[60] Die Rose

Ich sahe jüngst, mit fast erstaunten Blicken,
Die Sonn' im Garten, nach dem Regen,
Der Bluhmen Heer mit heitern Strahlen schmücken,
Und ihren reinen Glantz in nasse Blätter prägen.
Indem mein Auge nun, durch ihre Zahl verwirrt,
Durch ihren Schmuck entzückt, von der zu jener irrt,
Der spielenden Natur gefärbtes Kleid betrachtet,
Bald die, bald jene, höher achtet;
Sich bald an dieser hier, und bald an der, ergötzet;
Bald beyde gleiche schön, bald die noch schöner, schätzet;
Reisst endlich Augen, Hertz und Sinn
Ein Rosen-Busch auf sich nur eintzig hin.
Ich seh' ihn kaum aufmercksam in der Nähe;
So deucht mich, als ob ich in seiner Zier
Nichts Irdisches, nein, gar aus Edens Lust-Revier
Annoch ein Ueberbleibsel, sähe.

Aria.

Paradises Kind und Bild,
Rose, deiner Blätter Prangen
Hat mit sehnlichem Verlangen,
Durch das Aug', mein Hertz erfüllt,
Die verlohr'nen Edens-Auen
Selig wiederum zu schauen.
Im Geiste stelle man sich ein Gebüsche vor,
Deß Blätter aus Smaragd geschnitten,
Die Stengel aus Türkis, woran aus Hyacinth,
Geschärften Dornen gleich, formir'te Spitzen sind.
[61]
Auf solchem Wunder-Strauch, der mannichfaltig grün,
Stünd' ein hell-schimmernd Heer von Bluhmen aus Rubin,
So funckelnd gläntzt und strahl't, in deren Mitten
Ein kleines göld'nes Licht in hellem Schimmer schien;
Ja, daß des Künstlers Hand
Versthied'ne Kügelchen vom reinsten Diamant
Auf ihrer Blätter Pracht, zu gröss'rer Zier, gestreut.
Dann dencke man, wie diese Herrlichkeit
Noch lange nicht dem Schmuck gewachs'ner Rosen gleichet,
Ja ihnen kaum das Wasser reichet.
Aria.

Flammende Rose, Zierde der Erden,
Gläntzender Gärten bezaubernde Pracht!
Augen, die deine Vortrefflichkeit sehen,
Müssen, vor Anmuth erstaunet, gestehen,
Daß dich ein Göttlicher Finger gemacht.
Da Capo.

Sie kam mir für, wie eine Königinn,
Mit Purpur angethan;
Die gelbe Saat schien eine göld'ne Krone;
Der schöne Busch glich einem hohen Throne,
Der Dornen Heer geharnischten Trabanten,
Der Tropfen Ründ' und Glantz geschliffnen Diamanten.
Die nimmer stille Schaar der Bienen,
So öfters murmelnd zu ihr kam,
Und, mit geschwindem Flug, bald wieder Abschied nahm,
Schien, ihrer Majestät zu dienen,
Und gleichsam ihr Verlangen zu erfragen,
Um ihren gnädigen Geheiß,
Mit fröhlichem Gesums' und unverdrossnem Fleiß,
Den lieblich riechenden Vasallen vorzutragen.
[62] Aria.

Rose, Königinn der Bluhmen,
Wenn du Bienen, die du tränck'st,
Honig aus Rubinen schenck'st;
Sollten billig unser' Augen,
Da man deinen Glantz betracht't,
Auch aus deines Purpurs Pracht,
Dem zum Ruhm, der dich gemacht,
Süssen Andachts-Honig saugen.
Wenn sie sich öffnet, sieht in ihr die frohe Seele
Ein' angenehme kleine Höle,
In welche, nebst dem Blick, den Geist
Ein lieblich-rother Wirbel reisst,
Den tausend Blätterchen, die wir daselbst verspüren,
Wie sie sich inwärts drehn, formiren.
Erweg't die Kraft, so man in diesem Wirbel sieht,
Da er, nebst Blick und Geist, die Nas' auch in sich zieht.
Die Bildung ist der bildenden Natur
Vollkommenste Figur.
Ihr Leib ist Circkel-rund, und ihrer Mutter gleich;
Bald sieht man weißlich-roth, bald röthlich-bleich,
Auf ihrer Blätter Sammt sich, ohne Grentzen,
Vereinigen, und süß in weisser Röthe gläntzen.
Es sind die Blätter dicht,
Und doch so dünn und zart,
Daß selbst das Licht
Durch ihr so angenehm gefärbt Gewebe bricht,
Sich mit den röthlichen gelinden Farben paar't,
Und, selber roth gefärbt, die innern Blätter färbet.
[63]
So dünn ist jedes Blatt, zumahlen wenn es naß,
Daß es durchsichtig, wie ein Glas.
Man kann in ihnen oft das zärtlichste Gespinnste
Der dünnen Adern sehn,
Woran, durch der Natur uns unbekannte Künste,
Viel kleine klare Bläsgen stehn.
Sie sind, da sie mit rothem Saft erfüllt,
Der Adern recht natürlich Bild.
Ein rother Schatten ohne Schwärtze
Bedeckt das kleine göld'ne Hertze,
Das in dem Mittel-Punct der holden Tiefe sitzt,
Und in der Balsam-reichen Höle
In Purpur-farb'ner Dämm'rung blitzt.
Der rothen Farben süsser Schein
Scheint leiblich nicht, nein, geistig fast, zu seyn,
Da er, nachdem als man die Rose drehet,
Bald von, bald nach dem Licht', entstehet und vergehet,
So daß ihr Roth und Weiß, als wie das Blau und Grün
An einem Tauben-Hals, sich oft zu ändern schien.
Dieß ist der inn're Schmuck, die kühle rothe Gluht,
Die in dem runden Schooß der edlen Rose ruht;
Da gegentheils, was auf den äussern Blättern glühet,
In einer bläulich-weiss- und röthlich-klaren Pracht
Fast einer Fleisch-Farb' ähnlich siehet,
Zumahl wenn unterwärts ein glattes Dunckel-roth,
Das einem rothen Atlaß gleich,
Der andern Blätter röthlichs Bleich
Noch lieblicher, noch sanfter macht.
Ein Auge, das den Schmuck betrachtet, fühlet
Solch einen süssen Reitz, das Hertz so süsse Gluht,
Als wenn ein schönes Blut
[64]
Durch eine zarte Haut
Der Rosen-farb'nen Jugend spielet,
Und man auf Armen, Brust, um Mund und Wangen
Ein frisches röthlichs Weiß, in hellem Schimmer, prangen,
Und, voller Liebreitz, gläntzen, schaut.
Aria.

Wenn man schöne Wangen siehet,
Und, von Lieb' entzündet, glühet;
Spricht man: Wie die Rose blühet,
Also blühet dieß Gesicht.
Giebt man also zu verstehn,
Daß auf Erden nichts so schön:
Und dennoch, sie anzusehen,
Um den Schöpfer zu erhöhen,
Würdig't man die Rose nicht.
Theils öffnen ihre Schooß, theils sind noch halb geschlossen,
Und zeigen viel, versprechen doch noch mehr.
Der kleinen Knospen zarte Sprossen,
Die recht, wie Kinder, um sie her
Im schönsten Schmuck und grosser Menge sitzen,
Seh'n grünen Sternchen gleich,
Durch deren fünf-getheilte Spitzen,
(Die, wie Smaragd, an grünem Schimmer reich)
Rubinen-rothe Strahlen blitzen,
Aus denen ein gewürtzter Myrrhen-Rauch,
Worin sich Süß und Bitter lieblich mischet,
Unsichtbar aufwärts steigt, und Hirn und Haupt erfrischet.
[65]
Die grünen Blätter stützt ein grüner Kelch, der bald
Zu einer rothen Frucht, Ey-förmig von Gestalt,
Zur Hagebutte, wird.
Die grünen Zäser deckt, so wie die Stengel auch,
Ein kleines röthliches unschuldigs Dornen-Heer,
Woran die umgekehrten Spitzen,
Um nicht zu schaden, einwärts sitzen,
Da unten an dem Stiel viel wahre Dornen stehn,
Die sie für manchen Anfall schützen,
An welchem sich, falls man sie nicht gesehn,
Oft unvorsicht'ge Finger ritzen.
Hieraus nun nehm' ich diese Lehre:
Aria.

Der Rosen-Busch zeigt dir, mein Hertz,
Daß, wie bey ihm, so auch auf Erden,
Nicht leicht Vergnügung sonder Schmertz,
Lust sonder Last, gefunden werden;
Indem fast immer Freud' und Pein
Genau verknüpft, ja oft zugleich gebohren, seyn.
Nach diesem nahm mein forschend Aug' in Acht
Den grünen Busch und seiner Blätter Pracht,
Der denn, da er so schön formir't, so lieblich grünet,
Auch unser Lob mehr als zu wohl verdienet.
Der Blätter Menge,
Und mannigfalt'ge Zierlichkeit,
Der Farben Schmuck, der Knospen Unterscheid
Zeigt uns ein schimmerndes erhabenes Gepränge,
So der verworrenen bedornten Stengel Hecken
Mit einem grünen Schatten decken.
[66]
Sein Zungen-förmigs Blatt, dem, rings um eingekerbt,
Ein fast Smaragden Grün die glatte Seite färbt,
Erhöht der Rosen Glantz, durch holde Dunckelheit.
Ein bläulich-zarter Duft, der auf der Fläche lieget,
Der, wenn man ihn berührt, verschwindet,
Vermehrt der Farben Lieblichkeit,
Zumahl wenn sich der Thau darauf so lieblich ründet,
Der recht, wie lebend Silber, blitzt,
Wie runde Perlen, rollt, wie Diamanten, spielet,
Und seinen Glantz mit allen Farben mischt,
Daß sich der Blick, den Lust und Luft erhitzt,
Durch solche reine Fluht erfrischt,
In ihren feuchten Kreisen kühlet.
Aria.

Tropfen, die aufs Weisse fallen,
Gleichen gläntzenden Krystallen,
Die aufs Röthliche, Rubin,
Und Smaragden, die auf Grün.
Sieht man also, mit Vergnügen,
Fast den Glantz von Edelsteinen
Mit der Rose sich vereinen,
Und auf ihren Blättern liegen,
Ja sich gleichsam recht bemühen,
Durch die dir so liebe Pracht,
Dem zum Ruhm, der sie gemacht,
Deinen Geist auf sich zu ziehen.
Aufs letzte schien mir gar der Rosen-Blätter Schein
Ein Blätter-reiches Buch zu seyn,
[67]
Das, von des grossen Schöpfers Lieben,
Mit balsamir'ter Dint' und rothen Lettern,
Die Hand der wirckenden Natur geschrieben.
Mich deucht, ich könn' auf allen Blättern
Geheimnisse von Gottes Wunder-Wesen,
Von Seiner Macht und heissen Liebe, lesen.
Ach, nehm't es doch in Acht!
Dieß steht auf jedem Blatt recht deutlich, hell und klar:
Wie ist doch Der, Der uns gemacht,
So liebreich, groß und wunderbar!
Arioso.

Der Inhalt dieser Schrift ist deutlich zwar,
Die Sprache der Natur ist allgemein,
So Züg' als Bildungen sind offenbar;
Doch kennen die sie nur allein,
Die, ihre Niedrigkeit erkennend, Gott erheben,
Und Ihm die Ehr' allein von allem Guten geben,
Der, durch so manch Geschöpf, uns, Sein Geschöpf, ergötzt,
Und Seinen Ruhm allein in unsrer Freude setzt.
Zumahlen rühret mir das Innerste der Seelen
Der schmeichelnde Geruch, der aus den Purpur-Hölen
Der holden Rosen fleusst; er lab't mich inniglich;
Das Auge schliesst, das Hertz eröffnet, sich,
Von einer Balsam-Kraft gerühret,
In dessen Süsse sich ein lieblichs Bitter mischt,
So aus den Knospen quillt und unser Hirn erfrischt,
So bald es den Geruch der frischen Rosen spüret.
[68]
Es schwimmt in einer See von Lust.
Es scheint die Seele selbst, sich zu bemüh'n,
Um durch die Nas' allein die Anmuth zu geniessen,
Die Augen darum zuzuschliessen,
Mit unzertheilter Kraft sich allem zu entzieh'n,
Um blos allein
Mit dieser Lieblichkeit beschäfftiget zu seyn.
Es scheint, ob könn' es, vor Vergnügen,
Nicht mehr so eng verschrencket liegen.
Drum dehnt sich die gewölbte Brust,
So weit ihr möglich, aus,
Die, durch den holden Duft,
So lieblich balsamirte Luft
Nicht anderwärtig hinzulassen,
Nein sie, wo möglich, gantz zu fassen.
Aria.

Ambra-Bluhme, Balsam-Quelle,
Rose voller Süssigkeit!
Wenn ich mir, zur Frühlings-Zeit,
Ins Geruchs Beschaffenheit,
GOTTES Weisheit, Herrlichkeit,
Lieb' und Macht vor Augen stelle;
Wird so Seel', als Leib, erfreut.
Da Capo.

Zwar lässt die blinde Welt so Zucker-süssen Duft,
Im Athem, acht-los von sich schiessen,
Und wieder in die Luft,
Woraus er stammet, fliessen;
Ich aber schwinge mich, auf Flügeln reiner Triebe,
[69]
Zu GOTT, und opfer' Ihm den süssen Hauch,
Von Brunst und Danck entflammt, als einen Opfer-Rauch,
In heissen Seufzern auf; erwege Seine Liebe,
Die im Geruch mein Hertz empfunden;
Bewund're Seine Wunder-Macht,
Die, Bildung und Geruch, zusamt der Farben Pracht,
So unverbesserlich verbunden;
Und endlich, halb entzückt, bricht meine Lippe los:
Was muß der Gott, der in der Erden Schooß
Solch eine Balsam-Kraft und Schmuck vermag zu legen,
Doch wohl für Herrlichkeit in seinem Himmel hegen!
Aria.

Unendlicher Mittel-Punct aller Vollkommenheit,
Entzückender Schönheit Quell, Leben und Licht,
Du Fülle der ewig zufriedenen Seligkeit,
Da solche vergnügende herrliche Wercke
Der mächtigen Gnade, der liebenden Stärcke
Schon sterbliche Sinnen auf Erden empfinden;
Wer kann denn die himmlischen Freuden ergründen,
Die Göttliche Liebe dereinsten verspricht?

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die Rose. Die Rose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-452B-C