Ludwig Börne
Schilderungen aus Paris

1. Französische Sprache

[3] I.

Französische Sprache

Wir gemeinen deutschen Bürgersleute, die wir in unserer Jugend keine französischen Gouvernanten gehabt, ob zwar Gouverneurs genug, benutzen gern den Aufenthalt in Frankreich, uns in der französischen Sprache zu vervollkommnen. Wir erfahren aber bald, daß es damit schwer geht und sehr langsam; was Hänschen nicht lernt, holt Hans nicht nach. Bleibt ein deutscher Welt- oder Geschäftsmann ein Jahr oder auch längere Zeit in Paris, dann lernt er zwar mehrere Variationen über sein altes bon jour sprechen, doch das ist alles. Hat aber ein Deutscher das Unglück, von der gelehrten Klasse zu sein, und die Eitelkeit, sich als Mann von Verstand zeigen zu wollen, dann geht es ihm noch schlimmer. Diese Eitelkeit aber wird in Paris leicht rege gemacht. Die Franzosen haben vor einem deutschen Gelehrten einen ungeheuern Respekt, einen größern, als sie vor einer Encyklopädie in hundert Foliobänden haben, denn sie schätzen ihn zweihundert Bände stark. Kommt es aber zur Anwendung, zum Reden, Schreiben, zur künstlerischen Darstellung, zum Gespräche, dann lachen sie ihn aus, und wenn sie dem Gelehrten nicht sagen: Du bist ein Vieh! so unterlassen sie es bloß aus Artigkeit, aber sie denken es gewiß. Nun wird der deutsche Gelehrte hitzig, und er will zeigen, daß etwas in ihm steckt. Aber was kann er in geselligen Zweikämpfen gegen Franzosen gewinnen? Der Witz der Franzosen ist ein Degen, der ein Spitze hat, aber keine Schneide; der Witz der Deutschen ist ein Schwert, das eine Schneide hat und keine Spitze, und der [3] Stechende besiegt den Hauenden immer. Jetzt wird der Gelehrte noch hitziger, er mustert seine schönsten Gedanken und rüstet sich fürchterlich. Da gewahrt er aber mit Schrecken, daß das beste, was er weiß und fühlt, sich im Französischen gar nicht sagen läßt, und er senkt ganz demütig seine Flügel. Vergebens bereitet er sich vor, vergebens durchblättert und zerknittert er das Wörterbuch der französischen Akademie: er findet keinen Ausdruck für seine innere Regung. Seit 1819 steht in meinem Tagebuch ein Gedanke, auf den ich mir etwas einbilde – wie nun jeder Mensch seine Schwachheiten hat. Es ist der: »X. ist der Leithammel der deutschen Aristokratie ...« Den will ich heute Abend anbringen, dachte ich. Wie gebe ich das französisch? Anfänglich wollte ich in meiner Unschuld Leithammel durchmouton directeur übersetzen, und ich hätte vielleicht wohlgetan, dieser ersten Eingebung zu folgen. Aber um vorsichtig zu verfahren, suchte ich im Wörterbuch auf, wie Leithammel heißt, und da fand ich: Le mouton porteclochette. Es sieht wohl jeder ein, wie lächerlich ich mich gemacht haben würde, wenn ich gesagt hätte: Mr. d'X. est le mouton porteclochette de l'aristocratie ... Und darüber soll einer nicht toll werden? In Frankreich kann ich den Gedanken, in Deutschland darf ich ihn in den ersten hunderttausend Jahren nicht sagen, und soll er nicht ungenossen verderben, muß ich ihn fideikommissarisch auf meine späteste Nachkommenschaft zu bringen suchen.

Nachdem ich eine Zeit lang in Paris gewesen, kam eine wahre Leidenschaft über mich, das Theater und die Literatur der Franzosen in ihren eigenen Blättern zu kritisieren; aber gleich nach dem ersten Versuche verging mir alle Lust zu solchem Unternehmen. Einst las ich in einem Blatte einen Artikel, überschrieben:Bulletin musical, und unterzeichnet: Le vieux mélomane. Darin war unter andern von Webers Freischütz die Rede. Der alte Musiknarr [4] fing damit an, sich zu entschuldigen, daß er sich etwas weniges »de cette pauvre Allemagne« beschäftigen werde. Deutschland in Beziehung auf Musik arm zu nennen, fand ich nur unverschämt, weil es kein gröberes Wort giebt als unverschämt. Dann hielt er Maria von Weber für ein Frauenzimmer, und das wollte ich nicht auf meine deutsche Schwestern kommen lassen; denn eine Frau soll keinen Lärm machen, nicht einmal einen musikalischen. Endlich erzählte er, der Freischütz habe bei den froids Allemands den lebhaftesten Enthusiasmus erregt, und hierüber auch glaubte ich einiges bemerken zu müssen. Ich nahm mir also vor, einen Artikel dagegen zu schreiben. Ich versah mich gehörig mit Wörterbüchern, Synonymiken und Sprachlehren und fing zu laborieren an. Da ich mich gleich französisch zu denken bemühte, so verdroß das einige patriotische Gedanken, sie blieben zurück und ließen mich im Stich. Für die Gedanken, die ich, ohne meinen Zweck zu verfehlen, nicht weglassen konnte, fand ich keine ganz entsprechenden französischen Ausdrücke; kurz ich hatte meine erschreckliche Not. Endlich brachte ich mit saurer Mühe nachfolgendes Schreiben an die Herausgeber jenes Blattes zustande: »Permettez moi, Messieurs, de rectifier une petite erreur statistique qui s'est glissée dans votre bulletin musical d'aujourd'hui ... Vous parlez de l'opéra le Freyschutz de Maria de Weber, après avoir timidement demandé la permission à vos lecteurs de vous occuper un peu de cette pauvre Allemagne. Ma patrie, grâve à la générosité française, n'est pas aussi pauvre que le vieux mélomane paraît le croire. Vos soldats ne nous ont pris que notre argent, perte que nous avons réparée depuis .... Le vieux mélomane fait encore un plus grand tort à mes compatriotes, en soutenant que l'opéra le Freyschutz a excité leur admiration. Nous aimons la musique de Weber, mais nous ne l'admirons pas et nul [5] Français n'ignore, qu'on peut être aimable sans être admirable. Le plaisir que Mr. de Weber nous a donné, quoiqu' étendu n'était pas profond pour cela, et ce n'est que la profondeur d'un sentiment agréable qui puisse éveiller l'enthousiasme. Le compositeur du Freyschutz est le premier Allemand, qui ait créé une musique dramatique nationale, car Mozart, pareil à Shakespeare, Raphael et à Buonaparte, était trop grand pour être national, un vaste génie n'ayant jamais de limites geographiques pour bornes. L'aristocratie et la populace en Allemagne ont depuis longtemps des opéras conformes à leur intelligence, mais le Freyschutz est le premier, qui réponde au tiers-état musical.« Unterzeichnet: Un pauvre Allemand.

Nachdem, ich den Artikel geendigt und mich erholt hatte, brachte ich ihn einem Freunde, daß er die Fehler darin verbessere. Mein Freund ist zwar ein Franzose, war aber lange in Deutschland gewesen und versteht die deutsche Sprache vollkommen. Bei diesem fand ich dessen Bruder, einen Gelehrten, und noch einen dritten, mir Unbekannten, dem es aber, wie keinem Franzosen aus dem wohlhabenden Stande, an literarischer Bildung fehlen konnte. Der Artikel wurde laut vorgelesen. Im Vorbeigehen will ich bemerken, daß ich den drei Herren ihren Ärger darüber, daß sich ein Ausländer herausnehmen wolle, sich über Franzosen lustig zu machen, sehr deutlich ansah. Jetzt fing mein Freund zu verbessern an. Zuerst die grammatikalischen Fehler; das war recht. Dann bemerkte er mir bald von dieser, bald von jener Phrase, sie sei nicht im Geiste der französischen Sprache. Ich erwiderte: das wolle ich leicht glauben und er solle nur den Satz ändern und den Gedanken auf gut Französisch ausdrücken. Mein Freund drückte, sein Bruder drückte, der Unbekannte drückte, aber sie drückten nichts aus, noch heraus. Ich ging voller Schadenfreude im Zimmer [6] auf und ab und ließ sie sich die Köpfe zerbrechen. Endlich blieb es dabei: Das und jenes könne man im Französischen gar nicht sagen. Nun bitte ich euch, was ist das für eine Sprache, in der man gewisse Dinge gar nicht sagen kann? Im Deutschen kann man alles sagen. Kurz, die drei koalisierten Franzosen richteten mir meinen Artikel dergestalt zu, daß weder vom Ausdrucke, noch vom Sinne das mindeste übrig blieb, und sie verbesserten mich, und dann sich selbst untereinander so sehr, daß ich die korrigierte Handschrift, die hier vor mir liegt, jetzt, nach einem Jahre, nicht mehr entziffern kann. So erinnere ich mich nur noch, daß sie mir bemerkt: »une petite erreur statistique«, wie ich mich im Anfange des Briefes ausgedrückt, könne man nicht sagen. Ich fragte (weil ich selbst darüber im Zweifel war), ob denn statistique nicht als Adjektiv gebraucht werden könne? Sie antworteten: das könne man allerdings, nur nicht in diesem Sinne. Ich fragte: Warum nicht? Ob es gegen die Charte sei, ob es die Polizei verboten, ob man in Paris nicht jedes beliebige Adjektiv mit jedem beliebigen Substantiv verbinden könne? Sie erwiderten: in dieser Verbindung sei es nicht gebräuchlich. Ich sagte: es soll aber auch nicht gebräuchlich sein, ein Schriftsteller dürfe nichts Gebrauchtes, sondern müsse immer Frisches schreiben; ich bat, ich flehte – alles vergebens. Sie sagten: es wäre gegen ihr Gewissen, und sie könnten mir die erreur statistique nicht nachsehen. Nun zeigt sich aber aus diesem Beispiel ganz deutlich, daß solche Ängstlichkeiten der französischen Sprache in einer gewissen Beschränktheit des französischen Geistes ihren Grund haben. Ein Deutscher, welcher liest: »ein kleiner statistischer Irrtum«, faßt schon instinktmäßig auf, wie der Schriftsteller zu diesem Ausdruck gekommen. Er hat gelesen, daß der alte Musiknarr la pauvre Allemagne gesagt; also hat er die deutsche Nation für arm erklärt; [7] also ist dieses ein Gegenstand der Nationalökonomie; also kann man von einem statistischen Irrtum reden. Es scheint aber, der Franzose kann solche Geistessprünge nicht machen, oder, was wahrscheinlicher ist, er hält sie für unanständig. Eine Sprache ist aber nur dann reich zu nennen, wenn sie – wie die Mathematik in ihrer Art – fertige Formeln von bekannten und anerkannten Sätzen und Schlüssen hat, die man nicht erst nachzudenken. braucht und die nur als Brücken dienen, über welche man zu neuen Schlüssen gelangt.

Es ist leicht zu erklären, wie die französische Sprache die allgemeine Umgangssprache der höhern Stände werden konnte. Sie kam dazu, weil sie für den Mittelstand des Geistes gerade ausreicht, und es der Mittelstand des Geistes ist, durch welchen die höheren Stände aller europäischen Völker verwandt sind. Der französische Sprachschatz besteht ganz in Silbermünze; sie hat kein Kupfer wie die deutsche, und ein schlechter französischer Schriftsteller schreibt nie so schlecht, als ein schlechter deutscher schreibt. Dagegen mangelt es ihr aber auch am Golde der deutschen Sprache. Daß aber die Vorzüge der letztern vor der erstern im größern Reichtum des deutschen Geistes ihren Grund haben, ergibt sich daraus, daß die wenigen französischen Schriftsteller, die deutschen Geist haben, den besten deutschen Schriftstellern gleichkommen. Rousseau, Frau von Staël und Benjamin Constant werden von keinem Deutschen übertroffen; aber sie sind geborne Schweizer, also mehr Deutsche als Franzosen, und die beiden letztern waren lange in Deutschland und haben aus deutschen Büchern und im Umgang mit gebildeten Deutschen deutschen Geist geschöpft. Die politischen Werke Benjamin Constants zeichnen sich vor denen der andern französischen Schriftsteller vorteilhaft aus; man erkennt aber leicht, daß es der deutsche Geist in ihm ist, der ihm den höhern Rang verschafft. Es gibt viele liberale [8] politische Schriftsteller in Paris, die mit Geist, mit Kraft sogar, mit Witz gewiß, schreiben. Sie treffen haarscharf; aber weil das Instrument, mit dem sie treffen, auch haarscharf ist, fehlen sie, sobald sie nur um eine Linie zu weit rechts oder links abweichen. Ihre Kraft reicht nur für diese Stunde, für diesen Anlaß aus, und ihr Witz gleicht dem Blitze: der Strahl zündet kein zweites Mal. Benjamin Constant aber, weil er breiter aufschlägt, braucht nicht so haarscharf zu zielen, er trifft doch den Nagel auf den Kopf. Seine Gründe sind nicht bloß für die Sache, die er eben verteidigt, sie sind für jeden Rechtsstreit zu gebrauchen, und sein Witz ist eine aushaltende Fackel.

Haben wir nun, so wie er getan, die französische Sprache beurteilt, so kann man freilich sagen: diesem Urteile ist nicht blindlings zu trauen; denn natürlich wird jeder seine Muttersprache reicher als eine fremde finden, weil er jene besser zu benutzen weiß. Indessen ist der Deutsche in wissenschaftlichen Dingen unparteiisch und wird auch dafür anerkannt, und er darf sich also herausnehmen, die französische Sprache, mit der deutschen verglichen, bettelarm zu erklären. Bedarf diese Armut noch eines andern Zeugnisses, so geben es die Franzosen selbst, indem sie mit dem, was sie besitzen, so haushälterisch tun. Die schönen Redensarten, die Kraft- und Witzworte, die glänzenden Stellen ihrer guten Schriftsteller werden nie vergessen, sie erhalten sich Jahrhunderte im Angedenken der sich folgenden Geschlechter, und jeder gebildete Franzose weiß jene Stellen auswendig. Ein Beweis, daß deren nicht viele sind. In Corneilles Horace wird dem Vater der Horatier die Nachricht gebracht, zwei seiner Söhne wären gegen die Curiatier geblieben, und mit dem falschen Zusatze: der dritte habe die Flucht genommen. Der Greis jammert über die Schande seines Sohnes, und da fragt eine Julie, welch[e][9] eine »Dame romaine et confidente de Camille'' ist, welche Camille »amante de Curiace« ist, welcher Curiace »gentilhomme d'Albe« ist – sie fragt ihn:»Que voulezvous qu'il fit contre trois?« ... »Qu'il mourût!« antwortet der alte Horaz. Die Bewunderung der Franzosen über dieses qu'il mourût hat sich jetzt schon zwei Jahrhunderte von Vater zu Sohn fortgepflanzt. Allerdings wäre dieses qu'il mourût schön, wenn es einsam stünde; aber Corneille hat die Abgeschmacktheit begangen, es durch dreizehn nachfolgende Verse zu paraphrasieren und zu verdünnen und auf den Donnerschlag ein langes Kindergetrommel folgen zu lassen. Doch sei es so schön, wie man wolle – wie würde man fertig werden, wenn man sich solche Schönheiten aus Goethes und Schillers Tragödien merken wollte, Shakespeares gar nicht zu gedenken? In einer Fabel streiten sich Mensch und Löwe, wer von ihnen stärker sei. »Schau dort!« sagte der Mensch, und zeigte auf ein Marmorbild des Herkules hin, der einen Löwen zerriß. »Wohl sehe ich,« sagte der Löwe; »aber wäre die Tat kein Wunder, hätte man sie nicht verewigt.« ... Ein neuerer Schriftsteller hat vor Jahren, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, gesprochen von »des mots étonnés de se trouver ensemble.« Dieses ist allerdings gut gesagt. Begegnet aber seitdem auch der originellste Schriftsteller jenem Gedanken auf seinem Wege, kann er ihm nicht ausweichen; er sagt auch: »des mots étonnés de se touver ensemble«, und wenn er sich auf den Kopf stellte, kann er den Gedanken nicht anders ausdrücken. So haben sie das unausstehliche Wort: »brillant«, das sie so häufig anwenden, daß einem die Augen überlaufen. Alles, was sie loben, ist brillant; eine Gesellschaft, eine Theatervorstellung, Napoleons Regierung, eine Sitzung der Akademie, ein Gemälde, die Tapferkeit, die Schönheit, jede Tugend. Von ihrer Jugend sagen sie: »La brillante jeunesse«, ob zwar deren [10] Vorzug und die Bürgschaft, die sie gibt, daß sie besser werden wird als das vorige Geschlecht, gerade darin besteht, daß sie nicht brillante ist im Sinne des französischen Wortes. Jouy, in einem seiner Werke, wo er empfindsam von seinen Jugendjahren spricht, erzählt von jenen schönen Tagen, wo er noch »brillant de santé et de jeunesse« war. Die deutsche Sentimentalität seufzt aus einer anderen Tonart. Und eine Sprache, die ihr seidenes Beutelchen so ängstlich mit allen Fingern umklammert, wäre nicht arm zu nennen? Ich habe es diesem und jenem Franzosen oft selbst gesagt: »Eure Sprache ist eine wilde gegen die deutsche, die ihr barbarisch scheltet; sie kann, wie die Pescherähs, nur bis zu fünf zählen, und ich will euch das unwiderleglich beweisen. Gebt mir ein Buch, welches ihr wollt, ich will es euch übersetzen, und ihr sollt selbst Richter sein, ob der Übersetzung etwas fehle gegen dem Original. Und vermag ich es nicht, so liegt es an der Beschränktheit meines Talents, nicht an der deutschen Sprache, und ein Besserer wird es besser zustande bringen. Dagegen will ich euch Werke genug geben, mit welchen eure ersten Schriftsteller nicht fertig werden sollen.« Sie nahmen diese Herausforderung nicht an, aber überzeugt waren sie doch nicht. Freilich machen sie sich seit einigen Jahren in Paris ganz munter an die schwersten Dinge. Sie übersetzen den Schiller, Goethes Faust und Iphigenie, Werners, Müllners Tragödien – in Prosa, versteht sich – doch wie sie damit zustande gekommen, mag der Himmel wissen. Ich habe nie vermocht, mehr als vier Seiten von einer solchen Übersetzung zu lesen. Der Übersetzer von Werners Luther kündete mir einen Besuch an, mich über manches bei seiner Arbeit um Rat zu fragen. Er kam und fragte mich, was im Luther der Karfunkel bedeute – weiter fragte er nichts. Ich erwiderte ihm: Darüber solle er sich von einem Juwelier Auskunft geben lassen, bei mir käme er [11] zu spät. Es wäre eine schöne Zeit gewesen, da hätte ich die Karfunkelpoesie am Schnürchen gehabt; ich hätte aber alles rein vergessen. »La poesie de l'escarboucle!« rief er voller Erstaunen aus. Ich legte geheimnisvoll den Finger an der Mund. Sollte der Übersetzer des Buches etwas über Karfunkelpoesie gesagt haben, so ist es nicht meine Schuld, ich habe kein Wort verraten.

Zum geselligen Umgang dagegen ist die französische Sprache viel geeigneter als die deutsche. Und man halte dieses nicht für einen geringen Vorzug; es wird ihr damit ein großer sittlicher Wert zuerkannt. Die deutsche Sprache, wie schon bemerkt, zahlt in Kupfer oder in Gold. Das eine verursacht Gepäcke und wird lästig, das andere ist für die kleinen Bedürfnisse der Unterredung nicht zu gebrauchen. Die Franzosen aber kommen mit ihren Silberreden überall durch. In jeder Meinungsstreitigkeit, die oft die beste Würze der geselligen Unterhaltung ist, muß der Deutsche entweder seinen Gegner schonen, indem er nebenbei schlägt, und dann wird nichts entschieden, oder er muß ihn verwunden. Der Franzose aber hat an jedem spitzigen Worte einen ledernen Wulst, er trägt den Degen in der Scheide und hat gar nicht nötig, seinen Witz zu bezähmen, um seinem Gegner nicht wehe zu tun. Welche große Vorteile für die Geselligkeit gewährt nicht schon das häufige Monsieur und Madame, das nach jedem dritten Worte gebraucht wird. Es werden in der Stadt Paris mehr Herren und Damen verkonsumiert, als im ganzen deutschen Lande. So ein Monsieur aber tut die Dienste eines Gendarmes: er verhütet Zänkereien. Hat man aber einmal Monsieur gesagt, kostet es Mühe, hinzuzufügen: vous êtes une bête, oder eine andere Grobheit. Die Deutschen sind darin gewandter; sie sagen: Mein Herr, Sie sind ein Flegel! Doch in solchen Fällen wird das: Mein Herr! ironisch gebraucht. Um ihre reine Sprache nicht zu beschmutzen, sind die Franzosen [12] so sehr artig gegeneinander. Je vornehmer einer ist, je höflicher behandelt er den Niedrigen. Ein französischer Minister, selbst wenn er in Amtssachen einem Bürger schreibt, unterzeichnet: »Ich habe die Ehre, zu verbleiben.« Der König selbst, in seinen Ordonnanzen, nennt auch den letzten seiner Unterthanen Herr, selbst wenn er ihn straft. Er verordnet: »Dem Herrn N. wird wegen häufiger Preßvergehen das Patent als Buchhändler entzogen.« Aber jeder Amtssekretär im kleinsten deutschen Städtchen dekretiert: »Hat sich der Johann Christoph Peter unfehlbar morgen früh zehn Uhr auf der Amtsstube einzufinden, um die ihm gnädigst bewilligte Gratifikation, gegen Bescheinigung, in Empfang zu nehmen.« Der Deutsche ist nur gegen Vornehmere höflich; wie eine Sphinx lächelt er freundlich nach oben und gebraucht nach unten die Krallen. Er führt über seine Courtoisie italienische Buchhalterei; hat er eine Schmeichelei ins Soll gesetzt, schreibt er schnell eine Grobheit ins Haben. Jeder Regierungskanzelist hält sich für einen Statthalter Gottes auf Erden und ist von Gottes Gnaden ein Grobian. Möchten sich doch die deutschen Autoritäten ihr barsches Wesen abgewöhnen! Möchten sie doch bedenken, daß das Regiertwerden eine traurige Notwendigkeit ist, die man so viel als möglich zu versüßen suchen soll! Möchten sie bedenken, daß im Staate die Freiheit der guten Bürger nur um der schlechten willen beschränkt werden muß! Möchten sie besonders auf ihren Paßbureaus bedenken, daß um eines einzigen Spitzbuben willen, der sich zuweilen unter tausend ehrlichen Reisenden findet, neunhundertneunundneunzig Ehrliche belästigt, aufgehalten und gequält werden müssen; möchten sie sie darum mit Freundlichkeit und Artigkeit behandeln, sie sitzen heißen und ihnen auch einen Stuhl dazu hergeben und sie gleichsam um Entschuldigung bitten, daß man ihnen so viele Mühe mache! Ja, wäre ich Herr [13] im Lande, ich ließ in allen Paßbureaus meines Reiches den ganzen Tag Kaffee und Wein servieren und den Reisenden angenehme Romane und Reisebeschreibungen in die Hände geben, damit ihnen die Zeit nicht lang werde, bis die Reihe an sie kommt. Das hielt ich für meine Schuldigkeit!

Sich die französische Umgangssprache anzueignen, fällt manchem Deutschen schwer: sie wird, wie das Tanzen, am besten in der Jugend erlernt. Auch mit der Aussprache hat man seine Not. Ich habe es in fünf Vierteljahren noch nicht dahinbringen können, »des huitres« verständlich auszusprechen. Franzosen haben mich versichert, sie erkennten den Deutschen, auch wenn er schon jahrelang in Frankreich gewesen, an der Aussprache des B und P, die er nicht gehörig zu unterscheiden wisse. Wenn der Deutsche B sagt, hört es der Franzose für ein P. Es ist dies um so schwieriger, da der Deutsche sein eigenes B und P nicht gehörig unterscheidet, und er nicht ausfinden kann, worin der Zauber liegt. Ich kam einmal dadurch in eine kleine Verlegenheit. Mein Name fängt mit einem B an. Als ich das erste Mal zu meinem Bankier kam, um Geld zu holen, fragte er mich, wie es heiße? Ich nannte mich. Darauf ließ er ein ungeheuer großes Kredit-Registerbuch nachschlagen, das alphabetisch eingerichtet war. Der Commis suchte und fand mich nicht darin. Ich hatte aber bemerkt, daß er weit hinten im ABC gesucht, und sagte: »Ich schreibe mich nicht mit einem P, sondern mit einem B.« Das war aber tauben Ohren predigen, man verstand meine Distinktion nicht. Der Prinzipal zuckte die Achseln und sagte: es wäre nichts für mich angewiesen. Nun war in diesem Falle nicht zu spaßen, das Mißverständnis konnte lebensgefährlich werden. Ich trat also an das Pult, streckte meine ruchlose Hand nach dem heiligen Kreditbuch aus, blätterte das ABC zurück, bis ich an dasB kam, schlug [14] dann mit der Faust darauf und sagte: »Hier ist mein Platz!« Prinzipal und Commis warfen mir grimmige Blicke zu; aber richtig, man fand mich dort.

Wenn ich, wie ich oben erzählte, wie mir in Paris mein kritisches Streben mißlungen, dabei nicht bemerkt habe, daß dieses auch großenteils an meiner unzureichenden Kenntnis der französischen Sprache gelegen – so habe ich das nur darum unterlassen, weil sich das von selbst versteht. Es wäre aber sehr zu wünschen, daß ein guter deutscher Kritiker, der der französischen Sprache vollkommen mächtig wäre, sich nach Paris begäbe und dort ein kritisches Blatt schriebe. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte: er würde dadurch auf ganz Europa wirken. Zwar würde man ihn im ersten Jahre nicht sehen und nicht hören und sich um sein Dasein gar nicht bekümmern. Im zweiten Jahre würde er Aufmerksamkeit erregen, aber höchst wahrscheinlich im Verlaufe des Jahres totgeschlagen werden. Doch lasse er sich dadurch nicht abschrecken. Hat er diese zwei Jahre mit Mut und Glück überstanden, wird er ungeheuer wirken und der französischen Literatur das werden, was Luther der deutschen Kirche war. Die deutsche Reformation bedarf aber zu ihrer eigenen Vollendung – eines Luthers in Frankreich.

2. Lebensessenz

II.

Lebensessenz

Nicht einem Strome, einem Wasserfalle gleicht hier das Leben; es fließt nicht, es stürzt mit betäubendem Geräusch. Die Zeit wird nicht mit tausend Liebkosungen abgeschmeichelt, und der Hunger ist der einzige Zeiger, welcher die Zahl der verbrauchten Stunden ehrlich angibt. Wer lange leben will, der bleibe in Deutschland, besuche im Sommer die Bäder und lese im Winter die Protokolle der Ständeversammlungen. Wer aber Herz [15] genug hat, die Breite des Lebens seiner Länge vorzuziehen, der komme nach Paris. Jeder Gedanke blühet hier schnell zur Empfindung hinauf, jede Empfindung reift schnell zum Genusse hinan; Geist, Herz und Sinn suchen und finden sich – keine Mauer einer traurigen Psychologie hält sie getrennt. Wenn man in Deutschland das Leben destillieren muß, um zu etwas Feurigem, Erquicklichem zu kommen, muß man es hier mit Wasser verdünnen, es für den täglichen Gebrauch trinkbar zu machen. Paris ist der Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der Gegenwart und das Fernrohr der Zukunft. Es ist ein Register der Weltgeschichte, und man braucht bloß die alphabetische Ordnung zu kennen, um alles aufzufinden. Es ist schwer hier, dumm zu bleiben, denn habe der Geist auch keine eigenen Flügel, er wird von andern emporgetragen. Doch verzweifle darum keiner, der Beharrlichkeit gelingt alles.

3. Geldschwindsucht

III.

Geldschwindsucht

Paris ist ein teures Pflaster, und was dieses Übel noch größer macht, alle Landstraßen, die zur Hauptstadt führen, sind vier Stunden im Umkreise auch gepflastert. Die liebe Natur, mit ihren Wiesen und Feldern, ihren säuselnden Bäumen, ihrer erquickenden Luft, ihrer Milch, ihren Eiern, ihren Kirchweihfesten, Weinlesen und ländlichen Tänzen, ist eine so feine Spitzbübin als ihre städtische Schwester, die Kunst. Es ist leicht in Paris, nicht bloß sein Brot, sondern auch seinen Kuchen, seinen Wein, seine Austern zu verdienen, und was sonst noch der arme geplagte Mensch an Zubereitungen gebraucht, um einst von den Würmern schmackhaft gefunden zu werden. Aber sein Geld in der Tasche zu behalten, das ist schwer –unmöglich, würde ich sagen, wenn das nicht [16] ein Wort wäre, das dreißigjährige Sprachreinigung in dem Wörterbuche der Franzosen ausgestrichen hat. Sich gegen der Verbrauch von Hunderttausenden zu schützen, dafür gibt es ein sicheres Mittel – man braucht sie nur nicht zu haben; wie hält man aber wenige Tausende zusammen? Vergebens schnürt ihr den Beutel mit hundert gordischen Knoten zu, durch zahllose Poren dünstet er unmerklich aus; sein hohes, blühendes Gold verwandelt sich in bleiches Silber; das arme Geschöpf schwindet dahin, es stirbt, wir trauren.

Haben wir in unserer kleinen Heimat die fünf Pforten der Sinnlichkeit verschlossen, dann können wir uns unbesorgt auf die Polster der Tugend niederstrecken; in Paris aber erstürmen die Lüste unser Herz, oder sie schleichen sich verkleidet ein, oder sie suchen sich neue Wege. Man lernt dort wenigstens etwas Psychologie für sein Geld, denn viele Zweige der Begehrlichkeit lernen wir erst kennen, wenn sich Vögel darauf setzen und sie schütteln. In den Mauern kleiner Städte bewahren uns oft Trägheit und Ungeduld vor großen Ausgaben. Möchtet ihr ein neues Kleid haben, müßt ihr dort erst zum Kaufmann gehen und um den Preis des Tuches streiten, dann zum Schneider, der, nachdem er eine Viertelstunde um euch herumgezappelt, um das Maß zu nehmen, euch vierzehn Tage auf den Rock warten läßt, und geht es auf Pfingsten, vier Wochen. Ihr bedenkt diese Weitläufigkeit und unterlaßt den Kauf. Ein teures Buch zieht euch an, glücklicherweise ist es nicht gebunden, und der Buchbinder sagt, wenn es planiert werden solle, müßte er trockenes Wetter abwarten, und er könne nicht bestimmen, bis wann er mit der Arbeit fertig würde. Ihr kauft das Buch lieber nicht. In Paris aber sind Kleider und Stiefel fertig und zu bestimmten Preisen und die Bücher in allen Straßen gebunden zu haben. Alles ist gekocht, gebraten, vorgeschnitten, sogar die Nüsse werden [17] geschält verkauft. Es hilft euch nichts, daß ihr die größere Hälfte des Tages im Zimmer bleibt, es wird euch alles ins Haus gebracht, bis auf das warme Bad und die Wanne dazu. Jetzt geht ihr aus, einen weit abwohnenden Bekannten zu besuchen. Den ersten Platz, wo Mietwagen stehen, seid ihr glücklich vorbeigekommen, auch den zweiten, aber die dritte Gelegenheit findet euch müde zu gehen und zu entsagen, ihr setzt euch ein und bedauert nur, es nicht früher getan zu haben, denn der Preis für eine lange und kurze Fahrt ist der nämliche. Beim Einsteigen ist euch unaufgefordert ein dienstwilliger Mensch behilflich; ihr müßt ihn bezahlen. Beim Aussteigen öffnet euch ein anderer höflicher Mensch den Kutschenschlag, und den müßt ihr wieder bezahlen. Ihr seid in die Nähe der großen Oper gekommen: die Plätze sind teuer, ihr versagt euch dieses Vergnügen, spaziert die Boulevards auf und ab und stellt philosophische Betrachtungen an, die nichts kosten. Jetzt hält euch einer jener tausend Betriebsamen ein Theaterbillet für die Hälfte des Preises unter die Augen. Den letzten Akt der Oper und das Ballet könnt ihr sehen; ihr kauft es. Ihr kommt etwas weit hinten zu sitzen und bedauert, eine neue schöne Tänzerin nicht näher betrachten zu können. In dem Zwischenakte werden Ferngläser zum Verkaufe angeboten; gut, daß man fünfzehn Franken fordert, für weniger hättet ihr vielleicht eins gekauft. Aber da kommt ein anderer, der Gläser auf den Abend vermietet; dieser Ausgabe entgeht ihr nicht. Jetzt ist das Schauspiel geendigt, ihr geht nach Hause, euer Weg führt am Café de Paris vorüber. Die Erfrischungen sind teuer, aber ihr wollt die Abendzeitung lesen. Ihr seid begierig zu wissen, wie Bertons Urteil ausgefallen; ihr tretet hinein, Mitternacht ist da, und ihr seid glücklich, wenn das eure letzte Ausgabe war und ihr an diesem Tage nichts als Geld verschwendet.

[18] Sparsam zu leben fällt hier Menschen von jeder Gemütsart darum so schwer, weil Seele und Leib zu gleicher Zeit verführt werden. Keine sinnliche Lust findet sich so roh und niedrig, daß nicht ein Anhauch geistigen Lebens sie veredelte, und kein geistiger Genuß ist so rein abgezogen, daß nicht eine Beimischung körperlicher Reize seine Lockungen verstärkte. Der ärgste Lüstling, der sonst nie daran gedacht, seinem Geiste Nahrung anzubieten, wird hier ein Freund des Lesens, weil es Blumenwege sind, die ihn zum Ernste führen. Da ist ein Werk tiefsinniger Untersuchungen von Benjamin Constant mit Bitterkeiten gegen die Machthaber überzuckert, wie sie eines jeden Gaumen schmeicheln! Da ist ein neues Trauerspiel, worin erst gestern Talma gespielt! Da erscheint ein Gedicht eines sechzehnjährigen Mädchens, welches die Hingebung der barmherzigen Schwestern während der Pest von Barcelona besingt! Da ein anderes Buch, worin man euch die Geheimnisse der Carbonari verrät, deren es, wie die französische Regierung neulich erklärte, sechzigtausend in Frankreich gibt, alle mit Dolchen bewaffnet, die in Deutschland verfertigt werden! Und dann die zwanzig Blätter, die täglich erscheinen und die nicht gelesen zu haben lächerlich ist! ... Auf der andern Seite werden Menschen besserer Art mit geistiger Lockspeise in den Schlingen der Sinne gefangen. So könntet ihr für weniges Geld euch recht gut satt essen, auch seid ihr genügsam; aber ihr kehrt dennoch bei den teuersten Speisewirten ein, nicht um feinere Leckereien, aber um feine Gesellschaft zu finden. Man ergötzt sich an dem Gemische aller europäischen Völker, Sitten und Sprachen. Dort die grämlichen Engländer, die so verdrossen-emsig die Kinnbacken bewegen, als würden sie mit der Peitsche dazu genötigt; hier die verlegenen Deutschen, die das Herz nicht haben, ein lautes Wort zu sprechen; hier die neuangekommenen Frauenzimmer, die mit Erstaunen die [19] Spiegel und das Silbergeschirr betrachten; hier das drollige Lächeln der Kleinstädter, die zum ersten Male Austern essen! – –

Es ist angenehm, sich in Paris Menschenkenntnis einzusammeln, aber es ist kostspielig. Doch lasse sich darum keiner von dieser Reise abhalten. Wir Männer sind ja darin so gut bedacht! Wo unser Geld aufhört, beginnt unsere Philosophie, und können wir in keinem Tilbury über die Straßen fliegen, gehen wir zu Fuße und sind humoristisch. Aber die Frauen – wer zum Herrschen geboren, entbehrt ungeduldig! Wenn ihnen das Glück nicht aufs freundlichste lächelt, sollen sie die vaterländischen Freuden von Schwalbach und Kannstadt genießen und ja nicht nach Paris kommen.

4. Das Gastmahl der Spieler

IV.

Das Gastmahl der Spieler

Deutsche Handels- und sonstige Geschäftsleute, die sich weniger aus Büchern als aus Manuskripten machen, glauben gewöhnlich, wir Stubengelehrten wären dumm in allen weltlichen ungedruckten Dingen; sie halten uns für eine Art Nachtigallen, die nur im stillen und dunkeln munter sind. Ich selbst war lange dieser Meinung, und es war mir ein rechter Trost, zu wissen, daß meine Gelehrsamkeit nicht übermäßig groß sei. Ich bin aber von dieser Ansicht zurückgekommen, besonders seitdem ich in Paris lebe. Ich habe gefunden, daß wir Generalgeographen mit Kompaß und Sternkunde leichter selbst die Feldwege der großen Welt als die Geschäftsleute mit ihrer Spezialkarte die Landstraßen darin finden. Ausgerüstet mit Hofbauers empirischer Psychologie und andern schönen philosophischen Kenntnissen, wußte ich trotz meiner Jugend mich in Paris vor jeder Prellerei zu schützen und verirrte mich nie auf den mäandrischen Wegen der List[20] und Lust. Mehrere deutsche Geschäftsleute aber, die ich dort kennen gelernt, kamen schlimm weg und wurden in allen Artikeln, die sie zu Hause nicht in ihrem Warenladen führten, heillos betrogen. Ein Bremer Spediteur lobte mir seinen Lohnbedienten als die ehrlichste Haut von der Welt. Ich kam, hörte, kannte ihn und schloß aus transcendentalen Gründen, daß der Kerl ein Spitzbube sei. Er hatte als rüstiger junger Mann der Bestürmung der Bastille beigewohnt, war während der Revolution, die Kaiserzeit eingerechnet, nacheinander Kutscher, Friseur, Wasserträger, Portier und Kommissionär gewesen, nach der Restauration aber, wie viele andere, Lohnbedienter geworden. Sechsundfünfzig Jahre alt, war er noch voller Sentimentalität. Er sagte, all sein Streben sei, so viel Geld zusammen zu sparen, in sein friedliches Geburtsdörfchen, an den lieblichen Ufern der Loire, zurückkehren zu können, um dort, fern von dem verdorbenen Paris, seine Tage zu beschließen. Er unterrichtete den Bremer von allen ihm noch unbekannten Wegen der Liederlichkeit, um ihn davor zu warnen. Er konnte ihm besonders die Spieler und Spielhäuser nicht schwarz genug schildern und sprach mit Wehmut von den lasterhaften Mitteln, die angewendet würden, Fremde ins Verderben zu führen. Da wäre unter andern ein großes Spielhaus, wo jede Woche zweimal offene Tafel für Fremde gehalten würde, an der man königlich speise. Der Bremer, der als reicher Mann wohl schon fürstlich gegessen haben mochte, aber königlich noch nie, bezeigte große Lust, einmal in dem Lockspeisehause zu essen. Der ehrliche Lohnbediente zuckte warnend die Achseln, aber den folgenden Tag erhielt mein Freund eine höfliche Einladung von der Spieldirektion, für sich und noch zwei andere Personen gültig. Er forderte mich auf, ihn zu begleiten. Um fünf Uhr nachmittags gingen wir in das bezeichnete Hotel. Mit der Zuversicht, die sich ein tugendhafter[21] Mann Spitzbuben gegenüber fühlt, trat ich in das palastähnliche Haus. Aber mein Gott, was ist der Mensch für ein Narr, und wie schwach sind seine Augen, daß er sich von jeder erlogenen Majestät, selbst der des schlechtesten Tombaks, blenden läßt! Es war im Spieltempel alles so feierlich, so ernst, abgemessen und anständig, daß das humoristische Behagen, mit dem ich gekommen war, schnell verschwand, und ich einige Stunden lang in der größten Verlegenheit war. Ich glaubte am Hofe Philipps II. zu sein, und es bedurfte des Champagners und anderer edeln Weine, mein schwaches Herz wieder zu stärken.

Schon auf der Straße vor dem Hotel ward uns schlimm zumute. Die glänzendesten Equipagen, Jäger hintenauf, kamen angefahren, und heraus stiegen nur Leute mit Ordensternen und Bändern. Wir waren die einzigen Fußgänger, die sich zeigten. Der Portier, als wir seine Loge vorbeikamen, rief uns zu, wohin wir wollten? Wir antworteten, wir kämen, mit den Spielern zu essen! Der Portier lachte und sagte, hier äße man nicht. Der Bremer zeigte seine Einladungskarte als Paß vor und wir durften weiter gehen. Wir traten in ein ebener Erde gelegenes Zimmer, wo ein Dutzend übermütiger Lakaien ihr Wesen trieb. Der Bremer fragte: wo man äße? Erhielt zur Antwort: Hier nicht! – Wir gingen wieder hinaus, eine Treppe hinauf, wo wir den Speisesaal entdeckten. Der Bremer fragte die Bedienten, die noch mit Zubereitungen beschäftigt waren: wann man äße. Die Schlingels gaben ihm keine Antwort. Wir stiegen wieder hinab und gingen abermals in das Bedientenzimmer. Auf die Frage: was wir suchten? zeigte der Bremer zum zweiten Male seine Einladungskarte vor, worauf man uns die Hüte abnahm und uns in die Gesellschaftszimmer wies. Beim Eintreten bemerkte ich, daß mir mehrere Herren ernsthaft auf die Füße sahen, und ich gewahrte mit Schrecken, [22] daß ich der einzige war, der in Stiefeln erschien. Ich setzte mich an einen Lesetisch, um meine Füße zu verbergen und nur Kopf und Herz zu zeigen, und las einige Ultrablätter. Als ich wieder aufgestanden, kam ein großer, stattlicher Mann, majestätischer Haltung, gleich Ludwigs XIV. seine, zu mir und fragte, wer ich wäre und was ich wollte? Der Herr hatte das Kinn im Halstuche, was ein schlimmes Zeichen war; den Studiosen der Menschenkenntnis muß ich die Lehre geben, daß man Leuten, die ihr Kinn im Halstuch tragen, zwar trauen soll, aber nicht viel. Ich übersah sogleich das Mißliche meiner Lage, und hatte die Geistesgegenwart, mich anzustellen, als verstünd ich ihn nicht. Da ich ihm aber antworten mußte, beschloß ich, eine Sprache mit ihm zu sprechen, die er auch nicht verstand. Aber welche? Das war die Frage. Zwar kennt in der Regel ein Franzose nur seine Muttersprache; aber Spieler sind Kosmopoliten und Polyglotten. Ich bereitete also in der Schnelle ein Zungenragout vom deutschen Herr, dem italienischen Signore und dem englischen Sir. Die Olla Potrida tat ihre Wirkung. Es kam nämlich alles darauf an, Zeit zu gewinnen, bis mein Bremer Freund, der sich entfernt hatte, wieder herbeikäme. Endlich erschien dieser, und ich gab pantomimisch zu verstehen, das sei der Mann, der über mich die beste Auskunft geben könnte. Der stattliche Herr (wie ich später erfuhr, ein Marquis, von der Spielgesellschaft angestellt, in diesem Hause die Honneurs zu machen) fragte den Bremer, als ihm dieser unter mehreren Kratzfüßen bemerkt, er habe mich mitgebracht, wer er sei? Der Bremer nannte sich. Der Marquis erwiderte, er habe nicht die Ehre, ihn zu kennen; da zeigte der Bremer zum dritten Male seine Einladungskarte vor. Jetzt hieß uns der Marquis willkommen, und als er vernahm, wir wären Deutsche, bemerkte er, er sei auch in Wien gewesen: die Franzosen nämlich halten Wien für die Hauptstadt[23] Deutschlands und wissen nichts von unseren glücklichen kleinen Föderativstaaten.

Man ging zu Tische. Ich habe zwar schon mehrere deutsche Höfe speisen sehen, aber nur aus der Vogelperspektive, von der Galerie herab. Es war das erste Mal, daß ich an einer fürstlichen Tafel tätigen Anteil genommen, als wirkliches Mitglied. Welche Pracht und Herrlichkeit! Zum Glück war ich an jenem Tage nicht sentimental gestimmt, sonst hätte ich keinen Bissen essen können. Ich hätte mir vorgestellt, daß alle diese Speisen in Blut und Tränen gekocht sind, von den Selbstmördern und Verzweiflungsvollen vergossen, welche täglich in den Pariser Spielhäusern ausgeplündert werden. Doch muß ich bemerken, daß es sich sämtliche Gäste sehr schmecken ließen, welches ein erfreuliches Zeichen von noch übrig gebliebener Tugend war; denn vollendete Spieler und Gauner leben bekanntlich wie die Anachoreten und essen und trinken wenig. In der Mitte der eirunden Tafel saß der Marquis und Zeremonienmeister, über alle hervorragend an Gestalt und würdigem Betragen. Unaufhörlich, während der ganzen Mahlzeit, brachten ihm Adjutanten versiegelte Depeschen, in Duodez, Kleinquart und Großfolio, deren Siegel von bedeutendem Umfange waren. Der Marquis erbrach sie, las sie, ohne eine Miene zu verziehen, und reichte sie dann einem hinter ihm stehenden Lakaien. Es ging in seiner Nähe her wie in einem Hauptquartier. Ich fragte meine empirische Psychologie, was diese häufige Korrespondenz zu bedeuten habe? Sie antwortete mir: es wären unschuldige Liebesbriefe, welche die Polizei mit dem Marquis wechsele. Jene stünde nämlich mit der Spieldirektion in den freundschaftlichsten Verhältnissen, und beide teilten sich wechselseitig ihre anthropologischen Erfahrungen mit. Übrigens ging es bei Tische langweilig genug her, und ich vermochte mir die Zeit nur dadurch zu verkürzen, daß ich in meinem [24] Sinne scherzhafte und zeitgemäße Gespräche mit der Gesellschaft pflog. So dachte ich, wie artig es wäre, wenn ich beim Dessert mich vom Stuhle erhübe und riefe: Meine Herren, wir sind unter uns, lassen Sie uns dieses Glas auf das Wohl Napoleons II. leeren! – Oder wenn ich dem Marquis über die ganze Breite des Tisches die Frage zuschickte: ob er Schleiermachers Übersetzung des Plato kenne? – Oder wenn ich mit meinem Nachbar links über die Verderblichkeit der Hazardspiele laut spräche und meinen Nachbar rechts fragte: Franchement, Monsieur, que pensez-vouz des fausses années de voyage de Guillaume Meister, par Monsieur Pustkuchen?

Nach dem Essen und eingenommenen Kaffee begann das Spiel. Mein Bremer Freund bemerkte mir, wir beide zusammen hätten wohl fünfzig Franken, im Wirtshauspreise berechnet, bei Tische verzehrt, und es wäre doch sehr undelikat, wenn nicht einer von uns spielen wollte. Ich erwiderte ihm, wenn er zart sein wolle, hätte ich nichts dagegen; ich selbst aber würde nicht spielen. Der Bremer spielte und trieb die Delikatesse so weit, daß er zwölfhundert Franken verlor. Ich wiederholte unterdessen einige Betrachtungen, die ich an Hazardspieltischen schon oft angestellt. Erstens die: daß die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Bankhalter ihr nichtswürdiges Geschäft treiben, ganz unerträglich sei. Sie könnten immer etwas dabei scherzen; die giftigsten Schlangen hätten wenigstens eine schöne Haut. Aber freilich ist diese Ernsthaftigkeit eine der Todsünden der Menschen; der ihnen eingeborne Hochmutsteufel spricht sich darin am deutlichsten aus. Friedrich Schlegel mag tun und sagen was er will, er wird nie das herrliche Wort vergessen machen, das er einst ausgesprochen: »Der Mensch ist eine ernsthafte Bestie.« Ganz gewiß haben die alten römischen Senatoren, da die Gallier vor ihrer Stadt waren, kein wichtigeres Gesicht gemacht, als jeder Paßbureauist annimmt, [25] wenn er uns signalisiert. Am ärgerlichsten war mir diese Ernsthaftigkeit immer an Bankiers und andern Handelsleuten gewesen. Geld zählen und verdienen und den Gewinn berechnen ist zwar ein sehr heiteres Geschäft, aber durchaus kein erhabenes, und es ist gar nicht zu begreifen, warum jene Herren, wenn man auf ihr Comptoir kommt, eine so ehrfurchtgebietende Miene annehmen! – Die zweite Betrachtung, die ich an Hazardspieltischen anzustellen pflege, ist folgende: Wenn man alle die Kraft und Leidenschaft, die Seelenbewegungen und Anstrengungen, die Ängsten und Hoffnungen, die Nachtwachen, Freuden und Schmerzen, die jährlich in Europa an Spieltischen vergeudet werden, wenn man dieses alles zusammensparte – würde es ausreichen, ein römisches Volk und eine römische Geschichte daraus zu bilden? Aber das ist es eben! Weil jeder Mensch als Römer geboren wird, sucht ihn die bürgerliche Gesellschaft zu entrömern, und darum sind Hazard-und Gesellschaftsspiele, Romane, italienische Opern und elegante Zeitungen, Casinos, Teegesellschaften und Lotterien, Lehr- und Wanderjahre, Garnisons-und Wachparadendienste, Zeremonien und Aufwartungen und die fünfzehn bis zwanzig anliegende Kleidungsstücke, die man täglich mit heilsamem Zeitverlust an- und auszuziehen hat – darum ist dieses alles eingeführt, daß die überflüssige Kraft unmerklich verdünste! Noch glücklich, daß es dem Menschen nicht mit der Natur gelingt, was sie mit der Menschheit zustande gebracht; sie hätten das Weltmeer schon längst in Springbrünnchen zertröpfelt und Vulkane in chinesische Feuerwerke verpufft, daß Sturm und Lava ja kein Verderben drohe!

Wir gingen nach Hause; ich an Leib und Seele gestärkt, der Bremer aber sehr verstimmt. Er erzählte seinem ehrlichen Lohnbedienten, wie schlimm es ihm ergangen. Bei dieser Gelegenheit sah ich abermals, was die Franzosen [26] für liebenswürdige Menschen sind. Ein pedantischer deutscher Sittenprediger, der, wie der Lohnbediente es getan, den Bremer vor Spielern gewarnt, hätte diesen, nachdem er seine Warnung nicht geachtet und dadurch in Schaden gekommen, mit Vorwürfen überhäuft und gesagt: es geschieht Ihnen recht, warum haben Sie mir nicht gefolgt! Unser edler Lohnbediente aber betrug sich ganz anders. Anfänglich, als der Bremer sein Mißgeschick erzählte, lächelte er und schwieg und dividierte wahrscheinlich im stillen, wieviel er von der Spielergesellschaft an Courtage zu fordern habe. Dann aber sagte er bloß: Beruhigen Sie sich, mein Herr, Sie werden ein anders Mal glücklicher sein! Um ihn völlig aufzuheitern, erzählte er ihm mehrere Spieleranekdoten. Unter andern: Oben erwähnter Marquis, ehemaliger Emigrant und restaurierter Lump, habe das Glück gehabt, eine reiche Heirat zu schließen. In einer Nacht, da er sein ganzes Vermögen verspielt, habe er zuletzt das Landgut seiner Gemahlin gegen einen Engländer gesetzt und es verloren. Der Engländer sei gleich vom Spieltische weg nach Mitternacht auf das vier Stunden von Paris entfernte Gut gefahren und habe früh morgens als Hausherr heftig an der Türschelle gezogen. Die Hofhunde hätten gebellt, der Gärtner gefragt, was er so früh befehle. Der phlegmatische Engländer aber habe sich um Bellen und Fragen nicht bekümmert, sondern habe alles mit Muße und Bequemlichkeit in Augenschein genommen. Endlich sei der Gärtner grob geworden, der Engländer habe ihn darauf bei der Brust gepackt und ihn mit den Worten: »Scher' er sich zum Teufel, ich brauche seine Dienste nicht mehr!« zum Tore hinausgeworfen. Darüber sei die Marquisin aufgewacht, wäre im Nachtkleide ganz erschrocken herabgekommen und habe den Engländer gefragt: was ihm gefällig wäre? Dieser habe geantwortet: Nichts, er wolle in seinem Park ein wenig [27] spazieren gehen und habe der Marquisin den Abtretungsschein des Landgutes vorgezeigt. Die arme Frau wäre bald darauf vor Gram gestorben. Die Pariser Spielgesellschaft aber habe sich gegen den Marquis, wie sie es gegen ihre Schlachtopfer zuweilen zu tun pflege, sehr großmütig benommen und ihn zum Honneurmachen in genanntem Hause angestellt, wofür er täglich hundert Franken Gehalt bekomme.

Diese artige Anekdote vermochte aber den verdrießlichen Bremer nicht aufzumuntern. Ich sagte ihm: »Wären Sie ein gewöhnlicher Süddeutscher, wie ich, hätten Sie freilich Ihr Geld nicht verloren; weil Sie aber als Norddeutscher zartfühlend sind, haben Sie gespielt und sind in Schaden gekommen. Ihr Verlust entspringt also aus einer edlen Quelle, und Sie sollten sich darum trösten. Was liegt auch daran? Sie brauchen ja nur eine Kleinigkeit auf jedes Stück Kaliko zu schlagen, um sich reichlich zu entschädigen. Weil wir gerade von Kalikos sprechen, lieber Freund, folgen Sie meinem Rate, Sie werden mir es einst danken. Kaufen Sie so viele Kalikos zusammen, als in Manchester aufzutreiben sind, und zahlen Sie, was man fordert. Ich sage Ihnen, die Welt ist rund; heute rot, morgen tot. Wir legen uns gut englisch zu Bette und stehen kontinentalsystematisch auf. Es ist heute Johannistag; denken Sie an mich!« ... Das wirkte; der Bremer drückte mir freundschaftlich die Hand, und wir wünschten uns gute Nacht.

5. Stern und Steuermann

V.

Stern und Steuermann

Schöne Namen für ein Lustspiel von Clauren oder für eine Erzählung von Laun, und es ist eine wahre Verschwendung, daß sie hier dazu dienen müssen, einen verwachsenen diplomatischen Bericht zu zieren! ImPalais [28] Royal, auf dem Boulevard des Italiens und an einigen anderen Orten zieht jeden Abend der Schein zweier Laternen die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden an; denn ihr Licht fällt durch ausgeschnittene Buchstaben, die mit ölgetränktem, rotgefärbten Papiere überzogen sind. Die eine Laterne zeigt einen Stern(l'étoile) und darunter die Worte: Journal du Soir; die andere gibt zu lesen: le Pilote, Journal du Soir. Die Etoile ist ein Ultra-, der Pilote ein liberales Blatt. Vier Wochen hindurch habe ich kaum einen Abend versäumt, mich in der Nähe der Laternen zu setzen und aufzupassen. Ich kann auf Ehre versichern, daß gegen ein Exemplar der Etoile vierzig Exemplare des Pilote verkauft werden! Wenn man den Zeitungskrämern die Hand fordernd hinreicht, ohne sich zu erklären, welches Blatt man verlangt, geben sie einem immer den Etoile. Ja mir, da sie meine Ausländerei gemerkt, gaben sie verschiedene Male das Ultrablatt, ohngeachtet ich den Pilote gefordert. Beweis, daß sie an ersterem mehr verdienen, weil man es ihnen wahrscheinlich unentgeltlich gibt. Die andern Nutzanwendungen kann man sich von selbst machen – sapienti sat, sagt der Lateiner ... Das geht die Leserinnen nichts an.

6. Die Läden

VI.

Die Läden

Alexander der Große gab sich viele Mühe, die Welt zu erobern, nur damit die Athenienser von ihm sprächen. Das wäre eine ganze Welt zu viel, um die Pariser einen Tag, um sie ein Jahr lang von sich reden zu machen, eine Welt zu wenig. Es dahin zu bringen, müßte man die eroberte Welt auch wieder verlieren. Sich in dieser Riesenstadt hervorzutun, sich in diesem Ozean als einzelne Welle bemerklich zu machen, erfordert große Übung, [29] die aber keinem Eingebornen mangelt. In Deutschland ist Scharlatanerie die Krücke eines lahmen Verdienstes; hier ist sie die notwendige Einfassung, von der entblößt auch der echteste Diamant keine Blicke anzieht. Man muß es den Parisern zum Lobe nachsagen: sie wissen jede schöne Gabe zu würdigen, die Tugend sogar, nur muß sie lärmen; selbst Bescheidenheit findet ihren Beifall, wenn sie zu reden versteht, ohne die Lippen zu bewegen. Das Verdienst, das hier zugrunde geht, an dem geht nichts zugrunde. Von allen den Kunstgriffen, die von jedem in seinem Kreise angewendet werden, seine Person und seinen Besitz auf das vorteilhafteste geltend zu machen, könnte man ein großes Buch anfüllen. Ich will dieses Mal nur einige der sinnlichen Mittel erwähnen, welche die Warenhändler gebrauchen, die Kauflust zu erwecken und die Kauflustigen anzuziehen. In denjenigen Teilen der Stadt, wo die Theater, die öffentlichen Spaziergänge, die andern Sehenswürdigkeiten liegen, wo daher die meisten Fremden wohnen und sich umhertreiben, gibt es fast kein Haus ohne Laden. Es kommt auf eine Minute, auf einen Schritt an, die Anziehungskräfte spielen zu lassen; denn eine Minute später, einen Schritt weiter steht der Vorübergehende vor einem andern Laden, worin er auch die Ware findet, die er suchte. Die Augen werden einem wie gewaltsam entführt, man muß hinaufsehen und stehen bleiben, bis der Blick zurückkehrt. Der Name des Kaufmanns und seiner Ware steht zehnmal neben, untereinander auf den Türen, über den Fenstern auf Schildern geschrieben, die Außenseite des Gewölbes sieht aus wie das Schreibbuch eines Schulknäbchens, das die wenigen Worte der Vorschrift immerfort wiederholt. Die Zeuge werden nicht in Mustern, sondern in ganzen aufgerollten Stücken vor Türe und Fenster gehängt. Manchmal sind sie hoch am dritten Stocke befestigt und reichen nach allerlei Verschlingungen[30] bis zum Pflaster herab. Der Schuhmacher hat die Außenseite seines ganzen Hauses mit Schuhen aller Farben bemalt, welche bataillonsweise zusammenstehen. Das Zeichen der Schlosser ist ein sechs Fuß hoher vergoldeter Schlüssel; die Riesenpforten des Himmels brauchten keinen größern. An den Läden der Strumpfhändler sind vier Ellen hohe, weiße Strümpfe gemalt, vor welchen man sich im Dunkeln entsetzt, man glaubt, weiße Gespenster strichen vorüber. So hat hier jeder auch für die kleinsten Fische, die er fangen will, einen großen Haken. Auf eine edlere und anmutigere Weise wird aber Fuß und Auge durch die Gemälde gefesselt, welche vor vielen Kaufläden ausgehängt sind und gewöhnlich die Art des Verkehrs sinnbildlich ausdrücken. Diese Gemälde sind nicht selten wahre Kunstwerke, und wenn sie in der Galerie des Louvres hingen, würden Kenner wenn auch nicht mit Bewunderung, doch mit Vergnügen vor ihnen stehen bleiben. Sie sind zugleich treffende Sittenbilder aus dem Pariser Leben, und es ist darum so lehrreich als unterhaltend, sich mit ihnen zu beschäftigen. Ich will einige, die mir aufgefallen sind, beschreiben. Den Laden eines Shawls-Händlers ziert ein Bild mit sieben lebensgroßen Figuren; es führt die Überschrift:au serment. Drei Männer überreichen dreien Frauen mehrere Shawls und machen dabei mit den Händen feierlich beteuernde Bewegungen. Sie schwören, daß dieses echte französische Shawls wären, und mögen wohl hinzusetzen, daß brave Franzosen englische Waren verabscheuten, denn ein im Hintergrunde stehender Engländer wirft erboste Blicke auf das mer kantilisch-patriotische Triumvirat herüber. Das ist die offene Bedeutung des Bildes; es hatte aber früher noch eine versteckte. Bis vor zwei Jahren nämlich waren die dargebotenen Shawls von weißer, roter und blauer Farbe, und die Kaufherren schwuren, daß dieses die echten, jedem Franzosen [31] teuern Farben wären; aber auf Gebot der hypochondrischen Polizei, die jedes Lüftchen fürchtet, mußte eine der Farben ausgelöscht werden ... Unweit dem vorigen hängt am Hause eines Perückenmachers ein Bild, das zwar schlecht gemalt ist, aber eine drollige Vorstellung enthält. Der Kronprinz Absalon hängt mit den Haaren am Baume und wird von einer feindlichen Lanze durchbohrt. Darunter die Verse:


Contemplez d'Absalon le déplorable sort,
S'il eût porté perruque, il évitait la mort.

Ein anderes sehr gut gemaltes Bild, ein Rosenmädchen vorstellend, das knieend aus den Händen eines Ritters den Kranz empfängt, schmückt die Ladentüre einer Putzmacherin. Das Mädchen sieht so fromm und unschuldig aus, daß junge Leute ohne Erfahrung, deren es aber in Paris keine gibt, daran irre würden und vorübergingen, ihre Handschuhe in einem anderen Laden zu kaufen ... Ein Vögelhändler zieht die Aufmerksamkeit durch ein Gemälde an, welches die Arche Noah vorstellt. Der ganze Prolog der Sündflut ist darauf gemalt. Die Arche liegt ganz gemächlich im Trocknen und wartet, bis die Flut komme, sie flott zu machen. Vater Noah spielt mit einem Affen und macht ein diplomatisches Gesicht: er allein weiß, was vorgeht. In einer unabsehbaren Reihe kommen die vierfüßigen Tiere herbeigelaufen, sich in die Arche zu retten. Sie gehen je zwei und zwei, aber ohne allen Geburtsrang, wie es in der Not gewöhnlich ist; der Löwe folgt dem Pferde, der Fuchs geht dem Esel voraus, der Hase läuft dem Hunde nach. Es ist ein herrliches Bild! Am anziehendsten wird aber jeder, gleich mir, das Gemälde finden, das ein Professor der deutschen Sprache und der seinem Namen nach ein geborener Deutscher ist, vor seiner Wohnung im Palais Royal hängen hat. Ein Mann in den besten [32] Jahren und ohne Zweifel der Professor selbst, sitzt mit einem Buche in der Hand in einem Lehnsessel, beschäftigt, einem vor ihm stehenden Knaben seine Lektion abzuhören. Etwas weiter zurück sitzt ein wunderschönes, junges Mädchen, und hinter ihm, über dem Stuhle gelehnt, steht ein roter Husarenoffizier, der nach aller mimischen Wahrscheinlichkeit eine Liebeserklärung vorbringt. Das Mädchen zeigt mit dem Finger auf eine Stelle des Buches, und der französische Husar, die Hand auf das Herz gelegt, scheint ihr nachzusprechen: ick lie-be. Ich habe aus diesem Bilde mit großem Vergnügen ersehen, daß deutsche Professoren in Paris Welt bekommen. In unserm Vaterlande wäre ein Sprachlehrer zu schüchtern, durch ein Aushängeschild bekannt zu machen, daß er Schule für den wechselseitigen Unterricht zwischen jungen Mädchen und roten Husarenoffizieren halte.

Ich darf den neuen Bijouterieladen des Herrn Franchet in der Straße Vivienne nicht vergessen. Sechs Monate wurde an diesem Laden gearbeitet, und die Glücklichen, welchen es gelang, einen Blick hinter die vorgehängten Tücher zu werfen, konnten nicht Wunder genug erzählen. Endlich vor drei Wochen, am Geburtstage des Herzogs von Bordeaux, wurde die Bude geöffnet; Herr Franchet ist nämlich der Juwelier der Herzogin von Berry: Diese Bude, ein kleines Zimmer von höchstens zwanzig Fuß Länge, hat vierzigtausend Franken gekostet, so prachtvoll ist alles eingerichtet. Über dem Eingange nach der Straße zu sind in zwei goldnen Kreisen zwei sorgfältig gemalte Wappen angebracht. Der eine Kreis umfaßt vereinigt das Wappen des französischen und neapolitanischen Hauses; der andere enthält ein etwas mystisches Wappen. Es sind erst die Krystallisationspunkte zu zukünftigen Herrlichkeiten, Embryonen von Königreichen, Kronen in der Eierschale – kurz, es [33] steckt etwas dahinter und mag sich alles auf den Herzog von Bordeaux beziehen. Hiesige bevollmächtigte Gesandten, die ihr Geschäft verstehen, werden gewiß nicht versäumt haben, ihre Späher hinzuschicken, um zu untersuchen, ob nichts Erkleckliches herauszuziffern sei.

7. Der Greve-Platz

VII.

Der Greve-Platz

Ein aufgeschlagenes Buch ist Paris zu nennen, durch seine Straßen wandern heißt lesen. In diesem lehrreichen und ergötzlichen Werke, mit naturtreuen Abbildungen so reichlich ausgestattet, blättre ich täglich einige Stunden lang. Es war zwei Uhr, da ich aus dem Hause trat. Unfehlbar um diese Zeit spielt der fleißige Tischler gegenüber ein Viertelstündchen mit seinen Papageien; dann wird der Hobel von neuem gerührt. Der deutsche Baron, mein Nachbar, war eben heimgekehrt und hüpfte, wie ein Spatz, aus seinem Tilbury. Ein leichtfüßiger Herr! Das Perd, auf dem Wege zum Stalle, wird kaum fühlen, daß seine Last leichter geworden. Bald kam ich in die Straße Vivienne. Hier ist das Paradies der weiblichen Welt, da findet sich alles, was die Häßlichkeit braucht, sich zu verbergen, und die Schönheit, sich zu verraten. Hüte, Blonden, Schleier, Geschmeide von Gold und Edelsteinen, und alles in so reichem und kostbarem Vorrate, daß selbst eine Königin mit Bedenken wählen müßte. Vor einem Putzladen hielt eine glänzende Kutsche; der gemächlichen Dame öffnete ein Mohr den Schlag. Ich sah mir das Wappen an – ein ganzes Stickmuster von farbigen Feldern, nebst Klauenund Schnabeltieren aller Art. Fünf Minuten später warf ich den Blick durch die geöffnete Pforte des Tempels der Eitelkeit und sah für einen Hut einen Bankzettel hinlegen. Das waren, wenn nicht tausend, wenigstens fünfhundert [34] Franken. Darauf wurden zwei Goldstücke herausgegeben. Der Hut war schöner, als ihn eine männliche Feder beschreiben kann: ein Paradiesvogel mit seinem ganzen Gefieder umschimmerte den Kopf. Habe so etwas in meinem Leben noch nicht gesehen! Doch vielleicht hätte die edle Frau Rang und Reichtum gern für das hübsche Gesicht hingegeben, das neben mir lechzende Augen nach Hut und Bankzettel schickte. Ich ging weiter, ein kleiner Menschenkreis zog mich an, ich drängte mich durch. Zwei Lumpensammler waren in heftigen Wortwechsel geraten. Ihr kümmerliches Gewerbe folgt dem des Bettlers. Der eine hatte einen handbreiten wollenen Lappen im Kuhmist ausgestöbert, der andere als gleichzeitiger Entdecker machte Ansprüche darauf, hob drohend seinen Stock mit eisernen Haken in die Höhe und sprach mit wütenden Gebärden: veux-tu lâcher cela? Unweit davon zeichnete ein Mann stehenden Fußes etwas in seine Schreibtafel ein, so ernst, so andächtig dabei, als hätte ihm der liebe Gott seine zehn Gebote in die Feder gesagt. Ein schnarrendes Gare! weckte ihn aus seinen frommen Träumen. Er mochte wohl ein Wechselmäkler sein, denn er war von der Seite der Börse hergekommen. Jetzt ging ich den Perron hinab in das Palais Royal. Dieses Lustlager ist wohl jedem bekannt. Alles findet sich hier, selbst menschliches Elend – nur nicht dessen Schein. Die Armut ist vergoldet, der Hunger scherzt, das Laster lächelt.

So war ich zwei Stunden lang umhergewandert und hatte auf allen Straßen das regste Leben gefunden. Es hüpfte, sang und lachte zwar nicht immer dieses Leben, es schlich, stöhnte und weinte wohl auch–doch es lebte. Und in dieser nämlichen Stunde, in dieser nämlichen Stadt, atmeten vier Jünglinge ohne zu leben, denn wenn nicht Verzweiflung war Verklärung über sie gekommen, schon waren sie keine Menschen mehr. Die Soldaten, [35] welche wegen Teilnahme an der Verschwörung von Rochelle zum Tode verurteilt worden, sollten um vier Uhr auf dem Greve-Platz hingerichtet werden. Das hatte ich erst auf der Straße erfahren. Vielleicht eine halbe Million Menschen erfuhr diese Hinrichtung erst aus der Abendzeitung. So ist Paris! Es war schon vier Uhr. Ich warf mich in ein Cabriolet, noch den fürchterlichen Schauplatz zu erreichen. Den Palast der Tuilerien vorüber, den Tells Enkel bewachen; das Louvre vorbei, aus dessen Fenster Karl IX. in der Bartholomäusnacht auf die Herzen seiner Untertanen gezielt; am Pont-Neuf vorüber, worauf das Standbild des guten Heinrichs, dessen fromme Augen der Richtstätte gerade zugewendet sind: bis auf den Chatelet-Platz – weiter konnte ich nicht dringen, die Wachen hielten den Weg gesperrt. Eine Brücke, pont-au-change genannt, geht auf diesen Platz aus. Über diese Brücke, jenseits der Seine her, wo das Gefängnis ist, mußten die Verurteilten geführt werden, um zum Greve-Platz, der am diesseitigen Ufer liegt, zu gelangen. Ein großes, mit einem Balkon versehenes Speisehaus gab den besten Standpunkt, den traurigen Zug, der kommen sollte, zu übersehen. Dieses Gebäude steht auf der Stelle, wo le grand châtelet war, eine Burg, die Julius Cäsar erbaute und deren Grundmauern im Jahre 1802 niedergerissen worden. Ich stieg in den großen, herrlichen Saal, wo viele Menschen guter Dinge waren. Ich sah mitleidige Weiber mit bleichen Wangen und schwer gehobener Brust; aber sie aßen und tranken doch. Der Dichter, welcher sang: »Süß ist's, vom sichern Hafen aus Schiffbrüchige zu sehen« – der kannte das menschliche Herz! Keiner wagte die Empfindungen, die er hatte, laut werden zu lassen, nur die Spione sprachen Empfindungen aus, die sie nicht hatten. Für diese Würmer war heute gutes Wetter, denn die Fäulnis ist ihre Wiege. Höher als sonst spitzten die Horcher ihre Ohren, denn [36] in diesem Saale konnten Wein und Mitleid auch ängstlich verschlossene Lippen öffnen. Einer kam, auch mir den Puls zu betasten. Einen Blick zum Fenster hinaus auf die Volskmenge und die bewaffnete Macht werfend, sprach er mit spöttischer Miene vor sich hin: »il leur faut quatre mille hommes pour quatre!« Ich schwieg. »Ces jeunes hommes ont bien merité un petit châtiment, ils ont voulu renverser le gouvernement, mais...« Ich schwieg. »Paris dort!« sagte der sentimentale Spion. Ich schwieg, aber ich dachte: Paris schläft nicht, es wacht, kennt die Furcht, bedenkt, zaudert und läßt geschehen. Denn schliefe dieser tausendarmige Riese und reckte seine Glieder und wendete sich um, wie man es im Schlafe bewußtlos tut, dann würden an dieser gedankenlosen Bewegung die Bajonette dort zerknicken und vier Mütter weinten nicht um ihre Söhne.

Jetzt wälzte sich ein breites Gemurmel vom jenseitigen Ufer herüber. Wir sprangen von unsern Tischen auf und eilten auf den Balkon. Der Zug kam näher, die Verurteilten, in bürgerlicher Kleidung mit entblößtem Haupte, saßen rückwärts, je zwei auf einem Karren. Jeder hatte einen Geistlichen zur Seite. Die Jünglinge schenkten ihnen aber keine Aufmerksamkeit, sondern wendeten ihr Gesicht der andern Seite, der versammelten Menge, zu, diese immerfort freundlich grüßend. Sie schienen ruhig, ja heiter. Sie zogen vorüber. Noch eine halbe Stunde vor ihrer Hinrichtung war der Prokurator des Königs im Gefängnisse bei ihnen. Das Geständnis der Wahrheit hätte die Hoffnungslosen vielleicht, eine willkommene Lüge sicher gerettet. Sie schwiegen und starben. Bald kehrten die Karren mit vier Leichnamen zurück. Die bewaffnete Macht ging auseinander. Die klugen Stellungen, welche diese genommen, das Volk im Zaum zu halten, hatte ich mit Bewunderung angesehen. Schaudernd verehrte ich die Macht des menschlichen [37] Geistes, die Werke seiner Wasserbaukunst, wie er das Meer bändigt und der kleinen Kraft die Herrschaft über die größere sichert. Da, zum erstenmal in meinem Leben, fiel mir bei: Regierungen sind wohl von Gott eingesetzt – wie hielten sich sonst manche!

Die Straße war frei geworden, ich ging nach dem Greve-Platz. Dort war man beschäftigt, das Schaffot auseinander zu legen. Eimer mit Wasser wurden über den blutgetränkten Boden ausgeschüttet. Ich dachte an der Lady Macbeth Hand. Ich fragte den und jenen, wie die Jünglinge gestorben. Sie waren festen Schrittes die rote Treppe hinaufgestiegen. Vive la liberté! waren ihre letzten Worte.

Die Nacht war angebrochen. Die Uhr des Stadthauses wurde beleuchtet. Eine nachahmungswürdige Einrichtung! Der Greve-Platz ist auf drei Seiten von Gebäuden umgeben. Die vierte Seite ist offen und der Seine zugewendet. Das Hôtel de ville und alle Häuser auf dem Platze sind von altertümlicher Bauart, wie auch in deutschen Städten Märkte und Rathäuser beschaffen sind. Auf dem Greve-Platz findet sich viel nachzusinnen; was ist hier nicht alles geschehen! Ich dachte: wenn Frankreich keine Humoristen hat, sie wohnen hier; wenn es keine Schelme hätte, sie wären hier gewiß zu finden: wenn es die Empfindsamkeit nicht kennt, hier sucht man sie nicht vergebens. Denn allen, die seit dreiunddreißig Jahren auf dem Greve-Platz wohnen – welche andere Wahl könnte ihnen bleiben, als über die Herren der Schöpfung zu lachen, Schelme zu werden oder vor Wehmut zu zerfließen? Ich hatte einen großen Gedanken: die Hauptsache ist, daß man beim Leben bleibt! Die erste Hinrichtung, die auf diesem Platze geschah, wurde im Jahre 1310 an Margarethe Porette, einer Ketzerin, vollzogen. Diese Unglückliche freilich hätte auch bei der größten Gunst der Parzen ihr Leben nicht bis auf unsere [38] Tage erstrecken können. Aber die siebenunddreißig Bürger, die bei einem Aufstande am 24. August 1787, da das Volk noch nicht Herr war, von einer einzigen Gewehrladung der bewaffneten Macht fielen? Aber alle die Schlachtopfer der Revolution, die hier gemordet wurden? Aber Arena und seine vier Genossen und der Chef der Chouanen, Cadoudal, die, beschuldigt, dem ersten Konsul Bonaparte nach dem Leben getrachtet zu haben, hier hingerichtet worden? Wie geehrt lebten sie jetzt!.. Und was ist in diesem Rathause nicht alles geschehen! Ein Tollhaus ist es zu nennen. Am 2. November 1793 beschloß die Stadtgemeinde, daß ferner den Zuckerbäckern für ihre Näschereien kein Zucker verabfolgt werden dürfe. Am 29. Pluviose des nämlichen Jahres: daß alle Personen für verdächtig zu erklären seien, die bei den Speisewirten nur die Kruste vom Brode essen und die Krume liegen lassen! Ein Mitglied des Gemeinderats bringt einige Wochen später eine Anklage gegen diejenigen vor, welche die Haare der Guillotinierten kauften, besonders gegen die alten Weiber, die sich Perücken daraus machen ließen! Am nämlichen Tage sendete die Polizei die Liste der gefangenen Personen ein. Deren Zahl belief sich auf 7090, beiderlei Geschlechts. Am 21. Floreal des nämlichen Jahres befiehlt die Gemeinde, die mitgeteilte Nachricht, daß man 1684 Staatsverbrecher guillotiniert oder erschossen habe, wäre im Protokolle mit Ehren zu erwähnen! Fünf Tage später wurde beschlossen, daß das französische Volk ein höchstes Wesen anerkenne. Im Jahre 1804 gab die gute Stadt Paris in ihrem Rathause dem Kaiser Napoleon zur Feier seiner Krönung ein prächtiges Fest. Am 29. August 1814 gab genannte gute Stadt auch Ludwig XVIII. ein Fest, seine Rückkehr zu feiern. Lobenswerte Unparteilichkeit!

So ist Paris, so ist der Mensch, so ist die Welt!

[39]

8. Talma

VIII.

Talma

Es war das erste Mal, daß ich ihn sah. Er trat auf, und nach einer Viertelstunde seines Spieles war ich erstaunt, nicht erstaunt zu sein. Vielleicht beherrschte mich jene Sinnestäuschung, die wir auf Schiffen erfahren, welche uns vorspiegelt, wir stünden stille und die Ufer gingen. Fortgezogen auf dem Strome der Empfindung, glaubte ich nicht bewegt zu sein. Ich hatte keinen Maßstab für Talmas Größe, denn er stand zu entfernt von allen Schauspielern, die ich je gesehen, um ihn abzumessen. Die anderen überrumpeln unser Herz und benutzen die Verwirrung, die sie angestiftet, uns diebisch zu rühren; Talma kömmt uns keinen Schritt entgegen, er klopft nicht an unsere Brust, er öffnet die seine und läßt uns eintreten. Solange er spielte, glaubte ich den Ernst auf der Bühne und die Mummerei unter den Zuschauern zu sehen. Er stellte den Regulus dar in dem Stücke gleiches Namens von dem jungen Arnault, und besser als die Geschichtschreiber lehrte er uns die Seele jener großen Römer kennen, die so ungleich waren den Helden unserer Zeit, weil sie keiner kleinen Welt bedurften, um groß, und nicht gesiegt zu haben brauchten, um als Sieger zu erscheinen. Wem die Natur vergönnt hat, einen Blick zu werfen in das große Herz eines alten Römers, der weiß auch abwesend, wie Talma den Regulus gespielt hat; wem jenes die Natur versagt, der hätte auch anwesend Talmas Spiel nicht verstanden. Darum wäre es überflüssig oder fruchtlos, beschreibend davon zu sprechen. Aber von den Zuschauern will ich reden – wenn es solche gab. Denn nur wir Fremden waren so zu nennen, die Franzosen alle spielten mit und bildeten den Chor, ganz im Geiste der alten griechischen Tragödie, wenn auch in einer andern Gestalt. Unter Deutschen, die hundert Geschichten [40] und keine Geschichte haben, möchte ich kein dramatischer Dichter sein; es ist schwer, dem kühlen Urteile zu gefallen. Doch während der Fremde in einem Bildnisse nur den Maler sucht, findet der liebende Jüngling die wahren Züge seiner Braut in ihm und vergißt die Kunst. Den Franzosen ist der dramatische Dichter ein Zeiger ihrer Geschichte. Gleichviel ob er von Gold oder von Eisen ist; er rückt von Erinnerung zu Erinnerung, und läßt er nur zur rechten Minute die Herzen schlagen, ist er des Beifalls gewiß. Die armen Bühnenzensoren hier sind sehr zu beklagen. Sie löschen in jedem neuen Stücke des Bedenklichen genug aus, da sie aber das Gedächtnis der Zuschauer nicht auslöschen können, bleibt alles bedenklich, was ihre Feder übrig gelassen. Die Begeisterung, mit welcher jeder Vers beklatscht wurde, der auf alte Großtaten, alte Helden, auf neue Unfälle und neue Hoffnungen anspielte, vermag ich unmöglich zu beschreiben. Man kann sich des Mitleids nicht enthalten, wenn man sieht, wie heißhungrig diese Menschen an den Knochen ihres Ruhms nagen. Ich aber, als das Schauspiel beendigt war, wiederholte in meinem Sinne die Worte, die der Karthaginienser Hamilkar gesprochen, als er in Rom Regulus, Senat und Volk erkannt:

De vertus, de fureurs, quel étrange assemblage!
Tout m'annonce aujourd'hui la chute – – de Carthage, sagen Hamilkar und Reim.

9. Le Roi des Aulnes, Élégie

IX.

Le Roi des Aulnes

Élégie

Sollte der Setzer ein paar Buchstaben in der Überschrift glücklicherweise vergessen haben, so wird der Herr Korrektor diese Scharade der klugen Nemesis verstehen und [41] den Druckfehler gewiß nicht verbessern wollen... »Das ist eine kleinliche und heimtückische Kritik!« – denkt vielleicht der edelmütige Leser. Freilich ist sie das; aber in Geisteskämpfen auch ist die Art der Guerillas die wirksamste, wenn sich ein Volk gegen ungerechte Angriffe zu verteidigen hat. Deutsche, die ihr Vaterland mit Verstand lieben, müssen es wissen, daß weniger die Leipziger Schlacht als der Leipziger Meßkatalog uns über die Franzosen erhebt. Es ist wahr: so ganz schlechte und so viele schlechte Bücher wie in Deutschland werden in Frankreich nicht geschrieben. Es ist noch wahrer, daß die Franzosen weit mehr große und viel größere Schriftsteller als die Deutschen haben. Beneiden wir sie aber nicht um ihre Vorzüge, sie sind zu teuer bezahlt. Wir Deutschen leben in einer literarischen Republik: wir sind geistesfreie Menschen; bei uns darf jeder schreiben, und so schreibt nun auch jeder, wie ihm die Natur die Feder geschnitten hat. Das ist freilich Mißbrauch der Freiheit; aber wo Freiheit mißbraucht werden darf, da ist auch ihr Gebrauch verstattet. Die Franzosen aber siechen in einer literarischen Aristokratie; sie sind geisteigene Menschen; sie kriechen vor allen Regeln, und als literarische Höflinge denken, wollen und tun sie nichts anderes, als was die gnädigen großen Herren ihrer Literatur gedacht, gewollt und getan. Die Deutschen sind Protestanten, die Franzosen sind Katholiken in Literatur und Kunst. Da nun bürgerliche Freiheit mit einer alleinseligmachenden Kunst und Wissenschaft nicht zu vereinen ist, so muß die politische Revolution der Franzosen auch eine literarische zur Folge haben, und diese Veränderung fängt schon an sich zu zeigen. Die literarische französische Welt teilt sich in zwei Parteien, deren eine mit Wort und Tat für die klassische, deren andere für die romantische Literatur streitet. Klassisch nennen sie die altherkömmliche, legitime, vertragsmäßige Literatur; romantisch [42] nennen sie jeden Schriftsteller, der seinen eigenen Weg geht, sich um Gesetz und Herkommen nicht viel bekümmert und zuweilen ein Wort anders gebraucht und lauter ausspricht, als es im literarischen Oeil- de-boeuf üblich war. Aber sowohl die Anhänger als die Gegner der romantischen Literatur wissen eigentlich gar nicht, worin die Natur des Romantischen besteht. Wie die Griechen alle Ausländer Barbaren nannten, so nennen die Franzosen alle Literiatur, die nicht französisch ist, romantisch, und da sie nichts, was nicht französisch ist, verstehen, so ist ihnen alles, was sie nicht verstehen, romantisch. Es fehlt den Herzen und Köpfen der Franzosen gewiß nicht an Geräumigkeit, aber sie haben kein Hoftor, sie haben nur eine Haustüre, durch welche nichts Großes eintreten kann; was daher die Mannshöhe überragt, ist ihnen romantisch. Da sie die Wolken für den Himmel ansehen, verschmähen sie oft den Himmel als Wolkendunst; und weil sie in jedem Brunnen mit Schaudern eine unendliche Tiefe erblicken, die zu den Antipoden führt, sehen sie jede Tiefe für einen Brunnen an, in den hinabzusteigen höchst lächerlich und gefährlich wäre, und aus dem man ja viel bequemer, so oft man Durst hat, einen Eimer heraufziehen kann. Ihr Herz schlägt nur bei der klassischen Witterung der Monate September und Mai behaglich; steht aber die Empfindung einige Grad zu weit von dem Gefrierpunkte ab, dann heizen sie ein oder trinken Limonade und verwünschen das romantische Wetter. Den Humor, diese wilde und launische Demokratie der Gedanken und Empfindungen – das in der Breite, was die Romantik in der Höhe und Tiefe ist – kennen die Franzosen so wenig, daß sie ihren eigenen Rabelais nicht begreifen und ihn für einen Satiriker halten. Die Magnetnadel ihrer Empfindung geht haarscharf nach Norden, und sehen sie sie abweichen oder gar oszillieren, erheben sie ein Jammergeschrei, [43] als nahe der Untergang der Welt heran. Diese literarische Aristokratie, da sie, wie schon oben bemerkt, der Entwickelung der bürgerlichen Freiheit hinderlich ist, mußte den Franzosen endlich drückend werden, und manche ihrer jüngern Schriftsteller werfen die Fesseln ab und suchen eine Freistätte im Lande der Romantik. Hierbei zeigt sich aber auch wieder eine höchst seltsame Erscheinung. Die Ultras nämlich suchen die romantische Literatur aufzubringen und befördern hierdurch den Protestantismus der Wissenschaft und Kunst; die Liberalen hingegen suchen den alten blinden Glauben an die klassische Literatur in Achtung zu erhalten; denn beide politische Parteien kennen zwar ihr Ziel, aber nicht ihren Weg. Den Ultras gefällt die romantische Literatur, weil sie glauben, die in romantischen Dichtungen zuweilen vorkommenden Nebel, Gespenster, Kreuze und Jammer wären das Wesentliche dabei, und das alles sei dienlich, das Volk furchtsam, abergläubisch, verliebt und dumm zu machen. Aus denselben Gründen sind die Liberalen der romantischen Literatur abgeneigt. Man erkennt hierin auch wieder, daß das Schicksal ein kluger Minister ist und das Schaukelsystem so gut versteht als einer. Es weiß die Parteien in Frankreich auf Umwegen so zu leiten, daß jede Partei die Absicht der feindlichen befördert und dadurch die Ausschweifung ihrer eignen Leidenschaftlichkeit wieder gut macht. Ein Deutscher aber, der in Frankreich solches Treiben mit ansieht und wahrnimmt, wie so höchst geistreiche Menschen, als die Franzosen, in ihrer Volkstümlichkeit so tief verstrickt sind, daß sie nicht begreifen, was in Deutschland jeder Schuljunge versteht, – lernt endlich wählen und will lieber, wie deutscher Geist, nackt und barfuß sein, wenn auch zuweilen etwas frieren, als wie französischer in engen Schuhen und Kleidern zusammengedrückt sein und glänzen. Freiheit ist das Schönste und Höchste in Leben [44] und Kunst. Möge das deutsche Vaterland sich diese Freiheit um jeden Preis bewahren! Möge es stolz auf die Ungerechtigkeit sein, mit der es seinen Goethe zu behandeln beginnt; möge es sich des Undanks rühmen, welcher den, der ihn erleidet, wie die, welche ihn begehen, auf gleiche Weise ehrt. Daß Freiheit in deutscher Kunst und Wissenschaft sich erhalte, mußte der literarische Ostrazismus gegen Goethe endlich verhängt werden. Ihn tadeln, heißt ihn achten.

Das Kapitel von der französischen Unromantik auszuführen, ist eigentlich hier nicht der rechte Ort; es wird sich bald eine schicklichere Gelegenheit dazu finden. Ich habe es nur für anständig gehalten, die Erlkönigliche Majestät mit einigem Gefolge zu umgeben. Nämlich le roi des aulnes, auf Deutsch der König der Erlen, soll soviel heißen als der Erlkönig, obzwar zwischen einem König der Erlen und einem Erlkönig ein großer Unterschied stattfindet. Und zwar soll es heißen, den Goetheschen Erlkönig. Den haben sie in einer Pariser periodischen Zeitschrift neulich übersetzt und sind dabei so echt französisch verfahren, daß es den deutschen Lesern gewiß Spaß machen wird, etwas Näheres davon zu erfahren. Der Übersetzer hat nämlich das Gedicht filtriert, es von allen romantischen Schmutzteilchen befreit, so daß das reinste klassische Wasser übriggeblieben ist. Übriggeblieben ist eigentlich der rechte Ausdruck nicht; denn trotz der Filtration hat sich die Masse des Gedichtes vermehrt, so daß die Übersetzung noch einmal so groß als das Original ist. Hören wir:


Qui passe donc si tard à travers la vallée?
C'est un vieux châtelain qui, sur un coursier noir,
Un enfant dans ses bras, suit la route isolée.
Il se plaint de la nuit qui voile son manoir;
Et l'enfant (ah! pourquoi troubler ces cœurs novices?)
[45]
Se rappelle en tremblant ces récits fabuleux
Qu'aux lueurs de la lampe, au vague effroi propices
Le soir, près des foyers, racontent les nourrices.
Il croit voir ... il a vu, sous les bois nébuleux,
Un de ces vains esprits, de ces antiques gnômes,
Qui, railleurs et cruels, doux et flatteurs fantômes,
Se plaisent à troubler le songe des pasteurs:
Soit qu'ils poussent leur rire à de courts intervalles,
S'attachent aux longs crins des errantes cavalles,
Ou prêtent à la nuit des rayons imposteurs.
Voilant de tous ses pas les riants artifices
Le monstre, au bord des précipices.
Marche, sans les courber, sur la cime des fleurs,
Et de sa robe aux sept couleurs
Il a deployé les caprices,
A l'enfant qu'il attire il ouvre un frais chemin,
Fait briller sa couronne et sourit; dans sa main
Flotte le blanc troëne et les nénuphars jaunes.
»Mon père, dit l'enfant, vois tu le roi des Aulnes?«

Jetzt folgt der eigentliche dramatische Teil des Gedichts, wobei Goethes Gediegenheit gehörig paraphrasiert und in schöner breiter Scheidemünze aufgezählt wird. Endlich liegt das Kind in den letzten Zügen und spricht:


»Mon père! ... il m'a saisi, je souffre ... ah! sauve-moi!«

Und nun der Hauptspaß. Es heißt ferner und bis zum Ende wie folgt
Le châtelain frissonne: et l'enfant, plein d'effroi,
Se serre sur son cœur et demeure immobile.
Mais le vieux châtelain, pressant son coursier noir,
(Et l'enfant dans ses bras), regagne son manoir.
[46]
Voilà les hautes tours et la porte propice.
Le pont mouvant s'abaisse; il entre; et la nourrice
Apporte sur le seuil un vacillant flambeau.
Le père avec tendresse écarte son manteau.
»Soyez donc plus discrète, il m'a durant la route,
Isaure, entretenu des esprits qu'il redoute;
Il criait dans mes bras, mais maintenant il dort;
Reprenez votre enfant – Oh! dit-elle, il est mort!«

Das ist echt französische angewandte Romantik, und Jupiter, der in einer Kotzebueschen Posse sich an seinen Blitzen die Tobakspfeife anzündet, hat sich nicht hausbackner gezeigt! ... Am Schlusse des Gedichts steht die Bemerkung: »Ce beau poème élégiaque, très peu connu, est de Mr. H. Delatouche, un des hommes les plus spirituels, et un des poëtes les plus distingués de notre temps.« Goethe mag sich dafür bedanken, daß man seiner bei dieser Gelegenheit nicht gedacht.

10. Die Lesekabinette

X.

Die Lesekabinette

Im Jahre 1789 hatte Paris nur ein einziges Lesekabinett; jetzt gibt es kaum eine Straße von Bedeutung, in der man nicht wenigstens eines fände. Gut, daß sie in den freien Tagen dafür gesorgt, der Volksbildung Brunnen genug zu graben; denn bei dem Belagerungszustande, worin sich diese jetzt befindet, wäre sie verloren, wenn es nur eine Quelle abzuleiten gäbe. Das Lesen überhaupt, besonders das Lesen der politischen Zeitungen, hat in der Volkssitte tiefe Wurzeln geschlagen und man müßte den französischen Boden vom Grunde aufwühlen, wollte man die allgemeine Teilnahme an bürgerlichen Angelegenheiten wieder ausrotten. Man maß es ihnen zum [47] Ruhme nachsagen, daß es nicht bloß eitle Neugierde ist, die sie zu den Zeitungen lockt; denn wenn es dieses wäre, könnten ihnen die Blätter, die öfterer Betrachtungen als Geschichten enthalten, wenig Befriedigung geben. Alles liest, jeder liest. Der Mietkutscher auf seinem Bocke zieht ein Buch aus der Tasche, sobald sein Herr ausgestiegen ist; die Obsthökerin läßt sich von ihrer Nachbarin den Constitutionnel vorlesen, und der Portier liest alle Blätter, die im Hotel für die Fremden abgegeben werden. Der Abonnent mag sich jeden Morgen die Arme müde klingeln, der Portier bringt ihm nicht eher sein Blatt, als bis er es selbst gelesen. Für einen Sittenmaler gibt es keinen reichern Anblick als der Garten des Palais Royal in den Vormittagstunden. Tausend Menschen halten Zeitungen in der Hand und zeigen sich in den mannigfaltigsten Stellungen und Bewegungen. Der eine sitzt, der andere steht, der dritte geht, bald langsamern, bald schnellern Schrittes. Jetzt zieht eine Nachricht seine Aufmerksamkeit stärker an, er vergißt den zweiten Fuß hinzustellen, und steht einige Sekunden lang wie ein Säulenheiliger auf einem Beine. Andere stehen an Bäume gelehnt, andere an den Geländern, welche die Blumenbeete einschließen, andere an den Pfeilern der Arkaden. Der Metzgerknecht wischt sich die blutigen Hände ab, die Zeitung nicht zu röten, und der ambulierende Pastetenbäcker läßt seine Kuchen kalt werden über dem Lesen. Wenn einst Paris auf gleiche Weise unterginge, wie Herkulanum und Pompeji untergegangen, und man deckte den Palais Royal und die Menschen darin auf, und fände sie in derselben Stellung, worin sie der Tod überrascht – die Papierblätter in den Händen wären zerstäubt – würden die Altertumsforscher sich die Köpfe zerbrechen, was alle diese Menschen eigentlich gemacht hatten, als die Lava über sie kam. Kein Markt, kein Theater war da, das zeigt die Örtlichkeit. Kein sonstiges [48] Schauspiel hatte die Aufmerksamkeit angezogen, denn die Köpfe sind nach verschiedenen Seiten gerichtet, und der Blick war zur Erde gesenkt. Was haben sie denn getan? wird man fragen, und keiner wird darauf antworten: sie haben Zeitungen gelesen.

In den Lesekabinetten abonniert man sich monatlich, oder man bezahlt für jeden Besuch oder auch für jede einzelne Zeitung. Man findet dort alle Pariser, und in den bessern auch alle ausländischen Blätter. In dem Kabinette, welches der Buchhändler Gagliani hält, das meistens von Engländern besucht wird, finden sich nicht bloß alle englischen, schottischen und irländischen Zeitungen, sondern auch die aus den ost-und westindischen Kolonien. Der lange Tisch, worauf die englischen Zeitungen liegen, gleicht mit seinen Riesenblättern einer aufgehobenen Speisetafel, die mit hingeworfenen Servietten in Unordnung bedeckt ist. An Größe übertreffen die englischen Zeitungen alle übrigen europäischen; nach ihnen kommen die spanischen, dann die französischen, auf diese folgen die deutschen, und die italienischen kommen zuletzt. Ich wollte schon den Satz aufstellen, daß man an dem Format der politischen Blätter den Umfang der bürgerlichen Freiheit jedes Landes abmessen könne, als mich die Frankfurter Oberpostamtszeitung, die in Folio erscheint, von dieser falschen Theorie noch zeitig abhielt. In mehrern Lesekabinetten fehlt es auch nicht an deutschen Blättern: man nimmt aber einiges daran wahr, was einen Deutschen nicht wenig schmerzt. Die Allgemeine Zeitung etwa ausgenommen, werden keine deutschen Blätter in den Lesekabinetten eigens gehalten, sondern sie werden von den Pariser Zeitungsredaktoren, nachdem sie ihren Gebrauch davon gemacht, den folgenden Tag dahin abgegeben. Alle andern ausländischen Zeitungen werden den französischen gleich geachtet, jeden Morgen gefalzt, angenäht und gehörig [49] aufgelegt. Die deutschen aber werden als verschmähte Aschenbrödels behandelt und in einen dunkeln Winkel oder packweise in eine Mappe gesteckt. Diese so gutmütigen, stillen und bescheidenen Zeitungen, die ihr letztes Stückchen Brot jedem hingeben, der es fordert und lieber verhungern, als versagen – wird der Himmel gewiß noch einst für ihre Demut belohnen! Zieht man nun das deutsche Zeitungspack aus der Mappe hervor, so finden sich die Blätter zerrissen, zerknittert, die Nummern liegen nicht in Ordnung, viele fehlen, und die Zeitungen der verschiedenen Staaten und Städte sind neben- und ineinander in der größten Verwirrung gelegt. In der Preußischen Staatszeitung findet man überrascht eine Beilage der Wiener Hofzeitung, in der Allgemeinen Zeitung steckt ein Kunstblatt, der Nürnberger Korrespondent schließt eine Bauernzeitung ein, der Österreichische Beobachter hält die Neckarzeitung liebend umschlungen, und will man ein verlornes Stück des Literarischen Wochenblattes lesen, muß man ein Morgenblatt herumdrehen, worin jenes, Kopf unten, steckt. Das Journal de Francfort ist in seiner wahren und natürlichen Gestalt selten zu sehen. Es ist gewöhnlich ausgezackt wie ein Frisierkamm, weil die Pariser Zeitungsredaktoren, aus deren Bureaus es kommt, die deutschen Nachrichten abgeschnitten in die Druckerei schicken und sich dadurch die Mühe des Übersetzens ersparen.

Es herrscht in diesen Lesekabinetten die feierlichste Stille. Nicht das leiseste Wörtchen vernimmt man, obzwar dort nicht, wie in musterhaften deutschen Lesegesellschaften, der Paragraph der Statuten, der das Sprechen verbietet, an die Wand genagelt ist, noch eine Schelle auf dem Tische steht, die Störenden zu mahnen. Wenn Franzosen schweigen, so ist dieses ein unwiderleglicher Beweis, daß ihre Aufmerksamkeit eifrig und ernst beschäftigt ist; denn bei den anderen Gelegenheiten, wie an Speisetischen, [50] machen vier Franzosen einen größern Lärm, als der ganze weiße Schwan in Frankfurt am Main während der zweiten Meßwoche mit allen seinen Gästen. Die Zeitungskabinette sind gewöhnlich mit Bibliotheken verbunden, die von den Besuchenden mit wahrhaft jugendlichem Schulfleiße benutzt werden. Es ist dieses für unbemittelte Studierende und Literaturfreunde oder für solche, denen es an Bequemlichkeit häuslicher Einrichtung fehlt, eine sehr wohltätige Anstalt. Man bezahlt monatlich sechs Franken, und für diese geringe Summe kann man den ganzen Tag in einem solchen Kabinett arbeiten, hat im Winter Feuerung und Licht unentgeltlich und alle nötigen Bücher bei der Hand. Viele sind dort einheimisch und verlassen das Kabinett bloß, wenn sie zu Bette gehen. Auch sieht man da manche ehrwürdige, narbenvolle Veteranen, die ernst, stolz und wehmütig auf die Erbärmlichkeit der Zeit herabsehen und, weil ihr Mund zu schmeicheln und ihr Arm zu drohen verschmäht, die Waffen mit den Wissenschaften vertauschen und, sei es um Brot oder um Beschäftigung zu finden, den ganzen Tag emsig lesen, Auszüge machen und schreiben.

11. Das englische Speisehaus

XI.

Das englische Speisehaus

In der Richelieu-Straße begegnete ich einem lieben deutschen Freund. Es erquickt mich immer, wenn ich ihm begegne. Ein Riesenjüngling, breite Brust, eine Stimme wie ein Bär. Schreitet er durch den Palais Royal, zittern die zarten Kristallscheiben der Läden und die Bänder der Hüte flattern wild durcheinander. Ich möchte dabei sein, wenn er einem Mädchen sagt: »Ich liebe dich!« Sie hört ihn gewiß, und zwischen hören und erhören liegt in diesem Falle nur eine kleine Pause. In seiner zierlichen französischen Kleidung gleicht er dem Herkules am [51] Spinnrocken der Omphale. Ein deutscher Händedruck und – »wohin, mein Freund?« fragte ich. – »Zu Little Garravays!« donnerte er. – »Ist es ein der Little oder ein die Little?« – »Es ist ein der Little, ein englisches Speisehaus, wo man meisterhaft ißt; kommen Sie mit!« – »Gut, ich bin dabei.«

Wir traten in einen kleinen Saal. Rule Britannia, God save the King, und andere solche stolze englische Lieder kamen mir sogleich in den Sinn. So bist du, England! dachte ich. Bedarf es denn immer der Klaue, daß man den Löwen erkenne? Auch nur eine Flechte seiner Mähne ist oft genug. Die Franzosen essen am meisten mit den Augen. In ihren Speisehäusern ist das erste, wonach sie sich umsehen, Brot, das zweite Spiegel. Die Tische dort, obzwar auch nur für zwei oder vier Personen eingerichtet, stehen in gemeinschaftlichen Zimmern nahe bei einander; man sieht sich, und man wird gesehen. Hier bei den Engländern aber ist alles ganz anders eingerichtet. Die Tische sind durch spanische Wände voneinander geschieden, so daß einem kein Fremder in den Mund sehen kann; der Saal ist in zwei Reihen Klosterzellen eingeteilt. So bist du, Engländer! Du willst allein sein und lassen, du mit deinen eigenen, jeden mit seinen Launen; du bist ein unausstehlicher Mensch, du bist ein Republikaner. Du bist häuslich auch außer deinem Hause, du willst etwas für dich selbst vorstellen, nicht bloß ein Mauerstein am Staatsgebäude sein, unter einer gemeinschaftlichen Kalkdecke mit tausend andern Steinen begraben. Recht so! ... Die Tische sind zwar mit Tüchern bedeckt, aber Servietten bekommt man nicht. Doch ist jedem verstattet, das Tischtuch nach Belieben zu verwenden. Also persönliche Freiheit! Suppe wird nicht gereicht, man müßte sie denn ausdrücklich fordern, und dann wird sie besonders bezahlt. Das Essen beginnt mit Roastbeef, das sanft blutet. Es kommt aber nicht, wie in französischen Speisehäusern, [52] in elenden dünnen Scheiben auf den Tisch – ein Lurleifelsen wurde uns vorgesetzt, so hoch und steil, daß selbst die Riesenhand des deutschen Jünglings erst hinanklettern mußte, um abzuschneiden.Ein herkulischer Senf, der auch den verstocktesten Augiaskopf säubern könnte, begleitete das Roastbeef. Dann folgte Gemüse, woran, wie an hetrurischen Vasengemälden, nur die ersten naiven Regeln der Kunst sich aussprachen. Es war nicht sauer, nicht süß, nicht gesalzen und drang niemanden einen vielleicht unwillkommenen Geschmack auf. Aber neben dem Salzfasse steht auf jedem Tische auch eine Zuckerbüchse, so daß man sich sein Gemüse nach Belieben zubereiten kann. Dann kommt eine Mehlspeise, die mild, doch nicht ohne Kraft, wie sie sich für Männer ziemt. Den Schluß macht herrlicher Chesterkäse, der aber nicht, wie in Paris üblich, in Triangeln, Parabeln, Hyperbeln, Ellipsen oder anderen winzigen Kreis- oder Kegelschnitten, sondern in ganzen Hemisphären aufgetragen wird. Ein rasender Porter wütet und schäumt in den Gläsern und besiegt auch den Stärksten.

Der Habeas-Korpus-Akte erfreut man sich nirgends so sehr als in diesem englischen Speisehause, und was dem Tische zur vollkommenen englischen Verfassung fehlt, ist gerade das, was ihm am meisten zur Empfehlung gereicht. Er hat nämlich keine magna Charta, wie die französischen Restaurationen, wo die Charte payante unmäßig groß ist. Der deutsche Jüngling glühte und zum Boxkampfe ballte sich unwillkürlich seine Faust. »Freund!« sagte ich, »wir wollen uns heute nicht zanken, wie neulich beim Essen. Zwar bin ich selbst voller Mut, denn so ein Roastbeef ist ein wahrer Radikalreformer einer fehlerhaften Konstitution; Sie aber haben eine von der Natur oktroyierte, angeborne, alte Konstitution, und das hat doch gleich ein anderes Ansehen. Also Friede!«... [53] Aber um uns herum war Kriegsgetöse. Die Gäste, wenige Engländer und viele Franzosen, lärmten, schrien, lachten, schlugen mit Messern und Gabeln auf den Tisch und klirrten mit den Gläsern. Die Sache ist auffallend und muß erklärt werden. In den Pariser Speisehäusern betragen sich die Franzosen so ruhig und bescheiden, als wären sie bei Privatpersonen zu Gaste. Diese englische Restauration aber ist neu, erst seit kurzem entstanden, die Speiseordnung weicht von der französischen ganz ab, und da zeigte sich denn wieder die französische Nationalität. Nach Verhältnis des kleinern Schauplatzes betrugen sie sich ebenso übermütig, als im vorigen Jahre, da die englischen Schauspieler in Paris auftraten. Sie machten sich über alles lustig, sie riefen: »Brott!« womit sie auf englisch Brot ausdrücken wollten. An einem der Tische saß eine kleine wilde Schar. Der eine machte sich sein Gemüse mit Zucker, der andere mit Salz zurecht. Sie stritten, welches besser schmecke. Ein dritter sollte entscheiden und wurde aufgefordert, dieses mit Unparteilichkeit zu tun. »Seid ruhig,« sagte er – »je les mangerai avec impartialité.« Großes Gelächter, obzwar jeder wußte, daß dieses Witzwort aus einem französischen Vaudeville genommen. Es ist ein altes Stück, dessen ganze Handlung darin besteht, daß man um die Vorzüge zweier Hühner aus zwei verschiedenen französischen Provinzen sich streitet. Dort auch wird der Schiedsrichter zu strengem Rechte ermahnt, worauf er sagt: »Je les mangerai avec impartialité.« Daß sich die Franzosen, wie erzählt, unartig betragen, muß man, bei dieser wie bei jeder andern Gelegenheit, nicht ärger nehmen, als es ist. Der Franzose ist nicht bloß zu höflich, sondern auch zu gutmütig, sich zu äußern, wenn ihm an einer einzelnen Person etwas lächerlich erscheint. Er ist aber in seinen Nationalsitten so verwachsen, daß, wenn er fremden Sitten und Gebräuchen in Masse begegnet, er auf einer [54] Maskerade zu sein glaubt, und dann läßt er sich verleiten, sich Maskenstreiche herauszunehmen.

Die Deutschen, welche nach Paris kommen, werden gewiß das englische Speisehaus besuchen, es ist der einzige Ort in Frankreich, wo man deutsche Gründlichkeit findet. Das Haus liegt in der Rue Colbert, nahe bei der königlichen Bibliothek.

12. Der Garten der Tuilerien

XII.

Der Garten der Tuilerien

Es ist noch gar nicht lange (erst fünf Minuten), daß ich die Ursache entdeckt, warum ich in Paris stärker, häufiger und lieber philosophiere, als ich in Deutschland getan. Es ist damit so arg geworden, daß ich, um in die Tuilerien zu kommen, den Weg über die Kritik der reinen Vernunft nehme, welches der kürzeste Weg nicht ist, sondern der längste. Ich tue es bloß aus einer hypo-chondrischen Ängstlichkeit für die Gesundheit meines Geistes, die mich in Paris befallen. Eine bekannte diätetische Klugheitsregel schreibt vor, man solle sich im nüchternen Zustande keinem ansteckenden Kranken nähern, sondern vorher etwas genießen; auch wird in diesem Falle angeraten, sich den Mund mit Weinessig auszuspülen. Das Philosophieren ist mein Weinessig, der mich gegen die mancherlei Seelenkrankheiten schützt, von denen man in Paris angesteckt werden kann. Man kann dort fangen: Habsucht, Unduldsamkeit, Gottlosigkeit, feinen Geschmack und des verstorbenen Ritters von Zimmermann Personal-und Nationalstolz. Diesen Übeln ist man ausgesetzt, sobald man öffentliche Orte besucht; ja das Zuhausebleiben bewahrt nicht immer vor Ansteckung, denn die emsigen Zeitungen gehen mit Fiebern hausieren. Besucht man aber gar Salons und die Gesellschaften darin, so kann man noch gefährlichere Übel erwischen. [55] Man wird da Liberaler, Ultra, Bauchredner, Mouchard, Corbonaro, Mitarbeiter oder Stoff des Reveil oder des Miroir. Darum rate ich jedem Deutschen, in Paris ohne Philosophie nicht auszugehen, und so oft er Gesellschaften besucht, zuvor einige:Unser Vaterland still herzubeten. Ich kann die Deutschen versichern, daß sie nichts verloren, seitdem ich in Frankreich bin, vielmehr sehr gewonnen. Ich liebe sie jetzt, und mit der wahrsten, reinsten, uneigennützigsten Liebe – denn was könnten sie einem gewinnsüchtigen Geiste in Kunst, in Wissenschaft und im Leben mehr anbieten als die Franzosen? Aber sie haben und gewähren etwas, was den Franzosen mangelt: die Freiheit im Denken und im Fühlen. Die Zerstörung der Bastille hat in Frankreich nur die Zungen freigemacht, die Herzen und Geister sind noch eingesperrt wie früher. Wer aber diese meine Wahl nicht billigt, wer nicht gleich mir eine freie Wüste, und wäre sie von Löwen, Hyänen und Schlangen bevölkert, vorzieht einem geschlossenen Paradiese, und wäre es voll Goldäpfel und würde von Cherubim bewacht – den tadle ich nicht, aber ich beweine ihn.

Aus jener heilsamen Neigung zu philosophieren sind nicht bloß die bisherigen Betrachtungen geflossen, die gar nicht zur Sache gehören, sondern entspringt auch folgende Bemerkung, die nicht weniger überflüssig ist. Mit so großer Mühe lernt und lehrt der Mensch so vieles und mancherlei zu keinem andern Zweck, als um sich und andern tausend Freuden zu verderben! Die Wissenschaft gleicht einer Chaussee, die ein schmales und langes Gefängnis ist, das man nicht verlassen darf, und rechts und links liegen die schönsten Felder und Blumenwiesen. Jede Kunstregel ist eine Kette, jedes Buch ein Tor – auch im andern Sinne des Worts – das sich hinter den Eingetretenen zuschlägt. Glücklich, die nichts wissen und nichts lesen! Wäre mir Hirschfelds Theorie der schönen [56] Gartenkunst bekannt, würde mir der Tuileriengarten wahrscheinlich abgeschmackt erscheinen; jetzt aber gefällt er mir, und ich werde ihn sehr loben. Er ist zweckmäßig eingerichtet, und die Zweckmäßigkeit zur Schönheitsregel zu erheben ist so bequem und wirtschaftlich, daß sie gewiß in vielen Kompendien der Ästhetik als solche aufgestellt sein wird. Engländern, die das Reisen lieben und also auch gern das Bild des Geliebten vor Augen haben, ist ein Garten ein Miniatureuropa, in dessen Zügen sie einen kleinen Schaffhauser Wasserfall, ein kleines Chamounytal, einen kleinen Golf von Neapel mit Wohlgefallen erblicken. Auch viele andere ziehen englische Gärten vor: Verliebte, Deutsche, Philosophen, glückliche, unglückliche Menschen. Wäre aber der Garten der Tuilerien nicht, wie er ist, im besten französischen Geschmack, sondern im englischen, so wäre das sehr schlimm. Einen Trunkenbold, der täglich eine Flasche Rum trank, heilte sein Arzt – denn endlich hat man die Trunkenheit aus der Moral in die Medizin übergewiesen, und hoffentlich wird man auf diesem gutem Wege fortschreiten, bis man dahin gelangt, die Robespierresleiden nicht in der Geschichte, sondern in Hufelands Journal der praktischen Heilkunde zu beschreiben – der kluge Arzt heilte ihn auf folgende Weise. Er ließ ihn täglich so viel Siegellack in die Flasche tröpfeln, als erforderlich ist, ein Petschaft abzudrücken. Auf diese Weise ward die Flasche täglich etwas weniges voller an Siegellack und leerer an Rum, und der Trunkenbold kam allmählich zu Verstand und ohne Aufsehen zu erregen. War in diesem Fall der Abgewöhnung von geistigem Getränk solche Vorsicht nötig, wie viel nötiger wäre sie im Fall der Angewöhnung eines geistigen Genusses, und ein Sprung hierin wäre ebenso gefährlich, als der Tuileriengarten, wenn er englisch wäre. Das Herz eines echten Parisers würde krank werden durch Erkältung oder durch Erhitzung, [57] wenn er aus dem Kunstkabinett des Palais Royal schon nach wenigen tausend Schritten in das naturgeschichtliche eines englischen Gartens träte – wenn sein Ohr, ohne Zwischensaiten, plötzlich vom Schlangengezisch des Rouletts zum Gemurmel eines Springquells, von den giftigen Locktönen einer Königin der Nacht zu den unschuldigen Liedern der Nachtigallen überspränge – wenn sich sein Auge vom Pharaotische zu einem Boulingreen wendete – wenn sein Gefühl aus der breiten Sonnenfläche, worauf die, gleich Grenadieren des großen Kurfürsten, nebeneinander gesteiften und gedrechselten Bäume stehen, plötzlich in das schattige Gewimmel eines frischen Wäldchens träte. So aber bleibt er gesund, denn er tritt aus dem Palais Royal nur in einen Jardin Royal. Ich will den letztern beschreiben, wie ich ihn an einem der ersten Frühlingstage gesehen.

Der Frühling kündigte sich im Garten nicht durch Blütenstaub an, sondern durch irdischen. Die Bäume hatten die Augen noch geschlossen, denn als Städter stehen sie später auf wie Landbäume. Verrückte Engländer fahren vorbei in großen Reisewagen; das Kammermädchen im seidenen Spencer inwendig, die Herrschaft unter bäuerlichem Strohhut auf dem Bocke. Sobald der Frühling kommt, verlassen die Engländer Paris, um nach der Schweiz, nach Italien oder nach England zu reisen. Ihnen ist die Reisekasse eine Spar-und Amortisationskasse. Wenn in Deutschland ein unzahlfähiger Schuldner die Flucht nimmt, um sich vor seinen Gläubigern zu retten, flüchtet ein Engländer, um seine Gläubiger zu befriedigen. Eine Guinee ist schon in deutschen Gulden nicht aufzutreiben, in französischen Franken noch weniger. Es ist, als würde außer dem Metallwerte auch noch die Façon daran bezahlt, wie an einem Goldringe. Das reiche, glückliche Volk! Ein armer Teufel von Dichter in London, der nicht Geld genug hat, im November sein[58] Steinkohlenfeuer zu bezahlen, schifft nach Frankreich, wärmt sich dort an der Sonne und trinkt wohlfeiler feurigen Wein als in seiner Heimat kaltes Bier. Geht es dem Schelme gar zu arg, ist er noch enger beschränkt, dann muß er freilich nach Neapel wandern, dort für einen halben Paol sein Abendmahl halten, und dabei die Sonne untergehen sehen im blauen Meere! ... Ich folge dem englischen Reisewagen mit den Augen nach, die ganze Rivolistraße hinauf, bis an das Garde-Meuble, wo er umbiegt. Auf diesem Palast spielt der Telegraph. Spielen? Ach ja, er spielt wie eine Schlange in der Sonne. Fürchterlich, fürchterlich! Die langarmige Tyrannei! Neulich reiste ein englischer Schriftsteller von Paris nach London. Er war schon drei Tage fort, stand in Calais am Bord des Schiffes; die Segel wurden geruckt – da schoß ihm von Paris der Telegraph wie ein Blitz nach. Er wurde festgehalten und mußte, wegen Verdachts aufrührerischen Briefwechsels, vier Wochen im Kerker schmachten. Er ward unschuldig befunden. Ich habe mir vorgenommen, den Moniteur durchzulesen, von 1789 bis jetzt, und ein Beispiel aufzusuchen, daß je durch den Telegraphen eilende Wohltat zugesendet, daß je Tränen durch diesen Sturmwind getrocknet, daß er je dem Verurteilten rasche Begnadigung zugesprochen. Und finde ich nur ein einziges Beispiel solcher Art, dann will ich mich mit dem Telegraphen aussöhnen. Doch ich vergesse-werden nicht neunmal jeden Monat die gezogenen Lottonummern von dem Telegraphen durch ganz Frankreich gesendet, welche Trost bringen: der weinenden Mutter unter hungrigen Kindern den Trost – sie werde glücklicher sein in der nächsten Ziehung!

An jedem der Gittertore desTuileriengartens stehen zwei Schildwachen, ein Schweizer und ein Franzose, die sich wechselseitig bewachen und an Treue miteinander wetteifern. Es machte mir das größte Vergnügen, zwischen [59] beiden stehend, mein weißes Taschentuch herauszuziehen und wehen zu lassen und so mit Hilfe des blauen Franzosen und des roten Schweizers ein aufrührerisches Farbentrio öffentlich zu spielen, ohne daß mir ein königlicher Prokurator etwas darum anhaben konnte. Diese armen Schildwachen sind sehr geplagt. Gewiß hatten sie in den Schlachten von Marengo und Austerlitz ihre Flinten nicht so viel hantiert, als sie es hier tun. Sie müssen nämlich vor jedem, der ein Ordensband trägt, das Gewehr präsentieren. Das endet nicht. Es ist erquickend, zu sehen, wie viele Verdienste in die Tuilerien eintreten und wie sich der abgetriebene Bandwurm immer wieder erneuert. Ich ließ es mir angelegen sein, eine Viertelstunde lang alle die zu zählen, die Ordensbänder trugen. Ich zählte zehnmalhundert Vorübergehende, und unter jedem Hundert waren neunzehn bis zweiundzwanzig Bebänderte, also jeder fünfte Mann war ein Wohltäter seines Vaterlandes! Und dazu rechne man noch die vielen, die ich im Gedränge übersehen oder die bescheiden ihren Ruhm unter dem Rocke trugen. Dann zählte ich aber auch die vielen jungen, noch blühenden Männer, auf welche der Schlachtentot schlecht gezielt und die nur einen Arm oder ein Bein verloren. Wofür haben sie gekämpft? Ich erstaunte, daß der Mensch so ein Lamm sei und daß die Menge der Verstümmelten sich nicht auch fragt: Wofür haben wir gestritten? – und nicht öfter, als es geschieht, den Kopf an das verlorne Bein setzen.

Unter den Bäumen stehen eine unzählige Menge Strohstühle nebeneinander gereiht; es sindLehnstühle, kaum sitzt man darauf, kommt eine Frau, die Lehnspflicht einzufordern. Man zahlt zwei Sous; ist man aber ein junger Mensch vom feinsten Ton, begeht man eine Felonie, sagt keck, man habe schon gezahlt, legt zu den zwei ersparten Sous noch fünf Franken, und frühstückt gut. Schriftsteller, die statistische Notizen sammeln, müssen es sich [60] merken, daß man in Paris zum Sitzen an öffentlichen Orten zwei Stühle gebraucht (sie können den Strohbedarf und den Ackerbau darnach berechnen); nämlich einen zum Sitzen und den andern die Füße darauf zu stellen. Man erkennt Ausländer, die erst in Paris angekommen, leicht daran, daß sie mit herabhängenden Füßen sitzen. Auch unterscheiden sich durch die Art des Sitzens die Ehemänner von den Anbetern ihrer Weiber. Erstere sitzen neben den Frauen, und haben, wie diese, ihre Füße auf dem Fußstuhle gestellt. Die Anbeter hingegen sitzen vor den Angebeteten, ihnen zu Füßen auf dem Fußstuhle, unterhalten sich mit ihnen französisch (in linguistischer und sittlicher Bedeutung des Wortes), und wenden der Allee und der Welt darin den Rücken zu. Frauenzimmer, deren Herz Ferien hat, bereiten sich, wie brave Studenten, auf das kommende Sommer- oder Wintersemester gehörig vor, indem sie die vorübergehenden Herren fleißig ansehen, und sich die wichtigsten Paragraphen notieren. Dies ist eine löbliche Sitte: denn die Schamhaftigkeit wird durch nichts mehr gestärkt, als durch ihre Verletzung, nämlich durch Abhärtung derselben. Man braucht im Garten der Tuilerien gar nicht eitel zu sein, sondern nur fremd, um sich vorzuschmeicheln, man habe die schönsten Eroberungen gemacht in der Weiberwelt ... Eine bürgerliche Frau geht vorbei und fordert Kupfergeld ein; sie trägt etwas versteckt und achtsam unter ihrer weißen Schürze. Bettelt sie für einen Säugling, den sie mütterlich gegen Wind und Sonne schützt? Nein sie trägt unter ihrer Schürze eine Art Gebackenes, das so leicht ist, wie gebackene Luft. Es heißt:Plaisirs des Dames. Das muß schnell und verhüllt herumgetragen werden, damit es nicht kalt werde.»Des plaisirs, mes Dames! Des plaisirs!« ruft sie im Fluge, und wie im Traume schwebt sie vorüber.

Wie der Tuileriengarten für die Mikropolitiker, für die [61] Glücksritter und Glücksfußgänger ein Marktplatz ist, auf dem sie kaufen und verkaufen, so ist er für die Makropolitiker ein schöner Paradeplatz, auf dem sie exerzieren und exerzieren sehen. Sechs Zeitungsbuden liefern patriotischen Herzen täglich das nötige Brennholz. Ihr tretet heran, nehmt, ohne ein Wort zu sprechen, ein beliebiges Blatt, geht lesend spazieren, so lange es euch gefällt, bringt dann das Blatt zurück und bezahlt einen Sous dafür. Waret ihr drei bis viermal an der nämlichen Bude, verwundert ihr euch, noch immer denselben wohlgekleideten Mann da zu finden, der schon vor zwei Stunden, im Lesen vertieft, dort gestanden. Er ist ein Lauerer, der sich an der Quelle der Überraschung lagert und daraus jeden Tag frisch die Meinung der Zeitungsleser schöpft; denn wenige Franzosen können mit dem Munde schweigen; mit den Blicken aber, mit den Mienen, Händen und Füßen, das vermag keiner. Auf diese Weise wird in allen Pariser Straßen der öffentliche Geist zusammengekehrt, und nachdem die Besen schönen wie häßlichen Auswurf, Blumen wie welke Krautstengel, zu Kot zerstampft, wird der Unrat in die Kloake der Polizeipräfektur geworfen, die ihn gehörig abführt.

Der Garten wird auf beiden Seiten, seiner Länge nach, von zwei gemauerten Terrassen begrenzt. Die eine, längs der Seine, gewährt eine herrliche Aussicht auf den Strom, auf die Brücken und den Palast der Volksdeputierten, der, nach dem Schlage, der ihn neulich getroffen, auf der linken Seite gelähmt ist. Die andere Terrasse führt die Straße Rivoli entlang und heißt die Terrasse des feuillants, weil bis zur Revolution das Kloster der Feuillants da gestanden. In diesem Kloster hatte die Nationalversammlung ihre Sitzungen. Zu jener Zeit, vor der Hinrichtung des Königs, beliebte es dem Volksmutwillen, jene Terrasse mit einer dreifarbigen Schnur von dem übrigen Garten abzustecken, und er nannte sie le pays national, [62] zum Unterschiede des pays de Coblence. Wehe dem Bürger, der im pays de Coblence spazieren ging, er wurde für einen Aristokraten angesehen und mißhandelt. Ein junger Mann, dem diese geographische Einteilung noch unbekannt war, stieg in das Coblenzer Land hinab. Zusammenlauf, wütendes Geschrei, Verderben drohende Gebärden. Da merkte der Unwissende, was er begangen, kehrte zurück, zog seine Schuhe aus und wischte den Staub von den Sohlen. Jubel, Beifallklatschen, und der Jüngling wurde im Triumphe fortgeführt. Am Fuße dieser Terrasse, da wo sie sich senkend in Gestalt eines Hufeisens ausgeht, innerhalb des Kreisschnittes, liegt ein Platz, mit Stühlen und Bänken versehen, den nennt man: La petite Provence, weil die Mittagssonne, deren Strahlen sich frei und ungehindert an der Mauer brechen, dort eine Wärme verbreitet, die in Wintertagen in jene südliche Provinz Frankreichs versetzt. Da ist der tägliche Sammelplatz vieler hundert Kinder mit ihren Müttern oder Wärterinnen. Man denkt gern nicht daran, daß dort auch viele Frauen mit Adoptivkindern sitzen und die empfindsame Mutterliebe spielen, um Adoptivväter anzulocken – man vergißt das gern, um, des Pariser Kunstlebens voll und satt, sich in der reinen Kinderwelt zu erfrischen. Aber auch diese Erquickung ist matt. Zu verderben war die Kindernatur nicht, aber sie auch steckt in einem verzierten Etui, und man muß sie herausziehen. Da haben sie ein Spiel, la corde genannt. An einem Stricke sind an beiden Enden hölzerne Handhaben befestigt, daran faßt man ihn, schlägt ihn unter die Füße durch und springt so darüber. Es hieße die Romantik zu weit treiben, wenn man tadeln wollte, daß diese Stricke keine rohen Natur- und Galgenstricke sind, sondern feine Schüre, wie sie sich ein türkischer Strangulat von Stande nur wünschen mag. Aber das folgende ist ärgerlich. Nämlich außer jenen kleinen Schnüren zu Selbstsprüngen[63] haben sie auch lange Gesellschaftsstricke, die an beiden Enden von zwei kleinen festgehalten werden und worüber alle anwesenden Springdilettanten mit größerer oder kleiner Fertigkeit springen, sowohl vorwärts als rückwärts. Da bildet sich nun ein Zuschauerkreis von Erwachsenen, und man sieht dann sechsjährige Mädchen in der Koketterie debütieren und den Beifall der Umstehenden, als spielten sie bei Franconi, mit anmutigem Lächeln fordern und einziehen.

Jetzt sinkt hinter den elyseischen Feldern die Sonne unter, auch hier herrlich! Denn die Königin der Erde geht in ruhiger Majestät vorüber, unbekümmert, was sie mit ihren Blicken begegne, Paradiese, Schlachtfelder oder den Spielwarenmarkt von Paris – sie lächelt nicht minder, sie zürnt nicht mehr. Es wird getrommelt, und die große Wache des Gartens tritt heraus. Sie laden scharf, mit Geräusch und Gepränge, damit es jeder erfahre, daß der wachende Mond am Thronhimmel die nächtlichen Schritte der Räuber beleuchte. Dann sondern sich etwa zwanzig Mann ab und stellen sich zehn Schritte auseinander, eine Linie durch die ganze Breite des Gartens ziehend. Darauf schreiten sie mit kleinen und langsamen Schritten vor, das Volk vor sich hertreibend. Zurück darf keiner, und so wird in wenigen Minuten der Garten ausgekehrt. Dann werden die Tore geschlossen, und Todesstille herrscht um den Palast. Wehe dem Betrunkenen, dem Unachtsamen oder Unwissenden, der in der Nähe der Tuilerien während der Nacht der fernzurufenden Schildwache nicht gleich antwortet. Dieses Versäumen hat erst vor wenigen Tagen einem Jüngling das Leben gekostet; die Kugel traf ihn ins Herz. O die unselige Herrschaft, die, einer exotischen Pflanze gleich, in fremden Schiffen hergebracht, von Hofwärme ausgebrütet, von der Gießkanne lohnsüchtiger Gärtner begossen, vor jeder Wolke, vor jedem Lüftchen zitternd, [64] ein ängstliches Treibhausleben führt! Wie besser ist die andere, die, gleich einer deutschen Eiche, in der Liebe des Volks wurzelt, von der Sonne geboren, vom Himmel selbst befruchtet, die der naschenden Axt freundlich wehrt und dem Sturme mit Macht widersteht!

13. Polichinel Vampire

XIII.

Polichinel Vampire

Steif sein kann jeder; aber es mit Grazie sein, das ist eine seltene Gabe. Wer diese schöne Kunst würdigen und bewundern lernen will, der komme und sehe den Pantomimen Mazurier in Paris. Die Zauberei, aus dem Menschen eine Maschine zu machen, ist diesem Manne vollständiger als irgend einem gelungen, und wenn er in einem niedrigen Range stirbt, so hat er es wahrscheinlich nicht besser haben wollen. Die Natur hat ihre künstliche Schlosserarbeit ganz umsonst an seinem Körper verschwendet. Was sie befestigt, macht er frei, was sie beweglich gelassen, befestigt er; er öffnet, was sie verschlossen, und was sie offen ließ, schließt er zu. Er bewegt seine Glieder gegen alle Regeln der Bänder und Flechsen. Mazürier kann an allen menschlichen Todesarten sterben; aber den Hals brechen kann er nicht. Wie sich Mithridates durch häufige Giftversuche gegen Vergiftungen geschützt, so härtet sich Mazurier gegen äußere Verletzungen dadurch ab, daß er sich jeden Abend übt, seine Glieder zu brechen, ohne daran zu sterben. Seit zwei Monaten entzückt er die Pariser, und in die zwölf Tafeln der Modegesetzgebung wurde eingegraben: »Une Dame ne pourra se montrer cet été, si elle ne prouve, qu'elle a assisté à une représentation de Polichinel dans une loge louée par elle.« Vor einigen Tagen wohnte ich zum ersten Male einer seiner Vorstellungen bei; das Haus war übervoll. Das in Paris für ihn verfertigte Ballett heißt: Polichinel [65] Vampire, und er macht den Polichinel darin. Nun spielt zwar die Handlung auf der Insel der Stummen, in einem Klima also, wo die Blutsauger ungemein gedeihen; aber Polichinel ist die beste Seele von der Welt, und er heißt Vampir bloß darum, weil ihn seine Feinde, um ihm Händel zuzuziehen, für einen solchen ausgeben. Er kommt in einem Luftballon auf der Insel der Stummen an; der Luftballon zerreißt und Polichinel stürzt ins Meer. Jedermann weiß, wie ein Theatermeer aus Pappendeckel und andern festen Dingen zusammengesetzt ist; aber Polichinel schwimmt darin wie ein Fisch im Wasser, mit der anmutigsten Beweglichkeit. Damit beginnt Mazurier seine künstlerische Laufbahn. Er wird halb tot ans Ufer geworfen, legt sich zusammen wie ein Taschenmesser und läßt den Kopf hängen wie eine abgeschlachtete Gans. Dann ermuntert er sich, tanzt, springt und macht sozusagen unmögliche Dinge. Zum Beispiel: er stellt sich auf das linke Bein, legt das rechte vorwärts auf die Schulter, nimmt es in den Arm und präsentiert es wie ein Gewehr. Der geneigte Leser wolle nicht zu schnell über dieses Erzählte hinausgehen, sondern sich durch eigene Nachahmungsversuche überzeugen, daß beschriebenes Unternehmen höchst wundervoll ist. Polichinel, den auf ihn eindringenden Feinden zu entgehen, flüchtet sich auf einen Baum und verteidigt sich aufs artigste. Ein anderes Mal wird er überfallen und kann nicht mehr entrinnen, die Bauern schlagen mit Knitteln auf ihn zu, und – sein Kopf rollt zur Erde! Der Stumpf bewegt sich ohne Kopf. Wahrhaftig, es ist so! Polichinel sitzt erst und geht dann so vollständig ohne Kopf, daß er in diesem Zustande an manchen wichtigen Beratschlagungen mit Ruhm hätte teilnehmen können. Freilich sagt die Logik: »Wahrscheinlich hält er den Kopf geschickt zwischen den Schultern versteckt, denn a) der Mensch kann sich ohne Kopf nicht bewegen; b) Polichinel [66] ist ein Mensch und bewegt sich; also c) hat Polichinel einen Kopf.« Aber was vermag die Logik ohne die Sinne? Die Augen sehen Polichinel ohne Kopf, und damit gut. In einer andern Szene weiß sich Polichinel nicht anders zu retten, als daß er von dem Gipfel des Baumes, über die ganze Breite der Bühne, in das offene Fenster eines Hauses fliegt. Ein Draht mag ihm freilich dabei behilflich sein, aber man sieht den Draht nicht – süßer Schauer durchrieselt den Busen aller Frauen, und das männliche Entsetzen bricht in ein donnerndes Beifallklatschen aus. Kurz, Mazurier ist ein Wunder, und daß ihm, als einem Neapolitaner, Geläufigkeit der Füße angeboren, vermindert seinen Ruhm nicht; denn er springt über seine Nationalität hoch hinaus. Deutsche Hof- und Volkstheater könnten sich durch nichts mehr auf die Beine helfen, als wenn sie den genialisch hölzernen Mazurier zu Gastrollen einladeten, und er kommt gewiß, erfährt er nur erst, wie sehr er sich dort in seiner Kunst noch vervollkommnen könne.

Die Handlung des genannten Balletts, worin Mazurier auftritt, ist, wie sich erwarten läßt, die abgeschmackteste Geschichte von der Welt. Sollte man nun wohl glauben, daß der Erfinder und Verfertiger des Balletts dem gedruckten Programme, das es erklärt, eine liberale Vorrede vorausgeschickt hat, worin er wie ein Demosthenes donnert? Als nämlich Polichinel Vampire zum ersten Male aufgeführt wurde, ließ man einen gesprochenen Prolog voranschreiten, welcher Prolog aber schrecklich ausgepfiffen wurde. Der Dichter sagt: sein Prolog wäre ursprünglich himmlisch gewesen, aber die Zensur habe ihn verdorben. Einen »prince ridicule« habe er verwandeln müssen in einen Mr. Pandolphe, und der Zauberer Merlin habe nicht auf einem »Dauphin« reiten dürfen, sondern nur auf einem Dragon. Dadurch sei alles Salz verloren gegangen. Die Zensur habe die schönsten Stellen [67] gestrichen »phrases ultra-innocentes que dans leur sollicitude prétendue monarchique les conseillers du St. Office littéraire ont condamnées impitoyablement et sans les avoir entendues«... Es gibt nichts Komischeres, als zu sehen, wie alle dramatischen Dichter in Paris, wenn ihre Stücke mißfallen, dieses den Zensoren zuschreiben, die sie für Genieräuber erklären. Wenn Zensoren aus Büchern den Verstand wegnehmen, muß ihnen ein unwiderstehlicher Diebssinn angeboren sein; denn daß sie aus Eigennutz stehlen, das werden ihnen ihre ärgsten Feinde nicht nachsagen.

14. Versailles

XIV.

Versailles

»Diese beiden Paläste rechts und links von so edler Bauart? Wahrlich, die Götter Roms hatten keine schönern Tempel!« – Das waren die Pferdeställe des Königs. – »Und dort?« – Es gehörte den Hunden des Königs. – »Jenes auf der andern Seite?« – Darin wurden die jungen Hunde gefüttert und erzogen, bis sie ein Jahr alt und diensttauglich geworden. – »Dort drüben, das unermeßliche Gebäude?« – Es enthielt tausend Zimmer und zweitausend königliche Diener wurden darin ernährt. Mit dem Verkaufe der Schüsseln, die unverzehrt von den Tischen kamen, gewann der Oberbeamte der Küche 150 000 Franken jährlich. – »Links, jenes fürstliche Haus?« – Es wurde von der Dubarry bewohnt, die, samt ihrer Familie, innerhalb fünf Jahre dem Staate vierhundert Millionen gekostet! – »Das auf der anderen Seite?« – Das Ballhaus, worin Frankreich die Geduld verlor und die Freiheit fand.

Das königliche Schloß. Schon ist das Gitter, welches den Hof umgibt, unter der gegenwärtigen Regierung neu vergoldet worden. Schon ist man beschäftigt, einen Teil [68] der Zimmer bewohnbar zu machen. Man wird nach und nach weiter rücken. Dem ganzen Palaste den alten Glanz zu geben, würde mehr als zehn Millionen kosten. Auch tritt man leise auf, um der öffentlichen Meinung unbemerkt in den Rücken zu fallen. Aber welch ein Tag der Siegeswonne wird es für die Höflinge sein, an dem sie sich zum ersten Male wieder im Oeil de boeuf versammeln! Wer kennt dieses berüchtigte Vorzimmer nicht, worin die Schmeichler dreier Könige ihre Zunge gewetzt, und die Blutsauger dreier Menschengeschlechter durstig herumgekrochen? Als der erklärende Lakai den Namen des Zimmers nannte, war ein Geflüster der Verwunderung in der ganzen Gesellschaft zu hören, und auf manchem Gesichte sah man ein Lächeln tugendhafter Schadenfreude. Wir gingen mit bestäubten Stiefeln durch die Prachtgemächer Ludwigs XIV. Die Zerstörungswut der ersten Freiheitsmänner konnte den Marmorwänden nichts anhaben und die Deckengemälde von Lebruns Meisterhand nicht erreichen. Daß die großen Künstler so kleine Menschen sind! Sie schmeicheln jeder Macht. Die sogenannten Großtaten Ludwigs XIV. sind auf allen Wänden mit knechtischer Verehrung dargestellt. Der König als Mars, als Apollo, als dieser oder jener Gott, und auf dem unsterblichen Haupte die unvermeidliche Allongeperücke.

Die Wasser sprangen heute, als Vorfest des nahen Ludwigstages. Wohl sechzigtausend Menschen waren von Paris herbeigeströmt, die Tränen ihrer Voreltern fließen zu sehen, die, zu Sturzbächen vereinigt, die Wasserkünste bildeten. Mehr als tausend Millionen hatte Ludwig XIV. allein, ungerechnet was seine Nachfolger getan, auf Schloß und Garten von Versailles gewendet. Auf diesem kleinen Raume wurde das Mark des ganzen Reichs verzehrt. Ein einziges Feuerwerk, bei der Vermählung Ludwigs XVI. im Park abgebrannt, hatte sechs Millionen [69] gekostet. Die Aufführung jeder Oper im Theater des Schlosses kostete an Beleuchtung und anderen Zurüstungen 100 000 Franken ... Und man spricht noch von den dummen Streichen, die das französische Volk während der Flegeljahre seiner Freiheit begangen!

15. Die Estaminets

XV.

Die Estaminets

Das Wörterbuch der französischen Akademie sagt:»Estaminet ist ein Ort, wo man sich versammelt, um zu trinken und zu rauchen.« Dürre Worte! Saftlose Worte! Ihr müßt einen Deutschen fragen, was ihm in Paris ein Estaminet ist, ihr müßt ein deutsches Herz aufschlagen; darin findet ihr die bessere Erklärung, welche folgt.

Sie rauchen nicht, die schmucken Pariser – sie sind aber auch darnach! Ist es uns nicht möglich, wie die alten Griechen, Anmut mit Kraft, wie der Münster zu Straßburg, Feinheit mit Größe zu verbinden, zugleich hell und tief zu sein, wie – wie – ja, wie wer? wie was? Ich habe noch nichts gesehen, das zugleich hell und tief war, als der Brunnen der Festung Königstein in Sachsen, da man einen angezündeten Kronleuchter hinabließ, uns Neugierigen das Wasser unten zu zeigen! Muß man ein Bengel oder ein Weib sein, ein Deutscher oder ein Franzose? Wo ist die goldene Mitte, wo ist das schöne Rheintal, in dem Ernst und Scherz als treue Brüder wohnen? Die zierlichen Franzosen rauchen nicht, denn Rauchen ist ein romantisches Vergnügen, eine Ossianslust, und die Franzosen lieben den Nebel nicht, dieses Salz der schönen Natur; sie mögen keinen grauen, sie mögen nur blauen Dunst. Der Deutsche raucht, denn er hat ein volles Herz und leere Stunden; der Franzose hat, weil kein volles Herz, auch keine leere Stunden, und darum raucht er nicht. Der Deutsche raucht, denn er liebt zu schwärmen [70] im gedankenlosen Denken; der Franzose aber denkt nur Gedanken, und fragt seinen wandernden Kopf, wie ein Paßaussteller: Wohin? Über welche Orte? Auf wie lange? In welchen Geschäften? Ach, ich werde es nie vergessen, wie es mir erging, als ich, von Deutschland kommend, im Gasthause einer französischen Grenzstadt den kleinen Rest holländischen Tabaks, den ich kühn und listig durch die Cerberusschar der Zöllner geführt, aufzurauchen unternahm! Nun gedenke man der alten Erfahrung, daß jedes Volk an der Grenze seines Landes den stärksten Patriotismus hat – den schönsten hat es in der Mitte. Ich war an deutscher Grenze, und darum gröber und rauchsüchtiger als je. Die Wirtin des Gasthauses – oder war es die Tochter der Wirtin, sie zählte kaum zwanzig Jahre – fühlte sich auf französischer Grenze und hatte gegen Tabak den feinsten Pariser Abscheu. Sie war schön wie eine junge Rose und hatte zärtliche Taubenaugen. Ich steckte die Röhre in den Mund, und die Taube – die Grazien mögen mir das rauhe Wort vergeben – die Taube fuhr wie ein Kettenhund auf mich los. Vor Entsetzen ließ ich die Pfeife fallen, die Tabaksasche entflog dem Kopfe. »Monsieur!« gurrte die Taube, und der Schmerz erstickte ihre Stimme, sie konnte nichts weiter sprechen. Der Stall, die Küche, die ganze Hausdienerschaft wurde herbeigeschrien; sie kamen mit Schaufeln, mit Besen, mit Tüchern, mit Sand, mit Wassereimern; es wurde gekehrt, gerieben, gewaschen; die unglückliche Wirtin kniete zur Erde nieder, um zu sehen, ob der Schandfleck an dem Boden ausgelöscht sei. Dann wurden alle Fenster geöffnet und tausend Winde herbeigefleht. Ich aber war voll abergläubiger Furcht, weil am Rubikon des höflichen Landes mein Pferd gestolpert.

Erst nachdem ich schon mehrere Wochen in Paris gewesen, entdeckte ich eine der Freistätten, wo das sittenverbrecherische [71] Rauchen Schutz findet gegen Spott und Gewalt. Einen solchen Ort nennt man ebenEstaminet. Ich stieg hinauf – ach, wie ward mein Herz erquickt! Ich sah Rauch, ich sah Deutschland wieder. Da war nicht die schwüle Stille, die man in andern Kaffeehäusern findet; da wurde geschwatzt, geschrien, da knallten die Stöpsel der Bierflaschen, da schlugen die Billardkugeln, da klapperten die Domino- und Damensteine. Da sieht man nicht die augenkränkenden Taschenausgaben von Stereotypen-Physiognomien, die man in Paris unter allen Dächern, auf allen Straßen findet; da gibt es leserliche Foliogesichter, tüchtiges Volk, ehrliche Leute, aufrichtiges Lumpengesindel, Zahnärzte, Spieler, Kaufleute, Kreolen, Amerikaner, Holländer und jüdische Lieferanten, die aus Deutschland gekommen, in Spanien Thron und Altar retten zu helfen, nämlich Ochsen zu führen übernommen, bis hinab zur Säule des Herkules. Die Kellerjungen – o die glücklichen Südländer, sie sind unreinlich und natürlich wie ihre Natur! – die Kellerjungen räumten die Pfeifenköpfe mit denselben Korkziehern aus, mit welchen sie die Flaschen öffneten, und es war keiner, den das verdroß. Doch glaube man ja nicht, daß alles nordisch und deutsch gewesen; durch den Schleier der Rauchwolken entdeckte man französische Zierlichkeit genug; der Essig deutscher Romantik war mit dem Öle französischer Klassizität im gehörigen Maße vermischt. Es waren glänzende Zimmer mit seidenen Vorhängen, mit Standuhren, mit Vasen; ein schönes Mädchen am Zahltisch; die ausgestellten holländischen Pfeifen waren in Fascesbündeln malerisch geordnet; die Zigarren mit ihren Strohspitzen ragten als Amorpfeile aus einem goldgefärbten Köcher hervor; und hohe Spiegel ringsumher an den Wänden, denn diese kann der Franzose nicht missen und er zahlt gern doppelt für sich und für sein Bild im Spiegel, das mit ihm ißt und trinkt. Aber welch ein[72] Dampf! Mir kam Schillers Romanze: Der Handschuh, in den Sinn, welche anfängt:


In seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz –

Würfe eine schnippische Pariserin – dachte ich – ihren Handschuh in ein Estaminet, in den dicksten Rauch, und spräche zu ihrem Anbeter: »Herr Ritter! Ist euere Liebe so heiß, so holt mir den Handschuh!« – wahrlich, das duftende Ritterchen würde sagen: »Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!« ließ den Handschuh liegen und verließe sie zur selben Stunde. Sicher, die Pariserinnen wissen nichts von der grauen Pest, die in manchen Häusern des Palais Royal wütet; ihr liberaler Zorn fände Nahrung und spräche: »Hier, da ist ein Cordon sani-taire zu ziehen; was kümmert uns das weit entfernte Barcelona!«

Lichtenberg sagt, er habe noch kein Genie rauchen sehen. Es wäre schlimm, wenn er recht hätte! Nicht bloß für mich, der ich den Tabak liebe, sondern auch für die sechs Herren dort am Tische, die Deutsch sprechen und alle rauchen. Ich will die Sache untersuchen. Ich trat an den vaterländischen Tisch – »Landsleute!« rief ich und machte vergnügte Augen. Fünfe von den Sechsen sahen mich verdutzt an – sie waren Kaufleute ohne Zweifel, die haben kein Vaterland. Der sechste aber, ein junger Arzt, wie ich später er fuhr, rückte mir freundlich einen Stuhl herbei. Ich warf meine Zigarre mit gespieltem Zorn auf die Erde. – »Nein, das schlechte französische Zeug rauche ein anderer, ich vermag es nicht!« Auf dem Tische gewahrte ich ein Päckchen Tabak, mit lieblich-schauerlichen holländischen Worten darauf. Wie ward mir der Mund so lüstern! Ich streckte meine Hand darnach aus. »Myn Heer!« sagte der Eigentümer und wälzte seine [73] Hand über die meinige: die Hand war saftig und schwer und machte dem holländischen Schlachtvieh Ehre. Der Hartherzige bot mir nichts an von seinem Überfluß, und gequetscht und leer zogen sich meine Finger zurück. Die fünf Handelsherren gingen fort, ich blieb mit dem Arzt allein. Er war ein gemütlicher, verständiger Mensch; wir sprachen über allerlei. »Sehen Sie,« sagte er mir lächelnd, »der dicke Herr, der dort an der Ecke saß, war ein Nordamerikaner; den hat die Freiheit nicht sehr hold gemacht; er sprach immer von Kaffee und Buenos-Aires-Häuten, und gähnte, als ich mit Wärme von Manuel redete.«

– »Freund,« erwiderte ich, »tun Sie diesem Manne und tun Sie der Freiheit nicht unrecht. Sie gleicht der Gesundheit; die erworbene ist schön, aber die angeborne ist gut. Die Freiheit, für die man kämpft, ist eine Geliebte, um die man sich bewirbt; die Freiheit, die man hat, ist eine Gattin, die uns unbestritten bleibt. Glauben Sie, daß ein braver Mann sein Weib nicht liebt, weil sein Herz still und friedlich ist? Laßt sie ihm untreu scheinen, wie wird seine Brust pochen; laßt sie krank werden, und wäre es tief im Winter der Ehe, Ihr werdet sehen, daß der Greis noch Liebestränen hat und dem geretteten alten Mütterchen weinend um den Hals fällt wie in den schönen Tagen der heißen Bewerbung! Laßt den fetten Amerikaner einen an seine Freiheit tasten, und Ihr werdet sehen, wie er die Feder wegwirft und nach dem Schwerte greift, wie ein katalonischer Jüngling! Das Paradies selbst ist ja nur des Glückes Gewohnheit ...« »Also wäre die Hölle des Unglücks Gewohnheit?« – sprach der Arzt. »Aber diesen höllischen Tabak, ich rauche ihn schon anderthalb Jahre, und ich habe mich noch nicht daran gewöhnt.« – »O, still davon«, erwiderte ich, »denke ich daran, dreht sich mir das Herz um und um. Schönes Frankreich, glückliches Land! Wie ist dein Himmel so blau, wie ist deine Erde so reich, wie ist deine [74] Luft so milde! Wie wohlschmeckend ist dein Brot, wie saftig dein Fleisch, wie feurig sind deine Weine! Deine Mandeln, deine Nüsse, deine Feigen, deine Orangen, wie sind sie so süß! Und alles, was der Mensch erfindet und verfertigt, die Stoffe, die Kunstwerke, die Geschmeide, wie schön, wie vollkommen, wie lockend und befriedigend ist alles! Und alles mit geringem Auf- wände zu genießen, und auch dem Halbbegabten nahe gestellt! ... Nur ein Naturerzeignis gibt es, was Menschenkunst verdirbt, teuer und ungenießbar macht, und dieses eine unter allen Erzeugnissen, das verdorben, teuer und ungenießbar ist, wird von derRegierung gepflanzt, verfertigt und verkauft – es ist der Tabak!« – »Bedenken Sie aber,« erwiderte der Arzt, »daß die französische Regierung jährlich sechzig Millionen am Tabak gewinnt und daß diese Einkünfte zum Besten des Landes verwendet werden.« – »Nein, so ist es nicht ganz. Das rohe Einkommen vom Tabak beträgt sechzig Millionen, der reine Gewinn etwa vierzig. Aber schon oft haben die Tabaksbauer, Tabaksfabrikanten und Händler der Regierung einen größern Gewinn angeboten, wenn sie den Verkehr des Tabaks freigäbe. Sie hat sich aber dessen immer geweigert, denn zwanzig Millionen wendet sie von den Tabaksgefällen jährlich an die Unterhändler und Verwaltungsbeamten, und wenn das aufhört, würde sich die Zahl ihrer Anhänger vermindern, dassitzende Heer schwächer werden. O die Stiefkönige!«

Der Arzt warf mir einen bedenklichen Blick zu. Ein Schleicher hatte sich an unsern Tisch gedrängt, und seinen Ohren konnte das letzte Wort nicht entgangen sein. »Seien Sie unbesorgt, rief ich lachend, und wenn er auch Deutsch verstünde und ein Angeber wäre, der Polizeikommissär, dem er berichtet, verstellt kein Deutsch und wie will er Stiefkönige übersetzen?'' – »Er kann das nennen: Les Rois beau 'paternels'. – »O, dann hat es [75] keine Gefahr. Die französische Polizei, obzwar kosmopolitisch wie jede, ist doch vor allem französisch, sogar vor ihrer Pflicht. Über etwas Lächerliches muß sie lachen, und das entwaffnet ihren Zorn. Höchstens kann mir geschehen, daß ich auf ein Gutachten der französischen Akademie wegen meiner linguistischen Umtriebe in Charenton eingesperrt werde ... Ach ja, Charenton! Sie sind ein Arzt und gewiß sind Sie schon dort gewesen. Sagen Sie mir, wie sind die französischen Wahnsinnigen? Die klugen Franzosen gleichen sich alle; ist das mit den Verrückten auch so? Sind sie klassische Narren nach den Regeln des guten Geschmacks, oder sind sie romantischtoll, wie wir Deutsche? Ich bin sehr begierig, mich darüber zu unterrichten.« – Übermorgen Vormittag um zehn Uhr können Sie mich in Charenton finden; wenn Sie sich umsehen wollen, werde ich Ihnen alles zeigen.« – »Es bleibt dabei; auf Wiedersehen in Charenton!«

16. Das Ludwigsfest

XVI.

Das Ludwigsfest

Am Tage vor dem Feste freie Schauspiele, die um ein Uhr Nachmittag anfingen. Schon um sechs Uhr morgens war die große Oper umlagert: mehr Beine als Strümpfe harrten des Eintritts. Wer keine starken Rippen und Ellenbogen hatte, durfte sich nicht in das Gedränge wagen. Abends war ein Teil des Tuileriengartens beleuchtet, die Musikbanden verschiedener Regimenter spielten hier und dort. Auf dem Balkon des Schlosses gaben die vereinigten Sänger der verschiedenen Opern ein herrliches Konzert, hundertstimmige Lieder zum Lobe des Königs schlossen mit einemvive le roi. Schade, daß ein Echo fehlte! Am Eingange des Gartens wunderkleine papierne Fähnchen mit der Inschrift vive le roi, vive le duc de Bordeaux für einen Sous zum Kaufe angeboten. Aber [76] die liberalen Gassenbuben verstanden den Wink nicht. Nur zwei Bürgerweiber sah ich mit solchen Fähnchen in der Hand, sie als Fächer gebrauchend; die Luft war heiß. Am folgenden Tage, am eigentlichen des Festes, verschiedene Wachtparaden im Schlosse der Tuilerien. Auch die Kriegszöglinge von St. Cyr wurden gemustert. Der kleine Herzog von Bordeaux, auf den Armen seiner Wärterinnen, lächelte den alten und jungen Kriegern freundlich zu, streckte seine Händchen aus und rief, als die Musik aufgehört: encore, encore! Nachmittags Einweihung der Reiterstatue Ludwigs XIV. auf dem place des victoires. Schon früher stand eine auf dieser Stelle länger als hundert Jahre, sie wurde in der Revolution umgeworfen, und jetzt mußten sie die Narren auf ihre eigenen Kosten wieder aufrichten lassen. Der König in römischer Tracht, auf dem Kopfe die Allongeperücke von Lorbeeren umkränzt, sitzt auf einem wilden Pferde, das schnaubt und sich bäumt ... »Mais Louis le grand n'est pas effrayé« – sagte die Quotidienne. Wirklich zeigt er auch ein ruhiges und selbstgefälliges Gesicht, das zu sagen scheint: Seht, ich fürchte mich nicht. Franconi könnte sich kein schmeichelhafteres Denkmal wünschen. Man hatte dem Künstler vorgeworfen, er habe die Beine des Königs zu fein und zu elegant gemacht. Genannte Quotidienne verteidigt das und bemerkt: il est reconnu que Louis XIV avait une jambe très remarquable. Nach Vollendung dieser Feierlichkeit ging es in die Elyseischen Felder. Dort wurden die Herzen des Volks mit Wein aufgewärmt und Würste und Brote ihnen an die Köpfe geworfen. Sie balgten sich darum, weniger aus Heißhunger, wie mir schien, als aus Mutwillen. Unter hunderttausend Menschen begegnete ich nur drei Betrunkenen, und auch diese stammelten nicht einmal den schuldigen Dank für die Bewirtung. Ich könnte manches erzählen, denn kein Polizeispion in ganz Paris hat an [77] diesem Tage mehr herumgehorcht als ich; aber das gehört nicht hierher. Abends wurde ein Feuerwerk abgebrannt, über das man sich in französischer, englischer und deutscher Sprache lustig gemacht; denn es war gar zu winzig. Und so endigte das Ludwigsfest ... Mehrere öffentliche Blätter erzählten den andern Morgen Wunderdinge von der allgemeinen Begeisterung des Pariser Volks. Der Himmel weiß, wo sie alle die schönen Lügen hergenommen!

17. Gloire

XVII.

Gloire

Die Franzosen könnten mich mit ihrer »Gloire« in einen Sumpf treiben, bliebe mir zu meiner Rettung sonst keine Zuflucht übrig. Der deutsche Ruhm ist wenigstens ein Mann, ob er zwar auch nicht viel taugt; die Gloire der Franzosen aber ist eine so widrige, abgeschmackte und unverschämte Kokette, daß sie gar nicht zu ertragen ist. Geht hin und seht den verbannten Marius mit seinem Riesenherzen wehmütig sinnend auf den Trümmern Karthagos – schön und erhaben ist der Anblick! Sieht man aber die Pariser bei den Scherben ihrer Herrlichkeit greinen, möchte man ihnen das Sacktüchelchen aus der Weste ziehen, um ihnen Wange und Nase damit zu säubern. Menschen, die von Morgen bis Abend von Freiheit reden, wissen noch nicht einmal, daß jedes Volk in der Freiheit, die es andern Völkern geraubt, seine eigene verloren und daß Ruhm der Honig an der Wagendeichsel ist, womit Münchhausen den Bären gefangen! Die römische Geschichte wurde von den Franzosen dramatisiert, das Drama ist unter dem Namen: Die Revolution bekannt. Das Gedicht hat glänzende Vorzüge und machte bei der Aufführung großen Eindruck; die besten Schauspieler traten darin auf; Musik, Tanz, Dekorationen und die andern Nebendinge waren auf das Schönste [78] angeordnet – aber es war alles doch nur ein Schauspiel. Was in Napoleon Größeres und Würdigeres gewesen als in Talma, ging für die Erkenntnis der meisten Franzosen verloren. Komödianten sind sie, und Komödianten werden sie noch lange bleiben. Wien, Berlin, Moskau erobert zu haben, gefiel ihnen freilich, weil solche kriegerische Einzüge noch weit prachtvoller waren als die in der Vestalin und im Titus. Jetzt, da der Vorhang gefallen (nicht das Stück, nur ein Akt erst ist geendigt), jammern sie, denn die Zeit wird ihnen lange. Wären es die Feldherrn und Soldaten allein, welche trauerten und klagten, daß man ihnen die ganze Beute ihrer zahllosen Siege wieder abgenommen – ihnen wäre zu verzeihen. Wenn aber Menschen, die nie etwas geführt als die Feder, und auch diese nur, seitdem keine Gefahr dabei ist – denn unter Napoleons Herrschaft waren sie stumm oder gebrauchten nur zum Schmeicheln ihre Zunge – wenn diese verlornen Nationalruhm beweinen, so ist es lächerlich und abgeschmackt. Daß sie wenigstens, was sie sich selbst als Ruhm angerechnet, auch andern Völkern als Ruhm möchten angedeihen lassen! Aber davon sind sie weit entfernt. Rußland, Österreich, Preußen besiegt zu haben, scheint ihnen glorreich; daß aber die Russen, Österreicher und Preußen als Sieger nach Frankreich gekommen, erklären sie für gemein und niedrig, und sie reden davon, als hätten sich die verbündeten Heere bei Nacht und Nebel auf den Zehen nach Paris geschlichen und hätten wie Diebe mit Nachschlüsseln die Tore der Hauptstadt geöffnet. Delavigne, ein junger dramatischer Dichter, der alles Lob verdient und der unter dem Titel: Messéniennes auch ziemlich gute Elegien und Oden herausgegeben, singt:


L'étranger, qui nous trompe, écrase impunément
La justice et la foi sous le glaive étouffées:
[79]
Il ternit pour jamais sa splendeur d'un moment,
Il triomphe en barbare et brise nos trophées:
Que cet orgueil est misérable et vain!
Ein anderes Mal reimt er:
Et vous, peuples si fiers du trépas de nos braves,
Vous, les témoins de notre deuil,
Ne croyez pas, dans votre orgueil,
Que, pour être vaincus, les Français soient esclaves.
Gardez-vous d'irriter nos vengeurs à venir;
Peut-être que le ciel, lassé de nous punir,
Seconderait notre courage;
Et qu'un autre Germanicus
Irait demander compte aux Germains d'un autre âge
De la défaite de Varus.

Kaiser Augustus, als er die Hermannsschlacht erfuhr, stieß sich den Kopf an die Wand; Horaz aber war nicht so gemein, um den Schmerz seines Gebieters zu beschwichtigen, in einer Ode auf die Germanen zu schimpfen. Noch häßlicher tritt die Nationaleitelkeit des Dichters da hervor, wo er von der »Verwüstung des Museums« singt. Daß man den Franzosen die Kunstwerke, die sie ja selbst als Sieger erbeutet, nachdem sich der Sieg gewendet, wieder abgenommen – gibt es etwas Natürlicheres und Billigeres als das? Aber Delavigne findet dieses um so schlechter und spitzbübischer, da die barbarischen Italiener, Deutsche und Engländer Kunst und Kunstwerke nicht zu schätzen wissen. Er sagt:


Muses, penchez vos têtes abbattues:
Du siècle de Léon les chefs-d' oeuvre divins
Sous un ciel sans clarté suivront les froids Germains;
Les vaisseaux d'Albion attendent nos statues.
Des profanateurs inhumains
Vont-ils anéantir tant de veilles savantes?
[80]
Porteront-ils le fer sur les toiles vivantes,
Que Raphaël anima de ses mains?

Es ist gar nicht zu zweifeln, daß die Musen die Köpfe hängen ließen, als ihnen Delavignes poetische Klage zu Ohren kam. Das »ciel sans clarté« und »froids Germains« ist bemerkenswert. Man frägt sich: wie ist es möglich, daß die Franzosen so wenig von der Geographie Deutschlands gelernt, da sie doch dieses Land fünfundzwanzig Jahre lang durchstrichen? Es scheint, daß man sie in ihren Schulen nur das Deutschland des Tacitus kennen lehrt. Ein Franzose, dem Mozarts Figaro nicht übel gefallen und der, weiß der Himmel durch welchen Zufall, erfuhr, daß dieser Tonkünstler in Wien gelebt, konnte sich nicht satt wundern, daß unter einem so rauhen Himmel so zarte Musik hat gedichtet werden können! Ich erinnere mich, daß ich mit einem jungen Franzosen aus Deutschland nach Frankreich reiste. Es war im Oktober, und das Wetter war rauh.

Eine halbe Stunde vor Kehl fiel ein starker Regen; der junge Mann, der keinen Mantel hatte, fror und rief einmal über das andere aus: quel détestable pays! quel détestable pays! Als wir auf der Kehler Brücke bei der französischen Schildwache angelangt, sprach er jubelnd: ah, me voilà dans ma patrie! knöpfte sich die Weste auf und rieb sich mit derjenigen Bewegung die Hände, mit der man es zu tun pflegt, wenn man im Winter aus dem Freien in ein geheiztes Zimmer tritt.

Delavigne ist so erbost über die Plünderung des Museums, daß er dem Apollo von Belvedere die größten Beleidigungen sagt, weil er sich auch, ohne sich zu wehren, hat fortführen lassen. Er spricht zu ihm:


Dieu du jour, Dieu des vers, ils brisent ton image
C'en est fait: la victoire et la divinité
Ne couronnent plus ton visage
D'une double immortalité.
[81]
C'en est fait: loin de toi jette un arc inutile,
Non, tu n'inspiras pas le vieux chantre d'Achille;
Non, tu n'es pas le Dieu qui vengea les neuf soeurs
Des fureurs d'un monstre sauvage,
Toi qui n'as pas un trait pour venger ton outrage
Et terrasser les ravisseurs.

Wenn Apollo reden könnte, hätte er wahrscheinlich folgendes geantwortet: »Was vermag ich armer Schelm? Ihr habt den großen Napoleon gehabt, ihr seid zu Hunderttausenden gewesen, eure Sache war's, mich zu verteidigen. Tröstet euch, so gut ihr könnt, ich gehe nach Italien, und es wird mir auch dort an Bewunderern nicht fehlen. Freilich werde ich so feine Schmeicheleien nicht mehr hören, als ich in Paris vernommen; keiner wird mir sagen, ich wäre la crème de la sculpture; aber ein stiller Seufzer ist mir auch genug. Lebt wohl!«

Mit dieser ihrer Gloire sind sie aber in der jüngsten Zeit gar sehr in die Klemme gekommen. Es versteht sich von selbst, daß ich hier bloß von den Liberalen spreche; denn was die Ultras betrifft, so sind diese guten Leute, in Frankreich wie überall, nur mit ihrem Hauswesen und ihren Familienangelegenheiten beschäftigt, und um Gloire, Patrie, Liberté und andere solche Allotrien bekümmern sie sich gar nicht. Die Pariser Liberalen also hatten, seit dem Sturze Napoleons, jede Anspielung auf den alten französischen Waffenruhm mit Heißhunger aufgefangen. In Büchern, in Zeitungen, in Gedichten, in Bildern, in Schauspielen, auf dem Theater, in allen Winkeln gruben sie nach italienischen, ägyptischen, deutschen, spanischen und russischen Altertümern. Das Herbarium vivum von ihren getrockneten Lorbeern könnten hundert Packpferde nicht schleppen. Die arme Theaterzensur mattete sich ab, daß es zum Erbarmen war. Sie strich und strich; aber wie wäre es möglich, einer[82] so geistreichen und scharfsinnigen Nation, als die französische ist, und die ihren Geist überall in der Tasche mit herumträgt – wie wäre es möglich, ihr alles wegzustreichen? Behielt die Gelegenheit nur ein einziges Haar, wurde sie daran festgehalten. Die französischen Komödien können so wenig als die deutschen der Lieutenants entbehren, und so oft sich auf der Bühne eine Uniform zeigte, brach das Gloirefieber aus, und des Jauchzens war kein Ende. So war es. Jetzt aber kam der spanische Krieg, den die Liberalen nicht haben mochten, und das Blatt wendete sich. Von Gloire wollten sie nichts mehr hören, sie wurden fromm wie die Lämmer und fanden nichts lieblicher, als daß sich jedes Volk redlich im Lande ernähre und sich um fremder Völker Tun und Lassen nicht bekümmere. Es wurde also anbefohlen, ruhmvolle Anspielungen fortan mit Kälte aufzunehmen und sich von jeder Theaterszene, die nach Pulver rieche, mit Abscheu wegzuwenden. Aber das Pariser Parterre läßt sich nicht so schnell unter einen Hut bringen, und in den ersten Tagen der neuen Ordnung klatschten die feurigen Patrioten, wie sie es gewohnt waren, bei jedem großen Worte der großen Nation. War darauf in den liberalen Theaterzeitungen ein schrecklicher Lärm, und sie logen, daß man gar nicht begreift, wo sie die Unverschämtheit alle hergenommen. Sie behaupteten ganz keck: von der Polizei angestellte Leute hätten Kriegsszenen beklatscht, die das Publikum mit Mißbilligung angehört. Die liebe Polizei hingegen, die Oberhofmeisterin der Prinzessin Europa, hat seitdem ihre Rolle gegen die ehemalige der Liberalen vertauscht. Zwar hat sie durch den spanischen Krieg einige neue Ängsten bekommen. So mußte eine MamsellMina, die in einem Kotzebueschen Stücke vorkommt, in Caroline umgetauft werden, und in einem anderen Stück wurde das Wort paix, mit welchem man Stille gebot, in chut! verwandelt. Im [83] übrigen aber hat die Zensur jetzt bessere Zeiten und kann sich ausruhen. Von der Gloire, die ihr sonst ein Dorn in den Augen war, ist sie die beste Freundin geworden. Die Pariser Straßen sehen jetzt ganz gloriös aus. Die Boulevards, die Quais, alles behängt mit Bildern, versteckt hinter Büchern, umstellt von Ofenschirmen, die Waffentaten erzählen und abbilden; ruhmvolle Hunde, tapfere Schulbuben; und selbst darauf wird nicht Rücksicht genommen, ob Napoleon oder Bayard der Held der Schlachten war. Ich habe sogar bemerkt, daß kurz vor der Kriegserklärung gegen Spanien vier neue und schöne Reverbèren an den Winkeln der Vendôme-Säule aufgestellt wurden, – da wo sonst keine waren – damit man den Ruhm auch im Dunkeln sehe.

18. Gefrorenes

XVIII.

Gefrorenes

Wie schade, daß die heißen Tage vorüber sind, vielleicht hätte meine kleine Beschreibung von dem hiesigen künstlichen Winter der Einbildungskraft der deutschen Leser einige Kühlung gegeben, das ihnen erwünscht gewesen wäre. Denn wie man mir aus Deutschland geschrieben, hat es dort diesen Sommer sehr an Eis und Kälte gemangelt. In welchen Zeiten leben wir, was erlebt man nicht alles! Aber den Engländern ist es nicht besser gegangen; auch sie hatten Mangel an Eis. Zwar hatten sie Schiffsladungen davon aus Schottland herbeigeholt; während sie sich aber in den Häfen mit den Zöllnern herumgestritten, ob diese Ware zu verzollen sei oder nicht, war der Gegenstand des Rechtsstreites zu Wasser geworden – ein Umstand, der bei Prozessen nicht selten eintritt. Noch größeres Mißgeschick hatten andere britische Handelsleute erfahren, welche Schiffe auf den Eisfang nach [84] Island ausgeschickt. Zwei der Schiffe gingen mit Mannschaft und Ladung zugrunde. Diese Gefahren hatte der deutsche antipiratische Verein wahrscheinlich vorher berechnet, sonst hätte er sicher bei dem ihm eigenen Unternehmungsgeiste seine, durch den Schrecken der Raubstaaten müßig gewordenen Flotten benützt, dem deutschen Bunde heilsame Abkühlung zu verschaffen! ... Aber ich bin von meinem Wege abgekommen. In Paris hat man Eis in Überfluß, von wo man es herbekommt, mag der Himmel wissen. Das beste Gefrorne findet man bei Tortoni auf demBoulevard des Italiens. Man hat dort jeden Abend die süße Not, zwischen dreizehn Sorten zu wählen. Ich will sie nennen: Vanille, pistache, café blanc, fraise, groseille, framboise, citron, pèche, ananas, raisin, melon, pain d'Espagne, biscuit glacé à la fraise. Worin besteht das Wesen eines biscuit glacé? Ich habe es nicht herausgebracht, es ist eine Zuckerbäckerscharade. Ein Chemiker müßte ich sein, es nach seinen Bestandteilen, ein Dichter, es würdig, ein Stoiker, es mit Gleichmut zu beschreiben. Anfänglich dachte ich: das wird wohl wieder eine französische Windbeutelei, dieser sogenannte Biscuit glacé wird nichts als gewöhnliches Eis nur mit der Form und Farbe eines Biscuit sein! Ich genoß und schämte mich meiner Übereilung. Es war wirklich Biskuit, aber ein durchfrorner. So mag Ambrosia munden. Aber Ambrosia ist auch nur ein Wort – man komme und schmecke. Was kann ich von genannter Eisart Rühmlicheres erzählen als folgendes? Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß eine wunderschöne junge Frau, die eifrig davon gegessen und ihr Glas schneller ausgeleert als ihr väterlicher Gatte das seinige, in dieses mit ihrem Löffel lächelnd Eingriffe getan, so daß der des Entzückens ungewohnte Ehemann sich triumphierend herumgesehen und allen anwesenden jungen Leuten zu verstehen gegeben, sie sollten daraus [85] entnehmen, wie wenig für sie zu hoffen sei – so sehr liebte die junge Frau gefrornen Biskuit. – Diejenigen meiner Leserinnen, die je in Paris und währenddem schön oder jung oder reich gewesen (dem Reichtum verkauft man, der Schönheit bringt man, die Jugend nimmt sich dort alles), die lächelten gewiß voll seliger Erinnerung, da ich von Tortoni und den Boulevards des Italiens gesprochen. In schönen Sommernächten da sitzen ... säuselnde Bäume ... umgaukelnde Bewunderer ... von tausend Lichtern zauberisch umflossen ... eine herrliche Zither tönt herüber ... drollige Savoyarden mit ihren tanzenden Affen betteln um ein Lächeln und einen Kupferpfennig ... und dabei den süßen Schnee herabzuschlürfen, wie das köstlich ist! Ach, es denkt keiner daran, wie teuer sich oft die Natur ihre Schmeicheleien der menschlichen Lüsternheit bezahlen läßt!

19. Die Schwefelbäder bei Montmorency

XIX.

Die Schwefelbäder bei Montmorency

Ach, wäre ich nur schon der Rührung frei, wie munter wollte ich herumhüpfen auf dem Papier! Aber Tränen umdämmern meine Augen – und sie haben weit zu sehen, über Frankreich weg, bis hinüber in das Vaterland; aber meine Hand zittert – und sie soll doch Kranken einen Heilbrief schreiben. Tausend frische Zweige säuseln mich vom dürren Pulte weg, tausend Vögel zwitschern mich hinaus; denn sie säuseln, denn sie zwitschern: Rousseau! Rousseau! Die Kastanienbäume dort, ernste Greise jetzt, sie haben in schöneren Jahren Rousseau gekannt und mit Schatten bewirtet seine glühende Seele. Das Häuschen gegenüber – ich sehe in die Fenster – darin ist Rousseaus Stübchen; aber er ist nicht daheim. Dort ist der kleine Tisch, an dem er die Heloïse gedichtet; da steht das Bett, in dem er ausgeruht [86] von seinem Wachen. O heiliges Tal von Montmorency! Kein Pfad, den er nicht gegangen, kein Hügel, den er nicht hinaufgestiegen, kein Gebüsch, das er nicht durchträumt! Der helle See, der dunkle Wald, die blauen Berge, die Felder, die Dörfchen, die Mühlen – sie sind ihm alle begegnet, und er hat sie alle gegrüßt und geliebt! Hier der Schatten vor meinen Augen – so, ganz so hat ihn die Frühlingssonne um diese Stunde auch seinen Blicken vorgezeichnet! Die Natur ringsumher – die treulose, buhlerische Natur! In Liebestränen lag er zu ihren Füßen, und sie sah ihn lächelnd an, und jetzt, da er fern ist, lächelt sie an gleicher Stelle auch mir und lächelt jeden an, der seufzend vorübergeht! – – –

Drei Stunden von Paris und eine halbe Stunde von Montmorency entfernt, liegt, zwischen den Dörfern Enghien und St. Gratien ein See, welchen die Franzosen den Teich nennen, l'étang. Darüber mag man sich billig wundern! Sie, die alles vergrößern, die inländischen Tugenden und die ausländischen Fehler, müßten den See – sollte man meinen – das stille Meer von Montmorency heißen, so groß und stattlich ist er. Wahrlich, als ich ihn gestern vormittag sah – das Wetter war etwas stürmisch – schlug er hohe Shakespeareswellen und war unklassisch bis zur Frechheit. Ich brauchte, bei freiem Herzen, zwanzig Minuten, ihn zu umreiten; Liebende zu Fuß können ihn eine ganze schöne Stunde umschleichen. Herrliche Baumgänge umschatten seine Ufer, zierliche Gondeln hüpfen über seine Wellen. Diesem See nahe sind die Badehäuser angebaut, alle auf das Schönste und Bequemste eingerichtet. Die Bestandteile des Wassers kenne ich nicht genau; die chemische Analyse, die der berühmte Fourcroy davon gegeben, habe ich nicht gelesen; nur so viel weiß ich, daß Schwefel darin ist – dieses herrliche Mittel, das, in Schießpulver verwandelt, kranke Völker, zu Arzneipulver gestoßen, kranke Menschen heilt. Wahrscheinlich [87] hat das Badwasser von Montmorency die größte Ähnlichkeit mit dem von Wiesbaden, welches, nach dem Konversationslexikon – diesem sächsischen Reichsvikar nach Ableben des deutschen Kaisers, der den deutschen Völkern geistige Einheit gibt und dessen zehn Bände das Andenken der ehemaligen zehn Reichskreise mnemonisch bewahren – kohlensaure Kalkerde, Bittererde, salzsaures Natrum, salzsaure Kalkerde und Bittererde, schwefelsaures Natrum und schwefelsaure Kalkerde, Tonerde und etwas mit kohlensaurem Natrum aufgelöstes Eisen enthält. Aber Montmorency ist ungleich wirksamer als Wiesbaden und alle sonstigen Schwefelbäder Deutschlands und der Schweiz. Die notwendigste Bedingung zur Heilung einer Krankheit durch Schwefelbäder ist, wie die Erfahrung lehrt – die Krankheit; weswegen auch gute Ärzte, da, wo sie keine Krankheit vorfinden, ihr Heilverfahren damit beginnen, eine zu schaffen. Paris liegt aber so nahe bei Montmorency, daß die erforderliche Krankheit auf das Leichteste zu haben ist. Aus dieser vorteilhaften Lokalität entspringt für deutsche Kurgäste noch ein anderer ganz unschätzbarer Nutzen: daß sie nämlich gar nicht nötig haben, sich auf der großen Reise von Deutschland nach Paris mit einer Krankheit zu beschleppen, welches besonders bei Gichtübeln beschwerlich ist, sondern daß sie sich gesund auf den Weg machen und sich erst in Paris mit den nötigen Gebrechen versehen, von wo aus sie gemächlich in zwei Stunden nach Montmorency fahren, um dort Heilung zu suchen. Sollten sie diese nicht finden oder gar unglücklicherweise in Paris sterben – denn es versteht sich von selbst, daß man dort alle seine Zeit zubringt und nur Sonntags zuweilen nach Montmorency fährt, um unter den Kastanienbäumen hinter der Eremitage die feine Welt tanzen zu sehen, so hat man die Reise doch nicht vergebens gemacht. Es gibt nichts Angenehmeres auf der [88] Welt, als in Paris zu sterben; denn kann man dort sterben, ohne auch dort gelebt zu haben? Der Vorzüge, welche das Schwefelbad von Montmorency vor allen übrigen Schwefelbädern hat, sind noch gar viele, und ich werde ein anderes Mal darauf zurückkommen. Jetzt aber habe ich von etwas Wichtigerem zu sprechen, nämlich von der zweimonatlichen Vorbereitungskur, welcher sich besonders die deutsche weibliche Welt zu unterwerfen hat, ehe sie die Reise nach Montmorency antreten darf. Ich weiß freilich nicht, ob auch junge Frauenzimmer von Stand zuweilen die Gicht bekommen und ob ich nicht gegen die Pathologie und Courtoisie verstoße, wenn ich dieses als möglich annehme. Sollte ich aber fehlen, so entschuldigt mich meine gute Absicht gewiß. Wäre ich nun ein halbes Dutzend Dinge, die ich nicht bin: jung, reich, schön, verheiratet, gesund und ein Frauenzimmer, würde ich, sobald ich im Morgenblatte die Anpreisung des Montmorencybades gelesen, wie folgt, verfahren. Ich nehme an, ich lebte seit fünf Jahren in kinderloser, aber zufriedener Ehe. Mein Mann wäre ein Graf und reich. Er wäre nicht geizig, verwendete aber mehr auf seine landwirtschaftlichen Baue, Parkanlagen und Merinoschafe als auf meine Launen und Luftschlösser. Er liebte die Jagd sehr, mich aber nicht minder. An Wochen- und Werkeltagen tät ich ihm in allem seinen Willen, und nur an Festtagen, die ich mir zu diesem Zwecke alle beweglich gemacht, behielte ich mir die Herrschaft vor. Wir lebten zurückgezogen auf unsern Gütern. Mein Mann wäre Tage und Wochen auf seinen entfernten Meiereien, und wir hätten selten eheliche Zwiste. Nun käme er eines Abends – – – aber, um es den Leserinnen bequem zu machen, will ich in der dritten Person, wie Cäsar, und im Indikativ, wie die Weltgeschichte, von mir erzählen.

An einem schönen Maiabend – die Dorfglocke verhallte [89] schlaftrunken, der Himmel löste seine roten Bänder auf, die Sterne wurden angezündet – kehrte Graf Opodeldoc von der Jagd zurück. In das Hoftor eingetreten, sprach er zu seinem Oberjäger: »Lieber Herr Walter, sein Sie so gut und lassen Sie meiner Frau sagen, daß ich da bin.« Der Graf war gegen seine Jagddienerschaft ein gar milder und lieber Herr. Im Gartensaale legte er seine Tasche ab und zog die Ladung aus der Büchse; die Jagd war sehr unglücklich gewesen, nichts, keine Rabenfeder war ihm aufgestoßen. Sophie, das Kammermädchen der Gräfin, kam schüchtern herbei und sprach mit ängstlicher Stimme: »Erschrecken Sie nicht, Herr Graf, es hat gar nichts zu bedeuten, bis morgen ist es vorüber, Sie brauchen sich gar nicht zu beunruhigen.« Der Graf stieß zornig seine Büchse auf den Boden. – »Elster, Starmatz, Gans, was schnattert Sie da? Was hat nichts zu bedeuten, worüber soll ich nicht erschrecken?« Das Kammermädchen erwiderte: »Sie können ganz ruhig sein, die gnädige Gräfin befinden sich etwas unwohl und haben sich zu Bette gelegt.« – »Schon gut, brummte der Graf, schick' Sie mir den Heinrich.« – Heinrich kam, seinem Herrn die Stiefel auszuziehen. Wie gewöhnlich benahm er sich ungeschickt dabei und bekam einen leisen Fußtritt; so sanft hatte Heinrich den Herrn nie gesehen. Nachdem der Graf in Pantoffeln und Schlafrock war, ging er in das Zimmer seiner Frau. Die schöne Gräfin richtete sich im Bette auf; sie hatte den Kopf mit einem Tuche umbunden – Amor trug die Binde nur etwas tiefer. »Was fehlt dir, mein Kind?« frug der Graf so zärtlich, als ihm möglich war. – »Nichts, lieber Mann; ich bin froh, daß du da bist, jetzt ist mir schon viel besser. Heftiges Kopfweh, Schmerz in allen Gliedern, große Übelkeiten.« Die Gräfin, obzwar eine geübte Schauspielerin, die schon in bedeutenden Rollen aufgetreten, stotterte doch, als sie diese Worte sprach, und ward rosenrot im Gesichte. Der [90] Graf – er besaß große Allodialgüter und war seiner ganzen Kollateralverwandtschaft spinnefeind – als er seine Gemahlin erröten sah, faßte ein freudiges Mißverständnis und drückte der Gräfin so fest und zärtlich die Hand, als er es lange nicht getan. Diese schrie ein langgedehntes Au! zog die Hand zurück, bewegte krampfhaft die Finger und wiederholte im Sechsachteltakt: Au! au! au! Au ist zwar ein unfeines Wort; aber der Schmerz hat keinen guten Stil, und einen schönen Mund kann auch ein Au nicht verunzieren. Der klugen Leserin brauch' ich es wohl nicht zu sagen, daß jenes Au nichts war, als die erste Szene einer kleinen dramatischen Vorgicht. »Ich habe dich oft gewarnt, abends nicht so spät in der Laube zu sitzen; du hast dich gewiß erkältet; das kommt dabei heraus!« Nach diesen Worten wünschte der Graf seiner Gemahlin gute Nacht und ging brummend fort.

Am anderen Morgen fand sich die Gräfin beim Frühstück ein und erklärte sich für ganz wiederhergestellt. Der Graf fragte, wie gewöhnlich, nach dem Morgenblatte, das der Bote jeden Abend aus der Stadt brachte. Man suchte darnach, es fand sich nicht. »Steht etwas Interessantes darin?« fragte der Graf. Die Gräfin erwiderte, sie habe es gestern, weil sie sich zu Bette gelegt, nicht gelesen. Sie war ungemein hold und liebenswürdig und schlürfte ein Löffelchen aus der Tasse ihres Mannes, ehe sie ihm dieselbe hinreichte, um zu versuchen, ob der Kaffee süß genug sei – eine zarte Aufmerksamkeit, die sie für feierliche Gelegenheiten versparte. Darauf brachte sie ihre eigene Tasse an den Mund, vermochte sie aber nicht zur Hälfte zu leeren. Sie klagte über Appetitlosigkeit und daß ihr der Mund so bitter wäre. »Meinst du nicht, liebes Kind, – sagte der Graf – daß es gut sei, den Arzt aus der Stadt holen zu lassen?« – »Ich halte es für nicht nötig, erwiderte die Gräfin, es fehlt mir eigentlich nichts, indessen, wenn es dich beruhigt, tue es immerhin.« [91] Ein Reitknecht wurde abgefertigt, und nach zwei Stunden fuhr der Arzneiwagen in den Hof. Der Doktor fühlte den Puls, frug herüber, frug hinüber, schüttelte den Kopf; Frank, sein Polarstern, zog sich hinter Gewölk, und vom menschlichen Herzen, diesem Kompasse auf dem Meere zweifelhafter Geschichten, verstand der gute Doktor nichts. In seiner Spezialinquisition erlaubte er sich verbotene Suggestionen; die Gräfin verwickelte sich in ihren Antworten, klagte über die widersprechendsten Leiden, stotterte, ward wiederum rot. Der Graf lächelte abermals und sprach: »Herr Doktor, ich will Sie mit meiner Frau allein lassen.«

Als Graf Opodeldoc fort war, waren die Leiden der schönen Gräfin auch fort. Sie ließ sich vom Doktor die jüngsten Stadtneuigkeiten erzählen und fragte diesen endlich: »Waren Sie schon draußen auf dem Freihof beim Baron Habersack gewesen? Er ist krank.« – »Ich bin sein Arzt nicht,« erwiderte der Doktor seufzend. – »Ich weiß das, sagte die Gräfin; aber ich habe vor einigen Tagen mit der Baronesse von Ihnen gesprochen, sie wird Sie rufen lassen.« – Der Doktor machte einen Bückling der Erkenntlichkeit. – »Der Baron hat das Podagra, fuhr die Gräfin fort. Die Baronesse, die ihn zärtlich liebt, glaubt, daß nur ein Bad ihn herstellen könne, aber der Baron ist ebenso geizig, als seine Gemahlin großmütig ist. Sie verläßt sich auf Sie, daß Sie ihm eine Badereise als unerläßlich zu seiner Heilung vorschreiben werden.« – »Gnädige Gräfin, eine Badereise wäre Ihnen vielleicht auch anzuraten.« – »Meinen Sie, Doktor? (Das ausgelasseneHerr macht den Doktor völlig zum Sklaven der Gräfin.) Aber welchen Badeort würden Sie empfehlen?« –»Sind Sie für Wiesbaden, gnädige Gräfin?« – »Ich will nichts davon hören, man begegnet da nur verkrüppelten Männern und möchte sterben vor Langeweile.« – »Was halten Sie von Ems?« – »Man erkältet sich dort abends zu [92] leicht.« – »Lieben Sie Kannstadt?« – »Ich hatte mir dort sehr gefallen; schade nur, daß die Esel fehlen, welche die Bäder in der Nähe von Frankfurt so lustig machen ... Doktor, was denken Sie von Montmorency bei Paris, die dortigen Schwefelbäder werden sehr angerühmt und scheinen mir für meine Umstände ganz zu passen?« – »Ich kenne sie; glauben Sie doch der französischen Scharlatanerie nicht. Einen Schwefelfaden in ein Glas Wasser geworfen und sich damit gewaschen, tut dieselben Dienste, wie das Bad von Montmorency.« – »Aber, lieber Doktor, bedenken Sie die angenehme Reise, Paris, die Zerstreuungen.« – »Freilich, gnädige Gräfin, Sie haben recht, die milde Luft Frankreichs wäre Ihren Nerven gewiß sehr heilsam.« – »Doktor, reden Sie mit meinem Manne, seien Sie geschickt, Sie werden Mühe haben.« »Gnädigste, ich führe eine Schlange in meinem Wappen.« –

Während oben Kriegsrat gehalten wurde, ging Graf Opodeldoc im Garten auf und ab und wartete auf den Doktor. Er machte große Schritte und rieb sich vergnügt die Hände, denn er hoffte heute noch seinen nahbegüterten Kollateralverwandten eine schadenfrohe Botschaft zu bringen. »Wartet nur, naseweiser Bruder – sprach er lachend vor sich hin – und Sie, hochmütige Frau Schwägerin, wir wollen eine Suppe zusammen essen, die gesalzen sein soll.« Endlich kam der Arzt, er stürzte ihm entgegen, faßte ihn an beiden Händen und sprach: »Nun, lieber Herr Doktor, was macht meine gute Frau? Trinken wir eine Flasche Madera?« Der Doktor zuckte bedeutend die Achseln. – »Man kann noch nichts sagen, wertester Herr Graf. Man muß der Natur Zeit lassen, sich zu entwickeln. Ich habe eine Kleinigkeit verschrieben, zum Versuch bloß.« – »Aber was fehlt ihr denn eigentlich?« – »Es ist eine unausgebildete Gicht, die man zu befördern suchen muß.« – »Gicht! Doktor. Meine Frau [93] ist erst dreiundzwanzig Jahre alt, so jung und schon die Gicht! Ich habe sie oft gewarnt, das kommt von den weiten Fußreisen, von dem tagelangen Reiten.« – »Im Gegenteil, Herr Graf, mehrere und stärkere Bewegung wäre der gnädigen Gräfin zuträglich. Die frühzeitige Gicht findet sich jetzt häufig bei jungen Damen von Stande; das kommt vom übermäßigen Zuckerwassertrinken.« – Graf Opodeldoc ließ sich das gesagt sein; er war ein kenntnisvoller Pferdearzt, aber von der Menschheit in ihrem gesunden und kranken Zustande wußte er nicht viel. Nachdem der Arzt fort war, ging der verdrießliche Ehemann in das Zimmer seiner Frau, ergriff beide dort stehende vollgefüllte Zuckerdosen und schüttete ihren Inhalt zum Fenster hinaus. Alles Hofgeflügel kam herbeigeflattert und schlich langsam und verdrießlich wieder fort, als sich nichts zu picken vorfand.

Vier Wochen lang wechselte die schöne Gräfin Opodeldoc zwischen Wohlbefinden und Übelbefinden mit vieler Kunst und Überlegung ab. Der Arzt kam, der Arzt ging. Die Krankheit blieb. Endlich schien die Arznei anzuschlagen – sie mochte wohl sympathetisch gewirkt haben, denn Sophie, das Kammermädchen, pflegte ihre Privatnelken damit zu begießen. Schon seit acht Tagen war keine Klage gekommen aus dem Munde der Gräfin. Terpsichore hatte diese glückliche Verabredung mit Hygieia getroffen; denn am neunten Tage schickte die Baronesse Habersack Einladung zu einem Balle, auf dem sie vor ihrer Abreise ins Bad alle ihre Freunde vereinigt sehen wollte. Die Gräfin schmückte sich aufs herrlichste, sie war schön wie – ein Engel (Warum ist die christliche Mythologie so arm an guten Bildern?). Sophie, das Kammermädchen, stand, wie Pygmalion vor seinem Marmorbilde, mit Liebesblicken vor dem Kunstwerk ihrer Hände und flehte die Götter, sie möchten die Gräfin beleben und in einen Mann verwandeln. Der Graf selbst zeigte [94] starke Spuren innern Wohlgefallens beim Anblick seiner Gemahlin; denn die Hoffnung, daß seine hagere Schwägerin auf dem Balle etwas bersten würde vor Neid, hatte sein ästhetisches Gefühl ungemein geschärft. Er nannte die Gräfin einmal über das andere: Mein Mäuschen! Endlich bot er ihr den Arm, sie hinab an den Wagen zu führen. Auf der Mitte der Treppe – o unvergleichliche Tat menschlicher Seelenstärke, einzig in der Weltgeschichte! o glorreichste Heldin des weiblichen Plutarchs! – mitten auf der Treppe, von Rosen umduftet, von Seide umwallt, von Gold und Perlen umglänzt, von Kunst und Natur bis zum Blenden umschimmert, auf dem Wege zum Tanze, auf dem Wege zu tausend süßen Triumphen ... stieß die Gräfin Opodeldoc einen durchdringenden Schrei aus und wollte zusammensinken. Der Graf stützte sie und fragte: »Was hast du, mein Mäuschen?« Die Gräfin konnte vor Schmerz nicht antworten. Man mußte sie die Treppe wieder hinauftragen. Sie legte sich zu Bette. Sophie, ob sie zwar als Kammermädchen hinter den Coulissen stand, ward doch überrascht von dem Staatsstreiche ihrer Gebieterin, dessen Geheimnis sie nicht wußte, da die Gräfin, wie jede Frau, ein Allerheiligstes hatte, in das auch die Priesterin Sophie nicht treten durfte, sondern nur sie selbst als hohe Priesterin. Der kranke Fuß wurde bis zur Ankunft des Arztes ohne Erfolg mit Hausmitteln behandelt. Der Doktor kam und hatte mit der Gräfin eine lange geheime Unterredung. Vor dem Weggehen begab er sich zum Grafen und sagte mit feierlicher Stimme: »Herr Graf, ich halte es für meine Pflicht, Ihnen zu raten, daß Sie einen andern Arzt kommen lassen.« – »Noch einen?« rief der Graf. »Ein Kongreß! Steht es so schlimm mit meiner Frau? Ist eine gefährliche Revolution in ihr vorgegangen?« – »Nein, wertester Herr Graf, so schlimm ist es nicht; aber die gnädige Gräfin scheinen kein Zutrauen in mich zu [95] setzen und wollen meinen Rat nicht befolgen. Ich habe Ihrer Gemahlin eine Badekur verordnet, aber sie will nichts davon hören. Sie sagt, das Geräusch der Badeorte sei ihr verhaßt, und sie hat mir verboten, mit Ihnen, Herr Graf, davon zu sprechen. Aber meine Pflicht ...« – »Herr Doktor, ich liebe die Badeorte auch nicht; können Sie meine Frau nicht auf anderm Wege heilen?« – »Wertester Herr Graf, wir können nicht zaubern, wir Ärzte. Der Arzt und die kranke Natur sind der Blinde und der Lahme; die Natur zeigt uns den Weg, den wir sie tragen sollen. Um einen Kranken zu heilen, müssen wir in ihm den gesunden Punkt, den Punkt des Archi-medes auffinden, wo wir den Hebel ansetzen. Die Gicht ist eine Krankheit, die sich aufs Hartnäckigste verteidigt, sie ist mit Gewalt gar nicht einzunehmen, weswegen sie auch im Konversationslexikon unmittelbar auf Gibraltar folgt ...« Der Doktor sprach noch länger als eine Viertelstunde gelehrt und unverständlich, um der Gräfin Zeit zu lassen, ihre Rolle zu rekapitulieren. – »Sie werden meiner Frau Wiesbaden verordnet haben?« – »Nein, Herr Graf, das Wasser ist zu stark.« – »Oder Ems? Nicht wahr, Doktor, Ems, das hilft.« – »Trauen Sie ihm nicht, Herr Graf, das Wasser allein tut's dort nicht; die Nachtluft – die Nachtluft ist dort schädlich.« – »Welches Bad raten Sie denn?« – »Das zweckmäßigste wäre Barrège in den Pyrenäen.« – »Träumen Sie, Herr Doktor? Wollen Sie meine Frau der Armée de foi zuführen? Soll uns der Trappist attrapieren?« – »Freilich, Herr Graf, Barrège hat seine Bedenklichkeit. Das Wasser von Montmorency bei Paris ist ungefähr von gleicher Beschaffenheit.« – »Herr Doktor, wenn unsereiner nach Paris reist, so kostet das gleich ungeheures Geld. Muß es denn sein? Tut es kein anderes Bad? Haben Sie Erfahrungen, ob es hilft?« – »Schon Hypokrates, in seinem Buche von den Winden, rühmt das Bad von Montmorency. [96] Aber, Herr Graf, ich fürchte, Ihre Frau Gemahlin ist nicht zu bewegen.« – »Das wird sich finden; wenn ich will, muß sie wollen; ich bin Herr, Herr Doktor.«

Graf Opodeldoc brauchte länger als vierzehn Tage, seine Gemahlin für die Schwefelbäder von Montmorency zu gewinnen. Endlich willigte sie ein. »Ich will deiner liebevollen Besorgnis dies Opfer bringen,« sprach sie mit matter Stimme. Sie ward täglich schwächer und verließ das Bett nicht mehr. »Liebes Kind – sagte der Graf eines Morgens – ich reite in die Stadt, ich will dir die Putzmacherin herausschicken, du wirst für die Reise noch allerlei bedürfen.« – »Nein, guter Mann, erwiderte die Gräfin, »das Nötigste habe ich, und ein Leichentuch finde ich überall. Ich fühle, wie sich alles in mir auflöst, bald schließt mich der Tod in seine kalten Arme.« – »Kinderpossen! Du wirst in Paris wieder aufleben; dann brauchst du Flitter genug, und dort ist alles doppelt teuer.« – »O mein Gatte, wozu noch Tand und Flitter? Laß mit den Blick abwenden von allem Irdischen, laß mich gegen den Himmel meine Gedanken richten!« – »Wie du willst!« – brummte der Graf. – Die Vorbereitungen zur Reise waren getroffen, das Gold ward unter Seufzen eingerollt. – Der Graf liebte die Napoleons sehr, doch, als guter Deutscher, nur im Pluriel. Die Gräfin wurde in den Wagen gehoben. Schon am zweiten Tage fühlte sie sich gestärkt, und in Straßburg vermochte sie mit Leichtigkeit den Münster hinaufzusteigen. Oben auf der Plattform sagte der Graf: »Mäuschen, du blühst ja wieder wie eine Rose.« Die Gräfin erschrak, bedachte, wie wenig entfernt sie noch von der Heimat wären, und blickte in die untergehende Sonne, um ihre Wangenröte hinter dem Widerschein der Abendglut zu verstecken. Als sie an der Barriere St. Martin an das Tor gelangten, durch das man, von Deutschland kommend, in Paris einfährt, wollte der Postillon, wie es ihm auf der Station geheißen, rechts ab gleich [97] nach Montmorency fahren, wo das Quartier voraus bestellt war. Aber die Gräfin befand sich plötzlich so übel, daß man sich entschließen mußte, über die Nacht in Paris zu bleiben. Der am an deren Morgen herbeigeeilte Arzt erklärte die Krankheit für une fièvre non maligne und gebot das Zimmer zu hüten. Der Graf ging aus, Adressen abzugeben, machte Besuche, empfing Besuche; nach einigen Tagen war die Gräfin hergestellt und ward von ihrem Manne in den Strudel von Paris hineingeführt. Die deutsche unlegitime Garderobe wurde in der Viviennestraße restauriert. Der Graf selbst fing sich an, in Paris zu gefallen. Er hatte einen wackern Colonel auf halbem Solde kennengelernt, der wie er ein leidenschaftlicher Jäger war und der ihm Gelegenheit verschaffte, seine Lust zu befriedigen. Die Gräfin aber hatte vom ersten Augenblicke an eine unüberwindliche Abneigung gegen den Colonel gefaßt, und da sie ihren Widerwillen nicht verbarg, führte dieses zu häufigen Zwistigkeiten mit ihrem Manne. »Er ist ein wilder Mensch!« sagte die Gräfin oft. – »Wir gedienten Leute sind nicht anders!« erwiderte jedesmal der Graf. Wochen, Monate gingen vorüber, der Herbst nahte heran, die Rückreise konnte nicht länger verschoben werden. Der Wagen war angespannt, der Colonel umarmte seinen Freund. »Adieu, mon ange!« sagte er zu Sophie, ihr die Wangen streichelnd; aber vergebens suchte er unter Scherzen seine Rührung zu verbergen, Tränen entstürzten seinen Augen. Er faßte die Hand der Gräfin, sie zu küssen, diese zog sie zurück und ließ ihren Schleier fallen. Als sie im Wagen saßen, sagte der Graf: »Du hast dich aber auch gar zu unartig gegen den Colonel benommen! Er ist ein herrlicher Mann, ein echt deutsches Herz« ... Während auf der ersten Station hinter Paris die Pferde gewechselt wurden, schlug sich der Graf plötzlich vor die Stirn und rief: »Rein vergessen!« Mit freudigem Schreck frug die [98] Gräfin hastig: »Deine Brieftasche? Ich habe sie auf dem Kamin gesehen. Laß uns schnell zurückfahren, ich fürchte, ich habe auch manches dort vergessen; wenn wir nicht eilen, ist alles hin.« – »Die Brieftasche habe ich« – erwiderte der Graf – »ich meine, wir haben ja ganz vergessen, uns in Montmorency umzusehen.«– »Übers Jahr!« lispelte die Gräfin mit einem leisen Seufzer und warf einen feuchten Blick auf den Dom der Invaliden zurück, dessen goldene Kuppel in der Abendsonne leuchtete.

Graf Opodeldoc lebte wieder im alten Gleise auf seinen Gütern. Die Nachbarinnen waren der Reihe nach gekommen, die Pariser Hüte zu bewundern, welche die Gräfin mitgebracht. Diese hatte sich müde erzählt von den Wunderwerken der herrlichen Stadt – wenn es für Männer angenehm ist, in Paris zu sein, ist es für Frauen noch angenehmer, dort gewesen zu sein und davon zu berichten. Die Herbstwinde raschelten, die Blätter fielen. Es kam der erste November, des Grafen fünfzigster Geburtstag. Der Graf schlief an diesem Tage, wie gewöhnlich, länger als gewöhnlich, um zu allen Vorbereitungen zu seiner Überraschung Zeit zu lassen. Er ging hinab in den Saal und wünschte seiner Gemahlin mit erkünstelter Gleichgültigkeit und Kälte einen schönen guten Morgen. Bei seinem Eintreten sagte die Gräfin zu ihrem Kammermädchen: »Geh, Sophie!« indem sie ihr einen sanften Schlag gab. Sophie hatte eine ganze Spitzbubenherberge voll Schelmerei auf ihrem Gesichte und schlüpfte lachend hinaus. »Väterchen!« sprach die Gräfin mit entzückender Holdseligkeit – der Graf kam näher – »Väterchen!« – der Graf stand vor ihr – »Petit Papa« – sie ergriff seine Hand, drückte sie fest und zärtlich, er zog sie zurück; sie lächelte, er errötete. –

Das macht' ich so!

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20. Die Vendômesäule

XX.

Die Vendômesäule

Man muß sehr lachen, wenn man der drolligen Verlegenheit einiger französischen Schriftsteller begegnet, welche Beschreibungen von Paris zum Gebrauche der Fremden verfaßt haben. Viele Bauwerke, in neuerer Zeit entstanden, erregen und verdienen die Bewunderung aller; aber wie davon sprechen? Napoleon hat sie geschaffen. Um dieser stechenden Wahrheit auszuweichen, sieht man jene armen Herren sich wie Raupen krümmen. Sie reden in mancherlei Windungen und stellen für schreibende Höflinge die schönsten Stilmuster auf. Sie sagen: alle Bauwerke der kaiserlichen Regierung wären schon unter Ludwig XIV. beschlossen worden, Ludwig XV. habe wohl daran gedacht, die Entwürfe seines Vorgängers auszuführen, habe aber, um das dazu nötige Geld zu holen, die benachbarten Staaten nicht erobern wollen; Ludwig XVI. sei auf gleiches bedacht gewesen, habe es aber unterlassen, um seine Untertanen nicht mit Abgaben zu beschweren. Dann sagen sie: Napoleon habe nur aus Eitelkeit viel bauen lassen. Dann, um die Schnelle, mit welcher unter ihm so viele und große Werke entstanden, der Bewunderung zu entziehen, sagen sie: Bonaparte habe zu Pferde der Unsterblichkeit zueilen wollen. Ferner: er habe wohl begriffen, daß ihm jene Kunstwerke größern Nachruhm bringen würden als seine verheerenden Schlachten. Ferner: es habe ihm geahnet, daß es mit seiner Herrlichkeit nicht lange dauern würde, und darum habe er sich beeilt, ein gefälliges Andenken zurückzulassen. Endlich, weil sie fürchten, noch nicht genug geschmeichelt, Napoleon noch nicht genug gelästert zu haben, sagen sie: Er habe die Baukunst nicht geschätzt, die Baukünstlernnicht aufgemuntert, nicht belohnt, sie vielmehr gehaßt, weil ihn, da er noch [100] Lieutenant gewesen, ein Architekt wegen einer Schuld bei dem Friedensrichter verklagt hatte. Wenn dieses wahr ist, muß man sich wundern, daß Napoleon nicht auch die Ammen und Kindermädchen verfolgt, weil ihm, als er noch Kind war, höchst wahrscheinlich eine dieser Personen irgend ein Pätschchen gegeben. Bei Gelegenheit der Vendômesäule sagen jene immergrünen Schmeichler: Napoleon hat die Säule jener des Trajan zu Rom sklavisch nachbilden lassen, weil er den Künstlern nicht vergönnen mochte, eigenem Schöpfungsgeiste zu folgen. Daß er ein Taugenichts war, wissen wir auswendig genug, aber mit der Vendômesäule hat er recht gehabt. Die Künstler unserer Tage haben nur gelernt, den Reichen und Mächtigen zu gefallen. Ein Bildchen, zwischen hölzernen Stäben eingesperrt, in der warmen Stube aufgehängt, von Gardinen gegen die Sonne, von Schloß und Riegel gegen freie Untersuchung geschützt – das ist ihr höchstes Tun. Aber ein Bauwerk unter freiem Himmel, auf den Markt des freien Urteils hinzustellen, allen verständlich, allen gefällig, und das groß in die großen Augen des Volks einzieht – das vermögen sie nicht. Aber die alten Römer vermochten es, und darum war es wohlgetan, eines ihrer Werke nachzuahmen. Die Vendômesäule ist das schönste unter allen Bauwerken Napoleons; unter solchen nämlich, die eine sittliche Vorstellung ausdrücken. Denn was die Gebäude betrifft, die dem Vorteile des tierischen Menschen gewidmet sind: Märkte, Wein-, Getreidehallen, Schlachthäuser, die der französische Kaiser aufführen ließ, so muß man gestehen, daß die alte Welt nichts Ähnliches vorzuzeigen hatte.

Die Säule auf dem Platze Vendôme soll, wie bekannt, die Siege der Franzosen im Jahre 1805 verherrlichen. Sie ist rundum bis zu ihrer Spitze mit Bildwerken halb erhabener Arbeiten bedeckt, wozu zwölfhundert eroberte Kanonen das Metall gegeben. Ein schönerer Baustoff, [101] als den der türkische Kaiser zu verwenden gedenkt, welcher wie eine deutsche Zeitung schmunzelnd erzählt hat, bei seinem Barte geschworen, in Griechenland eine Moschee von Christenschädeln aufrichten zu lassen! Die Spitze der Säule krönt eine Kuppel, auf welcher bis zur Rückkehr der Bourbonen die Statue Napoleons stand. Sie war, wie ihr Urbild, so fest auf den Beinen, daß man sie absägen mußte. Aus dem Leibe des Helden wurde später das Pferd gegossen, worauf Heinrich IV. auf dem Pont-Neuf sitzt. Eine finstere Treppe führt zur Galerie, welche die Kuppel der Säule umgibt. Mit einer Laterne in der Hand steigt man den ängstlichen Weg hinauf, der so eng ist, daß man dem Herabkommenden zurufen muß, oben zu warten, denn zwei sich Begegnende könnten sich nicht ausweichen. So sind die Wege des Ruhmes! Von der Höhe der Säule hat ein Held der alten Garde sich vor einigen Jahren herabgestürzt. Beargwohnt von der Schwäche, geneckt, verfolgt, ward ihm das Leben zur Last. In fünfzig Schlachten war er den Lanzen und Schwertern des Feindes kühn entgegengetreten – vor den Nadelstichen der Polizei nahm er feig die Flucht. Von dieser Säule des Ruhms schaut man auf das heutige Parishinab – ein Anblick, der einem Deutschen wohltun würde, wenn es die Binse größer und stärker machte, daß der Sturm die Eiche niederwarf. Auch haben sie, um der Weltgeschichte Höflichkeit zu lehren, die Inschrift vertilgt, die am Fuße der Säule deren Bestimmung ausdrückte. Die Inschrift war in lateinischer Sprache, und die Wenigsten hatten sie verstanden: die leere Tafel kann jetzt jeder dumme Bauer lesen.

21. Gretrys Herz

XXI.

Gretrys Herz

›Deutsche Advokaten – – – Wenn man Gefühl hat oder das erste Kind in der Wiege liegt, gelingt es selten, den [102] Faden einer vernünftigen Betrachtung ohne Riß abzuspinnen; hat man aber beides zugleich, wird die Feder gar mitten im Satze aufgehalten, und das verdrießliche Punktum harrt ungeduldig auf die Zögernde. Wie das Bübchen schreit und weint und zappelt! Du plauderndes Rätsel, ich verstehe dich doch nicht – wer sagt mir dein Wort? Du süßer, gärender Most, welchen Wein wirst du mir bringen? Wirst du glücklich sein und machen? Wird dein Herz unter warmem blauen Himmel herrlich blühen, bis es die rasche Hand des Schicksals bricht oder der Herbst sanft entblättert; oder wird es im kalten Norden erstarren, daß der Tod nichts mehr zu töten findet? Wird dein Geist auf dem stürmischen Meere der Wahrheit kühn nach unentdeckten Inseln schiffen oder auf dem Wochenmarkte des Lebens kaufen und verkaufen, bis der Sarg die Rechnung schließt? Wirst du der zarten Bitte weich entgegenkommen oder fliehen vor der bettelnden Verzweiflung und ein Bösewicht werden? Wirst du das Schwert führen mit tapferer Hand, das Wort mit kühner Zunge? Oder wirst du flink der Gewalt ausweichen und schmeichelnd den Übermut entwaffnen? Wirst du ein Lehrer der Weisheit werden, wirst du Unglückliche trösten durch Gottes Wort oder Kranke heilen durch die Kräfte der Natur? Alles was der Himmel will! – nur daß er eines nicht wolle! Wüßte ich, Junge, du würdest einst Advokat, mit diesen meinen Händen würde ich dich erwürgen und deiner verzweifelnden Mutter keine Silbe des Trostes geben und ihr zuschreien: Schweig, törichtes Weib, oder entferne dich mit deinem Jammer! Sparta, nur das Vaterland seiner Kinder, hat schon die getötet, die mit verkrüppelten Körpern geboren, und ich, der leibliche Vater meines Sohnes, sollte seine verkrüppelte Seele aufkommen lassen? Soll ich dieses blühende Leben hinabsteigen sehen in die Bleibergwerke giftiger Hantierung und dem Grabe zuschleichen mit ausgetrockneten [103] Adern, oder das Herz, aufgedunsen von geiler Geldliebe, einen breiten Sarg ausfüllen? Soll sich unser Sohn mästen mit dem Schweiße der Not und seinen Durst löschen mit den Tränen der Witwen und Waisen? Soll er ein kalter Schachspieler sein, gleichgültig, ob er mit den weißen oder den schwarzen Steinen gewinne? Soll er das geschriebene Recht des Wucherers in Schutz nehmen gegen das verwischte Notrecht des Leichtgesinnten? Soll er ein Kuppler sein jeder lüsternen Habsucht und der Verführer schwacher Richter? Soll er im Dickicht verstrüppter Gesetze auf sorglose Wanderer lauern? Soll er, werde er auch der Besten einer, wie ein Zergliederer unter Gebeinen und faulen Eingeweiden verwester Rechte leben? Nein; lieber ziehe ich diese junge Wurzel aus der lockern Erde! ... Doch wie? Hast du nicht noch eine lange Zukunft vor dir? Wird nicht die Zeit größer werden und mit dir das Vaterland wachsen? Ja, du sollst Advokat werden! ... Der Schelm ist eingeschlafen unter meinen Reden. Ich glücklicher Vater! Er hat schon Geschmack und gibt mir Ruhe, meinen Satz zu endigen.‹

Deutsche Advokaten, Notare, Gerichtspräsidenten und Räte, Gerichtssekretäre und Pedelle haben schon manche Versieglung mit Vergnügen veranstaltet; aber die eines bürgerlichen toten Herzens ist ihnen sicher noch nicht vorgekommen. Sie überlassen mit Recht dergleichen romantische Streiche der Jugend und den deutschen Calderonen. Ich aber habe eine solche Versieglung mit angesehen, und sie hat mich gerührt. Die Eremitage in der Nähe von Paris, früher von Rousseau bewohnt (ihm war [104] die ganze Welt eine), kam später in den Besitz des berühmten Tondichters Gretry. Er lebte viele Jahre und starb daselbst. Im Garten liegt sein Herz unter einer gestutzten Marmorsäule begraben, die seine Büste trägt und die Inschrift: Grétry! ton génie est partout, mais ton cœur n'est qu'ici. Das mais ist sehr schafig; die Franzosen können keine Grabschrift machen, sie verstehen das Leben, aber nicht den Tod, und jenes nur, so viel man es ohne diesen begreifen kann. Am 17. Mai kamen abends drei Gerichtspersonen aus Paris, mit schweren Akten unter den Armen, und traten mit amtlichen Schritten und Mienen in den Garten der Eremitage. Es dämmerte schon – und es war eine süße Maidämmerung – aber weder dieses noch der Gesang der nahe nistenden Philomele konnte die Priester der nachtwandelnden Themis irre machen. Sie zogen juristische Bänder aus der Tasche, umschlangen damit Gretrys Grabsäule, knüpften sie an das umherlaufende Geländer fest, träufeln grünes Wachs auf die erforderlichen Stellen und siegelten gehörig. Es war dieses der letzte Akt eines romantischen Prozeßdramas, von dem ich nur eine leichte Federzeichnung zu geben brauche; denn, erzähle ich juristischen Lesern, daß sich die Prozeßkosten auf zehntausend Franken belaufen, so wird das ihrer Einbildungskraft Farben genug mischen, daß sie sich meine Zeichnung selbst werden ausmalen können.

Gretry starb am 24. September 1813 in der Eremitage und wurde, seiner testamentarischen Verfügung gemäß, in Paris auf dem Kirchhofe des Père Lachaise begraben. Vor dessen Beerdigung machte Herr Flammand, der Gemahl einer Nichte Gretrys, als Familienhaupt, Traueranführer und Mann von Gefühl, den Antrag, man solle das Herz des Verstorbenen herausnehmen und einbalsamieren; aber einige Glieder der Familie widersetzten sich dem. Die Leiche wurde in ein vorläufiges Grab gesenkt, [105] bis das Gewölbe, daß sie aufnehmen sollte, vollendet sein werde. Nach zwei Monaten, als dieses Gewölbe fertig war, wurde Gretrys Leiche wieder ausgegraben. Diesen Umstand benutzte Herr Flammand und ließ das Herz im geheim, damit es die übrigen Glieder der Familie nicht erfahren, jedoch mit Bewilligung der Polizei, herausnehmen, einbalsamieren und in eine zinnerne Büchse legen, die er in Verwahrung nahm. Darauf schrieb er der Stadt Lüttich, Gretry habe bei seinem Leben den Wunsch geäußert, daß sein Herz in seinem Geburtsorte ruhen möchte, und dieses Wunsches gedenkend, sei er bereit, das Herz auszuliefern. Der Maire jener Stadt schrieb zurück: Er nehme das Geschenk an, und man solle es ihm durch den nächsten Postwagen schicken. Er soll auch hinzugefügt haben, er erwarte das Herz portofrei; indessen wird dieses komischen ökonomischen Verhältnisses in den Prozeßakten nicht gedacht. Der Lütticher Maire glich in diesem Verfahren den edelsten der alten Römer, die dem Dienste des Vaterlandes jede Empfindung aufopfern. Aber das heiße Gefühl des Herrn Flammand zischte auf und dampfte, als der kalte, prosaische, kanzleistilistische Brief sich darüber hergoß; er beantwortete ihn nicht und behielt das Herz. Noch andere eingetretene Umstände hatten seinen frühern Entschluß abgeändert. Erstens hatte er unterdessen die Eremitage an sich gekauft, zu welcher Erwerbung früher keine Hoffnung war: das war also der angemessenste Platz für Gretrys Herz. Zweitens war Lüttich von Frankreich abgerissen worden und an das Königreich der Niederlande gekommen. Herr Flammand dachte mit Recht, der Pariser Friede sei hart genug, und er wolle nicht la France auch noch des kostbaren Überrestes eines seiner großen Männer berauben. Er ließ also im Garten der Eremitage ein Denkmal setzen, worunter das Herz gelegt werden sollte. Ehe dieses ausgeführt werden[106] konnte, kamen die verbündeten Heere zum zweiten Male nach Paris und breiteten sich in der Umgebung aus. Herr Flammand flüchtete sich und sein Herz vom flachen offenen Lande in die sichere Stadt, wo der Palais Royal auch Baschkiren zähmt. Da wurde ihm nach einiger Zeit gemeldet, die deutschen Truppen, die in der Gegend von Montmorency lagerten, hätten die Eremitage aus Ehrfurcht vor dem Genius eines großen Mannes mit Schonung behandelt und gegen jede Zerstörung bewacht und geschützt. Er eilte froh mit seinem Herzen hinaus und traf zwei junge preußische Offiziere knieend vor Gretrys Grabmal liegen. So erzählt er; ich glaub es aber nicht. Eher haben wohl jene edeln Jünglinge vor Rousseaus Denkmal gekniet, das sich, von der Epinai eitelen Sorgfalt aufgestellt, im nämlichen Garten befindet. Endlich am 15. Juli 1816 wurde Gretrys Herz mit großen Feierlichkeiten in der Eremitage beigesetzt.

Die Stadt Lüttich schien ihre alten Ansprüche aufgegeben zu haben und ließ sich mehrere Jahre nicht weiter vernehmen. Erst im Jahre 1820 brachte sie die Sache wieder in Anregung und forderte von Herrn Flammand das Herz. Dieser beantwortete den Brief nicht. Darauf schlug der Bürgermeister von Lüttich einen schlauern Weg ein. Er beauftragte nämlich eine Demoiselle Keppenn, Modehändlerin, die in eigenen Geschäften von Lüttich nach Paris reiste, dem Herrn Flammand auf diese oder jene Art sein Herz zu entreißen. Demoiselle Keppenn, in solchen Eroberungen geübt, übernahm gern den Auftrag. Aber die zuversichtliche Modehändlerin verkannte den Geist der Zeit, ob sie zwar die Zeit, als ihre Ware, genau kennen sollte. Sie bedachte nicht, daß Herr Flammand über die Jahre der Jugend hinaus sei, und als sie nun mit ihren Absichten und Reizen vorrückte, wurde sie zurückgeschlagen. Da nahm sie zu den alten beliebten Intrigen ihre Zuflucht und war dabei glücklicher. Es gelang [107] ihr nämlich, die Gretrysche Familie zu entzweien, und sie wußte sich von einigen Gliedern dieser Familie die schriftliche Erklärung zu verschaffen, daß es ihr Wunsch und Wille sei, daß Gretrys Herz nach Lüttich geschickt werde. Darauf verklagte die Stadt Lüttich den Herrn Flammand bei den französischen Gerichten und verlor den Prozeß in der ersten Instanz. Sie appellierte und gewann ihn definitiv. Zwar hatte sich jetzt Herr Flammand an das Kassationsgericht gewendet, doch ist zu einem veränderten Urteile keine Hoffnung. Die Form ist gegen ihn, und die Seele des Rechtes folgt, wie jede, ihrem Körper nach – welches freilich traurig genug ist.

Glücklich diejenigen, deren Herz erst nach dem Tode beunruhigt wird, gleich dem des guten Gretry! Dieses hatte vor zehn Jahren aufgehört zu schlagen; zwei Monate lag es in Paris begraben, in seinem Körper; dann wurde der Körper und ihm das Herz herausgezogen; dann machte es einige Jahre oft den Weg von Paris nach Montmorency und zurück, und jetzt, nachdem es sieben Jahre in der Eremitage gelegen, muß es seine Ruhestätte verlassen, um nach den Niederlanden zu wandern. Was geschieht aber mit der Grabsäule im Garten? Sie kann bleiben, und man hat nur die Worte: Ton cœur n'est qu'ici, in die: Ton cœur ne fut qu'ici, umzuwandeln. Es wäre dieses nicht das erste Beispiel einer konjugierten Grabschrift, welche Art zu konjugieren etwas Angenehmes hat, weil sie Leben in den Tod bringt. Auf Rousseaus Grabmal in Ermenonville standen die Worte: Ici repose l'homme del la nature et de la vérité; nachdem aber während der französischen Revolution Rousseaus Gebeine nach Paris gebracht worden, änderte man in jener Inschrift das Wort repose in reposa. Herr Flammand ist übrigens willens, Gretrys Grabschrift in der zweiten Auflage nicht bloß zu verbessern, sondern auch zu vermehren und dabei einige Ironie gegen die französischen [108] Richter anzuwenden, welche la France des Herzens beraubt haben. Gute deutsche Lapidarstilisten werden ersucht, mir darüber ihre ästhetischen Vorschläge zu machen, da ich nicht ohne Einfluß auf die Sache bin.

22. Die Anschlagzettel

XXII.

Die Anschlagzettel

Wenn man in Paris Langeweile hat und kein Geld (doch trifft das eine seltener ein als das andere), kann man sich die Langeweile auch ohne Geld vertreiben. Zu den vielen dazu dienenden öffentlichen Unterhaltungen gehören auch die Anschlagzettel, die man ganz unentgeltlich zwar nicht benutzen, doch lesen kann. Paris hat, wie jede deutsche Stadt, seine Intelligenzblätter, petites affiches genannt; ich habe aber in einer großen Sammlung nichts Merkwürdiges weiter gefunden als ein protestantisches Dienstmädchen, das als Köchin in ein Haus zu kommen sucht, wo sie »ihrer Religion obliegen könne«. Es ist leicht zu erklären, warum die feinern Spitzbübereien und Bedürfnisse in diesen petites affiches nicht angeboten werden. Erstens, weil sie von Fremden und höhern Ständen wenig gelesen werden, und zweitens, weil sie den Anzeigenden nicht Platz genug gewähren, sich gehörig auszusprechen. Die Pariser loben ihre Waren und andere Kunsterzeugnisse niemals im Lapidarstil, und wenn sie, weil ihnen etwas gelungen, sich selbst loben, sagen sie nicht wie Cäsar: »Ich kam, sah, und siegte!« – sie sind zu bescheiden – sondern sie gebrauchen viele und große Worte und erzählen ihre Feldzüge umständlich. Die Anschlagzettel sind ihre Kommentarien. Man findet diese an hundert Häusern und Mauern, die ihnen als Sammelplätze dienen. Hier sind es aber keine Narrenhände, welche die Wände bekleben, sondern sehr kluge Leute. Sie wissen nämlich, mit wem sie es zu tun haben[109] – mit Franzosen, die mit ihren Augen nicht bloß sehen, sondern auch hören, riechen, fühlen und schmecken. Darum sind die Zettel von ungeheurer Größe. Man könnte auf manche derselben ein ganzes Quartal des Berliner Freimütigen abdrucken, man brauchte bloß die Sperre der Originalausgabe aufzuheben. Auch bedienen sie sich seit einiger Zeit der großen englischen Buchstaben von durchbrochner Arbeit, an welchen die weißen leeren Stellen in den schwarzen Balken als ägyptische Hieroglyphen rätselhaft erscheinen. Ich will einige Muster von diesen Anschlagzetteln zur Kenntnis des wißbegierigen Lesers bringen und dabei den Text mit den nötigen moralischen Anmerkungen begleiten.

Die erste Ankündigung, die ich las, fiel mir darum auf, weil sie nur auf einem Folioblatte gedruckt war; sie leuchtete durch ihre Bescheidenheit hervor. Sie bietet Schreiblustigen Plumes sans fin an, d.h. unendliche Federn, Federn, die unaufhörlich schreiben – eine in Deutschland längst bekannte Erfindung. Schriftsteller, die sich ihrer bedienen, brauchen nur dafür zu sorgen, daß ihnen die Gedanken zufließen; denn was die Tinte betrifft, so fließt diese aus einem kleinen hohlen Gefäße von Metall, das der Feder angeschraubt wird, unaufhörlich von selbst zu. So oft die Feder trocken geworden ist, gibt ihr der Schreibfinger einen leichten Druck, und dann rollt sich ein Tropfen Dinte in die Spalte hinab und erfrischt sie.

Neben diesem Zettel breitet sich ein anderer aus, der zwei Ellen feine holländische Leinwand lang ist. Die Buchstaben wechseln in allen Farben des Regenbogens ab, die schwarzen ungerechnet. Oben stehen die Worte, und zwar flammenfarbig, wie es ihr mordbrennerischer Sinn erfordert: A bas les perruques! In manchem Schweizer- und deutschen Ländchen würde das als ein Aufruf zur Empörung gegen die Behörden angesehen werden; [110] hier aber durfte man so etwas sogar unter Aufsicht der Polizei drucken lassen! Doch scheint es, daß sich die Pariser Polizei auch später eines Bessern besonnen hat; denn in einer zweiten Auflage des nämlichen Zettels heißt es nicht mehr: A bas les perruques! sondern, zwar ironischer, aber minder staatsgefährlich! Adieu les perruques! Der Perückentöter macht bekannt: »Enfin malgré l'envie, l'eau merveilleuse de Mr. Brescon triomphe. Le plus incrédule est maintenant convaincu que cette eau fait croître les cheveux sur les têtes les plus chauves, les conserve et les empêche de blanchir.« O du Haarkräusler, was hast du getan! Du hast die weißen Haare zerstört, die Schneedecke des Lebens weggezogen – woran soll man künftig Jünglinge von Greisen unterscheiden? Wo soll man Weisheit, wo Schönheit und Stärke suchen? Was soll Mädchen und Fürsten in ihrer Wahl leiten? Das hättest du alles wohl bedenken sollen, Haarkräusler! – Diesem Zettel schließt sich verwandtschaftlich folgender an: »Madame Saint-Ginet et ses Demoiselles ont l'honneur de prévenir qu'elles se chargent de teindre ou d'épiler les cheveux blancs, telle quantité qu'on en ait. Elles se transportent en ville, si les Dames le désirent.« Der gefühlvolle Leser wird schon von selbst wissen, was er hierbei zu denken hat. – Nützlicher ist die folgende Ankündigung von neuen Sparkochtöpfen, Caléfacteurs genannt. Es heißt von ihnen: »La cuisson commence par quelques centimes de combustible continue sans feu et sans soins pendant six heures, au bout desquelles le liquide d'abord bouillant ne s'est éloigné de l'ébullition que de quelques degrés.« Eine schöne Erfindung! Jetzt kommt es nur noch darauf an, daß einer etwas zu kochen habe. Der unglückliche arme Teufel aber, welchem es daran fehlt, kann sich zwar vor wie nach erhängen, erschießen, vergiften; aber ersaufen kann er sich nicht mehr in Paris. Das lehrt ein Zettel mit der Überschrift: On ne [111] peut plus se noyer! Eine neuerfundene Schwimmaschine verhindert dieses. Diese Maschine wird größer oder kleiner verfertigt, je nach der körperlichen Größe der Person, die sich ihrer bedient, so daß sie immer den fünfundzwanzigsten Teil des Körpergewichtes schwer ist. Nach diesem Verhältnisse kostet sie 30 bis 180 Franken. Leichtes Volk erhält sich also wohlfeil über dem Wasser, wichtigen Leuten aber kostet dieses viel. Auf dem festen Lande ist es gerade so.

»Gallerie métallique de la fidélite.« Was heißt das? Es wird zur Subskription auf eine Medaillensammlung eingeladen, in der alle fidelen Franzosen abgemünzt werden sollen. Da werden sie viel zu tun haben; die fidélité métallique ist gar groß in Frankreich. Der Prospektus führt zum Motto: »Le premier devoir de l'homme est la fidélité à son roi!« – wodurch auf eine feine Art zu verstehen gegeben wird, daß die Schweizer, Amerikaner und Frankfurter keine Menschen sind. – Bücheranzeigen. »L'art de choisir une femme et d'être heureux avec elle« – kostet 30 Sous. Aber »L'art de se faire aimer de son mari, à l'usage des Demoiselles à marier« – kostet 3 Franken, also das Doppelte. Ist das eheliche Glück der Männer weniger wert als das der Weiber? Oder ist die Kunst, mit Männern glücklich zu sein, eine schwerere Kunst, die sich der Lehrer teurer bezahlen läßt? Eins von beiden muß wohl der Fall sein. – Gravatiana ... Das übrige kann ich nicht lesen, der Zettel hängt zu hoch. Wahrscheinlich ein Lehrbuch über die Kunst, das Halstuch zu knüpfen. Eine der wichtigsten der freien schönen Künste! Die Sibyllinischen Bücher der Pariser Moden erzählen: Im grauen Altertume, unter Bonapartes Konsulat, wäre einst ein schöner Jüngling drei Stunden vor dem Spiegel gestanden und habe versucht, sich das Halstuch malerisch umzubinden; es sei ihm aber nicht geglückt. Endlich habe er verzweiflungsvoll die Halsbinde [112] umgeworfen und mit Tränen der Wut die Schleife gezogen. Doch im Zufall sei ein Gott gewesen. Nie früher habe die langsame Kunst so Herrliches zustande gebracht als hier der rasche Geist der Natur, und acht Sommertage lang wäre die Schleife des schönen Jünglings Regel geblieben. – Verlorne Sachen. Jemand hat zwei Dinge verloren. Erstens, einen dunkelgrünen Papagei – wer ihn zurückbringt, erhält 50 Franken zur Belohnung. Zweitens, das Miniaturporträt einer Frau, auf Elfenbein gemalt – dem ehrlichen Finder werden 10 Franken angeboten. Man ersieht daraus, daß der Eigentümer verheiratet und daß das Elfenbein teuer ist in Paris ... Ein junger Mensch »au déséspoir« hat 8000 Franken verloren – wer sie zurückbringt, erhält 2000 Franken zur Belohnung. Mit großen Buchstaben steht auf dem Zettel gedruckt: Appel à la conscience! Man hat aber wenige Beispiele, daß dieses Appellationsgericht das Urteil der ersten Instanz, welche entschieden, der Finder solle das Geld behalten, reformiert habe. Gleich nebenbei ist eine andere Bekanntmachung, die dem Finder von verlorenen 1500 Franken (in Banknoten) ganz naiv bemerkt: er brauche davon nur 1000 Franken dem Eigentümer unter Couvert zuzuschicken, die übrigen 500 Franken aber könne er für sich behalten. Es muß also in Paris doch nicht ganz an Beispielen von ehrlichen Leuten fehlen, denn sonst würde man die Druckkosten zu solchen Anschlagzetteln nicht verschwenden. Mit dem Gelde, das junge Commis oft verloren zu haben erklären, hat es aber manchmal die Bewandtnis, daß sie das Geld verspielt. Erst kürzlich wurde ein wohlgesitteter junger Mensch von seinem Prinzipal mit 50000 Franken ausgeschickt. Zufällig führt ihn sein Weg durch das Palais Royal. Der böse Geist kommt über ihn, er spielt, verliert das Geld und stürzt sich in die Seine. Über eine Naivetät der französischen Regierung konnte ich mich nicht genug[113] wundern. Neulich erschien die amtliche Statistik der Stadt Paris. Darin wird bemerkt: unter – ich weiß nicht mehr wie vielen hundert Selbstmorden, die sich im vorigen Jahre in Paris ereignet, wären 223 Folgen der Spielsucht gewesen. Und das erzählen sie selbst! Als wenn die Spielsucht wie die Schwindsucht wäre, deren Tödlichkeit man nicht verhüten könne! Sie sagen zwar: öffentliche Spielhäuser wären notwendige Übel in Paris; denn ohne sie würde heimlich gespielt werden, und dann könne die Polizei keine Aufsicht halten. Das sind aber leere Ausflüchte! Die Polizei könnte ebensogut jedes geheime Spielhaus entdecken, als sie jeden, der ihr politisch verdächtig geworden ist, ausfindig macht, wenn ihr an dem einen so viel gelegen wäre als am andern. Die Sache liegt daran: erstens zieht die Polizei jährlich fünf Millionen Spielpacht, welches Geld sie auf ihre eigentümliche edle Art verwendet. Zweitens werden die Spielhäuser als die Kloaken angesehen, wo alles schlechte Volk zusammenfließt, die also die Reinhaltung der Stadt erleichtern. Und drittens dienen die Spielhäuser der Polizei als Sklavenmärkte, wo sie ihre geheimen Agenten anwirbt und zusammenkauft.

Da finde ich unter den Windbeuteln den Namen eines ehrlichen Deutschen. Was will der? Er bietet seinen Unterricht in der deutschen, englischen und italienischen Sprache an; die Stunde zu 6 Franken. Den Schülern, welche nach Verlauf von einigen Monaten finden werden, daß sie nichts bei ihm gelernt, will er ihr Geld zurückgeben. Deutsche Treue! – Madame Garnerin steigt den nächsten Sonntag in einem Luftballon auf. Man muß das Schauspiel selbst mit ansehen; am Zettel ist nur das merkwürdig, daß die ersten Plätze 40 Franken die Person kosten. – Dort das Riesenblatt mit einem großen Holzschnitte am Kopfe? Es ist ein Kapaun am Bratspieß ... Nein, es ist ein ungeheures Ochsenauge, von [114] einem Messer durchstochen, welches eine Starnadel vorstellen soll. Ein médecin oculiste bietet seine Dienste an. Gut, daß Blinde den Zettel nicht sehen können; das Schwert im Auge würde sie abschrecken. Der Okulist bemerkt schlau:»Rien sans lui!« Er führt mit Namen und Wohnungen eine Liste der Personen an, die er operiert; aber der Kürze wegen erwähnt er nur die geheilten, die andern nicht. Er handelt auch mit allerlei kleinen optischen Waren und gibt nicht bloß die Gläser, sondern auch die Augen dazu her. Er hatte eine »Collection considérable d'yeux artificiels humains, qui imitent parfaitement la nature.« Wer sie in Dutzenden kauft, erhält sie wohlfeiler. Da der Okulist auch Tränenfisteln heilt, so gehört seine Ankündigung in das Fach der romantischen Literatur. Er wohnt sehr malerisch in der Rue de la monnaie. – Ein Zettel in englischer Sprache lautet wie folgt: »Should the following lines be seen by the young Gentleman, who was drinking his Café in the Palais-Royal on sunday the 20. July last, he is most earnestly requested to come to the hôtel de Londres Nr. 15 Rue de l'Echiquier, where he will see that relation, who so much astonished him on passing by at that time. Paris, 4. Aug.« Sehr rätselhaft! Ist es eine Männer- oder eine Weiberstimme? Ist es eine Herausforderung? Ist es ein Sirenenlied? Ist ein Engländer unglücklicherweise seiner Frau begegnet, die ihm von Douvres nachgeschifft, und ist er schnell und erschrocken an ihr vorbeigeschlüpft? Doch, was es auch sei, konnte eine gefundene Stricknadel dem Kotzebue Stoff zu einem Schauspiele in fünf Akten geben, so ist diese Anzeige mehr als genug, einen Roman in drei Bänden daraus zu machen. – Auch an Zetteln in italienischer Sprache fehlt es nicht; aber deutsche Ankündigungen habe ich noch nicht gesehen. Die einzige öffentliche deutsche Inschrift, die mir in Paris vorgekommen, steht in goldnen Buchstaben an der Glastüre eines [115] Kaffeehaus und lautet: Deutsches Frühstück. Wahrscheinlich ist dieses Frühstück aus den ewig denkwürdigen Jahren 1814 und 1815 übriggeblieben. Worin es bestehen mag, weiß ich nicht; vielleicht in Biersuppe und im Allgemeinen Anzeiger.

23. Die Septennalité

XXIII.

Die Septennalité

»Sie stirbt daran ... Vielleicht besser so, daß ihre Leiden enden ... Wir brauchten eine von Erz ... Ihr werdet sehen, es ist ihr Salto mortale ... Er liebt die Wüsten, wo man horcht der Stimme der Natur ... der Silberstimme der Natur ... die Schande? Eine Flasche Jordanwasser wäscht alle Flecken rein.« – Die Reden wurden immer saurer, Adelens Blicke auf Alphons immer süßer. Die Gute hatte auch ihrem armen Vaterlande ein stilles Kämmerchen in ihrem Herzen eingeräumt, und sie klopfte manchmal an, zu hören, wie es ihm ging. Auch jetzt horchte sie und fragte ihre Mutter: Mama, was ist denn die Septennalité? Doch Frau von Beauvais hätte zwanzig Zungen haben können, und sie hätte Adelen nicht geantwortet. Sie für sich allein glich an Emsigkeit einem Ameisenhaufen. Zucker, Salz, Essig, spanischen Pfeffer und andere Mundgewürze, die ihr bald dieser, bald jener reichte, mischte sie zusammen, eine schmackhafte Unterhaltung zu bereiten, damit es morgen heiße: der Abend gestern war köstlich! – »Mama!« – Frau von Beauvais begnügte sich, ihre linke Hand auszustrecken, doch ohne dieser nachzusehen, und sprach: laß dir das von dem Herrn erklären, Adele. – Welchen Herrn hatte sie gemeint? Der funkelnde Diamant am ausgestreckten Zeigefinger warf zwei Strahlen, einen auf mich, einen auf Alphons; doch Alphons war jung und geliebt, und da faßte Adele mich bei der Hand, zog mich in ein himmelblaues [116] Stübchen, das, von einer Milchlampe erhellt, wie im Mondlichte schwamm, und legte die Türe bei, damit das Waffengetöse der streitenden Zungen uns nicht störe. – Ach, die häßliche Zeit, wo schöne Kinder uns ohne Zittern die Hände drücken und ohne Furcht mit uns allein sind im himmelblauen Stübchen! »Nun, mein Herr, was ist die Septennalité?« – Zum Glücke schlug die Pendüle Mitternacht, und ich hatte zwölf Sekunden Zeit, mich auf eine Lüge zu besinnen. Der letzte Schlag war schon fünf Minuten ausgeklungen, und ich sah immer noch auf die Uhr; denn die Uhr stand vor dem Spiegel, und vor dem Spiegel saß auch Adele in einer Bergère. Wer dieses Mädchen einmal sah, wünschte sie immer zu sehen oder sie nie gesehen zu haben. Maler würden ihre Pinsel und ihre Palette wegwerfen und Raphael einen Stümper schelten. Dichter wendeten den neun Bettlerinnen verächtlich den Rücken zu, und ein Kriminalrichter jammerte wohl über die Qual, auf dem Rade ihres großen Auges geflochten zu sein! – »Nun, mein Herr? ... Sie seufzen? ... Sie sind nicht wohl?« Nein, Adele, es war die letzte Saite meines Herzens, die gesprungen. –

Es war einmal ein König, der hatte einen bösen Traum .... »Glauben Sie an Träume, mein Herr?« – Werde ich dürfen, Adele? – »Was träumte der böse König?« – Sie müssen mich besser hören, Adele; ich sprach von keinem bösen König, ich sprach von des Königs bösem Traum ... Er träumte, er stünde am Ufer eines großen Stromes, und aus dem Flusse stiegen sieben Kühe; die waren fett. Dann kamen sieben andere Kühe, die waren mager ... »Das waren vierzehn Kühe; ach, mein Herr, wie wäre ich da fortgelaufen?« – Sie dürfen mir nicht in die Rede fallen, Adele. Sie bringen mich ganz in Verwirrung. Was habe ich sagen wollen? Nein, das war es ja gar nicht!

Vor viertausend Jahren lebte ein Jüngling, der Jakob [117] hieß. Zu diesem sprach eines Tages sein alter Vater: – Hast du nie geliebt? ... »Nie, mein Herr ... Nie, mein Vater,« erwiderte Jakob. – Adele war purpurrot. Beneidenswerter Alphons, es war die Morgenröte deines Glückes, welche flammte! – ... So gehe hin, mein Sohn, und lerne lieben. Als der Morgen graute, nahm Jakob seines Vaters Segen und den Stab und wanderte, bald an dürren Ufern heißer Ströme, bald durch Palmenwälder, bald über Zedernberge. Am Abend des dritten Tages, da er müde und durstig war, hörte er eine Quelle murmeln, und er folgte ihrer Stimme. Er sah ein Mädchen, das sich bückte, den Stein wegzuwälzen, mit welchem Hirten die Mündung der Quelle verschlossen. Jakob nahte sich unbemerkt, dem Mädchen zu helfen. Die Hirtin richtete sich auf, gewahrte Jakob, ein Himmelsstrahl spaltete sich, zündete in beider Herzen, und sie sanken sich lautlos in die Arme. Jakob erwachte zuerst aus dem Entzücken, schaute dem Mädchen in das leuchtende Auge und sprach: Wie nennst du dich? – Ich bin Labans Tochter, und Rahel nennt mich der Vater. Und du? – Ich bin der Sohn Isaaks und Rebekkas, und Jakob nennt mich die Mutter. – Jakob drückte Rahels Hände an seine Brust und sprach: Hier, hier, wo die Seele sitzt, da war es mir wie gebunden; jetzt bin ich frei. Freiheit, süße Freiheit! Du, Rahel, reichtest mir der himmlischen Lust unvermischten Trank. – Rahel sprach zu Jakob: Hier, hier, wo es mir im Verborgenen schlägt, ach, da war es mir so bang und düster! Jakob, mein Hort und Licht, ich zittere nicht mehr, es ist mir nicht mehr dunkel. – Willst du mein Weib sein, Rahel? Das Mädchen errötete nicht und sprach: fordere mich von meinem Vater. Dort hinter dem Hügel lagert er, unter seinen Knechten und Herden, und das ganze Land ehrt und fürchtet den mächtigen Laban. Sie gingen den Hügel hinauf, hinter ihnen sprangen die Lämmer. Sie gingen [118] den Hügel hinab, und Rahel zeigte ihres Vaters Zelt, das im Lager hervorragte. Jakob, Rahel an der Hand, trat kühn und frank vor Laban und sprach: Gottes Segen über Euch, Herr Fürst! Ich heiße Jakob, gebt mir Eure Rahel zum Weibe! – Laban war ein mächtiger und schlimmer Herr, und der Zorn kochte in seinem Herzen über des Jünglings kühne Rede. Doch Laban war ein Schelm, und er lächelte nur. – Herr Jakob, sprach er, Rahel kann ich Euch nicht gewähren; doch wollt Ihr dort meine Tochter Lea zum Weibe, so nehmt sie, und mit ihr Knechte und Herden, so viel Ihr begehrt. – Herr Fürst! erwiderte Jakob, Eure Herden begehre ich nicht, nach Rahel steht mein Sinn. – Guter Jakob, sprach Laban sanft und lächelte wieder, Ihr seid zu jung für meine Rahel. Wartet, bis Ihr älter geworden. Dient mir sieben Jahre, treu, wie es einem Knechte geziemt; dann führt Rahel in Euer Zelt. – Das will ich tun, Herr Fürst! sprach Jakob; und treu diente er seinem Herrn. Jakob und Rahel liebten sich, sie sahen sich, und ungezählt gingen sieben Jahre vorüber. Aber die tückische Lea, tückischer, weil sie verschmäht war, kränkte oft ihre Schwester, verleumdete Jakob bei ihrem Vater, und Rahel weinte im stillen. Jakobs Dienstzeit ging zu Ende, und der verheißene Tag seines Glückes kam. Die Flamme loderte auf dem Altare, die Braut, von einem dichten Schleier verhüllt, der ihr bis zu den Füßen wallte, stand davor; der Priester sprach den Segen. Während dieser murmelte, vernahm Jakob eine weinende Stimme. Es ist Lea – dachte er. Sie hat Rahel oft betrübt; doch sie ist unglücklich; ich will ihr Freund sein. – Der Segen war gesprochen; die Anvermählte hob ihren Schleier auf – Jakob trat blaß und erschrocken zurück. Es war nicht Rahel, es war Lea, der Jakob angetraut, und die weinende Stimme, die er vernommen, war der getäuschten Rahel ihre. Laban der Schelm, hatte ihn betrogen. – Ergrimmt nahm Jakob [119] einen Feuerbrand vom Altare und stürzte auf Laban zu; der wurde bleich. Doch Laban war alt und schwach, und dem Jüngling sank der drohende Arm. Da lächelte Laban der Schelm, und sprach: Seid nicht böse, guter Jakob! Ihr seid zu alt für meine Rahel. Dient mir sieben andere Jahre, bis Rahel mehr herangewachsen, dann sei sie Euer. – Jakob begegnete Rahels flehendem Blick – und er willigte ein. Laban lächelte. Auch diese sieben Jahre gingen vorüber; doch Laban verschob von Morgen zu Morgen seiner Pflicht Erfüllung. Da kam gerechter Zorn über Jakob, und er sprach: Gewalt gegen Gewalt, Trug gegen Trug. In einer Nacht führte er Herden weg, soviel ihm gebührte; wählte unter den Knechten, die ihm alle folgen wollten, denn sie liebten ihn, eine auserlesene Schar und entfloh mit Rahel, Laban der Schelm setzte ihm nach .... »O, bitte, mein Herr, nur einen Augenblick! Mama hat mich gerufen.«

Der Augenblick ward zur Minute, der Minute folgten noch viele andere Minuten; aber Adele kam nicht zurück. Ich trat in den Saal. Man stritt noch immer; Frau von Beauvais wirtschaftete so emsig wie zuvor; man lachte, scherzte, aß Gefrorenes und spielte Karten. Aber Adele saß am Fenster neben Alphons und koste die letzte Wolke der Eifersucht von seiner Stirne weg. Sie hatte Laban, Rahel, mich und die Septennalité vergessen. Glücklicher Alphons! Liebe ist noch schöner als Freiheit. Liebe, Alphons; und wenn du satt bist – hasse!

24. Aristokratismus des Geistes

XXIV.

Aristokratismus des Geistes

Der Franzose von heute (traue ein anderer diesem Schillertaffet!) wird nicht müde, die Vorrechte oder Anmaßungen jeglicher politischen Aristokratie mit Haß zu bekämpfen, wo er sie findet, mit Spott zu verfolgen, wo [120] er sie sucht. Daß er aber in Verhältnissen, die den Menschen so viel näher angehen wie die bürgerlichen, als der Rock ihn enger umschließt wie die Stadtmauer; daß er in seinem geistigen Leben einer Aristokratie unterworfen ist, die ihn ganz unbarmherzig hudelt – davon hat unser freiheitsliebender Franzose nicht die leiseste Ahnung. Im Reiche der französischen Kunst und Wissenschaft herrschen altes Herkommen, Geburtsrang, Gewohnheitsrecht, Etikette und schnurgerader Anstand unbestritten und ungeneckt. Jeder Grundsatz, wird nach seinem Wappen, jede Kunstregel nach ihrer Familie gefragt, ob sie von Corneille, von Boileau, von Voltaire herstammen, und haben sie nichts als ihren selbsteignen angebornen Wert, werden sie mit Naserümpfen abgewiesen. Man lese ihre neuesten Tragödien – da ist noch ganz der bestäubte Kanzleistil der Empfindungen, in dem vor zwei Jahrhunderten gedichtet worden. Vergebens haben ihre Bühnenhelden Titusköpfe, sie bewegen das Haupt noch immer so musterhaft und schwer als früher, da eine Allongeperücke auf ihm lastete. Vergebens schweben ihre verliebten Schönen im griechischen Gewande über die Bretter; das Schleppkleid, die Schnürbrust, den Reifrock der Frau von Pompadour – man sieht sie nicht mehr, aber man hört sie. Die Sprüche ihrer Weisheit, die Blitzworte ihrer Leidenschaft – sie sind wie Schönheitspflästerchen angebracht und geordnet. Der Geschmack ist ihr Despot, vor dem sie kriechen. Man lese ihre Werke über Gott und Menschheit; euer Geist fordert Brot, und man gibt ihm gepeitschte Sahne. Noch immer glauben sie, es zieme einem Edelmanne, nur den Perlenschaum der Philosophie abzuschlürfen, und es sei kleinbürgerlich, den Becher bis auf den Boden zu leeren. Man betrachte die besten ihrer neuen Bildwerke und Malereien – diese theatralischen Stellungen, diese Koketterie, diese Galafarben, diese geschnörkelten Faltenwürfe, diese frisierten [121] Haare – es ist ganz der alte Hofpomp von Versailles. Wer ist der große junge Mensch auf dem Schlachtgemälde dort, der sich für den ersten hält, weil er vorn steht, der sich spreizt wie ein Bühnenkönig und dem Tode gegenüber den Fechtboden nicht vergißt? Ist es der Tambourmajor der alten französischen Kaisergarde? Nein, es ist Romulus, und David hat ihn gemalt!

Das, was man an Künstlern und ihren Werken alsmanieriert tadelt – die unverzeihlichste aller Geistessünden, weil das Verderben, das sie anstiftet, nicht wie bei Shakespeare, Beethoven und den altdeutschen Malern, ein Austreten des Genius, sondern dessen Dürre zum Grunde hat – dieses manierierte Wesen durchfröstelt die Franzosen vom Scheitel bis zur Zehe. Sie mögen reden, dichten, malen, Musik machen und dieses mit aller ihnen möglichen Herzlichkeit – man wird Wärme spüren, aber es ist keine Sonnenwärme, es ist Ofenfeuer; man wird die Natur erkennen, aber eine verkünstelte; man wird finden, was in ihren Gärten alter Art: die Häusern gleichen ohne Dächer, deren Gebälke man in die Erde gewurzelt und deren Wände man statt mit Backsteinen mit Laub ausgefüllt und statt mit Mörtel mit Blumen verklebt hat. Es mußte so kommen! Seit Franz I. haben die französischen Könige und ihre Hofleute die Wissenschaften und Künste begünstigt, und diese suchten, wie alle Günstlinge, ihre Gunst durch dieselben Mittel zu erhalten, wodurch sie sie erworben: durch Gefälligkeit gegen die Grundsätze, Neigungen, Leidenschaften und Launen ihrer Beschützer. Dieses hat sich durch die Revolution nicht geändert. Noch immer beherrscht der Hof Frankreichs Geister, nur daß dieser Hof größer geworden ist, daß ihn, wie sonst die Gitter der Tuilerien, jetzt die Mauern von Paris umschließen. Die Aristokratie der Hauptstadt läßt in Frankreich keine Geistesfreiheit aufkommen. Wer Talent hat, kommt nach Paris, es dort zu [122] Grunde zu richten. Da hier das geistige Leben sehr teuer ist, muß man, um alles zu genießen, sein Kapital angreifen. Da der wohlverdienteste Ruhm sich nach acht Tagen verjährt und jeder vergessen ist, von dem man eine Woche nicht gesprochen, muß der geistreiche Mensch seinen Schatz zu Goldschlägerblättchen dünn schlagen, um die Oberfläche einer Lebenszeit damit bedecken zu können. Wie kann da Fortbildung stattfinden? Alle Werke der französischen Wissenschaft und Kunst werden in dem einzigen Paris nicht allein hervorgebracht, sondern auch beurteilt, so daß sich Richter und Partei in einer Persönlichkeit vereinigen – wie kann da Belehrung stattfinden? Aber den unseligsten Einfluß auf Kunst und Wissenschaft üben die politischen Parteien aus. Diese Parteien rekrutieren sich, wie sich sonst die Heere rekrutierten. Nach den Gaben, der Stärke und Sittlichkeit der Soldaten wird nicht gefragt; wer fähig ist eine Flinte zu tragen und sie gegen den Feind loszuknallen, wird angeworben. Daß jede Partei die Schriftsteller und Künstler der ihr gegenüberstehenden herabsetzt, das versteht sich von selbst und schadet nicht viel; denn unverdienter Tadel ist mehr geeignet, aufzumuntern als niederzuschlagen. Das Verderbliche ist darin, daß jede Partei die Werke der Künstler und Schriftsteller, die unter ihrer Fahne streiten, unverdient lobt.

Was sich die Ultras hierbei zu Schulden kommen lassen, braucht nicht gerügt zu werden; denn diese Partei ist so alt wie die Welt, und ihre Fehler sind zu tief gewurzelt, als daß sie geheilt werden könnten. Aber der liberalen Partei, die noch jung ist und deren Schwächen neu sind, muß man diese vorhalten. Sie sollte wissen, daß es ihr Zweck sein muß, dem Geistigen die Herrschaft über das Materielle, dem frischen Leben die über das eingemachte und dem Naturrechte die über das Gesetz alter Pergamente zu erkämpfen, und daß daher der Sieg schon [123] halb errungen ist, wenn sie den Feind dahin gebracht, mit den Waffen des Geistes zu fechten. Warum also die Künstler und Schriftsteller, die auf der Seite der Ultras stehen, herabsetzen? Da sie mit dem Geiste streiten, streiten sie auch für den Geist, für die Wahrheit also, sie mögen es wissen oder nicht, sie mögen es wollen oder nicht – gleichviel. Der andre Fehler, den die Liberalen begehen, ist der schon gerügte, daß sie alle ihre streitbaren Talente in der Hauptstadt zusammenhäufen, daß sie, statt gegen die Aristokraten einen Guerillaskrieg zu führen, regelmäßige Schlachten wagen, die, wenn sie sie verlieren, dem Feinde ganz Frankreich öffnen.

Es ist zu wiederholen: die Franzosen sind einseitig, und dieser Fehler tritt gegenwärtig um so stärker her vor, gerade weil sie sich bemühen, sich davon frei zu machen. Die Sprache, diese Kleidung des Geistes, ist ihnen zu frühe angemessen und gefertigt worden, und da sie täglich wachsen und vollkommner werden, werden sie bald kein Glied mehr bewegen können. Hätten sie statt Ludwig XVI. ihr Wörterbuch der Akademie entthront, so würden sie zwar langsamere Fortschritte, aber auch keine Rückschritte in der Freiheit gemacht haben.

25. Die englische Schauspielergesellschaft

XXV.

Die englische Schauspielergesellschaft

Der Einfall eines englischen Schauspielertrupps in das Gebiet der französischen Eitelkeit war seit vierzehn Tagen angekündigt. »Nous verrons«, sagte derMiroir. Das war kurz und deutlich; denn dieses Blatt, eines der schlauen Kammermädchen der öffentlichen Meinung, weiß von allen Geheimnissen ihrer Gebieterin. Zwar machte es später ein gar frommes Taubengesicht und sagte: Freilich müsse jeder brave Franzose die Engländer hassen, aber Künstler hätten kein Vaterland, und eine [124] Vergleichung zwischen den französischen und englischen Schauspielern müsse ja allen erwünscht sein, da nicht zu zweifeln wäre, wie sie ausfallen würde; man möge also so gut sein und sich ruhig verhalten. Aber dieser dünne Schleier der Heuchelei ließ Wunsch und Erwartung durchleuchten, man werde die englischen Schauspieler mit Händen und Füßen zurückweisen und ihnen die Schlacht von Waterloo mit dicker Kreide anschreiben. – Und es geschah.

Die Englischen hatten mit dem Théatre de la Porte St. Martin einen Vertrag auf sechs Vorstellungen abgeschlossen. Die erste Aufführung wurde am 31. Juli mit folgenden Worten angekündigt: »By his Britannic Majesty's most humble servants will be performed the tragedy of Othello in 5 acts by the most celebrated Shakespeare.« Diese marktschreierischen Superlative taten der Meinung von den guten Fähigkeiten der Schauspieler gerade keinen Abbruch; denn nicht die Eifersucht des Othello, die der Franzosen zu sehen war jedermann gespannt. Das Gedränge vor dem Hause war unbeschreiblich, und das Heer von Gendarmen zu Pferd und zu Fuß, das groß genug gewesen wäre, die Hinrichtung eines Cartouche zu decken, vermochte diesmal nicht die polizeiübliche Ordnung zu erhalten. Da fand ich Gelegenheit, die gute Laune und Liebenswürdigkeit der Franzosen zu beobachten. Jeder strengte sich mit Händen und Worten an, sich Luft zu machen durch das Gewühl, um an die Türe zu kommen, aber die Rippenstöße wurden mit Tänzergrazie empfangen und ausgeteilt, und die gesprochenen Grobheiten waren wie in Musik gesetzt. Endlich ward auch ich in das Haus geflutet und im Orchester hart neben dem Souffleurkasten ausgeworfen. Die Vorsehung hatte mir diesen Platz angewiesen, denn ich war von ihr bestimmt, am heutigen Tage eine derersten Rollen zu spielen.

[125] Das Haus war kaum angefüllt, als sogleich das Schauspiel begann; nicht das Schauspiel, welches die Schauspieler, (der Vorhang war noch nicht aufgezogen) sondern das, welches die Zuschauer gaben. Man übte sich im Schreien, im Pfeifen, im Quieken, im Pochen, im Singen und in allen übrigen akustischen Waffen, mit welchen man die Engländer zurückzuschlagen gedachte. Ein frommes deutsches Ohr, wie das meinige, von der zartesten Kindheit an gewohnt, vor dem Gebote jedes Polizeidieners erschrocken zurückzufahren, war ganz erstaunt zu hören, daß man sich in Gegenwart der Gendarmen so viel herauszunehmen wagte. Diese aber bewegten sich nicht und ließen gewähren. Als der Lärm recht unbändig wurde, hörte man aus einer Loge des ersten Ranges mit lauter Stimme »la Canaille« rufen. Da ward das wütende Geschrei noch allgemeiner und stärker. »A la porte, à la porte, Martainville!« riefen mehr als tausend Stimmen. Dieser Söldling der Aristokratie, der bekannte Herausgeber des Drapeau blanc war es, welcher jenes kecke Wort zu rufen wagte. Martainville wollte groß und stolz, wie ein alter Römer, das Pöbelgeschrei verachten; er zog die Achseln und blieb. Aber er war kein Römer, und die, welche schrien, gehörten nicht zum Pöbel. Das ganze Parterre, alle Logen vereinigten sich, diese Gelegenheit einer verdienten Abzüchtigung nicht vorübergehen zu lassen, und man bestand auf der Entfernung des verachteten und gehaßten Mannes. Ein Handschuh wurde ihm ins Gesicht geworfen; er mußte weichen. Jauchzen und Beifallsklatschen im ganzen Hause. Jetzt erhob sich der Vorhang, Jago trat auf. Kaum den Mund geöffnet, und allgemeines Nachspotten der breiten und zähen englischen Worte und unaufhörliches Gelächter. In der Hölle, während dem Karneval, kann der Lärm nicht größer sein. Auch ohne Bosheit lief es nicht ab, und Eier, Obst, Sousstücke [126] flogen auf die Bühne und an die Köpfe der Schauspieler. Diese aber zeigten eine unerschütterliche Festigkeit und spielten fort, als herrschte die aufmerksamste Stille. Man hörte nicht ein einziges Wort, Othello wurde als Pantomime gespielt. Ich bemerkte nur sehr wenige Zuschauer, welche die Partei der Engländer nahmen. Denn wer auch an der Störung keinen tätigen Anteil nahm, erfreute sich doch dieses bürgerlichen Schauspiels, das hier mit so vieler Natur aufgeführt wurde. Ein junger sauberer Mensch, der neben mir saß, war einer der wenigen, die an dem Unfuge ihren Ärger hatten. Er hatte den englischen Othello mitgebracht, wahrscheinlich um sich in der richtigen Aussprache zu üben, denn er folgte den Schauspielern im Buche nach. Er konnte aber über dem Geschrei nichts hören. So oft nun die Insurgenten irgend ein losgelassenes Stichelwort gegen die Engländer mit Jauchzen aufnahmen, kam mein junger Mensch außer sich und sprach ironisch:Ah, que cela est joli, ah, que cela est spirituel! »Was werden die Fremden, was die Deutschen von der französischen Urbanität denken!« rief er aus. Ich, ganz entzückt, unvermutet einem, wenn auch nur sporadischen Respekt vor meinen Landsleuten zu begegnen, zeigte mich dankbar, indem ich sein Klagelied mitsang. C'est une horreur, c'est abominable, c'est affreux – sagte ich, und noch mehrere andere zornige Adjektive, die mir im Gedächtnis waren.

So drängte sich Othello bis zur Mitte des dritten Aktes mit Mühe und Gefahren durch. Da entstand ein Wortwechsel zwischen zwei Zuschauern. Ein Handgemenge droht auszubrechen, panischer Schrecken ergreift alles, das halbe Parterre wälzt sich zum Orchester hin, sprang über die Schranke, zerbrach Geigen und Bässe und schickte sich an, die Bühne zu erklettern. Ich, um diesem bösen Beispiele nicht zu folgen, ging ihm voran und war der erste, der auf die Bühne sprang, die andern [127] hintendrein. Jetzt ließ man den Vorhang fallen. Gendarmen füllten die Szene, um das fernere Voraufstürmen der Zuschauer zu verhüten. Auf der Insel Cypern war ein tolles und lustiges Leben. Soldaten, Polizeiagenten, schäkernde Schauspielerinnen, halbohnmächtige Weiber; Othello, dem im Gedränge die Hälfte des Gesichtes abgeschwärzt worden, zeigte eine rote und eine afrikanische Wange; die sanfte Desdemona schimpfte, auf ihrem Todesbette lag eine geflüchtete Baßgeige hingestreckt; Jago trug einen Frack über seiner Ritterkleidung und schien mir die beste Seele von der Welt zu sein. Aber das Stück wurde dennoch zu Ende gespielt; nur daß die Hälfte des dritten Aktes und der ganze vierte Akt ausgelassen wurden. Man begnügte sich, Desdemona ohne weitere Umstände erwürgen zu lassen. Das Publikum war nicht minder beharrlich als die Schauspieler, es schrie, pfiff und lärmte bis ans Ende. Von sehr komischer Wirkung war es, daß in einem kleinen Lustspiele mit Gesang, welches auf Othello folgte, Galerie und Parterre an allen Gesängen teilnahmen und die Stimmen der unerschrocknen Engländerinnen nachäfften.

Am folgenden Tage ließen die öffentlichen Blätter ihre Kriegstrompeten erschallen. Die Liberalen entschuldigten zwar den getriebenen Unfug nicht, empfahlen aber die Verirrungen der Jugend menschenfreundlicher Nachsicht. Mit Unrecht. Der Jugend ist wohl Verblendung zu verzeihen, weil sie von zu starkem Licht kommt, aber nicht Blindheit, die in Augenfehlern ihren Grund hat. »Des jeunes gens, nourris de l'horreur de tout ce qui n'est pas national«, wären etwas zu weit gegangen – sagten die Liberalen. Man muß bedauern, daß die Pariser Jugend einen so schlechten Tisch führt, jener horreur ist eine Speise, die der Almanac des Gourmands gewiß nicht empfehlen würde. Aber am meisten erstaunen muß man über die grauen, erfahrenen französischen Freiheitsmänner, [128] die doch sonst so argwöhnisch auf alle Schritte der Macht und so scharfsichtig sind, ihre Listen zu entdecken – daß sie sich hierin so zum besten haben lassen, nicht einsehen, daß jener horreur de tout ce qui n'est pas national eine der anerzogenen Schwächen ist, genährt, die Völker feindlich auseinanderzuhalten, um sie getrennt so leichter zu beherrschen, und daß sie vergessen, daß zu allen Zeiten die Herrschsucht die Leidenschaften der Freiheit benützte, um ihre eignen zu befriedigen. Die aristokratischen Blätter auf der andern Seite hielten es mit dem Neger von Venedig und nannten die jungen Menschen, die sich herausgenommen, ihn auszupfeifen, Jacobins, régicides, Séides d'une faction habituée à essayer tous les moyens de troubler l'état. Daß übrigens beide Parteien in ihrer literarischen Kritik des Othello übereinstimmend behaupteten: freilich könne man Shakespeare nicht mit Corneille vergleichen, aber der englische Dichter sei doch nicht ohne gutes – das versteht sich von selbst: wenigstens das erstere.

Zwei Tage später wollten die Engländer noch einmal auftreten, in einem Lustspiele von Sheridan, welches in Deutschland unter dem Namen die Lästerschule bekannt ist. Man hatte die Preise der Plätze erhöht und glaubte damit etwas sehr Kluges getan zu haben. Aber das Haus war nicht weniger angefüllt als das vorige Mal, und von der nämlichen Menschenklasse. Ich war dieses Mal so vorsichtig, das gefährliche Parterre zu meiden, nahm in einer Loge der zweiten Galerie Platz und besah das Schlachtfeld aus der Vogelperspektive. Noch heftigeres Toben als das vorige Mal. Martainville gab wieder Stoff zu einem Zwischenspiele. Er ließ sich sehen, und à la porte Martainville, à la porte le vil Martain, donnerte das ganze Haus. Er wollte trotzen und blieb. Aber da schickte man sich an, seine Loge zu erklettern, die vom Parterre aus erreichbar war. Er mußte die Flucht[129] ergreifen. Jetzt erhob sich der Vorhang; aber sei es, daß die Engländer mutlos geworden oder daß der Sturm zu mächtig war, ihm zu widerstehen – nicht die erste Szene konnte ausgespielt werden, und der Vorhang mußte wieder fallen. Jetzt rief es: le Directeur! Man meinte nämlich den französischen Schauspieldirektor, der so unfranzösisch gewesen, Engländer auf seiner Bühne erscheinen zu lassen. Der Gerufene kam. Nüsse, Talglichter, Handschuhe flogen ihm ins Gesicht. Da rief einer der leitenden Stimmen: Silence, assis, attendez sa soumission, qu'il fasse ses excuses! Der zitternde Melodramendirektor sprach einiges, das ich nicht verstand, dann rief er: Meine Herren, antworten Sie mir kurz, wollen Sie, daß die Engländer fortspielen, oder nicht? Und ein donnerndes »non« erschallte, mit einer Einstimmigkeit, mit einer Gleichzeitigkeit, daß es sich die besteingeübten Chöre in der Braut von Messina hätten zum Muster nehmen können. A bas les Anglais, point d'Etrangers en France, schrie es von allen Seiten. Der Direktor versprach ein französisches Stück und trat ab. Der Zorn legte sich, und ein Lustlärm begann. Das Parterre stimmte ein Lied an, worin es heißt: La Victoire est à nous. Jetzt traten die französischen Schauspieler auf. Jeder wurde mit Jubelgeschrei empfangen, jedes Wort wurde beklatscht. Bravo, ce sont des Francais, ce ne sont pas des beafstecks, rief einer von der Galerie herab. Bis, bis, schrie das Paterre, und der Witz mußte wiederholt werden. Das Stück ward zu Ende gespielt, und die Ruhe war vollkommen wiederhergestellt. Man wartet auf das zweite Stück, denn drei bis vier werden jeden Abend aufgeführt. Man wartete eine halbe, eine ganze Stunde vergebens, der Vorhang blieb niedergelassen, der geforderte Direktor erschien nicht. Da brach das Ungewitter von neuem los. Die Polizei mußte den nahenden Sturm vorhergesehen haben, denn man hörte Waffengeräusch [130] hinter dem Vorhange, man sah die Instrumente aus dem Orchester wegtragen. Jetzt ward vom Parterre aus ein Hut auf die Szene geworfen, wahrscheinlich als Zeichen des Angriffs. Darauf erhob sich das ganze Parterre, stürzte ins Orchester, ergriff die dort befindlichen Stühle und warf sie dem Hute nach. Jetzt erhob sich der Vorhang, das Schauspiel begann, und mit solcher natürlichen Natur wurde noch nie gespielt. Eine Kompanie Gendarmen stand in Schlachtordnung auf der Bühne, vor ihnen ihre Offiziere mit gezogenen Schwertern.

Einige Minuten stand diese Streitmacht unbeweglich stille und versuchte ihre Medusenkraft. Aber dieser Anblick machte die Wut der Zuschauer nur flüssiger. Die Stühle flogen den Gendarmen an die Köpfe, und als die Stühle erschöpft waren, riß man die Bänke los und schleuderte sie hinüber. Staubwolken und Angstgeschrei der Weiber erfüllten das Haus. Jetzt kommandierten die Offiziere zum Angriffe. Die Gendarmen mit gefälltem Bajonett drangen vor, Bänke und Stühle wurden von der Galerie auf sie herabgeworfen, viele stürzten und wurden verwundet. Allgemeine Flucht. Nach dem Parterre wurden die Logen ausgeleert. Ich war der letzte, der blieb, um das Schauspiel bis ans Ende zu sehen. Da stürzten drei Riesen auf mich los und stießen mich mit ihren Flintenkolben hinaus. So unschuldig ich auch war, murrte ich dennoch nicht über diese Behandlung; ich nahm das reuig hin für meine Gedankensünden und verehrte in meinem Herzen die alles erforschende Nemesis.

26. Die Industrieausstellung im Louvre

1. Ternaux

Im Konzerte der Eitelkeit und der Gewinnsucht hat Ternaux ein Solo gespielt, und es gebührt ihm daher eine besondere Erwähnung. Da aber, was man nie vergessen darf, in Paris die Marktschreierei ganz geschwisterlich mit dem wahren Verdienste lebt, so soll zuvörderst von Ternaux' wahren Verdiensten gesprochen werden. Er ist der erste Fabrikant in Frankreich und beschäftigt zwölf Fabriken, zum Teil im Auslande, nämlich in Sedan, in Louviers, in Elboeuf, St. Quen, Reims, Aachen, Lüttich, Ensival und Paris. Ihm am meisten verdankt Frankreich die Vervollkommnung des Fabrikwesens seit dreißig Jahren, und er war der erste, der die hydraulischen Maschinen der Engländer einführte. Er war zweimal in diesem Lande, um dessen Fabriken kennenzulernen. Ternaux hat in St. Quen eine Experimentalwerkstätte (atelier d'épreuves), um neue Verfahrungsarten zu erproben, und er verschwendet auf die Versuche zu neuen Stoffen jährlich eine große Summe. In Paris, Livorno, Neapel und andern großen Städten hat er Handelshäuser errichtet, die sich nur mit dem Vertriebe seiner Produkte beschäftigen, und es wird von ihm gerühmt, daß er das [141] Glück vieler junger Leute begründe, welchen er seine Waren auf Kredit gäbe. Auf seinen Ländereien unterhält er große Herden von Merinoschafen und von jenen Ziegen, deren Haar den Stoff zu den Kaschmirs gibt und welche Ternaux zuerst aus Persien nach Frankreich gebracht. Ternaux' Kaschmirshawls werden sogar im Orient begehrt, und die Schönheiten des Serails in Konstantinopel, die indischen Bajaderen und die Frauen in Persien schmücken sich damit. Um von Ternaux' ausgedehnter und verständiger Industrie eine Vorstellung zu geben, wird erzählt, er habe in früherer Zeit eine neue Art von ihm erfundenen Tuches nach England geführt, wo ihm aber die Ware an der Douane konfisziert worden sei. Denn nach dem damals geltenden Handelsvertrage zwischen Frankreich und England habe jeder Staat das Recht gehabt, diejenigen Waren zu konfiszieren, die von dem Einführer zwölf Prozent unter dem Preise angegeben würden. Ternaux habe aber bewiesen, daß der von ihm erklärte niedrige Preis der wahre Verkaufspreis sei und daß er noch dreißig Prozent dabei gewinne. Dreimal habe Ternaux aus diesem Grunde eine Konfiskation seiner Einfuhr erlitten, und dreimal habe er den Prozeß gewonnen .... Früher gab Ternaux zehntausend Arbeitsleuten Unterhalt; jetzt aber, wegen der unruhigen Zeit und der Vervollkommnung der Maschinen, beschäftigt er nur noch sechstausend. Außer dem Erzählten hat er auch noch das Verdienst,links zu sein. Es gibt nichts Angenehmeres auf der Welt, als in Paris liberal zu sein und nebenbei ungeheuer reich. Man ist dann im Besitze einer sehr romantisch gelegenen Zwickmühle. Fallen die Renten, zieht man nach Barcelona und erquickt sich an Minas Tapferkeit; geht Cadix über, zieht man in seine Kassenstube und tröstet sich mit seinen Millionen. Auch zeigen die Pariser Handelsleute bei jedem kosmopolitischen Unglücke eine Seelenstärke, die sie den weisesten [142] Männern Griechenlands gleichstellt. Ich war ganz erfüllt von Bewunderung und durchdrungen von Ehrfurcht, als ich am Tage, da man erfuhr, Cadix habe sich übergeben, einen liberalen Bankier besuchte und ihn so ruhig und gefaßt gefunden, daß er mit fester Hand gemeine Handelsbriefe unterzeichnen konnte.

Ternaux erhielt zur Ausstellung seiner Fabrikate, gleich den übrigen Fabrikanten, seinen Platz im Louvre. Ich muß unparteiisch bemerken, daß der angewiesene Raum wirklich eng war, und es mochte hierbei von seiten der Behörde eine jener kleinlichen Neckereien stattgefunden haben, die man sich im vorigen Jahre, bei Gelegenheit der Gemäldeausstellung, gegen Horace Vernet erlaubt hat. Dieser nämlich, weil er mit der linken Hand malt, konnte auch für seine Werke nicht den erforderlichen Platz erhalten. Hier ist alles links oder rechts, und die Menschen werden, die beim jüngsten Gerichte, als Böcke oder Lämmer zu beiden Seiten gestellt. Es lohnte sich wohl der Mühe, sich hinter einen aristokratischen und einen liberalen Kammerdiener zu stecken, um zu erfahren, ob ihre Herren, je nach ihrer politischen Gesinnung, auf der rechten oder auf der linken Seite im Bette liegen. Aber es ist nicht weniger zu bedenken, daß, wenn Ternaux auch einen zehnmal größeren Raum bekommen hätte, dieser doch für seine vielen und mannigfaltigen Fabrikate nicht ausgereicht haben würde. Es war also der Behörde nicht möglich, dem Mangel abzuhelfen. Aber Ternaux half ihm selbst ab, indem er in seiner eigenen Wohnung eine Privatausstellung veranstaltete und bei dieser Gelegenheit auch seine Waren im Detail und zum Fabrikpreise verkaufte. Die Ausstellung wurde von seinen Gegnern, ohne alle Rücksicht auf das Wörterbuch der französischen Akademie, eine Contre-Exposition genannt, dem Ausdrucke Contre-Revolution nachgebildet. Ternaux' Freunde erhoben dessen Ausstellung [143] sehr und widmeten ihr in den Journalen viele und lange Artikel. Sie lobten die Vortrefflichkeit, die Wohlfeilheit seiner Waren. Unter andern bemerkten sie: Ternaux verkaufe seine feinsten Wollentücher zu 45 Fr. die Elle; die Schneider aber (es ist in Paris üblich, daß die Schneider zu den von ihnen verfertigten Kleidern auch das Tuch liefern) ließen sich für die Elle 65 Fr. bezahlen, eine Prellerei, die selbst für Schneider zu groß wäre. Als Ternaux die Lobrede seiner unverständigen Freunde gelesen, mochte er sehr erschrocken sein; denn es mit den Schneidern zu verderben, dazu gehört ein Heldenmut, für den ein tuchhändlerisches Herz nie groß genug ist. Er übernahm also selbst die Verteidigung der Schneider; er sagte: die Herren Schneider wären die ehrlichsten Leute von der Welt, und wenn sie statt 45 Fr. 65 Fr. forderten, so habe das die und die Ursachen. Ternaux gebrauchte aber in seiner Schutzrede so zweideutige, so sophistische Wendungen, daß sie schwer zu fassen waren. Nur so viel ging deutlich hervor, daß er die den Schneidern abgenommene Schuld auf die Kaufleute wälzte. Jetzt zogen diese zu Felde, und zwar scharenweise, je nach ihrer Waffenart: die Tuchhändler, die Leinenhändler, die Kaschmirhändler und die übrigen Ellenritter, alle in besondern Abteilungen. Sie sagten: Ternaux habe seine Privatexposition aus Eigennutz veranstaltet; denn er verkaufe im Detail und halte eine wahre Messe – ein Verfahren, das zu bezeichnen sie sich enthalten wollten. Ein heiliges Naturrecht, seit Anbeginn der Welt zwischen Fabrikanten und Kaufleuten geltend, untersage jenen, ihre Waren im Ausschnitt zu verkaufen, und dieses Naturgesetz habe Ternaux schmählich verletzt. Ferner: wenn er seine besten Tücher zu 45 Fr. verkaufe, so beweise das nur, daß er keine feinere zu höheren Preisen verfertige; andere Fabrikanten aber könnten daher nicht der Überteurung beschuldigt werden, wenn [144] sie feinere Tücher lieferten, die bis zu 90 Fr. wert wären. Die Herrn Kaufleute mögen hierin ganz recht haben. Sie sagten weiter: Ternaux' Preise wären höher als die anderer Fabrikanten, und es sei ja eine bekannte Sache, daß die französischen Handelsleute sich aus Ternaux' Fabriken gar nicht versorgten und daß deren größter Absatz in das Ausland ginge. Der Beweis dieser Behauptung läge darin, daß Ternaux sich imstande gesehen, in seiner Ausstellung für zwei Millionen Waren zusammenzuhäufen, was einem Fabrikanten, dem es nicht an Bestellungen mangelte, unmöglich gefallen wäre. Auch hierin scheint das Recht auf der Seite der verbündeten Handelsmächte zu sein. Ternaux erwiderte auf diese Beschuldigungen: nicht aus Gewinnsucht, sondern darum habe er seine Hausexposition veranstaltet, um die Jury zu überzeugen, daß er zu den angegebenen wohlfeilen Preisen wirklich verkaufe. Die Jury nämlich nehme bei ihrer Ehrenpreisverteilung auf die Wohlfeilheit der Fabrikate Rücksicht; wie könne sie sich aber überzeugen, daß die Fabrikanten zu den ihren Mustern beigefügten Preisen wirklich verkauften, wenn sie es nicht machten, wie er es gemacht? Nur um die goldene Medaille sei es ihm zu tun gewesen. Die gegnerischen Handelsleute schlugen auch diese Entschuldigung zurück, und so wurden einige grause Federschlachten geliefert. Endlich taten die Ternaux den entscheidenden Schlag. Sie sagten: und wenn wir auch wirklich aus Gewinnsucht unsere Exposition veranstaltet – ist das nicht etwas Erlaubtes, kann uns das jemand wehren? Das war sehr vernünftig gesprochen, und es ist hiergegen nichts zu bemerken, als daß sie so, wie sie geendigt, hätten anfangen sollen; der gerade Weg ist überall der beste.

Einiger der Fabrikate Ternaux', die wegen ihrer Neuheit, ihrer Güte oder ihres niedrigen Preises Aufmerksamkeit erregt, soll am gehörigen Orte Erwähnung geschehen.

[145]
2. Graphische Künste

Wie der Mensch das letzte Werk der bildenden Natur war, daß er alle in Steinen, Pflanzen und Tieren zerstreuten Sinne und Kräfte in sich vereinige und so über alles Erschaffene herrsche; daß die räumliche Natur allgegenwärtig, die gebundene freibeweglich werde, und die ganze Natur dort sei, wo sich ein Mensch befindet – so wurde von den Menschen die Buchdruckerkunst, die späteste unter den Künsten, erfunden, damit sie alle verteilten Bildungen der andern versammle und für sich allein darstelle. Darum gebührt ihr, wie überall, so auch hier der erste Platz. Sie ist die Erblichkeit aller hinterlassenen Güter und die wahre Unsterblichkeit des menschlichen Geistes. Sie ist die treue Leibwache der Völker und die aufrichtige Ratgeberin der Fürsten. Sie ist die Posaune des Weltgerichts, welche verborgene Frevel und Tugenden bekannt macht und die Schlechten wie die Guten vorladet, Rechenschaft zu geben oder ihren Lohn zu empfangen.

Vergleicht man alle Künste je nach den schnellen oder langsamen Fortschritten, die sie seit ihrer Entstehung gemacht, so findet man, daß diejenigen am langsamsten fortgeschritten, die ein notwendiges Bedürfnis des Lebens erfüllten. So die Landwirtschaft und die Arzneikunst. Es erklärt sich dieses leicht. Jede Kunst, die einem unentbehrlichen und täglichen Bedürfnis abhilft, läßt dem, der sie ausübt, nicht die Zeit, auf ihre Vervollkommnung zu denken, und sie gibt ihm auch nicht den Drang dazu; denn ein notwendiges Bedürfnis schweigt, so bald es für den Augenblick befriedigt ist. Diejenigen Künste nur, welche die Menschen zu ihrer Lust erfunden, geben ihnen Muße und Trieb, auf deren Ausbildung zu denken, weil hier keine tägliche Anwendung zerstreut und keine augenblickliche Befriedigung das Nachdenken einschläfert; [146] denn jede Lust ist unersättlich. Auch die Buchdruckerkunst hat seit ihrer Erfindung keine bedeutende Fortschritte gemacht, und wenn wir neulich erfuhren, daß ein Engländer ein Druckklavier erfunden, das mit der Schnelle des Gedankens das Gedachte sogleich abdruckt, so hat das erst den Wunsch in uns erregt, was die Buchdruckerkunst noch werden möchte. Bis jetzt war sie nur eine Staatskunst, das will sagen, eine solche, die nur in einer geselligen Vereinigung der Menschen ausgeübt werden konnte, weil sie eine Verbindung mannigfacher Kräfte erforderte. Sie muß aber eine persönliche Kunst werden, eine, die jeder Mensch ohne fremde Hilfe, wie das Schreiben mit der Hand ausüben kann, und dann erst, und wenn der Jugend wie das Schreiben so auch das Drucken in den Schulen gelehrt würde, wäre diese Kunst eine königliche zu nennen, weil sie aus jedem Bürger einen König machte, der seine Gedanken ausschickte, daß sie in seinem Namen regieren mögen nach Würde und Kraft und Recht.

Die französische Typographie ist anerkannt der deutschen weit vorgeschritten. Diese ihre Überlegenheit erklärt sich, so viel das Technische der Kunst betrifft, leicht dadurch, daß sie, wie kein Handwerk und keine Kunst in Frankreich, nicht am Gängelbande der alten Zunftweiber geführt wird, wie es im ägyptischen Deutschland geschieht, wo das Vorurteil, das man nicht länger bei Leben erhalten konnte, nach seinem Absterben wenigstens einbalsamiert wird, damit es noch seine tausend Jahre räumlich fortbestehe und den Lebenden den Platz wegnehme. Das schwächere Wachstum der deutschen Buchdruckerkunst hat aber auch noch eine andere Ursache, die als eine sittlich gesellige von größerer Bedeutung ist. Es hängt nämlich mit der deutschen Volksbildung zusammen. Die wissenschaftliche Bildung der deutschen Gelehrten ist unstreitig größer und gründlicher [147] als die der französischen. Wahrscheinlich ist mir auch, daß in Deutschland die wissenschaftliche Bildung verbreiteter ist als in Frankreich und daß sie tiefer zu den unteren Volksklassen hinabsteigt; doch kann wenigstens ich darüber nicht entscheiden, da ich die französischen Provinzen nicht kenne. Eines aber ist das Gewisseste: daß die gebildeten Klassen in Frankreich, diejenigen nämlich, die in der Mitte zwischen Gelehrten und Volk stehen, die Beamten, Fabrikanten, Kaufleute, höhere Handwerker, gebildeter als in Deutschland sind. Sie lesen mehr, sammeln sich mehr Bücher, und dieses muß auf Buchhandel und Buchdruckerkunst natürlich einen vorteilhaften Einfluß haben. Buchhändler und Buchdrucker müssen suchen dem Geschmacke reicher Leute zu schmeicheln und sich daher bemühen, ihr Gewerbe und ihre Kunst zu vervollkommnen. Es fehlt mir gegenwärtig an Leipziger Bücherverzeichnissen, sonst würde ich vergleichen, wie sich die (Bände-)Zahl der jährlich in Frankreich erscheinenden Bücher zu der in Deutschland erscheinenden verhalte. Das Journal de la librairie, welches jede Woche in Paris herauskommt und worin in fortlaufenden Nummern alle in Frankreich erschienenen Werke verzeichnet stehen, ging den 15. November gegenwärtigen Jahres bis zur Nummer 4990. Rechnet man hierzu die noch fehlende Zeit bis zur Vollendung des Jahres und bringt man in Berechnung, daß von allen in Paris erscheinenden, aus mehreren Bänden bestehenden Werken wenigstens zwei Teile zugleich herauskommen, die aber unter einer Nummer stehen; weiß man, daß im vorigen Jahre für drei und ein halbe Million Franken Bücher aus Paris ausgeführt worden, und rechnet man hierzu, was in Paris selbst verbraucht worden und was in den Provinzen gedruckt wird – so hat man einen Maßstab, die französische Literatur nach ihrem arithmetischen Umfange mit der deutschen zu [148] vergleichen. Aber die Zahl der kostspieligen Werke, deren Absatz für die Bildung der reichen Volksklassen ein gutes Zeugnis ablegt, ist in Frankreich ungleich größer als in Deutschland. Gaus Reisebeschreibung von Nubien, welche in der Cottaschen Buchhandlung erscheint, ist, so viel mir bekannt, das einzige Werk bezeichneter Art, das seit einigen Jahren in Deutschland herausgegeben worden. Solche Werke aber erscheinen in Frankreich jede Woche. In einem und dem nämlichen gerade vor mir liegenden Prospektus des Buchhändlers Masson in Paris sind folgende fünf Werke angekündigt: 1) Eine »voyage pittoresque en Autriche«. 3 Bände in Folio, mit 163 Kupfern. Die gewöhnliche Ausgabe kommt auf 360 Fr., die bessere auf 900 Fr. 2) »Collection des vases grecs de Mr. le Comte de Lamberg«. 1 Band in Folio. Die ordinäre Ausgabe 540, die feine 900 Fr. 3) Ein Buffon in 127 Bänden mit 1150 Kupfern. Gewöhnliche Ausgabe 444, die beste 1905 Fr. 4) »Les monuments de la France«. 4 Bände in Folio. Ordinäre Ausgabe 720, feinere 2000 Fr. 5) Die Biographie universelle, die nach ihrer Vollendung wenigstens aus 50 Bänden bestehen wird, kostet in der besten Auflage der Band 48 Fr., so daß das ganze Buch auf 2400 Fr. zu stehen kommen wird. Von diesem nämlichen Werke hat der Verleger ein einziges Exemplar auf feinem Pergament (peau velin) abziehen lassen, wovon der Band 600 Fr. kostet, das ganze Werk also 30000 Fr. kosten wird. Nimmt man nun auch an, daß der Verleger an dieser Summe drei Vierteile rein gewönne, so bliebe die Summe seiner Auslagen doch immer noch bedeutend genug, daß sich nicht denken ließe, er hätte diesen Aufwand gewagt, wenn er nicht große Hoffnung hätte, das Exemplar an einen Käufer zu bringen. Hierbei ist freilich auch zu bedenken, daß, wahrend die deutschen Buchhändler bloß auf ihr Vermögen und ihren persönlichen Kredit beschränkt [149] sind, die französischen zu jeder kostspieligen Unternehmung Aktionärs und Kapitalien genug finden. Dieses ist aber weniger eine Ursache als eine Wirkung des größern Flors des Buchhandels, denn da ein Kapitalist in Paris schon im gewöhnlichen Geldhandel 8 bis 10 Prozent ganz sicher aus seinen Kapitalien zieht, so muß der Gewinn in literarischen Unternehmungen bei gleicher Sicherheit noch größer sein, wenn man seine Kapitalien daran setzt.

Den Kunstwerken der Typographie war im Louvre ein großer Saal eingeräumt. Daß sich hier die Didots vorteilhaft auszeichneten, läßt sich denken. Dieser ganzen Familie ist Kunstgenie erblich angeboren. Die Mutter des Firmin Didot, eine Dame von 82 Jahren, hat Wachsblumen, den natürlichen auf das täuschendste nachgeahmt, zur Ausstellung gebracht. Firmin Didot ist zugleich Papierfabrikant, Schriftgießer, Drucker und Schriftsteller. Er brauchte seine Tätigkeit nur noch bis zum negativen Pole der Literatur auszustrecken, nämlich bis zur Zensur, um nach einer Sündflut, er ganz allein, die literarische Welt wieder bevölkern zu können. Erst vor einigen Wochen hat er eine von ihm selbst gedichtete und gedruckte Tragödie auf das Theater Français gebracht. Auf dem Titelblatt einer Übersetzung von Virgils Hirtengedichte, die vor einigen Jahren erschien, sind die Worte zu lesen: »Les Bucoliques de Virgile, traduites en vers français, par Firmin Didot. Gravé, fondu et imprimé par le traducteur.« Die Mitglieder der Familie Didot leben in Handwerksfeindschaft untereinander und führen in öffentlichen Druckschriften einen sehr häßlichen Neidkrieg. Heinrich und Julius Didot machen sich die Erfindung einer neuen Art kleiner Buchstaben wechselseitig streitig. Ein schöner Wetteifer, wer am meisten dazu beigetragen, die Menschen blind zu machen! Es ist mit solchem kleinen Drucke, in Deutschland wie in Frankreich, [150] etwas sehr Trostloses, und die Polizei, die sich doch sonst um alles bekümmert, sollte eines ihrer hundert Augen auf diesen Gegenstand richten. Wenn in deutschen eleganten Blättern comme il faut die Korrespondenzartikel klein gedruckt wer den, so ist hierbei nichts anders zu bedauern, als daß sie nicht noch kleiner gedruckt sind, damit es gar nicht möglich sei, sie zu lesen und darüber die Zeit zu verderben. Der deutschen Lesewelt, welcher zu Gefallen sich jene eleganten Zeitungen auf das fadeste parfümieren, muß man es gerade heraussagen, daß es ihrem Geschmacke zu keiner Ehre gereicht, wenn sie den deutschen Komödianten eine so lange und breite Aufmerksamkeit schenkt. Ein armer Schelm von Schauspieler, der nicht begabt oder nicht beliebt ist, muß auf seinen Kunstreisen durch jene hundert Blätter Spießruten laufen, und ganz zerfleischt kehrt er zu seiner Mutterbühne zurück. Beliebte Schauspieler aber ziehen, von Königsberg bis nach Wien, alle Tage unter Papier-Triumphbögen ihre Heldenbahn, und es wird erzählt, wie sie hier den Peter, dort den Hans gespielt und wie oft und wie stark sie beklatscht worden. Solche Klatschberichte mögen immerfort klein gedruckt werden. Aber bei gemeinnützigen Werken, wie das Konversationslexikon, sollte man kleinen Druck nicht verstatten, und würden die Bücher viermal teurer; denn es ist, national-ökonomisch betrachtet, immer noch besser, ein Volk ist geistig als körperlich blind. Man sollte typometrische Zensoren anstellen, die alles, was sie nicht verstehen, nämlich nicht lesen könnten, ausstreichen müßten.

Unter den Prachtwerken, welche Didot ausgestellt, bemerkt man auch Titelblatt und Vorrede des Boisseréschen Werkes über den Kölner Dom, das im Verlage der Cottaschen Buchhandlung erscheint und sich ganz herrlich ausnimmt. Es ist in deutscher Sprache und mit deutschen [151] Buchstaben gedruckt, und mit einem ganz eigenen Gefühle muß man sich bei diesem Anblicke gestehen, daß in Frankreich schöner Deutsch gedruckt wird als in Deutschland selbst. Von den mancherlei typographischen Kuriositäten, die zu sehen waren, will ich nur eines Testaments Ludwig XVI. gedenken, das, auf einen sehr großen Bogen und unter Glas und Rahmen zur Wandverzierung eingerichtet, mit »caractères funèbres« gedruckt war. Worin die typographische Traurigkeit eigentlich liegt, läßt sich nicht beschreiben; es ist aber wahr, der Druck hat einen wahren Leichengeruch. Unter den Schriftgießern zeichnete sich Mole der jüngere aus. Außer den Schriften der modernen Sprachen und des Griechischen, die man sich nicht schöner denken kann, hat er auch arabische und persische Schriftproben geliefert, die er unter Anleitung des Orientalisten Langles verfertigte. Die Buchstaben sind so bestimmt, reinlich und heiter, daß sie das Verwirrende, mit welchem die Schrift einer fremden Sprache uns gewöhnlich erscheint, ganz verlieren und man sich sehr verwundert, daß man diese so deutliche Schrift dennoch nicht lesen könne. Didot hat die Modelle aller zur Papierfabrikation nötigen Maschinen ausgestellt, worunter auch die Maschine zur Verfertigung des Papieres von unendlicher Länge sich befand. Ich habe aber nicht gehört, daß die letztere hier schon im Gange wäre. Auch der vortrefflichen Landkarten, worunter auch auf Seide abgedruckte, ist zu gedenken. Die von Didot mit beweglichen Typen kenne ich nur aus andrer Beschreibung; ich habe sie übersehen. Sie werden sehr gelobt, und es soll ihnen, um an Brauchbarkeit den gestochenen Karten gleichzukommen, nur noch etwas an der Illumination fehlen.

Hier schließt sich die Lithographie an, deren Werke sich in Paris mit unglaublicher Schnelligkeit vermehren. Das Neueste davon, was zur Ausstellung kam, ist großenteils [152] schon im Stuttgarter Kunstblatte angezeigt und beurteilt worden. Lithographische Abdrücke in Ölfarben werden wohl in Deutschland auch schon bekannt sein. Honoré in Paris hat ein Verfahren entdeckt, die Lithographie zu Abdrücken auf Porzellan anzuwenden, und es wurde ihm darüber ein Erfindungspatent erteilt. Alle mögliche technische Materialien zur Lithographie waren in großer Menge zu sehen: Pressen, Muster von lithographischen Steinen aus allen Gegenden Frankreichs. Senefelder zeigte seine bekannte tragbare Presse und sein Steinpapier. Dieses Erfinders der Lithographie wurde in den französischen Berichten über die Industrieausstellung kaum gedacht. Er erhielt nur ein Winkellob, das in einem Postskriptum nachhinkt, und auch dieses nur, um, wie jene Berichterstatter selbst sagen, »ihre Unparteilichkeit zu zeigen«. Das ist eine schöne Gerechtigkeit, die sich zum Verdienste anrechnet, nicht alles Unrecht getan zu haben, was ihr freigestanden.

Ein kalligraphisches Werk fand großen Beifall, nämlich eine auf einem Imperialfoliobogen geschriebene französische Charte. Die Schrift gleicht dem schönsten Drucke, ist aber auch nicht schöner, so daß sie vom Drucke schwer zu unterscheiden ist. Der Verfertiger hat 101 Tag, täglich vier Stunden, auf das Werk verwendet, und er bemerkt: der ganze Hof habe diese Charte (nämlich die kalligraphische) mit Wohlgefallen betrachtet.

Auch die Papierfabrikanten hatten ihre Fabrikate zur Schau gebracht. So viel mich meine eigene Erfahrung gelehrt, ist das Papier, welches man gewöhnlich zu Briefen und zum konzipieren braucht, in Paris nicht besser und nicht wohlfeiler als in Deutschland. Das zum Drucke bestimmte Papier aber (Druckpapier darf es nicht genannt werden, weil solches, das man in Deutschland so nennt, hier nur an den Volksbüchern von den niedrigsten Preisen gesehen wird) ist anerkannt in Deutschland geringer [153] und teurer als in Frankreich. Man möchte wohl wissen, woher das kömmt. An dem rohen Materiale zum Papiere fehlt es in Deutschland gewiß nicht 1; welche andere Verhältnisse sind es also, die dort auf diesen wichtigen Zweig der Industrie nachteilig einwirken? Die deutschen Fabriken sind nicht einmal imstande, den nötigen Bedarf zu liefern, und obzwar aus Frankreich und der Schweiz viel Papier eingeführt wird, hört man dennoch oft die deutschen Buchhändler klagen, daß sie beim Drucke ihrer Werke oft durch Mangel an Papier aufgehalten würden. Sollte dort wohl der starke Kanzleiverbrauch am Papiermangel schuld sein? Dieses ist wohl möglich, ja es ist wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß ein verwickelter Kriminalprozeß, der in Frankreich innerhalb drei Monate geendigt wird, in Deutschland erst nach drei Jahren zur Entscheidung kömmt und daß dort Papier und Zeit, Schreiben und Leben synonyme Wörter sind ... Unter den übrigen ausgestellten Schreibmaterialien bemerkte man eine Sammlung Siegellacke von allen möglichen Farben, weißes sogar. Diese Produkte müssen wohl ihren Wert haben und Aufmunterung verdienen, da deren Fabrikant bei der vorletzten Ausstellung die Ehrenmedaille bekommen hat. Dann sah man durchsichtiges Siegellack, das zur Versiegelung von Flüssigkeiten, die man gegen Verfälschung sichern will, empfohlen wurde, durchsichtige Oblaten, und Oblaten »à camées»'. Nämlich auf länglichtrunden Oblaten aller Farben sind weiße erhabene Figuren kameenartig angebracht. Diese werden nicht unter, sondern auf dem Papier geklebt. Eine schöne Erfindung! Bei der großen Mannigfaltigkeit von antiken Kameen, die zu Abgüssen benutzt werden können, wird sich für [154] gemütliche Briefe immer eine entsprechende Figur finden, das Herz des Empfängers auf den Inhalt vorzubereiten. Für 30 Sous kauft man eine Schachtel solcher Oblaten, die vom Sonntage bis zum Sonnabende der Liebe und überhaupt für alle schönen Verhältnisse des Lebens ausreichen.

Endlich ist hier der Buchbinderarbeiten mit dem größten Lobe zu gedenken. Was man nur fordern kann, Bequemlichkeit, Dauerhaftigkeit, Geschmack und gelegentlich auch Pracht des Einbandes findet sich vereinigt. Thouvenin, der ausgezeichnetste Buchbinder in Paris, hat in dieser letzten, wie in der vorigen Exposition eine Medaille erhalten. Die Preise des Einbandes steigen von 30 Sous bis zu 20 Franken. Es würde viel dazu beitragen, die schwache Neigung für Bücher, die man in Deutschland unter manchen Menschenklassen findet, zu verstärken, wenn die Buchbinderei, die sich dort in einem sehr schlechten Zustande befindet, verbessert würde. Es wäre aber sehr leicht, eine solche Vervollkommnung herbeizuführen, indem man die deutschen Buchbindergesellen veranlasse, ihr Handwerk in Paris auszulernen. Ein hier wohnender deutscher Buchhändler hat mir erzählt, daß er einen der letzten Teile des Konversationslexikons, dessen frühere Teile er gebunden aus Deutschland mitgebracht, hier gleichförmig habe wollen binden lassen, aber nur mit der größten Mühe einen deutschen Winkelbuchbinder ausfindig gemacht habe, der es verstanden, jene schlechten Muster treu nachzuahmen.

3. Mechanische Künste

Eine große Menge, teils ausgeführter, teils modellierter landwirtschaftlichen Werkzeuge bringen demjenigen, der in solchen Dingen keine nähere Kenntnis hat, wenigstens den Gedanken bei, daß die notwendigsten Ackerbaugerätschaften wohl keiner Vervollkommnung fähig sein [155] mögen, da der Pflug aus den Zeiten Hesiods und Virgils dem heutigen fast ganz gleich kam. Eine Handmühle, mit welcher eine Person in jeder Stunde zwanzig Litres Getreide mahlen kann, schien mir das Werk verbesserter Einrichtung zu sein. Sie kostet 200 Franken; und eine für zwei Personen, die stündlich vierzig Litres mahlt, kostet 300 Franken. Feuerspritzen, sonstige Löschgerätschaften wie auch sehr zweckmäßige Rettungsmaschinen waren in Menge zu sehen; doch habe ich unter letztern keine bemerkt, die nicht in Deutschland auch schon bekannt, wenigstens vom Hauptmann Neander in Berlin in Vorschlag gebracht worden wären. Nur war hier deren Gebrauch anschaulicher gemacht, da sie mit dem Modell eines Hauses in Verbindung gesetzt waren ... Wer Schneiders griechisches Lexikon besitzt, kann sich erklären, was »voiture ologyre« heißt, wie man überhaupt ohne gründliche Kenntnis der griechischen Sprache sehr viele ausgestellte Sachen gar nicht verstehen konnte. Das Modell zu einem Transportwagen für Findelkinder machte einen rührenden Eindruck. In einem langen bedeckten, mit Windladen versehenen Wagen waren zwei Reihen Hängematten von Packleinewand, denen in Seeschiffen gleich, angebracht und zur Aufnahme der armen Würmchen bestimmt. Es ist nämlich zu wissen, daß in Paris, wo alles im Großen und fabrikmäßig getrieben wird, eigene Postwagen für Ammen und Findelkinder eingeführt sind, die täglich zur bestimmten Stunde abfahren und welchen man auf den Landstraßen oft begegnet ... Das Modell einer Normalküche war appetitlich anzusehen. Nicht weniger als funfzig Speisen können darin gleichzeitig gekocht werden ... Ein anderes Modell zu einem Amphitheater für chirurgische Operationen war nach einer vortrefflichen Idee ausgeführt. Freilich kann man die Schauspieler auf solchen Bühnen nicht völlig zufriedenstellen: aber für die Bequemlichkeit der Zuschauer [156] ist auf das beste gesorgt. – Das neuerfundene »Instrument destiné à remplacer les sangsues« kenne ich nur aus der gedruckten Anzeige. Wenn es seine Bestimmung erfüllt, ist es von national-ökonomischer Wichtigkeit und kann, allgemein eingeführt, große Ersparnisse in den Staats- und Privathaushaltungen bewirken.

Der rühmlichst bekannte Mälzl aus Wien, k.k. österreichischer Hofmechaniker, der seit mehreren Jahren in Paris lebt und durch seine Metronomen mit deutscher Beharrlichkeit dafür sorgt, daß die Franzosen im gehörigen Takte bleiben, hat nicht bloß diese seine bekannten Taktmesser, sondern auch weibliche Puppen zur Schau gestellt, die jede unter einer Glasglocke still und bescheiden auf kleinen Stühlchen sitzen und in verschiedenen Landestrachten gar herrlich geputzt sind. Aber nicht bloß in ihren schönen Gesichtern und Kleidern besteht ihr Wert, sondern darin, daß sie sprechen können. Sie können ja und nein ganz hörbar sagen. Die Franzosen machten sich über diese Wortkargheit lustig und wollen daraus auf eine gewisse Geistesarmut schließen; aber die leichtsinnigen Spötter vergessen, daß selbst den geistreichsten Staatsmännern, welche die größten Dinge zustande bringen, es selten gelingt, ja oder nein deutlich auszusprechen. – Bedeutender als jene weiblichen Puppen ist ein männliches Puppenspiel, das einer der ersten Pariser Mechaniker verfertigt hat; nämlich ein vollständiges Regiment französischer Lanzenreuter, die mit Pferden und Waffen alle Bewegungen der menschlichen Lanziers machen und deren Trompeter ganz gehörig dazu blasen. Der kleine Herzog von Bordeaux hat dieses Spiel am vorigen Weihnachtsfeste von seinem königlichen Großonkel zum Geschenke erhalten, und der Hof war so gefällig, es zum Vergnügen des Publikums in die Exposition zu schicken. Unglücklicherweise aber habe ich das Kunstwerk nicht in Tätigkeit gesehen, denn es [157] war immerfort von einer solchen Menschenmenge umgeben, daß ich mich nicht durchdrängen konnte. Habe ich das große Wunder nicht erblickt, wie man aus Maschinen Menschen macht, so tröste ich mich damit, daß ich schon ein größeres Wunder gesehen.

Von den vielen ausgestellten Uhren will ich nur zwei erwähnen. Das Werk der einen war in einem von vergoldeter Bronze schön skulptierten Blumenkorbe ganz versteckt, und die jezeitige Stundenzahl zeigte sich im Kelch einer halbgeöffneten Rose. Deutsche Bonbonsdevisen versichern: »Zeit bringt Rosen«; hier aber sind es Rosen, welche die Zeit bringen. Das andere Uhrwerk ist sehr kunstreich in einem zollangen Zeiger angebracht, so daß der Zeiger sich selbst treibt. Dieser Uhrzeiger oder diese Zeigeruhr kann, ohne weitere Vorrichtung, an jeder Wandfläche, auf welcher man ein Zifferblatt malt, angebracht und davon wieder abgenommen werden. Schon im vorigen Winter sah man diesen Uhrzeiger an einer Spiegelfläche der französischen Oper, auf welcher man den Stundenkreis gezogen, in Bewegung. Die Uhr zeigt sowohl Stunden als Minuten und ist von überraschender Wirkung. – Wer in seinem Zimmer ganz gemächlich den Lauf der Welten beobachten will, der konnte sich in der Exposition Planetarien nach Belieben auswählen. Man sah sehr große von Holz und auch kleine, zierlich von Metall verfertigte, die man unter einer gewöhnlichen Penduleglocke bergen konnte. Mehrere astronomische Uhren versprachen viel; wer nur die Geduld hätte, abzuwarten, ob sie Wort halten! Sie wollen alle Veränderungen in der Zeitlichkeit anzeigen; Stunden, Minuten, Sekunden, den Wechsel der Jahreszeiten, den Lauf des Mondes, den täglichen Auf- und Untergang der Sonne, und ein Zeiger übernahm sogar die verwegene Verpflichtung, alle vier Jahre den Schalttag in Erinnerung zu bringen.

[158] Die ausgestellten Schlosserarbeiten zeigen, daß dieser Zweig der Industrie in Paris zu großer Vollkommenheit gebracht worden. Man sieht die schönsten und zweckmäßigsten Werke, und das Eisen ist so vortrefflich poliert, daß man es mit Stahl verwechseln könnte. An hundert Arten von Sicherheitsschlössern hat der Argwohn allen seinen Witz verschwendet. Schön und kostbar verzierte Geldkoffer möchte man wieder in andere Koffer einschließen, um sie reinlich zu haben. Eiserne Fingerringe gegen Migräne und zur Beförderung des Blutumlaufs, uns ehrlichen Deutschen unter dem Namen Gichtringe längst bekannt, wurden hier als eine neue Erfindung angepriesen. Bratspieße, die sich »nach kosmischen Gesetzen« bewegen, sind so nährend als belehrend. In einem von kostbarem Holze verfertigten Kasten sah man eine vollständige Sammlung aller für Schlosser nötigen Handwerkszeuge, auf das Zierlichste gearbeitet. Auf einer messingnen Platte las man die Worte eingegraben: »offert au roi pour le duc de Bordeaux.« Wem fiele hierbei nicht der unglückliche Ludwig XVI. ein, der für Schlosserarbeiten eine so leidenschaftliche Liebhaberei hatte? Daher ist es wahrscheinlich, daß die Gabe nicht angenommen worden.

In den Zimmern, welche die mechanischen Werke ausfüllten, sah man auch eine große Menge Zeichnungen und Grundrisse zu Bauwerken, die teils wegen der Wunderlichkeit des Plans, teils darum einen komischen Eindruck machten, weil die unglücklichen Planmacher nie dazu kommen konnten, ihre Entwürfe auszuführen. Der eine wollte schon unter Ludwig XVI. eine Brücke bauen; da trat die Revolution dazwischen. Ein anderer wollte während der Revolution einen Tempel bauen; da kam die Usurpation und verhinderte. Ein dritter wollte während der Usurpation ein Theater aufführen; da sprach die Restauration: Halt! – und so wurde den armen Schelmen, [159] so oft sie in den Tempel des Ruhmes eintreten wollten, die Türe vor der Nase zugeschlagen. Unter andern war das Modell einer Säule zu sehen, die ein Baukünstler zum Denkmale an die Rückkehr Ludwigs XVIII. in Vorschlag brachte. Die Säule war der auf dem Vendômeplatze gleich; nur hatte der Künstler die Neuerung an gebracht, daß sie von ebenso vielen Fenstern, als das Jahr Tage hat, nämlich von 365, durchbrochen werden sollte. Ein guter Gedanke! Schade nur, daß dann kein Platz für die Mauersteine übriggeblieben wäre. Diese Glassäule wollte der Planmacher auf der Stelle errichtet sehen, wo der unter Napoleon begonnene und unvollendet gelassene Arc de Triomphe de l'Etoile steht, den man, Platz zu gewinnen, niederreißen sollte. Napoleon hatte diesen Siegesbogen der aus Rußland zurückkehrenden Armee bestimmt, und die jetzige Regierung ging immer mit dem Gedanken um, ihn abbrechen zu lassen. Kaum hatte jener Baukünstler sein Modell aufgestellt, als im Moniteur eine königliche Verordnung erschien, welche den Arc de Triomphe de l'Etoile auszubauen befahl. Es ist nämlich nach Beendigung des spanischen Krieges beschlossen worden, das siegreiche französische Heer zu belohnen, und zwar, was Feldherrn und Oberoffiziere betrifft, die wußten, was sie taten, klassisch – mit Orden, Beförderungen, Dotationen und andern soliden Dingen; was aber die Gemeinen betrifft, die ohne Kritik der reinen Vernunft, bloß körperlich in das Feuer gegangen, romantisch – indem ihnen zugedacht worden, unter jener Triumphpforte in die Stadt Paris einzuziehen. Den armen Planmacher also hat das neckische Schicksal wiederum geprellt.

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4. Kleidungsstoffe, Kleidungsstücke und Putzwaren

Bei den alten Spartanern waren Könige, Magistratspersonen und die Bürger der niedrigsten Stände auf gleiche Art gekleidet. Sie trugen eine kurze Tunika von grober Wolle, darüber einen Mantel, Sandalen zur Fußbedeckung, und auf dem Kopfe eine Mütze, die unsern Nachtmützen glich; doch schläferig waren sie nicht, jene Spartaner! Man hätte wohl gewünscht, bei seinen Besuchen im Louvre ein solcher spartanischer Mensch zu sein, um sich umso stärker verwundern zu können und alle die Herrlichkeiten mit so größerer Freude zu betrachten. Ganz gewiß wären die Könige Leonidas und Agesilaus dort vor hundert Dingen überrascht stehengeblieben, an welchen jetzt selbst der ärmste Schelm mit Gleichgültigkeit vorübergeht. Hier wäre der Ort, etwas gegen die Üppigkeit in Kleidungen zu eifern; aber mich schreckt ein französischer Schriftsteller, der neulich die Gegner des Luxus »les Jansénistes de la fabrication« gescholten. Einen guten Flötenspieler hat man vor einigen Tagen »le Racine de la flûte« genannt, und aus diesen zwei Beispielen kann man sehen, daß wir Deutsche auf unsere gefrorene Musik gar nicht stolz zu sein brauchen. Das, was unter Stoffen und Zeugen meinem ungebildeten Sinne merkwürdig geschienen, will ich kurz erzählen. Die Zeuge wären eigentlich nach der Art ihrer Grundstoffe einzuteilen; es herrscht aber an sehr vielen eine so verwegene Mischung von Wolle, Baumwolle, Seide, Leinen und Ziegenhaaren, die Mesalliancen zwischen Kette und Einschlag sind so häufig, daß eine Absonderung nach Geburt und Herkunft gar nicht möglich war. Es ist bequemer, jene Zeuge am menschlichen Körper selbst zu betrachten – an diesem Sammelplatze ihrer Bestimmung, an diesem Abgrunde aller erschaffenen Dinge, an [161] diesem reißenden Tiere, das, schlimmer als der Wolf, das Schaf mit der Wolle verzehrt. Gegen die logische und anatomische Einteilung des Fabrikwesens in Kopf, Leib und Fuß wird niemand etwas einzuwenden finden. Was die Shawls betrifft, sollen diese in einem besonderen Kapitel abgehandelt werden. Es geschieht so, um das religiöse Gefühl der Weiber zu schonen, welche die französischen Shawls nicht zu den irdischen Dingen zählen, sondern zu den himmlischen.

Kleidungsstoffe. – Die Franzosen haben es noch nicht dahin gebracht, die französische Wolle besser als die sächsische zu finden. Das gereicht ihnen zur Ehre. Auffallend ist nur, daß sie, ohne alle Rücksicht auf den Rheinbund und auf den Deutschen Bund, die sächsische Wolle immer noch »laine électorale« nennen und daß sie sagen: »les laines des troupeaux de l'Électeur«, als wären alle sächsischen Schafe Eigentum des Landesfürsten ... Feine deutsche Herren, welchen das Tuch in Deutschland nicht teuer genug ist, können sich in Paris blaues Tuch zu 90 Fr. und schwarzen Kasemir zu 34 Fr. die (französische) Elle kaufen ... »Etoffes écossaises à carreaux, dont l'usage est excellent contre le froid et la pluie; elles sont d'ailleurs légères et solides.« Dieses Zeug benutzen Schottländer und Schottländerinnen zu ihren Plaids. Freunde der Scottschen Romane werden ihn zu schätzen wissen ... »Drap mousseline«, ist wegen seiner Leichtigkeit zu Amazonenkleidern und Frauenmänteln dienlich ... Spitzengarn aus phormium tenax, einer in Neuseeland einheimischen Leimpflanze bereitet, ist ein neues Fabrikat ... Ein Atlaszeug, auf der einen Seite weiß, auf der Kehrseite rosenrot, hat mich frappiert. Da die Farben nicht durchscheinen und sich nicht wechselseitig nuancieren, muß diese Zweideutigkeit nur gemacht worden sein, um den Launen des Windes zu schmeicheln .... Gewebe von Eiderdunen, zur Fütterung und Garnierung [162] für Frauenmäntel, sind teurer als Pelz, also auch schöner ... Köchlin aus Mühlhausen, der erste Kattunfabrikant in Frankreich, hat – nichts zur Ausstellung gebracht. Der Chef des Hauses sitzt seit sechs Monaten im Kerker, zur Strafe, daß er ein Fabrikgeheimnis der geheimen Polizei verraten.

Kopfbedeckungen. – Die notwendigste, schönste und wohlfeilste Kopfbedeckung bilden die Haare. Wem die Natur diese Gabe versagt, oder wer sie verlebt oder verscherzt, der muß zu Perücken seine Zuflucht nehmen. Im Louvre waren sie in Menge und Mannigfaltigkeit zu finden. Oberflächliche Beobachter, die nicht nachdenken, mußten sich gewundert haben, dort eine so große Zahl Friseurs zu sehen, deren Erwerbszweig ja von gar keiner nationalökonomischen Wichtigkeit ist und die mit ihrer breiten, marktschreierischen und prunkenden Ausstellung andern Fabrikanten Raum, Ohren und Augen wegnahmen. Wir Publizisten aber wußten uns das zu erklären. Die Pariser Haarkünstler nämlich sind nicht in der großen Welt, aber in der hohen sehr beliebt wegen ihrer musterhaften Gesinnung. Frau von Staël hat in ihrem vortrefflichen Werke über die französische Revolution zu bemerken vergessen, daß bei der Bestürmung der Bastille sich nicht ein einziger Friseur befunden. Damals kamen mit den Brutusherzen auch die Brutusköpfe auf, welchen die Perückenmacher nicht gewogen sein konnten, und sie sind daher immer treue Anhänger des Zopfregimes geblieben. Die Pariser Friseurs sind noch aus einem anderen Grunde beliebt. Sie kommen in alle Häuser und Familien, und zwar in den echt kritischen Stunden: bei Männern des Morgens, bei Frauen zur Toilettenzeit, wo man bei diesen und jenen Zunge und Herz im Negligé findet; sie er fahren also viel; sie wissen also viel zu erzählen; sie sind also angenehme Gesellschafter; sie wissen sich also bei allen bedeutenden Männern einzuschmeicheln, [163] welchen, ihrer anstrengenden Berufsgeschäfte wegen, jede Zerstreuung eine Wohltat ist; sie wurden also von der Polizei, die in Frankreich wie überall die Regierung regiert, begünstigt; sie konnten sich also im Louvre nach Wunsch ansiedeln und ihre Waren breit auskramen. Darunter sah man: Perruques pylogènes, für Professoren der Philologie bestimmt; perruques imperméables, für solche beschäftigte Männer, die von lästigen Wahrheiten nicht beunruhigt werden wollten. Des Haarkünstlers Allix müssen wir mit Auszeichnung gedenken. Dieser würdige Mann schmückt die Köpfe nicht bloß von außen, sondern auch von innen; er ist Philosoph, Arzt und Naturforscher. Es gibt nichts Belehrenderes als den Prospektus, den er austeilt. Nachdem er die Geschichte der Perücken mit philosophischem Geiste abgehandelt, sagt er: »Es gibt sehr viele Männer, welchen Perücken nottun, die aber dennoch lieber, als sie solche trügen, ihren Kahlkopf dem Ungestüme der rauhesten Witterung preisgeben; denn die auf hergebrachte Weise verfertigten Perücken machen ihnen Kopfweh, Schwindel, Beängstigung. Ich habe hundert Versuche gemacht, wie diese Reizbarkeit zu schonen sei, ich habe nach dem Beispiele des berühmten Michalon Gipsköpfe gegossen und ihnen meine Perücken angepaßt – doch alles vergebens! Da kam mir in den Sinn, die Anatomie des Kopfes gründlich zu studieren. Ich muß gestehen, daß die Vorstellung des Zergliederns anfänglich alle meine Gefühle in Aufruhr brachte; aber ich dachte an die leidende Menschheit und überwand meinen Abscheu. Die Schläfe ist derjenige Teil des Kopfes, den ich mit der größten Sorgfalt untersucht habe; ihre äußerst große Empfindlichkeit machte mich stutzen.« Herr Allix erzählt nun, wie ihn der Lauf der Schläfarterien und Venen belehrt habe, daß der Druck der Perücken auf diese Stellen die Kongestionen nach dem Kopfe [164] verursachte; er habe durch ein neues Verfahren diesem Mißstande abgeholfen. Hiermit noch nicht zufrieden, fährt der Haarkräusler fort: »Ich will jetzt eine Anatomie des Kopfes geben, die ich nach Sabatier studiert.« Diese folgt im Prospektus in sechs Kapiteln: Description de la tête; du Crotophyte ou Temporal; de l'Occipito-Frontal; des artères et veines; artère temporale; de la veine temporale ... Wer durchaus in den Tartarus will, der tut wohl, sich französischen Spitzbuben anzuschließen; ich kann mir nicht denken, daß diese viel zu leiden haben werden. Sie sind so lieb in ihrer Schelmerei, daß Minos selbst wird lachen müssen.

Von andern Kopfbedeckungen sind der Herrenhüte von Ziegenhaaren zu gedenken, der chapeaux imperméables en tissu de soie und der türkischen Mützen. Letztere werden hier als etwas Neues angepriesen; aber in Wien sind sie wie noch viele andere türkische Artikel schon längst Mode. Den Frauen gefiel eine neue Art Hutfedern von Fischbein, das Schönste, was sich in dieser Art nur denken läßt. Blumen von Wachs und Gaze sind bekannt. Von diesen Blumen werden in Paris von zweitausend Menschen jährlich für mehrere Millionen Franken verfertigt, die man über ganz Europa und Amerika verbreitet. Frauenhüte mit Geierfedern schien mir ein allzu wilder Schmuck.

Leibbedeckungen. – Roben von »tissu circulaire« waren eine auffallende Erscheinung. Sie haben keine Naht und gehen aus den rauhen Händen des Webers ohne Aufenthalt in die zarten der Schönen über. Wehe den Frauenschneidern! Nur noch zwei Schritte auf diesem Wege, und ihre ganze Kunst ist entbehrlich geworden ... Die Korsetts der Madame Meier gewannen sich tausend freundliche Blicke. Sie hätten so viel »grâce«, diese Korsetts, sagten sie; und dann lächelten sie und schwiegen ... Ternaux lieferte wollene Jupons ohne Naht [165] von »tricot circulaire«. Sie kosten nur 2 Fr. 25 C. und dennoch sprach man mit der größten Hochachtung von ihnen. Der Weberstuhl webt in jeder Minute 10920 Maschen an diesem Zeuge ... Spitzen und Blonden sah man, daß einen die Augen übergingen. Blonden, viermal gewaschen, er schienen so jung und frisch wie Hebe, wenn sie aus dem Bade steigt. Eine lebensgroße weibliche Wachsfigur in einem Glashause war ganz in Spitzen gekleidet. Sie saß auf einem Stuhle, rührte sich nicht und sprach kein kluges Wort; aber ihr Putz war zwanzigtausend Franken wert, und sie wurde beneidet ... Stammler von Straßburg verfertigt Herrnwesten von Metallgespinst, aus Stahl oder Silberdraht. Die Maschen sind sehr eng, und Amor muß sich spitzere Pfeile schmieden lassen, will er ein so umpanzertes Herz verwunden.

Fußbedeckungen. – Die unglücklichen Pariser Frauen sind verdammt, an den Festtagen der Eitelkeit in Spitzenstrümpfen zu erscheinen, die nichts anderes sind als eine künstliche Epidermis. In unserem Vaterlande sind Schnupfen und andere Erkältungen wohlfeiler zu haben. Herrn tragen schwarzseidene durchbrochene Strümpfe, daß man sich schämt, solch einem seidnen Geschlechte anzugehören. Loben wir dagegen die zarten weichen Socken, die man im Bette trägt. Die eiteln Pariser bilden sich ein, sie wohnten unter einem südlichen Himmel, und sie leben darnach. Die Zimmer, oft der vornehmsten Häuser, sind mit Stein gepflastert, in den Schlafzimmern selbst vieler reichen Leute findet man keine Federdecken, und zarte junge Herren, die im geheimen frieren, schlafen wie Krieger im Feldlager unter ihren Mänteln. Deutsche Reisende in Paris, die jenen Ausweg noch nicht gefunden, leiden viel in den Hotels; wären auch die Flüsse gefroren, man gibt ihnen nur ein leichtes Deckchen, als hätten sie den Vesuv im Leibe. Die erwähnten Bettsocken, die ihre Wärme sympathetisch [166] weiter verbreiten, sind daher eine sehr wohltätige Erfindung ... Strümpfe aus Kaschmirgewebe habe ich zu sehen und zu betasten versäumt ... Bas jarretières, so genannt,»parceque ces bas ceignent la jambe jusqu'au dessus du mollet, où ils sont retenus par la seule force de l'éstaticité de la maille«, sind gesunde Strümpfe. Gut ist es aber doch, daß man diese Erfindung nicht einige Jahrhunderte früher gemacht. Kein Strumpfband wäre dann verloren gegangen; kein König hätte in seiner Machtvollkommenheit gerufen: Hony soit qui mal y pense! kein Kniebandorden wäre entstanden, und – hundert unbelohnte Tugenden gingen kümmerlich durch die Welt.

Die heuchlerische Kunst, den Fuß zugleich zu zeigen und zu verbergen, ist in Paris zur höchsten Vollkommenheit gebracht. Ihr dürft es einem unparteiischen deutschen Manne glauben: die deutschen Schuhe, auch die besten, können sich selbst mit den gewöhnlichen Parisern nicht vergleichen. Die letztern haben einen Schmelz, einen Anhauch, ein Etwas, ein Nichts – nur der Pinsel eines Malers könnte das anschaulich machen. Frauenzimmer, wenn sie über die schmutzige Straße gehen, schnallen unter die Schuhe»socques articulés« an, auch »Sous-chaussures imperméables et flexibles« genannt. Es ist eine hölzerne, aus mehreren Teilen bestehende Sohle, deren Glieder von zarten messingnen Bändern zusammengehalten werden. Man muß aber behutsam damit auftreten, denn der kleinste Fehltritt macht das Gleichgewicht verlieren ... Bei nassem Wetter trägt man souliers imperméables, die kein Wasser durchlassen. Wären Sie, liebe Leserin, eine Stunde nach der Sündflut vom Berge Ararat hinab in die Ebene spazieren gegangen, es wäre Ihnen dennoch kein Fuß naß geworden! Treten Sie an den Laden des Herrn Jabot. Sehen Sie das zierliche Becken mit Wasser gefüllt? Schon drei Wochen schwimmt [167] ein impermeabler Schuh wie ein Nachen darin herum, und, fühlen Sie selbst, er ist nicht im mindesten feucht geworden! Ich hatte das süße Unglück, mit einer jungen Dame vor dem Laden des Herrn Jabot zu stehen. Fünfzig Minuten wurden die Schuhe bewundert, fünf Minuten kritisch untersucht und fünf Minuten darum gefeilscht. Die Dame fragte nach dem Preise. Zehn Franken, sagte Herr Jabot. »In einem anderen Laden – erwiderte die Dame – wurden mir impermeable Schuhe für sechs Franken angeboten.« ... Ihr habt noch nie eine Löwin gesehen, der man ihre Jungen geraubt; aber ihre Wut habt ihr in tausend Gedichten beschrieben gelesen. So wie jene Löwin zeigte sich Herr Jabot, als ihm gesagt worden, daß noch ein anderer Schuhmacher impermeable Schuhe verkaufe. »Comment? – rief er aus – Ceux qui vous disent que ce sont des souliers imperméables, sont des charlatans; il n'y a que mois dans l'Europe qui fait de ces souliers; c'est de mon invention, car il faut être chimiste, et vous savez que les cordonniers ne le sont guère.« So sprach der Schuhmacher Jabot!

5. Shawls. Kaschmirs

Im Saale voll Pracht und Herrlichkeit,

Schließt Augen euch; hier ist nicht Zeit,

Sich staunend zu ergötzen!


Nicht euch ruf ich an, ihr Musen; denn ihr erhört die Gebete nicht, die man erst in der Bedrängnis an euch wendet. Aber mein harter Sinn blieb den Kaschmirs immer verschlossen; immer ging ich mit trocknen Augen, trägem Blute und matten Atemzügen an ihnen vorüber, und darum ist jetzt, da ich sie preisen möchte, mein Herz leerer als eine Zisterne in heißen Tagen, und meine Zunge ist eine Bettlerin. Du aber, alte Zauberin Natur, kannst du mir Jahre, Bart und Weisheit nehmen, kannst du mir Jugend, Schönheit und Leichtsinn geben – so tue [168] es! Doch du kannst es nicht; dein Stab ist gebrochen, und du auch hinkst an der Krücke des Gesetzes deinen Weg. So bleibt mir nichts übrig, als von den herrlichsten Wesen der Schöpfung statistisch zu sprechen und so trocken und dürre, als wäre von Völkerglück die Rede. Hast du aber ein Herz, liebe Leserin, nicht bloß für deine eigene Lust, sondern auch für anderer Not, so wirst du es nicht mit Gleichgültigkeit erfahren, daß der Kaschmir, den du trägst, das Auge mancher weinenden Mutter getrocknet. Die Göttin der Eitelkeit hat noch keinen Namen – nenne sie Ceres; denn sie ist es, die den Hungrigen Brot gibt.

Erst vor 21 Jahren fing man an, in Frankreich Kaschmirs zu verfertigen, und in so kurzer Zeit hat man es dahin gebracht, diese Arbeiten an Güte den orientalischen gleich zu machen. Es wird behauptet, daß sich die Kaschmirziegen in Frankreich vervollkommnet hätten. Der Fabrikant Hindenlang spinnt die Kaschmirhaare bis zu Nr. 210, nämlich zwanzigmal feiner als das asiatische Gespinst, das über Rußland nach Europa kommt. Schon bis Nr. 190 enthält das Pfund Gespinst 109250 Ellen. Isot und Eck, andere Fabrikanten, verkaufen die Kaschmirshawls um 30 Prozent wohlfeiler als die asiatischen, und sie erbieten sich, wenn man ihnen die Hälfte eines indischen Shawls gibt, die andere Hälfte hinzuzuweben, ohne daß man den Unterschied merken solle. Ajac von Lyon verfertigt seit 1815 Shawls von Flockseide, den Kaschmirs mit großer Täuschung nachgeahmt. Dieser Fabrikant hat den neuen Erwerbszweig so ausgedehnt, daß er im Jahre 1822 für 300000 Fr. Flockseide kaufte; daß er gegenwärtig 310 Stühle verwendet, 730 Arbeitsleute beschäftigt und jährlich für 1200000 Fr. Waren verkauft, deren größter Teil in das Ausland geht. Die Fabrikation der flockseidnen Shawls ist in acht Jahren so schnell in Flor gekommen, daß die Stadt Lyon allein [169] 4000 Arbeiter dazu beschäftigt, die auf 1800 Stühlen jährlich für 5400000 Fr. Waren liefern. – Vielleicht fragst du mich, kaschmir- und wißbegierige Leserin, warum wir Deutsche nicht auch so schöne Sachen verfertigen können wie die Franzosen? Ich will dir erklären, woher das kommt. Dumme Leute haben das Glück, und die Franzosen sind dumm. Denk dir nur, liebes Kind, dieses Volk ist noch so ungebildet, daß es nicht einmal Zünfte und eine Zensur hat; so roh, daß unter ihnen Leute ohne alle Herkunft Minister werden können; so dumm, daß sie die wichtigsten Prozesse öffentlich verhandeln, eine Jury haben und sogar – ich lüge nicht, Mädchen – Juden mit Bürgerrechten! Dieses Volk ist so einfältig und in den ernsthaftesten Dingen so leichtsinnig, daß es einen Louvel, einen Königsmörder, in weniger als vier Monaten aburteilt, da doch die gelehrtesten Juristen anderer Völker darin übereinstimmen, daß man nur zur gründlichen Untersuchung einer erstochenen Fledermaus wenigstens vier Jahre brauche. Aber die dummen Franzosen haben das Glück und werden reich, während andere verständige und tugendhafte Völker es zu nichts bringen. Ja, was noch am wunderlichsten ist: die Franzosen haben ihre Kaschmirs und tausend andere schöne Sachen nur an ihren Feierabenden erfunden und verfertigt; denn von Tagesanbruch bis es dunkel ward, mußten diese geplagten Leute die Welt erobern! Aber was kümmert dich das? Sei froh, Mädchen, daß du kein Mann bist und an nichts anderes zu denken brauchst, als wie du jeden Abend deinen Kaschmir genau in die alten Falten zusammenzulegen hast.

Ternaux' scharlachrote Kaschmirs à la Sylla – (so genannt, weil Talma als Sylla in der Tragödie gleichen Namens zum ersten Male einen solchen trug) – sind sehr schön und viel besser als der Sylla Roms und Jouys. Ternaux hat einen Kaschmir ausgehängt, der 5000 Fr. [170] kostet. Ich konnte ihn nicht zu sehen bekommen, weil er sechs Wochen lang, vom Morgen bis Abend, von andächtigen Zuschauerinnen umstellt war. Einen anderen Kaschmir des nämlichen Fabrikanten habe ich gesehen, der aber nur 1500 Fr. kostet. Er ist weiß, hat eine einfache Bordüre und ist so wenig glänzend, daß ihn gewiß keiner kaufen würde, wenn er wohlfeiler wäre; solchen Dingen gibt der Preis den Wert. Ein schönes Kind von vierzehn Jahren, das ich begleitete, nahm den Kaschmir in die Hand, wog ihn und rief: »Wie leicht! ach wie leicht!« – »Leicht?« erwiderte ich. »Nein, gutes Kind, er ist nicht leicht, er ist sehr schwer. Versuch es, stell' dich auf den Markt der Eitelkeit, nimm eine Waage in die Hand, lege in die eine Schale diesen Kaschmir, in die andere Tugend, Schönheit, Treue, häusliches Glück, Mutterliebe und alle die andern Gewichte, die das Räderwerk des Menschenlebens hemmen oder in Bewegung setzen – und du wirst sehen, wie schwer der Shawl ist!« Das liebe Kind verstand mich nicht. Möchtest du das nie verstehen lernen, Amalie!

6. Möbel. Zimmerverzierungen

Die schönsten Tischlerarbeiten hat, allgemein anerkannt, Werner geliefert, ein Deutscher. Wie die Katzen sind die französischen Berichte um diesen heißen Brei herumgegangen. Leugnen konnten sie nicht, daß ein Ausländer die Franzosen übertroffen; aber eingestanden haben sie es auch nicht. Sie gebrauchten die Wendung: Werner wäre seit einigen Jahren in Paris etabliert, in dieser allgemeinen Kunstschule Europens, die jeder besuchen müsse, der sein Talent ausbilden wolle. So schwer fällt es diesen Menschen, einem ausländischen Verdienste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und so leicht machen es die verrückten Liberalen denen, welchen daran gelegen [171] ist, die profane Allianz zwischen Volk und Volk, vor der man zittert, zu verhindern! Werner verfertigt alle seine Möbel von französischem Holze, von Esche, Pappel, Ulme, Erle, Ahorn und Zitronenholz aus der Provence. Dieses macht sie aber darum teurer als die von ausländischem Holze verfertigten, weil bei den letztern es hinreicht, gemeines Holz mit dünnen Platten des kostbaren zu belegen, das französische Holz aber sich zu solcher Plattierung nicht eignet und man daher genötigt ist, die Möbel ganz von diesem Holze zu machen. Werner muß wohl auch außer Frankreich vorteilhaft bekannt sein, denn er arbeitet für den russischen und den bayerischen Hof.

Ein Pariser Tischler ließ sich beifallen, einen Lehnstuhl im Geschmacke des Mittelalters zu verfertigen. Dessen Grundbau ist von Acajou, Eben- und Zitronenholz zusammengesetzt, und an der Lehne sind nicht weniger als 2587 Stücke Perlmutter in verschiedenen launischen Bildungen eingelegt. Der Sitz ist mit silbergesticktem Samt überzogen. Dieser Sessel ist freilich sehr geschmacklos; aber die Kritik hat das ihrige getan, wenn sie den verdienten Tadel ausgesprochen. Doch die Pariser Liberalen sind über diesen Feudalstuhl vor Wut außer sich gekommen. Wie einst Nicolai überall Jesuiten roch, so riechen die Liberalen überall die Contrerevolution. Sie sahen mit prophetischem Geiste in jenem Sessel einen absoluten König sitzen. Das mit Lilien umkränzte gestickte H. bestärkte sie in ihrer Furcht. Sie gingen dem Tischler hart zu Leibe und fragten den armen verblüfften Mann: »Was soll dieser Stuhl? Für wen ist dieser Stuhl? Ist er für den König Dagobert oder für eine Zukunft, die jener Vergangenheit gleichen wird? Sprich, Mensch! Heraus mit der Sprache!« ... Lacht Freunde; aber lacht euch nicht arm! Verwahrt eures Spottes gute Hälfte für die weisen Narren. Im verflossenen Winter [172] vernahm man bei Nacht in einem entfernten Viertel der Stadt ein unterirdisches Getöse. Und alle Pulse der Reinblütigen schlugen heftiger! Und die ganze Koppel der hohen Jagd war attent! Und alle Nachtwandler der Polizei waren aus den Betten! Man glaubte endlich, endlich, endlich die geheime Werkstätte des Komiteedirektors gefunden zu haben. Und was war es? Nichts als ein ehrlicher Pastetenbäcker, der in seinem Keller nächtlicherweile Talmouses gebacken! Doch nein, ich irre mich; es waren Brioches. Sie sind aber beide sehr schmackhaft.

Schön war ein runder Eßtisch mit verborgenem Flötenwerke, das während der Mahlzeit die angenehmsten Stücke spielt. Es wäre sehr zu wünschen, daß man solche Tische in allen deutschen Gasthöfen einführte, damit man die dort grassierenden Tafelmusikanten los würde, die unbarmherzig, erst nach sieben jämmerlichen musikalischen Gerichten, beim Dessert den armen Gästen den Gnadenstoß geben .... An einem andern Tische hing ein Zettel mit den Worten: »Table en bronze, goût du siècle de Louis XIV., exécuté pour Mr. le duc de –« Der Gedankenstrich sollte die Lüge ergänzen, die man nicht auszuschreiben wagte, mündlich aber nannte der Verfertiger den Herzog, der den Tisch so bestellt hatte. Offenbar hatte man ein altes Stück Möbel aufgeputzt; die Franzosen aber stellten sich dumm und als glaubten sie, dieser altmodische Tisch sei bestellt worden, nur um Gelegenheit zu haben, sich über den schlechten Geschmack eines fremden Fürsten lustig zu machen .... Sekretäre, Bettstellen und andere Möbel von lackierten Bleche waren häßlich; aber mit großem Lobe ist einer Badewanne zu gedenken. Man könnte sie eine amphibische nennen, denn sie befriedigt alle Bedürfnisse, die im Wasser und auf dem festen Lande entstehen können. Der Apparat zur Erhitzung des Wassers ist an der Wanne angebracht und wird von dem Badenden selbst in [173] Tätigkeit gesetzt. Das Wasser bleibt sieben bis acht Stunden warm und kann, wenn kalt geworden, wieder warm gemacht werden. Die Wanne heizt zugleich das Zimmer, in dem sie steht. Ein kleiner Ofen, in der Handreiche des Badenden, gibt ihm die Bequemlichkeit, sich selbst sein Frühstück zu bereiten – Kaffee, Tee, Schokolade, Koteletts, oder wozu er sonst Lust hat. Er hat sogar ein Pult, woran er unter dem Baden, ohne das Buch naß zu machen, lesen kann; kurz, man kann in dieser Wanne leben und sterben. Dabei braucht man zur Wärmung dieses Bades nicht mehr als für fünf Sous Brennmaterial. Der Tausendkünstler dieses Badewerks war unglücklicherweise abwesend, als ich es in Augenschein nahm, und ich fand keinen, der mir die Einrichtung erklärte. Wahrscheinlich aber wird das Wasser durch Dämpfe geheizt; denn ich habe lederne Schläuche bemerkt .... Ein neues Billard wird, ich weiß nicht warum, »jeu de la mointoison« genannt. Außer der gewöhnlichen Billardeinrichtung bemerkt man daran labyrinthische bedeckte Gänge für den Lauf der Kugeln und Zahlenreihen, nach Art der Rouletteteppiche. Das Spiel sieht sehr zeitvertreibend aus und kann Menschen, welche die Zeit plagt, empfohlen werden.

Der Tischler Bonjour in Paris bereitet einen Stuck, den er stuc ligneux nennt, womit er alle Holze wie auch Granit, Jaspis, Porphyr und sonstige Marmorarten täuschend nachahmt. Diese Tünche, die der Reibung und den Eindrücken der Witterung widersteht, wird zur Belegung der Möbel und zur Bekleidung der Wände gebraucht. Der Stuck zieht sich so stark in das Holz hinein, daß er nicht mehr davon getrennt werden kann .... Ein anderer macht Steinpappe (carton pierre), die zu allen Arten architektonischer Verzierungen, Kandelabern und zu Abgüssen von plastischen Kunstwerken gebraucht werden kann. Sie ist wohlfeiler als Holz und ausdauernder [174] als Gips. Diese Erfindung ist nicht neu, sondern nur erneuert; denn man hat im Louvre Plafonds aufgefunden, die schon unter Heinrich II., also vor 180 Jahren, verfertigt worden und die mit Steinpappe, welche nicht die geringste Beschädigung erlitten, verziert waren.

Unter den Möbelstoffen bemerkt man durchsichtigen Taffet (taffetas diaphane), zu Fenstervorhängen bestimmt. In der berühmten Fabrik des Herrn Oberkamp in Jouy wird ein durchsichtiger Leinenzeug zu Rollvorhängen verfertigt, die, nach Art der alten Kirchenfenster gezeichnet und gemalt, bei durchfallendem Licht von schöner Wirkung sind.

Fußteppiche. – Neu waren: Zimmerteppiche von Ochsenhaaren und von Pelzwerk. Gefirnißte Teppiche von Wachsleinwand, von jeder beliebigen Größe, ohne Naht und in haltbaren Farben, kosten, ohne Unterschied der mehr oder minder schönen Zeichnung, 15 Sous der Quadratschuh. Diese Decken sind in England sehr gebräuchlich und wurden bis vor kurzem auch nur in diesem Lande verfertigt. Jetzt führt sie Frankreich sogar nach Nordamerika aus .... Die Herzogin von Berry hat einen von ihr selbst gestickten Fußteppich zur Ausstellung hergegeben ... Die königliche Teppichfabrik Savonnerie lieferte für ein Zimmer der Herzogin von Angoulême einen Teppich von den schönsten Zeichnungen und Farben. Ich erinnere mich aber, in den Gebäuden jener Fabrik einen noch schönern gesehen zu haben, der für die Kaiserin Maria Louise bestimmt war. Der früher hier anwesende persische Gesandte hat gesagt, daß in seinem Lande selbst nichts so Schönes gemacht werde. Weil in den Zipfeln des Teppichs Adler angebracht sind, wird er nicht gebraucht, und er liegt in einer Kammer zusammengerollt, um dort zu verfaulen. Vielleicht aber auch nicht; es kommt nur darauf an, wer ausdauernder ist – Frankreich oder der Teppich.

[175]
7. Gasbeleuchtung. Lampen. Kandelabern

Wie das Weib dem Mann gegeben

Als die schönere Hälfte war:

So ist die Nacht das halbe Leben,

Und die schönere Hälfte zwar.


Naturfreunde bemerken, mit Vergnügen, wie in großen Städten das Nachtleben sich immer kräftiger entwickelt. In Paris wird man schon auf zehn Uhr abends zu Spielpartien eingeladen, und superfeine Leute gehen erst um Mitternacht, nach Beendigung der Oper, in Gesellschaft. Schreitet diese schöne Sitte noch etwas vor, so muß es dahin kommen, daß man um vier Uhr morgens in Gesellschaften geht und sich abends um sieben Uhr schlafen legt, und dann wird man leben wie die lieben Landleute. In ihren Mahlzeiten haben es die Pariser schon zu dieser ländlichen Natürlichkeit gebracht. Sie essen um elf Uhr morgens zu Mittag, und spätestens um sieben Uhr abends nehmen sie das Nachtessen. Freilich nennen sie ihr Mittagessen Frühstück und ihr Abendessen Mittagessen; aber Worte ändern die Sache nicht. Selbst in den Speisen fängt sich die ungekünstelte Natur zu zeigen an. Bei den feinsten Pastetenbäckern findet man eine Art Schwarzbrot, das ganz so derb ist wie Pumpernickel. Als ich das erste Mal, überrascht von dieser Erscheinung, den Küchenkünstler fragte, was das wäre, antwortete er, dieses Brot sei sehr rafraichissant und beliebt bei allen Gourmands. Die Pariserinnen von höherm Stande haben im wörtlichsten Sinne des Ausdrucks im Winter gar keinen Tag; denn sie kleiden sich erst aus, wenn man in Butzbach, Bingen, Treuenbritzen und andern Naturstädten sich ankleidet, und bis sie nach dem Erwachen sich die Augen gerieben und gefrühstückt haben, ist die Sonne wieder untergegangen. Die Frauenzimmer der gewerbtreibenden Klassen ahmen das vornehme Nachtleben wenigstens symbolisch nach. Den ganzen Tag [176] sitzen sie in ihren Läden im Nachtgewande und mit gewickelten Haaren, und erst wenn es dunkel geworden ist, putzen sie sich und lassen sich frisieren. In den Kaffeehäusern, wo überall Frauenzimmer die Honneurs machen, sind sie den Tag über, an ihren Bureaus sitzend, ganz hausmütterlich mit Nähen beschäftigt und reden kein Wort mit den Gästen. Sobald aber die Lichter angezündet werden, schmücken sie sich aufs Herrlichste und fangen an geistreich und liebenswürdig zu werden. Man kann sich also denken, welch eine wichtige Sache in Paris die Nachtbeleuchtung ist. Die durch Gas breitet sich täglich mehr aus. Wenn es die Menschen dahin gebracht haben werden, die atmosphärische Luft von ihren Stickstoffteilen zu reinigen, dann werden sie das Verderben vollendet haben, das sie durch die Gasbeleuchtung angefangen. Das Gaslicht ist zu rein für das menschliche Auge, und unsere Enkel werden blind werden. Merkwürdig ist, daß trotz jener guten Eigenschaft der Gasbeleuchtung die Ultras ihr dennoch feind sind, wie ihnen wenigstens die Liberalen vorwerfen. Daß dieser Vorwurf ganz ohne Grund sein sollte, kann ich mir kaum denken; der alte Spaß mit Aufklärung wäre doch gar zu dumm und abgenutzt. Ob der Vorwurf gegründet ist, weiß ich auch nicht; doch erinnere ich mich nicht, je in einem Ultrablatte etwas zum Lobe der Gasbeleuchtung gelesen zu haben. Dieser Widerwille wäre in der Tat ein psychologisches Rätsel, an dessen Auflösung sich ein Gelehrter üben könnte. Wie, um des Himmels willen, hängt die Aristokratie mit Wasserstoffgas zusammen? Indessen gibt es noch mehrere solche physikalische Rätsel. Wie hängt die französische Geistlichkeit mit den Kuhpocken zusammen? Man hat neulich die fürchterliche Berechnung gelesen, wie die Zahl der an den natürlichen Blattern Gestorbenen in Paris seit einigen Jahren gestiegen; anfänglich etwa hundert jährlich, betragen jetzt die Sterbefälle [177] über tausend. In gleichem Verhältnisse, als sich die Kuhpockenimpfungen vermindern, vermehren sich die Dotationen und Vermächtnisse, welche die Geistlichkeit sich zu verschaffen weiß. Sie betragen jetzt schon viele Millionen. Wie hängt das alle zusammen? Ihr Antiquare, die ihr alte gute Kunstwerke an ihrem edlen Roste erkennt, ihr Winkelmänner – seid so gut und erklärt uns das! Woher kommt es, daß, seitdem die Pariser Gassen mit Geistlichen wie besät sind, so viele Kinder an den natürlichen Blattern sterben? Mercier erzählt, vor der Revolution habe jemand beobachtet, daß über den Pont-Neuf alle fünf Minuten ein Schimmel und ein Abbé gegangen. Ich habe das optische Experiment nachgemacht und gefunden, daß zwar an die Stelle der Schimmel jetzt die Gendarmen getreten; sonst aber noch alles so ist, wie es ehemals gewesen.

Gerätschaften zur Beleuchtung, sowohl durch Gas als Öl und Wachs: Lustres, Lampen, Kandelabren waren in der Ausstellung von großer Mannigfaltigkeit und Schönheit zu sehen. Was sich nur von Antiken dazu eignete, war in Gold, Silber, Bronze, Kristall oder Holz nachgebildet. Von guter Wirkung waren ein Paar Gasleuchter in Form von Karyatiden oder Atlanten, welche kristallene Weltkugeln trugen, auf deren einer die Erde mit ihren geographischen Einteilungen, auf deren andern die Sternbilder eingegraben waren. Ein Schuster hat in seinem Laden zwei große Stiefel von Kristall, die mit Gas erleuchtet werden. Utzschneider in Saargemünd verfertigt unter vielen andern Dingen auch Kandelabren von künstlichem Porphyr, von sieben Fuß Höhe. Dieser von Utzschneider erfundene Porphyr ist dem natürlichen so täuschend nachgemacht, daß einer der berühmtesten französischen Mineralogen, dem man ihn zur Untersuchung gab, ihn für einen natürlichen gehalten und gefragt hat, in welchem Departement er gegraben werde .... Herr [178] Bordier-Marcet, Ingenieur in Paris, hat eine Laterne für Leuchttürme verfertigt, die von ungemein großer Wirkung ist. Ihr Licht kommt an Stärke dem von zweitausend gewöhnlichen Lampen gleich und verbreitet sich acht Stunden weit. Wären alle Leuchttürme mit solchen Laternen versehen, so würden schon viele herzzerreißende Unglücksfälle und Tragödien verhütet worden sein.

Auch die Wachskerzen hat man sehr verbessert. Die von gereinigtem Wachs verfertigten »bougies diaphanes« sind durchsichtig und gleichen dem Alabaster. Ein Kerzenfabrikant hatte das Brustbild des Königs, von solchem Wachse durchsichtig gemodelt, in seinem Laden aufgestellt. Man sah auch rote, gelbe, blaue, grüne Wachskerzen. Daß sie keine schwarzen zu Trauerbällen verfertigten, hat mich gefreut, doch gewundert; denn allerdings haben sie in der Rue de la paix einen Putzladen, »Grand Magasin de deuil« genannt, wo nur Putzwaren und Zeuge zu Trauerkleidungen verkauft werden. Welch ein fürchterlicher Schnitthandel! Die Parze selbst schneidet den Begehr! ... Wer eine gelehrte Haushälterin hat, der man lateinische oder griechische Aufträge geben kann, der schicke sie hin, »bougies soléraphlites« zu kaufen. Das Pfund kostet zwar nur 1 Fr., denn sie sind von gewöhnlichem Lichtertalge; sie haben aber folgende gute Eigenschaften: die Flecken, die sie auf Kleidern und Möbeln machen, kann man durch Weingeist reinigen; die Stärke ihres Lichtes verhält sich zu dem der gewöhnlichen Lichter, genau berechnet, wie 11 zu 7; sie brennen ein Dritteil länger als die gewöhnlichen.

8. Metallurgische Arbeiten

Attila, in Werners Tragödie, liegt auf dem harten Boden seines Zeltes und spielt mit seinem Knaben Knabenspiele. Da treten die Abgesandten des byzantinischen Kaisers [179] herein und legen sich und Gold zu den Füßen des Helden. Worauf Attila zu seinem Sohne spricht: »Siehst du, Irnack, daß Eisen besser ist als Gold? Mit Eisen hol' ich's.« Dieser Attila war ein Hunne. Aber die Attilas in seidnen Strümpfen sitzen auf Samt und Gold, und wenn sich ihnen unüberwindliche Festungen übergeben, sagen sie zu ihren Irnacks: »Sehen Sie, Prinz, daß Gold stärker ist als Eisen? Mit Gold zähm' ich's.« Wenn nun jene großen Handwerker, die sich mit dem Eisen nähren und wehren, ihren Wohltätern so wenig achten – wie sollten wir ihn schätzen, die ja gar nicht besser sind als jene, sondern nur kleiner; die ja auch nur geboren, die Früchte zu verzehren, nur minder köstliche? Darum nichts von Pflügen, Eggen, Sensen, Schaufeln und andern solchen Dingen, die in Menge ausgestellt waren. Lassen wir das Eisen naß werden vom Schweiße des bejahrten Landmanns oder rostig vom Herzblute seines jungen Sohnes, der es vergossen, einen gefangenen Tiger zu befreien – wir wollen nur betrachten, was davon zu unsern Spielzeugen verfertigt worden.

An der gefährlichen Grenze des Ernstes liegen die damaszierten Klingen, die man jetzt in Frankreich den echten Damaszenern gleich an Güte verfertigt. Indessen gebrauchen wir sie doch zu Duellen, wenn die Paradeehre fordert, daß wir unser Heldenblut für eine schöne Kasinosache versprützen. Die Franzosen hatten einst in Ägypten große Furcht vor diesen Damaszenerklingen. Sie sagten: so ein Mamluckensäbel spalte einen entzwei wie einen Apfel. Aber Bonaparte lachte sie aus, sagte ihnen, die Dinger täten nicht weh – und die Narren glaubten's ihm auch! Selbst die Rasiermesser werden jetzt damasziert; große Zurüstung gegen einen kleinen Feind! Überhaupt sah man in der Industrieausstellung die Rasiermesser mit großer Ernsthaftigkeit behandelt. Man sah deren von gegossenen Stahl; andere »à dos [180] métalliques«, erfunden, (wie der Fabrikant sich ausdrückt) »pour lutter contre des envieux«. Wer also mit dem Neide zu kämpfen hat, bewaffne sich mit solchen Rasiermessern. Ein dritte Art Rasiermesser, deren Klinge zwischen einer Scheide steckt und nur so viel mit der Schneide herausgeht, als gerade hinreicht, aber nicht weit genug, daß man sich verwundern kann – ist solchen zu empfehlen, die während dem Rasieren an ihre Schulden oder an die Auflösung einer Scharade zu denken gewohnt sind.

Der Fabrikant Alard hat ein eisernes Gewebe erfunden, das er moiré métallique, auch toile métallique nennt. Dieses Metallgewebe ist so fein, daß auf den Quadratmeter beinahe vierzehn Millionen Maschen kommen. (Scheint etwas gelogen zu sein!) Es werden Lichtschirme daraus verfertigt; Halbkugeln über Astrallampen; Schüsseldecken, welche die Luft durchlassen und die Fliegen abhalten; Hutfutterale; Strickkörbe. Diese letztern haben wegen ihrer Zierlichkeit und Wohlfeilheit so großen Beifall gefunden, daß der Fabrikant in vier Monaten sechsundfünfzigtausend Stück davon verkauft hat .... Bettstellen von Röhren, aus Eisen, Messing und Kupfer, sind so leicht und so bequem eingerichtet, daß sie in einen Mantelsack gepackt werden können. Man braucht nur zwei Minuten, sie zusammenzusetzen oder auseinander zu nehmen. Der Fabrikant hat ganz recht, wenn er von ihnen sagt: »Ces lits peuvent être d'une grande utilité pour M.M. les officiers en campagne«. Diese Feldbetten, oder Konstitutionsbetten, oder Prokrustesbetten kommen nicht sehr teuer zu stehen; der Schuh Röhre kostet, je nach deren Diameter, 11/2 bis 41/2 Franken .... Von gegossenem Eisen werden allerlei niedliche Quincailleriewaren verfertigt: Abgüsse plastischer Kunstwerke, Reliefabgüsse von berühmten Gemälden, Tabakdosen, so leicht wie die von Papiermaché und andere solche Dinge .... [181] Das Eisen, das aus einer Fabrik des Herzogs von Ragusa kam, wurde sehr gelobt, wie auch das, das der Marquis von Louvais ausgestellt. Liberale bemerken mit Wohlgefallen, daß die heutigen Marquis ohne Furcht zu derogieren Handel treiben. Sie haben recht, wenn sie das bare Geld lieben; es ist immer gut, sich marschfertig zu halten.

Von Gold und Silber habe ich keine ausgezeichneten Werke gesehen; doch war ein goldner Reliquienkoffer, in Form eines Sarkophags, von schöner Arbeit, und gotischer mit modernem Geschmack glücklich daran verbunden. Der Koffer ist bestimmt, dieSainte-Ampoule zu beherbergen. In meinem 1813 in Frankreich gedruckten deutsch-französischen Wörterbuche steht Sainte-Ampoule übersetzt: »Das Ölfläschchen zur Salbung der ehemaligen Könige Frankreichs.« Eine Wörterbuchversicherungsanstalt wäre etwas sehr Nützliches .... An Kirchengerätschaften von Gold, Silber, Messing, Kristall, an Altarleuchtern, Bischofsstäben, Kreuzen, Monstranzen, gestickten Fahnen, Bischofsmützen war ein großer Überfluß. Die darüber ärgerlichen Liberalen behaupten, daß alle diese Arbeiten geschmacklos wären, und sie geben den Rat, daß man den Kirchenzöglingen in den Seminarien Unterricht im Zeichnen geben solle. Denn – sagen sie – bei einem gebildeten Volke, wie das französische, könnten die Apostel der Wahrheit nur Eindruck machen, wenn sie – zeichnen könnten!

9. Parfümerie

Die Natur selbst braucht Wind, ihre Wohlgerüche zu verbreiten; wie sollten ihn die Parfümeurs entbehren können? Auch ließen sie ihn durch alle zweiundfünfzig Säle des Louvres wehen. Setzen wir uns zuerst dem Luftstrome der gelehrten Frau Delacour, dieser zweiten Madame Dacier, aus. Sie sagt in ihrer Autobiographie: [182] »Outre l'eau de Cologne superfine des connaisseurs ct l'eau denti-dolori-fuge, Madame Delacour, qui s'est adonnée à l'étude de la chimie, de la botanique et qui connait la valeur des termes grecs, a composé de la partie la plus pure, la plus volatilisée, la plus ethérée de suc des fieurs, un cosmétique qu'elle appelle axonge, au moyen duquel les dames peuvent, si elles le désirent, donner à leur teint le reflet du taffetas rose; elles l'obtiennent en se frottant légèrement la figure, le soir, avec le bout du doigt trempé dans l'axonge.« Shakespeare hat kühne Bilder in seinen Dichtungen; die Liebe hat noch kühnere; aber gewiß ist noch von keinem schönen Mädchen gedruckt oder gesagt worden: sie habe Lyoner rosentaftene Wangen! Madame Delacour hat die Bildergalerie der Schmeichelei bereichert .... Fargon der jüngere nennt sich »parfumeur du roi, de la cour de France, ainsi que des principaux Souverains d'Europe, d'Asie et de leurs cours«. Er verkauft: Olysérial, libanotis de Chine, Axerasine undRouge-Vert d'Athènes. Dieses letztere ist eine grüne Schminke, die erst auf den Wangen rot wird .... Treten wir jetzt in den Bazar des Parfums des Herrn Mayer. Dort schimmert's wie in einem Feenmärchen; es ist zum blind werden! Aber ach! Herr Mayer ist nicht glücklich unter seinen Schätzen; er ist, wie alle großen Männer, den Pfeilen des Neides und der Bosheit ausgesetzt. Es wird ein »Imprimé calomnieux« gegen ihn verbreitet, »dicté par l'Envie et la Jalousie«. Aber Herr Mayer weiß seinem Gegner zu antworten und sagt dem »auteur de mille mensonges, de mille et mille calomnies«, was sich gehört. »Mais non – ruft er aus – la passion aveugle toujours le sentiment de la jalousie«!!! Darum wolle er mit den»Suffrages d'augustes personnages« sich begnügen, und er fordere Frankreich auf, in den Louvre zu kommen und seine Parfümerien mit denen seines »pâle imitateur« zu vergleichen. [183] Es wird keinen gereuen, dieser Einladung zu folgen. Junge Mädchen, die sich nicht gern den Kopf anstrengen, können im Bazar des Herrn Mayer in weniger als einer Viertelstunde auf die angenehmste Weise die Geographie erlernen. Sie finden dort: Huile de Macassar, poudre de Ceylon, Fluide de Java, Esprit de Portugal, Savon de Valence, Vinaigre de Malte, Huile de Cachemire, graisse d'Ours de Canade, Rouge de Chine, Sachet de Perse, Bol de Chypre, Poudre de Florence, Poudre de Palma, und noch viele andere Dinge aus Europa, Amerika und Asien. Schade, daß Herr Mayer keine Produkte von den Südseeinseln und von Afrika hat, keinen pâte de Botany-Baie, keinen Esprit de Maroc – an Absatz würde es ihm nicht fehlen, und seine geographische Belehrung würde hierdurch vollständiger werden. Dagegen findet sich bei ihm »Parfum des Salons, en grande réputation à la cour par son odeur incomparable, servant à parfumer les mouchoirs«. Ferner: eine »Composition accélératrice«, welche grobe deutsche Postillone Wagenschmiere zu nennen pflegen. Die Wagenräder einmal damit schlüpfrig gemacht, fährt man 300 Stunden weit mit Blitzeschnelle. Endlich hat er auch ein rotes kölnisches Wasser für blasse Leute. Überhaupt ist Herr Mayer eine wahre Vizenatur. Diese selbst hat nur den Menschen zu schaffen; für das übrige, was zwischen Wiege und Sarge zu tun ist, sorgt ihr alter ego. Er macht die Leute blaß und rot, mager oder dick, läßt die Haare wachsen oder ausfallen, wie man es verlangt; Herr Mayer hat gegen alle Ereignisse des Lebens: Salben, Pulver, Essige, Seifen, Öle und Wasser.

Einen Gegenstand der negativen Parfümerie will ich hier nur kurz erwähnen, ob er zwar mehr zur Zivilbaukunst gehört. »Sièges inodores« waren in der Industrieausstellung von sehr verbesserter Art zu sehen. In Deutschland fehlt es noch sehr hierin. Wahrscheinlich [184] ist man dort nicht gehörig belehrt, wie das»gaz hydrogène«, eine »cause permanente de graves maladies« sei.

10. Schokolade und Zuckerbäckerwaren

Wer in Paris ein Buch schriebe: »Über den Einfluß der Religion auf die Schokolade«, der hätte keine Satire geschrieben, sondern nur abgeschrieben. Seit der Restauration der Heuchelei werden aus Schokolade Kreuze, Rosenkränze, Kruzifixe und andere geheiligte Symbole des Gottesdienstes verfertigt und verkauft, und man hört keine Missionäre gegen solche Entweihungen eifern! ... Doch lassen wir den Pfaffen ihren einträglichen Galanteriehandel und betrachten wir, was aus Kakaobohnen Profanes bereitet wird. Man denke sich einen Papierbogen von der Größe des Moniteurs, aber viel enger gedruckt; aber ganz angefüllt mit Wahrheiten; aber am Ende mit unwandelbaren Kursen, und am Anfange nach dem Titel mit einem Kupferstiche versehen, welcher ein großes Fabrikgebäude darstellt – und man hat eine typographische Vorstellung von dem Prospektus, welchen der Schokoladenfabrikant Debauve im Louvre verteilte. Herr Debauve ist kein gewöhnlicher Schokoladenmacher; er bringt alles in Schokolade und Schokolade in alles; er schokoladisiert das ganze Pflanzenreich. Aus vielen medizinischen Büchern und Journalen zieht er Stellen an, worin seine Fabrikate angepriesen worden. Dabei zeigt er sich so dankbar, daß er alle Pariser Ärzte, die seine Schokolade gelobt, gleichfalls rühmt und sie den Kranken als gute Praktiker empfiehlt. Er holt sogar eine Beweisstelle aus Kotzebues »Erinnerungen aus Paris«, der seiner Schokolade mit großem Lobe gedacht. Der Chocolat analeptique, préparé au salep de Perse, hat dem Fabrikanten selbst vor siebzehn Jahren in einer gefährlichen Krankheit das Leben gerettet. Er ist nicht bloß analeptique, sondern auch béchique und confortatif. »Il [185] a rendu en peu de temps la fraîcheur, les forces et l'embonpoint à des personnes qui ne croyoient jamais les recouvrer; il est en quelque sorte devenu pour elles une véritable fontaine de Jouvence.« Er wird von einem berühmten Pariser Arzte den Gelehrten empfohlen, »qui veulent acquérir à peu de frais de l'embonpoint« (die ehrlichen deutschen Schriftsteller mögen sich das merken). Endlich wird zum Ruhme der Salepschokolade das Beispiel des Herrn Dr. Butini in Genf angeführt, der sein hohes Alter von 87 Jahren nur dadurch erreicht, daß er seit einer Krankheit, die ihn vor drei Jahren befallen, täglich zwei Tassen dieser Schokolade getrunken. Ferner fabriziert Herr Debauve: Chocolat gommeux, béchique et pectoral, préparé au tapioka des Indes; Chocolat stomachique; Chocolat carminatif à l'angélique; Chocolat avec arôme de café, qui est très gracieux; Chocolat antispasmodique à la fleur d'Orange; Chocolat adoucissant au lait d'amandes; Chocolat au soconusco; Chocolat à l'arrow-root; Chocolat au lichen d'Islande; Chocolat vermifuge, préparé au semen contra; Chocolat tonique et emmenagogues à limaille de fer et à la canelle. Auch verfertigt er: Coquilles, cœurs, castagnettes, marrons, pastilles, cylindres, vases et plusieurs autres objets de formes agréables – alles aus Schokolade. Endlich: »les portraits chéris du roi et de la famille Royale«, mit und ohne Vanille das Pfund 10 Fr. 25 Cent. Herr Debauve handelt auch von den verschiedenen Arten, die Schokolade zu kochen, und bringt in Erinnerung, wie ehemals in Frankreich die Nonnen damit verfahren. Da diese nämlich des Morgens lange mit Beten zu tun hatten, kochten sie sich vorsorglich schon den Abend zuvor ihre Schokolade und wärmten sie des andern Morgens wieder auf. Diese klösterliche Schokolade nannte man Chocolat à la Religieuse.

Auch mehrere Zuckerbäcker hatten ihre süßen Kunstwerke zur Ausstellung gebracht, und Kunstwerke sind [186] sie allerdings zu nennen, da sie mehr für das Auge als für den Gaumen bestimmt sind. Die Franzosen sind zu loben, daß ihnen die Optik die erste aller Wissenschaften ist und Akustik die zweite. Der Adel eines Menschen zeigt sich darin, daß er im Hause der Sinne die obern Stockwerke bewohne, daß er alles in Farben und Töne auflöse, feste Nahrungen in flüssige, flüssige in ätherische, ätherische in geistige verwandele. Herr Vernaut, Hoherpriester »au Temple de Pomone« ... »qui après vingt ans d'utiles travaux est parvenu à perfectioner les procédés de l'art du confiseur«, hatte sein Museum mit den herrlichsten Bonbons geziert. Kunstfreunde bewunderten besonders die pastilles d'Ambroisie, »qu'on a bien cherché à contrefaire, mais qu'on n'est point parvenu à imiter.«

11. Nachlese

Ich will noch von einigen Gegenständen sprechen, die ich in ihre Ordnung zu bringen teils vergessen, teils nicht verstanden habe. Gar mannigfaltig sind die Bedürfnisse und Neigungen der Menschen. Nicht alle haben sich bestimmte Organe zu fester Wohnstätte gewählt; sondern viele ihrer halten sich nach Landstreicherart an den Sinnesgrenzen auf. – Die Fächer, die schon längst mit dem Erröten abgekommen, sind seit dem vorigen Sommer in Paris wieder Mode geworden. Die Mode zu erhalten, gab es ein unfehlbares Mittel; man machte die Fächer teuer. In der Ausstellung sah man deren von Schildkröte, die 700 Fr. kosteten. In heißen Sommertagen eine Reise nach Havre oder Dieppe, sich an der Seeluft zu erfrischen, käme viel wohlfeiler zu stehen. Polichinel-Vampyre sah man oft auf Fächern abgemalt. Dieser beliebte Hanswurst wird auf alle mögliche Art bildlich dargestellt. Battisttaschentücher wurden verkauft, in deren Zipfel Polichinel gestickt war. Andere [187] Arten von Taschentüchern wurden unter dem Namen Andrinoples undAladins in die große Welt eingeführt ... Von einer neuerfundenen Komposition werden falsche Edelsteine (pierres adamantoides) verfertigt, die sehr schon sind. Man muß ein Kenner sein und sie in die Hand nehmen, um sie von den echten zu unterscheiden. Sie werden nur darum nicht zu allgemeinem Gebrauche kommen, weil man im Pfandhause nicht damit erscheinen darf – ein Versammlungsort, den in Paris Frauen von den höchsten Ständen in ihrem reichsten Schmucke besuchen ... die guten Seelen, wie leicht sie zu befriedigen sind! Eine beliebte Bandschleife, die eine Zauberhand im letzten Sommer geschlungen, nennen sie »parfait contentement« ... Poupart de Neuflige, ein Tuchfabrikant, hatte zwischen seinen Waren sechs Gemälde aufgestellt, die sechs Fabrikgebäude nebst ländlichen Umgebungen, welche er in verschiedenen Departementen besitzt, vorstellten. Der König, dem diese Gemälde wohlgefielen, hat sie von dem Eigentümer zum Geschenk angenommen ... Eine Vorrichtung, Kranken in ihren Betten Dampfbäder zu machen, ist ein nützliches Werk ... Unter dem Namen»Caecographe« wurde eine Maschine gezeigt, vermittelst welcher Blinde in ganz geraden Linien schreiben können. Der einfache Apparat ist sehr zweckmäßig ... Vermittelst der Glactomètres und der Caséomètres kann man den Grad der Spitzbüberei der Milchmädchen und Kaffeeköchinnen auf das Genaueste bestimmen. Aber Frauen von Gemüt werden sich wenigstens der letzteren nicht bedienen; denn die heilige Schrift sagt: du sollst dem Ochsen das Maul nicht verbinden, wenn er drischt ... Allerlei Komestibilien, auf eine neue Art behandelt, waren von größerm oder geringerm Nutzen. 5 Pfund frisches Fleisch durch Austrocknen auf 1 Pfund 8 Lot reduziert, sowie auch gekochtes Rindfleisch, in einer hermetisch verschlossenen [188] Flasche aufbewahrt, soll sich lange erhalten. Mehl von Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und Nudeln davon, wurden zu Sparsuppen empfohlen ... Die Fabrikation des Runkelrübenzuckers hat mit Napoleons Herrschaft in Frankreich nicht aufgehört. Besonders wird der Zucker gelobt, der aus der Fabrik des Herzogs von Ragusa kommt, so daß der Sturz Napoleons dem Marschalle Marmont keinen Schaden gebracht. Das Geheimnis der berühmten Confitures de Bar, die man nirgends in Frankreich nachzuahmen weiß, soll nur darin bestehen, daß diese Konfitüren mit Runkelrübensirop bereitet werden ... Bäcker hatten neue Versuche mit Brotarten zur Prüfung aufgestellt; man hat in Paris das beste Brot, aber kein gutes ... Ein sehr schönes Schmuckkästchen von natürlichen Zähnen, zur Nachtherberge für künstliche bestimmt, zeigte der Zahnarzt Desirabode. Das ist der kühne Humorist, der sich im vorigen Jahre mit dem Galgen geneckt, indem er, um Aufmerksamkeit zu erregen, Adressen, ganz in Form von Bankzetteln, verteilte. Er hat bewiesen, daß ihm die Weisheitszähne fehlen, und das hat ihm herausgeholfen ... Von dem vor kurzem entdeckten neuen Metalle, Palladium genannt, wie auch von Platina, waren schöne Medaillen zu sehen. Auch in Kristall hat man Medaillen gegraben, die das Ansehen von Perlmutter haben ... Eine sehr nützliche Erfindung sind die Längemaße von seidenen Bändern, welche seit einiger Zeit in Paris allgemein gebraucht werden. Auf der einen Seite des Bandes ist das übliche metrische Maß in seinen kleinsten Abteilungen, auf der andern Seite sind die verschiedenen ausländischen Maße gezeichnet, so daß man beide auf das bequemste miteinander vergleichen kann. Nicht bloß Schneider, Schuster, Warenhändler bedienen sich dieser Maße, sondern auch Tischler, Zimmerleute, Maurer und andere Handwerker, die im Großen messen. Die Pariser Schneider, wenn sie [189] das Maß zu einem Kleide nehmen, bedienen sich also nicht der in Deutschland üblichen knisternden Papierstreifen, in welche man mit der Schere rätselhafte Zeichen schneidet, sondern gebrauchen dazu jene viel genaueren Bänder und tragen die gefundenen Größenverhältnisse in ein eigens dazu bestimmtes Buch unter dem Namen des Kunden ein. Dieses Buch ist ganz eingerichtet wie ein Paßregister. Es muß bei dieser Gelegenheit erwähnt werden, daß die französische Polizei, welcher das scharfe Augenmaß der deutschen abgeht, den Reisenden, der einen Paß fordert, an einer Art Rekrutenmaß abmißt. An der Grenze, wo man seinen vaterländischen Paß gegen einen französischen vertauscht, wird das heimatliche Maß in das metrische gebracht, und, ich habe in Straßburg die unschuldigsten deutschen Frauenzimmer schamrot am metrischen Pranger stehen sehen. Und der alte Vater Rhein (so hieß er, glaube ich, im Jahre 1814) schweigt zu solchen frevelhaften Tun! Aber was tut die Polizei nicht allerorten! Gleich der pythagoräischen Schule bringt sie alle Verhältnisse in Größen und Zahlen. Personen und Völker werden mit ihren Tugenden und Mängeln, mit ihrem Werte und ihrem Preise addiert, numeriert, subtrahiert, dividiert, einregistriert, protokolliert, inventiert – als wäre der Herr der Erde gestorben und die hinterlassene Menschheit sollte versteigert werden!

Fußnote
Note:

1 Später erfuhr ich, daß es doch wirklich so sei und es in Deutschland an feinen, vornehmen Lumpen fehle – worüber ich mich sehr wunderte.

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TextGrid Repository (2012). Börne, Ludwig. Schriften. Schilderungen aus Paris. Schilderungen aus Paris. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3CB7-A