Clemens Brentano
Johann Joseph von Görres
Entweder wunderbare
Geschichte von BOGS dem Uhrmacher,
wie er zwar das menschliche Leben längst
verlassen, nun aber doch, nach vielen
musikalischen Leiden zu Wasser und zu Lande,
in die bürgerliche Schützengesellschaft
aufgenommen zu werden Hoffnung hat,
oder
die über die Ufer der Badischen Wochenschrift
als Beilage ausgetretene
Konzert-Anzeige
Nebst des Herrn BOGS wohlgetroffenem Bildnisse
und einem medizinischen Gutachten über dessen
Gehirnzustand

Kund und zu wissen allen, denen zu wissen nötig!

[875] Kund und zu wissen allen,
denen zu wissen nötig!

– sondern nach den trefflichen Gesinnungen des Schicksals für das Wohl derer, die von seinen Schlägen, Ritterschlägen, sollen getroffen werden, ist ohnlängst die Erde und das Leben, deren zeitherigem Mietsmann, dem Menschen, aufgekündigt worden, weil er selbige ganz in Verfall kommen lassen, man ihn auch darüber ertappt, daß er das Brot auf die runde Seite gelegt, das Licht mit den Fingern geputzt, und die Schuhe mit der Kleiderbürste abgekehrt, und dergleichen Menschlichkeiten mehr. Er wurde in den Schaden und in das böse Beispiel condemniert, seine sämtliche Gerätschaft, bestehend in einigen unbrauchbaren Phantasien, mehreren alten fabelhaften Geschichten, abgeschmackten Vorurteilen, Vaterlandsliebe, und einer ungedruckten Bibel, die kein Manuskript war, etc., öffentlich an den Meistbietenden versteigert; da aber zu wenig herausgekommen, hat man sich an mehreren Bäumen, die er selbst gezogen, erholt, sie forstmäßig geschlagen und veräußert. Da nun Erde und Leben wieder aufgescheuert und geschmackvoll angetüncht, das Dach repariert und ein verschlossenes heimliches Gemach angebracht worden, ist es unter dem neuen Schilde Land und Staat an einen namens Bürger in Erbpacht, unter vorteilhaften Bedingungen, überlassen worden, welcher die Back- und Braugerechtigkeit erhalten, einen guten Quittenschnaps und Firnewein verzapft und seinen verehrten Gönnern prompte und billige Bedienung verspricht. Dieser neue Mietsmann nun hat seine Wirtschaft mit folgender edeln Handlung eröffnet: Da einige Propheten, weise Meister, Philosophen, Schwärmer, Dichter, Musiker, Maler und Künstler obige Armseligkeiten des Menschen an sich gekauft, und diesem der Stuhl vor die Türe gesetzt werden sollte, war nicht nur kein Stuhl, sondern auch keine Türe vorhanden; der edle Bürger ließ daher auf eigne Unkosten aus den erstandenen Bäumen einige Stühle und eine Türe machen, setzte die ersten vor die letzte, bat den Menschen, sich bei ihm häuslich niederzulassen, und das, was das Haus vermag, vor Liebe zu nehmen, auch versprach er ihm, die Haut über die Ohren zu ziehen und bei ihm selbst gerben zu lassen. Dieser aber wollte nicht sitzen und bat sich nur einen [875] Stein aus, sein Haupt darauf zu legen; der Bürger sah den Stein an, er war ihm nicht brauchbar, und überließ ihm dem Toren, nachdem er zuvor alle seine alten Nägel gerade darauf geklopft. Dieser lief nun mit dem Steine davon, und es wird gesagt, der Stein sei der Stein der Weisen gewesen, und der Mensch habe sich mit demselben zu den obgenannten obskuren Käufern seiner andern Habseligkeiten gestellt und treibe mit ihnen sein Wesen seit ewigen Zeiten in jeder neuen Kunst und Poesie, und heutzutage wieder; der edle Bürger glaubt aber nicht an solche Vorurteile, und überließ es lange den trefflichen Anstalten des verblichenen allgemeinen deutschen Bibliothekars und dessen entwichenen freimütigen Erben, vor jenen Toren zu warnen. Sind nun auch beide leider von jenem Gezüchte überlebt worden, so dürfen wir doch nicht verzweifeln, daß der ungeschickte Baum, den auszurotten bis jetzt alle Forstbeile ermüdeten, der in der Erde wurzelt und den Himmel trägt, und in dessen unendlichem Gezweige sich jene losen Vögel, Zifferfeinde und Ungeziefer eingenistelt, mit seinem dumpfen mystischen Schatten uns die Sonne gänzlich entziehen und die Quartiere in Land und Staat ungesund und unbequem machen möge, denn es ist noch ein Gott da, der alle Morgen ein Blatt fallen läßt, damit ein Strahl nachfalle, und so werden wir nächstens jenes Gesindel schußrecht bekommen, in den Baum werden sodann einige geblendete und getäubte privilegierte Singevögel nach der besten Klassifikation in geschmackvollen Käfigten klassisch aufgehängt werden; die Nachtigallen aber können des verbotenen Einfangens wegen nicht in Person geliefert werden, doch werden ihre Werke auf Pränumeration nicht allein in Druck und Papier, sondern auch in Druckpapier zu haben sein. Statt lebendiger Nachtigallen wird, sobald der Baum etwas gereinigt und ihm das fatale Nachwachsen abgewöhnt worden, eine Kompagnie getaufter Juden hineingesetzt und gehängt werden, welche die Nachtigallen perfekt nachmachen können. Zu solchem Vogelschießen läßt eine löbliche Schützengesellschaft, mit Erbietung alles billigen Pläsirs, Herren und Damen höflich einladen. Hunde mitzubringen ist erlaubt. – Zugleich fordert der nunmehrige Erbpächter, der die ehemalige Welt und das Leben mit so vielen Unkosten in ein kommodes Land und Staat hat [876] umarbeiten lassen, alle, die von ungefähr noch Menschen sein sollten, auf, sich binnen sächsischer Frist zu melden, ein Selbstbekenntnis über ihren Charakter und ihre Grundsätze abzulegen, und der Gesellschaft der Menschen gänzlich zu entsagen, wenn sie ferner in der Anstalt wollen geduldet werden.


Land- und Staats-Adreß-Industrie- und bürgerliche Schützengesellschaft, zu erfragen in des verschollenen landräumig gewordenen Menschen ehemaliger Behausung.


Nachdem ich obiges Plakat gelesen hatte, raffte ich, der Uhrmacher BOGS, sogleich meine wenigen Grundsätze zusammen, um solche der Schützengesellschaft treuherzig vorzulegen, und um eine gütige Aufnahme in die bürgerliche Gesellschaft anzusuchen.

Selbstbekenntnisse des Uhrmachers BOGS

Selbstbekenntnisse des Uhrmachers BOGS, welcher zwar längst das menschliche Leben aufgegeben, nun aber doch in die bürgerliche Schützengesellschaft aufgenommen zu werden wünscht

Nachdem meine Vorfahren bereits so lange das Leben unter Händen gehabt, ist es mir, Gott sei Dank, schon in der Gestalt einer wohleingerichteten Uhr überkommen, welche so in der Ordnung ist, daß jeder, der ihren Ketten und Rädern sich nicht drehend anschließt, gekettet und gerädert wird. Als Kind war ich schon so im Kreise herumgedreht, daß ich schon rund dumm war, da ich zu Verstande kam, und das erste Wort, das ich redete, war an meine poetische und verliebte Kindermagd: »Mensch, lasse Sie mich unter kein Rad kommen, damit ich selbst ein gut Rad oder eine gesunde Speiche werden kann.« Endlich selbst zum Maschinengliede erwachsen, arbeitete ich, um Zeit zu gewinnen, an Uhren, und setzte mich in meinen Freistunden auf einen Ast, den ich hinter mir abhieb, um mit herunterfallend den Ast und die Zeit des Herabsteigens nicht zu verlieren. Auch wußte ich immer, wieviel an der Uhr ist, um nicht zu wissen, wieviel oder wenig an der Zeit sei. Auch verlieh mir Gott das Talent der Beredsamkeit, durch welches [877] ich einstens dem Staate viele brave Uhrmacher erhalten, die auf dem Punkte waren, unter die Menschen zu gehen. Ich arbeitete damals im Auslande, und es war einer unserer Gesellen von einem holländischen Generalstaaten, weil er ihm zu viel von spanischen Nobels und dem Bruder Grafen erzählt, im Zorne elendiglich ermordet worden; am Grabe dieses Jünglings, der von Schelmuffskischer Abkommenschaft gewesen, waren alle Uhrmacher versammelt, eine Leichenpredigt zu hören, welche also begann:

»Selig der, dem, ermüdet an dem ewigen Einerlei des Drehens und Gedrehtwerdens, die Sonnenidee Ewigkeit einen unsterblichen Strahl in das Leben, tröstlicher noch in den Tod wirft. Aber, leider, ist das Werk verbaut durch sich selbst und das Gehäus, damit kein hindernder Staub es auf stillstehende Gedanken bringe. Der Verstand stehe einem still und der Kopf laufe mit einem davon, hat man uns zu fürchten gemacht, damit es uns nicht einfalle, stille zu stehen, und zu erstaunen über uns oder das Werk. Da liegt er nun, das unglückliche Schlachtopfer, der Verstand steht ihm stille, wie der Puls. O hätte er die Ewigkeit außer der Zeit, und das Unendliche außer dem Raum gesucht, statt Uhren zu machen, hätte er die Ewigkeit der Idee in die Zeit als Musik, das Unendliche der Idee in den Raum als Bild gebracht, usw.«

– Sotanes und der Art unsinniges Geschwätz setzte mich in die größte Besorgnis um meine noch nicht konfirmierten schwankenden Mitbrüder, welche ich bereits halb objektive und halb subjektive Gesichter schneiden sah; ich sprang also aufs Grab und unterbrach jenen von der neuen Schule angestellten Redner folgendermaßen:

»– Ho, Ho! daß wir nicht blind in die Migräne hineinrennen und gar Hirngeburten hervorbringen, sage Hirnsgespinste, in welchen keine Fliege geschweige ein Pfennig hängen bleibt, o laßt uns an jenem alten heidnischen Gotte Jupiter, der zuletzt als Invalide unter die Planeten gesteckt worden war, ein warnendes Beispiel nehmen. Er mußte, weil er neben die Schule gegangen und in unehelicher Begeisterung mit irdischer Schönheit mancherlei unbrauchbare Fantasten, als da sind Götter und Helden, erzeugt, endlich selbst zur Strafe eine ewige Jungfrau, [878] die Patronin aller Schulen und Schulmeister, unter großen Schmerzen durch eine Kopfwunde gebären, welche ihm mit einem Beile gemacht worden. Lasset uns durch diese traurige Begebenheit das Verständnis eröffnet sein, damit es uns nicht mit der Holzaxt eröffnet zu werden braucht; bedenken wir Eltern, Weib und Kind, oder auch die schweren gewissen Kosten einer schweren ungewissen Kur, und sehn wir lieber auf unser Maul, da haben wir Wunde genug, auf welche uns Mutter Natur gewissermaßen mit der Nase gestoßen, daß wir sie stopfen sollen – also Brotstudium! Brotstudium! Heil dir Bauer, Müller, Bäcker! dann erst Heil dir Maul, Magen, Mensch! der wieder Bauer, Müller, Bäcker werden kann. Dieser letzte Satz aber ist mit dem Segen, der alle gute Absicht überrascht, rund geworden, und ich kehre auf ihm zurück zu der Sache, dem Uhrwerke des menschlichen Lebens, von welchem wir ein so hoffnungsvolles Abbild hier der Wut des holländischen Generalstaaten aufgeopfert beweinen. Laßt uns an dem Grab unsers Freundes nicht durch diesen Prediger aus der neuen romantischen Clique, die gegen die klassischen Uhrmacher einen Bund geschlossen, irrewerden, und bleibt bei der Erfahrung, daß keine Sonne ins Leben als ein Uhrwerk scheinen darf, denn es könnte Staub mit hineinfliegen, und das Ausputzen oder Einschmieren kostet Geld. Ja selbst hineinzuhauchen ist gefährlich, damit das Werk nicht anlaufe und roste; darum laßt uns auch bei dieser Betrachtung, wie bei jeglicher, den Atem anhalten; denn, hauchte Gott gleich Seele in den Erdenkloß, dem es not tat, Adam zu werden, so geziemt es uns doch nur, mit dem Pflugschar das Erdenkloß zum Acker zu bilden, und mit grünender Furche die Scharte Adams auszuwetzen, weil unsre Seele das Metall ist, und wir nur durch dieses beleben und belebt werden können; es ist Feder und Gewicht an der Uhr und, wenn mans beim Lichte besieht, was aber behutsam geschehen soll, gar die Uhr selbst.« –

So erhielt ich durch meine Geistesgegenwart viele brave Uhrmacher bei Verstand.

Ich suchte später meine Kunst immer zu vervollkommnen, und fing endlich die sieben freien Künste selbst ein, um meine Uhren zu verschönern. Die Malerei lieferte mir allegorische [879] Zifferblätter und Emaillen, die Bildhauerei schöne Figuren, welchen ich statt der altfränkischen Uhrgehäusen die Uhrwerke in den Magen oder rittlings zwischen die Beine setzte; der Musik bediente ich mich dann und wann zu einem anmutigen Glockenspiel, und der Religion wegen stellte ich meine Uhren auf Kirchentürme, denn es wird zu bestimmten Stunden Gott verehrt, und dauert eine Predigt kaum eine Stunde über die Langeweile. Dennoch hoffe ich nicht, daß dies ein Beweis sein könnte, als habe ich menschlicher Neigung zu freien Künsten nachgegeben, denn ich bedachte wohl, daß solche zierliche Uhren sehr teuer sind, selten abgehen, und oft in der Mode wechseln, da liegt einem dann der teure Artikel auf dem Laden; darum, wer anders kann, lege nicht sich und seine Phantasien an den Laden, sondern eine Reihe gut gebackne Semmeln und Brote, die finden immer ihren Abnehmer. – Am schwersten ist mir dennoch die Bändigung meiner Neigung zur Musik geworden, und wird es mir noch täglich. Denn nachdem die alte Kirchenmusik, dieser Abgrund und Gipfel aller Töne, in und auf welchem der Mensch vor seinem Gott sich demütigen, zu seinem Gotte sich erheben mag, gänzlich in Vergessenheit gekommen ist, kann ich doch nie einstimmen, daß wir sie abgeschafft, weil sie nichts taugte, sondern ich glaube, sie hat uns verlassen, weil wir nichts taugten. Mit großer Verlegenheit lege ich einer löblichen Schützengesellschaft nun diese meine fixe Idee, als taugten wir nichts, aber sans comparaison, vor, und ersuche sie mit meiner wahrscheinlich physischen Schwäche eines sehr reizbaren, etwas zum Trunk geneigten Ohrs nachsichtig zu sein. Ich glaube nämlich, oder es tut mir Gewalt an zu glauben, jedoch auf Ehre ganz wider meinen Willen, ja ich möchte oft des Teufels drüber werden, daß ich immer glauben muß, die Kirchenmusik habe uns verlassen, weil wir nicht mehr aus Andacht, Liebe und Begeisterung beten, weil uns das Wort hinreicht, und wir der reinen, ewigen, allsagenden Musik nicht mehr bedürfen, die Seele auszuprägen, die nicht mehr unaussprechlich das Unaussprechliche liebt. Jener Abgrund und Gipfel der Töne sind nun, damit kein Mensch oder Vieh hineinstürze, und um das Geländer zu sparen, durch einander ausgefüllt worden. Der Boden ist geebnet –, und bei dir läßt sich [880] nun gut tanzen: rupfende, stupfende, kokettierende Tanzmusik die ihren Compositeur und Tanzmeister auf dem Blocks- und Venusberg in die Schule schickt – bei dir läßt sich gut lieben weichliche musikalische Unzucht, süße buhlerische Arie, die in tausend lüsternen Manieren gaukelnd die verführerischen Äpfel des Paradieses wirft und fängt, nackt um den Apfel des Paris buhlt und die goldenen der Atalante der Tugend in die Rennbahn wirft. – Und bei dir läßt sich ein leerer Tag am Abend gut vollsaufen oder ein dürrer, trockner Arbeitstag kraus und bunt zu Bette legen, du ewig kontrastierende, hin- und herzausende Oper, welche läuft, um einzuwurzeln, einwurzelt, um aufzuschweben, aufschwebt, um zu versinken, versinkt, um zu rühren, und rührt, um lachen zu machen; und all ihr andern weltlichen Tongebilde, Sonate, Symphonie, oder wie ihr sonst heißt, Würzkonfekte von Tugend und Teufel, Karl Moor usw., habt leider großen Raum gewonnen vor den Engeln Gottes, die sonst auf der Tonleiter Gottes Schöpfeimer auf- und niederreichten, und sie in der Brust des schlummernden Jacobs füllten und leerten. Jetzt liegt die Tonleiter am Gerüste eines Feuerwerks und einer Illumination, welche auf des Teufels Namens- und Geburtstag, und auf seiner Großmutter silberne, goldne und papierne Hochzeit, angesteckt werden. Auf solche verzweifelte Gedanken muß man kommen, wenn man etwas bei euch zu denken notgedrungen wird, denn die Töne sind so göttlicher reiner Natur, daß sie, noch so sehr cujoniert, noch so sehr zu bloß weltlicher Lust und sündlichen Träumen zusammengekomponiert, so nenne ichs, uns gespenstisch schrecklich anlächeln, wie Engelsköpfe und Heilige lebendig in irdische Lustwände eingemauert.

Ich fürchte leider, eine hochlöbliche Schützengesellschaft möge finden, daß solche Empfindungen, wenn zwar nicht nach Menschlichkeit, doch auch gar nicht nach Bürgerlichkeit schmecken. Doch ist es möglich, daß ich, bereits mehr bei Jahren, und auch seit meiner Verheiratung keine Konzerte und solche Häuser mehr frequentierend, vielleicht jetzt einige modern weltliche Musik, ohne zu verzweifeln, ertragen kann; es käme auf eine Probe an. In jedem Falle tue ich die Erklärung, daß ich unter allen Arten von Musik, ich mag sie anhören, wie [881] ich will, für Leute, die mit Denken unbehutsam oder behaftet sind, jede Musik für schädlich und nur das Trommeln für nützlich halten muß, mit welchem die Tarantulisten kuriert, die Krieger ermutigt, die Feueranstalten befördert, die Ratten vertrieben und Neuigkeiten kund und zu wissen getan werden; sodann halte ich das Glockenspiel, insofern es das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet, unter aller Musik allein für unschädlich – alle andre Musik wäre nach meinem System, außer höchstens Hörnern der Wächter und Hirten, den privilegierten Apothekern allein zu führen, und allein auf Verordnung promovierter Ärzte (wovon ich unsere neuphilosophischen ausnehme) auszuliefern erlaubt.

Solche Gesinnungen habe ich immer in meiner Werkstatt gehegt, und, Gott sei Dank! sind meine Uhren stets gesucht und im Dutzend das Stück gern zu zehn Gulden bezahlt worden.

Und nun bin ich erwartend, ob eine hochlöbliche Schützengesellschaft mich der Ehre der Inkorporation für würdig halte.

BOGS, Uhrmacher


Hierauf erhielt ich ein Reskript des Inhalts: »Wenngleich Eure übrigen Gesinnungen ganz bürgerlich sind, so können doch Eure ausgesprochenen Tollheiten über Musik mit Land, Staat und Schützengesellschaft sich nicht wohl vertragen. Wir schlagen Euch daher zur Bedingung der Aufnahme folgende Prüfung zu bestehen vor. Einige treffliche Künstler auf Fagott, Klarinett und Waldhorn, und eine brave Sängerin, werden sich heute hier hören lassen; besucht dieses Konzert, und könnt Ihr uns beweisen, daß Ihr nicht dabei zu sehr hingerissen worden, so mag die Inkorporation vor sich gehen.

Die Schützengesellschaft.«


Nun hatte ich einigemal schon gehört, diese Männer vermöchten mit ihrer Kunst auch dem nützlichsten Brotstudenten auf einige Zeit das Herz und die Seele gen Himmel zu heben, und war in ziemlicher Angst. Anfangs wollte ich mein Herz und meinen Kopf zu Hause lassen, aber zuletzt mußte ich doch ersteres der Courage und letzteren des Hutes wegen mitnehmen. Um einigermaßen vor den mir anvertrauten Gesellen das böse [882] Beispiel zu maskieren, und überhaupt für den möglichen Fall, steckte ich mehrere billige Galanterie-Uhren zu mir, und sagte, wie ich gehört, das Konzert werde vielleicht von Standespersonen und Enthusiasten besucht, welche oft von der Gnade oder Kunst wie in einem Luftballon aufgehoben werden und dann gern goldne Uhren oder Schnupftabaksdosen zu dem Künstler herabwerfen, teils ihn, teils sich zu ehren, teils durch so nützliche Geschenke einen feinen Wink zu geben, daß sie wohl noch wissen, was eigentlich Wert hat. Die Uhren handle ich dem Künstler dann wieder ums halbe Geld ab, und kann man mir es also verdenken, daß ich ins Konzert gehe, um so mehr, da man mir ein Billet geschenkt hat. Dieses sagte ich, aber das letzte war nicht wahr, ich mußte 48 Kreuzer geben, weil ich das Abonnement um 40 Kreuzer versäumt hatte, ich bezahlte jedoch in Sechskreuzer-Stücken, welche nur 51/2 Kreuzer wert sind, und also nur 44 Kreuzer.

Untertänigster Bericht an eine hochlöbliche Schützengesellschaft

Untertänigster Bericht an eine hochlöbliche Schützengesellschaft über das verordinierte Konzert

Ich eile, einer höchlöblichen Schützengesellschaft meine wunderbare Zufälle in dem mir ordinierten Konzert mitzuteilen, und möge sie über mich beschließen, was sie für gut hält, doch ersuche ich dieselbe, einigermaßen zu meinem Vorteil sprechen zu lassen, daß ich zwar den Kopf verloren, aber alle meine Taschen-Uhren mit herausgebracht, welche zu Hause abzählend und richtig befindend, ich mit meinen fünf Sinnen verglichen und, Gott sei Dank! mich annoch komplett erhalten sehe.

Mein Herz pochte, alle meine Pulse schlugen, meine ganze Person knisterte von den gehenden Taschenuhren, die Musikanten stimmten, die Lichter blitzten, die Menge summte, man wich aus meiner Nähe, man hielt mich für die geladene Flasche einer Elektrisiermaschine, der Saal drehte sich mit mir, aus allen Instrumenten brach ein Orkan von Tönen, ich drückte die Augen zu, die Knie zusammen, die beiden Hände in den Rocktaschen, meine Uhren fassend, adieu Welt! der Sturm einer [883] Haidnischen Symphonie griff in meine dünnen Haare, mein Gehirn schlupfte mit allen seinen Fähigkeiten zu den Ohren heraus, tat sich auseinander wie zwei Segeltücher, die der Wind aufbauchte, der mich durch Himmel und Erde, Wasser und Feuer trug, und einigemale an Felsen schleuderte, ach, meine Uhren! Wehe! Wehe! ein Leck, ein Leck, wir gehn unter! Die Elemente drangen an allen Seiten herein, die Segel zerrissen, und durch meine Ohren strömte ein Strudel Musik, ganz schmeckend wie der feurige zehnmal abgezogene Alkohol, stieg, stieg, füllte das Haupt, unter ging die Welt, aus den Augen brannte, weinte ich. Ich war auf dem Abgrund eines Meeres, alle Leute waren Fische, ich selbst eine Art Hering, ich sah mich tausendmal, da rührte Musika gewaltig, ein Walfisch erhob sich, vor uns sprangen Todesfantasien aus seinen Nüstern, ein Schlag mit seinem Schwanz, ein Strom, hin fuhren wir alle in seinen Rachen, da saß Jonas, der sang und lobte Gott; ich sagte ihm, daß ich ein Uhrmacher sei, und daß es eben halb sieben geschlagen. »Gut«, sagte er, »nun werde ich gleich ausgespien; ich will Sie mit nach Ninive nehmen und für Geld sehen lassen.« Ich warf mich ihm um den Hals, das Tier hob sich empor, blauer Himmel, grünes Land, schnalz eine Wasserwolke schleuderte uns ans Ufer; es ward ruhiger, mir war, als sei der Saal das Heidelberger Faß, und das Publikum und ich lauter kleine Essigschlangen. Oben dem Spundloch hinein hing brennender Schwefel, der mich mit süßem blauem gelbem Giftlichte täubte, alle Lichter des Saals hatten große violette Höfe, kleine feuchte Flämmchen leckten an den Wänden hinauf, da schossen plötzlich aus allen Violinen Myriaden brennender Zinnoberschlangen hervor, züngelten, ringelten, webten einen feurigen Teppich, aus dem wieder tausend goldne Ähren und Blumen sproßten, im Hintergrund ging Ninive unter, Simson sprang rasselnd aus den Pauken und zuckte nieder, aus den Trompeten stürzten Füchse, Feuerbrände an den Schweifen, hervor, in die Ähren, alles brannte nieder. Da saß ein Hirtenknabe, Klarin genannt, in der glimmenden Asche, und klagte rührend: »Wehe, wehe, ich verschmachte!« und hatte eine Wünschelrute, die schlug an, die Flöten gossen Ströme süßen Mandelöls, und auf ihnen schwamm eine liebliche, schlanke [884] Sirene heran, sie näherte sich dem Hirten, und reichte ihm einen Trunk aus dem Becher von Thule, und wiegte und drehte das wunderschöne Haupt, schaute dann still und groß vor sich hin, und blickte den Hirtenknaben an, und sang zu ihm, und sprach zu ihm, da wuchs das Herz ihm sehnsuchtsvoll, wie bei der Liebsten Gruß, die Woge rauscht, die Woge schwoll, netzt ihm den nackten Fuß, sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm, da wars um ihn geschehn, halb zog sie ihn, halb sank er hin, und ward nicht mehr gesehn; und es stürzten tausend Flammen aus den Violinen, und tausend Salamander badeten sich in ihnen, und aus den Bratschen und Violoncellen stiegen tausend Philister, aber Simson sprang wieder aus den Pauken und erschlug sie mit dem Kinnbacken, und wie sie sanken, stand Abendrot am Himmel und erlosch, und Nordschein goß sich aus den Trompeten; da stieg eine ernste schwarze Sphinx aus dem Basse und sang im Grabeston, und im Nordschein zog alles leise hinunter. Die Symphonie war aus, der Kopf der Sphinx war wieder der Knopf der Baßgeige. Der ganze Bienenkorb begann nun zu schwärmen, es war ein groß Gesumme, und jede Drohne wollte eine Königin sein, ich selbst kam zu Verstand, meine um die Uhren geklammerten Fäuste taten sich auf, und zählten bange wieviel Stück, und alle waren vorhanden. Nun erst ließ ich die Blicke schweifen, da stand dicht neben mir, Gott weiß es, der selige Schelmuffski, dessen elendige Ermordung durch den holländischen Generalstaaten ich oben erwähnt, mir schauderte die Haut, denn sein Mörder selbst stand in bester Freundschaft neben ihm; ich traute meinen Augen nicht, sollte es noch Folge der Musik gewesen sein? sie warens beide, die Dame Charmante saß auch da, und der Herr Bruder Graf hatte ein Fäßchen Klebebier, woraus er von Zeit zu Zeit der ganzen Compagnie Bescheid tat; als der von Schelmuffski die Uhren so knistern hörte, trat er zu mir und sprach: »O Sapperment, Salzsack, gehe aus dem Feuer, ich glaube, deine Seele ist eine harte Brotkruste, und die Musculi deines Leibes sind Mäuslein, welche daran knuspern« (er meinte die Uhren). Ich fragte darauf meinen Nachbar, der von der löblichen Schützengesellschaft sein mußte, ob er die Geschichte von der Ratte, oder den einunddreißig Pumpelmäusen, die dem Herrn Bruder Grafen [885] so trefflich wohl geschmeckt, nicht kenne, denn war jenes der von Schelmuffski, so hatte er gewiß die Geschichte von seiner wunderlichen Geburt schon erzählt; aber der Mann wußte nichts davon, und sagte, der Kerl dort sei ein Bilderhändler vom Comersee aus Tremezzo, der nicht an den Takt glaube, und sich studierenshalber hier aufhalte über die Leute, der andre aber sei ihm unbekannt und esse gern weiße Bohnen, doch lieber noch grüne Erbsen, und als ich eben Mut fassen wollte, den vermeinten Schelmuffski anzureden, ging der Zauber wieder los.

Fliegende Sonnen schwebten aus allen Violinen und glänzten im Sonnenstrahl. Da trat eine klare nette Jungfrau auf, sie weinte und sang, daß Klarin in den Fluten ertrunken, und wollte in ein Kloster gehen, und löste die braunen Locken, die ringelten sich nieder, und spielten duftend in der Luft, da hob sie eine kleine goldne Scheere und sprach: »Ach ist dann keiner da, dem ich die Locken gebe, daß er meiner gedenke?« Da flatterten viele, viele Engel, blonde, braune Liebes-Engel, aus ihren Locken und wollten alle die Locken, und spielten und gaukelten, aber sie klagte und rief: »Klarin, höre mich, dir weihe ich die Locken«, und die goldne Scheere schnitt, die Locke fiel, die Engel baten, aber sie war ernst, und trat ans Meer, das aufschwoll, und die Locke empfing, dann sah sie gen Himmel, die Engel aber scherzten und sammelten den fliegenden Sommer und webten singend einen blinkenden Schleier, den senkten sie über ihr Haupt, und verhüllten sie. Dann breiteten sie den Mantel der Jungfrau auf den Wellen aus, sie trat darauf, die Engel spannten die Flügel aus und standen auf dem Mantel; da zogen sie in ein fernes Land, und sangen: »Wohl über das Land, und wohl weiter, wohl gar über die weite See.« Aber es entstand ein Sturm, die Schiffsengel wurden uneins; sie stritten und versanken. Ich war sehr traurig um die schöne Gesellschaft, da heiterte sich die Luft, und auf einem einsamen Felsen stand ein weißer und ein schwarzer Engel, die stritten um die Seele Klarinettens, die zu ihren Füßen verschied; und da sie nicht einig werden konnten, riefen sie die Sirene zu Hülfe, die stieg aus den Wellen und Klarin mit ihr; als dieser seine Geliebte sterben sah, weinte er sehr, und sie faßte Mut und redete, und freudiger und [886] immer freudiger und richtete sich auf, und in ihrer Hand war ein Schwert, und sie schlug den bösen Engel, und der Himmel tat sich auf, und eine Leiter kam herab, und alles wimmelte mit Engeln, die die Jungfrau umfaßten und emporhoben. Klarin aber blieb zurück und klagte, da sang die Sirene wieder und verführte ihn, und er sank unter in den Schoß der Luft. Mir aber knackte es im Genicke, als ich wieder zu Sinnen kam, denn es war mir gewesen, als hebe mich der musikalische Zauber mit beiden Händen an den Schläfen empor, wie mein Großvater tat, da ich noch Knabe war, um mir die lieben Engel zu zeigen, wie er sagte, bei welchem ich aber nie dergleichen gesehen. Hier aber schneite es Engel mehrere Schuh hoch übereinander, sie warfen sich mit Schneeballen und machten große Schnee-Engelmänner aus sich selbst, und da sie endlich wieder verschwanden, sangen sie: »Drei Wochen nach Ostern da geht der Schnee weg, da heurat ich mein Schätzel, und du hast den Dreck«; andre: »Zu Koblenz auf der Brücken, da liegt ein tiefer Schnee, der Schnee, der ist zerschmolzen, das Wasser läuft in See.« Ich glaube, wenn es noch lange gedauert, und ganz Engelland nicht verschwunden wäre, wir hätten alle die englische Krankheit gekriegt und wären auch so herumgeflackert und hätten uns die Köpfe eingestoßen. Ich erwachte in solchem Entzücken, daß ich eine meiner Sackuhren hervorzog, und das neben mir stehende Schützenmitglied fragte (welchen ich an einem Bandelier aus zehn zinnernen Suppentellern, das er bei dem letzten Vogelschießen herausgeschossen und um den Hals trug, er kannte), ob er die goldne Uhr nicht kaufen wolle, um den Künstler damit zu belohnen. Er fragte, wofür? »Ei, für die vielen Engel, die er um uns her hat fliegen lassen.« – »Haben Sie dergleichen gesehen?« sagte der Schütze. »Und Sie nicht?« – »Nein«, sprach er gutmütig lächelnd, und kneipte mir in die Backen, »Lieberchen, ich will Ihnen nur sagen, was es ist; sehn Sie, dieses Tellerbandelier, das ich trage, ist englisch Zinn, und die Engel darauf haben das all getan. Sie sind irre, und mir gebührt die Uhr, die ich untertänig annehme.« Und krapsch schnappte er mit fünf Fingern darnach; aber prost die Mahlzeit, ich hatte die Faust schon wieder in der Tasche, und er ward rot wie ein Zinshahn. »So haben wir nicht gewettet, hier gehts [887] nicht, wie bei der Äpfelfrau«; da hörte ich plötzlich hinter mir sagen: »o Sapperment! dergleichen Blasen hab ich noch nicht gehört, das war, der Tebel hol mir, grade wie zu Akra, als ich beim großen Mogol obenan zu Tische saß, die große Mogolin saß zur Rechten, und drückte mir immer die Fäuste und gab Freiens bei mir vor, da ging auch solch herrliches Gebläse an.« Das ist, das ist mein Schelmuffski, er lebt, er ist vielleicht lebendig begraben gewesen; ich wollte mich umdrehen, aber mir schwindelte, ich sah keinen Menschen; geschwind die Uhren wieder gepackt, es ging abermals los, das mir eben nicht zum Angenehmsten war, denn ich war bereits von den vielen Strapazen der Empfindung halb verschmachtet, meinem Gemüte hing die Zunge aus dem Maule, wie einem durstigen Windhund, und weil mir solche immer einem eleganten Stückchen Schinken ähnlich erschienen, wässerte mir der Mund darnach und dürstete mich wieder mehr darauf. Da sprangen plötzlich viele Fontänen und kreuzten ihre brillantenen kühlen Bogen zur Laube, die wie ein chinesisches Feuerwerk hinauffunkelte, und mitten in die Laube trat eine Stimme, gestaltet wie eine Jungfrau, sie trug eine kristallne Vase voll Orangen und Apfelsinen, in kühlendem Eise eingemacht, und schritt mit festem wohlgebildeten Fuß über uns her, auf der Luft wie auf einem Golddrahte, und warf uns die Früchte herab. Da ich aber der Sackuhren wegen die Hände nicht aus der Tasche tat, sperrte ich bittend den Mund auf, und sie warf mir ein Apfelsinen-Schnitzchen nach dem andern mit den schönen Fingerchen hinein. Aber plötzlich wuchs blanker Stahl unter ihren Füßchen, sie lief Schlittschuhe an den Bogen der Laube hinauf und hinunter, und bog dieselben mit ihren zierlichen Füßen, sich schnell und kräftig leicht bewegend, wie ein Glasblaser seine Röhren vor der Flamme verwandelnd dreht; bald hatte sie die Laube in die zwei x eines Seiltänzers verwandelt, oben über spannte sich ein glänzender Strahl, die Stimme tanzte zum Entzücken ohne Balancier-Stange mit zierlich ausgespannten Armen das Gleichgewicht des schlanken Leibes wiegend, Schnee- und Eisblumen schossen zu ihren Füßen auf, die sie pflückte, Kränze wand, und schwang und immer schneller, schneller und mehr, und da sie ganz wie ein großer, blitzender Kristall geworden, schliff sie [888] einen blanken Spiegel und schaute hinein und ward ruhig. Sie kämmte sich mit brillantenen Kämmen, und Perlen fielen aus den Strahlen der Haare; aber es stieg eine Sonne hinter ihr aus Tönen empor, die schaute ihr wie ein feuriger Kavalier über blanke Schultern in den Spiegel und ihr Antlitz zerfloß in Liebestränen, und immer leiser, leiser, runder und farbiger floß es nieder an den Wangen. Zu ihren Füßen sammelten sich die Tropfen in einen; der wuchs in eine bunte leichte Seifenblase, sie zuckte mit dem Füßchen, der Ballon riß sich los, hob sie empor, und stieg, da schwenkte sie eine Fahne hoch in der Luft, ließ einen Fallschirm herab, die Leute stürzten drüber her; aber es sprangen eine Menge weiße Häschen heraus, die legten brillantene Ostereier unter allen Stühlen und Bänken, und flüchteten sich, von unzähligen klatschenden Händen wie auf einer Klapperjagd verfolgt, alle in die Baßgeige hinein, der sie ein angenehmer Bissen mögen gewesen sein. – Ich war recht herzlich durch die gesunde, feste, kecke, jugendliche Stimme entzückt, und wischte wieder mit meinen Taschenuhren hervor; das Mitglied der Schützengesellschaft rümpfte die Nase, und sagte, wie er damals zu Akra bei dem Mogol eine Sängerin gehört habe, die viel besser den Generalbaß auf der Leier gespielt, und eine Arie von den schwarzen Backen und roten Augen bis ins zwanzigmal gestrichene Ypsilon hinein gesungen; der habe er einen ganzen Waschkorb voll Schnupftabaksdosen dafür geschenkt, Uhren schenke er überhaupt nicht, er schenke nur Schnupftabaksdosen. Da merkte ich gleich, daß das Mitglied gelogen, und daß Schelmuffski da sein müsse, dem er diese Begebenheiten abgehorcht, um damit zu prahlen. Aber es war ein rechtes Elend, immer wenn ich mich zu dem verblichenen Freunde umwenden wollte, ging die Musik wieder an, und faßte mich der Wahnsinn. »Jetzt kömmt ein Duett für Fagott und Klarinett«, sagte man neben mir, aber du lieber Himmel, ich sah nichts davon.

Eine dunkle Wolke zog wie ein Gewitter über den See, es herrschte tiefe bange Ruhe, leichte Blitze zuckten über die graue Flut und den Felsen hin, von dessen Stirne Klarinettens Seele auf der Tonleiter zum Himmel gestiegen war. Ihr Leib lag noch unbegraben, und ihr Schleier wehte von einer Felsenspitze [889] ins Meer herab, die dunkle Wolke zog näher. Gleich einem Schiffe mit schwarzen Segeln legte es sich an den Felsen, auf dem Schiffe kam der besiegte schwarze Engel, Klarinettens Leib zu rauben, aber bei diesem kniete schon Klarin und balsamierte ihn mit Wohlgerüchen und wusch ihn mit seinen Tränen, färbte ihn mit Purpur und bestreute ihn mit Goldflittern und Korallenstaub, daß er schimmerte wie ein Rubin. Dazu sang er in den zuckenden Blitz klagende Lieder, die der Felsen von allen seinen Spitzen widergellend brach, und weiße, traurige Vögel klagten mit ihm, und kreisten in den Wetterstrahlen, bald glänzend, bald verschwindend, in bangem Flug um sein Haupt. Die dunkle Meerflut aber hob leise wachsend an dem Felsen das schwarze Schiff empor, das murrte und an den Klippenzacken seinen erzenen Bauch donnernd streifte; da es oben war, stürzten die weißen Vögel sich in seine Segel, und sein Tauwerk verschwand: denn über ihnen kreisten dunkle Adler. Von dem Schiffe sprang der schwarze Engel auf den Felsen, und Klarin rang mit ihm um den schimmernden Leib seiner Geliebten; es donnerte heftig, und ein Blitz entzündete den Scheiterhaufen, auf dem Klarin das Totenopfer vollbringen wollte, die Flamme schlug empor, und in wunderbarer Beleuchtung rang der Hirtenknabe mit dem Riesen, auch stieg Sirene über die Flut und stieß zuweilen einen bangen Schrei aus, um ihren Buhler zu ermutigen, das donnernde Schiff wankte in den tönenden Wellen, Klarin riß einen Feuerbrand empor und warf ihn nach dem Riesen, aber er fehlte und blieb in den Segeln des Schiffes hängen, das er entzündete, Sirene zerriß im Grunde das Ankertau, die Flut spielte zischend mit dem lodernden Ungeheuer, wie mit einer Fackel, bald nah, bald fern, dem ungleichen Kampfe Licht gebend. Da der dunkle Riese zürnend dem Schiffe nacheilte, verwandelte er sich plötzlich in ein schwarzes geflügeltes Roß, auf seinem Rücken lag eine schimmernde Golddecke, es stampfte die Erde und knirschte die Zähne, seine Mähne sträubte sich und seine Nüstern schnaubten Feuer, und Klarin riß den schimmernden Leichnam der Geliebten empor und warf ihn in die Flammen, da wieherte das Roß dreimal: »o wehe, wehe, wehe mir!« und alle Felsen, und alle Wellen, und alle Vögel schrien: »o wehe dir!« Klarin [890] aber riß den Schleier der Geliebten vom Felsen, und wollte ihn auch in die Flammen werfen, da schrie das Roß gar traurig, und kniete nieder, und weinte aus den wilden Augen und war mild wie ein schwarzes Lamm. Klarin warf ihm den Schleier um den Hals und schwang sich auf seinen Rücken, es trug ihn geduldig rings um den brennenden Scheiterhaufen, bald mutig trabend, bald traurig wandelnd, Klarin aber sang Klagelieder und Siegeslieder, und der Scheiterhaufen brannte nieder; Sirene aber rief gar liebend und Klarin ward unsinnig und trieb das Flügelroß gewaltig gegen den Rand des Felsen, da bäumte es sich und schleuderte ihn in die Flut, wo er mit Sirene küssend unterging. Das Roß aber blieb traurig stehn und senkte das Haupt und klagte und scharrte ein Grab mit den Hufen und wehte die Asche Klarinettens, den schwarzen Flügel senkend, in das Grab, da ward es einsam und legte sich nieder und klagte leiser, leiser, und eine dunkle Wolke bedeckte den Felsen, der Schleier aber wehte über das dunkle Meer hin, und das brennende Schiff schimmerte immer ferner, und alles ward stille.

Aber es erhob sich plötzlich eine solche Klatscherei, als wären alle Hände des Publikums deutsche Journale, und alle Finger Mitarbeiter; ich kam wieder zu Verstand, und schüttelte mich wie ein Gaul, dem nach vierzehn Tagen der Sattel wieder einmal abgenommen worden ist. Um recht zu wissen, woran ich sei, zog ich ein Kartenblatt aus der Tasche und stach mit einem Zahnstocher ein Löchelchen hinein und guckte dadurch nach dem Orchester und nach den Leuten, aber ich sah nichts als Geigen und Hörner und Musiker und andre brave Menschen. Auch guckte ich nach dem vermeinten Schelmuffski und dem holländischen Generalstaaten, und dem Bruder Grafen, das waren aber wildfremde Leute, und mochte das Schützenmitglied recht gesagt haben; auch war es ja möglich, daß er seine Redensarten aus der Wunderbarlichen Reise zu Wasser und zu Land, die Schelmuffski herausgegeben, auswendig gelernt hatte, um sich ein wenig mit gelehrten Anspielungen zu brüsten. Übrigens kann ich meine einfache Kartenbrille allen Schwärmern und visionären Herren und Damen rekommandieren. Doch ist es noch besser, das Löchelchen mit einer Stecknadel als mit dem Zahnstocher zu machen; mit einem Ohrlöffel aber geht [891] es gar nicht, teils weil das Blatt zu dick, teils weil das Instrument zu stumpf ist, teils weil die Öffnung zu groß würde. Auch muß ich protestieren gegen die mögliche Meinung, ich sei ein Spieler, da ich eine Karte bei mir führte, und erkläre hier feierlich, daß ich mich deren allein bediene, meine Zunge damit zu schaben. Auch guckte ich noch mit und ohne die Brille in die Höhe und herum, ob kein Enthusiast im Luftballon herumfahren wolle und Sackuhren brauchen könnte, aber es war nichts zu sehen als eine Fledermaus, oder Schwalbe, die sich in den Saal verloren hatte und scheu herumschweifte; vielleicht daß diese mir in meiner Vision als der schwarze Engel oder als das geflügelte Pferd, und dann die weiße Brust der Schwalbe wieder als der wehende Schleier erschienen war; so ist Vernunft der Mühe wert, beim Licht besehen kömmt alles heraus, Herr Schops besteigt ein Flügelpferd, und reitet eine Fledermaus. Ich wollte diesen kleinen Epigrammetsvögel einen ganzen Spieß machen, aber drei Waldhörner kündigten eine nahe Jagd an, und ich mußte die fettsten Leipziger Lerchen und Sinngedichte streichen lassen, und selbst meine Seele in die Flucht geben. Waldnacht in der Musik und leises Baumgeflüster, Quellenmurmeln, grüner Mut, grünes Blut in allen Adern rinnt; der Jäger aus Kurpfalz, der schnallt auf seinen Mantelsack und reitet durch den grünen Wald als Jäger aus Kurpfalz, ju ja ju ja lustig wollen wir leben, allhier auf grüner Heid. Fort, fort den Hörnern nach, den Jägern nach, Trarah, Trarah über Berg und Tal, schürz dich, Gredelchen, schürz dich, über Bäche, über Gräben, über Stock, über Stein, springen die Hasen und Hirschelein, und das Publikum hinterdrein, in die Waldnacht hinein. Rezensieren, kritisieren soll dir aus dem Kopf spazieren, wann ich sag, es bleibt dabei, es leb die edle Jägerei, he he he, Hirsch und Reh, sind nicht frei, vor dem Blei meiner Jägerei, so rief Frau Echo nach und der Kuckuck mit seinem Schreien macht fröhlich jedermann. Da tat sich auf ein Feld von Schmaragd und an kristallnen Quellen erkühlte die Jagd, gegrüßet seid ihr Waldgebäu, bei hochbelaubten Eichen, o Mägdlein, setz dich neben bei, tu mir den Becher reichen, und den vergoldeten Sonnenglanz laß in den Becher schauen, und flicht mir einen Blumenkranz, und wolle mir vertrauen. Weil die [892] Sonne heißer scheint, komm in die tiefen Lauben, wo die wilde Rebe weint, da lachen die Turteltauben. Sie bringt den Wein in Bechersglanz, aus Veilchen und Narzissen, reicht sie ihm einen süßen Kranz in Waldes Finsternissen. Da kräuselt und säuselt der Schall, seine Stimme will übersteigen, da lispelt und wispelt die Nachtigall, Orgel, Lauten, Geigen, aber du Liebe, du Liebe, du Liebe, vor dir muß alles schweigen. Da tat sie den Jäger wohl fragen, ob sie einen grünen Kranz dürft tragen in ihrem goldfarbenen Haar? Grün Kränzlein darfst du nicht tragen wie eine Jungfräulein trägt, ein schneeweiß Häublein sollst du tragen, wie eine junge Jägersfrau trägt. Und drüben überm Berge, da stand der rote Mond, Feinslieb dreh dich herumme, beut mir den roten Mund, so ging die Nacht herumme, da billt des Jägers Hund, der Jäger sieht ob ihrem Haupt einen schwarzen Vogel wiegen, er nahm sein Flintlein aus dem Laub, Feinslieb, bleib ruhig liegen, bleib ruhig liegen in dem Moos, du brauchst dich nicht zu schämen, ich will den schwarzen Vogel dir vom Haupt herunter nehmen, Feinslieb erwacht so nackt und bloß, und weint und tut sich schämen, – Feinslieb, sitz still im grünen Moos, der Vogel fällt in deinen Schoß, in deinem Schoße stirbt sichs gut. Sie wollte nicht trauen auf sein Wort, brauns Mädel wollt springen fort, der Schuß schlug sie darnieder, der schwarze Vogel ob ihrem Haupt schwang aufwärts sein Gefieder. Da schwang der Jäger ins Jammertal sein Horn, sein Horn, sein traurig Horn, durch Weh und Zorn und Distel und Dorn. Feinslieb, wie bleich, dein Blut wie rot, dein Mund wie rot, Feinslieb, dreh dich herumme, der Mond wie rot, Feinslieb, dreh dich herumme, Feinslieb liegt still im grünen Moos, im roten Moos, so rot von Blut, in deinem Schoße stirbt sichs gut, du kannst dich nicht mehr schämen, o Jammer, Jammer, Jugendblut, er tat sichs Leben nehmen. Und immer leiser, leiser sangen die Töne, als wollten sie die beiden Toten nicht erwecken, und das Hündlein lag auf dem Grab und starb, und weiße Hirsche und junge Rehe kamen heran und schauten die zwei Liebenden an, und weinten, und die Turteltauben lachten nicht mehr, aber die wilde Rebe weinte nieder und rankte heran und flocht eine grüne Laube über ihr Grab. Es wuchsen drei Lilien auf ihrem Grab, auf ihrem Grab, die wollte [893] ein Engel wohl brechen ab, ach Engel laß die drei Lilien stahn, die Lilien stahn, es sollen sie drei Waldhornisten han, sie bliesen so freudig, so traurig ins Horn und alles was sie bliesen, das war verlorn. Da ward ich dermaßen gerührt und fing selbst an zu singen: Ach soll denn euer Blasen verloren sein, so mögens auch meine Sackuhren sein, Sackuhren sein, und riß eine heraus, und wollte hin, die Künstler zu belohnen, aber in der Angst drückte mich einer, die Uhr, die ich hielt, repetierte, ich hatte mich vergriffen, welch Glück, daß ich noch zu Verstand kam, das Konzert war aus, aber ich war doch in einer solchen Hitze, daß ich auf einen Stuhl stieg und folgendermaßen die Künstler anzureden begann, um sie auf verständige Gesinnungen zu bringen:


»Ihr armen Künstler, was habt ihr doch für all die Mühe und die Arbeit, die euch das kostet, in einer Zeit, die nicht dergleichen mag, die Nachtigallenzungen in Pasteten frißt, und den großen Dudelsack, den Magen, allein nur kultiviert. Wie arme Buttervögel, die den Frühling und den Sommer verpaßt, seid ihr zu spät aus eurer Verpuppung ausgebrochen, und da habt ihr nichts gefunden als kalten Giftnebel, der eure Flügel verklebt, und allen Honig von den Blumen haben die Wespen und Lebküchler auch schon weggestohlen. Aus euern Engelsköpfen macht Rumfortische Suppe und Tischlerleim, euern Klarin, der Talent zum Reiten und überhaupt Courage hat, steckt unter die Husaren, eure Klarinette laßt Amme werden, das schwarze Flügelroß tut in eine Stuterei, und macht, daß man euch nicht mehr auf der Jagd ertappt, denn da dergleichen mit dem Forstwesen sich nicht vertragen, so könnte euch leicht der Förster einmal pfänden, oder gar den Hut nehmen. Legt ab, legt ab eure Füllhörner, Wunderhörner, Zauberhörner, euer Treiben ist nicht gut, werdet Uhrmacher, kommt bei mir in die Lehre, ich will euch ein Lehrjahr schenken« – aber man stieß mich an und fragte mich, ob ich hier schlafen wollte; ich kam zu mir, alle Leute waren fort, ein Diener putzte die Lichter aus, ich mußte entzückt gewesen sein, ich griff nach meinen Uhren mit großer Angst, ich zählte, sie waren es alle, Gott sei Dank! aber mein Hut war nicht da, man hatte ihn mir verwechselt, [894] und statt dessen einen alten Schabbesdeckel hingelegt, ich setzte ihn endlich auf, und ging nach Haus; auf der Treppe, wo ich nur ging, lachten mir die Mägde ins Gesicht, alle meine Gesellen kicherten, meine Frau, meine Kinder lachten, ich guckte in den Spiegel und pfui Teufel sie hatten mir einen großen Schnurrbart mit Lichtschnuppen gefärbt. Nachdem ich mich nun gewaschen und meinen verlornen Hut habe ins Wochenblatt setzen lassen, eile ich einer hochlöblichen Schützengesellschaft alles dieses zu berichten in Hoffnung eines gnädigen Verfügens.

BOGS Uhrmacher.


Nun lief das Gutachten des Schützenkorps dahinaus, daß ich meiner Visionen wegen leicht jemand totschießen könnte, der nicht auf der Liste stehe, etwa gar Pränumeranten, oder Lustspieldichter, oder Satirenschreiber, oder die Madame Eudoxia, oder den Buchhändler Dyk, ihren Taufpaten, und deswegen sei mir alles Schießen ohne mein Kartenblatt auf der Nase verboten. Weil ich zwar den Kopf verloren, aber die Uhren behalten, solle man mich dem Consilio medico teils zur Beförderung der Wissenschaft, teils zur Untersuchung übergeben, und auf ihr Gutachten solle man ein Weiteres entscheiden; vor allem solle ich mein Portrait einsenden zur Beilage ins Morgenblatt, wie die andern Uhrmacher, welche vor mir aufgenommen worden, unter der Rubrik: Stadtsoldaten, bereits getan. Folgendes ist nun das verfluchte Ding, und der Kerl liegt mir quer vor der Nase, ich muß immer niesen, und kann doch nicht.

Visum Repertum

Die unterzeichneten Ärzte nebst Doctor Sphex, aufgefordert von einer dahiesigen löblichen Schützengesellschaft, den Gesundheitsumstand des Uhrmachermeisters Bogs zu untersuchen, haben sich unter dem heutigen Datum in die Behausung des obgedachten Meisters Bogs verfügt, sind sogleich zur Untersuchung der Quästionssache geschritten, und sie legen der wohllöblichen S.G. hiermit ihr Gutachten, wie folgt, vor.

[895] Da der Uhrmachermeister Bogs zugleich mit den andern sündigen Sterblichen durch den großen Sündenfall aus dem Absoluten herausgestürzt sein muß, so haben sie die Untersuchung mit der Verification der notwendig dabei erhaltenen Contusion anfangen zu müssen geglaubt, und aus dem deswegen mit Fleiß gehaltenen Nachforschen hat sich ergeben, daß der Unglückliche bei diesem Sturze gerade auf den Kopf gegen das Reale aufgeschlagen ist, wie ein braunes Mutterzeichen und eine starke Dölle oben auf dem Scheitel bezeugt, so daß sich unmittelbar daraus allein ein großes Präjudiz gegen die Integrität seiner Verstandeskräfte ergeben muß, weil wie bekannt Menschen von gesundem Ingenium, wie die Unterzeichneten und eine wohllöbliche S.G., bei diesem großen unglücklichen Falle notwendig wie die Katzen auf die Beine zu stehen gekommen sein müssen, und weil, ob man gleich bei den gewöhnlichen Geburten die Fuß- und Steißgeburten nicht liebt, sie doch bei der Geburt des Menschen aus dem Idealen weit den fatalen Kopfgeburten vorzuziehen sind, die paralysierende Erschütterungen und Extravasate in den höheren Potenzen des Menschen unausbleiblich hervorbringen müssen.

Gestützt auf diesen ersten präsumtiven Verdacht und geleitet von den Prinzipien einer richtigen Diagnose sind die Untersuchenden alsdann in ihrem Geschäfte weiter fortgeschritten, und haben zunächst auszumitteln gesucht, ob die Polaritäten in dem Manne noch in gehöriger naturgemäßer Ordnung wären; sie haben zu dem Ende den Uhrmachermeister an einem hinlänglich zarten Faden schwebend im Hypomochlion aufgehangen, und hier haben sie sogleich eine merkwürdige Anomalie von dem Normalzustande bemerkt, indem sich ergab, daß der Kranke an abnormer Polarität litt, weil er nach einigen Oscillationen, statt sich, wie er sollte, mit dem Kopfe nach dem Nordpol, mit den Füßen nach dem Südpol zu richten, umgekehrt hauptlings sich südwärts kehrte und die Füße nach Hudsonsbay, wobei denn auch die Neigung den gleichen verkehrten Typus befolgte, indem er mit dem Haupte sich überstürzte und unter einem Winkel von 71° niederhing, was dem Patienten viele Beschwernisse und Blutcongestionen nach dem Kopfe verursachte, so daß wir ihn von fernerweitigen Anstrengungen [896] dieser Art zu dispensieren uns notgedrungen sahen. Eine wohllöbliche S.G. kann aber aus diesem Versuche wohl schließen, was von einem Menschen zu halten sei, in dem eine solche totale Verkehrtheit sich findet, daß alle natürlichen Functionen den ganz entgegengesetzten statt des naturgemäßen Wegs einhalten, und den das große Weltfluidum nicht einmal in richtige Harmonie stimmen kann.

Weiter sind wir zur Ausmittlung des Indifferenzpunkts in dem Subjekt geschritten, weil von da nun alle Differenzen und alle Gegensätze im Menschen ausgehen müssen. Sie haben daher den Inculpaten ersucht, sich der Länge nach auf der Erde auszustrecken. Sie haben demnach einen Strick an einen starken Kloben oben an der Decke befestigt, und der eine der Unterzeichneten, Doctor Gamaliel, hat die Ehre gehabt, ihn sich um den Hals zu legen, und so hat er schwebend über der Polarachse des Meisters Bogs gehangen und hat sogleich über ihr zu oscillieren angefangen, und hat allmählich engere und engere Bogenlinien beschrieben, und ist endlich über dem Magen ruhig hängen geblieben; weil aber der Experimentierende ein etwas starker wohlbeleibter Mann ist, darum hat er einige Beklemmung ob dem Versuche empfangen, das Blut ist ihm zu Kopfe gestiegen, die Lippen sind ihm blaulicht geworden, und er hat der innern Hitze wegen die Zunge etwas hervorgestreckt und die Augen einigermaßen verdreht, so daß ihn sein Gehülfe, Doctor Sphex, abheben und mit etwas Essig laben mußte, um ihn wieder zu sich selbst zu bringen. Es geht daher aus dieser gefahrvollen Observation hervor, daß der plexus cardiacus die wahre Feder, und der Magen die wahre Trommel in der Uhr des Meisters ist, woraus sich einige Hoffnung zu seiner allenfallsigen Wiederherstellung ergeben muß.

Nach dieser vorläufigen Untersuchung sind sie zur speciellen Ansicht seines körperlichen Baues selbst fortgegangen, und haben dabei mit seinem Schädel den Anfang machen wollen. Da haben sie dann sogleich eine wunderbare Mißgestaltung an dem fraglichen Subjekt entdeckt; nachdem sie nämlich die Kopfhaare zur bessern Besichtigung vom Hinterhaupt nach vorn hin zurückgestrichen, haben sie befunden, daß dort ein anderes zweites, von dem ersten ganz abweichendes Angesicht [897] unter dem Haarwuchs sich verbarg, eine Erscheinung, die sie so sehr überraschte, daß sie mit Entsetzen davor zurückgefahren sind. Er selbst war durch unser Erstaunen sehr befremdet und nannte den Hinterkopf immer seine Legende, und meinte, jeder Mensch müsse wie eine geprägte Münze zwei Seiten haben, in denen er cursiere, die andern seien nur schlechte Bracteaten, in der Not aus Sturzblech geschlagen. Die Unterzeichneten aber geben einer wohlgeordneten Polizei zu bedenken, ob es nicht höchst gefährlich sei, einen solchen Menschen zu tolerieren, weil derselbe, wenn er mit einem Passe abgeht, worins heißt als Signalement: schwarze Augen, gleiche Augenbraunen, spitze, mittelmäßige Nase, braungelbes Gesicht, spitzes Kinn, hervortretende Stirn, nichts zu tun hat, als bloß die Haare zurückzuwerfen, den Zopf vor dem braun-gelben Gesicht zu binden, das Schnupftuch und die Weste umzuknüpfen und sogleich dazustehn mit braunen Augen und gleichen Augenbraunen, stumpfer Nase, weißem Angesicht, rundem Kinn und zurücktretender Stirne, und mit dieser Verwechslung die größten Ruchlosigkeiten und Bosheiten begehen zu können, ohne daß man ihm etwas dergleichen ansähe.

Im Verfolge der Untersuchung aber ergab sich große Mißhelligkeit zwischen den beiden Angesichtern: das eine liebte sehr die bittern Schnäpse, das andere Saures mit Pfeffer; das eine schien sehr zum Zorne geneigt und dabei cholerischen Temperaments, das andere war sanftmütig wie ein Lamm und dabei etwa sanguinisch; das eine liebte Katzen, das andere Hunde, jenes war ironisch, dieses launig, und auf dem Rücken ironierten sie immerfort einander. Das ging denn auch auf die Schädelbildung über. Immer wurde eine Erhöhung am einen durch eine Vertiefung am andern wieder vernichtet; Hochsinn Tiefsinn, Hoffart, Demut, Bedächtlichkeit, Flatterhaftigkeit, Mordsinn, Taubensinn, Diebssinn und Diebfängersinn annullierten sich immer wechselseitig durch einander, so daß niemand über die eigentliche Natur und Beschaffenheit des Subjects klug werden konnte. Die Unterzeichneten hätten gern das Exemplar in Spiritus ersäuft, um es als ein merkwürdiges Präparat aufzubewahren, und irgend einmal einem Schädellehrer zur Entscheidung der Streitfrage zu verehren; allein auf den gemachten [898] Antrag benahm das Doppelpaar sich so ungebärdig, besonders wütete der Schwarze so gräulich, daß wir lieber geschwind etwas Quassia in den Spiritus schütteten und ihm zur Versöhnung von dem garstigen Stoff zutranken.

Da wir auf diesem Wege nicht zum sichern Resultat gekommen, entschlossen wir uns endlich, um der Sache auf den Grund zu sehen, zur Trepanierung; weil wir aber wieder einen erneuten Zornausbruch des eben erst Beschwichtigten bei einer solchen Operation befürchteten, beratschlagten wir uns, wie wir die beiden Angesichter vorher durch Manipulation in magnetischen Schlaf und Somnambulism versetzen wollten. Wir schritten bald zum Werk, und machten die nötigen Operationen, und hatten die Satisfaction, den Cholericus bald gähnen und einschlafen zu sehen; der andere aber wollte durchaus nicht die Augen schließen, so sehr wir auch darauf drangen, und ihm unsere innigen Wünsche zu verstehen gaben; endlich, da Doctor Sphex recht kräftig zuarbeitete, entschlief er doch, und wir bereiteten uns nun ans Werk zu gehen. Indessen fingen aber die beiden Entschlafenen im Paroxysm zu phantasieren an, und es wäre nicht zu beschreiben, welch ein Strom von Unsinn und närrischem kauderbuntem Zeug aus der beiden Mund hervorgegangen ist, wenn eine wohllöbliche S.G. nicht schon früher mit eignen Ohren selbst dem Paroxysm zugehört hätten. Der Cholericus hatte indessen die geläufigste Zunge, und der andere konnte mit seinen Narrenteidungen vor ihm kaum zum Worte kommen.

Indessen hatten die Unterzeichneten Zeit gewonnen, statt des Trepans einen gütlichern Weg zu versuchen; bei vorgenommener Visitation fanden sie nämlich glücklicher Weise, daß die Riechnerven des einen hohl seien und wie bei Schafen unmittelbar in die vordere Gehirnhöhle öffneten; sie applicierten geschwind einen Bozzinischen Lichtleiter an die Nasenöffnung des Nerven, und es gelang ihnen damit überraschend, das ganze innere Höhlenwerk im Kopfe völlig und hell und klar zu beleuchten, und ein unaussprechlich süßes und erhabenes Gefühl ergriff sie bei Anschauung der Wunderdinge, die sich ihnen darboten. Das erste, was ihnen aufstieß, war eine Schar Eulen und Fledermäuse, die schon so lange Zeit in der Dunkelheit der [899] Höhle ruhig und ungestört sich aufgehalten hatten und die nun, von dem hineinfallenden Lichte beunruhigt, scheu wurden, sich zusammenrotteten, und scharenweise durch den Lichtleiter hervorstürzten, zum großen Schrecken der Beschauenden, die dergleichen Geschmeiße in einem so edlen Organ beim Menschen nicht vermutet hatten.

Als das Ungeziefer alles verflogen war, und der böse Schwaden, der Gehirndunst, der beinahe das Licht am Lichtleiter ausgelöscht, sich verzogen hatte, sahen wir alle Wände der Höhlen inwendig mit viel hundert und tausend kleinen mikroskopischen Uhren behangen, Uhren von allen Gattungen und Arten, Stutzuhren, Schlaguhren, Repetieruhren, Kunstuhren, Flötenuhren, Sonnenuhren, und die größte Kirchenuhr, die sich darin befand, hatte kaum die Größe einer Käsemilbe; woran man recht die Subtilität des menschlichen Verstandes bewundern konnte, daß dergleichen kleine Werkzeuge doch ihr vollkommenes Eingeweide, Räder, Getriebe, Pflöcke, Spiralen hatten, und gerade die Zeit zeigten, die die Taschenuhren der Unterzeichneten außen angaben. Die Uhren schienen im Gedächtnisorgan aufgehangen, und das kleine Männchen, was man beim Menschen in der Pupille sieht, wenn man ihm in die Augen blickt, schien die Aufsicht darüber zu haben, und spazierte stolz und geschäftig wie ein Bergmännchen in der Höhle herum, und putzte und rückte immerfort an den Uhren, zog sie auf, und sorgte und wuselte immerfort. Und es war, wie die Unterzeichneten versichern können, ein recht angenehmes Gepinker, was aus dem Souterrain heraufschallte; aber kaum war das stille anmutige Heuschreckengeschwirre vernehmlich vor dem übrigen Lärm und Gebrause, was unten herrschte. Das Psalterium unter dem Fornix spielte nämlich immerfort ungeheißen und unberührt allerlei menschliche Melodien auf, und hinten aus der vierten Höhle, in die der Gehörnerve endigt, kamen immerfort Töne und Läufe aus dem vorigen Konzert heraufgefahren, und rannten wie unsinnig an den Wänden herum, und verführten mit vieler Brutalität ein gräßliches Geschrei, daß sie nun schon in den dritten Tag in dem abscheulichen Loche herumirrten, ohne ein ruhiges Logement zu finden; sie mußten sich in Branntwein übernommen haben, denn [900] sie ließen sich auf keine Weise bedeuten, und alle gütlichen Vorstellungen waren fruchtlos, weswegen die Unterzeichneten, um der lärmenden Gesellschaft los zu werden und ihre Untersuchung ungestört fortsetzen zu können, zu Zwangsmitteln schritten, Leimruten in den Höhlen aufstellten, an denen sie dann, weil sie die Flügel sich verklebten, hängen blieben, und nun durch Wassersnot vom Leben zum Tode gebracht wurden.

Nun schlug ein kläglicher Ton an die Ohren der Horchenden, und als sie die Aufmerksamkeit auf die Stelle hin richteten, von der die Wehklage herkam, bemerkten sie einen Hirtenknaben, der auf dem einen Sehhügel stand und bitterlich granste; nach Befragen um die Ursache seines Gegranse gab er schluchzend zur Antwort, er heiße Klarin, und das garstige Mensch Klarinette habe ihm sein Butterbemme gestohlen, da drüben auf dem andern Hügel stehe sie und verzehre das Gestohlne, aber: »Stehler, Dieb, gehangen Dieb, kömmst du mitten in die Höll«, heulte er erbittert der kleinen Atzel zu. Wir geboten der Diebin, dem Knaben sein Eigentum wiederzugeben; sie tats ungern, und der Bube beruhigte sich und zog dankbar, sich die übergelaufene Nase wischend, den Hut gegen uns ab.

Wir sahen nun weiter um uns, und bemerkten im Adernnetz vielerlei wunderliche unnatürliche Sachen, die man beim gesunden Menschen an dieser Stelle keineswegs zu finden pflegt. Ein Hirsch hatte sich mit dem Geweihe in dem Netze verfangen, und bellende, hinkende Liederfragmente zappelten wie Hunde hintendrein; weiter vorn hatte sich ein Klumpen Zinnoberschlangen hineinverfitzt, und ganz hinten hing eine verreckte Sirene, die vor Kummer über den Verlust ihrer Freiheit und den Mangel von süß Mandelöl umgekommen war; Simson mit seinen drei hundert Füchsen hielt am Eingang in die dritte Höhle, und die Füchse beschäftigten sich aus Langeweile, die brillantenen Eier, die die weißen Hasen bei der Zirbeldrüse legten, auszusaufen. Ein Frauenzimmer lief vor Frost und Kälte mit den Zähnen klappernd in dem Bau herum mit einer Haube von Eis, weil sie die Gicht im Kopfe hatte, und die Ärzte ihr verordneten, das Haupt mit einer solchen Pelzmütze zu erwärmen. Wir riefen ihr zu, und sprachen ihr Mut ein, noch etwas [901] auszuharren, das Mittel sei gut, und der Schmerz würde sich gewiß bald geben. Sie schien ganz soulagiert durch unseren Zuspruch, und bat uns um etwas Theriak, um ihren Magen zu stärken, den wir ihr denn sogleich hinabreichten. Sonst lagen noch allerlei Fetzen von Dekorationen und sonstigem Prunk umher, feurige Springbrunnen, Lauben, das Pavimentum war geschliffener Stahl, und dergleichen curiose Sachen mehr zeigten sich noch, bei denen wir uns aber unmöglich aufhalten konnten.

In den hintern Hörnern der vordern Hirnhöhle stießen uns zwei Hufe und zwei vollkommen wohl conservierte Pferdsfüße (Pedes Hypocampi) auf, die uns sehr in Schrecken setzten, weil wir die Nähe des Gott-sei-bei-uns vermuteten, so daß wir uns schnell mit den in dergleichen Fällen üblichen Hilfsmitteln verwahrten, worauf die Gestalt jedoch unverrückt stehen blieb. Das brachte uns auf die ersten Spuren des Verdachts von Zauberei und bösen Künsten, die wir in der Folge bestätigt fanden; und wir sahen zugleich den Ursprung des schwarzen geflügelten Pferdes, von dem wir den Uhrmacher im Konzert reden gehört hatten, und dessen Schweif tief unten in der Wirbelsäule zu entdecken war. Auf den vordern Vorhügeln aber stand ein schwarzer, und auf den hintern ein weißer Engel, die sich miteinander sehr ernstlich zankten, und wir glaubten hier offenbare Beweise von Schwarzkünstelei in Händen zu haben, aber es machte uns wieder etwas confus, als wir dem Streite aufmerksamer zuhörten, und wir entdeckten, daß der weiße Engel eigentlich ein Bäckerknecht sei, der schwarze aber eine Küchenmagd, die jener, weil es Dreikönigabend sei, mit dem Kienrußhader geschwärzt, was diese ihm nun übelgenommen, und deswegen mit dem Anschwärzer in ein böses scheltendes Zweigespräch geraten sei. In dem Augenblicke sahen wir einen Schellenschlitten vor dem Tore der dritten Hirnhöhle, gewöhnlich Anus genannt, anfahren, auf Befragen des Torschreibers, wer die Passagiere wären, schrie's zum Fuhrwerk heraus: »Herr von Schelmuffski, samt Herr Bruder Graf«; auf weiteres Befragen um Ziel und Zweck der Reise der hohen Herrschaft, hieß es: »Wir wollen, der Tebel hol mir, flugs die berühmte Wasserleitung des Herrn Sylvius besehen, und der Dame Charmante [902] einige Liebesäpfel vom Lebensbaume abpflücken.« Passieren, und nun fuhr der Schlitten klingelnd in den Pausilipp hinein.

Nachdem die Unterzeichneten auf diese Weise alle zugänglichen Teile des Gehirnes am Patienten durchgeprüft, und alle die sonderbaren Stücke darin gefunden haben, von denen sie einer wohllöblichen S.G. getreuen Bericht abgestattet, blieb ihnen nichts als die Visitation der vierten Höhle allein noch übrig, in die das Licht des engen Kanales wegen nicht hineinzudringen vermochte, so daß sie nur undeutlich und zweifelhaft die Gegenstände dort erblicken konnten. Sie vermuteten aber gerade dort den eigentlichen Sitz der Nigromantie, denn sie sahen, soviel das Dunkel und das matte Halblicht es erlauben wollten, seltsame Charaktere dort, alle Tierkreiszeichen schienen ihnen lebendig darin umzugehen; Manns- und Weibsvolk, das die sieben Planeten vorstellte, hielten sich in der Grube auf, und sonst viel wunderbares, verdächtiges Gesindel, ein Scheusal mit sieben Köpfen glaubten wir einmal auf einen Blick darunter zu bemerken, aber es ließ sich nichts Gewisses darüber entscheiden, weil die Gestalten alle, wie die Figuren durch die Fenster eines Ballsaals, auf einen Moment nur sich zeigen wollten, und schnell vorüberschwirrten. Da die consultierenden Ärzte nun darüber und über die Mittel, die Wahrheit der Sache auszumitteln, sich berieten, da hatte Doctor Sphex, dessen Wißbegierde ihn nur zu oft über die Grenzen einer erlaubten Vorsicht mit heroischem Mute treibt, die unglückliche Idee, selbst in die Höhlen hinabzusteigen, um sich durch den unmittelbaren Augenschein über den eigentlichen Bestand der Sache Auskunft zu verschaffen. Alles, was wir ihm über das Gefährliche seines Vorsatzes vorstellen mochten, fand in seinem wahrhaft heldenmütigen Herzen keine Statt, und wir mußten seinem Feuereifer für die Wissenschaft und die Wahrheit nachgeben und ihn, obgleich mit blutendem Herzen, durch die Röhre des Lichtleiters an Stricken herablassen in den dunkeln Abgrund, wo er, eine brennende Fackel in der Hand, ein anderer Orpheus, seine Eurydike, die Wahrheit, der mehr als plutonischen Finsternis abkämpfen wollte. Wir folgten dem heldenmütigen Abenteurer mit den Augen und mit unsern Segenswünschen, soweit [903] wir es vermochten. Er rief uns noch einmal aus der Tiefe herauf mit einer durch die Ferne kaum hörbar gewordenen Stimme zu, wie alles schön und köstlich unten sei, und wie er jedem eine Sackuhr mitbringen wolle, wenn Gott ihm eine glückliche Heimkehr beschere, wie aber die Luft etwas mephitisch sein müsse, weil seine Fackel zu erlöschen drohe. Wir entschlossen uns daher, zu einem in dergleichen Fällen gewöhnlichen Luftreinigungsmittel unsere Zuflucht zu nehmen. Wir nahmen einen großen Strohwisch, banden eine Menge Petarden in denselben hinein und einige andere Feuerwerke, zündeten den Wisch darauf an einem Ende an und warfen ihn in die Höhle hinab, nachdem wir dem Doctor Sphex vorher zugerufen, sich vorzusehen. Wir hatten aber bei diesem unglücklichen Einfall nicht bedacht, daß beim Losgehen des Feuerwerksapparats durch das notwendig eintretende Geräusch und die Explosion das schlafende Zweigespann geweckt werden könnte, und daß alsdann unser bedauernswürdiger Kollege auf Lebenszeit in dem dunkeln, finstern, dumpfigen, abscheulichen Kerker eine Beute der hinten eingeschlossenen Ungeheuer bleiben müsse. Leider erfolgte, was wir unvorsichtigerweise außer Acht gelassen hatten. Wir hörten einen starken Knall aus dem Abgrund heraufschlagen, ein Schwall von garstigen, mephitischen Luftarten stürzte aus der Öffnung hervor, und in demselben Moment erwachte der Cholerikus. Es spürte schnell den armen Doctor in seinem Hirne und geriet nun in ein unbeschreibliches Toben. Er zerschmetterte, ehe wirs uns versahen, unsern ganzen Apparat und drehte sich dann, einem gepeinigten Schafe gleich, das den Drehwurm im Gehirne hat, mit unsäglicher Schnelligkeit um sich herum, wütete, raste entsetzlich, daß wir für gut hielten, uns in sichere Winkel zu retirieren. Dazwischen schallte von Zeit zu Zeit die jammernde Stimme unseres Kollegen aus der Tiefe dumpf herauf, und wir waren beinahe des Todes vor Angst, Wehmut und Entsetzen. Es war eine Szene, die sich nimmer aus unserm Gedächtnis verlieren wird. Der Sanguinikus, der über dem Lärmen endlich auch erwachte, schien nicht zu begreifen, was vorgegangen sei, wahrscheinlich, weil der Doctor sein Territorium nicht berührte; er wollte zureden und besänftigen, aber es half alles nichts, er mußte mit herum [904] im Wirbel. Endlich war der Paroxism auf dem höchsten Gipfel, und nun wurde die Bewegung so stark, daß endlich die Verbundenen durch die Zentrifugalkraft des Schwunges voneinander ließen und der Sanguinikus weit weg in die Ecke geschleudert wurde, der Cholerikus aber, wie von Peitschen gejagt, ausriß, in die weite Welt hinaus, und den unglücklichen Doctor, das bejammernswürdige Opfer seiner Wißbegierde, mit sich hinriß ins Verderben.

Das, ehrsame Mitglieder einer wohllöblichen Schützengesellschaft, ist die treue Relation der seltsamen, ja höchst wunderbaren Erscheinungen, die uns bei der gerichtlichen Untersuchung des Uhrmachermeisters BOGS aufgestoßen. Wir beweinen und beklagen den Verlust unseres würdigen Kollegen, den wir dabei haben leiden müssen, und werden uns dieserwegen an eine H. Oberpolizei um Hülfe und offizielles Verfolgen des Entwichenen wenden. Wir überlassen es übrigens dem Ermessen einer wohllöblichen Schützengesellschaft, was von dem ganzen Vorgang zu halten, und was wegen der allenfallsigen Aufnahme oder Verwahrung des Uhrmachers zu statuieren sei. Unseres unvorgreiflichen Erachtens möchte der zurückgebliebenen Hälfte, dem Sanguinikus, der ein stiller, gesetzter, sedater Mensch zu sein scheint, die Aufnahme zu bewilligen sein, wenn er sich über den auf ihm haftenden Verdacht der Zauberei zu rechtfertigen vermöge, wegen der verschollenen Hälfte aber wäre das Resultat weiterer Nachforschungen und die allenfalls eintretende Zurückkunft des entführten Doctors Sphex abzuwarten.

Dr. Schnauznas Dr. Gamaliel

Decretum

Die städtische Schützengesellschaft, nach Anhörung des beigefügten Rapports der geschwornen Ärzte, beschließt wie folgt: der zurückgebliebenen leiblichen Hälfte des Uhrmachermeisters wäre, da die Ärzte ihm ein gutes Testimonium abgelegt haben, die Aufnahme zu bewilligen, wenn er sich anheischig machen wollte, die verdächtigen Vagabunden, mit [905] denen er Umgang pflegt, auszuliefern, und zwar die Planeten, Seiltänzer, Bänkelsänger, Urinbeschauer ins Zuchthaus, das Tier mit sieben Häuptern und die übrigen Sternbilder in die hiesige Menagerie, wo man sie den naturae curiosis zur weiteren Beobachtung und Untersuchung überlassen wird. Was aber die böslich entwichene Hälfte betrifft, so soll er als Entwender fremden Eigentums förmlich für vogelfrei und unfähig erklärt werden, jemals in die Gesellschaft aufgenommen zu werden, mit der Bedrohung des Hinterlassenen, ihn bei dem mindesten verdächtigen Umgang mit dem Inkulpaten in die gleiche Acht zu kondemnieren. Sie bedauert dabei zugleich mit allen ihren Mitbürgern aufs höchste den Unfall des Doctor Sphex und wird seinen leidigen Verführer mit Steckbriefen verfolgen, worin sie jeden auffordert, acht zu haben auf einen Menschen von der und der Gestalt, im braunen Überrocke etc., und im Falle ein dergleichen verdächtiges Subjekt einem Biedermanne aufstößt, ihm eine Prise Tabak mit Nieswurz zu präsentieren und durch die darnach erfolgende konvulsivische niesende Bewegung dem armen Doctor Sphex womöglich aus seiner gefänglichen Haft auf freien Fuß zu verhelfen, wobei der, welchem das Unternehmen gelingt und der dabei den Doctor während dem Gesundheitwünschen geschickt aufzufangen versteht, daß ihm kein Glied seines Leibes versehrt, verbogen oder zerbrochen wird, ein gutes Douceur erhalten soll. Ad reciproca paratus, ulteriora autem reservando.

Also geschlossen bei der städtischen Schützengesellschaft.


Es verlautet seither, Doctor Sphex sei wirklich ausgeschneuzt worden, und auf der Rückreise in seine Vaterstadt begriffen er habe übrigens die Geistesgegenwart gehabt, während seiner babylonischen Gefangenschaft genaues Journal zu halten über alles, was er erfahren habe in dem dunkeln Schlunde, und die vielen seltsamen Abenteuer, die ihm darinnen aufgestoßen seien, und er wolle, wenn das Publikum Lust dazu bezeuge, sie im Druck ausgehen lassen, wodurch alle Ding: Geographie, Statistik, die Belles Lettres, Astronomie, Nastik, Oryctognosie, Chemie und selbst die Philosophie ersprießlichen Nutzen verspüren würden, weil der Doctor lange Zeit sehr innigen Umgang [906] mit den neuen Ideen gepflogen hat, und mit mehreren derselben durch Verheiratung sich in das Verhältnis einer sehr fidelen Blutsverwandtschaft gesetzt hat, wie er denn auch einige junge Naseweisen aus dieser Sippschaft, die sich in der äußeren Welt umsehen wollen, wirklich mit sich führen soll.


Die löbliche Schützengesellschaft hat mir erlaubt, die ganze Geschichte mit einem Kupfer abdrucken zu lassen, um die 44 Kreuzer für das Konzert wieder herauszubringen; ich schickte sogleich den Aufsatz ins Morgenblatt, das sehr gut bezahlt; aber mein Lehrbursche trug ihn aus Dummheit in die Badische Wochenschrift, wo ich nun nichts kriege. Ich bitte daher unter der Hand nur um vierundvierzig Subskribenten, die mir jeder einen Kreuzer bezahlen, wofür ich ersterbe oft genannter

BOGS, Uhrmacher.

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TextGrid Repository (2012). Brentano, Clemens. Satire. Geschichte von BOGS dem Uhrmacher. Geschichte von BOGS dem Uhrmacher. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-41EB-2