Lord

Er war kein englischer Minister und auch kein Grand von irgendeinem Chester oder Shire – sondern ein Dobermann, – gut in der Rasse und glänzend durch seine Tugenden.

Sommerfrischler aus dem Norden hatten ihn wegen Futtermangel dem Riegerbauern überlassen für fünf Pfund Schmalz und fünfzig Eier; denn dem Rieger sein Schnauz war im vergangenen Winter leider als ein Wilddieb erkannt und vom Nachbar Kreitweber erschossen worden.

Als ich ihn kennen lernte, war Lord etwa vier Jahre alt und ein recht stattlicher Hund; wachsam und aufs Wort gehorchend. Allein – er hatte einen großen Fehler, – er war ein Menschenfeind.

Er packte jeden, der sich arglos seiner Hütte näherte: den Handwerksburschen und den Bürgermeister, den Steuerboten und den Herrn Pfarrer, den Nachbarn und die Stallmägde. Ja, sogar des Herrn Wachtmeisters Wade hatte er nicht geschont, als dieser eben seinetwegen eine Anzeige formulieren mußte!

Auf solche Weise brachte er es denn in kurzer Zeit dahin, daß der Rieger nur mehr die Wahl hatte: entweder den ganzen Hof mit einem mannshohen Zaun zu umgeben, – oder aber den Lord aus der Liste sei nes lebendigen Besitztums zu streichen; denn tat man ihn an die Kette, so heulte er Tag und Nacht, daß es Gott erbarmte.

Also ward hoher Rat gehalten, und der Rieger begann, als er mit den Seinen Mittag hielt, seine Rede: »Der Wachtmoasta wär aa wieder kemma heunt; ich hab 'hn abgfangt – draußt beim Kleemaahn. Zwegn dem Hundsviech wieder.«

Die Riegerin blies den Knödlbrocken auf ihrem Löffel, daß er auskühle. »San ma wieder ozoagt wordn?« – »Ja.« –

[868] Der Bauer fischte ein paar Fettaugen von der Fleischsuppe ab.

»An Steuerlippl hat er bei der Hosen packt.« –

»Ja no. – Hoaßteifi, san die Knödl hoaß!« – – –

Die Großmutter mischte sich drein.

»Aha. Natürli. Da habts es wieder. Aber anan altn Wei glaubt ma ja nixn! – I habs ja glei gsagt!...«

»Waas??«

»Daß 's koa Glück net habts mit dem Viech!«

Die Bäuerin blies mit großer Heftigkeit den nächsten Brocken und sagte giftig: »Ah was! – Koa Glück! – Dees Gschwatz!«

Aber die Großmutter bestand darauf: »Naa, ös habts aa koans! Denn wenn ma an Hund mit an so an heilinga Nam oredt ...«

»Geh! – Hör auf, sag i!«

Der Bauer winkte ihr verächtlich ab.

Und die Bäuerin lachte mitleidig.

»Mit an heilinga Nam? – Insan Lordi?... Geh! Daß i net lach ...«

»Soo! – Lacha tuast! – Du bist also akkrat so luthrisch wia d' Stadtleut? – Aber – macht nix. Insa Frau vo Lordes werd di scho no finden ...«

Sie stand empört vom Tisch auf und ging hinaus; die Bäuerin aber und der Bauer schauten einander erschrocken an.

»Moanst, daß sie recht hat – zwegn sein Nam?«

Der Riegerin ihre Frage klang unsicher.

Ihr Mann schnitt nachdenklich noch einen Knödl auf und druckte lang herum mit einer Antwort.

Und der Knecht meinte auch: »Mir kanns net wissen, obs net recht hat, d' Ahnl ...« –

Ja nun, – da wars doch besser, man gab ihn her! –

Und die Bäuerin sagte: »Mei, daß 's net sein kunnt, daß [869] die ganz Gaude zwega dem kimmt! – Is mir scho aa liaber, du gibst 'hn her, bevor ins d' Straf Gottes hoamsuacht! – Brauchst 'hn ja net herschenka; laß dir halt a Fackerl gebn dafür oder a fünf a sechs Henna!«

Der Knecht wußte sogar schon einen Käufer.

»Jeßgas, daß i 's enk sag!« rief er. »Der Simmer vo Orthof möcht oan, an Hund, an scharfen! Für den waar der insa glei recht.«

Der Rieger besann sich.

»Der Simmer vo Orthof, sagst? – Aha. – Ja no. – Aber selber anfeiln derf i 'hn eahm halt net. – Weil er sonst nix biat't und nix zahlt dafür!« –

Freilich! Wenn du von einem Bauern ein Stück Vieh haben willst, so mußt du ihm von deinem überfüllten Stall vorreden, – und willst du gern dein schlechtes Sach für ein gutes verkaufen, so darf es dir um nichts in der Welt feil sein!

So geschah es auch in diesem Fall. –

Und da keines im Hof recht wußte, wie der erste Schritt zu dieser Handelschaft geschehen sollte, so erkor man mich zu einer Schmuserin.

So ging ich also etwa zwischen Vinzenzi und Jakobi mit Lord die Waldstraße dahin. Orthof zu.

Ich hielt den Übeltäter kurz an einem Kälberstrick und führte ihn also, wie ein Häuslweib die Geiß zum Schinder, ganz gemach und ohne Sprünge.

Es war ein heißer Tag, und ich war froh, als ich endlich nach einem Weg von schier zwei Stunden an der Schenke des kleinen Bräuhauses zu Orthof stand, ein Häflein Bier in der Rechten, den Hund am Strick in der Linken und im Sack die Mitteilung der Schenkkellnerin: »Du, beim Simmer hams heut nacht einbrechen wolln; der kunnt glei so an Hund brauchn, wie der Dei' oana is!« Ei, ei! Viel Glück und gute Geschäfte!

[870] Ich gratulierte mir schon im voraus zu der feinen Handelschaft und überlegte ganz ernsthaft, was ich für mich als Schmuserlohn verlangen sollte!

Vielleicht ein feistes Bratgöckerl? – Oder ein paar junge Kropftauben? Oder einen belgischen Kinihasen? – – –

Ganz nachdenklich kam ich beim Hof des Simmerbauern an und drückte zögernd auf die Klinke der Gartentür.

Sie war nicht verschlossen, und ich trat ein und öffnete die Haustür. Nichts rührte sich. Wir waren in einem grauen Halbdunkel, das matt erhellt wurde durch ein kleines, buntfarbiges Oberlicht.

Zwei Kammertüren waren rechts und links von mir halb zugelehnt, und ich überlegte, welche wohl in die Wohnstube führen möchte, da zog mich der Hund unwiderstehlich nach rechts.

Ich klopfte an und trat über die Schwelle. Aber ich blieb sogleich wieder stehen.

Herrgott! O Simmerin, was bist du für eine schlechte Hausfrau! – Ich muß gestehen: ich nannte sie im stillen das, was ich für Lord einhandeln sollte!

Eine bemalte Himmelbettstatt, zernagt vom Zahn der Zeit und zerbrochen wie manche Hoffnung, die unter ihrem morschen Baldachin einst aufgebaut wurde; eine schmutzige magere Betthaut drin und ein zerlegener, zerknüllter Polster. Alte Totenkränze mit zerrissenen Schleifen und ein bandgeschmückter Hochzeitskrug hingen an den Säulen dieser Lagerstatt, und ein Scherben Nachtgeschirr stand darunter auf dem Fußboden, der einer Landstraße glich, neben einem bauchigen, gläsernen Honigkrug, zu dem ungezählte Ameisen in langen Reihen zogen wie die Bittgänger mit dem Kreuz; Stühle, Tische und Kasten lagen und hingen voll Lumpen und Gewänder, ja, selbst der kotige Fußboden vertrat den Kommodkasten für allerhand Wäsche und Zeug.

[871] An der Wand aber hingen hübsch in Reih und Glied vier Öldrucke mit den Bildnissen des deutschen und des österreichischen Kaiserpaares im Hochzeitsschmuck. Große Mauerhaken hielten diese Bildertafeln und waren zugleich die Aufhänger für die Regenschirme der lebenden Generation, indes die der dahingegangenen in einem ausgedienten Steinhafen staken.

Vertieft in stummes Betrachten vergaß ich schier auf den Zweck meines Herkommens; aber mein Lord entriß mich rasch daraus, indem er ungestüm am Strick zog und in dem offenen Kasten schnupperte, wo etliche feiste Schinken und Fleischstücke zwischen Frauenröcken und Miederleibchen hingen.

Mit einem Satz hatte er ein Trumm Fleisch erfaßt, und ich mußte Kraft und Mühe brauchen, es ihm wieder zu entwinden.

Ich riß ihn zurück und lief durch eine offene Tür, die dichten Dampf und brenzlichen Geruch in die Stube ließ, hinaus in die Kuchel, denkend: »Jetzt werd ich wohl die saubere Simmerin persönlich kennen lernen!«

Denn ich kannte bloß ihn, den Simmer, vom Sehen. – Aber ich hatte falsch geraten.

Da stand auf einem alten Kuchelhocker ein etwa zehnjähriges schmächtiges Maidl und rührte mit viel Gewalt einen Schüppel Klee unter eine übelriechende Brüh in einem endsgroßen Kupferkessel. Dabei spritzte sie alle Augenblicke etwas davon in eine Pfanne mit Milch, die stark angebrannt roch.

Sie erschrak heftig bei meinem Eintreten, besonders da sie den Hund sah. Aber ich sagte;

»Brauchst koa Angst z'habn! I halt 'hn scho fest. Grüaß di Good; wo is der Vater?«

Sie stieg vom Schemel und wischte sich die Hände an die Rupfenschürze. »Der Vater is aufm Feld.«

[872] Dann richtete sie auf einem wackligen Tisch, dessen Platte vom Holzwurm zernagt, vom Schmutz zerfressen und mit Rettichhäuten und Fliegen ganz bedeckt war, die Kaffeeschüsseln zurecht.

»Soo. Aufm Feld is er«, wiederholte ich. »Und wo is d' Muatter?«

Die Kleine hatte eben begonnen, aus einem großen irdenen Hafen mit einem alten Messinglöffel sorgsam den Kaffee durch den pichigen Seihbeutel in die Schüsseln zu gießen; da kam ich mit meiner Frage nach der Mutter.

»Is s' net dahoam, dei Muatter?«

Sie hielt inne mit ihrem Eingießen und sah mich groß an. Dann sagte sie kurz: »Naa. Drobn is s' hinter der Kirch.«

»In Gottsacker?«

»Ja.«

Sie langte aus einem rostigen Blechkasten etliche Zuckerstücke und warf sie in die Schüsseln.

»Tuats a Grab richten?« fragte ich.

Da wurde ihr Blick groß und fremd.

»Dees is scho gricht, 's Grab«, sagte sie; »sie liegt ja selber drin seit drei Jahr.« Ja so!

»Und du hast koa Schwester? – Aber a Dirn werds halt habn?«

»Mir! – Naa. Mir habn koa Schwester und koa Dirn!«

»Ja, – wer tuat nachher bei enk die ganz' Hausarbeit?«

Das Maidl reckte sich und sagte sehr selbstbewußt:

»I. – I arbat's Haus und an Stall!«

»Aha.«

Ich brachte sonst nichts heraus.

Bis die Kleine neugierig fragte: »Zwegn was bist denn da? – Wem ghört denn der Hund?«

»Gfallt er dir, der Hund?« fragte ich statt aller Antwort wieder.

[873]

»Ja. Doch scho! – So oan möcht i glei! Gibst 'hn net her? Der Vater brauchet oan!«

Ich seufzte scheinheilig: »Ja ... mei ...«

Das war in diesem Fall auch das Gescheiteste.

Die Kleine bekam plötzlich eine große Zuneigung zu dem Tier und ein Verlangen, ihn zu besitzen.

»Is er a guater Hund?« fragte sie und warf ihm einen Brocken von dem Guglhupf hin. »Taugt er was? – Beißt er mi net, wann i 'hn anrühr?«

Ich wollt grad sagen, daß er sehr scharf wäre; aber da hatte sie ihm schon ihre Hand auf den Kopf gelegt und streichelte ihn.

Und Lord? – Der Tropf ließ sich willig streicheln und sah verlangend nach dem Guglhupf, von welchem sie ihm auch gleich noch ein Stücklein gab.

»Ja was!« rief sie aus. »Der beißt ja gar net! Den muaß er glei kaaffa, der Vater! – Du gibst 'hn doch her?«

Ich muß sagen: dieses hagere, kleine Dirndl kam mir wirklich vor wie eine richtige Bäuerin. Und so behandelte ich es auch.

Darum erwiderte ich ganz kurz: »Er ghört gar net mei.«

»Neet?! – Wem denn?«

»An Rieger z' Reith.«

»So so – dem.«

Sie betrachtete ihn nachdenklich und meinte endlich:

»Moanst, daß 'hn der net hergibt?«

Worauf ich ebenso nachdenklich antwortete: »I woaß 's net.« Im stillen aber frohlockte ich schon über das feine Geschäft, und ich wollte mich nachher schon an diese kleine Bäuerin halten wegen meines Schmuserlohnes. –

Das Maidl hatte unterdessen von der Milch aus der Pfanne in die Kaffeeschalen gegossen und stellte sie an ihre Plätze; dann stieg sie wieder auf den Hocker und zog mit vieler Kraftanstrengung den Kupferkessel vom Feuer.

[874] Ich wollte ihr helfen, doch sie meinte: »Laß's nur stehn! Dees kann i scho alloans! Dees mach i alleweil alloans!«

Damit holte sie mehrere Holzschäfflein, goß in jedes etliche Schapfer voll von dem dicken, brandelnden Zeug, teilte den Rest der Milch aus der Messingpfanne darein und füllte die Gefäße schließlich mit Kleie und kaltem Wasser voll.

»Soo«, sagte sie geschäftig; »jetz muaß i gschwind meine Fackerl füattern und d' Küah melchan. Net daß der Vater schimpft, wenn er vom Feld hoamkimmt!« – Ich war ganz starr vor Staunen. Aber das Dirndl schob mir einen wackligen Polsterstuhl zurecht und meinte: »Hock di a weng nieder derweil, daß d' ins an Schlaf net außetragst! – Er werd nimmer gar so lang aus sein, der Vater.«

Nun hatte ich Muße, mir die Kuchel genauer zu betrachten; aber ich wunderte mich nun nicht mehr.

Ich saß still auf meinem Sessel, und Lord legte sich grohnend zu meinen Füßen nieder.

Im Herd sangen ein paar schwelende Scheiter; etliche Russenkäfer liefen ängstlich aus der klaffenden Spalte einer Ofenkachel, – die alte Wanduhr hackte gemächlich ihr Tick-Tack, und Hunderte von Fliegen tanzten und schwirrten um die zerbrochene Lampe, die von der rußigen Decke herabhing.

Die Abendsonne blinkte matt durch die blinden Fensterscheiben, warf einige Strahlen in den Spiegelscherben über der Anricht und machte mich schläfrig. Da hob der Hund plötzlich knurrend seinen Kopf und wollte zähnefletschend an die Tür springen, so daß ich ihn mit Gewalt halten mußte.

Gleich darauf trat der Simmer ein.

Lord fuhr wie der Teufel auf ihn los, indes ich sagte:

»Grüaß di Good, Simmer! – Geh, paß a bißl auf, – er is narrisch scharf!« – Aber der Simmer lachte.

[875] »Ah was! Scharf! Dees bißl Kehlzen da! – Moanst, daß i mir vor dem fürcht! – Derfst 'hn guat auslassn!«

»Ja freili!« meinte ich und riß den sich wie toll gebärdenden Lord an mich. »Wenn er dir nachher auffespringt! – Der zreißt di ja! Der zreißt an jeden Fremden, der eahm in d' Nahend geht!« – Der Simmer lachte immer mehr. »Dees waar ja recht!« meinte er vergnüglich. »Dees kunnt ja i braucha, daß er scharf waar! Heunt nacht hätt i 's glei braucha könna! – Aber der is ja net scharf! Der tuat ja grad a so! – Da ... werst es glei sehgn ...«

Er trat furchtlos ganz nahe an Lord heran und wollte ihn packen, gleichsam um zu zeigen, daß er ihm nichts täte; aber mein Hund kannte keinen Spaß und hatte ihn schon bei der Hose.

Ich rief erschrocken irgend etwas und riß den Hund zurück bis an die Kucheltür.

Der Simmer aber sagte höchst erstaunt: »Jetz dees hätt I aa net glaabt! – Der beißt ja! Der packt oan ja o! – Dees is amal a saubers Viech!«

Ich erwiderte schüchtern, daß ich ihn ja gewarnt hätte.

Aber eine Handbewegung hieß mich schweigen.

»Wem ghört denn der Lackl?«

»An Rieger z' Reith.«

»Verkaaft er 'hn?«

»I woaß 's net. Kann scho sein.«

»Aha. – Jetz, i möcht 'hn net. – Naa, gar net.«

»Warum?« wagte ich zu fragen.

Doch der Simmer lachte.

»Warum? – Weil i 'hn net möcht. – Weil er nix is. – Oder is der Hund vielleicht was?! – Is koa Dackl und is koa Schnauzl! – Und koa Schafhund is's aa net!«

»Aber a Dobermann! – A reine Rass', Simmer!«

Der Alte schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel, so daß Lord beinahe wieder wild wurde.

[876] »A reine Rass'? – Ja was is denn dees!« rief er. »Mit dem Kopf! – Mit dem Gstell! Und mit dem Schwoaf! – Der hat ja an Schwoaf wia a Has! Dem habns ja sein Schwoaf bei der Wurz wegghaut! – Und a Trumm von sein Hintergstell aa no dazua! Und die Ohrwaschl! – Mei Hund, wia habns denn dir deine Ohrwaschl zuagricht! – Wia wenn a Schuellehrer über di kemma waar. Net amal aufgspahnlt hams dirs! – Und die Haxn! – Braune Haxn! – Für an schwarzn Hund braune Haxn!... O mei, o mei! – An solchen Hund möcht i aa habn! – Ja was is denn dees! – –«

Ich hatte ihn geduldig und still angehört. Und je länger er redete, desto geduldiger wurde ich; denn ich hätte nicht selber von Bauernart herstammen müssen, wenn ich ihn nicht längst durchschaut hätte!

Ich ging also scheinbar gar nicht auf seine Schmähungen ein, sondern sagte: »Der Rieger laßt fragn, ob er von deiner Sau a Fackl habn kann. Und obst der Riegerin koane Henna woaßt. Sie brauchet a Stuckera sechse.«

Aha. Er zappelte schon!

»A Fackl möcht er?« wiederholte er interessiert. »A meinigs Fackl? – Ja no, – warum net? – – – Geh, hock di no a weng nieder mit dein Viech! Da is Platz gnua – auf 'm Kanapee!« –

Und dann warf er Lord einen Brocken Guglhupf hin.

Aber es war, als ob der Hund genau gewußt hätte, daß es sich jetzt um die Wurst drehte: er nahm das Geschenk nicht an und bestand so eine schwere Probe auf seine Unbestechlichkeit.

Ich gab ihm den Brocken und lobte ihn; aber dabei schielte ich verstohlen hin zum Simmer und erwischte ihn auch richtig, als er eben sehr wohlwollend nach dem verachteten Viech hinsah und die Lippen spitzte, als wollte er pfeifen. Dann ging er ohne ein Wort aus der Kuchel.

Was nun? Sollte ich bleiben oder gehen?

[877] Ich glaubte meiner Sache ziemlich sicher zu sein; darum blieb ich.

Und setzte mich auf das Kanapee.

Aber ... barmherziger Himmel! – Was war das!?

Ich sank in eine Grube, – in ein Grab hinab, aus dem es

kein Emporkommen mehr gab in alle Ewigkeit-Amen, wie es mir vorkam.

Und so sagte ich denn halblaut zu mir selber: »Pfüati Good, schöne Welt! Pfüate Good, Rieger! – Mich siechst nimmer!«

Wie lange ich in der Versenkung weilte, weiß ich nicht mehr so genau. Aber es muß wohl eine ziemliche Spanne Zeit gewesen sein; denn ich hörte den Mistkarren vier-, fünfmal aus der Stalltür quieksen, die Hühner eintreiben, Peitschen knallen, Ochsen ausspannen, – zum Abend läuten.

Und dann vernahm ich plötzlich draußen im Hof den Ruf:

»Huz, huz, huz! Fackei, Fackei, Fackei!«

Und dazu ein Grunzen, Schreien und Grohnen, daß es mich wie ein elektrischer Schlag durchfuhr.

Das waren ja die Ferkel, von denen eins an Lords Stelle treten sollte!-

Ich saß und horchte mit stiller Freude, indem ich mich schon im Geiste heimtraben sah, ein feistes Schwein am Strick und ein paar Tauben im Sacktuch.

Indem kam die kleine Bäuerin zur Kucheltür herein, glühte vor Eifer und sagte: »Du, i möcht wissen, ob er mit mir geht, der Hund! I probier's amal, ob er sich ums Haus ummaweisen laßt, ohne daß d' dabei bist!«

Ich wollte meine Zweifel äußern, aber Lord, dieser Tropf, überhob mich sogleich derselben; denn er ließ sich willig von dem Dirndl schmeicheln, beim Strick nehmen und hinausführen.

Nun muß ich schon gestehen: das hatte ich nicht er wartet!

[878] Und ich setzte voll Vergnügen an die Stelle der zwei Kropftauben in mein Sacktuch zwei junge Leghennen als meinen Vermittlerlohn; mich selber aber setzte ich behaglich und zufrieden noch bequemer in die Versenkung, indem ich dachte: »Der Simmer wird dir schon wieder daraushelfen, wenn er dir die Sau zum Heimführen übergibt!« –

Es war ganz still und dämmerig in der Kuchel, und das Schmatzen und Grunzen draußen im Hof klang gedämpft zu mir herein.

Aber – mit einem Male – – – ein Schrei, der mir durch Mark und Bein fährt! – – – Ein jämmerliches Quieksen, ein Heulen, Plärren, – heiseres Bellen, – wütendes Schimpfen, – Hilferufe ...

Und ich kann nicht mehr aus meinem Kanapee heraus! Und höre, wie da draußen die Welt zu einem Gomorra wird und zu einem Sodom!

– Da fällt ein Schuß! – Jetzt ein zweiter! –

Und als ich glücklich aus meiner Tiefe empor und bis zum Fenster gekommen war, da hatte ich nur einen Blick hinaus getan, um schleunigst und lautlos durch die hintere Haustür zu verschwinden.

Denn im Hofe lagen drei tote Ferkel und ein toter Hund, – mein Lord, – und der Simmer stand davor – mit der rauchenden Büchse in der Hand – und sah sich, vor Wut bebend, um. – Wie es mir schien, nach einem dritten Ziel!

[879]

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Christ, Lena. Lord. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-52D7-0