Auf dem Markusplatze

1.

Ich kann's nicht schauen, dieses träge Leben,
Mir graut ob dieser müssigen Gestalten,
Die lässig spielen mit des Mantels Falten
Und marionettenhaft die Glieder heben.
Oft zuckt es auf in ihres Blicks Umnachtung,
Es flackert dann ein sinnlich-weiches Lachen
Um ihren Mund, als wollten sie erwachen
Aus ihrer unbewußten Selbstverachtung.
Mir ist zu Muthe oft, als zögen Leichen,
Die künstlich nur in's Leben rückgerufen,
An mir vorbei, hinab die Marmorstufen,
Um wieder in die Grüfte zu entweichen.

[24] 2.

Durch die Gespenster drängen sich mit Kreischen,
Mit heftigen und mäkelnden Geberden
Verkommne Männer, die in schmutzbeschwerten,
Zerlumpten Kleidern frech Almosen heischen.
Und braune Weiber mit verwelkten Zügen,
Die freundlich lachen und bescheiden nicken,
Sie bieten Blumen mit beredten Blicken –
Es kann ihr Wesen, nicht ihr Auge lügen.
Laut zanken Menschen hier aus fernen Zonen,
Die zahmen Tauben füttern ihre Kleinen,
Dort schleicht das Häßliche mit dem Gemeinen,
Ein dürrer Mönch mit üppigen Matronen.
Zuweilen aber tauchen jene bleichen
Gesichter auf, die wie aus Stein gehauen,
Wie Götterbilder ruhig niederschauen –
Ach! – daß auch sie einst den Matronen gleichen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Auf dem Markusplatze. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-50AD-6