[275] [5] Die fünffte Satyre
Die Großmuth im Glück und Unglück

An einen guten Freund, der den Hof verließ und sich auf sein Land-Guth zur Ruhe begab.


Ein hoher Sinn, der nur nach seinem Ursprung schmeckt,
Und sich nicht in den Schlamm der Eitelkeit versteckt,
Kan, was der Pöbel sucht, mit leichter Müh vergessen.
Dem Weisen ist sein Vaterland die Welt.
Er bleibet unbewegt, wenn alles bricht und fällt,
Und will sein Glück nach nichts, als seiner Freyheit, messen.
Es kan ein solcher Mann sich an sich selbst vergnügen.
Hat ein gekröntes Haupt ihm etwan wohl gewollt,
Ist ihm das Vatikan, der Tugend wegen, hold,
Ja, will ein Friedrich selbst, nach seinem Urtheil, kriegen;
So wird er doch von Kron und Purpur nie bethört,
Kein Wechsel kommt, der sein Gemüthe stöhrt.
Drum, kehrt das Glück ihm endlich gleich den Rücken,
Kan er dennoch mit eben dieser Hand,
Die gantzer Länder Zinß zur Pracht hat aufgewandt,
In Demuth und Gedult, sich selbst die Hosen flicken.
Sein Hof wird ihm ein Hof; sein Acker, seine Freude;
Ein finstrer Tannen-Wald sein Pomerantzen Haus;
Der Heerde theilet er alsdenn die fette Weide,
Wie sonst dem Krieges-Heer, mit treuer Sorgfalt aus.
Der Fürwitz treibt ihn nicht, viel neues mehr zu wissen,
Als was sein Meyer bringt. Er kehrt sich wenig dran,
Wer dort in einer Schlacht zu Boden wird geschmissen,
Wenn er in Sicherheit die Garben binden kan.
Ist ihm nicht mehr vergönnt, zu küssen eine Docke,
Die ihre freche Stirn mit Thürmen überhäufft,
So thuts ihm ja so wohl, wenn er nach einer greifft,
Mit schlecht-geflochtnem Haar und aufgeschürtztem Rocke.
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Wenn ihn zuweilen auch ein kleiner Kummer drückt,
Wird er nicht weniger entzückt,
So bald der Dudel-Sack in seiner Schencke klinget,
Als wenn Bellerophon von seiner Liebe singet; 1
Und kan er nicht ein blanc mangé 2
Noch auch Linguattole 3
Auf seiner Taffel haben,
So wird er sich an Glomms und an Pomocheln laben. 4
Nun, edles Preussen du, du kriegst so einen Gast, 5
Den du gewiß zu lieben Ursach hast.
Du bist beglückt, dieweil du ihn gebohren,
Beglückter, daß er dich zum Ruh-Platz auserkohren,
Worinn er, was sein Geist an Schätzen bey sich trägt,
Als in der Mutter Schooß, verwahrlich niederlegt.
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Das Land von Mancha mag sich immerhin erheben, 6
Daß, nach vollbrachtem Ritter-Spiel,
Dort Don Kischot beschloß den Rest von seinem Leben;
Sein Ruhm gilt lange nicht so viel,
Als daß ein Curius zuletzt, nach grössern Siegen, 7
Auf deinem Heerde sich mit Rüben will vergnügen.
Sprichst du: Was hilfft es mich, ein Landes-Kind zu ehren,
Das von dem Hofe weicht, wenn es mich schützen soll.
Und keinen Schoß kan von den Hufen kehren? 8
Ach, Preussen, denck! Perkun, Potrimpos und Pikoll, 9
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Die thaten auch, bey jener heilgen Eichen, 10
Vor dem nicht immer Wunder-Zeichen,
Da sie dein Opffer-Holtz doch offt berühret hat.
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Dein Held vermag so viel, als sie, mit Rath und That.
Drum schicke dich, wie er, ins Glück und in die Zeiten,
Und öffne Thor und Hertz, den Einzug zu bereiten.

Fußnoten

1 Zielet auf ein ehmahls wegen des Nimägischen Friedens im Jahr 1679. in Pariß aufgeführtes prächtiges Sing-Spiel dieses Nahmens, welches Thomas Corneille, unter der Aufsicht seines ältern Bruders des Petri Corneille und des Racine verfertigt, die ihm solches, von Auftritt zu Auftritt, ausbessern helffen, daher es eines von seinen besten Stücken ist. Der berühmte Lully hat es in Noten gesetzt.

2 Blanc manger, ist eine weisse Mandel-Sultze mit Gallerten von Hüner- und Kalbs-Brüh zugerichtet; welche auf verschiedene Art gemacht, kalt aufgesetzt, und manchmahl mit buntgefärbter Gallert um die Schüssel herum, Zieraths halber, belegt wird, auch, auf einer vornehmen Taffel, so wohl dem Auge zur Lust, als dem Munde zur Erfrischung, dienet.

3 Linguattole, sind See-Zungen, oder Zungen-Fische, die aus dem Meere kommen, und vortrefflich schmackhafft sind.

4 Glomms, eine gewisse dicke kalte Milch, welche in Preussen besonders zugerichtet wird, daselbst so gewöhnlich als beliebt, und ungefehr das ist, was in Nieder-Sachsen Sülte-Milch, und in Ober-Sachsen Comps oder Kompiß. Pomocheln, eine Art der allerschmackhafftesten Fische, die aus der Ost-See gebracht, und in Preussen sehr häuffig gespeiset werden; auch eben dieselben sind, die man in Lübeck und anderswo Dorsche nennet.

5 Man muthmaßet nicht ohne Grund, es sey dieses ein gewisser Oberster von Canitz gewesen, der so übel im Kriege verwundet worden, daß er fast nicht mehr im Stande war, Kriegs-Dienste zu thun; und als er darüber noch gar um sein Regiment gekommen, sich, aus Verdruß, gantz vom Hofe weg, und auf seine Güter in Preussen zur Ruhe begeben. Er war kein weitläufftiger Verwandter des Herrn von Canitz, und bey ihm sehr öffters zur Taffel.

6 Mancha, ist das Vaterland des beruffenen Spanischen Roman-Ritters Don Quixote, woselbst er sich, nach vielen Abentheuren, endlich zur Ruhe begeben.

7 Curius, ist schon in vorhergehendem Gedichte erklärt worden, Bl. 103.

8 Man rechnet in Preussen die Steuern und Gaben nach Schoßen, wie in der Marck und in Sachsen nach Schecken. Die vom Acker heissen, Hufen-Schoß; die von den Häusern, Giebel-Schoß.

9 Perkun, war der Abgott der Heydnischen Preussen, und von denselben, in Gestalt eines Mannes von mittelmäßigem Alter, also gebildet, daß er den Potrimpos ansahe, mit einem brennenden Feuer-rothen und zornigen Gesichte, krausen Kopfe, schwartzen Barte und Flammen um das Haupt. Man unterhielt ihm ein ewiges Feuer von Eichen-Holtze, und opfferte ihm Speck-Seiten. Einige halten ihn für der Preussen Jupiter, andre für ihren Mars, einige für beydes zugleich, und wieder andre für ihre Sonne. Hartknoch Alt- und Neu-Preussen Bl. 30. 131. 160.

Potrimpos, ihr dritter Götze, ward fürgestellt als ein noch unbärtiger Jüngling, mit frölichem lachenden Gesichte den Perkun ansehend, den er, wegen seines unmächtigen Zorns, gleichsam verspottete. Sein Haupt war mit Korn-Aehren gekrönet. Man brannte ihm Wachs und Weyrauch, schlachtete, ihm zu Ehren, bißweilen Kinder, und ernährte ihm beständig eine Schlange mit Milch in einem Topffe, der mit einer Korn-Garbe bedeckt war. Daher ihn einige für der Preussen Saturn, andre für ihren Liebes-Gott, wieder andre für den Gott der Erde und fliessenden Wasser, und einige für den Gott des Gestirns ansehen. Hartknoch Bl. 161.

Pikoll, stand allzeit in der Mitten, zwischen beyden itztgenannten, hatte einen langen grauen Bart, den Kopff mit einem Tuche umbunden, das Gesicht von bleicher Todten-Farbe, von unten auf in die Höhe sehend. Die alten Preussen schrieben diesem Pikollos alles böse zu, und beteten ihn, weniger aus Liebe, als aus Furcht, an. Ihre Waidelotten oder Priester brannten, ihm zu Ehren, an grossen Fest-Tagen Talck in Töpffen, heiligten ihm todte Menschen- oder Vieh-Köpffe, und opfferten ihm gemeiniglich einige von ihren Feinden, die sie im Kriege gefangen bekommen. Man hält dafür, daß er der Preußische Höllen-Gott Pluto, oder ihr Gott des Reichthums Plutus, auch wohl gar ihr Mond gewesen. Das wahrscheinlichste von diesen dreyen Götzen ist dieses, daß, wie die Gothen ihren Heydnischen Gottesdienst in Preussen eingeführt, man hernach der Gothen Thor, Odhen und Frigga in alt-Preußischer Sprache Perkun, Pikollos und Potrimpos geheissen; wovon die Ubereinstimmung der Gothischen und Preußischen Götzen in allen Dingen sattsam zeuget. Hartknoch. Bl. 35. 129. 161.

10 Die alten Preussen baueten keine Tempel, sondern opfferten ihren Göttern in freyem Felde, und hatten zu diesem Ende, unter vielen geheiligten Eichen-Bäumen, sonderlich viere von fast unglaublicher Grösse.

Die erste war zu Romove, Sommer und Winter über grün, sechs Ellen dick am Stamme, und oben so dichte von Zweigen und Aesten, daß kein Regen durchdringen konte.

Die zweyte bey Heiligen-Beil, von gleicher Eigenschafft und Dicke.

Die dritte bey Marienburg an dem Nogath, einem Arme aus der Weichsel, im grossen Werder; oder, welches wahrscheinlicher, eine Meile von dem itzigen Thorn, wo noch die Uberbleibsel der alten Stadt Thorn gefunden werden. Sie war von so ungemeiner Grösse, daß die ersten Kreutz-Herren, bey ihrer Ankunfft in Preussen, solche eroberten, in Form einer Burg befestigten, und sich daraus wider die Anfälle der alten Preussen beschützten.

Die vierte bey Welau, über dem Pregel-Flusse im Dorffe Oppen, wo man nach Raguit von Königsberg durchreiset, in einem Garten an der Landstrasse. Diese war inwendig hohl, und gantz unglaublich groß, nemlich unten am Stamme sieben und zwantzig Ellen dicke, daß ein bewaffneter Ritter einen grossen Gaul gemächlich darinn herumtummeln konte. Wie da , unter andern, selbst Marggraff Albrecht der Aeltere, Hertzog in Preussen, und auch, nach ihm, Marggraff Albrecht Friedrich solches gethan haben. Welches Henneberger in Erklärung der Preußischen Land-Taffel, Bl. 427. bezeugt; auch daselbst die Ursache, warum diese ungeheure Eiche endlich umgefallen, diesem zuschreibet, daß alle, die solche zu besehen, gekommen, ihres Nahmens Anfangs-Buchstaben nebst der Jahr-Zahl hineingeschnitten, worüber endlich dieser Baum verdorren müssen, welcher, nach seiner Meynung, weder vor noch nach der Sündfluth, einen an Grösse über sich gehabt; massen viel an sehnliche Wetten seinethalben verlohren worden, weil niemand, als der ihn mit Augen gesehen, die Erzehlung davon glauben wollen.

Diese Eichen wurden mit Opffer-Blut besprengt, und bey denselben beständig Feuer gehalten; doch war die zu Romove die berühmteste, weil unter derselben die Wohnung dieser obgemeldeten dreyen vornehmsten Preußischen Götter gewesen, wovon Hartknoch in angeführtem Buche Bl. 117. 118. 119. 126. und auch in seiner Preussischen Kirchen-Geschichte weitläuftiger handelt. Nachmahls wurden diese vier Eichen von den Christen theils verbrannt, theils umgehauen, theils durch die Zeit selbst zerstöret.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Satyren und Ubersetzungen. [5] Die fünffte Satyre. [5] Die fünffte Satyre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A41-0