[215] Der Wald

Es giengen jüngst Ergast und Belisander,
In einen dicht-verwachs'nen Wald,
Zur schwühlen Sommers-Zeit, vertraulich mit einander,
Um, unter Eichen, Büchen, Linden,
Der holden Kühlung Aufenthalt,
Der frischen Schatten Kind, zu finden.
Sie setzten sich sofort
An einen angenehm-erhab'nen Ort,
Der sein beschattet Haupt mit krausen Büschen kräntzte,
Und doppelt schön, im nahen Wasser, gläntzte,
Das an der grünen Höhe Fuß,
Mit sanftem Fluß,
Wie ein lebendig Silber, rollte,
Und manchen feuchten Kuß,
Durch sein erquickend Naß, dem fetten Ufer zollte.
Sie sah'n die Bluhmen, auf den Hügeln,
Sich theils in eig'nem Schmuck verliebt bespiegeln;
Theils sahen sie, um sich zu träncken,
Die Bluhmen in die Fluth die bunten Häupter sencken.
Sie hör'ten, in den nahen Büschen,
Gelinde Winde säuselnd zischen.
Es waren hier beblühmte Höhen,
Bebüschte Thäler dort, zu sehen.
Sie sah'n der Vögel Schaar von Zweig auf Zweige springen.
Sie hörten auf einmahl,
Von kleinen Schnäbeln ohne Zahl,
Ein zwitscherndes Geräusch, ein süß-verwirrtes Singen.
Das Gurgeln der verliebten Nachtigall,
Das Murmeln von den hellen Bächen,
[216]
Die auf dem Kiesel-Grund die Fluth gemählich brechen,
Sucht der geschwinde Wiederhall,
Den Schall verdoppelnd, nachzusprechen.
Hiedurch fast halb entzückt, hub Belisander an,
Dem GOTT zum Ruhm, der alles kann,
Der Wälder Schmuck, wie folget, zu besingen:
Ach, wie viel schöne Farben fallen,
Bey diesen fliessenden Krystallen,
Die diesen dichten Wald durchwallen,
Mir nicht auf einmahl ins Gesicht!
Ein tausendfach gefärbtes Licht,
Ein tausendfach geformter Schatten,
Die sich bald trennen und bald gatten,
Und tausendfach vermischet seyn;
Verdoppeln sich im Wieder-Schein.
Es kann mein Auge sich nicht satt,
An aller Vorwürf' Anmuth sehn.
Ein jeder Strauch, ein jedes Blatt
Ist schön, ist Wunder-würdig schön.
Hier bricht ein lichtes Grün, in gleich-gezog'ner Länge,
Durch starck beschatteter bemooßter Stämme Menge.
Dort sencket sich ein dicht bepflantzter Hügel,
Und strecket den bewachs'nen Fuß
Bis an des Bachs durchsicht'gen Spiegel,
In dessen unvermercktem Fluß
Der Bäume Meng' ihr angenehmes Grün
Selbst zu besehn, selbst zu bewundern schien.
Es schimmern hier, in dunckeln Gründen,
Wenn sie das Sonnen-Licht bestrahlt,
Der schlancken Bircken weisse Rinden,
Als wären sie mit Silber übermalt.
[217]
Hier bieget sich manch Knoten-reicher Ast,
Durch seiner Blätter Meng' und Last
Gleich als mit Macht herab gezogen,
Macht manchen schattigten gantz dunckel-grünen Bogen,
Und stärckt, durch seine Dunckelheit, die Augen,
Daß sie das helle Feld,
Da, wo es selbst der Sonnen Strahl erhellt,
Viel deutlicher, durch sie, zu schauen taugen.
Des schattigten Waldes erhabene Wipfel
Bewölcket der Blätter annehmliches Grün,
Um Augen und Hertzen gen Himmel zu ziehn.
Wer wollte denn immer am Irdischen kleben?
Laß Sinnen und Seelen den Schöpfer erheben!
Sein herrlichs Geschöpfe verherrlichet Ihn.

Da Capo.


Es ist der dick-verwachs'ne Wald,
Erfüllt mit dicht-belaubten Büschen,
Worin sich Furcht und Licht mit Lust und Schatten mischen,
Der Ruhe wahrer Aufenthalt.
Der zarten Blätter lispelnd Rauschen
Reitzt jedes unzufried'nes Hertz,
Mit Lust und Anmuth seinen Schmertz,
Und mit Vergnüglichkeit sein Leiden, zu vertauschen.

Ergast.

Ich seh', wie die Natur, aus lang-gestreckten Zweigen,
Die, durch der Blätter Last, sich beugen,
Dem Sonnen-Strahl, von tausend grünen Bogen,
Bewegliche Gewölbe vorgezogen:
[218]
Worunter, vor der Sonnen Licht und Gluht
Gesichert, und halb kalt, halb warm,
Der grünen Schatten klarer Schwarm
Um die bemooßten Stämme ruht;
Das frische Land mit dunckeln Flügeln decket,
Und das licht-grüne Gras zwar schwärtzt, doch nicht beflecket.
Kühles und schattigtes Schirm-Dach der Felder,
Grünender Schau-Platz beblätterter Wälder,
Deine so lieblich verworrene Hecken
Schwärtzen und schmücken, ergetzen und schrecken.
Diese, mit Schaudern, vergnügende Kraft
Deiner gedoppelten Eigenschaft
Können in mir gedoppelte Triebe,
Ehrfurcht und Liebe,
Gegen den herrlichen Schöpfer erwecken.
Der Schatten sichtbar's Nichts, in grünlicher Gestalt,
Erfüllt die stille Luft, bedeckt den gantzen Wald,
Und ihr unfühlbar's Wesen weis't,
In grüner Dämmerung, in ruhigem Vergnügen,
Ein Etwas zwischen Leib und Geist,
Das Leib und Geist zugleich besiegen,
Ergetzen und erquicken kann;
Ich fühl', und seh', es oft, recht mit Verwund'rung, an.
Hier färbt ein schattigt Grün oft eine lichte Stelle.
Ein Schlag-Licht machet dort den grünen Schatten helle,
Und bricht die sanfte Dunckelheit
Des braunen Schattens in dem Steige,
Daß viele Stellen, wie vergüldet,
Auf einer holden Schwärtze, glimmen,
[219]
Wodurch manch Schatten-Baum sich auf der Erde bildet,
An welchem Blätter, Stämm' und Zweige
Zwar fühlbar nicht, doch sichtbar, sind:
Die denn, wann ein gelinder Wind
Ihr rauschend Urbild rührt, im Sande gleichsam schwimmen,
Und, leichten Geistern gleich, die sonder Cörper schertzen,
Bald die, bald jene Stelle schwärtzen.
Ein fast all' Augenblick veränderliches Licht
Zeugt auch all' Augenblick veränderte Gestalten,
Die keinen Augenblick dieselbe Form behalten,
Nein, die, mit Wunder-schnell gemahlten Bildern,
Den Schatten-reichen Boden schildern,
Das Aend'rung liebende Gesicht
In tausendfache Lust versetzen,
Und auch zugleich das Hertz ergetzen.
Wann jemand sich, in diesem Licht, beweg't,
Geht oder läuft; so lässt's, als würde stets sein Kleid
Mit güld'nen Flocken überstreut.
Man siehet oft, mit innigem Vergnügen,
An eines Baumes Fuß,
Den gantzen Baum auf flacher Erde liegen,
Auch, wenn ein solcher Baum gepflantzt am nahen Fluß,
Den Wipfel unter sich, die Wurtzel aufwärts, stehn,
So daß, an einem Baum, die aufmercksamen Augen
(Ach, möchte doch der Mensch nur stets mit solchen sehn!)
Sich dreyfach zu ergetzen taugen.
Die hohe schlancke Schaar der gleich-gezweigten Fichten,
Die ihr gespitztes Laub fast immer Erd-wärts richten,
Verhehlen zwar,
Doch zeigen sie uns auch zuweilen
Vom hohen Wild die rasche Schaar,
Die durch dieß dichte Buschwerck eilen.
[220]
Wenn ich den schnellen Hirsch, wenn ich das leichte Reh
Durch Büsch' und Sträucher springen seh',
Vergnüget mich ihr unbesorgter Lauf,
Und muntert mich von mancher Schwermuth auf.
Belis.

Wann ich nun gleichfalls, in der Nähe,
Aufmercksamlich und mit Bedacht,
Der dunckeln Wälder hohe Pracht,
Der Blätter Menge recht besehe;
Empfindet meine frohe Brust,
In der Natur so reichen Schätzen,
Ein unbeschreibliches Ergetzen,
Ein' unaussprechlich-süsse Lust:
Weil jeder Stengel, jedes Blatt,
Jedwedes Zäserchen, jedweder Zweig und Ast,
An Farb' und Lieblichkeit, Gestalt und Zier so reich,
Ja was Bezaubernd's an sich hat.
Sie sehn sich alle fast,
Und keines völlig, gleich.
Hier sieht man tausend flach, und tausend sich verdrehn;
Dort tausend unter sich, und tausend aufwärts stehn.
Viel tausend kürtzen sich, viel sieht man in die Länge,
Bald halb, bald gantz bedeckt, bald halb, bald gantz im Licht',
Und, wann der Sonnen Glantz durch rege Zweige bricht,
So scheint's, ob mehre sich im Schatten ihre Menge.
Es sieht mein Blick bald auf- bald Seiten-wärts,
Und, in dem Sehn, bewundert Aug' und Hertz
Die Stämme knotigter bejahrter rauher Eichen,
Die fast bis an die Wolcken reichen,
Da unter ihren breiten Kronen,
Im Schatten, Lust und Ruhe wohnen.
[221]
Wenn ich von unten in die Höhe
Des Himmels funckelnden Sapphir,
Durch der Smaragd'nen Blätter Zier,
Bestrahlt durch's Gold der Sonne, sehe;
So lenck ich billig Hertz und Sinn
Zum Schöpfer aller Schönheit hin.
Der schlancken Büch- und Tannen-Menge
So wohl geformte Länge
Ist wohlgebildeten, nach allen ihren Theilen
Vollkomm'nen, Seulen,
In rechter Maasse, gleich; so, daß daran
Die schlancke Zierde jedermann
Betrachten und bewundern muß.
Der tief-gegründete getheilte feste Fuß,
Der allgemach sich in die Erde strecket,
Ist angenehm mit Gras' und Klee bedecket.
Ein grüner Sammt von Mooß verhüllt die alten Stämme
Meist da, woselbst der strenge Nord
Die rauhe Rinde trifft. Es dringen lockre Schwämme
Durch knorrichtes Gewächs, an manchem Ort.
Wer dieß, so Schwämm' als Mooß, mit Ernst, beschaut,
Der wird, Verwund'rungs-voll, auf alten Rinden,
Gebüsche, Stauden, Laub und Kraut,
Ja gantze kleine Wälder finden.
Des Ortes Alterthum zeugt Ehrfurcht, und die Schwärtze
Der grünen Dämmerung füllt, durch's Gesicht, das Hertze
Mit sanfter Sittsamkeit. Die nie gestör'te Stille
Der unbewegten Luft erregt in unsrer Brust
Bald eine süsse Furcht, bald eine bange Lust,
[222]
Bald eine sanfte Ruh', bald manche fremde Grille,
Die Frucht der Einsamkeit.
Ach, möchte mein Gesicht,
Durch diese grüne Dunckelheit
Gestärckt, des grossen Schöpfers Licht,
Das in Geschöpfen selbst so schön,
In grüner Hoffnung, deutlich sehn!
Dein Schatten, der mein Auge stärcket,
Daß es des grossen Schöpfers Macht,
In seiner Creaturen Pracht,
Viel deutlicher, als sonst, bemercket,
Vermehrt, durch sein lebendigs Grün,
Mein Hoffen, Den, so ich itzt in der Nähe
Unsichtbar gegenwärtig sehe,
Dereinst, in den gestirnten Auen,
In unverwelcklicher und steter Pracht zu schauen.
Wann mit der Blätter Meng', in der die Luft sich schwärtzet,
Der kühle Zephir sanfte schertzet,
Und in der lebenden Tapeten Pracht
Viel' Oeffnungen, bald hier bald dorten macht;
Sieht man der Sonne Gold durch diese grüne Nacht,
Wenn sich die Blätter bald eröffnen, bald sich schliessen,
Mit schnellem Blitzen strahlend schiessen,
So daß der gantze Wald zu leben scheint.
Hier sucht das Licht den Schatten zu bekämpfen:
Dort sucht die Dunckelheit so Licht als Gluht zu dämpfen,
Bis endlich Kält' und Hitz' und Licht und Schatten,
[223]
In kühler Dunckelheit
Und grüner Dämmerung, sich gatten.
Die füllet nun, in schattiger Gestalt,
Den gantzen Wald.
Es herrschet unter seinen Zweigen
Ein angenehm gemäßigt grünlich Licht,
Wodurch sich klare Schatten zeugen,
Die, durch den sanften Reitz der kühlen Dunckelheit
Und grünen Dämmerung, ein holdes heiligs Schrecken,
Ein schaudrigtes Vergnügen dem erwecken,
Der, mit gelassenem Gemüth',
Auch hier des Schöpfers Allmacht sieht.
Zier der Erde, kühler Wald,
Wohn-Platz dunckler Lieblichkeiten,
Schaudrigter Zufriedenheiten
Schatten-reicher Aufenthalt,
Deiner Dämm'rung grünlich Licht
Stärckt das leibliche Gesicht;
Möchte doch den Seelen-Augen
Auch dein Grün zur Stärckung taugen!
Möchten sie, da du so schön,
Doch, in dir, den Schöpfer sehn!
Sie sahen alles dieß, mit froher Seele, an,
Und opferten die Lust, die jeder wohl erkennte,
Daß Gott, der Schöpfer, sie ihm schenckt' und gönnte,
Dem grossen Geber fröhlich wieder,
Durch manche Danck- und Freuden-Lieder.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Wald. Der Wald. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44F7-8