Sage von Alexandern

Nach dem Talmud


In alten Büchern stöbr ich gar zu gern,
Die neuen munden selten meinem Schnabel,
Ich bin schon alt, das Neue liegt mir fern.
Und manche Sage steigt, und manche Fabel
Verjüngt hervor aus längst vergeßnem Staube,
Von Ahasverus, von dem Bau zu Babel,
Von Weibertreu, verklärt in Witwenhaube,
Von Josua, und dann von Alexandern,
Den ich vor allen unerschöpflich glaube;
Der strahlt, ein heller Stern, vor allen andern;
Wer gründlich weiß die Mitwelt zu verheeren,
Muß unvergeßlich zu der Nachwelt wandern.
Wer recht uns peitscht, den lernen wir verehren;
Doch plaudert das Geheimnis mir nicht aus,
Und sorgt nur eure Gläser schnell zu leeren.
Ich geb euch alten Wein beim schmalen Schmaus
Und tisch euch auf veraltete Geschichten,
Ihr seid in eines alten Schwätzers Haus.
Ich will von Alexandern euch berichten,
Was ich im Talmud aufgezeichnet fand,
Ich wage nicht ein Wort hinzuzudichten.
Durch eine Wüste zog der Held, ins Land,
Das drüben lag, Verwüstung zu verbreiten,
Da fand er sich an eines Flusses Rand;
Und er gebot zu rasten, von dem weiten
Fahrvollen Marsch erschöpft, und hieß sein Mahl
Am schönbegrünten Ufersaum bereiten.
So still und friedlich blühend war das Tal,
So klar der Strom, der Schatten von den Bäumen
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So duftig kühl im heißen Mittagsstrahl.
Doch mochte nur der Ungestüme träumen
Geraubte Kronen und vergoßnes Blut,
Verdrossen, hier die Stunden zu versäumen.
Er stieg, des Durstes fieberhafte Glut
Zu löschen, zu dem Wasserspiegel nieder,
Er schöpfte, trank die kühle, klare Flut;
Und wie er die getrunken, fühlt' er wieder
So wunderbar verjüngt den Busen schwellen,
So hohe Kraft durchströmen seine Glieder.
Da wußt er nun, daß dieses Flusses Wellen
Entströmten einem segensreichen Lande,
Und Fried und Glück umblühten seine Quellen.
Dahin, dahin mit Schwert und Feuerbrande!
Sie müssen dort auch unsern Mut erfahren,
Und kosten unsern Stahl und unsre Bande!
Da hieß er schnell sich rüsten seine Scharen,
Und drang den Strom hinauf beharrlich vor,
Das Land zu suchen, wo die Quellen waren.
Und mancher Tapfre schon den Mut verlor, –
Vor drang der kühne Held doch unverdrossen;
So kam er vor des Paradieses Tor.
Fest aber war das hohe Tor verschlossen,
Davor ein Wächter, der gebot ihm Halt
Mit Blitzesschwert und Donnerkeilsgeschossen.
»Zurück! zurück! was frommte dir Gewalt?
Ein Mächtigerer hat mich hier bestellt,
Des Herrn und heilig ist der Aufenthalt.«
Und er darauf: »Ich bin der Herr der Welt,
Bin Alexander.« Jener drauf: »Vergebens!
Du hast dein Urteil selber dir gefällt.
Dem Sel'gen öffnet sich das Tor des Lebens,
Der selber sich beherrscht, nicht Deinesgleichen,
Dem stolzen Sohn des blutig wirren Strebens.«
Drauf Alexander: »Muß vor dir ich weichen,
Nachdem ich diese Stufen schon betrat,
Gib, daß ich sie betreten, mir ein Zeichen;
Ein Mal; die Welt erfahre, was ich tat,
Erfahre, daß dem Tor des Paradieses
Der König Alexander sich genaht.«
Darauf der Wächter: »Sei's gewährt! nimm dieses.
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Wie töricht deiner Weisen Weisheit war,
Dein blöder Wahn, dein Frevelmut bewies es.
Nimm, was es dir zuschreien möge, wahr
Und lern es, Unbesonnener, erwägen,
Es hegt der Weisheit Lehren wunderbar.
Nimm hin, und Weisheit leuchte deinen Wegen!«
Er nahm's und ging. Ihr aber, Freunde: trinkt!
Verträumt mir nicht den lieben Gottessegen.
Oh, lernt beherzt die Freude, die euch winkt,
Mit rascher Lust, wie sich's gebührt, erfassen,
Und leert den Becher, wann er perlend blinkt!
Ich hätt es, glaubt's mir, weislich unterlassen,
Wär jener ich gewesen, meine Tage,
Die kurzgezählten, blutig zu verprassen.
Ich lieb und lobe mir, daß ich's euch sage,
Die Ruh, den Schatten und ein liebend Weib,
Die mich verschont mit leid'ger Liebesklage.
Die Kinder sind mein liebster Zeitvertreib,
Nur halt ich, die unbändig bengelhaft
Unmäßig schreien, ferne mir vom Leib.
Ich lieb und lobe mir die Wissenschaft,
Und dann die heitre Kunst, der Musen Gabe,
Und wackrer Freunde Kunstgenossenschaft.
Ich liebe, hört ihr, was ich alles habe;
Doch lieb ich auch, was ich entbehren muß,
Den Wein, woran mein Menschenherz sich labe.
Ich trinke meist nur Wasser aus dem Fluß,
Und kann's mit bestem Willen doch nicht loben;
Getrunken hab ich's mir zum Überdruß.
Hat Menzel mir den Lorbeerkranz gewoben,
Und hat auch Deutschland Einspruch nicht getan,
Ich wollt, ich hätte bessern Lohn erhoben.
Den Lorbeer biet ich meiner Frauen an,
Sie braucht ihn in der Wirtschaft nicht, und ehrlich
Gestanden, ist's damit ein leerer Wahn.
Der Lorbeer und der Hochmut sind gefährlich;
Von Deutschland möcht ich lieber mir bedingen
Ein Fäßchen Wein, ich mein ein Fäßchen jährlich.
Und welche Lieder wollt ich da nicht singen!
Und... O Popoi! wo bin ich hin geraten!
Wer kann auf die verlorne Spur mich bringen?
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Ich sprach von Alexanders Heldentaten.
Berufen hatt er um sich seine Weisen,
Das Gastgeschenk des Wächters zu beraten.
Er ließ zornfunkelnd rings die Augen kreisen:
»Gebührte mir, dem Helden, solcher Hohn!
Was soll der morsche Knochen mir beweisen?!«
Ein Weiser sprach: »Du sollst, o Philipps Sohn,
Auch diesen morschen Knochen nicht verachten;
Weißt du zu fragen, gibt er Antwort schon.«
Und auf Geheiß des weisen Meisters brachten
Sie eine Waage, deren eine Schale
Mit Gold und aber Gold er hieß befrachten.
Und in die andre legt' er bloß das kahle,
Das kleine Knochenstück, und, wundersam!
Die senkte schnell und mächtig sich zu Tale.
Und Alexander, den es Wunder nahm,
Ließ Gold noch zu dem Golde häufen, ohne
Daß selb'ge Schale nur ins Schwanken kam.
Da warf er Zepter noch hinein und Krone;
Die überfüllte Schale schwankte nicht,
Und ihn befiel Entsetzen auf dem Throne: –
»Was stört hier unerhört das Gleichgewicht?
Was kann die Kräfte der Natur erwecken?!«
Der Meister drauf: »Das ist der Erde Pflicht.«
Mit wen'ger Erde ließ er da verdecken
Das Knochenstück, das wurde leicht sofort,
Und nieder sank das goldbeschwerte Becken.
Der König staunend: »Sprich, was wurde dort
In Wundern und in Rätseln ausgesprochen?«
Vortrat der Meister und ergriff das Wort:
»Ein Schädel, gleich dem deinen, ward zerbrochen,
Und Höhlung eines Auges, so wie deines,
War einst in seinen Tagen dieser Knochen.
Es ist des Menschen Auge nur ein Kleines,
Das doch in ungemeßner Gier umfaßt,
Was blinkt und gleißet in der Welt des Scheines.
Es fodert Gold und aber Gold zur Mast,
Und wird es ungesättiget verschlingen,
Und Krön und Zepter zu des Goldes Last.
Da kann's der dunklen Erde nur gelingen,
Genug zu tun der Ungenügsamkeit;
[423]
Der Gierblick wird aus ihr hervor nicht dringen.
Gehalt und Wert des Lebens und der Zeit
Erwäge du, dem diese Lehren galten;
Du siehst das Ziel der Unersättlichkeit.«
Des Fürsten Stirne lag in düstern Falten,
Bald schüttelt' er sein Haupt und sprang empor,
Und rief, daß rings die Klüfte widerhallten:
»Auf, auf! zum Aufbruch! tragt die Zeichen vor!
Ja, flüchtig ist die Zeit und kurz das Leben;
Schmach treffe den, der Trägheit sich erkor!«
Und zu den Wolken sah man sich erheben
Den Sand der Wüste, und vom Hufschlag fühlte
Man rings den aufgewühlten Grund erbeben.
So zog der Held nach Indien hin, und wühlte
Großartig tief und tiefer sich in Blut,
Bis ihm den Übermut die Erde kühlte.
Ich habe selbst vergessen, wo er ruht;
Es kamen Würmer, sich an ihm zu letzen,
Und andre taten's am geraubten Gut.
Ihr göttlich Recht sei's Frevel zu verletzen,
Schrien überlaut, die angeklammert lagen
Auf seines Purpurs abgerißnen Fetzen.
Es ging schon damals, wie in unsern Tagen;
Ich habe zum Historiker mich nicht
Bedungen, laßt es euch von andern sagen.
Wein her! frisch eingeschenkt! was Teufel ficht
Uns Alexander an! So laßt erschallen
Ein altes gutes Lied, ein Volksgedicht;
Das Neue will nur selten mir gefallen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Sage von Alexandern. Sage von Alexandern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4E9E-8