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Bestujeff


1829


»Ihn wird der Zorn des Himmels doch zertrümmern.
Gott heißt Vergeltung in der Weltgeschichte,
Und läßt die Saat der Sünde nicht verkümmern.«
So klang es zu Jakutsk beim Sternenlichte
In kalter Nacht. Ein rüst'ger Jäger sang,
Gar seltnen Reiz verleihend dem Gedichte.
Ein fremdes Ohr belauschte den Gesang,
Ein Mann, der jüngst, der Wissenschaft zu frönen,
Bis hieher in das Reich des Winters drang:
»Wer bist du, der die Nacht belebt mit Tönen?« –
»Wer du, der du mich fragst? das Lied ist mein,
Du wirst es nicht zu singen mich entwöhnen.« –
»Gefraget hat ein Fremder dich allein,
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Weil ihn des Liedes mächt'ger Klang erfreute;
Es lag ihm fern, unfreundlich dir zu sein.« –
»Sei mir gegrüßt, und nicht zum Argen deute
Der ungemeßnen Rede flücht'ge Hast,
Dieweil mir stolz zu sein geziemet heute.
Komm in mein Haus, sei des Verbannten Gast;
Ich werde dir berichten sonder Säumen,
Was du zu wissen Lust bezeuget hast.
Ich bin in dieses meines Grabes Räumen
Ein freier Mann, und bin die Nachtigall,
Die hier allnächtlich singt von ihren Träumen.
Mir bleibt der freien Stimme voller Schall,
Die volle Brust des ungebrochnen Mutes,
Und der ich bin, der bin ich überall.
Die Erde lehrt mich und der Himmel tut es,
Die Sterne, welche kreisend zu mir sagen:
Es treibt uns unablässig, nimmer ruht es.
Sieh scheitelrecht dort über dir den Wagen,
Noch lenkt er aufwärts, strebet noch hinan,
Um zu der Tiefe jenseits umzuschlagen.
Ich bin zur Tiefe kommen meiner Bahn,
Ich oder andre müssen wieder steigen,
Und was ich träumte, war kein leerer Wahn.
Das wird am Tag der Völker bald sich zeigen,
Denn hält die Waage schwankend sich noch gleich,
So muß die volle Schale doch sich neigen.
Gewürfelt hab ich um ein Kaiserreich;
Noch einmal ist der kühne Wurf mißlungen, –
Er bot die Brust enblößt dem Todesstreich!
Ich bin Bestujeff, welchen viele Zungen
Relejeffs Mitverschworenen genannt,
Dem er sein hohes Schwanenlied gesungen;
Das Lied von Woinarowski, wo entbrannt
Für Freiheit er sein Heiligstes gegeben,
Weil, scheint es, er sein Los vorausgekannt.
Noch hallt das Lied, zur Nachwelt wird es schweben,
Er aber hat das Blutgerüst bestiegen;
Ich muß ihn zu Jakutsk noch überleben!
Dein Woinarowski sah dich unterliegen,
O mein Mazeppa, und bewahrt dein Wort
In seines Herzens Schreine goldgediegen.
[409]
Du andrer Müller stehst am selben Ort,
Um wieder gleiche Bilder zu betrachten,
Die nimm du im Gedächtnis mit dir fort;
Und wenn die guten Götter heim dich brachten,
So gib den Stoff dem Dichter zum Gedicht;
Er leb im Lied, den sie zu töten dachten.
Das wird der andre Sang, der letzte nicht;
Heil aber, dem der dritte vorbehalten!
Der dritte heißt Vergeltung und Gericht.«
Wie drohend noch Bestujeffs Worte hallten,
Ward Licht am nord'schen Himmel ausgegossen
Und einen Bogen sah man sich gestalten;
Und aus dem Bogen blut'gen Lichtes schossen
Gen Süden wundersame Funkengarben,
Die neigend sich zum Horizont verflossen;
Mit Zitterscheine wechselten die Farben;
Die Sterne, wie der Lohe Säulen stiegen,
Verloren ihre Strahlen und erstarben.
Nach Norden starrten beide hin und schwiegen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Die Verbannten. 2. Bestujeff. 2. Bestujeff. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4C1D-7