[70] Der weisse Rosen-Busch

Die Morgen-Sonne weckte mich
Mit ihren Rosen-rothen Strahlen,
Und hieß mich, Dem mein Früh-Gelübde zahlen,
Der Selbst der Sonnen ew'ge Sonne,
Der aller Anmuth, aller Wonne
Quell, Ursprung, HERR und Vater ist,
Deß Grösse man dennoch nur nach dem Schatten miss't,
Derhalben gieng ich in den Garten,
Und sahe gleich,
Im bunt-gefärbten Bluhmen-Reich,
Viel tausend Vorwürf' auf mich warten.
Es ließ, als ob jedwede Bluhme,
Zu ihrem nicht, zu ihres Schöpfers, Ruhme,
Am ersten wünscht' gerühmt zu seyn.
Doch hieß der weisse Schein,
Worin ein Rosen-Strauch, mit hellem Schimmer, brannt,
Mich, eine weisse Rose wählen,
Die, ob ihr hoher Busch gleich noch im Schatten stand,
Dennoch die Augen meiner Seelen
So starck auf sich zu ziehen wuste;
Daß ich vor andern sie zuerst betrachten muste.
Dieß war ein hoher Busch, deß grüne Pracht so dicht,
Daß kaum der Wind
Sein ungezähltes Laub durchbricht,
Daß weder Licht, noch Luft, durch ihn den Durchgang find't,
Indem jedweder Zweig fünf Neben-Zweige heget,
Und jeder Neben-Zweig fünf schöne Blätter träget,
Die so verwunderlich verworren und verschrenckt,
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Daß sich das Aug' umsonst in ihre Tiefen senckt,
Und sich der Blick, der keinen Durchgang spüret,
Im grünen Labyrinth, doch höchst-vergnügt, verlieret.
Allein
Der weissen Bluhmen weisser Schein.
Der mir, in grüner Blätter Gründen
Der Anmuth lange Dau'r zu finden,
Durch grösser' Anmuth, nicht erlaubte,
Riß recht, als wie ein Licht, den Blick auf sich allein.
Mein Gott, wie ward mein Hertz gerühret,
Da ich, im Schimmer, der ihn zieret,
Als wie am grünen Firmament,
(Woran der Rosen Heer, wie weisse Lichter, brennt)
Ein schimmernd Sternen-Heer zu sehen, glaubte.
Wie kleine Monden, gläntzt die Schaar
Der Rosen, die schon gantz geöffnet war,
Indem die, so noch halb geschlossen sitzen,
Gleich Sternen erster Grösse, blitzen.
Die andern, die in gröss'rer Zahl,
Mit einem fünf-getheilten Strahl,
Durch noch geschloss'ne Knospen, funckeln;
Scheint eine weit entleg'ne Ferne,
Wie droben, in der Luft, die meisten Sterne,
Theils zu verkleinern, theils auch zu verdunckeln;
Ja, wie der Mond, in heiterm Wetter,
Ein wenig röthlich scheint; so scheinen hier die Blätter
Auch, durch ein röthlichs Gelb, geschmückt.
Den röthlich-gelben Glantz der lieblichen Auroren,
Wenn sie die Dämmerung gebohren,
Sieht man, mit innigem Vergnügen,
Im innern Schooß der Blätter liegen,
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Wobey ich oft ein zartes grünlichs Blau
Auf ihren äussern Grentzen schau'.
Indem ich nun vergnügt des Rosen-Busches Pracht,
Den ein Morillen-Baum beschattete, betracht';
Bricht durch desselben Baums verschrenckter Blätter Ritzen,
Mit ihrer Strahlen Glantz und süssem Blitzen,
Des holden Lichtes göld'ne Quelle,
Die Sonne, dieser Welt Licht, Leben, Wärm' und Zier,
Aus Wolcken, die sie schnell zertheilet hatt', herfür,
Und macht den Rosen-Strauch noch tausendmahl so helle.
Dadurch nun ward der weisse Schein
So sehr vermehrt, so hoch erhoben,
Daß ich, der Rosen Pracht im Sonnen-Glantz zu loben,
Mein Unvermögen bald erkannt.
Denn, konnte sie mein Kiel,
In ihres Schattens Dämmerung, kaum malen;
Ach! wie viel weniger war er dazu geschickt,
Als sie selbst von der Sonnen Strahlen
Beflossen wurden und geschmückt!
Hingegen fiel des Rosen-Busches Schatte,
Der sich so zierlich auf der Erden,
Erzeuget durch der Sonnen Licht,
So bald sie ihn berührt, gebildet hatte,
Von ungefehr mir ins Gesicht.
Statt eines blühenden Gebüsches, sah' ich zwey,
Wovon die Zeichnungen und Umriss' einerley.
Kein Knopf, kein Fäserchen, kein Stengel und kein Blatt
War, welches nicht,
Durch das gehemmte Sonnen-Licht,
Sich auf dem Boden selbst gezeichnet hatt'.
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Die netten Bildungen so vieler Kleinigkeiten,
Die sich im Augenblick erzeugen und bereiten,
Vergnüg'ten mich
Recht inniglich.
Doch, da ich noch beschäfftigt stand;
Sah' ich, wie Strahl und Licht im Augenblick verschwand,
Und, samt dem Schatten-Busch, der andern Zierlichkeiten
Geschwinde Zeichnung ja so schnell.
Was plötzlich ward, ward plötzlich nichts,
Indem der Strahl des hellen Sonnen-Lichts,
Der Vater von dem schnell erzeugten dunckeln Kinde,
Da ein schnell laufendes Gewölck ihn schnell verdeckte;
Dieß Schatten-Bild zugleich im Augenblick versteckte.
Wo nun von unserer Vergänglichkeit
Man auf der Welt ein gleiches Conterfait
In einem Dinge finden kann:
So traf ich es in dieser Bildung an.
Ich sprach, so bald ich überleget hatte:
»Die Rose, welche selbst so sehr veränderlich,
Ist doch so flüchtig nicht, als ihr so flücht'ger Schatte.
Mich deucht, o Mensch, hier seh' ich mich und dich.
Denn da das Leben recht verfliegt, als wie ein Strahl;
Sind wir (zur Warnung sag' ichs euch)
Der wahren Rose nicht einmahl,
Nein, nur der Schatten-Rose, gleich.«

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der weisse Rosen-Busch. Der weisse Rosen-Busch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-447B-2