose redend, Aussätzige rein, Kranke gesund und Tote lebendig gemacht, durch bloßes Anrühren, durch ein Wort und Blick etc.

Zwar waren diese Wunder und Wohltaten die Absicht seiner Zukunft nicht; aber er war natürlich lauter Liebe und Hülfe; es ging eine Kraft von ihm aus, die da heilete und jedermann half 97; und er wollte sie nicht zurückhalten, wo Hülfe nötig war. Auch sollten die Juden sehen, daß Gott nicht lüge, und der ihren Vätern versprochene, und von Mose gedeutete Erretter und Helfer gekommen sei.

Er war aber nicht zu solchem Dienst und allein für die Menschen, die damals lebten, in die Welt gekommen, sondern auch für uns, und für alle Menschen von dem ersten bis auf den letzten.

»Denn es ist je gewißlich wahr, und ein teures wertes Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.« 98

Damit Ihr aber von diesem Seligmachen den wahren Begriff haben, und den Seligmacher desto tiefer und inniger hochachten und lieben könnet, müsset Ihr recht und eigentlich berichtet werden, was Sünder und Sünde sei; denn wenn Worte oft und viel ohne Sinn gebraucht werden, so kommen sie endlich in den Verdacht, daß sie auch keinen hätten.

Und so bin ich etwas umständlicher über dieSünde, oder was das natürliche Verderben des Men schen, oder über das was wir ohne den Erretter sind.

Wie es in Hinsicht des Körperlichen um uns stehe, habt Ihr zum Teil gehört. Wir sind wie des Grases Blume, sind guten und [578] bösen Eindrücken und Einflüssen preisgegeben, und tragen den Keim des Todes und unzähliger Not und Gebrechen in und mit uns um, bis sie, früher oder später, ausbrechen, und unserer körperlichen Existenz ein Ende machen.

Und mit unserm unsterblichen Geist steht es noch übler. Zwei Kräfte hat ein Geist, erkennen undwollen; und die sind beide in uns so zerrüttet, daß sie fast unkenntlich sind.

Was erkannt werden kann, ist natürlich das Gebiet und Feld des Erkennens, und die Gegenstände in diesem Felde sind die unsichtbaren und ewigen, und die sichtbaren und zeitlichen Dinge.

Von jenen, die ohne Zweifel die hauptsächlichsten sind, erkennen wir nichts. Wir wissen wohl, wenn wir die sichtbaren vergänglichen Geschöpfe ansehen, daß ein unsichtbarer unvergänglicher Schöpfer sein müsse; wir wissen wohl, wenn wir milde wohlwollende Bewegungen und Gesinnungen in unserm Herzen fühlen, daß irgendwo eine Urquelle der Liebe, ein wesentliches Wohlwollen, ein lieber Vater, sein müsse; aber wir sehen ihn nicht und hören ihn nicht, und erkennen ihn nicht.

Und von den sichtbaren und zeitlichen Dingen ist unser Wissen zerrissen und Stückwerk, und unsere Augen sehen was wir wollen.

Eigentlich wissen wir nur, daß wir erkennen sollten; und es ist, als ob uns mit der einen Hand gegeben und mit der andern wieder genommen würde.

Und so ist es auch mit unserm Wollen. Wir wissen, daß wir rein wollen sollten; aber dasUnrein hängt sich allenthalben an. Wir fühlen in unserm Gemüt, daß gut gut ist; wir lieben das Gute, und wollen gerne gut sein und das Gute tun; aber wir können nicht. Das Fleisch hindert den Geist und beherrscht ihn, und doch ist er sich seines Vorzugs bewußt und daß er mehr ist und herrschen sollte.

»Fleisch und Geist«, sagt Lutherus, »mußt du nicht also verstehen, daß Fleisch alleine sei, was die Unkeuschheit betrifft, und Geist, was das Innerliche im Herzen betrifft, sondern Fleisch heißet St. Paulus, wie Christus Joh. 3, 6 alles was aus Fleisch geboren ist, den ganzen Menschen mit Leib und Seele, mit Vernunft und allen Sinnen, darum daß alles an ihmnach dem Fleisch trachtet. Also, daß du auch den wissest fleischlich zu heißen, der ohne Gnade von hohen geistlichen Sachen viel dichtet, lehret und schwätzet, wie du das aus den Werken des Fleisches etc.« 99

[579] Über dies alles brauchen wir weiter kein Zeugnis, da einem jeden die Erfahrung und sein eigenes Herz selbst zeuget; doch sollt Ihr das offene freie Bekenntnis hören, das ein Apostel darüber ablegt:

»Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist: Ich aber bin fleischlich unter die Sünde verkauft.

Denn ich weiß nicht was ich tue: denn ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich.

So ich aber tue, das ich nicht will: so willige ich, daß das Gesetz gut sei.

So tue ich nun dasselbige nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnet.

Denn ich weiß, daß in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnet nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht.

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

So ich aber tue, das ich nicht will: so tue ich dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnet.

So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, daß mir das Böse anhanget.

Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz, nach dem inwendigen Menschen.

Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.

Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?« etc. 100

Seht nun, lieben Kinder, das Gesetz, das wir uns, die wir wollen das Gute tun, finden: daß uns das Böse anhanget; das Gesetz in unsern Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in unserm Gemüt, und uns gefangennimmt, und uns täglich und stündlich zu Fall bringt groß oder klein und uns hinreißt von einer Ungerechtigkeit zu der andern, und das Ende derselbigen ist der Tod 101 ; das Nicht-Gute, das in unserm Fleisch wohnet, und das durch Lüste sich in Irrtum verderbet und unsern Verstand verfinstert; das Gelüsten des Fleisches wider den Geist 102 etc. – Dies und daß das so in uns ist, dies nebst der Gebrechlichkeit [580] unsers Körpers, ist die Sünde, nämlich die Erbsünde, das natürliche Verderben des Menschen, der alte Mensch, das Fleisch, der alte Adam, der Schlangensame, der geistliche Tod der zu allen Menschen hindurchgedrungen ist usw.

Die Heilige Schrift hat uns zwar dies Rätsel unserer Natur, dies Für und Wider zugleich in einem Wesen, aufgelöst; denn die göttliche Natur ist das Gute, die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Liebe, das Erkenntnis und alle Vollkommenheiten auf einmal und in eins und sie kann, wo sie auch ist, sich nicht verleugnen. Aber dadurch wird unser Unglück, wenn's möglich ist, nur noch größer. Und kann es einen Jammer geben, der dem Jammer gleich wäre: mit dem Bedürfnis und Drang zu Erkenntnis und Licht, im Dunkeln; mit dem Bedürfnis und Drang zum Guten, im Bösen; mit dem Bewußtsein eines Herrscherwerts und -be-rufs in einer schmählichen Knechtschaft, in ewigem innerlichen Unfrieden und Furcht des Todes zu sein; und nun dazu noch zu wissen: daß wir selbst an unserm Unglück schuld sind und es so ganz anders hätten haben können, daß wir den Zorn eines gerechten und allmächtigen Herrn auf uns geladen, einenliebreichen Vater beleidigt haben, und keine Hoffnung haben, sein Angesicht wiederzusehen.

Und das ist der Abgrund, darein der Mensch durch den Fall gestürzt ward, und daraus ihn nichts erretten konnte, keine menschliche Kraft und Weisheit, kein Gesetz noch Lehre etc.

Er kann sich zwar, wenn er weiß was gut ist, in den Streit: da »das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch und diese beiden widereinander sind«; er kann sich zwar in diesen Streit mischen; er kann, und das ist sein höchstes und edelstes Geschäft auf Erden, er kann es, wenn er über alle Bewegungen seines Herzens sorgfältig wacht und männlich und beharrlich kämpft, mit der Zeit dahin bringen, daß dies Gelüsten des Fleisches nicht in Tätlichkeiten ausbricht, d.i. er kann tugendhaft werden; aber er kann der Schlange nicht den Kopf zertreten, er kann seine Seele nicht lösen 103 und wieder lebendig machen, kann die Sünde nicht vergeben.

Aus dem Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde 104; aber auf Erkenntnis der Sünde kommt es nicht an, sondern auf die Sünde, auf den Widerwillen des Fleisches wider den Geist; denn dieser Widerwille ist grade das was ihn von Gott scheidet und seiner[581] Gerechtigkeit und Seligkeit im Wege steht – und den kann das Gesetz nicht nehmen. Und so richtet das Gesetz, oder Mose und das Alte Testament, nur Zorn an. 105

Und darum bedurfte es eines Neuen Testamentes, eines Mittels das diesen Widerwillen nehmen, das dem Streit zwischen Fleisch und Geist im Menschen ein Ende machen und Frieden stiften könnte; eines Mittels, das sich mit dem Geist des gefallenen Menschen, oder der göttlichen Natur in uns, vereinigen 106 und sie wieder frei machen könnte; es bedurfte eines Brots vom Himmel das der Welt das Leben gebe – – es bedurfte der Gnade und Wahrheit; ... Und die ist durch Jesum Christum worden. 107

Christus ist der Weg, und niemand kommt zum Vater als durch ihn. 108

»Denn das dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward, das tat Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde« –

Oder deutlicher: und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und um der Sünde willen, und vernichtete die Sünde im Fleisch –

»auf daß die Gerechtigkeit vom Gesetz erfordert in uns erfüllet würde.« 109

Dies Mittel konnte nur dem armen verlornen Menschengeschlecht der eingeborne Sohn Gottes bringen.

Und dazu »ist er vom Vater ausgegangen und kommen in die Welt, hat die Welt wieder verlassen und ist zum Vater gegangen«, wie er selbst sein großes Werk in einer Summe beschreibt 110; dazu hat er hier in der Welt die menschliche Natur rein und sündlos angenommen und mit der göttlichen in sich vereiniget; und ist Gott und Mensch in einer Person von der Jungfrau Maria geboren worden. – Und dazu hat er hier in der Welt, und ehe er wieder zum Vater ging, leiden und sterben und so zu seiner Herrlichkeit eingehen müssen. 111

Er sagt im Gleichnis: »Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibet es alleine; wo es aber erstirbet, so bringet es viel Früchte« 112; und zu seinen Jüngern gradeheraus: »So ich nicht hingehe so kommt der Tröster nicht zu euch, so ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.« 113 Und Petrus, voll des [582] eben über sie ausgegossenen Heiligen Geistes, predigte der verstürzten und irregewordenen Menge: »Christus habe die Verheißung des Geistes«, der vor seiner Vollendung und Verherr lichung noch nicht da war 114, »als er durch die Rechte Gottes erhöhet worden, vom Vater empfangen, und ausgegossen dies das ihr sehet und höret.« 115

In der Heiligen Schrift wird die Geschichte dieser Leiden und dieses Todes umständlich erzählt.

Er hat zu Jerusalem, nachdem er in einem großen gepflasterten Saal mit seinen Jüngern das mosaische Osterlamm zum letztenmal gegessen hatte, das christliche Osterlamm, nämlich das Essen und Trinken seines Leibes und Blutes unter Brot und Wein, dessen Symbol Mose schon auf Gottes Befehl in die Bundeslade neben den Gesetztafeln hatte legen lassen, in der Nacht da er verraten ward eingesetzt, und ist darauf in einen Garten am Ölberg gegangen, und seine eilf Jünger sind ihm nachgefolget; im Garten hat er von den Jüngern drei besonders zu sich genommen, hat angefangen zu zittern und zu zagen, hat sich auch von diesen gerissen auf einen Steinwurf, und ist dreimal auf sein Angesicht niedergefallen und hat dreimal gebetet und gesagt: »Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir, doch nicht wie ich will, sondern wie du willt«, hat mit dem Tode gerungen und »sein Schweiß ist gewesen wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde«; er ist darauf vom Gebet aufgestanden, und einer, von den Hohenpriestern abgeschickten, Schar mit Schwertern und mit Stangen, entgegengegangen, von ihr gegriffen und zu den Hohenpriestern, Schrift gelehrten und Ältesten gebracht und von ihnen zum Tode verdammt und dem römischen Landpfleger Pontius Pilatus überantwortet worden; der hat ihn verhört, keine Schuld an ihm gefunden, aber ihn doch verurteilt, und er ist wie ein Lamm das vor seinem Scherer verstummet – verspottet, gegeißelt und verspeiet – auf Golgatha in einer Dornenkrone ans Kreuz geheftet worden, und, als er es vollbracht hatte, und sein Blut vergossen war, am Kreuz gestorben – begraben und am dritten Tage wiederauferstanden, und hat sich vierzig Tage lang auf Erden unter den Seinen sehen lassen und sich ihnen lebendig erzeiget, und ist am vierzigsten, nachdem er seine Jünger versammlet und gesegnet und ihnen in alle Welt zu gehen und alle Völker zu lehren und im Namen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen geboten [583] hatte, sichtbarlich vor ihren Augen gen Himmel gefahren; und zehn Tage darauf ist der Heilige Geist über sie ausgegossen worden.

Und man muß nicht meinen, daß in diesem allen irgend etwas zufällig gewesen sei, und daß es auch nicht so hätte geschehen können; denn die Heilige Schrift lehret es ganz anders.

»Das unschuldige und unbefleckte Lamm«, sagt Petrus, »mit dessen teurem Blut die Menschen erlöset sind, war zuvor versehen, ehe der Welt Grund geleget ward.« 116

»Er war aus bedachtem Rat und Versehung Gottes übergeben.« 117 Und darum konnten die Propheten, die Gottes Rat wußten, von ihm und seinem Leiden und Sterben weissagen, und Mose im Osterlamm, in der in der Wüsten erhöheten Schlange, und in allen seinen Einrichtungen, den Ausgang, den er zu Jerusalem erfüllen sollte, funfzehnhundert Jahre vorher abbilden und konterfeien.

So sprach Christus selbst oft vorher von seinem Kreuzestode und seinen Leiden, und sagte nicht allein seinen Jüngern, was ihm zu Jerusalem widerfahren würde, voraus: »Sehet wir gehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn verdammen zum Tode, und überantworten den Heiden, die werden ihn verspotten und geißeln und verspeien und töten, und am dritten Tage wird er auferstehen 118«; sondern er berief sich auch auf Mosen und die Propheten, und sagte bei mehr als einer Gelegenheit, daß es also geschehen müsse, auf daß die Schrift erfüllet würde. 119

»Also ist es geschrieben, und also mußte Christus leiden, und auferstehen am dritten Tage«; 120

»Denn es muß alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist in dem Gesetz, in den Propheten und in den Psalmen.« 121

Es mußte denn alles so ergehen und geschehen, wie es ergangen und geschehen ist.

Wie und was Weise er nun aber dadurch dem Teufel die Macht genommen und die Welt überwunden hat; wie er dadurch die Sünde der Welt getragen, für uns genuggetan und Gottes Zorn gestillet hat; wie dadurch der Geist Tröster, mit dem wir getauft werden sollen, zuwege gebracht, und sein Leib und Blut die rechte Speise und der rechte Trank geworden – das ist das [584] kündlich große und anbetungswürdige Geheimnis 122, das von der Welt her verborgen gewesen ist 123, und das die Engel gelüstet zu schauen 124, und nur seinen Heiligen offenbart wird 125. Wir nehmen es mit gebeugter Stirne an, wie es uns von Christo und seinen Aposteln gegeben wird:

»Er hat durch seinen Tod die Macht genommen dem der des Todes Gewalt hat, das ist dem Teufel.« 126

»Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.« 127

»Ich habe die Welt überwunden.« 128

»Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde träget.« 129

»Derselbige ist die Versöhnung für unsre Sünde, nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt.« 130

»Wer dem Sohn nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihn.« 131

»Durch seinen Tod sind wir Gott versöhnt.« 132

»Durch seinen Gehorsam sind wir gerecht worden.« 133

»Er hat unsre Sünde selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holz.« 134

»Er ist um unsrer Sünde willen dahingegeben.« 135

»Er ist um unsrer Missetat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet.« 136

»Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohns, und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben – denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank.« 137

»Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.« 138

»Durch ihn haben wir Friede mit Gott.« 139

»Nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem teuren Blut sind wir erlöset.« 140 Und so auf allen Blättern der Heiligen Schrift.

Das sind klare Worte, die er und seine Apostel gesagt haben; darauf leben und sterben wir. Und wir fragen nur, wie wir einer [585] so großen, überschwenglichen und unverdienten Gnade und Wohltat wert sein, und wie wir ihrer teilhaftig werden können?

Denn damit, daß Christus die Werke des Teufels zerstöret, die Welt überwunden und des Vaters Zorn gestillet hat; damit ist nur die Tür des Paradieses wieder geöffnet; aber wir sind noch nicht hinein, und es müssen noch im Menschen die Werke des Teufels zerstöret, 141 die Welt überwunden, 142 und der Zorn Gottes, die Unverträglichkeit der heiligen Natur mit dem was ihr zuwider ist, gestillet 143 werden.

»Christi Werk und Geschichte wissen«, sagt Lutherus, »ist noch nicht das rechte Evangelium wissen, denn damit weißt du noch nicht, daß er Sünde, Tod und Teufel überwunden hat.«

Durch das Erlösungswerk Christi ist das Reich Gottes nahe herbei kommen; aber das Reich Gottes soll inwendig im Menschen sein 144, und der Geist Gottes soll ihn treiben 145.

Nun aber ist, wie wir gesehen haben, in dem natürlichen Menschen ein ander Reich, und ihn treibt einanderer Geist, nämlich der irdische fleischliche Sinn, der eine Feindschaft ist wider Gott 146, der nichts vernimmt vom Geiste Gottes und dem dies eine Torheit ist 147.

Dieser Sinn also muß im Menschen untergehen, die Geschäfte des Fleisches müssen getötet werden 148, der Leib der Sünden 149 der alte Adam muß sterben und mit Christo begraben werden in den Tod 150. Und aus diesem Tode muß ein neues Leben hervor kommen und neugeschaffen werden, so daß, gleich wie Christus ist von den Toten auferwecket durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch der gefallene und in Sünden tote Geist 151 des Menschen auferstehe und eine Neue Kreatur 152 sei, die, wie vormals, frei wieder um sich sehe und frei und mit Lust das Gute wolle.

Diese Veränderung im Menschen heißt die Wiedergeburt; die Heilige Schrift nennt es auch: »neu geboren werden« 153; »aus unvergänglichem Samen« 154 »vom Geist« 155 »aus Wasser und Geist« 156 »aus Gott« 157 geboren werden etc. Und das muß in einem jeden einzelnen Menschen geschehen, oder er bleibt was er ist. 158 »Denn, es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.« 159

[586] Diese Veränderung und Tötung des alten Adams geschieht durch den Geist Tröster den Christus uns vom Vater gesandt hat 160, durch den Leib Christi 161, und kann ohne ihn nicht geschehen 162. Sie kann aber auch durch ihn allein und ohne Zutun des Menschen nicht geschehen, und der Mensch hat gewisse Bedingungen zu erfüllen, wenn der Geist Tröster nicht für ihn umsonst gekommen sein soll. Tun und die Gerechtigkeit und Seligkeit verdienen kann der Mensch nicht; sie ist und bleibt eine freie unverdiente pur lautre Gnade; aber er kann den Weg des Herrn bereiten und seine Steige richtig machen.

Und das geschieht durch Buße und Glauben.

»Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei kommen.« 163

Nach dem Bericht der Evangelisten ging vor dem, der mit Feuer und dem Heiligen Geist taufte 164, derVorläufer und Wassertäufer her, und predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünde. 165

»Ich taufe mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt ist stärker als ich.« 166

»›Tut rechtschaffene Früchte der Buße.‹ Und sie gingen zu ihm hinaus und bekannten ihre Sünde.« 167

Wie im allgemeinen, so im besondern. Der einzelne Mensch muß Buße tun, das heißt: Sinn ändern.

Nun können wir, wie Ihr gehört habt, uns aus eigner Kraft den fleischlichen Sinn nicht nehmen; aber wir können wollen und Entschließung fassen. Dies ist der einzige Akt, den der gefallene Mensch von seiner vorigen Herrlichkeit noch in seiner Gewalt hat, die einzige Saite auf der heiligen Harfe, daran er noch rühren kann, und das Wahrzeichen seiner Größe. Er kann noch, trotz Kerker und Ketten, in sich schlagen, und in seinem innersten Herzen dem fleischlichen Sinn den Rücken wenden und die Hände nach Gott ausstrecken.

Aber dieser Entschluß ist keine leichte und geringe Sache, wie ein jeder erfährt, der ihn in Ernst fassen will. Er ist der schmale Weg und die enge Pforte, die das Christentum so unbeliebt, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit macht. Wer ihn fassen will, der muß einen bekannten Genuß, für einen unbekannten aufgeben, der muß sein eigen Leben hassen und die Schmach der Welt tragen können. Aber er muß gefaßt werden, [587] und ist das Opfer, das die Wahrheit fordert und daran sie ihre Gnade gehängt hat, und ohne das sie ihrer Majestät etwas vergeben würde.

»Wer Vater und Mutter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht wert. Und wer Sohn und Tochter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folget mir nach, der ist mein nicht wert.« 168

Die himmlischen Güter können einer irdischen Gesinnung nicht mitgeteilet werden. Und darum dürfen auch die heiligen Sakramente, die Taufe und das Abendmahl, von den Menschen nicht als nach einem vorgegangenen Bekenntnis gespendet werden. Und, seitdem die Kindertaufe eingeführt ist, müssen die Taufzeugen verbürgen, daß der Täufling dem Teufel und allen seinen Werken und alle seinem Wesen etc. entsage und an den dreieinigen Gott glaube.

Und da der Mensch Gott den Rücken wandte und ihm nicht die Ehre geben und vertrauen wollte, als er ihn sahe; so ist es billig, wenn er wieder Gnade finden und geholfen sein will, daß er sich selbst den Rücken wende, und Gott vertraue und die Ehre gebe, nun er ihn nicht siehet.

Gott könnte auch diese Bedingung nicht nachlassen und seine Ehre einem andern geben, oder er müßte aufhören, die Wahrheit und die Liebe zu sein; denn es ist nur ein Gott und alles außer ihm ist Verlust.

Aber sie ist und bleibt schwer für den gefallenen Menschen; und, ungeachtet seiner bessern Einsicht und der täglichen und stündlichen Veranlassungen, steht ihm, die äußerlichen Bußübungen zwar wohl, aber die Buße nicht immer zu Gebot. Wer sich die Liebe Gottes bewegen lassen kann, Sinn zu ändern, der geht den köstlichsten Weg. Sonst muß er sich die Gerechtigkeit und die Allgegenwart Gottes, und das Exempel anderer warnen lassen; denn es werden uns nicht umsonst in der heiligen Geschichte Exempel veränderter Denkart und Gesinnung, und lebendiger Reue und Leid über die Sünde, aufgestellt; es wird uns nicht umsonst erzählt, daß Davids »Gebeine erschrocken und sein Herz sehr erschrocken gewesen und er sein Lager mit Tränen genetzet«; daß »Petrus hinausging und bitterlich weinete«; daß »Abraham gehorsam ward und ausging und nicht wußte wo er hinkäme«; daß »Mose, da er groß ward, nicht mehr ein Sohn der Tochter Pharao heißen wollte und viel lieber erwählete, mit dem Volk [588] Gottes, Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, und daß er die Schmach Christi für größer Reichtum hielt als alle Schätze Ägypti etc.« Durch diese alle redet Gott noch zu uns, wiewohl sie gestorben sind.

Oft tragen auch die Umstände des Lebens zu dieser Sinnesänderung bei, und es hat einen sehr wahren und einen sehr vernünftigen Sinn, wenn die Heilige Schrift sagt, daß das Kreuz zu Gott führe.

Sonderlich aber dienet das Gesetz, die Sünde überaus sündig 169 und mächtig zu machen, damit die Gnade noch viel mächtiger werde 170; wenn nämlich der Mensch in diesem Spiegel die Gestalt, die er haben soll, fleißig ansiehet und sie mit der vergleicht, die er hat. Als Ihr wisset, lieben Kinder, daß Gott ein starker eifriger Gott ist, der über die so ihn hassen, die Sünde der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimsucht, aber denen so ihn lieben und seine zehen Gebote halten bis ins tausendste Glied wohltut; und daß Ihr nach seinem ersten Gebot keine andre Götter neben ihm haben, ihn über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollet. Wenn Ihr nun in Euch hineinsehet, und da die andern Götter, die Ihr neben ihm habt, und die vielen andern Dinge, die Ihr über ihn fürchtet, liebet und vertrauet, gewahr werdet; so erfüllet dies das Herz mit Scham und Reue und ängstiget und zerschlägt es »daß wir lernen erschrecken«, sagt Lutherus, »vor unserer Sünde, und dieselben lernen groß achten und uns Sein allein freuen«.

Das zweite von seiten des Menschen ist der Glaube.

»Und wie Mose in der Wüsten eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden sondern das ewige Leben haben.« 171

»Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« 172

Wie also die leiblich kranken Israeliten, wenn sie leben bleiben wollten, die von Mose in der Wüsten erhöhete Schlange ansehen mußten 173; so müssen die geistlich Kranken den erhöheten Menschensohn ansehen und an ihn gläuben.

Aber dies Gläuben ist ein göttlich Werk.

Glauben überhaupt ist edler und höher als Sehen. Wie aber die sichtbaren Dinge, die wir sehen sollen, uns auf eine gewisse [589] Entfernung nahe kommen müssen, und, wenn wir sie sehen, uns wirklich nahe sind; so müssen uns auch die unsichtbaren Dinge, die wir glauben sollen, auf eine gewisse Weise nahe kommen, und sind, wenn wir sie glauben, uns wirklich nahe. Einem nachdenkenden Manne, der aus den sichtbaren wundervollen Geschöpfen auf einen unsichtbaren allmächtigen und allweisen Schöpfer mit Sicherheit und Gewißheit schließt, ist Gott ohne Zweifel näher als einem rohen Spötter; und dieser Glaube seiner Gedanken, der ihm Gott näher bringt, ist allerdings etwas Edleres und Tätigeres als das Sehen. Aber gar viel ein ander und kräftiger Ding ist der Glaube des ganzen Menschen, wenn sein bewegtes und arbeitendes Herz und alle seine Kräfte den Gegenstand des Glaubens mit Zuversicht und Zueignung ergreifen, herbeiziehen und sich gleichsam einverleiben – und dieser Gegenstand des Glaubens der vollendete und verherrlichte Gott-Mensch ist.

»Glaube«, sagt Lutherus, »ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten. – Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt. – O es ist ein lebendig, schäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, daß unmöglich ist, daß er nicht ohn Unterlaß sollte Gutes wirken. – Darum siehe dich für für deinen eignen falschen Gedanken und unnützen Schwätzen vom Glauben. – Bitte Gott, daß er den Glauben in dir wirke, sonst bleibst du wohl ewiglich ohne Glauben, du dichtest und tust was du willst oder kannst.«

Wenn der Mensch nun mit einem solchen Glauben zu dem erhöheten Menschensohn aufsieht, und mühselig und beladen an seine Brust schlägt; so hat er das Seinige getan, und der Geist Tröster tut das übrige.

Wenn er so sich selbst aufgegeben und alle eigne Stützen von sich geworfen hat und nun zu versinken und in die Leere und Öde zu fallen glaubt; so fällt er wieder in die Arme des, der aller Wesen Stütze ist und der ihn nur fahrenließ weil er sich selbst stützen wollte, dessen Arme aber ewig für jeden reuigen und wiederkehrenden Sünder offenstehen.

Höret das holdselige Gleichnis vom verlornen Sohn aus dem Munde Christi:

»Er, der verlorne Sohn, schlug in sich und sprach: ›Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: »Vater ich habe gesündiget im Himmel und vor dir und bin fort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße, mache mich als einen deiner Taglöhner.«‹ Und er machte sich auf und kam zu seinem [590] Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sahe ihn sein Vater und jammerte ihn, lief und fiel ihm um den Hals und küssete ihn.« 174

Seht, lieben Kinder, so fängt die Wiedergeburt an, und der das gute Werk angefangen hat, der setzt es, wenn ihn der Mensch nicht hindert, auch fort und vollführt es; denn es hat, wie alles Werk, seine Zeiten und Stufen. 175

Nach unserm Glauben berufet der Heilige Geist,erleuchtet und heiliget. Aber der Mensch kann auf mancherlei Weise im Wege und hinderlich sein; auch, da er das Sausen des Windes nur hört und nicht weiß von wannen er kommt und wohin er fähret, sehr leicht in Abwege geraten und das armselige Feuer seines Herdes für Feuer vom Himmel halten. Und das schadet ihm und andern. Aber die Sache hat darum nicht weniger in sich ihren sichern und gewissen Gang; und die guten Geistlichen kennen diesen Gang und können Rat geben, denn dies ist ihre eigentliche Wissenschaft und ihr eigentliches Feld 176, und werden deswegen mit Recht Ehrwürdig genennet.

Dieser alte einfältige Weg der Buße und des Glaubens heißt die Ordnung des Heils, lieben Kinder, und ist der Weg zum Leben und zur Wiederherstellung des Menschen. Sie haben auch andere Wege; die aber führen da nicht hin, dahin dieser am Ende führt.

Denn Ihr müßt nicht meinen, daß es ein Geringes sei, wenn an einem Menschen erfüllet ist, was Christus kurz vor seinem Tode von seinem Vater bat: »daß sie alle eines sein, gleich wie du, Vater, in mir, und ich in dir, daß auch sie in uns eines sein – gleich wie wir eines sind.« 177

Die Heilige Schrift weiß sich über diesen Zustand nicht zurückhaltend und erhaben genug auszudrücken, nennt ihn etwas, das die Welt nicht empfahen kann 178; ein wunderbares Licht 179; die Herrlichkeit des Vaters 180 etc. Johannes saget: »Das ist die Freudigkeit die wir haben zu ihm: daß so wir etwas bitten nach seinem Willen, so höret er uns. Und so wir wissen, daß er uns höret, was wir bitten: so wissen wir, daß wir die Bitte haben, die wir von ihm gebeten haben.« 181 Und Christus selbst sagt: »Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen.« 182

Es stehet dem Menschen nicht zu, davon zu reden, und man [591] sieht ein, daß der Mensch auch davon nicht reden könnte, und daß ein solcher eine Seligkeit und einen Frieden habe, die über alle Welt und alle Vernunft gehen 183; und daß niemand seine Freude von ihm nehmen könne 184. Auch der Tod nicht; denn ein solcher wird leben ob er gleich stürbe 185. Er stirbet nimmermehr 186; denn er verliert durch den Tod nur, was er nicht hatte, und was er hat das bleibet bei ihm in Ewigkeit 187.

Das, lieben Kinder, ist die christliche Religion nach der Heiligen Schrift.

Es ist nichts Erhabners und Größers und keine fröhlichere Botschaft. Haltet fest daran, und achtet darauf als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in Eurem Herzen 188.


Der selige Lutherus hat diese Lehre in seinem sogenannten Kleinen Katechismus unter fünf Hauptstücken gefaßt, und sich bei dieser Abteilung die Sache vermutlich so vorgestellt: daß der Mensch zuerst wissen müsse was er sein soll, und denn wie und wo durch er das werden könne, und daß von seiten des Menschen ein brünstiges Verlangen und Wünschen des Herzens, und von seiten Gottes eine Annäherung und Mitteilung der unsichtbaren Güter erfordert werde; und hat also im ersten Hauptstück vom Gesetz, im andern vom Glauben, im dritten vom Gebet, und im vierten und fünften von den heiligen Sakramenten der Taufe und des Abendmahls gehandelt. Diese Einteilung ist auch sehr gut, und seine Hauptstücke sind kräftig und schön gestellt, und präget sie Eurem Gedächtnis und Eurem Herzen fest und tief ein.

Andre haben andre Ab- und Einteilungen gemacht. An der Form ist am Ende so sehr nicht gelegen, die ist willkürlich; aber die Sachen sind nicht willkürlich, und daran ist alles gelegen.

Bei der Einweihung unsrer neuen Kirche,
den 30. Nov. 1800

Die Musik – von

Herrn Musikdirektor Schwenke

in Hamburg


Herr unser Gott, wende Dich zu dem Gebet und Flehen
DeinesVolks. Du wollest hören das Gebet
Das Dein Volk heute vor Dir an dieser Stätte tut,
Und wollest hören das Gebet
[592]
Das sie tun werden vor Dir an dieser Stätte,
Im Himmel; und, wenn Du es hörest, gnädig sein.
Wenn jemand in sich schlägt und suchet Dich,
Und sich zu Dir bekehren will
Von ganzem Herzen und von ganzer Seele,
Und er vor Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und seiner Seele gnädig sein!
Wenn jemand zaget in der letzten Not,
Und ringet, und sein Freund für ihn
Zu Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und seiner Bitte gnädig sein!
Wenn jemand Unrecht leidet und Gewalt,
Und keinen Retter hat,
Und er es Dir in diesem Hause klagt;
So wollest Du hören im Himmel,
Und Recht verschaffen Deinem Knecht!
Wenn teure Zeit ist, oder Pestilenz,
Oder Dürre, oder Krieg, oder irgendeine Plage,
Wer denn vor Dir in diesem Hause fleht;
So wollest Du hören im Himmel,
Und Deinem Volke gnädig sein!

Die Gemeine

Es woll uns Gott genädig sein,
Und, wenn wir beten, hören!
Der Mensch ist ohne Gott allein,
Und kann ihn nicht entbehren.
Noch keiner Trost gefunden hat
Auf seinen eignen Wegen;
Er wandelt ohne Licht und Rat,
Ist hülflos und verlegen
Im Leben und im Tode.
Herr, Du bist Gott, und ist kein andrer;
Laß uns Dich fürchten!
[593]
Laß uns Dich lieben!
Und an Deinem Bekenntnis halten.
»Das ist das ewige Leben, daß sie Dich,
daß Du allein wahrer Gott bist, erkennen,
und, den Du gesandt hast, Jesum Christum.«
Bleibe bei uns, denn es will Abend werden.

Die Gemeine

Wir glauben all an einen Gott,
Schöpfer Himmels und der Erden,
Der sich zum Vater geben hat,
Daß wir seine Kinder werden.
Er will uns allezeit ernähren,
Leib und Seel auch wohl bewahren;
Allem Unfall will er wehren,
Kein Leid soll uns widerfahren,
Er sorget für uns, hüt't und wacht,
Es steht alles in seiner Macht.
Wir glauben auch an Jesum Christ,
Seinen Sohn und unsern Herren.
Der ewig bei dem Vater ist,
Gott von gleicher Macht und Ehren;
Von Maria der Jungfrauen
Ist er wahrer Mensch geboren
Durch den Heil'gen Geist im Glauben,
Für uns, die wir waren verloren,
Am Kreuz gestorben, und vom Tod
Wiederauferstanden durch Gott.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
Gott mit Vater und dem Sohne,
Der aller Blöden Tröster heißt,
Uns mit Gaben zieret schöne;
Die ganze Christenheit auf Erden
Hält in einem Sinn gar eben;
Hier all Sünd vergeben werden.
Das Fleisch soll uns wieder leben;
[594]
Nach diesem Elend ist bereit
Ein Leben uns in Ewigkeit.
Aber er wohnet nicht in Häusern mit Händen gemacht;
Der Himmel ist sein Stuhl, und die Erde
Seiner Füße Schemel, und
Aller Himmel Himmel mögen ihn nicht halten.
Doch eines reinen Herzens
Kann er sich nicht erwehren;
Will er sich nicht erwehren!
Da will er Wohnung machen,
Und seine Wunder wirken!

Alle

Komm, Heiliger Geist, Herre Gott,
Erfüll mit Deiner Gnaden Gut
Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn,
Dein brünstig Lieb entzünd in ihn'n.
O Herr behüt für fremder Lehr,
Daß wir nicht Meister suchen mehr,
Denn Jesum Christ mit rechtem Glauben,
Und ihm aus ganzer Macht vertrauen.
Halleluja!
Halleluja!

Die Sternseherin Lise

Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern am Himmel an.
Sie gehn da, hin und her zerstreut
Als Lämmer auf der Flur;
In Rudeln auch, und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur;
Und funkeln alle weit und breit,
Und funkeln rein und schön;
[595]
Ich seh die große Herrlichkeit,
Und kann mich satt nicht sehn ...
Dann saget, unterm Himmelszelt,
Mein Herz mir in der Brust:
»Es gibt was Bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.«
Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach,
Und suche es in meinem Sinn,
Und sehne mich darnach.

Über die neue Theologie, an Andres

Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und daß die Menschen »sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne daß etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren«.

Im Anfang, als die etliche hervorrückten, wollte ich meinen Augen nicht trauen, und dachte daß dabei irgendeine andre Absicht, die ich nicht absehen könne, hinter dem Berge halte. Man hat, unbesehen, Achtung für gelehrte Leute; und ich konnte nicht glauben: daß es möglich sei, so leichtsinnig und unverschämt zu sein, andern Leuten, die doch auch Menschenverstand haben, solche Sachen zu bieten und als Weisheit auszugeben; noch weniger: daß man einer bestehenden Religion so ins Angesicht Hohn sprechen dürfe. Wie gesagt, ich dachte, hinter dem Berge halte etwas, das ich nicht absehen könne.

Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen; und ist, worauf ihrer, so viele und von allen Parteien, ausgehen mehr oder weniger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen, und alles was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, herauszutun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein, und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.

Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe, Gelehrsamkeit und Wohlredenheit, Altertümer und Sprachgebrauch, Akkommodation [596] und Babylonische Teufel, Volkssinn und Volksunsinn, um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der Heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Wert ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Mut fehlt, den Verdacht deralten Einfalt und des Zurückebleibens auf sich zu laden.

»O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, daß ihr der Wahrheit nicht gehorchet? – ImGeist habt ihr angefangen, wollt ihr's nun im Fleisch vollenden?«

Aber, Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutionsschwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.

Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden und so nahe ist er uns noch nicht gekommen. Und schweigen ist freilich das sicherste und bequemste, auch die meiste Zeit das gescheuteste; aber ich denke, in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muß unverhohlen seine Meinung sagen, und vorliebnehmen was darauf folgt.

Wäre ein religiöses Parlement, so ließe man eine förmliche Protestation gegen die Ministerialpartei in die Parlementsregister einrücken für Welt und Nachwelt; denn man muß sich schämen, ein Zeitgenosse gewesen zu sein, wo solche Akte passiert sind.

Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rat; Gott weiß einen, und promulgiert eine Arzenei, die sich bei Tausenden bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen – und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern! ... Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen, und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?

»Ich tue euch aber kund, lieben Brüder«, sagt der Apostel, »daß das Evangelium, das von mir geprediget ist, nicht menschlich [597] ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.«

Wenn das Christentum weiter nichts wäre, als ein klares allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft; so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, daß die Welt den Geist des Christentums nicht sehe und nicht kenne 189, und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können? –

Und das, wozu tausend Jahre Zeit nötig gewesen sind um es allgemein in Europa einzuführen, wofür die Könige und Fürsten so viel gekämpft und gestritten und es als das Glück ihrer Länder angesehen, wofür unsre Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heiligzuhalten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsre Seelen selig machen kann – das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand, nehmen und aus den Händen winden lassen ... das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsre Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen liebhat.

Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Moses Rat, »in unsre Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsre Hand binden, daß es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsre Kinder lehren, und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen.«


Dabei bleibt's. Andres. Leb wohl.

Valet an meine Leser

Und somit will ich Feierabend machen, und von meinen Lesern Abschied nehmen, und zu guter Letzt noch einmal Hand geben.

Ich entschuldige mich über meine Werke bei Ihnen nicht. Ich bin kein Gelehrter und habe mich nie für etwas ausgegeben. Und ich habe, als einfältiger Bote, nichts Großes bringen wollen, sondern [598] nur etwasKleines, das den Gelehrten zu wenig und zu geringe ist. Das aber habe ich nach meinem besten Gewissen gebracht; und ich sage in allen Treuen, daß ich nichts Bessers bringen konnte.

Das meiste ist Einfassung und Spielewerk, das als ein Blumenkranz um meinen »Becher kaltes Wassers« gewunden ist, daß er desto freundlicher ins Auge falle.

In diesem siebenten und letzten Teil habe ich desErnstes etwas mehr getan, und die Fahne etwas höher aufgezogen, daß man am Ende sehe, von welcher Seite die Luft geht. Sollte ich nun damit unter den Herren Gelehrten und Wortführern wieder böse Leute gemacht haben; so wäre mir das leid. Aber ich konnte mich doch ihretwegen nicht genieren. Ichmußte tun was recht ist, und was ich gleich in der Dedikation vor dem ersten Teil dem bewußten Freund versprochen habe; er soll nun bald kommen, und ich darf es mit ihm nicht verderben. Am Ende wird ja was wahr und nützlich ist, auch wohl wahr und nützlich bleiben, wenn es von den Gelehrten auch nicht gelobt wird.


Man ist nur einmal in der Welt, und ist nicht darin, ihr nach dem Sinn zu reden, und Häckerlinge zu schneiden. Es schafft nicht, daß der Mensch mit niedergeschlagenen Augen sitze, und sich räuspere und seufze; er soll die Augen frei aufschlagen und frisch und fröhlich um sich sehen. Aber man kleinmeistert und lacht sich nicht durch die Welt, und die sind übel berichtet, die da glauben und lehren, daß die Menschen hier nichts anderes zu tun hätten und daß sie hier so recht à leur aise wären.

Sehe doch einer nur an, wie sie in die Welt hereinkommen und wie sie wieder hinausgehen, wes Standes und Ehren sie sind! – Wer dazu lachen und sich das aus dem Sinn schlagen, oder sich darüber mit denKategorien etc. trösten kann, der mag ein Philosoph sein; aber ein vernünftiger Mensch ist er nicht.

Und auch zwischen dem Herein und Hinaus, selbst wenn es am besten geht, was ist denn der Mensch, und was hat er? – Er hat Himmel und Erde, Meer und Land, Berg und Tal, Sonne und Mond etc. und die sind groß und herrlich; aber, recht beim Licht besehen, ist alles, was man sieht, doch nur äußere Rinde und Kruste, schöne Kisten und Kasten mit Kleinodien, zwischen denen der Mensch herumgeht wie einKnecht vor dem der Herr sie verschlossen hat. Er fühlt wohl, daß es anders sein könnte; denn was sind seine kühne Vermutungen und seine Träume über [599] den inwendigen Zusammenhang und die verborgenen Triebfedern der Natur anders, als Zeichen und Beweise seines Anrechts an ihre Erkenntnis? – Aber sein Anrecht ist sequestriert, und er geht, neben dem Born des Lichts, hungrig und durstig nach Erkenntnis und muß es sich kalt und warm um die Nase wehen lassen und mit allen Elementen kämpfen bis sie ihn wieder verschlungen haben.

Man tröstet sich mit der innerlichen Größe des Menschen, und gloriiert über das Hohe und Göttliche seines Verstandes und seiner Vernunft. Ja wohl, ist der Mensch groß und göttlich; aber grade hier ist es, wo einem das Gloriieren vergeht und die Tränen in die Augen treten, wenn man sieht und gewahr wird, daß das Große und Göttliche wider seine Natur in uns gehemmt ist; und es sollte walten.

Der Weg, den der Mensch in dem, was Künste und Wissenschaften heißt, dazu einschlägt, ist lobenswert und edel; aber sie sind höchstens, wofür sie auch in alten Zeiten nur gegolten haben, ein Weg und nicht das Ziel; und wer sie für das Ziel nimmt und darin hängenbleibt, der verkauft seine Erstgeburt um ein Linsengericht, der sattelt in der Wüsten ab, um das Pferd zu bewundern und bewundern zu lassen, mit dem er weiter und ins Gelobte Land reiten sollte, wo der Almosenpfleger wohnt.

Die Reinigung kann ja nicht in dem Gebrauch des Ungereinigten bestehen, und wenn der Eimer von eigner Weisheit voll ist, kann ja keine andre hinein. Und darum muß, wenn was Gescheutes werden soll, alle eigne Weisheit und aller Selbstdünkel zu Kreuze kriechen und der sokratischen Unwissenheit Platz machen. Nur in der Niedre sammlet sich das Wasser und dem Almosen gebührt ein Mann in Lumpen, wie auch Ulysses erfahren hat; denn nicht als Held und Feldherr, sondern in Bettlersgestalt fand er seine Penelope wieder.

So ist das Denken und die Denkraft ja auch nur die Hälfte des Menschen, und noch dazu die unrechte Hälfte, mit ihr die Veränderung und Besserung des Ganzen anzufangen, weil sie an und in sich selbst fest steht. Sowenig es von mir abhängt, Schwarz als Schwarz zu sehen, ebensowenig hängt es von mir ab, den Pythagorischen Lehrsatz z.E. wahr oder nicht wahr zu finden. Aber der Wille, der kann wollen und sich ändern und so auf die Denkkraft influieren. Und wer wie Gott wollen kann, der wird auch wie Gott denken lernen, er sei gelehrt oder ungelehrt, ein Polyhistor oder ein Schuster.

[600] Also auf eine gewisse Gestalt des inwendigen Menschen kommt es an, auf eine gewisse innerliche Denkart, Fassung, Haltung etc. die man sich vorsetzen und darnach man streben muß.

Und da ist es, dünkt mich, von allem übrigen abgesehen und wes Glaubens man sonst auch sei, ein vernünftiger Rat: daß man sich eine Gestalt vorsetze, die standhält und die man unter allen Umständen festhalten kann. Was vorübergeht, ist ohne Zweifel nicht so gut, als was währt; und es schickt sich für den Menschen nicht, andern und andern Sinnes zu werden, und wie ein Chamäleon die Farbe zu ändern, je nachdem die Lichtstrahlen auf ihn fallen.

Aber über eine Gestalt, die standhalte und sich unter allen Umständen festhalten lasse, sind die Meinungen sehr verschieden, und ein jeder denkt sie sich auf seine Art, der Weltbiedermann so und der Gymnosophist anders; und a priori und ohne Erfahrung hat wohl noch niemals ein Mensch die rechte getroffen. Man stimmt immer zu hoch oder zu tief, und muß denn, wenn die Erfahrung eintritt, umstimmen, und das gibt viel Sorge und Mühe.

Doch es ist ein köstlich Ding, daß das Herz, oder diese Gestalt, fest sei; und man kann sich um eine solche nicht zu viel Mühe geben. Die Leser werden aber finden, daß sie desto unfester ist, je mehr Sinnlichkeit in ihr obwaltet, und daß man sich also sauer werden lassen und manches versagen und aus dem Sinn schlagen muß, um sie nach und nach davon zu säubern und fest zu machen.

Diese Welt und die Dinge die darin sind und zu ihr gehören, liegen uns nahe, und die Natur hängt sich gerne an und sammlet sie; aber sie sind nur ein luftig Wesen und ein trüglicher Schatz. Auch das Zeitliche und Sichtbare an uns selbst hat nicht Bestand und Wert, ist nur ein brechlicher Verschlag und inwendig wohnen wir.

Was unsichtbar und geistig ist, das nur ist fest und ewig. Und der Art sind auch die rechten Schätze, die der Rost nicht frißt, und die jene Gestalt unbeweglich und feuerfest machen. Und die sammlet der Glaube.

Aber Glaube ist in der gelehrten Welt ein unbekannt Ding. Er existiert nicht in abstracto, und wo er in die Hand genommen wird, um besehen zu werden, da gebiert er nichts als Hader und Zank; wo er aber in seinem natürlichen Acker, in einem Menschenherzen, wohnet und wurzelt, da zeigt er wohl,[601] was er ist und was er kann, und wie er hier dem Menschen konveniere.

Sehen wir's doch im Kleinen und in Dingen dieser Welt, wie ein Mensch, der Glauben und Vertrauen zu sich und seiner Sache hat, mit Vollherzigkeit und Sicherheit fährt, wie ihm alles von der Hand geht, und es mit ihm, gegen den dürren hagern unschlüssigen Klügler, gar ein ander Leben und Wesen ist.

Was wird es denn sein mit einem, der ewigen unvergänglichen Dingen vertraut, der an einen allgegenwärtigen souveränen Tröster, einen Stiller alles Haders, glaubt, und eines neuen Himmels und einer neuen Erde wartet? – Der wird, auf dieser Erde, den Fuß in Ungewittern und das Haupt in Sonnenstrahlen haben, wird hier unverlegen und immer größer sein als was ihm begegnet, der hat immer genug, vergibt und vergißt, liebt seine Feinde und segnet die ihm fluchen; denn er trägt in diesem Glauben die beßre Welt, die ihn über alles tröstet und wo solche Gesinnungen gelten, verborgen in seinem Herzen, bis die rechten Schätze zum Vorschein kommen.


Wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt; wir sollen hier reif für eine andre werden, und man kann unsern Körper als ein Gradierhaus ansehen, wo das wilde Wasser von dem guten geschieden werden soll. Es ist nur Einer der dazu helfen kann, und dem sei Ehre in Ewigkeit.

Gehabt Euch wohl.

[602]

Notes
Entstanden zwischen 1798 und 1803. Erstdruck der Sammlung: [1803] »beym Verfasser, und in Comißion bey Friedr. Perthes in Hamburg«.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Siebenter Teil. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-531C-E