29. August 1818

»Ach wär' ich doch der Welt schon los!«
»Was haben Sie denn nun schon wieder?«
»Ich sage, wird die Last zu groß,
So seufzt der Träger und es zieht ihn nieder.
Was ich heut sah, fällt mir da ein,
Kaum konnte ich des Weinens mich erwehren,
Am Markte saß auf einem Stein
Ein altes bleiches Weib in bittern Zähren.
Sie hatte bei den Bauren sich
Ein bißchen Grüns und Rüben beigeschnurret
Es sah kein Mensch sie an, als ich
Sie weinte still vor sich, hat nicht gemurret.«
»Warum gabst du nicht alles Ihr,
Gott giebt's mir wieder, gern bin ich dein Leiher,«
»Ich hatte selbst nicht viel bei mir,
Ich gab ihr, was ich hatte hin, sechs Dreier.
Als ich am Knoten zerren mußt'
In den das Geld im Schnupftuch war geschlungen,
Ist ihr so recht aus tiefer Brust
Ein schwergefühltes Klagewort gedrungen.
In ihren Schoß sprach sie gar schwer,
Wo sie die Armut deckt mit welken Händen,
›Ach wer doch erst da drunten wär',
Hier wird doch nimmermehr die Sorge enden!‹
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Ich dacht', das konnt' ich wohl verstehn,
Das brauchtest du mir gar nicht erst zu sagen,
Ich hab' es dir gleich angesehn,
Und wollte dich darum auch gar nicht fragen.
Warum denn fragst du mich, lieb Kind!
›Was haben Sie denn nun schon wieder?‹
Wird denn an mir dein Scharfblick blind?
Mich zieht es wie die Arme auch ja nieder.
Auch ich sitz' alt und bleich am Stein,
Hab' mir ein bißchen Grüns von dir erschnurret,
Mein Weinen siehst auch du allein,
Auch ich hab' nur geseufzt und nicht gemurret.
Auch mir reichst aus dem Schnupftuch du
Den Schatz, sechs Dreier, gestern, heute, morgen
Auch ich möcht' bald hinab zur Ruh'
Denn hier wird doch kein Ende je der Sorgen.
Ich sorg', es nahe eine Zeit
Wo du den Knoten allzu fest wirst schlingen,
Da tun dir dann die Finger leid,
Die milde Gabe mir herauszuzwingen.
Ich sorg', es steigt ein Tag empor,
Ich mein' er guckt schon aus dem Keller drüben,
Da wirfst du mir die Dreier vor,
Und gönnst mir nicht das bißchen Grüns und Rüben.
Ich sorg', es kömmt die Stunde bald,
Wo meines Wegs zu gehn du dich wirst schämen,
Nicht lang mehr tust du dir Gewalt,
Drum wünsch' ich, Gott mög' mich hinunternehmen.
Hab Dank, hab Dank viel tausendmal
Für Dreier, Rüben und die grünen Gaben,
Man soll mit mein und deiner Qual
Man soll mit meiner Liebe sie begraben.
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Nur eines flehe ich von dir,
Gehst du mit andern längs dem leeren Steine,
Ach dann, erzähle nicht von mir,
Schweig, denk, wein', bet' für mich alleine.«

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TextGrid Repository (2012). Brentano, Clemens. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. 29. August 1818. 29. August 1818. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3EE4-5