Alte Feinde

1.

Wie mit einem einz'gen Schlag
Ist die Welt um mich verwandelt,
Lächelnd knixet Tag um Tag,
Was mich einst so schlecht behandelt.
Heute reichet mir die Hand,
Was einst Schmähungen gesendet,
Heute naht im Festgewand,
Was sich einst von mir gewendet.
Euer Haß war die Gewalt,
Die mich einst hinausgetrieben –
Aber unbewegt und kalt
Läßt mich heute Euer Lieben!

[25] 2.

Ei, wie mächtig und bezwingend
Dünkt Euch fast ein einzig Wort,
Glaubt Ihr wohl, es nehme plötzlich
Jahrelanges Elend fort?
Ei, versucht des Wortes Allmacht
An dem Meer, das wild empört,
Sturmgepeitscht so düster grollet,
Ob es Euer Wort beschwört.
Und Ihr wähnt, das Herz, das wilde,
Das die Bitterkeit gestählt,
Macht ein mildes Wort vergessen,
Wie Ihr es gepeitscht – gequält?!

[26] 3.

Wie so kleinlich, wie erbärmlich
Beugt Ihr Euch vor meiner Macht,
Vor den Herzblut-Purpurfetzen,
Vor der Dornenkrone Pracht.
O, ich hör's, aus Eurem Lobe
Zuckt der alte Spott, die Schmach,
Denn Ihr könnt es nimmer glauben,
Daß ich meine Ketten brach;
Ich zerbrach sie doch! O glaubet,
Meine Selbstverachtung schwand,
Als ich Euch so feig, so hündisch,
So verachtungswürdig fand.

[27] 4.

Wohl könnt Ihr mäkeln jetzt an Wort und That,
Könnt mich verdammen, seht, es rührt mich nimmer;
Ich hasche nicht nach Eurem feilen Rath
Und morscher Tugend fahlen Moderschimmer!
Ich trachte nimmermehr nach Eurer Lieb',
Ich werde liebearm und einsam schreiten,
Doch jene Waffe, die einst fort mich trieb,
Sie wird nun stumpf von meinem Panzer gleiten.
O, ich war elend! – jeder böse Zug
In Euren kalten Larven mahnt mich wieder,
Wie Jeder von Euch tückisch nach mir schlug,
In mir vernichtet meine reinsten Lieder!

[28] Dem Freunde!

Mir ist so weh! ein thränenloses Weinen,
Es will mir fast die Brust zersprengen,
Schau' ich die Schmerzen, die gleich gift'gem Thaue
Dir Lebensmuth und Kraft versengen.
Was weiß die Welt von Deinen tiefen Leiden,
Die bitter durch Dein Lachen klingen,
Sie kennet nimmermehr des Halbbefreiten,
Des stolzen Geistes wirres Ringen!
Doch mir ist weh! ein thränenloses Weinen
Hebt mir die Brust, in Deinem Herzen
Da schaue ich die Kämpfe gleich den meinen,
Da fühl' ich Schmerz von meinen Schmerzen!
[29]

Visionen

1.

Es zuckt durch meine Seel' ein Blitz
Mit gelben unheimlichen Flammen,
Er leuchtet wie der Verzweiflung Witz,
Er zischet wie kaltes Verdammen,
Er zeigt mir in seinem fahlen Licht
Nur einen einz'gen Gedanken:
Ich seh' ein weißes Todtengesicht
Auf dem Wasser im Sturme schwanken!
Und immer taucht es wieder empor,
So weiß – so schön – so erhaben! ...
O, daß es öde wär', wie zuvor,
In der Tiefe Alles begraben! –

[30] 2.

Wesen, kleines, längst verklärtes,
Stern in meines Lebens Nacht,
Reingeliebtes, heißentbehrtes,
Sprich zu mir im Traume sacht!
Schlinge Deine kleinen Arme
Um die Brust so glückberaubt,
An mein Herz, das lebenswarme,
Leg' Dein todtes kaltes Haupt!
[31]

[22] Sternlos

[23] Es ist gewitzigt nun, was ihr mißhandelt,

Des Dichters Herz, das Keiner unterjocht,

Seit es gepanzert euch entgegenpocht,

Seit es, wie eure, sich in Erz verwandelt.

Dranmor.

[24]

Fluch

Ein Liebesfluch hat Euer Band gewoben,
Mit Reuethränen ist es heiß benetzt;
Ob auch des Lebens Stürme trennend toben,
Ob Elend geißelnd auseinanderhetzt,
Ob Ihr verachtet oder glückgehoben,
Ob Zorn, ob Rachelust die Brust zerfetzt,
Ob Ihr zu hassen frevelnd mögt geloben:
Der alte Fluch besiegt Euch doch zuletzt.

[32] Biedere Hausfrauen

Soll ich es nochmals wiederholen?
Ihr habt mich ja so oft gefragt,
Und tausend Mal hab' ich auf Ehre
Die volle Wahrheit Euch gesagt. –
Ja, ich bewund're Eure Tugend,
Und ich bewund're Eure Kinder,
Bewund're Eure magern Mägde,
Bewund're Eure fetten Rinder;
Bewund're mehr noch Eure Männer,
Bewund're Eure kluge Stummheit,
Bewund're Eure feine Wäsche –
Beneide Euch um Eure Dummheit.

[33] Umsonst!

1.

Ich sehne mich aus dem dumpfen Weh
Nach jenen unseligen Tagen,
Wo meine Seele, so riesengroß,
Riesenschmerzen getragen!
Oft fürcht' ich fast, Ihr habet geahnt,
Wenn Schmerz und Trotz erst gewichen,
Könnt Ihr mich tödten, elendklein,
Mit tausend Nadelstichen!

[34] 2.

Freilich sah vorbei ich fluthen
All' die jammervollen Stunden,
Freilich sind die alten Schmerzen
Durchgekämpft und überwunden!
Freilich hab' vor Euren Herzen
Ich Vergebung nun gefunden –
Aber ich muß doch verbluten,
Schmerzlos an den alten Wunden!
[35]

Mein Lied

Einschneidend ist mein Lied und peinlich,
So frostig wie die Winternacht,
Es hätte sonst nach mir wahrscheinlich
Manch' Thörin Aehnliches gebracht;
In Versen rauh und lebensfeindlich,
Wie ich geweint, geflucht, gelacht,
So derb-unkünstlich, geistig-kleinlich,
So tief gefühlt und – seicht gemacht.

[36] Gegenüber!

Das ist ein Kichern, ein Jubeln und Lachen,
So kindlich heiter und kindlich warm,
Es schäkert drüben am Fenster die Mutter,
Ihr jauchzendes Kindlein im wiegenden Arm.
Und wie sie so tänzelt und singend scherzet,
Das kleine Wesen so innig küßt,
Da fühlt sie, es ist ihr Eines und Alles,
In dem sie das Glück und die Zukunft begrüßt.
O, glückliche Mutter! – Vor Noth und Schmerzen
Behüte Dein Kindlein treu und lind –
Es giebt auf der Erde manch' einsame Mutter
Und unter der Erde – manch' liebes Kind!

[37] Mariechen

Ich schaute ganz wie Du als Kindlein aus,
Nur etwas bleicher waren meine Wangen
Und wurden roth wie Deine, wenn im Haus
Wir polternd über Tisch und Stühle sprangen.
Die Augen waren auch so blau und rein,
Die Locken fielen d'rauf wie gold'ne Fädchen,
Doch liebte Niemand mich, als ich noch klein –
So innig wie ich Dich, Du kleines Mädchen!

[38] Dem fremden Freunde

Es war Dein Wort ein blitzend Schwert,
Das für mich stritt;
Es war Dein Wort der Seele Schrei,
Die für mich litt.
Die herbe Thräne war Dein Wort,
Geweint um mich;
Ein guter Engel war Dein Wort,
Der nimmer wich!
Dein Wort, es gab mir neuen Muth,
Es drang befreiend stolz zu mir;
Du Fremder, sieh mein schlichtes Wort,
Es dankt zu tausend Malen Dir!

[39] Einem Dichterlein

O, säng' ich doch von Veilchenduft,
Gleich Dir von Lieb' und Mondenschein,
Von Waldesgrün und Himmelszelt,
Von Frühlingspracht und Vögelein!
Du säuselst laue Treibhausluft
Und weinst gewärmte Thränelein,
Und meinst, es müßt' die ganze Welt,
Nur weil Du klagst, auch kläglich sein.
O, honigsüßes Dichterlein,
Der Du aus Büchern dichten lernst
Und flau besingst, was stets Dich mied:
Des Lebens echten Schmerz und Ernst.
Und doch! säng' ich so zierlich fein
Gelernten Schmerz, geles'ne Lust,
Nicht spräng' mir jedes kleine Lied
Ein blutig Mäuslein aus der Brust.

[40] Verwandte

Ihr seid beleidigt, weil ich nicht
Gerührt in Eure Arme stürze
Und das Verzeihungs-Arangement
Mit keiner Reuescene würze.
Ich flehte nicht, Ihr selber seid
Nun plötzlich gnädig mir gewogen;
Doch legt die Gnadenmienen ab,
Schaut, welche Kluft Ihr einst gezogen.
Setzt nur herüber kühnen Sprungs,
Seid einmal menschlich-unbesonnen. ...
Brecht Ihr auch das Genick dabei,
Hat Welt und Hölle nur gewonnen.
[41][43]

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TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Sternlos. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4F67-9