[145] Der Dichter

Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich!

Daß Freunde seiner schonend sich erfreun;

So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin.

Goethe

1

Aus der Beeringsstraße

im Sommer 1816


Die Lieder, die mir unter Schmerz und Lust
Aus jugendlichem Busen sich befreit,
Nachklangen wohl, ich bin es mir bewußt,
In Derer Herzen, denen sie geweiht;
Sei still, mein Herz, und trage den Verlust,
Sie klangen, sie verhallten in der Zeit;
Mein Lieben und mein Leben sind verhallt
Mit meinen Liedern, um mich ist es kalt.
Das Leben hat, der Tod hat mich beraubt,
Es fallen Freunde, sterben von mir ab,
Es senkt sich tief und tiefer schon mein Haupt,
Ich setze träumend weiter meinen Stab,
Und wanke, müder, als wohl mancher glaubt,
Entgegen meinem Ziele, meinem Grab.
Es gibt des Kornes wenig, viel der Spreu:
Ich pflückte Blumen, sammelte nur Heu.
Das tat ich sonst, das tu ich annoch heute,
Ich pflücke Blumen und ich sammle Heu;
Botanisieren nennen das die Leute,
Und anders es zu nennen trag ich Scheu;
So schweift das Menschenkind nach trockner Beute
Das Leben und die Welt hindurch, die Reu
Ereilet ihn, und, wie er rückwärts schaut,
Der Abend sinkt, das Haar ist schon ergraut.
[145]
So, Bruder, schaudert's mich auf irrer Bahn,
Wann düstre Nebel ruhn auf trübem Meer;
Beeiste Felsen ruf ich liebend an,
Die kalten Massen widerhallen leer;
Ich bin in Sprach und Leben ja der Mann,
Der jede Sylbe wäget falsch und schwer;
Ich kehre heim, so wie ich ausgegangen,
Ein Kind, vom greisen Alter schon umfangen.
Wann erst der Palme luft'ge Krone wieder
In tiefer Bläue schlankgetragen ruht,
Aus heitrer Höh die mächt'ge Sonne nieder
Zur wonn'gen Erde schaut in reiner Glut,
Dann schmiegen sich durchwärmt die starren Glieder
Und minder schwer zum Herzen fließt das Blut,
Dann möchten auch die düstern Träume weichen
Und ich die Hand dir sonder Klage reichen.

2

Bei der Rückkehr

Swinemünde im Oktober 1818


Heimkehret fernher, aus den fremden Landen,
In seiner Seele tief bewegt der Wandrer;
Er legt von sich den Stab und knieet nieder,
Und feuchtet deinen Schoß mit stillen Tränen,
O deutsche Heimat! – Woll ihm nicht versagen
Für viele Liebe nur die eine Bitte:
Wann müd am Abend seine Augen sinken,
Auf deinem Grunde laß den Stein ihn finden,
Darunter er zum Schlaf sein Haupt verberge.
[146]

3

Berlin

Im Jahr 1831


Du, meine liebe deutsche Heimat, hast,
Warum ich bat, und mehr noch mir gegeben;
Du ließest freundlich dem gebeugten Gast
Die eigne traute Hütte sich erheben,
Und der bescheidne kleine Raum umfaßt
Ein neuerwachtes heitres reiches Leben;
Ich habe nicht zu bitten, noch zu klagen,
Dir nur aus frommem Herzen Dank zu sagen. –
Du siehst mich zweifelnd halb und halb erschrocken
Mit feuchten Augen an, mein gutes Kind,
Laß nicht den Schein in Irrtum dich verlocken,
Es ist ja nur des Abends kühler Wind,
Des Mondes bleicher Schein auf meinen Locken,
Die fast wie Silber anzusehen sind;
Ein halbes Hundert mir entrauschter Jahre
Hat nicht mein Herz berührt, nur meine Haare.
Mit duft'gen üpp'gen Blumenkränzen mußt,
Mit Rosen, du beschatten ihren Glanz;
Ich bin noch jung, noch stark, noch voller Lust,
Und windet um die Stirne sich der Kranz,
Und wieget sich mein Haupt an deiner Brust,
Und wird der Traum zur Wirklichkeit so ganz,
Erblühet zum Gesang mein heimlich Meinen,
Und alle meine Lieder sind die deinen.
Ja! Lieder, neue Lieder will ich singen;
Du, meine Muse, lauschest unverwandt,
Und wenn die Weisen dir zum Herzen dringen,
Drückst leise du belohnend mir die Hand;
Laß ungestraft um uns die Kinder springen,
Vielleicht daß sie der Geist der Lieder bannt,
Kein Zwang: es würden mich die armen dauern,
Sie dürfen nicht um unsre Freude trauern.
[147]
Und, liebes Kind, laß Tür und Fenster offen;
Erworben hab ich mir der Freunde viele,
Und habe derer manche schon getroffen,
Die Freude hatten an dem heitern Spiele;
Willkommen sei, wer lauschen will: mein Hoffen
Wär eben, daß es vielen wohlgefiele;
Wem aber unsre Lieder nicht gefallen,
Der stört uns nicht, der wird vorüber wallen.
[148]

Notes
Erstdruck als Zyklus 1831.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Der Dichter. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4BE2-4