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Die Männer im Zobtenberge

Es wird vom Zobtenberge gar Seltsames erzählt;
Als tausend und fünfhundert und siebzig man gezählt,
Am Sonntag Quasimodo lustwandelte hinan
Johannes Beer aus Schweidnitz, ein schlichter frommer Mann.
Er war des Berges kundig, und Schlucht und Felsenwand
Und jeder Stein am Stege vollkommen ihm bekannt;
Wo in gedrängtem Kreise die nackten Felsen stehn,
War diesmal eine Höhle, wo keine sonst zu sehn.
Er nahte sich verwundert dem unbekannten Schlund,
Es hauchte kalt und schaurig ihn an aus seinem Grund;
Er wollte zaghaft fliehen, doch bannt' ihn fort und fort
Ein lüsternes Entsetzen an nicht geheuren Ort.
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Er faßte sich ein Herze, er stieg hinein und drang
Durch enge Felsenspalten in einen langen Gang;
Ihn lockte tief da unten ein schwacher Dämmerschein,
Den warf in ehrner Pforte ein kleines Fensterlein.
Die Pforte war verschlossen, zu welcher er nun kam,
Er klopfte, von der Wölbung erdröhnt' es wundersam,
Er klopfte noch zum andern, zum dritten Mal noch an,
Da ward von Geisterhänden unsichtbar aufgetan.
An rundem Tische saßen im schwarzbehangnem Saal,
Erhellt von einer Ampel unsicher bleichem Strahl,
Drei lange hagre Männer; betrübt und zitternd sahn
Ein Pergament vor ihnen sie stieren Blickes an.
Er zögernd auf der Schwelle beschaute sie genau, –
Die Tracht so altertümlich, das Haar so lang und grau, –
Er rief mit frommem Gruße: »Vobiscum Christi pax!«
Sie seufzten leise wimmernd: »Hic nulla, nulla pax!«
Er trat nun von der Schwelle nur wen'ge Schritte vor,
Vom Pergamente blickten die Männer nicht empor,
Er grüßte sie zum andern: »Vobiscum Christi pax!«
Sie lallten zähneklappernd: »Hic nulla, nulla pax!«
Er trat nun vor den Tisch hin, und grüßte wiederum:
»Pax Christi sit vobiscum!« sie aber blieben stumm,
Erzitterten, und legten das Pergament ihm dar:
»Hic liber obedientiae« darauf zu lesen war.
Da fragt' er: wer sie wären? – Sie wüßten's selber nicht.
Er fragte: was sie machten? – Das endliche Gericht
Erharrten sie mit Schrecken, und jenen jüngsten Tag,
Wo jedem seiner Werke Vergeltung werden mag.
Er fragte: wie sie hätten verbracht die Zeitlichkeit?
Was ihre Werke waren? Ein Vorhang wallte breit
Den Männern gegenüber und bildete die Wand,
Sie bebten, schwiegen, zeigten darauf mit Blick und Hand.
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Dahin gewendet hob er den Vorhang schaudernd auf:
Geripp und Schädel lagen gespeichert da zu Hauf;
Vergebens war's mit Purpur und Hermelin verdeckt,
Drei Schwerter lagen drüber, die Klingen blutbefleckt.
Drauf er: ob zu den Werken sie sich bekennten? – Ja.
Ob solche gute waren, ob böse? – Böse, ja.
Ob leid sie ihnen wären? Sie senkten das Gesicht,
Erschraken und verstummten: sie wüßten's selber nicht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Lieder und lyrisch epische Gedichte. Deutsche Volkssagen. 3. Die Männer im Zobtenberge. 3. Die Männer im Zobtenberge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4E5F-5