[256] [2] Die zweyte Satyre
Von der Freyheit

Ich sehe meinen Leib, als ein Gewand, verschleissen,
Was aber in mir wohnt, und Seele wird geheissen,
Empfindet einen Trieb, der nach der Freyheit strebt;
Doch, eh ich sie erlangt, hab ich fast ausgelebt.
Ich habe solchen Wunsch vielleicht bey mir gespühret,
So bald mein erstes Blut und Athem sich gerühret;
Wer weiß, wie offt ich schon, ich unvollkommne Frucht,
Den Fortgang zur Geburt mit Ungestüm gesucht?
Ob nicht mein freyer Geist schon mit den bittern Zähren,
Sich gegen allen Zwang der Windeln wollen wehren,
Und ob nicht dazumahl mein unvergnügter Mund,
Wenn ihm der Ammen Brust nicht bald zu Dienste stund,
Ein gleiches Klage-Lied, aus Ungedult, gesungen,
Als mir bey reiffrer Zeit der Kummer abgedrungen?
Das weiß ich, da ich erst, wie zu mir selber, kam,
Und mich des Lehrers Fleiß zur strengen Aufsicht nahm,
Daß ich mich, aus Verdruß, gekrümmet und gewunden,
So offt als der Tyrann, zu den gesetzten Stunden,
Durch ein verhaßtes Wort, mich in dem Spiel gestört,
Und, eh ich Teutsch gekonnt, was Römisches gelehrt.
Doch möcht ich nur itzund der Kindheit Lust erfahren!
Der Unmuth nimmt nicht ab, er wächset mit den Jahren;
Was nützet der Verstand, als daß er mit Bedacht
Die Freyheit schätzen lernt, die Ketten schwerer macht?
Ein Baum wars, nur ein Baum, dran solche Früchte sassen,
Die dort der erste Mensch solt unbetastet lassen;
Uns aber ist noch mehr zu halten auferlegt,
Weil nun ein gantzer Wald so viel verbothnes trägt.
Wir hören überall noch solche Schlangen pfeiffen;
Wir wollen hier und da nach fremden Aepffeln greiffen;
Wie wässert uns der Mund! Die Hand wird ausgestreckt;
Jedoch des Himmels Schluß, der uns mit Flammen schreckt,
Heißt uns so wohl die Lust, indem wir wachen, zäumen,
Als, in dem Schlaffe selbst, nach dem Gesetze, träumen.
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Wohl dem, der seinen Sinn und Fleisch darnach bequemt!
Denn wer zu offenbahr und gar zu ungezähmt
In der Begierden Schlamm gewohnet ist zu wühlen,
Wird meistens in der Welt auch schon die Rache fühlen.
Folgt ihm gleich Schwerdt und Mord nicht auf dem Fusse nach,
So währts doch kurtze Frist, biß daß in dem Gemach,
Das man zur Sommers-Zeit, so wie im Winter, heitzet,
Ihm ein verschwiegner Artzt den alten Adam beitzet;
Da wird sein Götter-Brodt und Nectar-süsses Naß,
Ein Zwieback und ein Tranck von lauem Sassafraß.
So ists: was unserm Fleisch am hefftigsten behaget,
Hat, wo nicht die Gewalt, die Furcht doch untersaget,
Und läßt Gewalt und Furcht noch irgend etwas frey,
So machen wir es selbst zu einer Sclaverey.
Seitdem, daß uns der Wahn die Augen zugekleistert,
Und Hochmuth, samt dem Geitz, des Hertzens sich bemeistert,
So giebt der tolle Mensch den frey-gebohrnen Sinn,
Sein allerbestes Pfand, zum Götzen-Opffer hin.
Wie? meines Nachbars Sohn ist schon so hoch gestiegen,
Der kaum, als Eigenthum, drey Morgen können pflügen?
Fragt jener, dem das Glück mit gar zu milder Hand,
Ein halbes Fürstenthum zum Erbtheil zugewandt;
Und ich soll unberühmt in meinen Gräntzen bleiben?
Nein, spricht er, man soll mehr auf meinen Leich-Stein schreiben.
Schafft Roß und Wagen an! Bringt Pantzer und Gewehr!
Gleich wird sein Haußgesind ein kleines Krieges-Heer.
Zwar wirfft das Ehgemahl sich zu des Ritters Füssen,
Sein unerzognes Kind läst herbe Thränen fliessen,
Die Freunde rathen ab, der Held wird fast bewegt;
Doch, weil er allbereit die Rüstung angelegt,
Wird durch den tapffern Muth die Zärtlichkeit bestritten.
Er eilt, läßt für den Zug auf allen Kantzeln bitten,
Begiebt sich in das Joch, steht allen Kummer aus,
Verschmeltzt, was Geldes werth, verpfändet Hof und Hauß,
Und kommt denn abgedanckt und arm, nach wenig Jahren,
In kläglichem Triumpf, als Krüppel, heimgefahren.
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Schaut dort den grossen Mann, vor dem sich alles bückt,
Der scheint nicht weniger in dem Gehirn verrückt.
Wer? jenes weise Haupt? der Ausbund des Verstandes?
Ja eben jener Greiß, der Abgott unsers Landes,
Auf dessen Ja und Nein so manche Wohlfarth ruht,
Durch dessen Länderey man Tagereisen thut,
Auf den der Reichthum schneyt, in dessen Zimmern blincket,
Womit der König prahlt, da man den Tagus trincket. 1
Der lebte wohl vergnügt, und aller Sorgen frey,
Hätt' er nicht einen Feind an seiner Phantasey.
Er könte seinen Rest der Tage glücklich schliessen,
Und, als sein eigner Herr, der güldnen Ruh geniessen,
Dergleichen nicht einmahl Monarchen wiederfährt:
Ihm aber ist der Hof, sein Kercker, gar zu werth,
Und, in des Fürsten Gunst noch höher aufzusteigen,
Wird ihm kein Tritt zu schwer, kein widriges Bezeigen.
Er wacht bey stiller Nacht, und rennt den gantzen Tag,
Damit er andern nur noch länger schaden mag.
Die Brunnen, die das Gold mit leichten Quellen geben,
Und denn zuletzt die Scham, sich selbst zu überleben,
Das ists, was dergestalt ihn in dem Schwindel hält,
Daß er, was Freyheit gilt, fast ins Vergessen stellt.
Zwar sehnt er sich, zum Schein, die eitle Welt zu fliehen;
Doch, die Gemächlichkeit den Diensten vorzuziehen,
Die er, aus treuer Pflicht, dem armen Nechsten schenckt,
Bedünckt ihn so ein Schluß, der sein Gewissen kränckt.
Wer es nun besser weiß, kan kaum das Lachen zwingen,
Wenn einer, der sich längst verstrickt in Satans Schlingen,
Mit solcher Heucheley von dem Gewissen spricht.
Genug! Wer Wespen stört, kriegt Beulen ins Gesicht.
Ein andrer legte nicht so bald den Griffel nieder,
Doch mir ist alle Schrifft, die Stacheln führt, zuwieder.

Fußnoten

1 Es ist eine bekannte und vorlängst eingeführte Gewohnheit des Spanischen Hofes, daß man des Königs Zimmer mit einem gantz güldenen Stoffe tapezieret; worauf hier gezielet wird.

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TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Satyren und Ubersetzungen. [2] Die zweyte Satyre. [2] Die zweyte Satyre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4AFB-1