[319] [15] Regeln ohne Verdruß zu lieben

Aus dem Frantzözischen. 1


Wer Lust zu lieben hat, geb es selbst zu erkennen;
Doch wann er frey heraus gesagt,
Was ihn für eine Regung plagt,
So muß man seinen Schwur auch keinen Meineyd nennen.
Man trau ihm auf sein Wort, es gehe recht von Hertzen.
Ein ungegründeter unbilliger Verdacht,
Der endlich die Gedult der Buhler müde macht,
Kan ein gewonnen Hertz offt liederlich verschertzen.
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Wenn die Erklärung nun einmahl geschehn,
Dann haben beyde sich wohl vorzusehn,
Daß andre nicht die neue Glut erkennen.
Wo man verborgen liebt und ohne grossen Schein,
Da findet sich die rechte Wollust ein,
Und nichts, wenn zwey verliebte Hertzen brennen,
Ist süsser, als verschwiegen seyn.
Wenn jedes nun dem andern fest verheißt,
Was ein verliebter Mund und ein entzückter Geist
Nur je geschickt zu reden und zu dencken,
Soll sie ein süsses Band der Einigkeit verschrencken;
Und wann das Schicksal sie gleich von einander reißt,
Muß die Beständigkeit deßwegen doch nicht wancken;
Was nicht zugegen ist, das liebt man in Gedancken.
Doch kan man auch wohl überhoben seyn,
In steter Sterbens-Angst und überhäuffter Pein,
Als wie ein Schatten, zu vergehen,
Aus blosser Ungedult, sein liebstes Kind zu sehen.
So liebte zwar die alte Welt;
Doch, da sich alles umgekehret,
Und uns die neue nun gelindre Sätze lehret,
Ist keiner, dem diß Lieben mehr gefällt.
Sagt, wendet man nicht auch sein Seuffzen übel an,
Wann es die Schöne nicht verstehn noch hören kan?
Wann uns die Liebe sprechen heißt,
Ists besser, daß man sich der Lustigkeit befleißt,
Als der betrübten Redens-Arten,
Die man im Trauer-Spiel und Liebes-Büchern findt,
Ein angenehmer Schertz hat offt mehr zu gewarten,
Als solch ein Jammer-Thon verhaßter Traurigkeit.
Die Liebe, wie bekannt, ist ja ein kleines Kind,
Das man um sein Geschwätz und Spielen lieb gewinnt;
Doch, wann es übel thut und schreyt,
Und nicht mehr, wie vorhin, sich artig will erzeigen,
So heisset man es stille schweigen.
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Wir wollen, wie gesagt, uns dergestalt verbinden,
Daß unser Thun sonst niemand wissend sey.
Nichts ist beschwerlicher auf dieser Welt zu finden,
Als wann ein Buhler erst so arg schon im Geschrey,
Daß ihn die gantze Stadt mit Fingern weisen kan,
Und sagen: Seht doch den Verliebten an!
Wer kan ihn ohne Lachen schauen?
Wann er, mehr kranck und matt,
Als mancher, der ein hitzig Fieber hat,
Zu seiner Liebsten schleicht, ihr heimlich zu vertrauen,
Was man ihm ohnedem schon aus den Augen list.
Glaubt, daß jetzund die klügste Regel ist:
Verliebt seyn, und es doch nicht scheinen.
Genug, daß eine weiß, wie wir es mit ihr meynen.
Man spühret aus dem Augenlichte
Offt der Gedancken tieffsten Grund;
Drum sehe man sich vor, sonst wird aus dem Gesichte
Dem Neben-Buhler selbst leicht das Geheimniß kund.
Vor Alters zwar, da muste man aus Noth,
Wann man die Gegenwart der Iris wahrgenommen,
Bald blaß seyn und bald wieder roth,
Sonst wäre man in den Verdacht
Der Unbeständigkeit sehr leicht gekommen.
Doch die Gewohnheit hat es nun schon abgebracht;
Die Liebe zeige sich, bey Schmertzen oder Schertzen,
Niemahlen im Gesicht, wohl aber in dem Hertzen.
Wann uns die Schöne nicht zu freundlich angesehn,
So wünschen wir nicht mehr, vor Kummer, zu erkalten,
Noch vor der Zeit ins Grab zu gehn.
Man pflegt von Selbst-Mord ietzt nichts mehr zu halten.
Was sonst aus Liebes-Trieb die Menschen weggerafft,
Gifft, Raserey und Dolch, ist alles abgeschafft.
Dergleichen Grausamkeit
Wird selten von uns angeführet,
Und zwar nur bey Gelegenheit,
Weil sie noch manchen Reim in unsern Liedern zieret.
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Trägt sichs bißweilen zu,
Daß sie von ihm, und er von ihr, was arges dencket;
Wohl dem, der alles gleich zu besten lencket.
Sonst stöhret er sich selber seine Ruh.
Was hilffts, daß wir uns unterwinden,
Durch zu genaue Spur der Sachen Grund zu finden?
Ich will euch glauben, glaubt mir auch;
Das ist fürwahr der löblichste Gebrauch.
Der Fürwitz tauget nicht,
Und qvält uns offt durch wiedrigen Bericht.
Wie mancher wäre froh, viel Dinge nicht zu wissen,
Nach deren Wissenschafft er sich zuvor beflissen?
Auch muß die Eiffersucht weit weggebannet werden.
Ist wohl was schöners auf der Erden,
Als wann man glauben kan, daß Demant-feste Treu
Der Grundstein unsrer Liebe sey?
Und wer es anders macht, der macht sich selbst Beschwehrden.
Die Schwachheit ist fürwahr bey dem nicht klein,
Der, ob gleich die, die ihm ihr Hertze giebet,
Es noch so sehr betheurt, und endlich zugeflucht,
Sich selber doch zu überzeugen sucht,
Er sey noch nicht genug geliebet.

Fußnoten

1 Der Frantzösische Verfasser dieses Stücks ist unbekannt, massen man nur das Teutsche, und darunter einmahl von des seligen Herrn von Canitz eigner Hand ins reine geschrieben, mitgetheilet bekommen. Als aber Herr Hofrath Zapfe versichert, daß es eine Ubersetzung sey, hat man eine Menge Frantzösischer Poeten, und ihrer Sammlungen, wiewohl vergeblich, nachgeschlagen, biß man es endlich im Mercure galant vom Jahre 1677. des Monats August am 113. Blatte, doch ohne Benennung des Dichters, gefunden. Der Anfang davon klingt folgender massen:

Maximes d'amour

Nous voulons qu'un Amant se declare lui meme,
Et que sans trop contester,
Des qu'il a juré qu'il aime,
On n'en puisse plus douter.
Par une injuste defiance,
Et sur un doute mal fondé
Qui lassent d'un amant toute la patience,
On perd souvent un cœur, qu'on auroit possedé.

Der Herr von Canitz übersetzte es noch in demselben Jahre zu Berlin, als es zum Vorschein kam. Weil er aber eben um dieselbe Zeit die Bekanntschafft mit seiner Doris anfieng, und er es mehr nach seinen damahligen Umständen hin und her eingerichtet, als schlechterdings übersetzt; hat man für unnöthig gehalten, das Frantzösische, wie bey den andern Ubersetzungen, dem Teutschen gegen über, hier gantz einzurücken.

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TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Satyren und Ubersetzungen. [15] Regeln ohne Verdruß zu lieben. [15] Regeln ohne Verdruß zu lieben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A3A-2