12.

»Das Weib des Künstlers – jenes Ewiggroßen –
Zeigt dreimal dieses weltberühmte Bild,
Hier malt er noch als Heilige sie mild,
Als Sünd'ge hier – und hier verdammt, verstoßen.«
So sprach der Führer, breit, eintönig, leise,
Und wies bedächtig hin auf die Gestalt,
Die Himmel, Fegefeuer, Höll' durchwallt,
Von Lieb' verewigt in so herber Weise ...
Bald stand ich einsam, schaute stumm die Züge
Des schönen Weibes in der Höllenschaar,
Es flammte grell ihr goldigrothes Haar,
Ihr dunkles Auge blickt', als ob es früge:
Was sinnest Du? – Ob meines Gatten Lieben?
Zum Liebeslied der kühn gemalte Text
Bin ich – den tausend Stümper nachgeklext,
Die auch das Weib aus seinem Himmel trieben.
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Doch sie verflachten erst den Zug der Seele,
Verzerrten dann den himmlisch reinen Leib,
So wurde aus der Heiligen ein Weib,
Dämonisch schön – entweiht durch Menschenfehle. –
Ich schauderte ob dieser tiefen Klage ...
Das Glaubensmärchen einer alten Zeit,
Der Liebe traurige Vergänglichkeit
Spricht aus dem Bilde und aus seiner Sage.

Fußnoten

1 Gemälde.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Himmel, Hölle, Fegefeuer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4F4D-5