Weibertreue

A.

Abwesend hat man Unrecht

Abwesend hat man Unrecht. Eine Reise
Zwar von acht Tagen nur, riß aus Melissens Arm
Die er schon lange Zeit auf nicht gemeine Weise
Geliebt, den Kleon weg. Nichts gleichet ihrem Harm.
Sie kann den ersten Tag nicht schlafen und nicht eßen.
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Am zweiten kömmt Philint, und – Kleon ist vergeßen.
Doch er kömmt wieder. »Ungetreue!
Spricht er, hast dus mit mir nur so gemeint?«
»Mein Freund, antwortet sie, mein guter Freund!
Was du mir sagen kannst, hab ich verdient, bereue,
Beklag es sehr, nur – mach geschwinde fort,
Denn unter uns – der andre wartet dort.«

B.

Weibertreue

Wohl aus dem Aug, wohl aus dem Sinn!
Das zeuget meine Nachbarin.
Ihr Medor, der sie ganz mit Seel und Leib beseßen,
Verreist auf vierzehn Tage nur.
Ein andrer kam – und Medor war vergeßen.
Doch plötzlich auf des Hauses Flur
Stand scheltend Medor: Ungetreue!
Hast dus nicht redlicher gemeint?
»Ach, rief sie, lieber guter Freund!
Du schiltst mit Recht! Tief fühl ichs und mit Reue!
Nur schilt geschwind und mache fort,
Denn unter uns, der andre wartet dort.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Weibertreue. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3B31-B