Oskar Blumenthal / Gustav Kadelburg
Im weißen Rößl
Lustspiel in drei Aufzügen

[Motto]

[3] »... Und dann treibt's mich hinauf in die Berge, in den flüsternden Wald hinein! Und wenn ich dann so durch den stillen Morgen gehe und das Auge so offen wird für all das Schöne, – da fange ich an, ihn zu fühlen, den Reisezauber. Und alles, was noch vor kurzem mir so wichtig erschienen ist und mich so gedrückt hat, es kommt mir auf einmal so kleinwinzig vor, von da oben! Wie vergessen und verschollen ist alles, was unten liegt. Ich kann mich nicht mehr besinnen, welchen Wochentag wir haben, und welches Datum – und wenn mich einer fragen sollte: ›Ja, sind Sie denn der Herr Doktor Walter Hinzelmann, den ich zu Haus oft so grämlich gesehen habe ...?‹ ich glaube wahrhaftig, ich würde ihm antworten: ›Sie müssen sich irren, ... das ist ein viel älterer Bruder von mir‹ ... und das macht alles der Reisezauber. Müßt es nur versuchen!«

Akt III, Szene 5.

[3][5]

Personen

Spieler

    • Josepha Voglhuber, Wirtin zum »Weißen Rößl«

    • Leopold Brandmayer, Zahlkellner

    • Wilhelm Giesecke, Fabrikant

    • Ottilie, seine Tochter

    • Charlotte, seine Schwester

    • Walter Hinzelmann, Privatgelehrter

    • Klärchen, seine Tochter

    • Dr. Otto Siedler, Rechtsanwalt

    • Arthur Sülzheimer

    • Loidl, Bettler

    • Resi, seine Nichte

    • Assessor Bernbach

    • Emmy, seine Frau

    • Rätin Schmidt

    • Melanie Schmidt

    • Forstrat Kracher

    • Ein Hochtourist

    • Ein Reisender

    • Kathi, Briefbotin

    • Franz, Kellner
    • Ein Piccolo
    • Mirzl, Stubenmädchen
    • Mali, Köchin
    • Martin, Hausknecht
    • Joseph, Hausknecht, , im »Weißen Rößl«

    • Der Portier im »Weißen Rößl«

    • Der Portier zur »Post«

    • Der Portier zum »Grünen Baum«

    • Der Portier zur »Rudolfshöhe«

    • Ein Dampfer-Kapitän

    • Ein Bootsmann

    • Sepp, Gebirgsführer

    • Eine Bäuerin

    • Ein Bauernknabe

    • Bergleute, Gäste, Reisende, Dorfkinder, Gebirgsführer

Dekoration

Dekoration:

Die Dekoration aller drei Akte stellt den Garten vor dem Wirtshaus »Zum Weißen Rößl« dar, das in brauner Holzarchitektur im Schweizerstil ausgeführt ist. Eine kleine Treppe von zwei Stufen führt vorn auf ein Podest, von welchem man durch eine rechts gelegene Tür in das Innere des Hausen, und durch eine zweite durchsichtige Glastür in den Speisesaal gelangt. Über dem Speisesaal befindet sich der praktikable Balkon des ersten Stockwerks, dessen Balustrade von Weinlaub und Sommerblumen üppig umrankt ist. An der Seitenfläche des Hauses geht eine grün angestrichene Dachrinne nieder, unter welcher zum Auffangen des Regenwassers eine Bütte aufgestellt ist. Im Vordergrunde der Bühne vor dem Hause ein mit einem farbigen Kattuntischtuch bedeckter Gartentisch und drei Birkenholzstühle.

Links stehen blühende Gebüsche und Gartenblumen. Vorn eine große Wurzelbank, ein ungedeckter Tisch von Naturholz und zwei Stühle. Den Hintergrund der Bühne bildet der See- und Gebirgsprospekt, der sich in bewegten Wellen bis zum Wirtshausgarten fortsetzt, welcher durch eine in der Mitte geteilte Balustrade gegen den See abgegrenzt ist. Der fehlende Mittelteil muß Kaum genug bieten, um von dem später landenden Dampfer die Schiffsbrücke auf die Bühne werfen zu lassen und den Passagieren einen raschen Auftritt zu ermöglichen.

[6]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Loidl – Resi – Leopold – Piccolo – Kracher.
Loidl sitzt am Tische links und spielt auf der Zither die Melodie des Liedes vom »Busserl«.

RESI
mit einem kleinen Sträußchen am Mieder, singt.
»A Busserl is a schnackig Ding,
Das Beste, was man hoat –
Man ißt's halt net, man trinkt's halt net
Und allweil schmeckt's so guat!

Und was a Schreiber schreiben kunnt,
Wohl in zehntausend Stund',
Dös drückt oan einzig's Busserl aus,
Dem Dearndl auf den Mund.«

Leopold ist aus dem Speisesaale nach der vierten Zeile des Liedes mit einer Serviette in der Hand aufgetreten und hört der Melodie verträumt zu.
LEOPOLD
seufzend.
Ja, ein Busserl! Gut schmeckt's schon! Aber kriegen muß man's halt!
RESI.
Aber Ihnen kann dös doch net schwer werd'n, Herr Le'pold.
LOIDL.

Einem Mann, wie Sie – in einer so bedeutenden Stellung: Zählkellner im »Weißen Rößl«! Da ist ja ein Minister a net viel mehr!

LEOPOLD
geschmeichelt.

Na ja – man ist schon wer in der Welt! Mit dem Gelde Gelingend, das er nach Art der Zahlkellner unter dem Frackschoß in einer Ledertasche trägt. Man hat's ja zu was bracht, aber glaubend, daß das die Leute einsehen?

LOIDL.
Wird schon kommen, – nur net nachlassen!
[7]
LEOPOLD.
Ich laß' auch net nach! Aber, sagen's, Resi, wo haben's denn die schönen Blümeln her?
RESI.

Droben vom Steinkogel! Wie ich heut in der Früh' runter kommen bin in 'n Ort, hab ich's abbrochen, droben vom Abhang. 's war gar net leicht!

LEOPOLD.
Geben's mir das Sträußerl – da haben's an Sechserl dafür – ich kann's brauchen!
RESI
ihm die Blumen gebend.
Aber gern, Herr Le'pold!
LEOPOLD.
Und jetzt, Loidl, singen 's die anderen Strophen, ich hör' das Lied gar so viel gern!
PICCOLO
aus dem Speisesaal.
Herr Leopold! Der Herr von Kracher will zahlen.
LEOPOLD.
Soll warten! Siehst' denn net, dummer Bua, daß ich ka Zeit hab?
PICCOLO.
Aber der Herr von Kracher ist schon ganz wild! Er wart' schon a halb' Stund'.
LEOPOLD.

Soll weiter warten – der Herr von Kracher! Wegen der zwei Kreuzer Trinkgeld, die er mir immer gibt, werd' ich mich net abstrap'zieren.

KRACHER
aus dem Speisesaal.
Aber Leopold, was ist denn? Ich will zahlen – hören's denn net? Zahlen will ich.
LEOPOLD
diensteifrig zu Kracher eilend.

Bitte sehr, bitte gleich! Zieht die Brieftasche, aus der er ein kleines Blatt nimmt, welches er dann auf den Tisch legt, und notiert mit einem Bleistift, den er hinter dem Ohr getragen hat. Bin schon da, Herr von Kracher.

KRACHER
diktierend.
Ein Beinfleisch.
LEOPOLD.
Dreißig – was dazu?
KRACHER.
G'röste Erdäpfel, ein Bier.
LEOPOLD.

Brot hatten's keins? Macht achtundvierzig. Greift sofort in die hintere Rocktasche, um Kupfergeld herauszuholen.

KRACHER
einen Schein hinlegend.
Können's mir außageb'n auf 'n Zehner?
LEOPOLD
Geldstücke aufzählend.

Bitte sehr! 48 und 2 sind fünfzig – ein Gulden – zwei – drei – vier – fünf – und Nimmt schnell aus der Brieftasche einen Fünfguldenschein, den er mit den Fingern schnalzend prüft, um sich zu überzeugen, daß es nicht zwei sind. macht zehn Gulden.

KRACHER
das Geld nehmend und zwei Kreuzer liegenlassend.
Na, lang' g'nug hat's dauert. Wendet sich zum Gehen nach links.
LOIDL
den Hut in der Hand, zu Kracher.
Bitt schön, Euer Gnaden!
[8]
KRACHER
unwillig.
Hab' kein Kleingeld. Ab links vorn.
LEOPOLD.

Aus dem werden's nix rauskriegen, Loidl. Da schaun's her, zwei Kreuzer Trinkgeld! Ordentlich schämen muß man sich. Zu dem wiederauftretenden Piccolo. Da, Piccolo, nimm du's!

PICCOLO
das Geld nehmend.
Küß' die Hand, Herr von Leopold. Ab in das Haus.
RESI
weitersingend.
»Und wenn'st nix mehr zum Plauschen woaßt,
Nimm's Maderl um den Hals!
Druck' ihr a saftig's Busserl auf
Und's Mädel woaß dann all's!«
LEOPOLD
während des Nachspiels wiederholend.

»Und's Mädel woaß dann all's!« Schwärmend. Jesses, wenn man sich denkt, daß man erst so weit wär'! O Gott! O Gott! ...

2. Szene
Zweite Szene
Loidl – Resi – Josepha – Leopold.

JOSEPHA
aus dem Haus.

Aber Leopold – Sackerment no a mal – was ist denn mit Ihna g'scheh'n? Haben's denn gar nix zu tun? Das ganze Haus voller Gäst' – das Dampfschiff wird auch gleich kommen, und der Leopold steht vor der Tür und läßt sich was vorsingen! Seit wann sind denn Sie so musikalisch?

LEOPOLD.
Ja, wenn ich das Lied hör' ... vom Busserln ...
JOSEPHA.

Was denn Busserln? Jetzt in der Früh? Dafür ist der Feierabend da! Da können's wegen meiner busserln, so viel als woll'n.

LEOPOLD
freudigst.
Ja, wenn Sie's gütigst erlauben, nachher werd' ich so frei sein! Sich ihr nähernd.
JOSEPHA
zurückweichend.

Aber, eine andere – das bitt' ich, mir aus! Net mich! Und das will ich Ihnen gleich sagen, Herr Leopold, – diese verdrahten Augen, die müssen's sich abgewöhnen! Die hab' ich bei 'nem Kalberl ganz gern, aber bei einem Zahlkellner kann ich's net leiden.

LEOPOLD.
Ach, wenn Sie wüßten ... Frau Sephi.
JOSEPHA.
Was denn, Frau Sephi? Seit wann steh'n wir zwei denn so miteinander?
LEOPOLD.
Na, Sie sagen doch auch manchmal, wenn's g'rad gut aufg'legt sind, Poldi zu mir.
[9]
JOSEPHA.

Bitte sehr! Dös ist ganz etwas and'res. Der Steg, der von mir zu Ihnen führt, der führt noch lange nicht von Ihnen zu mir! Für Sie bin ich die Frau Maria Gabriela Josepha Voglhuber, gebürtige Steingruber – die Wirtin vom »Weißen Rößl«. Das können Sie sich merken! Und weil wir g'rad beim Plauschen sind, will ich Ihnen noch etwas sagen. Vor drei Jahren hab' ich von meinem Mann, Gott hab' ihn selig, das Hotel hier übernommen. In derer Zeit hab ich fünf Oberkellner gehabt – lauter brave, tüchtige Menschen, so lang's die Augen nur im G'schäft gehabt hab'n. – Aber, es hat net lang dauert, da haben's ang'fangen, sich nach mir umzuschau'n – g'rad wie gewisse Leute. Wissen's, was ich mit denen g'macht hab'? Aussig'schmissen hab' ich's, alle fünfe! ... Sie, Leopold, nehmen's sich in acht, daß Sie das halbe Dutzend net voll machen!

LEOPOLD
sich aufs Herz klopfend.
Wenn's nur net gar zu schwer wär', das nieder zu drucken.
JOSEPHA.

Immer drucken's nur! Es wird sich schon machen. Und jetzt gehn's an die Arbeit. Die Speisekart'n soan no net g'schrieb'n, die Tisch soan noch nicht in Ordnung. Vorwärts.

LEOPOLD.

Gleich wird's g'macht sein, aber vorher – wann ich schon selber nix sagen darf – Ihr das Sträußchen überreichend, in gespreiztem Hochdeutsch. Diese Blumen sollen für mich sprechen.

JOSEPHA
lachend.

Jesses! Poetisch wird er auch noch, der Leopold! Innen muß aber schon sehr schlimm geh'n! Wo haben's denn das Sträußerl g'kauft?

LEOPOLD.
Aber bitt' schön! – das hab' ich selber abbrochen in aller Früh' – droben vom Abhang!
JOSEPHA.

Schad, daß Sie net einig'fall'n sind! Das hätt' Sie vielleicht kuriert! Nach dem Haus zeigend. Aber, darf ich jetzt vielleicht bitten? ...

LEOPOLD.

Frau Maria Josepha Gabriela Voglhuber, gebürtige Steingruber – ich habe die Ehre. Wendet sich zum Gehen.

JOSEPHA.

Und daß's net vergess'n. Das Dampfschiff kommt um 9 Uhr 35 – daß da nur die Leut' alle an der Landungsstelle sind. Wir im Salzkammergut müssen dazuschau'n. Wir hab'n eh' nur die paar Tag', wo's net regnet.

LEOPOLD.

Unbesorgt, wir werden die Gäst' schon einfang'n. Die paar Zimmer, die wir noch leer hab'n, die werd'n wir schon voll kriegen.

JOSEPHA.

Schau'ns nur nach, daß Nummer vier hübsch in Ordnung ist. Frische Gardinen an die Fenster, auf den Balkon stellen's die neuen Gartensessel, und das gute Sofa von Nummer 36 kommt auf das Zimmer.

LEOPOLD.
Jesses, da erwarten's wohl gar 'nen Erzherzog?
[10]
JOSEPHA
lachend.
Dös g'rad net. Aber ein lieber Gast kommt da hinein, der alle Jahre bei uns einkehrt.
LEOPOLD
etwas eifersüchtig.
Wer ist denn das?
JOSEPHA.
Der Herr Doktor Siedler.
LEOPOLD
mit gesteigerter Eifersucht.

Ach, der Herr von Siedler! Von dem haben mir schon meine Vorgänger erzählt. Den soll ja die gnä' Frau ganz besonders ins Herz geschlossen haben.

JOSEPHA.

Hab' ich auch. Das ist ein fescher, lustiger Gast, der bringt Leben ins Haus, und da lacht einem das Herz, wenn er da ist.

LEOPOLD.
So, wirklich?
JOSEPHA.
Der muß besonders aufmerksam bedient werden, damit er nur das nächste Jahr wiederkommt.
LEOPOLD.

Nun, wegen meiner braucht er sich nicht zu bemühen. Im Abgehen. Wann ich dem etwas antun kann, der soll's gut haben. Ab in das Haus.

JOSEPHA
Leopold nachsehend, lachend.
Ein narrischer Mensch, der Leopold.

Loidl, der inzwischen mit Resi im Hintergründe geblieben war, ist jetzt wieder vorgekommen.
LOIDL.
Aber bildsauber, und hat Sie gar so viel gern!
JOSEPHA.
Was Sie net alles wissen. Das hat er Ihnen wohl erzählt?
LOIDL.

Aber i bitt' Sie, Frau Voglhuber, das sieht man doch! Die Blumen, die er für Sie g'pflückt hat – da droben am Abhang ...!

JOSEPHA.

Die will ich jetzt gar net. Justament net.Resi das Sträußchen hinwerfend. Da Resi – nimm du's. Vielleicht kannst du dir noch ein paar Kreuzer damit verdienen. Aber mit Ihnen, Loidl, hab' ich noch ein paar Wörtl z'reden. Wollen's denn no net aufhören mit derer Bettlerei?

LOIDL.
Ja, warum soll ich denn das G'schäft aufgeb'n? Das geht ja sehr gut.
JOSEPHA.

Schämen sollten Sie sich! Ein wohlhabender Mann wie Sie – so die Leut' zu betrügen. Sie tun ja g'rad so, als wären's das ärmste Hascherl von der Welt! Die ält'sten Fetzen hängt er sich um ...

LOIDL.
In meinem Sonntagsgewand kann i doch net betteln gehn!
JOSEPHA.

Und dabei weiß doch jedes Kind im Ort, daß er ein hübsches Häuserl hat und zwei Küh, und auf der Sparkasse hat er a noch an schönen Batzen!

LOIDL.

Ja, wo hätt ich denn das her, wenn ich net so fleißig gebettelt hätt'? Da heißt's aufpassen, daß einem keiner vorübergeht. Schon mein Vater selig, von dem ich das G'schäft übernommen hab', hat immer g'sagt: »Nur koanen auslassen!«

[11]
JOSEPHA.
Na, die Lehr' befolgen's auf's Wort. Alle Fremden betteln's an, durch den ganzen Sommer.
LOIDL.

Ja, im Winter haben wir doch keine. Und wozu sein denn die Fremden da, als daß wir ihnen das Geld abnehmen? Sie machen's drinnen, und ich mach's halt draußen – das ist der ganze Unterschied.

JOSEPHA.
Da muß i aber schön bitten! Bei mir kriegen die Leut' was für ihr Geld.
LOIDL.

Ja, glauben's denn, bei mir net? Die Freude, die ihnen das Schenken macht, ist denn das nix? Die Gelegenheit, die ich ihnen geb' zum Wohltun – das ist doch auch was wert.

JOSEPHA.
Alsdann müßten die Fremden eigentlich zu Ihnen sagen: Vergelt's Gott!
LOIDL.
Wär' ganz in der Ordnung!
3. Szene
Dritte Szene
Loidl – Josepha – Piccolo – dann Leopold, Martin, Joseph – dann die Portiers vom »Weißen Rößl«, von der »Post«, vom »Grünen Baum«, von der »Rudolfshöhe« – dann ein Gebirgsführer – eine Bäuerin – ein Bauernknabe – Gäste und Reisende – dann Mirzl, Resi, Franz – dann der Kapitän und der Bootsmann des Dampfers – ein Hochtourist – Dr. Bernbach mit Emmy – Rätin Schmidt – Melanie Schmidt – zuletzt Giesecke, Charlotte, Ottilie.

PICCOLO.
Gnä' Frau! Die Köchin läßt fragen, ob's heut Backhähndel auf die Speisekarte setzen soll?
JOSEPHA.
Wegen meiner!
LOIDL
zum Piccolo.
Backhähndel gibt's heut'? Du, hörst, da wird für mich eine Portion aufgehoben!
PICCOLO.
Ist denn das net zu teuer für Sie?
LOIDL.
Dummer Bua, wann's Betteln net mehr so viel tragen sollt', dann danket' ich für das ganze G'schäft!

Ein heiserer Pfiff ertönt hinter der Kulisse.
JOSEPHA.

Jesses, da ist ja schon das Dampfschiff!Sie setzt die große Hotelglocke an der Haustüre in Bewegung.


Im Hintergründe entwickelt sich ein lebhaftes Treiben. Die Portiers vom »Weißen Rößl«, vom Hotel »Zur Post«, vom »Grünen Baum« und von der »Rudolfshöhe«, an deren Mützen die Namen der Gasthäuser angebracht sind, gehen an den Landungsplatz und stellen sich in Reih' und Glied auf. Sommergäste treten hinzu, um die Ankunft des Dampfen abzuwarten, teils in städtischer Sommertracht, teils in Gebirgskostüme gekleidet. Dorfkinder drängen sich hinzu, um später beim Tragen der Handkoffer ihre [12] Dienste anzubieten. Zwei Bäuerinnen treten hinzu, die je einen Korb mit Gemüse auf dem Kopf tragen und zwar auf einem farbigen Kopfpolster, wie sie im Gebirge üblich sind. Ein Dorfmädchen bietet Alpensträußchen feil, die auf einer Stange befestigt sind. Einige Gebirgsführer mit Rucksäcken und Gebirgsstöcken bilden weiter abseits eine Gruppe für sich.
Leopold und Franz treten unmittelbar nach dem Läuten heraus.
LEOPOLD.
Da san' mer schon, gnä' Frau.
FRANZ.
Immer auf dem Posten!

Martin kommt mit einem Schubkarren von rechts aus dem Haus und fährt zur Landungsstelle. Joseph, der zweite Hausdiener, folgt ihm.
JOSEPHA
zu den Hausdienern.
Joseph, Martin, gebt ordentlich acht auf das Gepäck! Wo ist denn das Stubenmadel?
MIRZL
aus dem Haus tretend.
Da bin i schon, gnä' Frau.
JOSEPHA.
Ja, Mirzl, wie schauen's denn aus? Haben Sie denn keine frische Schürzen?
MIRZL
eine frische Schürze umbindend.
Ja, gnä' Frau, hab' mir schon eine mitgebracht.
JOSEPHA.

Das Stubenmadel ist immer das erste, was sich die Fremden anseh'n. Wann's Stubenmadel net sauber is, – ist das ganze Hotel nix wert. Zu Franzl. Sie, Franz! Von gestern sind noch ein paar Portionen Lungenbraten übrig geblieben, die empfehlen Sie zuerst. Im ersten Hunger essen die Gäste alles!


Das Dampfschiff ist inzwischen sichtbar geworden und fährt langsam mit rauchendem Sehlot zur Mitte der Hinterbühne, während die Bergleute, die man im Vorderteil des Schiffes sieht, einen fröhlichen Ländler spielen. Der Kapitän steht in der Mitte, des Schiffes und kommandiert einige halbverständliche Worte in das Sprachrohr hinein. Der Bootsmann, wirft ein Seil auf die Bühne, das von einem Mann aufgefangen und am den Pfosten gewickelt wird. Dann läßt er die kleine Schiffsbrücke herunter, die vom Dampfer auf die Bühne gelegt
wird.
LOIDL
während der Ankunft des Dampfers.

Resi, geh' jetzt hinüber auf die Seit', ich will die Leut' auf der andren Seit' abfangen! Nur koanen auslassen!

KAPITÄN
auf dem Schiff.
Aussteigen, meine Herrschaften!
BOOTSMANN
an der Schiffsbrücke.
Bitt' um die Karten! Nimmt den aussteigenden Passagieren die Fahrkarten ab.
ERSTER PORTIER.
»Hotel zur Post!«
ZWEITER PORTIER.
»Zum grünen Baum!«
DRITTER PORTIER.
»Zum Weißen Rößl!«
EINE DAME
auf die Bühne kommend.
Da bist du ja, Linerl!
BÄUERIN.
Vielleicht ein Sträuß'l Alpenblumen g'fällig?
[13]
SEPP.
Wenn's vielleicht einen Führer gebrauchen?
BAUERNJUNGE
zu einem Passagier.
Darf ich die Handtaschen tragen, Euer Gnaden?
ERSTER PORTIER.
»Hotel zur Post!«
DRITTER PORTIER.
»Hotel Rudolfshöhe!«
ZWEITER PORTIER.
»Zum grünen Baum!«
VIERTER PORTIER.
»Zum Weißen Rößl!«
LEOPOLD
zu zwei Herren, mit denen er schon vorher, leise gesprochen.

Sehr schönes Zimmer wär' frei, – Aussicht auf den See! Zum anderen Kellner. Franz, die Herren auf siebenundzwanzig!

REISENDER
zu Franz.
Sie, ich möchte auch etwas essen, was können Sie denn empfehlen?
FRANZ.
Ein sehr schöner Lungenbraten war da!
REUENDER.
Gut, bringen Sie uns zwei Portionen.
PICCOLO.
Bier oder Wein gefällig?
REISENDER.
Zwei Glas Bier.
JOSEPHA
an der Eingangstreppe vom Hotel zu den beiden Reisenden.
Ich hoffe, meine Herren, daß es Ihnen im »Rößl« g'fallen wird!
REITENDER.
Aber sicher ... wenn man das Glück hat, eine so hübsche ... Will sie in die Backen kneifen.
JOSEPHA
schnell ausweichend und auf Mirzl zeigend.
Bitt' schön, – das ist das Stubenmadel!
REISENDER.
Ach so, dann entschuldigen Sie! Kneift Mirzl in die Wangen. Jedem das Seine!

Die beiden Herren ab in das Haus.
Josepha wendet sich zu den Gästen.
HOCHTOURIST
in übertriebenem Gebirgskostüm, mit großem Bergstock, Eishacke und einer um die Schulter geschlungenen Seilrolle, zum Führer.
Also morgen früh vier Uhr wecken Sie mich, da geht's hinauf auf den Dachstein!
SEPP.
Schön, Euer Gnaden!
HOCHTOURIST.
Sind denn die Wege schon schneefrei?
SEPP.
Freili', Euer Gnaden! Die Eishacken werden's gar net brauchen.
HOCHTOURIST.

Das macht nichts! Ich hacke doch! Wenn ich meinen Eispickel nicht mitnehmen kann, macht mir das Bergsteigen kein Vergnügen. Absteigen möcht' ich über den Höllerkogel.

SEPP.
Aber Euer Gnaden, das geht ja kerzengrad! Von der Seit' ist noch kein Mensch abgestiegen.
[14]
HOCHTOURIST.

Eben deshalb! – Wenn ich der erste bin, dann kommt's in die Zeitung, und wenn ich nicht in die Zeitung komme, dann macht mir das ganze Bergsteigen kein Vergnügen! Zum Leopold. Was für eine Nummer habe ich denn?

LEOPOLD.
Bitt' schön, Nummer zehn.
HOCHTOURIST
zum Führer.
Also merken Sie sich das, wegen des Weckens!
SEPP.
Wird pünktlich besorgt, Euer Gnaden! Schnell ab links.
JOSEPHA
zu Leopold.
Aber was machen's denn da? Nummer zehn ist doch besetzt! Nummer vierzehn ist frei!
HOCHTOURIST.

Gut, da nehme ich eben Nummer vierzehn. Aber sagen Sie jedenfalls dem Führer Bescheid! Ab in den Speisesaal.

DR.
BERNBACH seine Frau am Arm führend. Also, wir können für eine Nacht hier Unterkunft haben?
LEOPOLD.
Aber gewiß, Euer Gnaden! Wünschen Sie ein Zimmer im ersten oder im zweiten Stock?
DR.
BERNBACH. Das ist uns ganz gleich.
LEOPOLD.
Vielleicht mit Aussicht auf den See?
EMMY
an Bernbachs Arm, einen Strauß tragend.
Das ist uns ganz gleich.
LEOPOLD.
Mit oder ohne Balkon?
BERNBACH
mit gesteigertem Ton.
Das ist uns ganz gleich.
JOSEPHA.
Franz, die Herrschaften auf Nummer sechsunddreißig!
LEOPOLD.
Wollen's net wenigstens erst anschau'n, das Zimmer?
EMMY.
Aber das ist ja ganz gleich! Mit Bernbach ab in das Haus.
LEOPOLD.
Das sein ja merkwürdige Gäst'!
JOSEPHA.

Aber haben's denn net g'sehn? Das san doch Hochzeitsreisende! ... Wenn die nur überhaupt a Zimmer kriegen!

LEOPOLD.
Hochzeitsreisende! O Gott! O Gott! Zu Josepha. Na, heute san doch g'nug Gäste kommen?
JOSEPHA.
Aber der Doktor Siedler ist ausgeblieben – und der wär mir lieber g'wesen als alle anderen zusammen.
LEOPOLD
wütend.
Immer dieser Dr. Siedler!
MELANIE SCHMIDT
kommt mit einer alten Dame in den Vordergrund.

Nein, ist das aber hier herzig! – Da muß ich doch gleich meiner Freundin Betty eine Ansichtskarte schicken!

JOSEPHA.

Die haben wir sehr schön drin im Speisezimmer! Mit einem sehr hübschen Bilderl! Darf i schön bitt'n? Voraus in den Speisesaal.

[15]
MELANIE.

Bilderl! ... Wie das klingt! Diese österreichische Mundart ist doch zu herzig! Wenn ich dagegen an unser Berlinisch denke!

RÄTIN SCHMIDT.
Ein Glück, daß man's hier nicht zu hören bekommt.

Giesecke noch auf dem Schiff, in einem langen Lodenmantel, setzt sehr energisch in ausgeprägter Berliner Mundart ein.
GIESECKE.
Na, det Jeschäft is richtig.
RÄTIN SCHMIDT
entsetzt.
Da ist ja ein Berliner!
GIESECKE
vom Schiff herüberrufend.
Aber jewiß doch! Haben Sie schon mal ne Jegend ohne Berliner gesehen? Ich nicht!
MELANIE.
Komm' nur, Mama! Ab in den Speisesaal.
GIESECKE
zum Bootsmann.
Also machen Sie mit mir keenen Krach! Ich habe sie doch nicht mehr.
CHARLOTTE
auch auf dem Schiff.
Was ist denn, Wilhelm?
GIESECKE.
Die Billetts habe ich verloren!
BOOTSMANN.
Tut mir leid, Euer Gnaden – aber ohne Karten kann ich Sie nicht vorbeilassen.
GIESECKE
sich wieder hinsetzend.
Schön! Dann bleiben wir eben drauf auf die Jondel! Sie werden uns schon irgendwo abladen.
OTTILIE
im Ischler Bauernkostüm, noch auf dem Schiff.
Aber Papa, wegen des einen Guldens! Zum Bootsmann. Geben Sie uns neue Billets!
BOOTSMANN.
Ja, das ist etwas anderes.

Giesecke verläßt mit seinen Damen das Schiff und kommt nach vorn. Der Bootsmann gibt mit der Schiffsglocke das Signal zum Einsteigen. Die Bäuerinnen mit ihren Gemüsekörben steigen auf den Dampfer und setzen dort ihre Körbe nieder. Passagiere folgen ihnen, und der Dampfer setzt sieh in Bewegung. Die Bühne ist inzwischen bis auf die handelnden Personen leer geworden, nachdem noch das letzte Gepäckstück vom Schiff auf die Bühne geladen wurde.
4. Szene
Vierte Szene
Giesecke – Charlotte – Ottilie – Leopold.

GIESECKE.

Zwee Julden für die kleene Fahrt! Ich danke! Davor kann ich schon dreimal von der Jannowitzbrücke nach Treptow fahren und noch eine Portion Aal jrün essen! Zu Leopold. Haben Sie jrüne Aale?

LEOPOLD.
Nein, bitte. Aber ein schöner Lungenbraten wär' da.
GIESECKE.

Will ich nicht. Wenn ich Dampfer fahre, will ich Aale essen, das gehört zusammen. Aber so was kennen hier die Brüder natürlich nicht.

[16]
CHARLOTTE.
Aber Wilhelm! Aale gibt's doch nun einmal nicht im Salzkammergut!
GIESECKE.
Warum wir aber auch gerade in die Jejend reisen mußten!
OTTILIE.

Aber Papa, wir hatten doch nun einmal die schönen Kostüme vom Alpenball im vorigen Jahre. Die müssen wir abtragen, und hier geht ja doch alle Welt so.

CHARLOTTE
zu Ottilie.
Steht dir aber auch wirklich reizend, dieses Ischler Bauernkostüm!
GIESECKE.

Aber mir nicht! Wirft den Lodenmantel ab und erscheint im Gebirgskostüm, gemsledernen Hosen, nackten Knien und hellgrünen Stutzen. Wenn ich mir so in die Friedrichstraße blicken lasse, da denken die Leute, ich bin aus die Jebirgshallen ausgebrochen! Von's Tiroler Quartett! Und das soll schön sein? Die halben Hosen? Als wenn der Stoff nicht gelangt hätte! Und die nackichten Knie! Wenn die Sonne weg ist, dann friert's einem – und wenn sie da ist, da kommen die Mücken und frühstücken! ... Ich danke! ...

CHARLOTTE.
Aber dafür diese herrliche Natur. Dieser lachende See!
GIESECKE.
Der Müggelsee ist mir lieber! ...
OTTILIE.
Aber Papa!
GIESECKE.
Er ist mir lieber! Das is nu Jeschmackssache!
OTTILIE.
Da hast du aber doch nicht die Berggipfel mit dem ewigen Schnee!
GIESECKE.

Na, ist denn Schnee vielleicht wat Scheenes? Zu Hause sind wir froh, wenn wir ihn endlich weg haben, und hier soll ich mir freuen, daß er noch da ist! Wieso denn?! Und dann das Wetter hier im Salzkammergut! So was von Regen! Wo sie das Wasser bloß hernehmen? Zu Leopold. Sagen Sie mal, regnet es denn bei Ihnen auch so viel?

LEOPOLD.

Ach, wir können nicht klagen. Wir haben doch hin und wieder einen ganz schönen Tag ... Besonders, wenn der Wind vom Gamskogel her kommt!

GIESECKE
zu Charlotte.

Nun warte du also gefälligst, bis der Wind vom Jamskogel herkommt! Zu Leopold. Wie steht's denn nun mit Logis? Ich brauche zwei Zimmer!

LEOPOLD.

Da hab' ich nur noch ein sehr schönes Zimmer im ersten Stock und ein kleines in der Dependance, im zweiten Stock.

GIESECKE.

Erlauben Sie mal! Das jeht nicht! Zunächst müssen die Zimmer nebeneinander liegen ... und dann ... wie hoch ist denn bei Ihnen der erste Stock?

[17]
LEOPOLD
nicht verstehend.
Wie meinen der gnä' Herr?
GIESECKE.

In Wien wurde mir auch ein Zimmer im ersten Stock angeboten, aber wie ich eine Treppe heraufgekommen war, da sagt der Kellner: »Bitt' sich höher zu bemühen, das ist erst der Halbstock!« und auf dem zweiten Treppenflur: »Das ist der Mezzanin!« Und erst drei Treppen hoch sagte er: »Bitt' schön, das ist der erste Stock!« ... Sie zählen wohl hier in Österreich die Stockwerke von oben?

LEOPOLD.

Aber bitt' schön, Euer Gnaden, das gibt's bei uns nicht. Bitte, überzeugen Sie sich selbst, dort ist das Zimmer.

MIRZL
erscheint an den Fenstern des Balkons und steckt neue Gardinen an.
GIESECKE.

Na, da ist doch noch ein sehr schönes Balkonzimmer daneben, wo das Mädchen jrade die Gardinen ansteckt!

LEOPOLD.
Ja, das ist eigentlich schon vergeben. Der Herr ist zwar nicht gekommen ...
GIESECKE.
Na also – da ist das Zimmer doch frei?
LEOPOLD
zögernd.
Ja, aber wenn der Herr doch noch kommt! ...
GIESECKE.

Muß er eben in einem andern Hotel wohnen! ... Sie können ihm das Zimmer doch nicht bis zum Winter aufheben!

LEOPOLD.

Da haben's eigentlich recht! Soll er in einem anderen Hotel wohnen! Martin, die Herrschaften auf Nummer vier und fünf!

OTTILIE
sich zum Gehen wendend.
Aber das Balkonzimmer nehmen wir!

Beide gehen ab in das Haus, gefolgt von Martin, der das Gepäck trägt.
LOIDL
zu Giesecke.
Bitt' schön, Euer Gnaden! Ein armer, hungriger Bettler! ...
GIESECKE.
Na, weinen Sie man nich, Onkel! Ihren Hunger wollen wir schon stillen! Gibt ihm eine Münze.
PICCOLO
von rechts.
Herr Loidl – Ihr Backhähndel ist fertig!
GIESECKE.
Was, Backhähndel?
LOIDL.
Nein, so ein dummer Bua!
GIESECKE.
Und da reden Sie von Hunger?
LOIDL
verschmitzt.
Aber, ich hab's ja no net g'essen! Im Abgehen. Nur koanen auslassen. Ab.
GIESECKE.

Na, det Jeschäft ist richtig! Das sind ja nette Zustände! Zu Leopold. Haben Sie denn hier keinen Landrat?

LEOPOLD
ihn nicht verstehend.
Nein, aber ein frischer Lungenbraten wär' da!
[18]
GIESECKE.
Sie wollen mich wohl uzen? ... Geben Sie mir mal die Speisekarte!
LEOPOLD
nach rechts rufend.
Franz! Die Speisekarte für den Herrn!
FRANZ
von rechts, eifrig, Giesecke die Speisekarte reichend.
Bitte sehr, bitte gleich!
GIESECKE
die Speisekarte nehmend.
Ich möchte auch was trinken!
FRANZ
nach rechts rufend.
Piccolo – Getränk für den Herrn!
PICCOLO
von rechts, eifrig.
G'fällig?
GIESECKE
die Kellner musternd, die jetzt in einer Reihe stehen und alle drei gleichzeitig mit den Servietten wedeln.
Da gehören nur drei dazu! Für einen ist das wohl zu schwer?
PICCOLO.
Bitte, Bier g'fällig? Oder vielleicht an G'spritzten?
GIESECKE
nicht verstehend, zu Leopold.
Was für ein Ding?
LEOPOLD
deutlicher wiederholend.
An G'spritzten!
GIESECKE
der noch immer nicht versteht.
Aha! Also schön – bringen Sie mir so einen G'spritzten!
PICCOLO.
Weiß oder rot?
GIESECKE.
Wieso?
LEOPOLD.
Bitt' schön – ob's an weißen woll'n oder an roten?
GIESECKE.
Weiß! ... Ich bin bloß neugierig, was da rauskommt!
PICCOLO
schnell ab.
FRANZ.
Haben der gnä' Herr schon g'wählt?
GIESECKE.

Einen Augenblick! Lesend. Matrosenfleisch! ... Leopold verwundert ansehend. Jungfernbraten! Was das für Gerichte sind! Risi Bisi? ... Beusch'l? ... Haben Sie denn keine deutsche Speisekarte?

LEOPOLD.
Kann ich Ihnen aber sehr empfehlen, das Beusch'l!
OTTILIE
auf dem Balkon erscheinend.
Ach, ist das aber hübsch hier!
GIESECKE
zum Balkon hinaufsprechend.
Ottilie, du hast doch fremde Sprachen studiert; weißt du vielleicht, was ein Beuschel ist?
OTTILIE
lachend.
Nein, Papa! Das kann ich dir nicht sagen. Wieder ab in das Zimmer.
LEOPOLD
erklärend.
Alsdann, ein Beusch'l, das ist ... das ist ... es wird auch manchmal mit einem Ei gegessen.
GIESECKE
mit Appetit.
Also, dann bringen Sie mir mal so'n Ding! Der Name klingt ja eigentlich ganz vertrauenerweckend!

Franz schnell ab.
Piccolo schnell von rechts.
[19]
GIESECKE
das Glas nehmend, mißtrauisch.
Das sieht ja aus wie Fliedertee! Vorsichtig kostend. Das ist ja Wasser!
LEOPOLD.
Bitt' schön, es ist auch a Wein drin!
GIESECKE.
So weit bin ich noch nicht!
LEOPOLD.
Durfte ich vielleicht gleich für den Fremdenzettel um den werten Namen bitten?
GIESECKE.

Wilhelm Giesecke, Lampenfabrikant aus Berlin, mit Schwester und Tochter. Sind schon Briefe für mich da?

LEOPOLD.
Jawohl, Herr von Giesecke! Die Kathi hat schon welche gebracht.
GIESECKE.
Die Kathi ...? Wer ist denn das?
LEOPOLD.
Die bei uns die Brief' bringt ...
GIESECKE.

Ein weiblicher Briefträger! Das ist ja jottvoll! Wäre auch eigentlich was für Berlin ... Also dann bringen Sie mir die Briefe!

LEOPOLD.
Sofort, Herr von Giesecke. Ab rechts in das Haus.
GIESECKE.
In den Adelsstand hat er mir auch schon erhoben!
FRANZ
mit dem Essen von rechts, servierend.
Bitt' schön, Euer Gnaden, da ist das Beusch'l.
GIESECKE
empört das Essen betrachtend.

Das ist ja Lungenhaschée! Das einzige, was ich nicht esse. Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?

FRANZ.
Wenn vielleicht was andres g'fällig wär?
GIESECKE.
Na, lassen Sie man, ich werde schon mit fertig werden!
FRANZ.
Vielleicht eine Nachspeise g'fällig? Ribiseltorte, – Marillenknödel, – Topfentascherl?
GIESECKE
wütend.
Nu hören Sie mir mit den Fremdwörtern auf, ich habe genug!

Franz ab.
LEOPOLD
von rechts aus dem Haus.
Bitt' schön, Herr von Giesecke! Übergibt ihm eine Anzahl von Briefen.
5. Szene
Fünfte Szene
Giesecke – Charlotte – Ottilie.

OTTILIE
aus dem Hause kommend.
Das ist ja aber himmlisch da oben! Diese Aussicht vom Balkon, die mußt du sehen, Papa.
GIESECKE.
Ja, ja, nachher! Sieht die Briefe durch.
CHARLOTTE
ist mit Ottilie aus dem Hause gekommen.
Willst du nicht auch eine Kleinigkeit essen, Ottilie?
[20]
OTTILIE.

Nein! Erst muß ich an den See hinunter. Ich nehme mir ein Boot und fahre ein bißchen hinaus! Ab links in das Haus.

GIESECKE
nachdem er die Briefe gemustert hat, wütend.
Da hört doch aber alles auf!
CHARLOTTE.
Hast du Ärger gehabt, lieber Wilhelm?
GIESECKE.

Die gleichgültigsten Briefe finde ich hier vor, und der einzige, auf den ich mit Ungeduld warte, ist nicht da. Herr Sülzheimer in Sangershausen läßt mich erst zappeln.

CHARLOTTE.
Vielleicht hat er keine Zeit gehabt!
GIESECKE.

Was kann einer in Sangerhausen schon zu tun haben? Nein ... die Sache liegt anders. Wahrscheinlich hat er erst seinen Rechtsanwalt um Erlaubnis gefragt, den Herrn Doktor Siedler. Ich sage dir, was dieser Doktor Siedler mich die letzten Jahre geärgert hat, – wenn der überhaupt nicht dazwischen getreten wäre, – zwischen Sülzheimer und mich ...

CHARLOTTE.
Ich denke, Ihr wart immer gute Geschäftsfreunde?
GIESECKE.

Waren wir auch! Bis ich für meine Petroleumlampen den neuen Jlühstrumpf in den Handel brachte. Du kennst ihn ja!

CHARLOTTE.
Der ist doch aber sehr schön!
GIESECKE.

Die Sonne scheint nicht so hell! Da auf einmal kommt Herr Sülzheimer aus Sangershausen und behauptet, es wäre eine Nachahmung von seinen Jlühstrumpfen. Ich hätte sein Patent verletzt, und der Doktor Siedler ruht nicht eher, als bis es zum Prozeß gekommen ist! Und jetzt ging ein Krakehl los vor den Richtern und vor den Sachverständigen und in Zeitungsannoncen ... Der Kampf um die beiden Jlühstrümpfe wurde schließlich zum Stadtgespräch ... Coupletstrophen haben sie auf mir gesungen! ... Ich sage dir, keine Nacht habe ich mehr ruhig schlafen können. Die Strümpfe vom alten Sülzheimer haben mir wie ein Alp auf der Brust gelegen ... bis ich endlich den Richtern haarscharf bewiesen habe, daß ich im Recht bin.

CHARLOTTE.
Nun und dann? –
GIESECKE.
Und dann – dann habe ich den Prozeß in erster Instanz verloren.
CHARLOTTE.
Aber es gibt doch noch eine zweite, eine dritte Instanz.
GIESECKE.

Und du denkst, darauf werde ich mich noch einlassen? Mich wieder mit den Rechtsanwälten herumärgern? Ich denke nicht dran! Ich sage dir, wenn sich einer erst mit einem Rechtsanwalt einläßt, ist er überhaupt schon verloren! Die Brüder können alle nichts!

[21]
CHARLOTTE.

Ja, aber weißt du, der von deinem Gegner, der Doktor Siedler, muß doch seine Sache ganz gut gemacht haben!

GIESECKE.

Das ist's ja eben! Ist einmal ein tüchtiger Rechtsanwalt da – dann hat ihn der ande re! ... Nein, auf die Brücke gehe ich nicht mehr. Ich muß endlich Ruhe haben vor dem Herrn Doktor Siedler, und darum habe ich meinem Gegner einen Einigungsvorschlag gemacht, bei dem du mir sogar helfen kannst, liebe Lotte!

CHARLOTTE.
Wieso denn ich?
GIESECKE
nervös.

Na, wart' es doch erst ab! Du siehst doch, ich habe noch keine Antwort! Es fehlt noch die allerhöchste Zustimmung von Herrn Sülzheimer in Sangershausen!

CHARLOTTE.
Nein, aber Wilhelm, was du für ein Kribbelkopf geworden bist! ...
GIESECKE.

Weiß ich ... ein unausstehlicher Kerl bin ich geworden. Aber wenn einem auch so eine Sache zwischen Fell und Fleisch sitzt ...! Laß mich nur erst den Prozeß aus der Welt schaffen! Paß mal auf, dann werde ich ein ganz anderer Mensch!

CHARLOTTE
mit diskretem Spott.
Ich glaube, Wilhelm, dabei könntest du nur gewinnen! Ab in das Haus.
GIESECKE
ihr nachsehend.
Na, so schlimm ist es nun auch nicht!
6. Szene
Sechste Szene
Giesecke – Piccolo – Franz – Leopold – Resi.

GIESECKE
zu Piccolo.
Du, Stift, was bin ich schuldig?
PICCOLO
nach rechts rufend.
Leopold, zahlen!
LEOPOLD
eilig von rechts.

Bitt' schön, Euer Gnaden! Macht die Manipulation wie in der ersten Szene. Ein Beuschel fünfundzwanzig – ein Gespritzter zehn – Brot hatten's keins? In das Speisezimmer rufend. Komm gleich! Fortfahrend. Fünfunddreißig – Bitt' schön!

GIESECKE.
Da haben Sie fünfzig, der Rest für Sie!
LEOPOLD.
Küß die Hand, Euer Gnaden! Bin schon da! Schnell ab in den Speisesaal.
FRANZ
auf der anderen Seite Gieseckes stehend.
Wünsche gut gespeist zu haben!
GIESECKE
ihn ansehend.
Wieso?
FRANZ.
Ich bin der Speisenträger.
GIESECKE.
Ach so! Na, da nehmen Sie auch was!
[22]
PICCOLO
vor der Treppe.
Bitt' schön, ich hab's Getränk gebracht!
GIESECKE
mit ironischer Höflichkeit ihm ein Geldstück gebend.

Entschuldigen Sie – das hätte ich beinahe vergessen! Dann im Abgehen. Fünfunddreißig die Rechnung – vierzig die Trinkgelder – det Jeschäft ist richtig! Ab ins Hotel.


Piccolo trägt die Teller und Gläser ab.
Franz ordnet den Tisch wieder und schlägt mit der Serviette die Krümel vom Tischtuch.
RESI
singt hinter der Szene vor dem Nachbarhaus mit Zitherbegleitung.
»A Busserl' is a g'spaßig Ding,
Das Beste, was man hat ...
Das Schlimme nur beim Busseln ist:
Man kriegt's halt niemals satt.«
7. Szene
Siebente Szene
Siedler – dann Josepha.

SIEDLER
von links auf die Bühne radelnd.

Da sind wir ja wieder. Das nenne ich einen Willkommen. Zitherschlag! Sonnenschein! Und Gesang! Da lacht einem ja gleich der ganze Sommer entgegen.

JOSEPHA
aus dem Haus kommend.

Mit großer Freude und Herzlichkeit. Jesses – Herr Doktor – da sind's ja doch noch kommen – das is aber schön, daß Sie Wort g'halten haben!

SIEDLER.

Ja, haben Sie denn daran gezweifelt? Ihr die Hand drückend. Natürlich bin ich wieder da, meine liebe Frau Josepha! Und ich bin glücklich, daß ich noch alles auf dem alten Fleck finde. Da ist es ja wieder, das liebe Haus, mein altes Wanderziel, und der See und der Wald und Du auch Zum Gebirg hinaufdeutend. mit dem eisgrauen Gipfel! Grüß Dich Gott, Alter! Ich freue mich ja kindisch, daß wir uns wiedersehen.

JOSEPHA.
Und wie ich mich erst freue, daß Sie wieder da sind!
SIEDLER.

Eigentlich muß ich mich ja schämen – in jedem Jahr nehme ich es mir vor: »Nun ist es aber Zeit, daß du endlich wo anders hingehst! Die Welt ist ja so groß!« Und wenn es dann wieder so weit ist? ... Na, Sie sehen ja! ...

JOSEPHA.

Und recht haben's g'habt! Ich war ja schon ganz traurig, wie ich Sie net auf dem Schiff g'sehen hab'. Sind Sie denn mit dem Zug gekommen?

SIEDLER.

Ach was! Geradelt bin ich von München bis hierher! Sehen Sie, Frau Josepha, das müssen Sie auch noch lernen!

[23]
JOSEPHA.
Na, sein's so gut! Eine radelnde Gastwirtin, mit dem Schlüsselbund an der Lenkstangen ... ich danke!
SIEDLER.

Hilft Ihnen alles nichts! Übers Jahr radeln Sie doch, und hübsch werden Sie aussehen! Sie diskret musternd. Sie haben so alles, was dazu gehört!

JOSEPHA
etwas verschämt sich abwendend.
Aber Herr Doktor!
SIEDLER.

Nein, nein! Lassen Sie sich nur mal ansehen! ... Sapperment, wissen Sie, daß Sie noch hübscher geworden sind?

JOSEPHA
scherzend.
Aber das war ja gar nimmer möglich!
SIEDLER.
Und dabei immer noch Witwe? Ja, sind denn die Leute hierzulande blind?
JOSEPHA.

Ui jeh! Wann i nur g'wollt hätt'! Das Gasthaus zum »Weißen Röß'l« würd' gar mancher gern heiraten und nähm die Wirtin auch mit in Kauf! Wann i nur mögen möcht'! – Da konnt' ich dem Herrn Pfarrer schon längst was zum Verdienen geben!

SIEDLER.
Na also, warum wollen Sie denn dem alten Mann nichts zukommen lassen?
JOSEPHA.
Weil ich den doch nicht krieg', den ich gern haben möcht'!
SIEDLER.
Ja, – »möcht« er denn nicht auch?
JOSEPHA.
Bewahre, für den Mann bin ich ja viel zu gering.
SIEDLER.

Erlauben Sie mal, was kann der Mann mehr beanspruchen? Und wenn Sie weiter nichts in die Ehe mitbringen als Ihre vergnügten Augen und die frischen Lippen und den schönen Hals und ... und ... Abbrechend. Na ja! Ich sage Ihnen, das ist eine Mitgift, wie man sie manchmal in den reichsten Familien nicht kriegt! ... Ja, was will er denn noch, der Mann?

JOSEPHA.
Gar nix! Gott sei Dank ... er weiß überhaupt nicht, wie gut ich ihm bin!
SIEDLER.

Das hat er nicht gemerkt? Nehmen Sie mir's nicht übel, aber dann muß das ja ein ganz dummer Kerl sein!

JOSEPHA.
O nein! Das ist ein sehr gescheiter Herr!
SIEDLER.

Darin irren Sie sich! Wenn ich es Ihnen doch sage! Mit dem Mann werde ich überhaupt mal reden. Ich werde ihm schon den Kopf zurecht setzen.

JOSEPHA
lachend.
Ja, ja, tun Sie's nur!
SIEDLER.

Aber im Ehekontrakt – das sage ich Ihnen – da lautet der Paragraph eins: »Der Dr. Siedler wird immer gut aufgenommen im ›Röß'l‹, und ... in jedem Jahr kriegt er sein altes Zimmer!«

[24]
JOSEPHA.
Aber das wartet ja schon auf Sie!
SIEDLER.

Und wie ich erst auf das Zimmer gewartet habe – zehn Monate lang. Glauben Sie mir, es ist ja kein Eigensinn, wenn ich immer wieder Auf den Balkon zeigend. da hinein will! Aber wenn ich die alten vier Wände wiedersehe, wo mir jeder Winkel vertraut ist, und ich trete auf den Balkon heraus, wo ich so oft gesessen habe und geträumt ... da ist es mir gerade, als hätte es zwischen meiner Abreise und meinem Wiederkommen gar keinen Winter gegeben, und als ginge gleich ein Sommer in den anderen über! Ach! Ich sage Ihnen ..., ich freue mich wie ein Schuljunge! Übermütig. Da bin ich wieder!


Er wirft seine Radfahrermütze auf den Balkon und trifft damit den heraustretenden Giesecke in das Gesicht.
8. Szene
Achte Szene
Siedler – Giesecke – Josepha – später Leopold – zuletzt Martin und Josepha – Charlotte hinter der Szene.

GIESECKE
auf dem Balkon erscheinend.
Na, det Jeschäft ist richtig! Die Mütze nehmend. Was soll ich denn mit der Mütze?
SIEDLER
überrascht.
Verzeihung! Da ist ja jemand!
GIESECKE.
Sagen Sie mal, Sie sind wohl Jongleur, daß Sie so mit Jejenstände werfen?
SIEDLER.
Aber Frau Josepha, wer ist denn da auf meinem Balkon?
GIESECKE.
Erlauben Sie, das ist mein Balkon!
SIEDLER.
Bitte um Verzeihung! – Aber das Zimmer habe ich gemietet!
GIESECKE.
Darin irren Sie sich! Das Zimmer habe ich gemietet! Das sehen Sie ja!
JOSEPHA
zu Giesecke.
Aber verzeihen Sie, gnädiger Herr, wer hat Sie denn da hinauf geführt?
GIESECKE.

Der Kellner! Wer denn sonst? Ich werde mir doch nicht erst einen Gebirgsführer nehmen, um hier 'rauf zu kommen!

SIEDLER.
Ja, was heißt denn das, Frau Josepha?
JOSEPHA.
Ich verstehe auch nicht, was der Leopold da gemacht hat!
SIEDLER
rufend.
Leopold!
LEOPOLD
von rechts.
Bitte sehr! Bitte gleich!
JOSEPHA.
Haben Sie Nummer vier fortgegeben?
LEOPOLD.
Ja natürlich, da der Herr Doktor doch nicht mit dem Schiff gekommen ist!
[25]
JOSEPHA
zu Leopold.
Aber der Herr Doktor ist doch da!
LEOPOLD.
Ui je!
JOSEPHA.
Leopold, Sie sind doch ein Mordstrottel!
GIESECKE.
Sagen Sie das nicht! Der Mann weiß, was er tut! ... Leopold – Sie kriegen ein feines Trinkgeld!
LEOPOLD.
Vielleicht zieht der Herr Doktor in die Dependance ... da haben wir noch ein Zimmer frei!
SIEDLER.
Ich denke nicht dran.
LEOPOLD.
Oder in ein anderes Hotel.
JOSEPHA.
Nein, das auf keinen Fall.
LEOPOLD
leise zu Josepha.
Der Herr Doktor muß doch nicht immer mit Ihnen auf demselben Gang wohnen.
JOSEPHA.

Leopold! Wann Sie sich unterstehen und auch noch keck werden, – ich sage Ihnen, Sie wären nicht der erste, bei dem der Rößlwirtin die Hand ausgerutscht wär'!

GIESECKE.
Ach Herrjeh! Leopold kriegt Haue ...

Leopold schnell ab.
JOSEPHA
zu Giesecke.
Oder vielleicht ist der gnä' Herr so freundlich und nimmt das Zimmer in der Dependance?
GIESECKE.

I wie komme ich denn dazu? Ich fühle mich hier ja ganz wohl. Ich werde mich doch nicht von dem Herrn an die Luft setzen lassen!

SIEDLER
höflich.

Es mir ja selbst sehr peinlich, daß meinetwegen ein anderer Gast Unannehmlichkeiten hat – – aber auf der Reise ist eben jeder sich selber der nächste.

GIESECKE.
Sehr richtig, deshalb bleibe ich eben.
JOSEPHA.
Aber ich bitt' Sie ... der Herr wohnt schon seit sieben Jahren in dem Zimmer.
GIESECKE.
Na also, dann kann er ja im achten Jahre mal ein anderes kriegen.
SIEDLER
etwas nervöser.
Ja, lieber Herr, wollen Sie mir denn den ganzen Sommer verderben?
GIESECKE.

Was geht mich denn Ihr Sommer an? Die Sache ist sehr einfach – das Zimmer gehört mir, ich hab's vom Kellner!

SIEDLER.
Aber der hatte keinen Auftrag von der Wirtin.
[26]
GIESECKE.

Erlauben Sie mal, ich kann mir doch nicht von jedem Kellner erst eine schriftliche Vollmacht vorzeigen lassen! Nee, lieber Herr! Das Mietsrecht kenn' ich nun. Ich bin selber Hauswirt! Es ist schon dagewesen, daß ich einen Mieter exmittiert habe, aber daß ein Mieter mir exmittierte ... na, det Jeschäft wär' ja richtig!

SIEDLER.

Ja, verehrter Herr, wenn Sie mir so kommen und sich auch noch auf den Rechtsstandpunkt steifen ... den kenne ich nun besser! Und ich erkläre Ihnen hiermit als Jurist, das Zimmer habe ich vor acht Tagen bestellt Ein Telegramm hervorziehend. hier ist die schriftliche Zusage der Frau Wirtin ... und damit ist ein rechtsgiltiger Mietsvertrag abgeschlossen, der mir in diesem Zimmer ein Hausrecht gibt!

GIESECKE
wütend.
Wenn ich so was höre!
SIEDLER
erregter fortfahrend.
Hoffentlich werden Sie mich nicht zwingen, von diesem Rechte Gebrauch zu machen!
GIESECKE
in das Zimmer rufend.
Lotte, – schließ die Türen zu! ... Nun bin ich neugierig, wer mir hier herunterbringt!
SIEDLER.
Das werden wir ja sehen!
GIESECKE.

Jawoll! Das werden wir sehen! Hier bin ich, hier bleib' ich, – und, wenn Sie mich reizen, dann bleib' ich bis Weihnachten.

JOSEPHA.

Jetzt wird's mir aber zu viel! Der Herr Doktor hat mein Wort, und die Rößlwirtin hat ihr Wort noch immer gehalten! Alsdann bitt' schön – machen's dem Dischkurs ein End' – räumen's das Zimmer gutwillig, und machen's weiter keine Spompernadeln!

GIESECKE.
Was soll ich nicht machen? Spompernadeln? Reden Sie doch gefälligst deutsch mit mir!
JOSEPHA.

Ah, wenn's das wollen – deutsch kann i auch mit Ihnen reden – also auf Deutsch: Sie müssen das Zimmer räumen!

GIESECKE.
Wer?
JOSEPHA.
Sie!
GIESECKE.
Ich?
JOSEPHA.
Ja!
GIESECKE.
Nicht um die Welt!
JOSEPHA.
Das werden wir sehen! In die Kulisse rufend. Joseph! Martin!
GIESECKE.
Was wird denn nun?

Joseph und Martin kommen von rechts.
[27]
JOSEPH UND MARTIN.
Befehlen's?
JOSEPHA.
Schaffen's das Gepäck von Nummer vier herunter!

Joseph und Martin gehen in das Haus.
GIESECKE
die Hausknechte mißtrauisch betrachtend.

Ein bißchen kräftig sehen die Brüder aus ... Aber das sage ich Ihnen, wenn ich Nummer vier nicht haben kann, dann will ich Nummer fünf auch nicht, dann ziehe ich überhaupt aus.

SIEDLER.
Gut, da nehme ich eben beide Zimmer. Zu Josepha. Einen Schaden sollen Sie nicht haben.
JOSEPHA.
Aber bitt' schön, Herr Doktor, darauf kann's doch net ankommen!

Man hört hinter der Szene energisch gegen die Türe im ersten Stock klopfen.
CHARLOTTE
hinter der Szene.
Wilhelm, die schlagen uns die Türe ein!
GIESECKE.

Dann weiche ich also der Gewalt! Aber ich werde mich beim nächsten Landrat beschweren. Zur auftretenden Ottilie. Ottilie, du brauchst gar nicht erst heraufzukommen, der Herr hat dich aus deinem Zimmer vertrieben!

9. Szene
Neunte Szene
Vorige – Ottilie.

OTTILIE.
Ja, wie ist denn das möglich?
GIESECKE.

Ich hätt' es ja nicht nötig gehabt, nachzugeben – aber was soll ich mich erst mit dem Herrn in einen Streit einlassen! Dazu sind wir doch zu vornehm. Und dann hat auch die Wirtin von ihrem Hausknecht Gebrauch gemacht ... Also gehen wir, Lotte. Ab in das Zimmer.

SIEDLER
verlegen.
Verzeihen Sie, mein Fräulein, ist denn das wirklich Ihr Zimmer?
OTTILIE.
Ja, wie denn? Sie wollen mich vor die Tür setzen?
SIEDLER.

Aber nein doch – Sie sehen mich in der größten Verlegenheit – ich hatte gar keine Ahnung, daß Sie – Ihr Herr Vater sprach immer nur von seinem Zimmer, und da ich ältere Rechte hatte ...

OTTILIE.
Ach, Sie hatten es schon gemietet?
[28]
SIEDLER.

Jawohl, und der etwas derbe Widerspruch Ihres Herrn Vaters zwang mich, auf meinem Rechte zu bestehen – aber eine junge Dame habe ich noch nie aus meinem Zimmer vertrieben ... ich meine, ich kann keinen Augenblick daran denken, auch einer Dame gegenüber ... mit einem Wort, ich räume Ihnen selbstverständlich das Feld.

OTTILIE.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich das annehmen kann ... da Sie, wie es scheint, mit meinem Papa ...
SIEDLER.

Aber bitte, mein Fräulein, beschämen Sie mich doch nicht. Ich wurde ja da oben keine ruhige Minute haben! ... Also bitte ... nehmen Sie es doch an!

OTTILIE.
Jedenfalls sehr liebenswürdig von Ihnen, und ich sage Ihnen meinen aufrichtigsten Dank.

Giesecke kommt im Lodenmantel, mit Handgepäck beladen, von rechts am dem Haus.
GIESECKE.
So, da wären wir.
CHARLOTTE
ebenfalls mit Handgepäck beladen, tritt mit Giesecke auf.
Vorwärts, bringen Sie den Koffer herunter!
OTTILIE.
Ach, das ist ja gar nicht mehr nötig. Der Herr hat die Freundlichkeit gehabt, zu verzichten.
GIESECKE
zu Siedler.
Ja, warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt? Haben Sie endlich eingesehen, daß ich Recht habe?
SIEDLER
lächelnd.
Das nun freilich nicht ... aber da Ihr Fräulein Tochter ... kurz, ich trete zurück.

Joseph und Martin erscheinen auf dem Treppenpodest mit einem großen Koffer.
GIESECKE
zu Joseph und Martin.
Dann bringen Sie also den Koffer wieder herauf.

Joseph und Martin tragen den Koffer wieder mühevoll ab.
OTTILIE.
Papa, willst du dem Herrn nicht deinen Dank aussprechen?
GIESECKE.

Na, ich weiß eigentlich nicht wofür ... aber, als Mann von Welt, der ich nun einmal bin –Siedler die Hand reichend. Ich danke Ihnen.

SIEDLER
Gieseckes Hand schüttelnd.
Bitte! Bitte!
GIESECKE
nach einer kleinen Pause.
Spielen Sie auch Skat?
SIEDLER.
Selbstverständlich.
GIESECKE
zu Charlotte.
Das ist eigentlich ein sehr netter Mensch! Zu Siedler. Mit wem habe ich das Vergnügen?
SIEDLER.
Doktor Otto Siedler.
GIESECKE
erregt.
Siedler?!!
[29]
SIEDLER.
Rechtsanwalt aus Berlin.
GIESECKE.
Das sind Sie? Hineinrufend. Martin, bringen Sie den Koffer wieder herunter! ... Wir ziehen aus!
OTTILIE.
Aber Papa? ... Was ist denn?
GIESECKE.
Ich heiße nämlich Wilhelm Giesecke!
SIEDLER
sich besinnend.
Giesecke?
GIESECKE.
Jawohl! Giesecke contra Sülzheimer!
SIEDLER
sich erinnernd.
Ah, Sie sind der Mann mit den Glühstrümpfen!
GIESECKE.
Ja, das bin ich!
SIEDLER.
O weh, o weh!
GIESECKE.

Und da soll ich mit Ihnen in einem Hotel wohnen und mich an den ganzen Ärger täglich erinnern? Lieber auf dem Heuschober!

OTTILIE.
Aber Papa, wo es hier doch so hübsch ist!
SIEDLER.

Beruhigen Sie sich, mein Fräulein! Wenn Ihrem Herrn Papa die Begegnungen mit mir so unerwünscht sind – und das kann ich ihm wirklich nicht übel nehmen – so werde ich in ein anderes Hotel gehen.


Joseph und Martin sind wieder mit dem Koffer auf der Treppe erschienen.
GIESECKE.
Das ist etwas anderes! Zu Joseph und Martin. Bringen Sie den Koffer nur wieder hinauf!
JOSEPHA
die wieder aufgetreten ist.

Was wäre das? Zu Siedler. Sie woll'n net bei mir im Haus bleiben? Na, da hab' i auch noch a Wört'l mitzured'n. Sie haben doch früher selber gesagt: »Das ist ein rechtsgültiger Mietsvertrag zwischen uns« – und jetzt besteh' i darauf! Na, das fehlte noch, daß Sie, mein lieber Herr Doktor, in einem anderen Hotel wohnen! Dös gibt's net! Sie bleiben hier! Ab.

SIEDLER
mit verlegenem Achselzucken zu Ottilie.
Ja, mein gnädiges Fräulein ... Sie sehen ...
GIESECKE
zu Joseph und Martin hineinrufend.

Also – bringen Sie den Koffer wieder herunter – und diesmal bleibt's dabei! Komm, Lotte, wir suchen uns eine andere Wohnung, und Du, Ottilie, pass' inzwischen auf das Gepäck auf! ... I, das wör' ja noch schöner! Wo ich hier zu meinem Vergnügen reise, da soll ich auf Schritt und Tritt einem Menschen begegnen, der mich drei Jahre lang schikaniert und gepiesackt hat? Was nützen mir denn da die schönsten Berge? Zu Siedler. Und da verlangen Sie noch, daß ich mit Ihnen Skat spiele? Na, det Jeschäft wär' richtig! Ab zu Charlotte.


Joseph und Martin bringen den Koffer wieder herunter und stellen ihn direkt auf die Bühne in die Mitte, dann, sich den Schweiß von der Stirne trocknend, gehen sie ab.
10. Szene
[30] Zehnte Szene
Siedler – Ottilie.

SIEDLER.
Nein – daß Ihr Herr Vater auch so erbittert gegen mich ist?
OTTILIE.

Sie haben ihn aber auch zu schwer gekränkt! Wie oft habe ich ihn in den letzten Jahren stöhnen hören –: »Dieser Doktor Siedler – wenn ich dem einmal meine Meinung sagen könnte!«

SIEDLER.

Nun, das Vergnügen hat er sich ja jetzt gegönnt! Aber ich begreife nur nicht, wie er mir das persönlich nachtragen kann.

OTTILIE.
Kann Sie das wundern?
SIEDLER.

Ich habe doch nur seine Rechtsansprüche bekämpft und nicht seine Person, und schließlich hat mir der Richter doch beigepflichtet!

OTTILIE.
Das ist es ja eben, was er Ihnen am meisten übelnimmt!
SIEDLER
lachend.
Das kann ich mir denken!
OTTILIE.

Sie wissen wahrscheinlich nicht, was Sie uns allen angetan haben mit Ihrer Hartnäckigkeit! Es war ein Unglückstag für das ganze Haus, wenn ein Aktenstück von Ihnen kam – selbst das Dienstmädchen in der Küche hat schon gesagt, wenn sie den Papa so zornig sah: »Der Herr hat gewiß wieder eine Zuschickung vom Doktor Siedler bekommen!«

SIEDLER.
Da scheine ich mich ja in Ihrem Hause recht beliebt gemacht zu haben!
OTTILIE.
Ah – das freut Sie wohl noch, daß Sie meinen armen Vater so in die Enge getrieben haben?
SIEDLER.

Ja – mein verehrtes Fräulein, wie die Dinge liegen, muß ich allerdings in Ihren Vorwürfen noch eine Anerkennung erblicken, denn sie beweisen doch nur, wie gut ich meinen Klienten vertreten habe! Das ist eben der Beruf des Anwaltes!

OTTILIE.

Nun, dann muß ich Ihnen sagen, das ist ein sehr trauriger Beruf! Sie leben ja nur davon, daß zwei sich zanken!

SIEDLER.

Allerdings! Sie kennen ja doch das Sprichwort: »Wenn zwei sich zanken, dann freut sich der Dritte.« Und der Dritte ist eben der Rechtsanwalt! Aber ich verspreche Ihnen, wenn ich wieder einmal einen Prozeß gegen Ihren Herrn Vater führe, so werde ich mir alle Mühe geben, ihn zu verlieren! Werden Sie dann zufrieden sein?

OTTILIE.

O bitte, Sie haben ja nur Ihre Pflicht getan! Das weiß ich sehr wohl, – aber ich bin meinem Vater viel zu gut, um so rasch vergessen zu können, wie sehr Sie ihm das Leben verbittert haben! Ich denke, das werden Sie begreifen.

[31]
SIEDLER.

Trotzdem hoffe ich, Ihnen beweisen zu können, daß ich nicht der Unmensch bin, für den Sie mich halten. Ich verstehe vollständig Ihre Empfindungen, aber der Prozeß des Herrn Sülzheimer darf doch nicht mit der lebenslänglichen Verurteilung seines Rechtsanwaltes endigen. Ich appelliere – an Ihre Gerechtigkeit. Sich verbeugend. Inzwischen war es mir ein aufrichtiges Vergnügen, Sie kennen zu lernen!

OTTILIE
mit leiser Abwehr.
Nun, Herr Doktor ...
SIEDLER
schnell.

Ja, ja, Ihnen nicht. Ich weiß! Aber das wird schon noch kommen, verlassen Sie sich darauf. Ab in das Haus.

11. Szene
Elfte Szene
Ottilie – Giesecke – Charlotte – später Josepha und Franz Giesecke und Charlotte kommen.

GIESECKE.
Das ist hübsch! Im ganzen Nest ist kein Zimmer zu haben. Alle Hotels sind besetzt.
CHARLOTTE.
Und dabei bin ich vom Hin- und Herlaufen so müde. Setzt sich rechts auf den Koffer.
GIESECKE
zu Ottilie.
Was machen wir denn da?
OTTILIE.
Was du willst, Papa! Setzt sich links auf den Koffer.
GIESECKE.

Nun mault sie auch noch! Was kann ich denn dafür? Setzt sich in die Mitte des Koffers. Ach, Kinder, warum sind wir nicht lieber nach unserem schönen Ahlbeck gereist? Wo die Häuser so bequem sind und Schwärmerisch. die Flundern so gut!

CHARLOTTE
nach einer kleinen Pause.
Was soll denn nun werden?
GIESECKE.
Ich weiß nicht!

Man hört in der Ferne Donnerrollen, nachdem schon vorher die Gewitterwolken die Bühne überschattet hatten.
GIESECKE.
Herr Gott, was ist denn das?!!
CHARLOTTE.
Ich glaube, es donnert, wir kriegen ein Gewitter.
GIESECKE.
Das hat noch gefehlt! Die Hände vorstreckend. Wahrhaftig, es geht schon los mit dem Regen!
CHARLOTTE.
Und ich mit meinem leichten Kleid!Spannt den Regenschirm auf.
OTTILIE.
Und ich auch! Spannt ihren roten Bauernschirm auf.
GIESECKE.
So was von feuchter Jejend ist mir noch nicht vorgekommen!

[32] Er spannt seinen Schirm auf. Man hört auf die drei Schirme den Regen trommeln. Dann nach einer kleinen Pause, während welcher alle mit ihren aufgespannten Regenschirmen elegisch auf dem Koffer sitzen.
GIESECKE.
Das ist ein schönes Sommervergnügen!

Josepha und Franz kommen.
JOSEPHA
zu Franz.
Schnell, kippen Sie den Tisch um.

Franz beugt den Tisch nach vorne und stützt ihn mit der Lehne der Bank, die er ebenfalls nach vorn beugt, so daß von der Bank und der Tischkante das Regenwasser sichtbar niedertropft.
GIESECKE.
Sagen Sie mal, der Regen wird doch bald aufhören?
JOSEPHA.
So bald net! Das ist unser weltberühmter Schnürlregen, der dauert achtundvierzig Stunden.
GIESECKE.
Na, dann wären wir ja für die nächsten Tage versorgt!

Josepha und Franz eilen ab. Der Regen wird immer stärker und gurgelt aus der Rinne des Daches in die Bütte hinein, die vor dem Hause rechts steht.
GIESECKE.
Und das jießt!

Kleine Pause.

Wir hatten's nötig! Wo wir in Berlin eine so schöne Wohnung haben! Acht Zimmer. Mit allem Zubehör. Da wohnt jetzt mein Dienstmädchen drin! Die hat's gut ... während ich ... Sechsunddreißig Stunden auf der Eisenbahn fahren, zweimal Dampfer bezahlen, Lungenhaschee zum Frühstück, aus dem Zimmer exmittiert, mit dem Rechtsanwalt den Schlag an den Hals geärgert, und jetzt noch naß bis auf die Haut! ... Det Jeschäft ist richtig!


Während der Regen in starken Strahlen niederschießt, aus den Dachrinnen hervorgurgelt und immer lauter auf die Schirme trommelt, fällt der Vorhang.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Mirzl – Leopold.
Mirzl ist damit beschäftigt, von dem Gebüsch Blumen abzuschneiden, die sie in einen kleinen Korb schüttet.

LEOPOLD
aus dem Hotel.
Ja, Mirzl, was fallt denn Ihnen ein?
MIRZL.
Wieso denn, Herr Leopold?
LEOPOLD.
Wie können's denn da die Blumen abreißen? Wer hat Ihnen denn dös erlaubt?
MIRZL.
Die gnä' Frau hat mir's befohlen.
LEOPOLD.
Grad' die Rosen da? Die schönsten, die wir haben?
MIRZL.
Grad' die, hat's gesagt!
LEOPOLD.
Ja ... das verschandelt uns ja den ganzen Garten!
MIRZL
mürrisch.
Was geht das mi an! S' is ja net mei Garten!
LEOPOLD.
Aber warum denn? Ist denn heut' ein Geburtstag oder ein Namenstag?
MIRZL.

Meiner net, doas weiß i! Und wenn's net woll'n, daß i die Blumen abreiß' – brauchen's bloß zu sagen! Das ewige Bucken is mir eh' z'wider.

LEOPOLD.
Ja ... wenn's die Frau Josepha befohlen hat ...
2. Szene
Zweite Szene
Mirzl – Leopold – Josepha – dann Mali.
Josepha in einem Boote stehend, rudert an die Landungsstelle heran. Sie trägt ein schmuckes Gebirgskostüm und einen breiten runden Strohhut. Das Ruder ist in dem hinteren Teil des Bootes angebracht und dient gleichzeitig als Steuer.

JOSEPHA.
So, da san mer wieder!
LEOPOLD
diensteifrig.
Küß' die Hand, gnä' Frau.
JOSEPHA.
Schnell – helfen's a bissel!
LEOPOLD
den Kahn an's Land ziehend.
Bin schon dabei!
JOSEPHA.
Aber hübsch langsam, sonst fall' i gar in's Wasser!
LEOPOLD.
O Gott! ... Wann's mir den Gefallen täten!
[34]
JOSEPHA.
Na, san's so gut!
LEOPOLD.

Ich möcht' Sie gar zu gern retten! Und wenn ich Sie dabei in meinen Armen halte ... Frau Josepha, in dem Fall müßten's schon erlauben! ...

JOSEPHA.
Na, das kann ich mir ja noch überlegen, wann i erst drin bin – im Wasser.
LEOPOLD.
Und g'rad heut wär mir's angenehm – wo's gar so viel sauber ausschau'n.
JOSEPHA.
Sie, zum Scharmuzieren haben wir jetzt ka Zeit! Die Sachen müssen in die Kuchel!
MALI
dicke Hotelköchin, von rechts hinter dem Haus.
Bin schon da, gnä' Frau! Haben's ordentlich eingekauft?
JOSEPHA.

Alles haben wir. Sie, Mali, und teuer san jetzt die Leut. Net zum der'glauben. Ihr ein Netz mit Fischen reichend. Da haben's die Fische. Reinanken ... Seiblinge ...

MALI.
Haben's denn keine Forellen?
JOSEPHA.

Hab' i net 'kriegt heute! Geben wir halt Seiblinge dafür – das merk eh' keiner! Da san die Hähndel – das andere is alles in der Butt'n! Steigt aus dem Boot.

MALI
die Sachen aus dem Boote nehmend.
Und was ist denn das in dem Körbel?
JOSEPHA.
Das san Erdbeeren, die dürfen jetzt keinen Tag fehlen. Die hat der Herr Doktor Siedler so gern.
LEOPOLD
beiseite, geärgert.
Natürlich! – Der Herr Doktor Siedler!
JOSEPHA.

Und Sie, Mali – wann in der Kuchel was bestellt wird für den Herrn Doktor Siedler, dann machen's die Portionen doppelt so groß.

MALI.

Weiß schon, gnä' Frau. Wie im vorigen Jahr.Packt die Sachen aus dem Boote zusammen und geht damit rechts hinten ab.

LEOPOLD
für sich.
Daß er sich nur ja ordentlich anpampfet, der Herr Doktor.
JOSEPHA
nach vorn kommend und den Hut abnehmend.
Und warm is heute ...
MIRZL.
Da san die Blumen, gnä Frau.
JOSEPHA.

Gibt's her. Binden werd' ich's selber. Geh nur. Setzt sich links an den Tisch und bindet einen Strauß.

MIRZL
geht rechts ab.
LEOPOLD.
Bitt' schön, gnä Frau! Für wen wird denn das Sträußel g'macht?
JOSEPHA.
Das werden's schon sehen!
[35]
LEOPOLD
erregt.

Ich kann mir's schon denken ...Mit einem Anlauf. Entschuld'gens, aber ich muß an ernstes Wort mit Ihna red'n!

JOSEPHA.
Ja, was ist denn? Ist was passiert im Haus?
LEOPOLD.
Noch net – aber 's könnt was passieren – und darum muß ich den Mund aufmachen, eh' es zu spät ist!
JOSEPHA.
Lassen's den Mund nur zu, und geh'ns lieber an Ihre Arbeit!
LEOPOLD.

Ah nein! Ich muß mit Ihnen reden. Ich hab' einen Auftrag für Sie. Wissen's, wer mir heut' Nacht im Traum erschienen ist? Ihr Seliger!

JOSEPHA.
Aber den haben Sie ja gar net g'kannt.
LEOPOLD.

Bitt' schön! Er hat sich mir vorg'stellt! »Poldi Brandmeyer«, hat er zu mir g'sagt, »Du bist jetzt Oberkellner im ›Weißen Röß'l‹ und hast die Verantwortung für alles, was im Hotel vorgeht! Alsdann geh' hin zu meiner Frau – sag ihr, ich lass' sie schön grüßen, und die G'schicht mit dem Herrn Doktor Siedler, die muß aufhören! Das bringt nur ein G'red unter die Leute, und das g'hört sich net. Sag' ihr das!« ... Und jetzt, Frau Sephi, wissen's, was Sie z'tun haben!

JOSEPHA.
Ja, das weiß i! Am Ersten können's gehen.
LEOPOLD.
Was? Sie kündigen mich?
JOSEPHA.
Und wann's schon früher fort woll'n – ich hab' nichts dagegen!
LEOPOLD.
Ich geh' aber net! Das darf ich Ihrem Seligen net antun!
JOSEPHA.

I muß sehr bitten. Lassen's meinen Mann aus dem Spiel! Ich hab' sein Andenken drei Jahre in Ehren gehalten und werd's auch weiter tun. Koan Mensch kann mir so viel vorwerfen! Mit dem Finger schnalzend. Aber, wann ich einem lieben Gast den Aufenthalt im »Rößl« so angenehm wie nur möglich mache, so geht das keinen etwas an, und der Herr Leopold braucht sich darüber das Maul net zu zerreißen!

LEOPOLD.

Aber, Jesses, Frau Sephi – reden's doch net so daher! Denken Sie, i woaß net, wie's bei Ihna da drinnen ausschaut?

JOSEPHA.
Woher wollen Sie denn das wissen?
LEOPOLD
streng.

Von die doppelten Rostbraten – bitte! Umasunst gibt man einem Gast net solche Portionen! Und 's beste Zimmer im ganzen Haus! Und fährt in aller Früh' nach dem Markt rüber, um nur ja alles einzukaufen, was er gern hat – der Herr Doktor! Das sieht doch a jedes Kind – daß das anen Zweck hat!

JOSEPHA.

Na, wer woaß – vielleicht will ich ihn verführen mit die Rostbrat'l – daß er mi am End' gar heiratet!

[36]
LEOPOLD
erregt.
Der? Was Ihnen net einfällt! Der denkt gar net dran!
JOSEPHA
spöttisch.
Hat er Ihnen das anvertraut?
LEOPOLD.

Aber, i bitt' Sie, gnä' Frau – das ist doch kein Mann fürs »Rößl« – was versteht denn der vom G'schäft? Selbstgefällig. Da gehört ein intelligenter gebildeter Mensch dazu, der sein Fach gelernt hat, und der in der Welt herumkommen is – ein Mensch, der auch selber ein Geld hat und so an Haus zu führen versteht!

JOSEPHA
kokett.
Ja, wo soll ich den aber hernehmen?
LEOPOLD.

I wüßt' schon oanen! Und wenn Sie mir sagen: »Bringen Sie mir ihn« – bitte sehr, bitte gleich – is schon da!

JOSEPHA.
Nein – was Sie aber gut sind? Das will ich mir doch noch recht lange überlegen.
LEOPOLD.
Ach ja – tun's das – aber net wahr, die Kündigung ...?
JOSEPHA.
Die nehm' ich zurück. Anen so narrischen Oberkellner, den krieg' i ja doch net wieder!
LEOPOLD.
Und die Blumen da?
JOSEPHA.
Die geb' i jetzt Ihnen!
LEOPOLD
freudigst.
Wirklich?
JOSEPHA.
Und sage Ihnen, bringen's die dem Herrn Doktor Siedler!
LEOPOLD.
Was?
JOSEPHA
energisch.
Aber sofort!
LEOPOLD.

Das tu' i net! Und wenn i noch heut' aus dem Haus' müßte! Und das können Sie auch net von mir verlangen! Ich bin hier als Kellner im Dienst, und wenn ich einem Herrn an Essen bringen soll – gut, ich bring's – und wenn's noch so viel ist! Aber daß ich den Liebesboten machen soll zwischen Ihnen und dem Herrn Doktor, das gibt's net! Das verträgt sich net mit meiner Würde als Kellner!

PICCOLO
in der Tür des Speisesaales.
Leopold – bitte zahlen!
LEOPOLD.
Bitte sehr, bitte gleich! Schnell ab in den Speisesaal.
3. Szene
Dritte Szene
Josepha – Siedler.

SIEDLER
auf den Balkon tretend.
Morgen, Frau Josepha!
JOSEPHA.
Grüß Gott! Herr Doktor! Sein Sie aber an Langschläfer!
SIEDLER.

Was meinen Sie aber auch, was ich nachzuholen habe! So ein Berliner Winter – wissen Sie, was das heißt?

[37]
JOSEPHA.
Kann mir's schon denken!
SIEDLER.

Nun sagen Sie mir aber vor allen Dingen, wie ist es denn gestern noch mit den anderen Herrschaften geworden?

JOSEPHA.
Na, die Damen sein in der Dependance ...
SIEDLER.
Und der Herr Giesecke?
JOSEPHA.

Der hat noch an bissel gebrummt – aber, wie er naß genug geworden war, hat er nachgegeben, und da der Herr auf Nummer zehn plötzlich hat abreisen müssen, hab' ich ihn noch gut untergebracht Sie – das ist aber ein grantiger Herr!

SIEDLER
lachend.
Und ob! Aber was haben Sie denn da für schöne Blumen?
JOSEPHA.

Die gehören für Ihr Zimmer! Jetzt zeigen's mal, ob's auch gut fangen können! Eins – zwei – und – Wirft ihm den Strauß hinauf.

SIEDLER
den Strauß auffangend.

Drei! Das lasse ich mir gefallen! Das ist ein entzückender Morgengruß! Da will ich mich aber auch sofort revanchieren! Nun zeigen Sie mal, ob auch Sie gut fangen können ... Eins – zwei – und Handkuß werfend. drei – haben's ihn?

JOSEPHA
etwas verschämt.
Schade ... is daneben g'flogen!
SIEDLER.

Ja, da bleibt nichts übrig – da muß ich ihn schon persönlich herunterbringen! ... Entschuldigen Sie nur einen Augenblick! Ab in das Zimmer.

JOSEPHA.

Wenn das der Leopold gesehen hätt'! Ich dank schön! Sich selber drohend. Sie, Frau Josepha – die Geschichte mit Ihnen kommt mir selber net ganz richtig vor! Nach oben Kußhand werfend. Da hast's lieber zurück, dein Busserl!

4. Szene
Vierte Szene
Josepha – Bernbacher – Emmy.

BERNBACHER
aus dem Haus.
Komm' nur, Emmy, wir frühstücken hier unten!
EMMY.
Wie du willst, lieber Schatz.
JOSEPHA.
Befehlen die Herrschaften Tee oder Kaffee?
EMMY.
Das ist ja ganz gleich.
BERNBACHER.
Und bitte, schicken Sie uns auch die Rechnung.
JOSEPHA.
Ja, wollen's denn schon fort? Sie haben ja noch gar nichts von unserer schönen Gegend gesehen!
BERNBACHER.
Aber das ist ja ganz gleich!
[38]
EMMY
zu Josepha.
Es war sehr schön bei Ihnen. Ab mit Bernbacher in den Speisesaal.
JOSEPHA.
Na, auf das Lob brauch' ich mir nichts einzubilden!
5. Szene
Fünfte Szene
Josepha – Hochtourist – Führer.

HOCHTOURIST
aus dem Haus, ärgerlich.

Das ist ja eine schöne Wirtschaft! Lassen mich die Menschen bis acht Uhr schlafen! Wo steckt denn der Führer?

JOSEPHA
in die Kulisse rufend.
Wo steckt denn der Führer?
SEPP
kommt.
Sie befehlen, gnä Frau?
HOCHTOURIST.
Mensch! Warum haben Sie mich denn nicht um drei Uhr geweckt?
SEPP.
Aber ich hab' ja g'weckt, Euer Gnaden! Zweimal hab' ich an die Tür gepumpert – und wie!
HOCHTOURIST.
Ja, an welche Tür haben's denn »gepumpert«?
SEPP.
Na, wie's g'sagt hab'n! Auf Nummer zehn!
JOSEPHA.
Aber der Herr wohnt doch auf Nummer vierzehn! Hab'ns denn net meinen Zettel bekommen?
SEPP.
Ja, den Zettel hab' i schon kriegt – aber i kann net lesen!
HOCHTOURIST.

Nun muß ich in der größten Hitze hinaufsteigen, aber hilft alles nichts – auf den Dachstein muß ich! Kommen Sie – los! Schnell ab mit dem Führer.

6. Szene
Sechste Szene
Josepha – Giesecke – dann Loidl.

GIESECKE
aus dem Hotel.

Na, det Jeschäft is richtig –! Zu Josepha. Wie Ihr Hotel im Bädeker zu dem Stern gekommen ist, das möchte ich auch wissen!

JOSEPHA.
Ja, waren's denn nicht zufrieden mit Ihrem Zimmer?
GIESECKE.
Das nennen Sie ein Zimmer – die kleine Kiste?
JOSEPHA.
Ja, klein is' freilich – aber dafür die Aussicht aus dem Fenster, der schöne Laubwald!
GIESECKE.

Mir ist Nadelwald lieber! Da ist es wenigstens ruhig! Aber gestern bei dem Wetter – das war ja ein Rauschen und ein Pfeifen da draußen! Wie soll denn der Mensch da schlafen? Und wie ich doch endlich eingenickt war, da schlägt plötzlich einer gegen die Tür wie verrückt und verlangt von mir mit aller Gewalt, ich soll auf den Dachstein! Um drei Uhr!

[39]
JOSEPHA
lachend.
Jesses, der Sepp! Da muß ich freilich um Entschuldigung bitten, das war ein Irrtum.
GIESECKE.

Ich danke Ihnen! Und kaum war der Kerl weg, und ich hatte mich gerade wieder ein bißchen auf's Ohr gelegt – da fängt der Hahn an zu krähen ... So was von Stimme ist mir noch nicht vorgekommen! Und dann geht in den Bäumen ein Gezwitscher los – und ein Gepiepse, und die Vögel haben einen Radau gemacht ...

JOSEPHA.
Nicht wahr, das ist lustig, das Konzert?
GIESECKE
ärgerlich.
Wenn ich ein Konzert hören will, dann gehe ich in die Philharmonie, aber nicht ins Salzkammergut!
JOSEPHA.

Ja nachher, wann Sie der Wald net mehr g'freut und der Vogelsang auch net – nehmen's mir net übel, Herr von Giesecke – da möcht i wirklich wissen, warum's hierher gekommen sind!

GIESECKE.
Das möcht' ich auch wissen!
JOSEPHA.

Ihnen gefällt aber auch gar nix! Und an allem haben's was auszusetzen! Die Berge san Ihnen zu hoch, und der See zu tief; wann die Sonne scheint, ist's Ihnen zu warm – und wann der Schatten kommt, zu kalt!

GIESECKE.
Ist es auch! Das ist doch nicht meine Schuld!
JOSEPHA.

Gewiß san Sie schuld! Sie ganz alleinig! Sie lassen sich durch anen einzigen Mückenstich den ganzen Sommer verleiden – und durch ein paar kleine Ärgernisse das ganze Leben. Aber schaun's, grade wie's gegen die Mückenstiche nur ein Mittel gibt – sich nur net kratzen – so ist's auch mit dem Ärger – sich nur net ärgern!

GIESECKE.
Na, erlauben Sie mal, freuen kann ich mir doch nicht d'rüber!
JOSEPHA.

Wenn ich Sie nur in die Kur nehmen dürfte, ich würde Ihnen schon ein Rezepterl verschreiben! Zuerst müßten's mir jeden Tag um vier Uhr aufstehen –

GIESECKE.
Nehm' ich mir schon einen anderen Doktor.
JOSEPHA.
Und dann hinauf in die Berge und in den Wald hinein!
GIESECKE.
Was soll ich denn da?
JOSEPHA.

Das wird Ihnen der Wald schon selber sagen, müssen nur fein aufhorchen! Und wenn Sie dann zurückkommen, dann bring' ich Ihnen Ihr Frühstück – einen frischen Alpenhonig und oan guten Schinken!

[40]
GIESECKE.
Der zweite Teil vom Rezept gefällt mir ganz gut!
JOSEPHA.

Und dann machen wir ein großes Postpaket und stopfen alles hinein, was Sie hierher mitgebracht haben an schlechter Laune und zuwidrem Sinn.

GIESECKE.
Das wird aber ein mächtiges Paket werden, da werde ich wohl Überfracht bezahlen müssen.
JOSEPHA.

Und wenn's dann fortgehen, dann sagen Sie mir g'wiß beim Abschiednehmen: »Bei Ihnen is' mir's gut gangen – zu Ihna komm' i wieder – pfird Ihna Gott.«

GIESECKE.
Und Sie glauben wirklich, die Kur würde bei mir anschlagen?
JOSEPHA
ihm neckisch drohend.

Nur net kratzen ... net kratzen! Und wenn das noch net hilft, so geb' ich ka Ruh' und singe Ihnen so lange Schnadahupferl vor, bis Sie gesund werden.


Loidl kommt von rechts mit seiner Zither.
GIESECKE.
Was singen Sie mir? Schnadahupferl? Was sind denn das für Dinger?
JOSEPHA
zum Loidl.
Nun, spielen's doch eins! Also zum Beispiel: Singt nach der Melodie: »Wann's Mailüfterl weht«.
Wann einer so'n Gesicht macht
Und a jedem ist gram,
Dann läuft selbst im Kübel
Die Milli zusamm'!
Doch blickt wer in's Leben
Mit hellem Geschau,
Dann wird gleich der Himmel
Noch einmal so blau.
GIESECKE.
Das ist ja reizend! Ach, singen Sie mir noch so ein »Hupferl«!
JOSEPHA
singt.
Die Liab' ist wie die Diebe, –
Sie kommt über Nacht ...
Und das Herz ist gestohlen,
Wenn man morgens derwacht.
Und da hilft auch kein G'scheitsein, –
Was der Kopf dazu spricht:
Denn das Herz, das mußt' wissen,
Hat sein Köpferl für sich!

Josepha eilt ab.
7. Szene
[41] Siebente Szene
Giesecke – dann Ottilie.

GIESECKE.
Das ist ja großartig! Macht singend und tanzend den Schlußjodler nach.
OTTILIE
eintretend.
Aber Papa! Was machst du denn da?
GIESECKE.
Störe mich nicht! Ich hupfle Schnada!
OTTILIE.
Aber die Tante Lotte will dich sprechen.
GIESECKE.

Das geht jetzt nicht, liebes Kind. Ich muß in den Wald, der hat mir was ganz Wichtiges zu sagen. Pfird di Jott! Schnell ab links.

LOIDL
folgt ihm schnell nach links.
OTTILIE
lachend.
Ja, was hat denn der Papa?
8. Szene
Achte Szene
Ottilie – Siedler.

SIEDLER
aus dem Haus mit ausgebreiteten Armen auf Ottilie zugehend.

So – da bin ich, Frau Sephi.Ottilie erkennend, läßt er schnell die Arme sinken. Ah, pardon – ich dachte, unsere liebenswürdige Wirtin ...

OTTILIE
kurz.
Bitte, bitte.
SIEDLER.
Darf ich die Gelegenheit benutzen, um Ihnen einen guten Morgen zu wünschen?
OTTILIE.
Guten Morgen ... Wendet sich.
SIEDLER
nach einer Verlegenheitspause.
Sehr schöner Aufenthalt hier ...
OTTILIE.
O ja ... Geht nach hinten.
SIEDLER.
Einen Augenblick noch, mein gnädiges Fräulein.
OTTILIE
sich umwendend.
Sie wünschen?
SIEDLER.
Ich habe Ihnen etwas zu geben.
OTTILIE.
Sie mir?
SIEDLER.

Ja, bei Ihrer eiligen Flucht, die ich leider verschuldet habe, ist im Zimmer oben ein Gegenstand von Wert zurückgeblieben.

OTTILIE.
So?
SIEDLER.

Ich hätte Ihnen eigentlich den kostbaren Fund schon gestern überbringen müssen, aber ein armer Teufel, wie ich bin, konnte ich mich nicht so schnell davon trennen.

OTTILIE.
Was kann denn das sein?
SIEDLER
ihr einen Handschuh zeigend.
Hier, dieser Handschuh.
[42]
OTTILIE.
Aber das ist doch kein Gegenstand von Wert?
SIEDLER.

Für mich war er's doch! Sie glauben gar nicht, was so ein kleiner, zierlicher Damenhandschuh für eine Zauberkraft hat Ihre ganze Erscheinung hat er mir zurückgerufen – Ihre ganze Anmut und Frische –

OTTILIE
abweisend.
Bitte, Herr Doktor!
SIEDLER.

O, auch Ihre abweisende Strenge war auf den Handschuh übergegangen, und die ganz besonders! Sie hätten ihn nur sehen sollen, wie er auf dem Tische lag und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Türe deutete – wissen Sie, wie die Hand auf dem Wegweiser, als wenn er mir zurufen wollte: »Du bist ein Eindringling in diesem Raume, hinaus mit dir!« Ja, Sie werden mich auslachen, aber ich habe mich nicht einmal getraut, den Koffer auszupacken.

OTTILIE.
Alles wegen des Handschuhs?
SIEDLER.

Sie haben keine Ahnung, wie er mich gequält hat, und schließlich blieb mir nichts übrig – ich habe ihn vom Tisch genommen und unter mein Kissen gesteckt, nur um endlich Ruhe zu haben!

OTTILIE
lachend.
Ach, der arme Handschuh!
SIEDLER.
Gott sei Dank, nun lachen Sie doch wieder! Also sind Sie mir nicht mehr so böse wie gestern?
OTTILIE.
Bitte, daran hat sich nichts geändert.
SIEDLER.
Aber hoffentlich zürnen Sie doch nur dem Rechtsanwalt und nicht dem Menschen?
OTTILIE.

Wenn ich aufrichtig sein soll, auch dem Menschen! Denn der durfte es dem Rechtsanwalt gar nicht erlauben, meinen armen Papa so zu quälen.

SIEDLER.

Nun, was das anbetrifft, mein Fräulein, da kann ich Ihnen einen Beweis meiner aufrichtigen Reue und Besserung geben. Ich habe mir seit unserer ersten Begegnung redlich den Kopf zerbrochen, wie man den leidigen Rechtsstreit auf gütlichem Wege beseitigen kann, und ich will noch heute bei Ihrem Herrn Vater mein Glück versuchen.

OTTILIE.

Das ist freilich sehr schön – aber, ob gerade Sie bei meinem Vater der geeignete Fürsprecher sind? Sie werden ja doch bemerkt haben, Papa hat eine leise Antipathie gegen Sie.

SIEDLER.

Na, gerade so leise hat sich die Antipathie nicht geäußert – aber das schreckt mich nicht! Und mit demselben Eifer, mit dem ich den Krieg geführt habe, werde ich jetzt auch den Frieden herbeiführen.

[43]
OTTILIE.
Ja, wenn Sie das zustande brächten ...
SIEDLER.
Also, Sie übergeben mir das Mandat?
OTTILIE.
Gewiß, mit tausend Freuden.
SIEDLER.

Da muß ich Ihnen freilich erst noch eine geschäftliche Mitteilung machen! Wenn wir so eine neue Sache übernehmen, da ist es bei uns Rechtsanwälten üblich, daß wir einen kleinen Kostenvorschuß bekommen.

OTTILIE.
Ja, womit könnte ich ...?
SIEDLER.
Der Handschuh! Wenn Sie mir den doch schenken wollten!
OTTILIE.

Aber mit Vergnügen, ich muß nur erst noch meine Tante fragen ... der Handschuh gehört nämlich ihr ...

SIEDLER
entsetzt.

Der Tante? Das hätte ich wissen sollen! Zieht den zu weiten Handschuh über seine rechte Hand, die er dann mit komischem Entsetzen emporhebt. Und den Handschuh habe ich unter mein Kopfkissen gelegt. Ihr den Handschuh übergebend. Den Dank, Dame, begehre ich nicht!

OTTILIE.
Dann also adieu, Herr Doktor. Streift ihm den Handschuh ab und reicht ihm dann die Hand.
SIEDLER
küßt ihr die Hand.
Mein Fräulein! ... Sehen Sie, nun habe ich doch meinen kleinen Kostenvorschuß bekommen!
OTTILIE.
Auf Wiedersehen! Ab ins Haus.
9. Szene
Neunte Szene
Siedler – Giesecke – Loidl – später Piccolo.

GIESECKE
von links hinten zu Loidl.
Nein, lieber Freund! Auf Ihr Gejammer fall' ich nicht mehr rein!
LOIDL
mit Giesecke von hinten links.
Bitt' schön, Euer Gnaden! Nur ein paar Kreuzer!
GIESECKE.
Nicht einen Pfennig! Meine Kundschaft kriegt jetzt Ihr Konkurrent, der andere Bettler da drüben!
LOIDL.
Ach, der?
GIESECKE.
Dem hab' ich mein ganzes Kleingeld gegeben.
LOIDL.
Na, da danke ich auch schön, das ist mein Sohn. Ab.
GIESECKE.

Hat mich der Spitzbube doch wieder reingelegt! Wütend. Da hört doch aber – Sich beruhigend. Net kratzen!

SIEDLER
Giesecke begrüßend.
Guten Morgen, Herr Giesecke!
[44]
GIESECKE
zögernd.
Morgen!
SIEDLER
geht an den Tisch links.
Sie gestatten doch, daß ich hier meine Zeitung lese?
GIESECKE
kurz.
Bitte!
SIEDLER.

Die Morgenluft ist so erquickend, und da ich überdies – Mit Verbeugung gegen Giesecke. ein so angenehmes vis-à-vis habe!

GIESECKE.
Das kann ich von mir nicht sagen. Dreht seinen Stuhl um und wendet Siedler den Rücken zu.
SIEDLER
für sich.
Ermutigend ist der Anfang nicht.
GIESECKE
zum Piccolo.
Sie, bringen Sie mir auch eine Zeitung!
PICCOLO.
Vielleicht »Wiener Tageblatt« – »Neue Freie Presse« g'fällig?
GIESECKE.
Haben Sie hier keine Berliner Zeitungen?
PICCOLO.
Nein – bitte – Berliner Zeitungen haben wir keine.
GIESECKE.

Jott, wie wollen Sie denn da wissen, was in der Welt vorgeht? Das kann mir in Ahlbeck nicht passieren.

SIEDLER.
Wenn ich Ihnen vielleicht dienen darf? Ich lasse mir meine Blätter immer nachsenden!
GIESECKE.
Danke. Ich verzichte. Fremde Blätter nehme ich nicht in die Hand.
SIEDLER.

Ah, dann kann ich sie Ihnen vielleicht vorlesen? Setzt sich an Gieseckes Tisch. Wenn Sie also gestatten, mache ich von Ihrer freundlichen Aufforderung Gebrauch!

GIESECKE.
Nun, sagen Sie mal, was wollen Sie denn eigentlich von mir?
SIEDLER.
Ehrlich gestanden, ich hätte gern ein paar Worte mit Ihnen gesprochen.
GIESECKE.
Geschäftlich?
SIEDLER.
Allerdings.
GIESECKE.

Mein Geschäft ist Prinzenstraße Nr. 60. Bürostunden von neun bis vier Uhr. Sie können nach Ihrer Rückkehr einmal vorsprechen, ob ich zu Hause bin.

SIEDLER.

Ich werde jedenfalls von dieser so überaus freundlichen Einladung Gebrauch machen, aber bis dahin hat die Sache leider nicht Zeit.

GIESECKE.
Herr Gott! Hier bin ich doch zu meiner Erholung! Gönnen Sie mir doch wenigstens hier Ruhe!
[45]
SIEDLER.
Die will ich Ihnen ja eben verschaffen. Es handelt sich doch um Ihren Prozeß.
GIESECKE
nach Luft schnappend, dann verzweifelnd.

Kellner – einen Gespritzten! Mit dem Prozeß haben Sie mich nun schon drei Jahre lang gezwiebelt. Ist Ihnen denn das noch nicht genug?

SIEDLER.

Ja, verzeihen Sie, die lange Dauer des Prozesses haben Sie nur selbst veranlaßt, durch Ihre vielen Einwendungen ...

GIESECKE.

Oh, entschuldigen Sie nur, daß ich mich ein bißchen gewehrt habe. Ich hätte wohl gleich von Anfang an sagen sollen: »Der Herr Doktor Siedler ist anderer Meinung als ich – ich bitte, meine Herren, nun verurteilen Sie mich!«

SIEDLER.
Jedenfalls hätten Sie dadurch viel Geld erspart.
GIESECKE.

Na, Sie hatten doch keinen Schaden davon! Einen so fetten Prozeß werden Sie so bald nicht wieder kriegen.

SIEDLER.

Ich bin Ihnen ja auch für diese Zuwendung sehr dankbar, aber inzwischen ist doch nun einmal die Entscheidung gefällt, und Sie haben in erster Instanz verloren.

GIESECKE
aufschreiend.
Das weiß ich! Herr, wollen Sie mir denn die Schwindsucht an den Hals ärgern?
SIEDLER.
Im Gegenteil! Ich will Ihnen einen Vorschlag zur Güte machen!
GIESECKE.
Sie mir?
SIEDLER.

Ich habe in Ihnen bei unserer zufälligen Begegnung hier einen so liebenswürdigen und entgegenkommenden Menschen gefunden ...

GIESECKE.
Das ist das erste gescheite Wort, das ich von Ihnen höre!
SIEDLER
fortfahrend.

Daß ich mir sofort gesagt habe: »Mit einem solchen Mann wie Sie muß doch auf einer vernünftigen Basis ein Vergleich zu schließen sein.«

GIESECKE.
Wenn die Basis vernünftig ist ... aber das glaube ich noch nicht!
SIEDLER.
Ja, irgendein finanzielles Opfer werden Sie allerdings bringen müssen.
GIESECKE.
Ich denke nicht dran.
SIEDLER.
Über die Ziffer würde schon eine Einigung zu erzielen sein.
GIESECKE.
Mit mir nicht.
SIEDLER.
Aber darin besteht doch ein Vergleich, daß einer nachgibt ...
[46]
GIESECKE.
Warum soll ich denn der eine sein?
SIEDLER.
Mein Gott, weil Sie doch bereits den Prozeß in erster Instanz verloren haben!
GIESECKE
immer geärgerter.

Das haben Sie mir schon einmal gesagt ... Kellner! ... Noch einen Gespritzten. Sich nach einer kleinen Pause, während welcher er sich zu beruhigen sucht, am Tisch aufrichtend. Herr Doktor, ich weiß nicht, ob Sie schon bemerkt haben, daß wir hier im Salzkammergut sind. Da gehen die Leute zu ihrem Vergnügen hin, – ich auch. – Und da wir beide uns gegenseitig kein Vergnügen bereiten ...

SIEDLER.
Bitte sehr, Herr Giesecke, – das kann ich von mir durchaus nicht sagen.
GIESECKE.

Aber ich! Fortfahrend. So ist es das beste, daß wir uns in Zukunft zwei fremde Leute betrachten. Ich kenne Sie nicht, Sie kennen mich nicht. – Das ist mein Vergleichsvorschlag.

SIEDLER.
Aber, Herr Giesecke ...
GIESECKE.

Ich bitte vollständig zu vergessen, wer ich bin und wie ich heiße! Ich werde auch vergessen, wer Sie sind. Und ich kann Ihnen schon jetzt die Versicherung geben, daß es mir nicht schwer fallen wird. Guten Morgen! Wendet ihm den Rücken zu und setzt sich an den anderen Tisch.

SIEDLER.
Da ist nichts zu wollen.
10. Szene
Zehnte Szene
Giesecke – Siedler – Kathi.

KATHI
aus dem Hotel.
Bitt' schön! Ein eingeschriebener Brief aus Sangerhausen für Herrn von Giesecke.
GIESECKE.
Geben Sie nur her!
KATHI
ihm zunächst den Postschein übergebend.
Darf ich auch um eine Legitimation bitten?
GIESECKE
den Postschein unterschreibend.
Wieso denn?
KATHI.
Ja, sonst darf ich Ihnen den Brief nicht ausfolgen.
GIESECKE.
Erlauben Sie, – es nimmt doch kein Mensch auf einer Gebirgsreise eine Postvollmacht mit.
KATHI.

Na, das wäre auch ja net nötig, wenn Sie nur jemand ausweist Vielleicht ist der Herr Doktor Siedler so freundlich? Zu Siedler. Sie sind ja auch aus Berlin, kennen Sie vielleicht den Herrn?

[47]
SIEDLER.
Bedaure, habe nicht das Vergnügen!
GIESECKE.
Erlauben Sie mal!
SIEDLER.
Früher kannte ich allerdings einen Herrn Giesecke, aber den habe ich soeben vollständig vergessen.
GIESECKE.
Na, det Jeschäft ist richtig!
KATHI
achselzuckend.
Ja dann ...
GIESECKE.

Aber wenn ich Ihnen nun sage, daß ich den Brief mit größter Ungeduld erwarte, können Sie denn nicht auf mein ehrliches Gesicht ...

KATHI.
Tut mir sehr leid, aber meine Vorschrift ...
GIESECKE.

Na, dann hilft's also nichts. Zu Siedler gehend, mit komischer Förmlichkeit. Dann erlauben Sie wohl, daß ich mich Ihnen wieder vorstelle. – Wilhelm Giesecke.

SIEDLER.

Sehr angenehm, habe schon viel von Ihnen gehört. Sich vorstellend. Otto Siedler! Mit besonderer Betonung. Rechtsanwalt!

GIESECKE.
Auch angenehm ... Habe auch von Ihnen schon viel gehört! Und nun sind Sie wohl so gut?
SIEDLER.
Aber gern! Zu Kathi. Ich kenne den Herrn.
KATHI
den Brief an Herrn Giesecke übergebend.
Alsdann bitt' schön.
GIESECKE.

Na endlich! Kneift Kathi in die Backen. Das erstemal, daß ich einen Briefträger in die Backen gekniffen habe! Öffnet den Brief.

SIEDLER
zu Kathi.
Sie können ganz ruhig sein. Ich werde es später dem Postmeister bestätigen. Gibt ihr ein Trinkgeld.
KATHI.

Aber bitte, wenn Sie es sagen – wir kennen den Herrn von Siedler ja schon seit sieben Jahren. Hab' die Ehre! Ab hinten rechts.

GIESECKE
der inzwischen den Brief gelesen hat, mit großer Freude.

Na, das hätten wir ja also gefingert, und da wir uns nun doch wieder kennengelernt haben ... kommen Sie mal her!

SIEDLER.
Sie wünschen?
GIESECKE.

Nun werde ich Ihnen einmal zeigen, daß ich doch ein hellerer Kopf bin, als Sie glauben, wenn ich auch kein Rechtsanwalt bin. Siedler den Brief zeigend. Kennen Sie die Handschrift?

SIEDLER.
Ah, von Herrn Sülzheimer.
GIESECKE.

Jawoll. Ich habe ihm nämlich auch einen Vorschlag gemacht, und soeben zeigt er mir an, daß er darauf eingeht.

SIEDLER.
Wahrhaftig?
[48]
GIESECKE.
Es handelt sich jetzt nur noch darum, daß die Geschichte recht diplomatisch gedeichselt wird.
SIEDLER.

Nun, Herr Giesecke, ich bin nicht eigensinnig, und wenn mein Klient sich auf einem anderen Wege mit Ihnen verständigen will, so werde ich Sie jedenfalls unterstützen.

GIESECKE.
Das wollen Sie wirklich?
SIEDLER.
Gewiß, und ich habe es sogar schon Ihrem Fräulein Tochter versprochen.
GIESECKE.
Um meine Tochter handelt es sich gerade.
SIEDLER
verwundert.

Um das gnädige Fräulein? Verzeihen Sie, daß ich das nicht gleich begreife ... aber ich sehe wirklich keinen Zusammenhang zwischen Ihrer Tochter und Ihren Glühstrümpfen.

GIESECKE.
Ja, Sie wissen vielleicht nicht, daß Herr Sülzheimer einen. Sohn hat?
SIEDLER.

Das weiß ich allerdings. Aber meines Wissens hat er sich doch nicht seinen Sohn patentieren lassen, sondern seine Beleuchtungskörper.

GIESECKE.

Aber Menschenskind, sehen Sie denn nicht, wo ich hinaus will? Wenn die jungen Menschen sich kennenlernen und finden Gefallen aneinander und heiraten sich, dann legen wir einfach die Strümpfe zusammen, und die Sache ist in Ordnung. Sehen Sie, das nenne ich einen Vergleich schließen!

SIEDLER.
Und die Hand Ihrer Tochter ist das Vergleichsobjekt. Ja, was sagt denn das gnädige Fräulein dazu?
GIESECKE.
Die weiß vorläufig noch gär nichts, aber wenn der junge Herr Sülzheimer erst hier ist ...
SIEDLER.
Was, Sie erwarten ihn?
GIESECKE.

Natürlich! Er kann jeden Augenblick hier eintreffen! Hören Sie doch nur, was der Alte mir schreibt. Den Brief vorlesend. »In postwendender Erledigung Ihres geschätzten Schreibens habe ich soeben meinen Sohn nach dort geschickt, um sich Ihnen vorzustellen. Den Zweck seiner Reise habe ich ihm vorläufig verschwiegen, damit die jungen Leute sich ganz unbefangen kennenlernen. Ihre weiteren Nachrichten gern abwartend, hochachtungsvoll C.F. Sülzheimer«. Entzückt. Was der Mann für einen Stil schreibt. Großartig!

SIEDLER.
So so ... Jetzt verstehe ich! Also der junge Mann reist gewissermaßen mit versiegelter Ordre!
[49]
GIESECKE.

Das ist ja eben der Witz. So auf Reisen, da läßt sich das zwangslos machen, und wissen Sie, im Gebirge gerade – da fädelt sich so etwas viel leichter ein.

SIEDLER.
Natürlich ... Dazu sind ja die Gebirge hauptsächlich da.
GIESECKE.
Und sehen Sie, Doktorchen, dabei könnten Sie mir eigentlich noch helfen.
SIEDLER.
Bei dem Einfädeln?
GIESECKE.
Ja! Na – was sagen Sie zu dem Plänchen?
SIEDLER.
Ich muß sagen, ungemein sinnreich.
GIESECKE.
Und dabei so einfach.
SIEDLER.

Ja – und so billig. Du, der alte Sülzheimer, gibst mir dein Patent, und du, der junge Sülzheimer, bekommst dafür meine Tochter – wie auf der Börse, ich gebe, ich nehme! Abgemacht! – Mein Kompliment, Herr Giesecke – darauf wäre ich nicht gekommen.

GIESECKE
stolz.
Ja, ich habe aber auch lange dar über nachgedacht.
SIEDLER.

Schade, daß Sie nicht im fünfzehnten Jahrhundert in Verona gelebt haben! – Wenn Sie der alte Capulet gewesen wären, Sie hätten einfach dem alten Montecchi einen bewährten Heiratsvermittler geschickt, mit einem Auszug aus Ihrem Giro-Conto auf der Reichsbank ... und Romeo und Julia wären die glücklichsten Leute geworden.

GIESECKE.
Ich weiß gar nicht, was Sie mir da von Capulet und Julia erzählen, die Leute kenne ich ja gar nicht.
SIEDLER.

Erlauben Sie mir nur eine einzige Frage ... wenn nun der junge Sülzheimer Ihrer Tochter nicht gefällt?

GIESECKE.
Ach Gott – wissen Sie – da muß man eben gehörig zureden.
SIEDLER.
Zureden? So, so! Und Sie glauben, das hilft?
GIESECKE
vertraulich.

Was meinen Sie, was sie meiner Frau haben zureden müssen, bis sie mich genommen hat. Und nachher bin ich doch ganz glücklich geworden. Und sehen Sie, Doktor – wenn Sie mir da beistehen wollen ...

SIEDLER.
Bei dem Zureden?
GIESECKE.

Ja, es ist doch Ihr Jeschäft. Ich kann ja die Rechtsanwälte offen gestanden nicht leiden – aber eins muß man ihnen lassen – reden können die Brüder.

SIEDLER.
Na, etwas müssen wir doch können.
GIESECKE.

Und dann wissen Sie auch besser mit Liebesgeschichten Bescheid als ich. Ich habe mich in den letzten zehn Jahren so viel mit den Lampen beschäftigt, da verlernt man das.

[50]
SIEDLER.

Aber wissen Sie denn auch, Herr Giesecke, was Sie da von mir verlangen? Wie denken Sie sich denn eigentlich meine Tätigkeit bei dem »Einfädeln«?

GIESECKE.
Na, vor allen Dingen müßten Sie das Vertrauen meiner Tochter gewinnen.
SIEDLER.
Das ist allerdings mein ehrlicher Wunsch.
GIESECKE.
Dann müßten Sie ihr so recht zu Herzen reden.
SIEDLER.
Das wird freilich die Hauptsache sein.
GIESECKE.
Und nicht eher dürfen Sie locker lassen, als bis sie »Ja« gesagt hat.
SIEDLER.

Sehr richtig. Aber, sehen Sie, Herr Giesecke, wenn ich das erreichen soll, dann müssen Sie mir auch recht oft Gelegenheit geben, Ihr Fräulein Tochter zu sehen.

GIESECKE.
Mach' ich.
SIEDLER.
Und ungestört mit ihr allein zu sprechen.
GIESECKE
gesteigert.
Mach' ich.
SIEDLER.

Ja, dann allerdings, Herr Giesecke, zögere ich keinen Augenblick mehr, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, und wenn mir der Himmel nur ein bißchen gnädig ist, dann verspreche ich Ihnen – Sie werden das Salzkammergut nicht verlassen, ohne daß Ihre Tochter verlobt ist.

GIESECKE.
Abjemacht? Ihm die Hand reichend.
SIEDLER
einschlagend.
Abjemacht.
GIESECKE.

Ach, Doktor – wenn Sie mir das durchsetzen, ich sage Ihnen, Sie kriegen ein Honorar von mir ... ein Honorar ...

SIEDLER
ablehnend.
Aber, Herr Giesecke.
GIESECKE.

Zeit Ihres Lebens liefere ich Ihnen die Jlühstrümpfe für Ihr Bureau umso ... Will »umsonst« sagen, hält aber plötzlich inne und fährt dann fort. um so viel billiger wie irgend möglich! Geben Sie mir Ihre Hand, Doktor – Sie sind zwar Rechtsanwalt, aber trotzdem ein sehr netter Mensch.

SIEDLER.
Ich danke Ihnen im Namen aller meiner Kollegen.
11. Szene
Elfte Szene
Giesecke – Siedler – Ottilie.

OTTILIE
aus dem Hause.
Papa, kommst du mit an den See? Freudig bewegt. Ja, was ist denn das, die Herren sind versöhnt? ...
SIEDLER.
Vollständig.
OTTILIE
freudig.
Ja, wie ist denn das gekommen?
[51]
SIEDLER.
Das erzähle ich Ihnen unten am See! Ihr den Arm bietend. Darf ich bitten?
OTTILIE
zögernd.
Ja, Papa – darf ich denn?
GIESECKE.

Aber natürlich! Geh' nur mit dem Herrn Doktor! Dann mit einem schlauen Blick zu Siedler. Ich komme langsam nach.


Ottilie nimmt Siedlers Arm, beide ab.
GIESECKE
stolz ihnen nachblickend.
Das hab' ich großartig gefingert! Sich stolz in den Hüften wiegend – nach der anderen Seite ab.
12. Szene
Zwölfte Szene
Portier – Mirzl.

PORTIER
geht an die Türe und zieht die große Hausglocke.
Der Omnibus vom Bahnhof ist angekommen.

Mirzl kommt von links und geht den Fremden entgegen über die ab. Der Portier folgt ihr.
13. Szene
Dreizehnte Szene
Hinzelmann – Klärchen – Sülzheimer – Leopold.

SÜLZHEIMER
aus dem Hotel einen Handkoffer tragend.
Na, Herr Hinzelmann – wenigstens sind Sie und Ihr Fräulein Tochter untergebracht.

Hinzelmann, Klärchen, Leopold kommen hinter ihm aus dem Hotel.
LEOPOLD.
Ja, – wir san halt komplet – alles besetzt!
SÜLZHEIMER.

Und ich hatte mir schon meine Depeschen hierher bestellt. Noch nichts angekommen? Für Arthur Sülzheimer!

LEOPOLD.
Nein, is nix da!
HINZELMANN
bescheidene Gelehrtenfigur.
Nicht wahr, Klärchen, schön ist's hier?
KLÄRCHEN.
Ja, Papa!
HINZELMANN
schüchtern und leise.
Sagen Sie mal, Herr Oberkellner – wie hoch liegen denn unsere zwei Zimmerchen?
LEOPOLD.
Im zweiten Stockwerk.
HINZELMANN.
Im zweiten ... so so ... hätten Sie vielleicht etwas im dritten Stockwerk?
LEOPOLD.

Aber ich bitt' schön, das Häuserl hat ja nur zwa Stockwerke. Ihre Zimmer liegen eh' schon unterm Dach! Ich trau' mich kaum, sie Euer Gnaden anzubieten!

HINZELMANN.
Aber bitt' schön, das ist uns ja gerade recht. Nicht wahr, Klärchen?
SÜLZHEIMER.
Aber wird Ihnen das nicht zu unbequem sein, mein Fräulein?
KLÄREHEN.
O nein!
[52]
LEOPOLD.
Wenn ich Euer Gnaden vielleicht hinaufführen darf?
HINZELMANN.

Einen Augenblick noch! Leopold etwas beiseite nehmend. Wie hoch stellt sich denn der Preis für die Zimmer?

LEOPOLD.
Pro Tag einen Gulden fünfzig mit Bedienung und Licht!
HINZELMANN.
So ... so ... nun, Licht brauchen wir eigentlich nicht, das haben wir uns mitgebracht!
SÜLZHEIMER
lachend.
Sie sind ja ein sehr praktischer Reisender!
HINZELMANN.

Ja, lieber Freund, als Privatgelehrter muß man ein bißchen rechnen. Also ein Gulden fünfzig pro Tag macht für die Woche zehn Gulden fünfzig ... Ich glaube, das geht, Klärchen!

KLÄRCHEN.
Ja, Papa!
HINZELMANN.

Da nehme ich also die Zimmer für eine Woche, und wenn Sie wünschen Er nestelt an der Weste herum und holt eine Brieftasche hervor, die er an einem Band um den Hals gehängt hat. so kann ich ja auch gleich vorher bezahlen!

LEOPOLD.

Aber bitt' schön, hat ja Zeit, Euer Gnaden! Nimmt den Handkoffer von Hinzelmann. Darf ich jetzt um den Schein bitten?

HINZELMANN.
Was denn für einen Schein?
LEOPOLD.
Na, für das große Gepäck!
HINZELMANN
auf den Handkoffer zeigend.
Das ist ja das große!
LEOPOLD.
Ach so! Bitt' um Entschuldigung! Ab links.
HINZELMANN
zu Sülzheimer.

Ja, mit dem Gepäck, das muß man sich sehr berechnen auf der Reise, wegen der Überfracht! Die kostet ein Heidengeld, das kenne ich!

SÜLZHEIMER.
Sie reisen wohl sehr viel, Herr Doktor?
HINZELMANN.

Sehr viel! Jeden vierten Sommer! Wir haben schon ein schönes Stück Welt gesehen, ich und meine Tochter.

KLÄRCHEN.
O ja!
HINZELMANN.

Den Spreewald – die märkische Schweiz – die sächsische Schweiz – die vogtländische Schweiz – Mit einem leisen Seufzer. bloß die wirkliche Schweiz, – dazu hat's noch nicht gelangt! Aber mit dem Salzkammergut, da ging's diesmal. Es war nämlich ein Philologen-Kongreß in Linz!

SÜLZHEIMER.
Ach, und da waren Sie?
HINZELMANN.

Nein, auf dem Kongreß war ich nicht Aber die ermäßigte Fahrkarte habe ich benutzt! Es bleibt sonst zu viel Geld an den Rädern kleben. Deshalb können wir auch nicht jedes Jahr reisen. Da heißt es sparen, bis wir die Reisekasse voll haben, und wenn ich so manchmal im Winter Lust auf ein gutes Glas Bier habe, da trinke ich ein gutes Glas Wasser und sage dann zu meinem Klärchen, wenn ich den Spargroschen in die Büchse werfe: »Wieder ein Kilometer!«

[53]
SÜLZHEIMER
teilnahmsvoll.
Ach, du lieber Gott!
HINZELMANN.

Ja, eins kommt zum andern! Aber wenn's dann auch so weit ist, und ich sitze mit meinem Klärchen auf der Eisenbahn, und ich fühle das Rütteln und Schütteln im ganzen Körper und höre die Räder über die Schienen rollen, das ist zu schön! ... Deshalb fahren wir auch nur mit dem Personenzug – da dauert's länger!

KLÄRCHEN
Hinzelmann am Arme zupfend und nach oben deutend.
Papa!
HINZELMANN.

Was denn? Ach so, das Zimmer! Ja, ich geh' schon ... Zu Sülzheimer. Vielleicht leisten Sie inzwischen meiner Tochter Gesellschaft!?

SÜLZHEIMER
der eben im Begriff war, eine Zigarre aus dem Etui zu nehmen.
Aber gern! Steckt schnell die Zigarre wieder ein.
HINZELMANN.
Ach bitte, bitte, rauchen Sie nur, das hat meine Tochter sehr gern.
SÜLZHEIMER
die Zigarrentasche präsentierend.
Vielleicht ebenfalls gefällig?
HINZELMANN.
Nein, nein, danke! Das habe ich mir auch abgewöhnt! Ja – die Reisekasse! Ab.
SÜLZHEIMER.

Wirklich schade, daß ich mir jetzt ein anderes Hotel suchen muß – aber unsere Reisebekanntschaft wird hoffentlich dadurch nicht verkürzt werden ... vorausgesetzt, daß Ihr Herr Vater damit einverstanden ist.

KLÄRCHEN.
Ach ja!
SÜLZHEIMER.
Und daß auch Sie nichts dagegen haben.
KLÄRCHEN.
O nein!
SÜLZHEIMER.

Wirklich sehr hübsch, daß Ihr Herr Papa mich aufgefordert hat, mich noch ein bißchen mit Ihnen zu unterhalten. Wie? Nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hat. Ich meine, da können wir uns doch einmal ordentlich aussprechen. Blickt sie fragend an.

KLÄRCHEN
nickt in stummer Bejahung.
SÜLZHEIMER
durch ihre Ängstlichkeit sichtlich verwirrt.

Es ist wirklich ein seltenes Glück, daß ich mich mit Ihrem Vater so zufällig zusammengefunden habe. Das ist ja ein prächtiger, alter Herr.

KLÄRCHEN
liebevoll.
Ach ja!
SÜLZHEIMER
nach einer kleinen Pause.

Und wie er unterrichtet ist und einem alles erklärt, als wenn er schon wunder wie oft die Gegend bereist hätte! »Das rechts ist der Falkenstein ... und links der Schafberg ...« ja Wieder auf eine Fortsetzung des Gesprächs wartend, dann in Verlegenheit wiederholend. und links der Schafberg – Ja ... oder sind Sie unempfänglich für solche Naturschönheiten?

[54]
KLÄRCHEN.
O nein!
SÜLZHEIMER.

Aber, da erklären Sie mir nur um Gottes willen, warum Sie Ihre Freude so hartnäckig verheimlichen. Sind Sie denn immer so einsilbig?

KLÄRCHEN.
Ach ja!
SÜLZHEIMER.
Sie haben so kluge, sprechende Augen! Ich möchte wetten, daß Sie entzückend plaudern können.
KLÄRCHEN
abwehrend.
O nein!
SÜLZHEIMER.

Und gerade eine hübsche Stimme, die ist für mich eigentlich das Wichtigste bei der Frauenschönheit! Wenn die fehlt ... Da habe ich jetzt zum Beispiel in Salzburg einen Spaß erlebt – den muß ich Ihnen erzählen. Da saß mir an der Table d'hôte eine Dame gegenüber, bildschön – so lange sie stumm war. Aber auf einmal fing sie zu sprechen an, und aus war's! Denken Sie nur, sie lispelte nämlich! Lispelnd, mit der Zunge anstoßend und die Dame kopierend. »Darf ich Sie um's Selterwasser bitten!« Ich sage Ihnen, es war zu komisch, und ich mußte die Serviette vor's Gesicht halten, um mein Lachen zu verbergen.

KLÄRCHEN
in lebhafter Erregung, stark lispelnd.
Das war sehr häßlich von Ihnen! Sie sollten sich schämen, daß Sie über so etwas lachen!
SÜLZHEIMER
betroffen.
Mein Fräulein!
KLÄRCHEN.
Begreifen Sie jetzt, warum ich so schweigsam war? Ich lispele nämlich auch.
SÜLZHEIMER
verlegen.
Das kommt mir allerdings so vor.
KLÄRCHEN.

Und darum rede ich lieber gar nichts mit fremden Leuten. Lieber soll man mich für dumm halten, als daß sie mich auslachen!

SÜLZHEIMER.
Aber, wer könnte denn so taktlos sein?
KLÄRCHEN.

Ach, ich habe es oft genug bemerkt, wie die Herren ihre Gesichter hinter der Serviette versteckten – so wie Sie in Salzburg. – Weinend. Und ich kann doch nichts dafür! Ich kann doch nur so reden, wie mir der Schnabel leider gewachsen ist!

SÜLZHEIMER.

Mein Fräulein, Sie quälen sieh aber wirklich ohne Grund. Grade dieser kleine Sprachfehler, der stellt Ihnen entzückend. Ich begreife gar nicht, wie eine Dame anders reden kann.

KLÄRCHEN.

Und mir hat es so viel Kummer gemacht. Gott – die Herren haben doch auch kleine komische Schwächen – wenn einer zum Beispiel so ungeschickt ist, daß er überall stolpert, oder Einen Kurzsichtigen kopierend. er ist so kurzsichtig, oder es hat einer in jungen Jahren schon einen ganz kahlen Kopf, so glatt und rund wie eine Billardkugel.

SÜLZHEIMER.
Das finden Sie also komisch?
[55]
KLÄRCHEN
lachend.
Na – lachen muß man ja drüber.
SÜLZHEIMER.

Gott sei Dank, mein Fräulein, jetzt sind wir quitt. Nimmt den Hut ab, und man sieht erst jetzt, daß er bei einem hübschen, jungen Gesicht einen kahlen Kopf hat.

KLÄREHEN
erschrocken.
Ach, du lieber Gott!
SÜLZHEIMER.
Bitte, lachen Sie ruhig weiter, mein Fräulein. Ich lache mit.
KLÄRCHEN.
Ich hatte aber wirklich keine Ahnung.
SÜLZHEIMER.

Ja, die Enthüllung wollte ich mir eben so lange wie möglich aufsparen. Das mache ich immer so! – Am liebsten lasse ich mich nur im Freien sehen, mit dem Hut auf dem Kopf. Ich bin gewissermaßen eine Gartenschönheit.

KLÄRCHEN.

Aber, erlauben Sie, das kleidet Sie so gut, ich kann Sie mir gar nicht anders vorstellen. Haben Sie denn überhaupt einmal Haare gehabt?

SÜLZHEIMER.

Ja, vor Jahren! Ich habe mich sogar damit photographieren lassen und trage das Bild immer bei mir, sonst glaubt es mir keiner. Soll ich es Ihnen zeigen?

KLÄRCHEN.
Nein, nein! Ich will Sie gar nicht anders sehen.
SÜLZHEIMER.
Ich danke Ihnen für diese Geschmacksverirrung.
KLÄRCHEN.
Jetzt muß ich aber doch einmal nach Papa sehen.
SÜLZHEIMER.
Werden Sie heute noch einen Spaziergang machen?
KLÄRCHEN.

Gewiß! Papa hat sich schon im Winter einen Bädeker geborgt und alles abgeschrieben, – der kennt hier Weg und Steg.

SÜLZHEIMER.
Vielleicht erlauben Sie, daß ich mich Ihnen anschließe!?
KLÄRCHEN.

Aber selbstverständlich! Ich mache mich nur ein bißchen zurecht und lasse Ihnen dann Bescheid durch den Oberkellner sagen.

SÜLZHEIMER.

Und nicht wahr, jetzt, wo wir uns nichts mehr vorzuwerfen haben, jetzt werden Sie doch nicht mehr so einsilbig sein?

KLÄRCHEN.

O nein. Jetzt sollen Sie mich einmal schwatzen hören, – wie ein Wasserfall. Auf Wiedersehen, Herr Sülzheimer. Ab links.

SÜLZHEIMER
verbeugt sich und lüftet den Hut.

Ein liebes Kind! Dann seinen Handkoffer hochhebend. Wenn ich nur erst wüßte, wo ich ein Unterkommen finde, – es muß hier doch noch ein anderes Hotel geben.

14. Szene
Vierzehnte Szene
Sülzheimer – Josepha – Ottilie.

JOSEPHA
zu Ottilie.
Ach, da ist es wunderschön droben auf der Alm, da gehen wir nächstens hinauf.
[56]
SÜLZHEIMER
Josepha und Ottilie erblickend.

Da kommen ja zwei Bauernmädel, vielleicht können die mir Bescheid geben? Kommt doch einmal her, Kinder!

OTTILIE.
Wie?
JOSEPHA.
Reden's mit uns?
SÜLZHEIMER.
Natürlich! Sollst mal herkommen, Mizi!
JOSEPHA.
Mizi?
SÜLZHEIMER.
Oder Pepi –? Dann heißt eben deine Freundin Mizi! Das geht hier doch immer die Reihe herum.
JOSEPHA
zu Ottilie.
Jesses, der hält uns für ein paar Bauernmadel.
OTTILIE
zu Josepha.
Das ist ja reizend.
SÜLZHEIMER.
Was habt Ihr denn da zu tuscheln?
JOSEPHA
zu Ottilie.
Lassen wir ihn dabei, – das gibt a Hetz! Zu Sülzheimer. Was wollen denn der gnädige Herr?
SÜLZHEIMER
zu Ottilie.
Du, Dirndl, willst dir ein paar Kreuzer verdienen?
OTTILIE.
Du?
SÜLZHEIMER.
Na ja, ich denke, hier im Gebirge sagt man immer »Du« – das weiß ich doch von den Schlierseern.
JOSEPHA.
Alsdann gut! Wenn du willst, sagen wir »Du«!
SÜLZHEIMER.
Kinder, was seid Ihr aber für ein paar hübsche Mädels – so drall!
JOSEPHA
ihn gegen die Schulter stoßend.
Aber geh'!
SÜLZHEIMER.
Und so frisch. Kneift Ottilie in die Wange.
OTTILIE
schlägt ihn auf die Hand.
SÜLZHEIMER
seine Hand betrachtend.
Und so kräftig! Und die hübschen Kleider, die Ihr habt ... so angenehm fußfrei!
JOSEPHA.
Aber was wollen's denn eigentlich?
SÜLZHEIMER.
Ihr sollt mich in ein anderes Hotel führen.
JOSEPHA.
Ja, wohnen's denn net im Rößl?
SÜLZHEIMER.
Nein, das scheint mir überhaupt ein nettes Hotel zu sein!
JOSEPHA.
Na, sein's so gut.
SÜLZHEIMER.

Einen würdigen alten Gelehrten haben sie oben unter das Dach gelegt, und mir haben sie überhaupt kein Zimmer gegeben.

JOSEPHA.
Es wird halt keins mehr da sein.
SÜLZHEIMER.

Den Schwindel kenn' ich schon. Wenn ein einzelner Herr kommt und hat keinen Koffer wie ein Haus, der wird nicht angenommen – der kann ja nicht genügend geschröpft werden.

[57]
JOSEPHA.
Und Sie glauben, daß das die Leute hier tun?
SÜLZHEIMER.
Sie werden sich genieren! Aber ich werde dem Herrn Rößlwirt schon meine Meinung sagen.
JOSEPHA.
Sie, in dem Haus gibt's kanen Wirt. Da gibt's nur 'ne Wirtin.
SÜLZHEIMER.

Ach, daher kommt auch die Wirtschaft. Und da kann man nicht einmal grob werden. Das kenne ich schon – so eine Hotelwirtin lächelt einen immer freundlich an, und nachher bei der Abreise findet man das Lächeln auf der Rechnung.

JOSEPHA.
Was Sie sagen! Geärgert. Na, da können's ja froh sein, daß Sie net im Rößl wohnen.
SÜLZHEIMER.
Bin ich auch. Aber leider erwartet mich hier ein Herr aus Berlin, ein gewisser Herr Giesecke.
OTTILIE
belustigt.
Wer? Der Herr Giesecke?
SÜLZHEIMER.
Du kennst ihn vielleicht?
OTTILIE
lachend.
O ja!
SÜLZHEIMER.

Was ist denn da zu lachen? Zu Josepha. Die Kleine scheint mir ein bißchen blöd zu sein! Soll übrigens ein netter Herr sein, der Herr Giesecke!

JOSEPHA.
So?
SÜLZHEIMER.
Mein Vater hat mir gesagt, er wäre der richtige Streithammel!
OTTILIE.
Was Sie sagen?
SÜLZHEIMER.
Ist er denn wenigstens allein hier?
JOSEPHA.
Nein, mit seiner Tochter!
SÜLZHEIMER.
Die Tochter ist auch hier? – Na, das hat mir gefehlt!
OTTILIE.
Ja, was haben Sie denn gegen de Tochter?
SÜLZHEIMER.

Ach, so die Berliner Mädchen, mit der feinen Erziehung, – kann mir schon denken! Reden drei Sprachen und wissen in keiner was Gescheites zu sagen. Die Sorte kenne ich, und Fräulein Giesecke wird wohl auch nicht anders sein!

OTTILIE.
Glauben Sie?
SÜLZHEIMER.

Da möchte ich darauf schwören! So die richtige »höhere Tochter« – na, wie nennt Ihr denn das hier zu Lande?

JOSEPHA.
Sie meinen eine fade Nocken?
SÜLZHEIMER.
Fade Nocken! Ganz richtig! Das wird sie wohl sein, das Fräulein!
OTTILIE.
Ja, das wird sie wohl sein! Lacht hell auf.
JOSEPHA.
Das ist aber auch ... Lacht laut auf.
SÜLZHEIMER.

Jetzt lacht die auch! Mädels, Ihr seid zu dumm! Stimmt in das Lachen mit ein. Alle drei lachen. Nun kommt aber endlich und zeigt mir den Weg!

[58]
JOSEPHA
ironisch.
Soll ich Euer Gnaden vielleicht auch die Taschen tragen?
SÜLZHEIMER.

Nicht nötig, das kann ja der machen! Zum eintretenden Giesecke. Sie, Alter, nehmen Sie mal mein Gepäck!

15. Szene
Fünfzehnte Szene
Vorige – Giesecke – Siedler – dann Leopold.

GIESECKE
von rechts vorn mit Siedler.
Was?
SÜLZHEIMER.
Können sich ein gutes Trinkgeld verdienen.
GIESECKE.
Sie sind wohl verrückt?
SÜLZHEIMER.
Ja pardon – sind Sie denn nicht ...
JOSEPHA
dazwischentretend.
Erlauben's, daß ich Sie bekannt mache! Das ist der Herr Giesecke aus Berlin.
SÜLZHEIMER.
Allmächtiger!
JOSEPHA
knixend.
Und ich bin die Rößlwirtin!
SÜLZHEIMER.
Das ist hübsch! Wütend zu Ottilie. Aber warum hast du mir denn das nicht gesagt – du dummes Ding?
GIESECKE.
Erlauben Sie, wie reden Sie denn mit meiner Tochter?
SÜLZHEIMER
entsetzt.
Was, Sie sind –?
OTTILIE
mit einem Knix.
Die fade Nocken.
SÜLZHEIMER
verzweifelt.

Das habe ich gut gemacht! Dann zu Giesecke. Erlauben Sie, daß ich die günstige Gelegenheit ergreife, mich Ihnen vorzustellen – mein Name ist Arthur Sülzheimer.

GIESECKE.
Sülzheimer?
SÜLZHEIMER.
Aus Sangerhausen!
GIESECKE
zu Siedler.
Das scheint ja ein schöner Dussel zu sein!
SÜLZHEIMER.
Ich muß wirklich tausendmal um Entschuldigung bitten. Nimmt den Hut ab.
GIESECKE.
Haare hat er auch nicht!
SIEDLER.
Ich gratuliere Ihnen zu dem Schwiegersohn!
LEOPOLD
von links vorn.
Herr Sülzheimer, die junge Dame, mit der Sie angekommen sind, erwartet Sie!
SÜLZHEIMER.
Oh, dann entschuldigen Sie. Schnell ab.
GIESECKE.
Ein Mächen hat er sich auch schon mitgebracht? – Na, det Jeschäft is richtig!

Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Josepha – Leopold – Franz.

JOSEPHA
ärgerlich aus dem Haus.
Ja, hört denn kein Mensch, wo san's denn alle? Rufend. Leopold! – Franz!
FRANZ
säumig von links kommend.
Ich komme ja schon!
JOSEPHA.

Aber wie kommen's! – Wie a Schnecken – wollen's nit so freundlich san, Ihre Füßerln a bisserl schneller in Bewegung zu setzen?

FRANZ.
Jesses – i kann doch net fliegen.
JOSEPHA.

Wenn's net gleich schau'n, daß Sie weiter kommen, dann werde ich Ihnen mal zeigen, wie's fliegen können, aber hinaus! Ist das eine Bedienung? Die Gäst' wollen auch ihr Recht haben.

FRANZ
mürrisch.

Man tut ja, was man kann – aber wenn man sieht, daß man eh' gar nichts mehr recht machen kann ...! Der Herr Leopold hat auch schon g'sagt – 's is' net mehr zum aushalten.

JOSEPHA
zum auftretenden Leopold.
Was, das haben Sie gesagt?
LEOPOLD.
Freili hab' ich's gesagt.
JOSEPHA.
Ah, der Herr Oberkellner hetzt die Leute gegen mi auf – das hab' i gar gern.
LEOPOLD.
Weil ich's net anschaun mag, wie's uns den ganzen Tag sekieren. – Der Kellner ist auch ein Mensch.
FRANZ.
Recht haben's, Herr Leopold, daß Sie unseren Stand so hoch halten.

Erneutes Klingeln hinter der Szene.
FRANZ.
Na ja, ich komm ja schon. Ab in das Haus.
JOSEPHA
zu Leopold.
Ich dank' auch schön für die Unterstützung, die ich bei Ihnen finde!
LEOPOLD.
Wenn's aber auch den ganzen Tag mit uns grantig sind!
JOSEPHA.
Ja, wer ist denn daran schuld?
LEOPOLD.
Wir net. I weiß ganz gut, über was die Frau Sephi sich so gift't!
JOSEPHA.
Über die Schlamperei hier im Haus.
[60]
LEOPOLD.

Ah bewahr'. Der Wind blast aus einem ganz anderen Fenster'l – Auf den Balkon zeigend. Von da oben kommt er her.

JOSEPHA.
Fangen's schon wieder an?
LEOPOLD.

Sie haben halt auch bemerkt, daß der Herr Doktor, auf den Sie so g'spitzt haben, hinter einer anderen her ist.

JOSEPHA.
Woher wollen denn Sie das wissen?
LEOPOLD.

Bitte sehr. Wann so etwas in einem Hotel vorkommt, wissen's immer die Kellner zuerst! Und das sehen's doch alle, daß sich zwischen Nummer vier und Nummer fünfzehn was anbandelt. Bloß der Herr Vater, der sieht nichts. Den schickt der Herr Doktor Siedler immer auf den See hinaus zum Rudern und scharmuziert derweil mit dem Fräulein Tochter.

JOSEPHA.
Is net wahr! Lugenschippel seid Ihr alle miteinander.
LEOPOLD.

Na, wenn Sie's net glauben – bitt' schön – spitzen's nur weiter auf den Herrn Doktor! Sie werden bald sehen, was es Ihnen nützt, aber von mir verlangend nur net, daß ich mir's weiter mit anschau' – dazu bin ich der Frau Sephi zu gut.

JOSEPHA.
Ja, san's denn das wirklich?
LEOPOLD.

Ja, wenn's das noch net gesehen haben! ... Aber Sie haben's halt net sehen wollen. Ausgelacht haben's mich – und ausgefrotzelt. Und darum gefreut's mich hier nimmer. Mit Entschluß. Frau Sephi – i geh'!

JOSEPHA.
Was denn – jetzt in der Saison?
LEOPOLD.
Wann sich's um mei Herz handelt – nachher kann i auf di Saison keine Rücksicht neh men.
JOSEPHA.
Aber daß Sie a bisserl auf mich Rücksicht nehmen – das hätt' i doch g'laubt.
LEOPOLD.

Man kann net Zahlkellner sein, wenn man so a Liab im Herzen trägt. Erst gestern hab' ich mich wieder um einen Gulden verrechnet – Mit Nachdruck. und zwar zu meinem Nachteil –! Wann dös einem Zahlkellner passiert, dann muß er das Geschäft aufgeben. – I geh'!

JOSEPHA.
Aber, Leopold, schauen's – wo wir immer so gut mit einander ausgekommen sind.
LEOPOLD.
Ja, aber seit gewisse Leut' hier in das Haus gekommen sind ...
JOSEPHA.
Leopold, ich hätt' Sie wirklich für vernünftiger gehalten.
LEOPOLD.
Da haben Sie sich geirrt – ich geh'!
JOSEPHA.

Alsdann – bitten werd' ich Sie nicht – wann's durchaus wollen ... nachher schaun's, daß Sie weiter kommen!

[61]
LEOPOLD.
Bitte sehr! Bitte gleich! Ab hinten rechts.
JOSEPHA.
Aber Leopold! – Ach was! – Ich werd' ihn doch nicht noch bitten! Setzt sich trotzig vorn links.
2. Szene
Zweite Szene
Josepha – Siedler.

SIEDLER
kommt nach einer kleinen Pause.
Nun, Frau Josepha – so nachdenklich? –
JOSEPHA.

Ach, Sie sind's, Herr Doktor? Ihm lachend in das Gesicht schauend. Lassen's nur! ... Was geht einem net alles im Kopf herum ... Dummes und Gescheit's – gar net der Rede wert.

SIEDLER
leise drohend.
Ich möchte wetten, ich weiß, woran Sie denken.
JOSEPHA
ihn wieder anschauend.
Das glaub i doch net!
SIEDLER.

Sicher an die heimliche Liebe, von der Sie mir vor acht Tagen bei meiner Ankunft erzählt haben, und bei der ich Ihnen so gern helfen wollte. Gestehen Sie mir doch nur – wer ist's denn?

JOSEPHA.
Eher beißet' ich mir die Zunge ab!
SIEDLER.
Damit ich's ihm sagen kann, wie lieb Sie ihn haben.
JOSEPHA
kopfschüttelnd.
Das könnt' jetzt do net mehr helfen – aus is'!
SIEDLER.
Ach, Sie haben ihm wohl den Laufpaß gegeben?
JOSEPHA.
Ach, den Paß hat er gar net erst abgewartet – er ist von selber g'laufen!
SIEDLER.
Ja, wieso denn?
JOSEPHA.
Weil er halt eine andere gern hat!
SIEDLER.
O, o! Das hat Ihnen wohl sehr wehe getan?
JOSEPHA.

A klan's bisserl schon – aber wissen's, i hab' halt eine gute Haut, da heilt alles schnell! Wir im Gebirg' – wir geben uns net lang' ab mit aner unglücklichen Liab! – Und wenn ich schon den Mann net kriegen kann, den i gern hab', so muß i halt versuchen, den Mann gern zu haben, den ich kriegen kann! Und ein Mann gehört amal hier in das Haus – das Rößl verlangt's! Da muß i halt dem Rößl den Gefallen tun.

SIEDLER.
Aber vielleicht übereilen Sie sich – wer weiß, ob der Mann wirklich eine andere liebt?
JOSEPHA.
Wer ihm das net hätt' ansehen sollen!
SIEDLER.
Was, gezeigt hat er Ihnen das auch noch? Das ist aber sehr rücksichtslos von dem Menschen!
[62]
JOSEPHA.
Ja, die Lieb', die denkt halt immer nur an sich selber.
SIEDLER.
Das darf sie aber nicht, man muß sich doch ein bißchen beherrschen!
3. Szene
Dritte Szene
Josepha – Siedler – Ottilie – Leopold.

OTTILIE
von rechts hinten, zu Siedler.
Herr Doktor – kommen Sie mit?
SIEDLER
ganz rasch zu ihr eilend, ohne Josepha zu beachten.
Aber sofort! Mein Fräulein, ich hab' Ihnen so viel zu sagen! Wo ist denn Ihr Papa?
OTTILIE
schalkhaft.
Der rudert!
SIEDLER.
Famos! Schnell ab mit Ottilie.
JOSEPHA
ihm nachschauend.
Ja, ja, man muß sich ein bißchen beherrschen!

Leopold von hinten rechts, den Hut auf, in einem kurzen hellfarbigen Überzieher. In der Hand trägt er sein Dienstbuch, Tintenfaß und Feder.
LEOPOLD.

So, da san mir! Meine paar Sacherln hab' ich schon in aller Früh' z'sammengepackt! Da ist mei' Dienstbüch'l – i bitt' um mei Abgangszeugnis.

JOSEPHA.
Na, muß denn das gleich sein? Wo soll ich denn hier schreiben?
LEOPOLD.
Bitt' schön – Tinte und Feder hab' i gleich mit'bracht. Stellt es rechts auf den Tisch.
JOSEPHA.

Haben Sie's aber eilig! Setzt sich an den Tisch. Geben's also her! Sie, gar so gut wird das Zeugnis net werden.

LEOPOLD.

Kann ich mir schon denken. Aber, wenn ich der Frau Josepha an Zeugnis auszustellen hätt' – wer weiß, ob's besser wird.

JOSEPHA
drohend.
Leopold!
LEOPOLD.

Und wann mi mei neuer Herr fragen wird: »Sie, warum san's denn nur so kurze Zeit bloß in derer Stellung gewesen? Was haben Sie sich denn zuschulden kommen lassen im ›Weißen Rößl?‹« da werd' i sagen: Bitt' schön, das is net mein Fehler! I hab' in dem Haus bleiben mögen mei Leben lang! I hab' der Frau Sephi dienen wollen ehrlich und treu ... Bitt' schön, schreiben's das hinein ... »wollte ehrlich und treu dienen« ... aber, es war mir halt net möglich, weil i keine Anerkennung gefunden hab' ... bitt' schön, schreiben's das auch hinein: »hat keine Anerkennung gefunden!« Und warum? Weil die Frau Rößlwirtin nur Augen gehabt hat für diesen Herrn Doktor Siedler! Und, das hab' i net vertragen können. [63] Bitt' schön, schreiben's das auch hinein: »Grund des Dienstaustrittes: der Herr Doktor Siedler!« – Und darum bin i freiwillig gegangen. Mit seinen Tränen kämpfend. Wann's mir auch jetzt in der ganzen Welt nimmer gefallen wird – und wann i auch wieder zurückdenken muß an die Frau Josepha Weinend. und an's »Weiße Rößl«. Mit gesteigerter Rührung. Bitt' schön, schreiben's das auch hinein!

JOSEPHA.
Steht schon da! Ihm das Buch gebend. Hier haben's Ihr Buch!
LEOPOLD.
Küß die Hand! Und jetzt adieu, Frau Sephi! ... B'hüt Ihna Gott! Reicht ihr die Hand.
JOSEPHA
ihm die Hand reichend.
Behüt' Ihna Gott!
LEOPOLD
geht einige Schritte, dann mit einiger Rührung, zaudernd.
Ich bitt' schön – darf ich Ihnen auch manchmal schreiben?
JOSEPHA.
Ja, ja, schreiben's nur.
LEOPOLD.

Küß die Hand! Macht wieder einige Schritte, dann aufs neue zaudernd. Und wann mich der Weg just vorbeiführt, darf ich auch zum Besuch kommen? Auf a Schalerl Kaffee?

JOSEPHA.
Ja, ja, kommen's nur!
LEOPOLD.
Küß die Hand! ... Und net wahr ... Sie san mir doch net böse?
JOSEPHA.

Na, wissen's, jetzt, wo's nimmer bei mir im Dienst sind, jetzt kann ich's ja sagen – freili bin i Ihnen bös! Net weil's glaubt haben, i wär verliebt in den Herrn Doktor Siedler – Du lieber Gott! – Ich bin ja noch jung – da wär eh nix dabei! Aber, daß Sie nur einen Augenblick haben glauben können, ich lass' mir von der G'schicht den Kopf verdrehen – schauen's, darum bin i Ihnen bös! Sie hätten sich sagen müssen: Die Frau Josepha is ja doch net närrisch! Die Frau weiß ganz genau, wo ihr Platz is – in die Kuchel, da gehört's hin! Und wenn die was im Herzen hat, was net hinein paßt, die wird's schon außa reißen! Und wann's ihr noch so weh' tat! Ja, das mußten's sich sagen, wenn's nur a bisserl an gesunden Menschenverstand gehabt hätten!

LEOPOLD
erregt.

Ja, wenn das so ist ... wenn das wirklich so ist ... Frau Sephi ... warum geh' ich denn nachher? ... Da kann ich ja bleiben!

JOSEPHA.

Bitt' schön, ... Sie sind mein Zahlkellner gewesen! Sie haben mir Ihr Büch'l gegeben, – i hab' Ihnen meine Meinung hineingeschrieben ... nun bitte, lesen's!

[64]
LEOPOLD
resigniert.

Na ja, jetzt haben's mir a noch das ganze Buch verschandelt. Lesend. »Entlassen als Zahlkellner wegen ungebührlichen Benehmens« – Dazwischen sprechend. Is schon gut! »Aber engagiert auf Lebenszeit als Ehemann!« Jubelnd. Ja, Frau Sephi ... is denn das wahr? ... Is denn das wirklich wahr? ... Haben's sich denn da net verschrieben? Sie wollen mich wirklich auf Lebenszeit behalten? Als Zahlkellner ... als Ehemann, wollte ich sagen? ... Ist denn das Ihr Ernst?

JOSEPHA.
Ja, wenn's in dem Buch da so steht!
LEOPOLD
wieder in das Buch schauend.
Jesses, Frau Sephi – Josepha – Rößlwirtin! Josepha an die Brust ziehend. Mein g'hörst! Mein!
JOSEPHA.
Aber sein's doch nur stad! Schrein's doch net so!
LEOPOLD.

Ich muß schreien, das muß hinaus, was da drinnen ist! Sonst zerreißt mir's ja die Brust!Juchzend. Juhu! Mein Sepherl!

JOSEPHA.
Aber Leopold, um Gotteswillen, wenn jemand kommt, wenn das die Gäst' sehen!
LEOPOLD
energisch.

Ich hab' als Kellner so oft zusehen müssen, wie sich die Gäste busserln, – jetzt sollen die Gäste mal sehen, wie ein Kellner busserlt! Küßt sie wieder.

JOSEPHA.
Ja, haben's denn noch net genug?
LEOPOLD.

Noch lange net! Und jetzt werden's erst schauen, wie mir die Arbeit von der Hand fliegt! Jetzt sollen's mich erst kennen lernen. Herunter mit dem Überzieher! Reißt den Überzieher runter. Heraus mit d'n Frackschöß'! Reißt die Frackschöße aus den Hosentaschen, in die er sie gesteckt hat. Und Ihre Freud' werden's haben, wie i das Geschäft jetzt zusammenhalte! Wie ich mit den Kellnern umspringen werde! Und das sag' ich Ihnen, der Franz, der vorhin den kecken Schnabel gehabt hat, der muß zuerst aus dem Haus!

JOSEPHA.
Aber Sie haben doch selbst gesagt, – ein Kellner ist auch ein Mensch!
LEOPOLD.

Ja, da war ich selber no Kellner! Aber jetzt bin i der Herr! Und ein Aufbegehren gegen das, was i sag', das gibt's net mehr!

JOSEPHA.
Jesses, da muß i ja förmlich selber eine Angst kriegen!
LEOPOLD.

Nein, nein! Du net, Sephi, – du sollt's gut haben! – A Leben sollst führen wie die Engerl im Himmel! Und das Büch'l da, das heben wir uns auf, und wenn ich dir's wiedergebe zu unserer silbernen Hochzeit, da wirst mir gewiß hineinschreiben können: »Ehrlich und treu!«

JOSEPHA
bewegt.
Glaub's schon!
LEOPOLD.
Mein liebes Sepherl! Umarmt und küßt sie.
4. Szene
[65] Vierte Szene
Josepha – Leopold – Giesecke – Hinzelmann.
Giesecke ist bei der Umarmung von Leopold und Josepha mit Hinzelmann von links eingetreten.

GIESECKE.
Na, det Jeschäft ist richtig!
JOSEPHA
sich losreißend.
Jesses!
GIESECKE
zu Hinzelmann.
Was war denn das?
HINZELMANN.
Ich halte es für ein sogenanntes Busserl!
GIESECKE
nicht verstehend.
Ein Busserl?
HINZELMANN.
Was wir in Norddeutschland einen Kuß nennen!
GIESECKE.
Ach so – een Kößken! Dafür hab' ich's auch gehalten! Zu Leopold. Sie küssen unsere Wirtin?
LEOPOLD.
Das ist net die Wirtin, – das ist meine Braut! Jetzt bin i der Wirt! I bin das Roßl!
GIESECKE.
Wie ist denn das gekommen?
JOSEPHA.

Ja, denken's nur, der narrische Mensch hat durchaus fortwollen aus dem Haus, das konnte ich doch meinen Gästen net antun, – und da hab' ich ihn halt auf die Art gehalten!

LEOPOLD.
Mein Sepherl! Beide ab.
5. Szene
Fünfte Szene
Hinzelmann – Giesecke.

GIESECKE.

Aber so laß dich doch erst mal ansehen, alter Junge! Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir nun eine Woche in einem Hotel, und erst am letzten Tage entdecke ich, daß dieser alte Herr einmal ein kleiner Junge gewesen ist, von dem ich meine deutschen Aufsätze abgeschrieben habe! Nun lasse ich dich aber nicht wieder los. Heute Abend habe ich eine kleine Feier. Geheimnisvoll. Unter uns, es wird wahrscheinlich ein Verlobungssouper.

HINZELMANN.
Was du sagst?
GIESECKE.

Da mußt du dabei sein – alter Schulkamerad! Nun sag' mal, Junge, hast du dich denn an mich auch ein bißchen erinnert?

HINZELMANN.

Mir kam der Name gleich so bekannt vor ... Giesecke ... Wilhelm Giesecke? ... Sollte das derselbe sein, mit dem ich auf dem grauen Kloster in Obertertia zusammen war?

GIESECKE.
Bitte, – Untertertia. Bis Ober bin ich überhaupt nicht gekommen.
[66]
HINZELMANN.
Nun hat man sich vor vierzig Jahren zum letzten Mal in der Klosterstraße gesehen ...
GIESECKE.
Als Hosenmatz hat man sich adieu gesagt, und wo trifft man sich wieder ...?
HINZELMANN.

Im Salzkammergut Offen gesagt, wir hatten in der Schule keine besonderen Hoffnungen für dich. Wir glaubten eigentlich, aus dem Schlingel wird nie etwas werden.

GIESECKE.

Siehst du, und nun ist doch etwas aus mir geworden. Du siehst, es geht auch ohne gefüllten Schulsack. Und wie ist es denn mit dir?

HINZELMANN.
Ach, ich bin auch recht zufrieden.
GIESECKE.
Was bist du denn eigentlich?
HINZELMANN.
Ich bin Philologe.
GIESECKE
ihn nicht verstehend.
Was bist du? ... Ach so ... Philologe. Das ist so ein gelehrtes Haus – so'n Bücherschreiber.
HINZELMANN.

Ja, Bücher hab' ich auch geschrieben, – und ich darf sagen, mit gutem Erfolg. Mein Erstlingswerk hat nun doch schon die zweite Auflage erlebt ... Aber meine Hauptarbeit, die kommt erst: »Die Geschichte des Volksliedes«. Da schreibe ich nun schon meine zwanzig Jahre d'ran.

GIESECKE.

Zwanzig Jahre, – an einem Buch? Das muß ja so dick werden wie der Adreßkalender. Da hat man ja auf der letzten Seite schon wieder vergessen, was auf der ersten gestanden hat. Ja, gibt's denn Leute, die so was lesen?

HINZELMANN.
Eigentlich ist es nur für einen ganz kleinen Kreis, – weißt du, für ein paar Gelehrte.
GIESECKE.
Da werd' ich mir's auch anschaffen. Bringt denn so'n Buch was ein?
HINZELMANN.
Nicht immer.
GIESECKE.
Ja, wozu schreibst du's denn da erst? Davon kannst du doch nicht leben.
HINZELMANN.

Ach, glaube nicht, daß ich Sorgen habe. Ich lebe in Greifswald ... da braucht man wenig ... Jahrelang habe ich der Universitätsbibliothek vorgestanden ... Nun bekomme ich meine kleine Pension, und davon lebt's sich ganz gut.

GIESECKE.

Da mußt du dich ja aber höllisch nach der Decke strecken. Ihm teilnahmsvoll die Hand reichend. Tut mir wirklich leid, daß ich dich so wieder finde.

[67]
HINZELMANN.

Was fällt dir denn ein? Du brauchst mich nicht zu bedauern. Ich besitze ja wenig, – aber ich habe viel davon. Und wer weiß, ob ich mit dir tausche. Wenn man immer nur so ins Volle greifen kann, da verliert alles seinen Reiz. Die Seltenheit, das ist die Würze der Freude. Und wer weiß, ob selbst das Reisen mich so glücklich machen würde, wenn ich's mir nicht eben nur alle vier Jahre vergönnte! Empfindest du ihn denn auch so lebhaft wie ich, – den Reisezauber?

GIESECKE.

Gott, wo da der Zauber liegen soll, wenn ich vier Wochen schlechter wohnen muß als zu Haus ... das begreif' ich nicht.

HINZELMANN.

Ja, du darfst eben nicht daran den ken, was dir die Reise nimmt, – sie gibt dir doch auch so viel. Mein Zimmer ist ja auch nicht so schön wie zu Haus, das Bett ist zu schmal, und die Dielen knarren, aber dafür die herrlichen Bäume vor dem Fenster! Wenn man da vor dem Einschlafen das Rauschen des Windes hört in den Zweigen, das ist wie ein Wiegenlied. Und dann morgens die Vögel! Das Geplauder, – was die sich alles zu sagen haben! – Und dann haben wir einen Hahn hier im Haus ... ich weiß nicht, ob du den Hahn schon gehört hast?

GIESECKE.
Wenn einer den nicht hören sollte!
HINZELMANN.
Ich sage dir, wenn der sein Kikriki hinausschmettert, das ist so melodisch, so herzerquickend.
GIESECKE.
Das muß ein janz anderer Hahn gewesen sein!
HINZELMANN.

Und da laß ich mich auch nicht lange mehr bitten – dann treibt's mich hinauf auf die Berge, in den flüsternden Wald hinein, und wenn ich dann so durch den stillen Morgen gehe und das Auge so offen wird für all das Schöne, – da fange ich an, ihn zu fühlen, den Reisezauber. Und alles, was noch vor kurzem mir so wichtig erschienen ist und mich so gedrückt hat, es kommt mir auf einmal so kleinwinzig vor, von da oben. Wie vergessen und verschollen ist alles, was da unten liegt. Ich kann mich nicht mehr besinnen, welchen Wochentag wir haben und welches Datum – und wenn mich einer fragen sollte: »Ja, sind Sie denn der Herr Doktor Walther Hinzelmann, den ich zu Haus oft so grämlich gesehen habe ...?« ich glaube wahrhaftig, ich würde ihm antworten: »Sie müssen sich irren, ... das ist ein viel älterer Bruder von mir« ... und das macht alles der Reisezauber. Mußt es nur versuchen, lieber Freund! Ab links.

GIESECKE
ihm nachsehend.
Der versteht's besser als ich. Den nehme ich nächstes Jahr mit nach Ahlbeck.
6. Szene
[68] Sechste Szene
Giesecke – Siedler.

SIEDLER
von links hinten.
Sie sind hier, Herr Giesecke? Ich denke, Sie rudern?
GIESECKE.

Nee, lieber Freund, das geht nicht mehr. Ich jond'le ja schon die ganze Woche auf dem See rum. Nun kann ich nicht mehr, ich habe ja schon Blasen an die Finger.

SIEDLER.
Das tut mir aber leid.
GIESECKE.

Schad't ja nicht, Doktor. Desto mehr Zeit hatten Sie, mit meiner Tochter zu reden. Und ich muß sagen, Sie haben Ihre Sache großartig gemacht.

SIEDLER.
Wenn Sie nur zufrieden sind, Herr Giesecke ...
GIESECKE.
Sie müssen sich ja eine riesige Mühe gegeben haben!
SIEDLER.
Ich kann wohl sagen, ich habe das Meinige getan.
GIESECKE.

Dafür ist das Mädchen aber auch wie verwandelt! Wenn ich früher vom Heiraten gesprochen habe, hat sie mich immer ausgelacht und mich gar nicht zu Ende kommen lassen. Aber jetzt hört sie mir ganz andächtig zu!

SIEDLER
erfreut.
Wirklich?
GIESECKE
vertraulich.
Ich kann Ihnen sogar noch mehr sagen: – das Mädchen ist verliebt.
SIEDLER.
Ach nein!
GIESECKE.

Verlassen Sie sich darauf, sie ist verliebt. Das Tagebuch, das sie führt, hat sie sonst immer offen herumliegen lassen. Seit zwei Tagen aber schließt sie es sorgfältig ein in den Koffer und trägt den Schlüssel immer bei sich. Na, das zeigt doch, daß sie etwas zu verbergen hat. Ein Herzensgeheimnis.

SIEDLER.
Ja, das sieht fast so aus.
GIESECKE.
Was meinen Sie, ob wir jetzt offen mit ihr reden?
SIEDLER.

Nein, das weiß ich doch nicht, ob das nicht noch zu früh wäre. Sehen Sie, so ein Mädchenherz ist wie ein Acker, da muß man erst den Boden vorbereiten.

GIESECKE.

Ja aber, Doktor, die Zeit drängt! Der junge Sülzheimer muß morgen abreisen. Heut müssen wir das entscheidende Wort reden!

SIEDLER.
Ja, wenn Sie es wünschen!
7. Szene
[69] Siebente Szene
Giesecke – Siedler – Ottilie.
Ottilie ist schon etwas früher aufgetreten und hat über die Balustrade Semmelkrümel in den See geworfen, um die Fische zu füttern.

GIESECKE
zu Ottilie.
Komm mal her, mein Kind! Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!
OTTILIE.
Mir, Papa?
GIESECKE.
Ich habe dir doch schon wiederholt die Mitteilung gemacht, daß du in dem Alter bist ...
OTTILIE.

Wo ein junges Mädchen ans Heiraten denken muß und so weiter! ... Ja, Papa, das habt du mir schon sehr oft gesagt.

GIESECKE.
Nun sag' mal, Kind, hast du dir denn auch meine Worte ernstlich überlegt?
OTTILIE.
Gewiß, Papa ... Mit einem Blick auf Siedler. Aber ich weiß wirklich nicht ...
GIESECKE.
Ach, vor dem Herrn Doktor Siedler brauchst du dich nicht zu genieren.
SIEDLER.

Im Gegenteil, mein Fräulein! Ich möchte Sie sogar bitten, einmal ganz zu vergessen, daß unsere Bekanntschaft noch so jung ist. Lassen Sie uns einmal der Zeit vorauseilen und annehmen, daß ich mir in Berlin schon die Ehre gegeben hätte, durch einen Besuch in Ihrem Hause unsere flüchtige Reisebegegnung fortzusetzen. Wir reisen ja heutzutage mit dem Schnellzuge an so vielen Stationen vorüber – lassen Sie uns einmal annehmen, daß seit unserer ersten Begegnung schon ein halbes Jahr verstrichen ist.

GIESECKE
für sich.
Der Mann redet ausgezeichnet.
SIEDLER.

Nicht wahr, dann dürfte ich mir doch schon ein vertrauteres Wort gestatten – nach einem halben Jahre ...

OTTILIE
leise.
Gewiß.
GIESECKE
antreibend.
Natürlich.
SIEDLER.

Und wenn ich Ihnen dann sagen würde: »Mein liebes Fräulein, Sie sind wie keine zweite geschaffen, einen Mann zu beglücken.«

OTTILIE.
Aber Herr Doktor! Wie sprechen Sie denn nur?
SIEDLER.
Gott, wo wir uns doch schon seit sechs Monaten kennen.
GIESECKE.
Nun eben!
[70]
SIEDLER.

Und wenn ich Ihnen dann weiter sagte: »Ich kenne einen Mann, der sich danach sehnt, dieses Glück zu erringen ...«

GIESECKE.

Und wenn ich dir dann sagte: »Den Mann habe ich dir ausgesucht, dem kannst du dich ruhig anvertrauen – einen besseren kannst du überhaupt nicht kriegen ...«

SIEDLER.
Und wenn ich Ihnen dann sagte: »Darin irrt sich freilich Ihr Herr Vater –«
GIESECKE.
Erlauben Sie mal.
SIEDLER.
Der Mann hat sogar sehr viele Fehler und Schwächen.
GIESECKE.
Nun machen Sie mir den Mann nicht schlecht!
SIEDLER.
Einen leichten Sinn hat er – und eine lockere Zunge – und einen harten Schädel.
GIESECKE
leise zu Siedler.
Sie, von dem Schädel wollen wir lieber nicht reden.
SIEDLER.

Aber trotz aller seiner Fehler dürfen Sie ihm auf sein ehrliches Gesicht glauben: »Mit dem kannst du es wagen, und wen er einmal ehrlich in sein Herz geschlossen hat, an dem hält er fest und läßt nicht mehr locker für das ganze Leben ...«

GIESECKE.

Ja, und wenn ich dir dann sage: »So tu' mir doch den Gefallen und sage ›Ja‹« – was würdest du dann antworten?

OTTILIE.

Ja, lieber Papa, das kommt so schnell über mich, so plötzlich ... du mußt mir etwas Zeit lassen ... aber, ich glaube fast, ich wurde dir antworten: Mit einem Blick auf Siedler. »Wenn du willst, Papa – dann also ... Vor sich hinhauchend. Ja!«Verschämt ab.


Siedler fällt Giesecke in die weit ausgebreiteten Arme.
GIESECKE
triumphierend.
Doktor – das haben wir fein gemacht.
SIEDLER.
Mir ist ganz heiß geworden.
GIESECKE.
Jetzt bin ich meiner Tochter sicher.
SIEDLER.
Ich auch.
GIESECKE.
Und wie Sie den jungen Sülzheimer herausgestrichen haben – alle Achtung!
SIEDLER.
Aber Sie haben ja selbst gesagt, so'n Rechtsanwalt ...
GIESECKE.

Ja, es sind bedeutende Menschen! ... Ja, ja, Herr Doktor! über meine Tochter sind wir ja nun im klaren. Jetzt handelt es sich nur noch um den jungen Herrn Sülzheimer.

SIEDLER.

Darüber kann ich Sie beruhigen. Auch über den jungen Mann werden Sie in kürzester Frist im klaren sein.

[71]
GIESECKE.
Glauben Sie?
SIEDLER.

Als Rechtsanwalt seines Vaters bin ich ja sein natürlicher Vertrauter, und gestern Abend habe ich ihn so lange im Mondschein spazieren geführt, bis er mir sein ganzes Herz ausgeschüttet hat. Ich bin jetzt ganz genau orientiert.

GIESECKE.
Nun – und?
SIEDLER.
Verliebt bis über beide Ohren!
GIESECKE.
Aber warum redet er denn nicht?
SIEDLER.
Gott – er ist eben aus Sangerhausen, da fehlt es ihm an Übung!
GIESECKE.

Aber ich als Vater kann doch nicht den Anfang machen! Ich bin ja so nett zu ihm wie nur möglich, aber ich kann ihm doch nicht sagen: »Herr Sülzheimer, – nun erklären Sie sich doch endlich meiner Tochter« ...

SIEDLER
einfallend.
Um Gotteswillen nicht, – lassen Sie ihm nur Zeit, er wird schon sprechen!
8. Szene
Achte Szene
Giesecke – Siedler – Sülzheimer.

SÜLZHEIMER
von rechts hinten.
Aber Herr Giesecke, Sie beschämen mich wirklich!
GIESECKE.
Ja, wieso denn, junger Freund?
SÜLZHEIMER.

Wie Sie um mich besorgt sind. Erst gestern haben Sie mir den schönen Cognac geschickt, und jetzt wieder die feinen Zigarren. Sie verwöhnen mich ja geradezu!

GIESECKE.
Aber das ist doch nicht der Rede wert! Als Sohn meines alten Geschäftsfreundes!
SÜLZHEIMER.
Mein Vater schätzt Sie aber auch sehr, Herr Giesecke!
GIESECKE.
Trotz des Prozesses?
SÜLZHEIMER.
Gott, da Sie ihn verloren haben!
GIESECKE.

Nimmt er ihn mir nicht mehr übel! Das ist hübsch von ihm! Aber da Sie sehen, wie gut ich's mit Ihnen meine, da wundert es mich bloß, daß Sie so verschlossen gegen mich sind!

SÜLZHEIMER.
Inwiefern, Herr Giesecke?
[72]
GIESECKE.
Warum sind Sie nicht im Mondschein mit mir spazieren gegangen?
SÜLZHEIMER.
Im Mondschein?
GIESECKE.

Sie haben doch den Rechtsanwalt einen Blick in Ihr Herz tun lassen. – Ich sehe so was auch sehr gern!

SÜLZHEIMER
zu Siedler.
Aber Doktor! Sie haben geplaudert!
SIEDLER.
Vor Herrn Giesecke habe ich kein Geheimnis!
GIESECKE.
Und das sollten Sie auch nicht haben!
SÜLZHEIMER.

Ja, wenn ich nur meiner Sache gewiß wäre! Aber ich weiß noch nicht, ob ich den rechten Eindruck gemacht habe.

GIESECKE.
Ich bitte Sie, – ein Mann von Ihren netten Manieren!
SÜLZHEIMER
sich verbeugend.
Sie sind zu gütig!
GIESECKE.
Und diesem angenehmen Äußern!
SÜLZHEIMER
dankend den Hut lüftend.
Sie sind aber wirklich zu liebenswürdig!
GIESECKE
ihm den Hut wieder auf den Kopf drückend.
Behalten Sie lieber auf!
SÜLZHEIMER.
Sehen Sie?!
GIESECKE.

Es ist ja richtig, Er lüftet ein wenig den Hut Sülzheimers und drückt ihn dann schnell wieder tief in die Stirn. ... ein bißchen wenig Haare haben Sie ja, aber was will das sagen! Gerade die bedeutendsten Männer haben die kahlsten Köpfe! Wenn Sie nur deshalb so ängstlich sind? ...

SÜLZHEIMER.
Ach, das nicht allein. Aber es ist doch zu schwer, die richtigen Worte zu finden.
GIESECKE.

Aber, Menschenskind, Sie werden doch schon in Ihrem Leben einer jungen Dame gesagt haben, daß Sie ihr gut sind.

SÜLZHEIMER.

Ach ja, das ist schon einmal vorgekommen, auf dem Kasino-Ball in Sangerhausen. Da hatte ich aber auch ein paar Gläser Sekt getrunken, das macht Mut.

GIESECKE.

Wenn's bloß daran liegt, also schmettern Sie hier auch ein paar Gläser – ich werde Ihnen sofort eine Flasche schicken.

SÜLZHEIMER.
Aber, Herr Giesecke, das kann ich ja gar nicht annehmen!
GIESECKE.
Wo es sich um Ihr Glück handelt, kann es doch darauf nicht ankommen.
SÜLZHEIMER.
Nein, wirklich, ich muß sagen, ich bin ganz gerührt! Wenn nur auch mein Vater einverstanden ist?
[73]
GIESECKE.
Dafür stehe ich ein. Alles bereits brieflich mit ihm geordnet.
SÜLZHEIMER.

Daran haben Sie auch schon gedacht? Aber wie soll ich Ihnen nur danken. Ihm die Hand drückend. Sie sind ja zu mir wie ein zweiter Vater.

GIESECKE.

Das ist das richtige Wort! Daran wollen wir jetzt festhalten! Und nun schicke ich Ihnen den Champagner! Im Abgehen. Doktor Siedler, haben Sie gehört: »Zweiter Vater!« Ich glaube, det Jeschäft is richtig! Ab in den Speisesaal.

SÜLZHEIMER
zu Siedler.
Wirklich ein zu lieber Mensch. Wenn ich jetzt nur müßte, wie Fräulein Hinzelmann über mich denkt?
SIEDLER.

Da gibt es nur ein Mittel: Sie müssen sie fragen. Und wenn es Ihnen gelingt, wenn Sie ihr heute noch das Jawort abschmeicheln – ich versichere Sie, damit würden Sie mir eine große Freude machen!

SÜLZHEIMER.

Nein, welchen Anteil auch Sie an mir nehmen! Wahrhaftig! Ihn umarmend. Sie sind wie ein Bruder! Ich halte nie geglaubt, daß es so viel selbstlose Freundschaft gibt!

9. Szene
Neunte Szene
Sülzheimer – Siedler – Franz.
Franz bringt eine Flasche Sekt und vier Gläser, die er auf den Tisch stellt.

FRANZ.
Empfehlung von Herrn Giesecke. Darf ich gleich einschenken?
SÜLZHEIMER.
Ja, sein Sie so gut. Zu Siedler. Das erste Glas müssen Ja, Sie mittrinken, Doktor!
SIEDLER.
Mit Vergnügen!
FRANZ
der inzwischen eingeschenkt hat.
Bitte schön!
SÜLZHEIMER.
Auf gute Freundschaft, Doktor!
SIEDLER.

Auf gut Glück bei dem kleinen Fräulein! Und sehen Sie, wenn Sie in Verlegenheit sind, wie Sie es anfangen sollen, gerade der Champagner bietet die beste Anknüpfung! Sie reden davon, daß das der Wein der Freude ist, bei allen festlichen Gelegenheiten wird er getrunken, beim Jahreswechsel – an Geburtstagen – bei Verlobungen, und da sind Sie so weit! Das andere findet sich dann ganz von selbst!

10. Szene
[74] Zehnte Szene
Sülzheimer – Siedler – Hinzelmann – Klärchen.

HINZELMANN
mit Klärchen von links.

Ei! Ei! Meine Herren, hier geht es ja hoch her! Schau' doch nur, Klärchen ... Champagner! Und wie es scheint ... wirklicher Champagner!

SIEDLER.
Ja, Herr Sülzheimer hat heut große Pläne vor!
SÜLZHEIMER.
Ich will mir Courage trinken!
HINZELMANN.
Sie wollen wohl auf den Dachstein?
SÜLZHEIMER.
Noch höher.
HINZELMANN.
Da nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht abstürzen.
SIEDLER
zu Sülzheimer.
Ach Unsinn! Nur vorwärts! Auf Wiedersehen, meine Herrschaften ... Ab rechts.
SÜLZHEIMER
zu Hinzelmann.
Darf ich Sie und Ihr Fräulein Tochter einladen, ein Glas mitzutrinken?
HINZELMANN.

Ja, ich weiß eigentlich nicht, ob ich es wagen darf, ich bin an Wein nicht gewöhnt. Champagner habe ich eigentlich nur einmal in meinem Leben – trinken wollen! ... Damals, als mein erstes Buch erschien.

SÜLZHEIMER.
Ach, er wird schon schmecken, alter Herr. Und Ihnen auch, gnädiges Fräulein.
MÄRCHEN.
Ich danke Ihnen – also auf Ihr Wohl.
SÜLZHEIMER
anstoßend.
Auf das Ihrige.
HINZELMANN
kostend.

Sehr schöner Wein! Weißt du denn auch, Klärchen, was du da trinkst? Das ist sehr teuer. Ich habe neulich auf der Karte gelesen, solche Flasche kostet acht Gulden. Macht für jedes Glas einen Gulden zwanzig Kreuzer. Beinahe so viel, wie die Reise von hier nach Salzburg kostet. Wenn man bedenkt, daß man da so mit einem Zug siebzig Kilometer verschluckt ... eigentlich Sünde.

SÜLZHEIMER.
Darf ich Ihnen noch ein Gläschen? ...
HINZELMANN.

Nein! Nein! Ich danke! Ich muß arbeiten! Ich soll der Frau Josepha ein paar Zeilen in ihr Merkbuch schreiben. Und dann hier. Auf einige Blätter weisend, die er auf den Tisch legt. Die heutige Ausbeute von meinem Spaziergange. Ich habe mir ein paar hübsche Hausinschriften notiert, einige Marterln, und auch ein sehr hübsches Volkslied habe ich gehört da drüben von einem Bettlerkind, das Lied vom Busserl. Besonders die letzten Zeilen sind sehr sinnig. Hören Sie nur: »Und wenn's nix mehr zum plauschen woast, nimm's Madel um den Hals, druck ihr a saft'ges Busserl auf, und's Madel woaß schon all's!« Das ist so lieb, so einfach.

[75]
SÜLZHEIMER.
Ja, es ist sehr einfach. Das muß ich sagen.
HINZELMANN.

Das muß in meine Sammlung. Sie entschuldigen, Herr Sülzheimer. Setzt sich links und macht mit seinem Bleistift einige Notizen in sein Heft.

SÜLZHEIMER.
Inzwischen trinken wir wohl noch ein Gläschen miteinander, Fräulein Klärchen?
KLÄRCHEN.
Ich weiß nicht, das steigt zu Kopf. Ich glaube, ich habe genug.
SÜLZHEIMER.
Aber Fräulein Klärchen, Sie müssen mit mir trinken, ich habe mit Ihnen zu reden.
KLÄRCHEN
scherzend.
Über den Champagner?
SÜLZHEIMER.

Ja, das heißt ... der Champagner ist doch der Wein der Freude. Und wenn man so ein Glas trinkt Nach der Fortsetzung suchend. und dann wieder eins ... und wieder eins ...

KLÄRCHEN.
Dann bekommt man Kopfschmerzen.
SÜLZHEIMER.
Ja, das kommt auch vor. Beiseite. Ich bin schon abgestürzt.
KLÄRCHEN.
Der Wein der Freude. Eigentlich ein hübscher Name für einen Wein.
SÜLZHEIMER
schnell wieder den Gesprächsfaden anknüpfend.

Darum wird er auch bei allen festlichen Gelegenheiten getrunken. Bei Geburtstagen – beim Jahreswechsel – bei Verlobungen, – da wird er immer getrunken, das gehört dazu! Und wenn ich denke, daß Sie sich eines Tages auch verlobten, und ich wäre dabei ...

KLÄRCHEN.
Bei meiner Verlobung? Aber daran ist doch gar nicht zu denken, Herr Sülzheimer.
SÜLZHEIMER.
Aber, warum denn nicht?
KLÄRCHEN.
Wer sollte mich wohl heiraten!
SÜLZHEIMER.
Aber, erlauben Sie, mein Fräulein!Beiseite. Jetzt ist es so weit! Trinkt schnell ein Glas.
KLÄRCHEN.

Ich bitte Sie, mit der Sprache! Mein Mann müßte ja immer fürchten, wenn er mit mir in Gesellschaft kommt, seine Frau würde ausgelacht.

SÜLZHEIMER.
Und darum wollen Sie ledig bleiben?
KLÄRCHEN.
Ja, das ist mein fester Entschluß.
SÜLZHEIMER.
Aber, ich bitte Sie, der läßt sich doch noch ablegen, der kleine Fehler.
KLÄRCHEN.
Ach, was habe ich nicht schon alles versucht.
SÜLZHEIMER.
Da haben Sie eben nicht den richtigen Lehrer gehabt. Wenn Sie mir das Amt überlassen wollten.
[76]
KLÄREHEN
lachend.
Ihnen?
SÜLZHEIMER.

Ich habe mir da eine sehr schöne Methode zurechtgelegt. Sie müssen lauter Sätze sprechen, die Ihnen gar keine Schwierigkeiten machen. Alles ohne S und ohne SZ. Und da gibt es so schöne Sätze. Fangen wir doch gleich mal an. In der ersten Stunde zum Beispiel, da sprechen Sie nur den Satz: Langsam pointierend. Ich habe dich gern ... Versuchen Sie das einmal.

KLÄRCHEN
nachsprechend.
Ich habe dich gern.
SÜLZHEIMER.
Sehen Sie, es geht famos. Ach bitte, noch einmal!
KLÄRCHEN.
Aber warum denn?
SÜLZHEIMER.
Zur Übung. Also bitte!
KLÄRCHEN.
Ich habe dich gern.
SÜLZHEIMER.

Das könnte ich den ganzen Tag von Ihnen hören. So schön klingt das. Und weil ich mit der ersten Lektion so zufrieden bin, gehen wir gleich zur zweiten über.

KLÄRCHEN.
Was soll ich denn da sprechen?
SÜLZHEIMER.
Ich ... bin ... dir ... gut! ... Ist auch ein sehr schöner Satz ...
KLÄRCHEN
versucht nachzusprechen.
Ich ... bin ... Verschämt abbrechend. Nein!
SÜLZHEIMER.
Aber da doch kein S drin vorkommt! Es wird schon gehen!
KLÄRCHEN
zaudernd.
Ich ... bin ... dir ... gut! ...
SÜLZHEIMER
sich vergessend.
Und ich erst Ihnen!
KLÄRCHEN
abwehrend.
Aber, Herr Sülzheimer!
SÜLZHEIMER.
O pardon!
KLÄRCHEN.
Sie nehmen doch keinen Unterricht!
SÜLZHEIMER.

Ich war so im Eifer. Bloß weil der Satz so schön ist! Aber den schönsten Satz habe ich mir für die letzte Lektion aufgehoben. Es sind ja nur drei Worte ... aber wenn ich die einmal aus Ihrem Munde hören könnte!

KLÄRCHEN.
Was können das nur für drei Worte sein?
SÜLZHEIMER.
Ich ... liebe ... dich! ... Wenn Sie doch das einmal sagten!?
KLÄRCHEN
verschämt.
Nein, nein! Das nicht!
SÜLZHEIMER.

Bitte, bitte! – Sagen Sie's doch! Wenn auch nur ganz leise? Und wenn Sie auch weiter nichts sprechen wollten als die paar Sätze, ich wäre für mein ganzes Leben damit zufrieden. Und Sie brauchen's mir ja nur nachzusprechen. Ich habe dich gern! Ich bin dir gut! Zieht sie an sich. Ich liebe dich!

[77]
KLÄRCHEN
an seine Brust sinkend.
Ich Sie ja auch!
SÜLZHEIMER.
Klärchen!
HINZELMANN
nach einer kleinen Pause hinüberblickend.
Ja, was ist denn das?
KLÄRCHEN
will sich losmachen.
Ach bitte ...
SÜLZHEIMER.

Nein, nein! Bleiben Sie noch! Und lassen Sie uns jetzt gar nichts mehr sprechen! Wozu denn auch? Sie haben's ja gehört: »Und wann's nix mehr zum plauschen woaßt, nimm's Madel um den Hals, druck ihr a saft'ges Busserl auf, und's Madel woaß dann all's!« Küßt sie.

HINZELMANN
ist langsam näher getreten und steht jetzt hinter ihnen.
Jetzt weiß ich aber auch alles!
KLÄRCHEN
Hinzelmann umarmend.
Papa!
SÜLZHEIMER.
Herr Hinzelmann – ohne viel Worte, wir haben uns lieb.
HINZELMANN.
Das scheint mir allerdings auch so! Wie ist denn das aber so rasch gekommen?
SÜLZHEIMER.

Ich kann's nicht sagen! Die gemeinsame Fahrt durch den hellen Sommertag und all das Schöne rundum ...

KLÄRCHEN.
Da ist uns das Herz so weit geworden.
SÜLZHEIMER.
Und wir haben uns zueinander gefunden.
KLÄRCHEN.
Ich weiß selbst nicht wie.
HINZELMANN.
Ja, ja, der Reisezauber ...
11. Szene
Elfte Szene
Hinzelmann – Klärchen – Sülzheimer – Giesecke.

GIESECKE
von rechts zu Sülzheimer.
Na, wie weit sind Sie mit der Flasche?
SÜLZHEIMER.
Ach, Herr Giesecke – die hat ja Wunder gewirkt.
GIESECKE.
Wahrhaftig?
SÜLZHEIMER.
Wir sind jetzt vollständig einig. Umarmt Klärchen.
GIESECKE.
Erlauben Sie mal, was machen Sie denn da?
SÜLZHEIMER.
Ich umarme meine Braut.
GIESECKE
entsetzt.
Was denn? Das ist Ihre Braut?
HINZELMANN.
Ja, was sagst du dazu?
GIESECKE
auf den Stuhl sinkend.
Na, det Jeschäft is richtig. Und dazu habe ich Ihnen auch noch den Champagner geschickt?
[78]
SÜLZHEIMER.

Das war ein sehr glücklicher Gedanke von Ihnen! Wer weiß, ob ich sonst den Mut gefunden hätte. Ich bin Ihnen ja so dankbar!

GIESECKE
ärgerlich abwehrend.
Bitte, bitte, ist ja gern geschehen.
HINZELMANN.
Nicht wahr, du freust dich mit uns?
GIESECKE.
Aber riesig!
HINZELMANN.
Und dieser glückliche Zufall, daß wir unsere Töchter am selben Tage verloben.
GIESECKE.
Wieso?
HINZELMANN.
Du sagtest doch vorhin – das Verlobungssouper.
GIESECKE.
Allmächtiger! Das muß ich abbestellen!
HINZELMANN.
Aber, warum denn?
GIESECKE.
Weil ... weil ... der Bräutigam ist mir abhanden gekommen.
SÜLZHEIMER.
Ja, ist denn der Herr Doktor Siedler abgereist?
GIESECKE.
Was hat denn der Herr Doktor Siedler damit zu tun?
HINZELMANN.
Aber tu' doch nicht so.
KLÄRCHEN.
Wir haben doch alle bemerkt ...
SÜLZHEIMER.
Wie der Herr Doktor und das Fräulein immer zusammen spazieren gingen.
HINZELMANN.
Und du bist immer auf den See hinausgefahren.
SÜLZHEIMER.
Damit die jungen Leute sich finden.
KLÄRCHEN.
Und sie haben sich gefunden.
HINZELMANN.
Das hast du famos gemacht. Und so diskret!
GIESECKE.
Das heißt, so dumm bin ich mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.
HINZELMANN.
Und ich kann dir zu diesem Schwiegersohn nur gratulieren.
GIESECKE.
Was du sagst!
HINZELMANN.
Dieser Doktor Siedler ist wirklich ein ganz reizender Mensch.
SÜLZHEIMER.
Und ein so tüchtiger Anwalt. Denken Sie doch nur, wie er unseren Prozeß geführt hat.
GIESECKE
wütend.
Das weiß ich!
SÜLZHEIMER
Klärchen an der Hand nehmend.
Und wie hat er sich bemüht, uns zu vereinigen!
GIESECKE.
Davon hat er auch gewußt?
KLÄRCHEN.
Ach, es ist wirklich ein reizender Mensch!
GIESECKE.

Darüber bin ich nun anderer Ansicht! In den Speisesaal rufend. Leopold, meine Rechnung, ich reise ab!

12. Szene
[79] Zwölfte Szene
Vorige – Leopold – Josepha – dann Ottilie – Siedler.

LEOPOLD
aus dem Speisesaal.
Aber grad jetzt wollen's fort, wo Sie bei uns nix mehr geniert?
JOSEPHA
aus dem Speisesaal.
Wo Sie sich mit dem Doktor Siedler versöhnt haben!
LEOPOLD.
Sie, das ist ein reizender Mensch!
GIESECKE.
Kommen Sie mir auch damit! Jetzt habe ich aber genug!
OTTILIE
mit Siedler von rechts.

Lieber Papa, jetzt bin ich mit mir ins Reine gekommen! Ich heirate den Dokter Siedler. Siedler die Hand reichend. Das ist ...

GIESECKE
einfallend.
Ein reizender Mensch! Ich weiß es!
SIEDLER.
Sehen Sie's endlich ein? Das freut mich!
GIESECKE.
Und Sie denken, daß ich dazu meine Einwilligung gebe?
SIEDLER.
Ich hoffe es.
GIESECKE.
Wo Sie mich hier so hinters Licht geführt haben!
SIEDLER.
Doch nur aus Liebe zu Ihrer Tochter! Das müssen Sie mir verzeihen!
GIESECKE.
Und die drei Jahre, die Sie mich geärgert und gezwiebelt haben?
SIEDLER.
Eben deshalb! Denken Sie doch, wie Sie sich als Schwiegervater revanchieren können!
GIESECKE
mit Überwindung.

Hol' der Teufel alle Rechtsänwalte! Sie behalten doch immer das letzte Wort! Zu Sülzheimer. Aber das sage ich Ihnen, der Prozeß wegen der Jlühstrümpfe, der geht jetzt weiter!

SÜLZHEIMER.
Was, Sie wollten?
GIESECKE.
Jetzt, wo ich einen tüchtigen Rechtsanwalt in der Familie habe, gehe ich in die zweite Instanz.
SIEDLER.

Tut mir leid, Schwiegerpapa – aber das können Sie nicht mehr, die Berufungsfrist ist gestern abgelaufen.

GIESECKE.
Det Jeschäft is richtig.

Vorhang fällt.
[80]

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TextGrid Repository (2012). Blumenthal, Oskar. Drama. Im weißen Rößl. Im weißen Rößl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-381E-4