[84] Hafisa

Lieb' ohne Lust – welch eine Pein!

Lust ohne Liebe – wie gemein!

Die beiden aber im Verein

Gewähren uns das höchste Sein.

Daumer

[85]

1.

Oh, wie mir schweren Dranges
Das Herz im Leibe bebt,
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüberschwebt!
Herab vom Rücken weht
Ein blendend weißer Schauer;
Durch ihre Augen geht
Ein wunderbares Feuer;
Die schwarzen Locken wühlen
Um ihres Nackens Fülle;
Der Leib, der Busen fühlen
Sich eng in ihrer Hülle.
Allüberall Bewegung,
Allüberall Entzücken,
Daß sich in toller Regung
Die Sinne mir berücken,
Daß wunderbaren Dranges
Das Herz im Leibe bebt,
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüberschwebt!
Narzissen blühn und Rosen
Um himmelblauen Kleide,
Darunter flammen Hosen
Von feuerroter Seide –
[86]
Die kleinen, zarten Füße,
Die weichen, feinen Hände,
Der Mundrubin, der süße,
Der Zauber ohne Ende!
Oh, wie mir schweren Dranges
Das Herz im Leibe bebt,
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüberschwebt!

2.

Das Lied von der Schönheit

Ich sang auf den Basar
Ein Lied von deiner Schöne,
Und wer es hörte, war
Entzückt von deiner Schöne.
Tataren, Perser, Kurden
Und Haïks 1 schlaue Söhne,
Moslem und Christen wurden
Gerührt von deiner Schöne.
Es waren Sänger dorten,
Die merkten Sinn und Töne
Und singen jetzt allerorten
Das Lied von deiner Schöne.
Der Schleier ist zerrissen,
Daß sich dein Blick gewöhne,
Denn alle Leute wissen
Das Lied von deiner Schöne.
[87]
Und flieht dein Reiz – oh, daß dies Wort
Im Alter dich versöhne!
Man singt doch fort und immerfort
Das Lied von deiner Schöne!

Fußnoten

1 Armenier.

3.

Wenn zum Tanz die jungen Schönen
Sich im Mondenscheine drehn,
Kann doch keine sich so lieblich
Und so leicht wie meine drehn!
Daß die kurzen Röcke flattern,
Und darunter, rot bekleidet,
Leuchtend wie zwei Feuersäulen
Sich die schlanken Beine drehn!
Selbst die Weisen aus der Schenke
Bleiben stehn vor Lust und Staunen,
Wenn sie, spät nach Hause schwankend,
Sich berauscht vom Weine drehn!
Auch der Muschtahid 1, der fromme,
Mit den kurzen Säbelbeinen,
Spricht: So lieblich wie Hafisa
Kann im Tanz sich keine drehn!
Ja, vor dieser Anmut Zauber,
Vor Hafisas Tanzesreigen
Wird sich noch berauscht die ganze
Gläubige Gemeine drehn!
[88]
Und was in der Welt getrennt lebt
Durch verjährten Sektenhader,
Wird sich hier versöhnt mit uns in
Liebendem Vereine drehn!
Oh, Mirza-Schaffy! welch Schauspiel,
Wenn die alten Kirchensäulen
Selber wanken und sich taumelnd
Um Hafisas Beine drehn!

Fußnoten

1 Oberpriester der Schiiten.

4.

Neig, schöne Knospe, dich zu mir!
Und was ich bitte, das tu mir!
Ich will dich pflegen und halten;
Du sollst bei mir erwarmen
Und sollst in meinen Armen
Zur Blume dich entfalten!

5.

Ei, du närrisches Herz,
Daß dich klagend gebeugst hast!
Du bejammerst den Schmerz,
Den du selber erzeugt hast!
Du verzweifelst in Gefahr heut
Und suchst doch selbst die Gefahr!
Und ich kenne deine Narrheit
Und bin selbst ein solcher Narr!

[89] 6.

Ein Blick des Augs hat mich erfreut –
Der Zauber dieses Augenblicks
Wirkt immerfort in mir erneut
Ein leuchtend Wunder des Geschicks.
Drum eine Frage stell' ich dir,
Horch huldvoll auf, mein süßes Leben:
Galt jener Blick des Auges mir,
So magst du mir ein Zeichen geben!
Und darf ich deinem Dienst mich weihn
Und bist du meinem Arm erreichbar,
So wird mein Herz voll Jubel sein,
Und meiner Freude nichts vergleichbar!
Dann leb' ich fort durch alle Zeit
Im Wunderleuchten des Geschicks
Den Augenblick der Seligkeit,
Die Seligkeit des Augenblicks!

7.

Es ragt der alte Elborus
So hoch der Himmel reicht!
Der Frühling blüht zu seinem Fuß,
Sein Haupt ist schneegebleicht.
Ich selbst bin wie der Elborus
In seiner hehren Ruh,
Und blühend zu des Berges Fuß
Der schöne Lenz bist du!

[90] 8.

Auf dem Dache stand sie, als ich schied,
Mit Gewand und Locken spielt der Wind –
Sang ich scheidend ihr mein letztes Lied:
Nun leb wohl, du wundersüßes Kind!
Muß von dannen gehn
Doch auf Wiedersehn,
Wenn das Hochzeitsbett bereitet steht!
Ein Kamel, beladen, bring' ich dir,
Reichen Stoff zu Kleidern und Schalwár, 1
Echte Chenna 2 zu der Finger Zier,
Schmuck und Narden für dein Ambrahaar,
Feines Seidenzeug,
Sammet dick und weich,
Und die Mutter wird zufrieden sein!
Auf dem Dache stand sie, als ich schied,
Winkt herab mit ihrer kleinen Hand. –
Weht der Wind ihr zu mein Scheidelied,
Spielt der Wind mit Locken und Gewand;
Fahre wohl, mein Glück!
Kehre bald zurück.
Wenn das Hochzeitsbett bereitet steht!

Fußnoten

1 Weite Beinkleider.

2 Zum Blaufärben der Nägel und Fingerspitzen, was bei den Tataren, Persern, Armeniern und anderen Völkern zur Vornehmheit gehört.

[91] 9.

Sie sprach: O welch geteiltes Glück,
Mirza-Schaffy! ward meinem Leben:
Du hast dein Herz nun Stück für Stück
Wie deine Lieder hingegeben –
Was bleibt davon für mich zurück,
Für all mein Lieben, all mein Streben?
Ich Sprach: Stets ungeteilt erglüht
Und zündend seine Strahlen sprüht
Mein Herz, an ewiger Liebe reich, –
Es ist mein Herz der Sonne gleich,
Der hohen Strahlenspenderin,
Die, ob sie gleich Verschwenderin
Mit ihrem Licht und Glanz ist,
Doch immer schön und ganz ist!

10.

Die alten Saklis 1 von Tiflis,
Ich kann sie kaum wiedererkennen,
Wie sie im Mondenstrahle
So prachtvoll glitzern und brennen.
Die jungen Mädchen von Tiflis,
Ich kann sie kaum wiedererkennen,
Wie sie so kalt und finster
An mir vorüberrennen.
[92]
Mirza-Schaffy! dich selber
Kann man kaum wiedererkennen,
Seit du und deine Hafisa
Sich Mann und Weibchen nennen!

Fußnoten

1 So heißen die gewöhnlich halb unterirdischen Häuser der Georgier und Tataren.

11.

Es kommen die Missionäre
Zu uns vom Abendlande
Und predigen fromme Märe
In schwarzem Bußgewande:
Wie alle Welt verdorben,
Versunken ganz im Bösen,
Und wie der Christ gestorben,
Die Menschheit zu erlösen.
»Wir wurden auserkoren,
Die Märe zu verbreiten;
Wer zweifelt, ist verloren
Für alle Ewigkeiten!«
»Ihr wandelt dunkle Wege,
Wir führen euch zur Klarheit.«
– Doch: wer gibt mir Belege
Für eurer Worte Wahrheit?
Ich komme nicht zu Ende
Im Guten wie im Bösen,
Wenn nicht Hafisas Hände
Die dunklen Zweifel lösen.
[93]
Du schöne Missionärin!
Lehr' du mich Religion:
Bei dir liegt die Gewähr in
Dem Blick des Auges schon.

12.

Sie meinten ob meiner Trunkenheit
Und gänzlichen Versunkenheit:
Ich fände kein Erbarmen ...
Oh, ewig möcht' ich trunken sein
Und ewig ganz versunken sein
In deinen weißen Armen!

13.

Soll mich bekehren, weil ich nicht
Im richtigen Geleise bin,
Derweil ich gänzlich festgebannt.
In deinem Zauberkreise bin.
Sie zeigen mir den Himmelsweg
Und warnen mich vor falscher Bahn,
Derweilen ich zum Paradies
Längst fertig mit der Reise bin.
Sie preisen ihren Himmel hoch
Und machen viel Geschrei davon,
[94]
Derweilen ich im höchsten Glück
Verschwiegen ganz und leise bin.
Die Nachtigall ist Sünderin
Weil sie nicht wie der Rabe krächzt –
Ich bin verdammt – weil ich beglückt
In meiner eignen Weise bin!

14.

Jussuf und Hafisa

Von Jussuf im Ägypterland,
Dem lieblichsten der Menschensöhne,
Heißt es: ihm gab Jehovahs Hand
Die Hälfte aller Erdenschöne!
Als Jussuf nun gestorben war,
Hub seine Schönheit an zu wandern
Und wanderte wohl manches Jahr
Von einem Lande zu dem andern.
Denn dieses war ihr Schicksalswort:
Nur dort sollst du in Zukunft thronen,
Wo dir zur Pflege, dir zum Hort
Bescheidenheit und Anmut wohnen.
An manche Türe klopft sie an,
Bei Armen wie im Prunkpalaste –
Und gerne ward ihr aufgetan,
Doch nirgends blieb sie gern zu Gaste.
[95]
Bis sie bei dir, du süße Maid,
Ein heimatliches Dach gefunden,
Wo Anmut und Bescheidenheit
Sie nun für alle Zeit gebunden.

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TextGrid Repository (2012). Bodenstedt, Friedrich von. Hafisa. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-38AD-F