[297] Roß-Käfer

Indem ich jüngst, im grünen Klee,
Der Wiesen Schmuck, mit tausend Lust, beseh',
Werd' ich von ungefehr gewahr,
Wie eine blaue Käfer-Schaar
In halb-gedorrtem Pferde-Mist
Sich auf hält und beschäfftigt ist,
(Ohn' an der Erden Pracht und Schätzen,
Mit welchen sie umringt, sich zu ergetzen
Und einiges Vergnügen draus zu fühlen)
In ihrem Wust vergnügt, beständig fort zu wühlen.
Ich sahe dieß zuerst nicht sonder Eckel an,
Bis ich mich überwand,
Und eine kurtze Zeit bey ihnen stille stand;
Da ich auf ihr Betrieb, mit ernstem Dencken, sann.
Es scheint, ich sollte mich fast der Vergleichung schämen,
Fiel mir zu Anfang bey,
Von dieser Bruth ein Beyspiel herzunehmen,
Als ob in ihr und uns was gleiches sey;
Allein,
Fiel mir, beym fernern Dencken, ein,
Es ist ja dennoch wahr. Warum soll ich's nicht sagen?
Vielleicht vermag des Beyspiels Scheußlichkeit,
Zur Lehr' und Besserung, was beyzutragen.
Wenn ich den geitzigen Chrysander,
Samt seines gleichen, bey einander
Mit nichts, als ird'schem Koth, beschäfftigt seh',
An welchem sie mit Leib und Seele hangen,
Nichts anders suchen, nichts verlangen,
Den edlen Geist, mit allen seinen Kräften,
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Auf nichts, als Gold und Reichthum, heften,
So Tag als Nacht auf anders nichts gedencken,
Nicht einen Blick auf sich, auf Gottes Wercke, lencken;
So scheinen sie ja wohl nichts bessers werth,
Als daß sie mit den Käfern in der Erden,
Den Bürgern faulen Mists, verglichen werden.
Doch halt, mich deucht, wie sich Chrysander hier erklärt:
Wie kommt es doch, daß dir so Geld als Mist
So scheußlich und verächtlich ist?
Da sich jedoch die gantze Welt
Durch Geld und Mist allein erhält.
Durch Mist wird Fruchtbarkeit in Land' erreget,
Das uns die Kost und Nahrung träget;
Durch Geld wird alles das erhalten,
Was uns erhält, vergnügt und schützt,
Was uns bey Jungen und bey Alten
Gewogenheit erreget, Ansehn giebt,
Wodurch man uns verehrt und liebt:
Ist dieß denn nicht der Mühe werth,
Daß man es achtet und begehrt?
Dieß ist zwar wahr, Chrysander, aber höre,
Du hast ja alles dieses nicht.
Dir fehlt Beqvemlichkeit, Vergnügen, Lieb' und Ehre,
Nichts ist fast, das dir nicht gebricht:
Indem du gar nichts Gut's mit deinem Gelde schaffest;
Es bloß allein zusammen raffest,
Um Geld auf Geld zu häufen; dich vernarrst,
Und bloß nur, um zu scharren, scharrst.
Sollt' alle Kraft von deiner Seelen,
Die Absicht, daß du worden bist, allein
Auf Geld zu sammlen und zu zählen
Bestimmet und genommen seyn?
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Indem mein Geist auf diese Weise dencket,
Die Augen auf der Käfer Schwarm gesencket;
Seh' ich, wie einer schnell sich aufwärts hebt,
Und, mit geschwindem Flug, in reinen Lüften schwebt.
Ach, dacht' ich, möchte dieß Chrysander sehen,
Und, durch den Wurm gerühret, in sich gehen,
Und aus dem Koth sich so, wie er, erhöh'n,
Und schauen, wie die Welt, des Schöpfers Werck, so schön!
Allein ich fürchte sehr, er lässt den Käfer fliegen,
Und bleibet, nach wie vor, in seinem Unrath liegen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Roß-Käfer. Roß-Käfer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-445E-4