[265] [4] Die vierte Satyre
Von dem Hoff-Stadt-und Land-Leben

Sylvander.

Du zweifelst, wie ich seh, mein Freund, nicht mehr daran,
Daß nur allein der Hof dich glücklich machen kan.
Dein Schluß wird hoch gerühmt von allen Handwercksleuten,
Die mit einander schon um deine Kundschafft streiten;
Weil so ein edler Trieb in deiner Seele brennt,
Der, was dir Gott beschehrt, dem armen Nechsten gönnt,
Und länger nicht den Schatz, den deine guten Alten
Aus Einfalt beygelegt, der Welt will vorenthalten.
Es wünscht die halbe Stadt den Eltern sanffte Ruh,
Und rufft dem Erben Glück und viel Vermögen zu,
Der kein Bedencken trägt, wenn er, den Hof zu zieren,
So vieler Jahre Frucht in einem soll verliehren,
Und manches Künstlers Hand durch sein Erfinden übt,
Das dem verlegnen Gold ein neues Ansehn giebt.
Verzeih mir, daß ich offt, durch freyes Widersprechen,
Den Vorsatz, den du hegst, gesucht zu unterbrechen,
Und daß dir, werther Freund, mein allzukühner Rath
Die Ruhe des Gemüths bisher verzögert hat.
Es ist schon lange Zeit, daß ich von diesen Stuffen,
Die du betreten wilst, zurücke bin geruffen;
Drum bild ich mir vielleicht den Welt-Lauff ärger ein,
Als wie er in der That wohl mag beschaffen seyn.
Man hat indessen viel von Unbestand gehöret;
Vielleicht hat sich das Glück, wie alles, umgekehret,
Ist nun der Tugend hold, und keinem ungetreu,
Beschämt des Mahlers Hand, des Tichters Phantasey,
Die ihm, zu stetem Hohn, manch schändlich Bild erfunden,
Ja selbst mit finsterm Flor die Augen zugebunden,
Und führt uns Sterblichen dich nun zum Beyspiel an,
Daß es Verdienste sieht, und auch belohnen kan.
Ich seh schon, wie mich dünckt, mit hertzlichem Vergnügen,
Dich jungen D********* dem Glück im Schosse liegen,
Wie manch entlegnes Land sich freuet oder kränckt,
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Nachdem dein kluger Spruch die Wageschale lenckt:
Weil nur der blosse Schein, mit gnädigstem Belieben,
Von seinem grossen Staat dem Fürsten übrig blieben,
Der, wie ein zartes Kind, das an die Brust gewöhnt,
Bey Tag und auch bey Nacht sich ängstlich nach dir sehnt.
Wohlan es müsse nichts, als Segen, auf dich schneyen,
Und die getroffne Wahl dich nimmermehr gereuen!
Der Hof-Mann.

Sylvander, dieser Wunsch ist zwar gantz wohl gemeint,
Und alles Danckes werth; doch wilst du, wie es scheint,
Daß ich soll einen Stich von deinem Schertz empfinden,
Und kanst den kleinen Groll so leicht nicht überwinden,
Daß ich für dieses mahl nicht deiner Meinung bin.
Hat aber ieder Kopf nicht seinen eignen Sinn?
Drum mercke mit Gedult, was mich dazu bewogen.
Vor diesem wär ich gern den Waffen nachgezogen,
Wenn nur mein Vater mir nicht den Compas verrückt.
Nun bin ich gar zu alt zum Krieg, und ungeschickt
Derjenigen Befehl in Demuth anzuhören,
Die offt des Himmels Zorn erhebt zu hohen Ehren.
Denn, leider! mancher bringt ein Fähnlein auf die Welt,
Wird auf der Ammen Arm als Hauptmann vorgestellt,
Und kriegt, eh er verdient im Schilderhaus zu stehen,
Den Feind zum ersten mahl als Oberster zu sehen:
Obgleich ein solcher Held, der nur sein theures Blut
Zum Aderlassen spahrt, nicht grosse Wunder thut,
Und wenn ihm nichts gefehlt, als Mandeln und Muscaten,
Wohl eh, aus Blödigkeit, so Land als Stadt verrathen.
Ja, sprichst du, folge dem, was jener Weise schreibt:
Wohl dem, der weit entfernt von fremden Händeln bleibt!
Der, nach der Alten Brauch, mit seinen eignen Zügen
Das väterliche Feld bemüht ist, zu bepflügen;
Den nicht der Wucher-Geist mit tausend Sorgen schreckt,
Nicht in den Harnisch jagt noch aus dem Schlaffe weckt
Das greßliche Gethön der lermenden Trompeten;
Der auf der wilden See nicht schwebt in Todes-Nöthen,
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Der nichts zu rechten hat, und der nicht mit Verdruß
Vor grosser Leute Thür sich Schutz erbitten muß.
Ich schelte keinen zwar, dem ein so stilles Leben,
In solchem engen Raum, kan ein Vergnügen geben,
Und wünsche, daß vielmehr Thau, Wind und Sonnenschein
Und Regen allemahl ihm mögen dienstbar seyn;
Doch wird man hoffentlich mir wiederum vergönnen,
Daß ich solch Lust-Revier mag eine Wüste nennen,
Wo sich der Müßiggang, dem vor den Menschen graut,
Streckt zwischen träges Vieh auf einer Bären-Haut,
Und wo wir unser Pfund, das wir vom Himmel haben,
Zuweilen Klaffter-tieff in dürren Sand vergraben.
Ich glaube, wer Vernunfft und Leibes-Kräffte fühlt,
Thut wohl, wenn er so fort nach wahrem Lobe zielt,
Und lässet dermahleins auf seinem Grab-Stein lesen:
Daß er der Welt genützt, und sie ihm hold gewesen.
So war das alte Rom zu seiner Zeit gesinnt:
Das hielt denjenigen nicht für sein ächtes Kind,
Der, in gemeiner Noth, sich faul zu seyn erkühnte,
Und nicht mit Faust und Witz dem Vaterlande diente.
Da saß die Tugend recht auf ihrem Ehren-Thron,
Als die Gemächlichkeit war schwerer Arbeit Lohn,
Und erst ein Curius, nach vielen Helden-Thaten, 1
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Auf seinem Meyer-Hof die Rüben durffte braten.
Hab ich, was ich gefaßt von zarter Kindheit an,
Deßwegen nur erlernt, daß ichs vergessen kan?
Hab ich zu anders nichts, auf Schulen und auf Reisen,
Mir manches Reiches Krafft und Schwäche lassen weisen,
Als daß mein Unterthan, von Tranck und Freude voll,
Die weise Herrschungs-Art des Junckers rühmen soll?
Hab ich die Welt gesehn, nur aus gedruckten Lügen
Zu schliessen, ob wir bald den Frieden werden kriegen?
Ob unser Krieges-Volck, das man zu Hülffe führt,
Vielleicht noch dieses Jahr mein armes Dorff berührt?
Dient mir das, was ich weiß von Satzung und Gerichten,
Zu nichts, als, nach der Kunst, der Bauren Streit zu schlichten?
Zu rechnen, was ein Feld mehr, als das andre, trägt?
Wie viel mir ohngefehr der Pachter unterschlägt?
Und hab ich der Natur Geheimniß forschen lernen,
Vom tieffsten Abgrund an, bis zu dem Lauff der Sternen
Allein zu diesem Zweck, daß ich den rechten Tag,
Zum Pfropffen und zur Saat im Monat treffen mag?
Wer nicht zu kleinen Gut ein grössers will erwerben,
Der muß von Gram und Schaam, wo nicht von Hunger, sterben.
Was ehmahls einen Ruff von grossem Reichthum gab,
Wirfft ietzt, nach unsrer Art, die Nothdurfft selten ab;
Und solte denn nur das in meine Renten fliessen,
Was mich, durch fremden Schweiß, der Frohndienst läst geniessen?
Wie kan ich sicher seyn, daß nicht vielleicht noch heut
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Mich plötzlich überfällt die bittre Dürfftigkeit.
Wie? wenn mein mattes Vieh durch Gifft und Seuche schwindet,
Wie? wenn man leeres Stroh in meine Garben bindet,
Wie? wenn durch schnelle Glut das Meinige verfleucht,
Wie? wenn ein kühner Feind durch unsre Gräntzen streicht,
Wenn Schooß und Steuer-Geld wird hefftig eingetrieben?
Wenn endlich, was von Hitz und Frost noch übrig blieben,
Was Feuer, Gifft und Feind, an Vorrath noch verschohnt,
Der Freunde Schwarm mir raubt, der in der Nähe wohnt,
Wenn das Verhängnis will, daß sie, mein Haus zu ehren,
Aus nachbarlicher Gunst, den kleinen Rest verzehren?
Die Stunde der Geburt ist zwar nicht allen gleich:
Dem gläntzt der Stern des Glücks, und jenem scheint er bleich;
Für einen, der hinauf zum Gipffel ist geklommen,
Sind tausend, welche kaum biß an die Helffte kommen.
Wo aber ist der Ort, der einen muntern Geist,
Geschwinder, als der Hof, in seinen Vortheil weist,
Und täglich Anlaß giebt, bey so verschiednen Fällen,
Was man begriffen hat, ans volle Licht zu stellen?
Was fehlet einem wohl, der es so weit gebracht,
Daß er in seiner Höh der Misgunst Pfeil veracht?
Wenn keiner, neben ihm, dem Fürsten an der Seiten,
Den er darff wie ein Freund, nicht wie ein Knecht, begleiten.
Er heißt des Fürsten Arm, der unsre Wohlfart stützt;
Sein Ohr, das uns erhört; sein Auge, das uns schützt;
Die Seele, die ihn regt, auf unser Heil zu sinnen;
Sein Werckzeug, das er braucht, was grosses zu beginnen.
Man schreibts dem Unglück zu, wenns etwan übel steht,
Und ihm, daß noch der Staat nicht gantz zu Drümmern geht.
Ihm danckt der Fürst allein, daß er so wohl gesorget,
Wenn der Soldate ficht, und noch der Kauffmann borget.
Ist das nicht folgens werth, wenns einem so gelingt,
Daß aller Uberfluß durch Thür und Fenster dringt,
Und daß er, sein Geschlecht in hohen Flor zu setzen,
Darf eines jeden Haupt, nach eignem Willen, schätzen?
Er sieht sein prächtig Haus, wie es von Marmel prahlt,
Sein Bild, wie es geprägt, aus hellem Golde strahlt.
Die Leichen-Rede selbst sieht er bey seinem Leben,
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Im Vorrath schon gedruckt, an allen Wänden kleben.
Ein solcher, der sich schaut in so erwünschtem Stand,
Hat nicht sein Vater-Gut vergeblich angewandt,
Und darf der andern Lust in Wahrheit nicht beneiden,
Die ihr Gesicht an Korn, an Schaaf und Kälbern weiden.
Sylvander.

Glückseelig ist der Mensch, den ein begrüntes Feld,
Von Hochmuth und vom Geitz entfernt, beschlossen hält,
Und welcher in sich selbst kan ein Vergnügen finden,
Das er nicht nöthig hat an fremdes Glück zu binden;
Der Fürsten-Gunst zwar hoch, doch Freyheit höher, schätzt,
Und nicht des Pöbels Wahn zu seinem Richter setzt.
Wer ist der, der so leicht die herrlichsten Palläste,
Als Karten-Häuser baut? der täglich auf das beste,
Trotz seinem Fürsten, lebt? in solchen Zimmern wohnt,
Als kaum der König hat, dem selbst der Tagus frohnt?
Der sein Vermögen schon nach Millionen schätzet?
Hat diesen sein Verdienst in solchen Stand gesetzet?
O nein! das Einmahl eins hat ihn empor gebracht.
Wo findet man den Hoff, da Tugend wird geacht?
Sie wird, weil Heucheley der Fürsten Ohr bestritten,
Jetzt in des Vorgemachs Gedränge kaum gelidten.
Ein aufgeschnitnes Wams, die Tracht der alten Zeit,
Scheint nicht so lächerlich, als ietzt die Redlichkeit.
Wer ihr ergeben ist, der folgt verbothnen Lehren.
Wer Gold erbitten will, muß güldne Kälber ehren:
Du must, wenns nöthig ist bey einem wohlzustehn,
Den allerbesten Freund vertraulich hintergehn,
Der grossen Heimlichkeit bemühet seyn zu wissen,
Und dem, der dich verletzt, die Hand in Demuth küssen.
Mischt ein verschlagnes Weib sich mit in Händel ein,
So opffer alles auf, in ihrer Gunst zu seyn,
Damit du magst, durch sie, des Mannes Hertz besiegen,
Und von der Delila des Simsons Locken kriegen.
Wenn iemand würdiger, als du, der Ehren scheint,
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So ist es schon genug, halt ihn für deinen Feind.
Bist du noch nicht ins Buch der Heyrath eingeschrieben,
Dann ist zu deinem Glück ein Pförtgen offen blieben.
Geh in Philemons Haus, da triffst du die gleich an,
Die mit was wichtigem dein Seuffzen lohnen kan.
Nur hüte dich, genau nach ihrem Thun zu fragen;
Der Vorwitz ist ein Werck, mit dem sich Narren plagen.
Verachte mit Vernunfft den Wahn der tummen Welt,
Wird doch der Uberfluß im Horne vorgestellt.
Ja, sprichst du, ihr Geschlecht! Ach laß den Irrthum fahren;
Sieh unsern Nachbar an in seinen alten Jahren,
Der, wenn ihn offt die Last der bittern Armuth drückt,
Mit ritterlicher Hand sein altes Strohdach flickt.
Was hilfft sein Adelstand, wenn dich die Schuldner mahnen?
Dann schützet dich kein Schild von allen sechzehn Ahnen.
Und wilst du, deinen Sohn im Hohenstifft zu sehn,
Indessen, weil du lebst, großmüthig betteln gehn?
Wenn gleich die Worte dir nicht bald, nach Wunsch, gelingen,
So wird doch dein Geschenck durch Thür und Schlösser dringen.
Dein vorgesetztes Ziel ist wohl der Mühe werth;
Denn, wenn erst deine Faust in fremden Beutel fährt,
Ist dir nichts nöthig mehr, zu stehn in festem Glücke,
Als nur ein Quentlein Witz, ein Centner loser Tücke.
Treibt das Verhängniß mich zu einem grossen Mann,
Der selten helffen will, und immer schaden kan,
Mein Gott, wie muß ich mich in Zeit und Stunden schicken,
Eh mir es wiederfährt, sein Antlitz zu erblicken.
Zum öfftern will er nicht im Schlaffe seyn gestöhrt,
Ob man von weiten gleich sein Bretspiel klappen hört: 2
Zuweilen, eh wirs uns am wenigsten vermuthen,
Schwimmt er, als wie ein Fisch, durch der Clienten Fluthen.
Wohl mir, wenn er alsdenn so lange sich verweilt,
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Daß mir ein kurtzes Nein zur Antwort wird ertheilt;
Dieweil gemeiniglich es ihm also beliebet,
Daß er durchs Hinterhauß sich in die Flucht begiebet.
Wenn ich denn kalt und matt auf meine Ruh bedacht,
Ist schon was neues da, das mich verzweifeln macht,
Ich finde mich umringt von einem Bettler-Hauffen,
Ich, der ich möchte selbst vor fremde Thüren lauffen;
Die wollen, sonder Geld, und mit dem blossen Nein,
Das ich davon gebracht, nicht abgewiesen seyn.
Kaum kan ich mich hernach aufs Ruh-Bett niederlegen,
Um den verwirrten Lauff des Glückes zu erwegen,
So klopfft ein Fremder an, den ich sonst nie gekannt,
Und spricht: Er sey mit mir im sechsten Grad verwandt,
Will einen Dienst durch mich, als seinen Blutsfreund, kriegen,
Und im Proceß zugleich den Gegenpart besiegen,
Legt auch darauf getrost mehr Schrifften an den Tag,
Als mancher Cantzler kaum im Jahre lesen mag.
Schwür ich gleich, daß ich nicht in solchem Stern gebohren,
Der mich, zu andrer Schutz, auf Erden auserkohren,
Daß zwar der Wille gut, doch mein Vermögen schlecht,
So ist die Antwort da: Er schertzt mit seinem Knecht.
Begleit ich endlich ihn hinaus biß an den Wagen,
Und habe hinter mir das Thor kaum zugeschlagen;
So reitzet abermahl mich was zur Ungedult.
Ein Dieb, ein Kramer, pocht, und macht mir eine Schuld, 3
Die ich, wie selbst sein Buch und Quittung muß besagen,
Schon im verwichnen Herbst ihm richtig abgetragen.
Mach ich, so gut ich kan, mich dieser Gäste frey,
So ist doch lange nicht mein Ungemach vorbey.
Man sieht ein sichres Volck an Höfen und in Städten,
Das, wie ums Tagelohn, das Pflaster pflegt zu treten;
Das, weil es Arbeit haßt, und doch nicht stille sitzt,
Aus Vorwitz in dem Schooß des Müßigganges schwitzt.
Dergleichen Leute sind die Diebe meiner Stunden,
Es ist ihr Höflich seyn mit Ungestüm verbunden.
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Da heißts: Wie geht es euch in eurer Einsamkeit?
Ich dencke: Ziemlich wohl, wenn ihr nicht bey mir seyd.
Das Wetter, nach dem Sturm, hat sich schon aufgekläret.
Ach! wünsch ich: Hätt es doch bis in die Nacht gewähret,
So drünget ihr vielleicht, wie nun, bey Sonnenschein
Mit eurem Mücken-Schwarm nicht in mein Zimmer ein.
Der eine wiederholt aus den gedruckten Lügen,
Wie starck man will die Macht des Solymans bekriegen,
Und weist, als ein Prophet, der nicht betrügen kan,
Versailles zum Quartier dem Printz von Baden an.
Ein andrer, dem das Glück nicht will nach Wunsche lachen,
Dräut, wie er bald den Hof will öd und wüste machen,
Und schwört, daß er, zum Schimpf der Grossen dieser Welt,
Den Abzug aus der Stadt nunmehro fest gestellt.
Der streichet pralend raus, wie viel in nächsten Tagen,
Ihm reiche Töchter sind zur Heyrath angetragen;
Und jener, wie sein Fürst, der ihn nicht missen kan,
Vor tausend andern ihm mit Gnaden zugethan.
Jagd, Karten, Kleider, Tantz, und hundert andre Possen,
Sind aller Unterhalt, biß daß die Zeit verflossen,
Die mir des Himmels Zorn zur Züchtigung bestimmt,
Und bis, zu meinem Trost, ein jeder Abschied nimmt.
Der mich verwundet hat, vom Jack-Zorn angetrieben,
An dem wird das Gesetz bald seinen Eifer üben;
Wie aber geht es dem für so genossen aus,
Der mir, mit Vorbedacht, fällt in mein eigen Haus,
Und da mit eitelm Tand, den er mit Worten spicket,
Aus Freundschafft, einen Dolch bis in das Hertze drücket?
Doch wer kan jeden Weg, wodurch der falsche Wahn
Die tummen Sterblichen zur Knechtschafft leiten kan,
Und alles Marter-Zeug, das wir uns selber wehlen,
Zum Vorwurff der Natur, so bald zusammen zehlen?
Wenn der geringste Lerm im nechstgelegnen Wald
Um eine stille Trifft der blöden Schaafe schallt,
Und eins erst schüchtern wird, beginnt ein gantzer Hauffen,
Durch Blatt, Gebüsch u. Strauch dem Flüchtling nachzulauffen.
So traut das kluge Thier, der Mensch, sich selbst auch nicht,
Sein eigner Tacht verglimmt, er folget fremdem Licht:
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Dadurch verirrt er sich, pflegt furchtsam fort zuwallen,
Und lebet, ja noch mehr, stirbt andern zu gefallen.
Erfreue dich, mein Sinn, daß dir ein guter Geist
Den unbekanten Schatz der edlen Freyheit weist;
Ich weiß, du wirst die Schnur, sey nur bemühet, finden,
Dich aus dem Labyrinth des Pöbels loß zu winden.
Gebrauch den Lauff der Welt zu deinem Zeitvertreib!
Sieh doch das Possenspiel, wie dieser sich ein Weib,
Weils jener so gemacht, läßt aus der Fremde bringen:
Wie jener seinen Wanst läßt in ein Schnürleib zwingen,
Die Kost, die ihm sonst schmeckt, nach andern Zungen würtzt,
Und sein bequemes Hauß so fort zu Boden stürtzt;
Auf daß die gantze Stadt mag mit Verwundern schauen,
Daß er, dem Nachbar gleich, auch kan Palläste bauen.
Verwirff den Richterspruch, den die Gewohnheit fällt:
Es ist dir die Vernunfft umsonst nicht zugesellt.
Der Tod klopfft an die Thür, es wechseln alle Sachen,
Und keiner kan es doch der Welt zu Dancke machen.
Du freyes Blumenberg und Schutzwehr meiner Lust, 4
Bey dir ist mir ja nichts von allem dem bewust;
Hier aber, seh ich wohl, in Wällen und Basteyen
Ist keine Sicherheit vor solchen Rasereyen;
Und der, dem dieser Zwang und Weise nicht gefällt,
Wird, als ein Wunder-Thier, zum Schau-Spiel, aufgestellt.
Fort, Kutscher, folge mir! ich will am letzten Garten,
Der in der Vorstadt liegt, zu Fusse deiner warten. 5
Hernach so soll es frisch, in vollem Trabe, gehn,
Biß wir den spitzen Thurm in unserm Dorffe sehn.
Und solte mich auch dort die Räuber-Schaar entdecken,
So wird mich Wald und Busch vor ihrer Wuth verstecken.

Fußnoten

1 Manius Curius Dentatus, so genannt, weil er gleich mit Zähnen auf die Welt kam, oder nur ein Bein, statt aller Zähne, im Munde hatte, erhielt, nach rühmlicher Verwaltung andrer Ehren-Stellen, das Römische Bürger-Meister-Ammt, und wegen der besiegten Lucaner das kleine, so wie der Uberwundenen Sabiner und Samniter halben, zweymahl das grosse offentliche Siegs-Gepränge. Von dem eroberten Lande dieser Völcker gab er, wie Sextus Aurelius Victor in seinem 32. Cap. erzehlet, jedem Bürger viertzig Acker Landes, und begnügte sich mit einem gleichen Antheile, ob ihm gleich der Rath ein weit mehrers zugedacht hatte. Auf diesem seinen Land-Guthe fanden ihn nachmahls die um Frieden bittenden Gesandten der Samniter, als er eben auf seinem Heerde Rüben braten, und solche zu seiner Abend-Mahlzeit, aus einem irrdenen Gefässe verzehren wolte. Die abgeordneten bothen ihm daher viele güldene Geschirre dagegen an, nebst einem ansehnlichen Stücke Goldes; so er aber großmüthig ausschlug, mit der Erklärung: Da er sich an einer so mäßigen Kost aus einer so geringen Schüssel begnüge, könte er ihre Geschenke leicht entbehren, zumahl er lieber solchen reichen Leuthen befehlen, als selbst reich seyn wolte. Da man ihn auch, nach der Zeit, fälschlich beschuldigte, daß er viele Gelder untergeschlagen, brachte er einen höltzern Oel-Krug hervor, den er zum Opfer-Dienste in seinem Hause gebrauchte, und betheurte hoch, daß er in seinem gantzen Vermögen nichts als dieses Stücke hätte, so er von den Feinden erbeuthet; daher ihn Valerius Max. in seinem vierten Buche c. 3. §. 5. das allervollkommenste Vorbild der Römischen Mäßigkeit und Tapferkeit nennet. Von diesen und seinen andern Thaten melden, unter andern Geschicht-Schreibern, Plutarch im Leben des Cato, Florus B. 1. c. 18. §. 22. Valer. Max. Bl. 9. c. 3. und Plinius B. 19. c. 5.

2 Diese und noch einige vorherstehende Stellen sind Vorwürffe, welche einem damahligen grossen Staats-Minister von denjenigen gemacht worden, die geglaubt, daß sie Ursache hätten, sich über ihn zu beschweren; worunter sich der Herr von Canitz auch gezehlet.

3 Sowohl dieses, als das vorhergehende, sind wahrhaffte Begebenheiten, die dem Verfasser damahls zugestossen.

4 Blumberg, ehmahls des Verfassers Land-Gut, zwey Meilen von Berlin.

5 Der Weg nach demselben von Berlin geht durch die Vorstadt zum St. Jürgen- ietzt aber so genannten Kö nigs-Thore hinaus.


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TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. [4] Die vierte Satyre. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A27-C