[211] Der hundert und dritte Psalm

Entzünde dich in Andacht, meine Seele,
Und lobe Gott aus tiefster Hertzens-Höhle!
Sein Nahme sey recht inniglich gepriesen,
Und was er dir, O Seele, guts erwiesen,
Das laß mit Danck, zu seinem Ruhm, erschallen,
Und nimmermehr aus dem Gedächtniß fallen.
An statt, daß er an dir sich könnte rächen,
Spricht er dich loß, und heilet dein Gebrechen,
Errettet dich von des Verderbens Stricken;
Und krönt dein Haupt mit lauter Gnaden-Blicken,
Daß du dich kanst mit deinem Munde freuen,
Und an der Krafft, dem Adler gleich, erneuen.
Gerechtigkeit schafft er an allen Enden,
Und lässet nicht die Unschuld ewig schänden.
Er hat sein Volck zu einem Bund verpflichtet,
Den er schon längst durch Mosen aufgerichtet;
Der zeigt uns an, was wir zu leisten schuldig,
Doch ist der Herr barmhertzig und geduldig.
Sein sanffter Sinn hält keine Maaß noch Schrancken,
Er segnet gern, und will nicht immer zancken,
Und, ob wir uns gleich täglich von ihm trennen,
Läßt er den Zorn nicht unaufhörlich brennen;
Die stärckste Glut bricht aus in Liebes-Flammen,
Die hindern ihn, uns Sünder zu verdammen.
So hoch er ausgespannt de Himmels Decken,
Muß seine Huld sich über die erstrecken,
Die Busse thun. Da muß der Dampf der Sünden,
So weit der Ost von Westen ist, verschwinden.
Sein Vater-Hertz fängt hefftig an zu wallen,
So bald wir ihm, in Furcht, zu Fusse fallen.
[212]
Der Schöpffer kennet sich und sein Geschöpffe,
Wir sind nur Staub, zubrechlich, schwache Töpffe.
Zwar ist der Mensch im Leben anzuschauen,
Als frisches Graß auf den beblümten Auen;
Doch, wenn sich kaum die rauhen Lüffte rühren,
Ist Blum' und Graß und Mensch nicht mehr zu spühren.
Gott aber läßt sich unverändert finden,
Und seine Gnad' an keinen Wechsel binden,
Die über die in Ewigkeit soll walten,
Die seinen Bund und Willen heilig halten.
Im Himmel hat er seinen Stuhl bereitet,
Und überall den Scepter ausgebreitet.
So lobet Gott, ihr, seines Thrones Helden,
Die ihr bemüht seyd, seine Macht zu melden.
Ihr, die ihr euch habt seinem Dienst ergeben,
Auf! helfft das Lob des Herren hoch erheben!
Die Creatur auf Erden und dort oben,
Auch, Seele, du: Es soll ihn alles loben!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Geistliche Gedichte. Der hundert und dritte Psalm. Der hundert und dritte Psalm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4AA9-A