[670] Die Bewegung der Sternen

Sit Pietas aliis miracula tanta silere,

Ast ego Coelicolis gratum reor, ire per omnes

Hoc opus, & sacras populis notescere leges.

Lucan.


Indem ich jüngst, zur Abend-Zeit im Dunckeln
Der flammenden Gestirn' ergetzlich helles Funckeln,
Womit das tiefe Blau des Firmaments sich schmückte,
Mit inniglich gerührter Seel', erblickte;
Erfüllete mein reges Blut
Dieß Himmels-Feur mit einer Himmels-Gluht.
Ich dachte nicht allein
Derselben leuchten, strahlen, brennen
Mit froher Anmuth nach; es drang der rege Schein
Und dieser grossen Cörper Rennen,
Ihr feurigs unaufhörlichs Regen,
Ihr unbegreiflich schnell Bewegen,
Mit welchem sie nie stille stehn,
Seit dem sie GOTT erschuff, in meine Seel' hinein.
Ich stellte gantz erstaunet mir,
Voll Schrecken halb, halb voll Vergnügen,
Des Himmels rege Cörper für.
Ihr so entsetzlich schnelles Fliegen:
Und dachte: Sollt' ein Mensch nur eine Viertel-Stunde
In diesem Grentzen-losen Meere
Der Tiefen, die unendlich, sehn,
[671]
Wie Flammen-reich der Himmels-Cörper Heere
Daselbst so schrecklich schnell hell durch einander gehn;
Wie alles sonder Ruh, und doch in Ordnung schwebe,
Wie so viel Welte sich in solcher Eile lencken,
Und wirbelnd durch einander schwencken;
Unmöglich könnt' er anders dencken,
Als daß der gantze Himmel lebe.
Fast halb entzückt durch die verhimmelnden Gedancken
Zieht gleichsam sich mein Geist aus seines Cörpers Schrancken,
Und wagt es, sich mit allem Dencken
Ins tiefen Himmels tiefste Tiefe,
So tief ihm möglich, einzusencken.
Jetzt bin ich da. Mein Gott! welch eine Schaar
Von leuchtenden Planeten, welche sich
So lieblich hell, als schnell und fürchterlich,
Bewegen, drehn, und ohn' verweilen,
Wie Blitze, durch einander eilen,
Wird mein erstaunter Geist gewahr!
Welch ein entsetzlich grosses Gantz,
Gefügt von Strahlen, Licht und Glantz,
Stellt meiner Seelen Blick sich dar!
O Gott! wie wird, bey solcher regen Gluht,
Mir doch zu Muth!
Ob diesen herrlichen Ideen,
Die mir hiebey in meiner Seel' entstehen,
Und die ich selbst nicht fassen kann,
Tritt mich ein Seelen-Schwindel an.
Der Geist, samt aller Kraft, wird gleichsam hier verschlungen,
Mein Dencken mit wird ümgeschwungen.
[672]
O Gott! wo ist von Deiner Macht
Im gantzen Reiche der Natur
Ein mehr beweisender Beweis? was zeigt die Pracht
Und deine Majestät doch herrlicher?
Wo weist in seinem Werck der wahre Schaaren-Herr
Sich prächtiger und würdiger?
Und dennoch kommt dieß alles mir,
Wenn ich sein' Allmacht überlege,
Und, bey der Creatur, den Schöpfer selbst erwege,
Nicht anders für:
(Indem ein Diamant aus viel polirten Spitzen
Viel Lichter lässt auf einmahl blitzen)
Als wär' der gantze Raum voll Glantz, ein Diamant
An unsers Schöpfers Allmachts-Hand.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die Bewegung der Sternen. Die Bewegung der Sternen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4498-F