Wunderseltsame Klage eines Landmädchens in der Stadt

Du lieber Gott, bald dankt' ich dir
Wohl nicht für deine Gabe;
Noch nie war mir's so ärgerlich,
Als in der grossen Stadt, daß ich
Ein hübsch Gesichtchen habe.
Schon sechzehn Sommer trug ich es
Zu Haus, doch niemand nannte
So engelschön mein Angesicht,
Auch hatt' ich all die Plagen nicht,
Als hier bei meiner Tante.
Kaum steh' ich auf, so bin ich schon
An's Putztischlein gebunden,
Der Tante Jungfer pudert, schmiert,
Und glättet, nadelt, faltet, schnürt
Zwei lange, lange Stunden.
[144]
Die Tante will, es soll mein Kopf
Den Damenköpfen gleichen:
Da läßt sie meiner Wangen Roth,
Das du mir gabst, du lieber Gott,
Mit Mennig überstreichen.
Ich durfte sonst von »Bauch hinein!«
Und »Brust heraus!« nichts wissen;
Doch hier geh'n Mädchen ja so schwer,
So steif und schnurgerad' einher.
Als stecken sie an Spiessen.
Wie frei konnt' ich zu Haus herum
Auf Feld und Anger gehen!
Hier gafft und schielet man nach mir,
Als wie nach einem Wunderthier,
Das man für Geld läßt sehen. –
Die Herren in Gesellschaft sind
Gar unverschämt im Scherzen,
Betheuern zuversichtlich mir,
Cupido saß' im Auge hier,
Und ziele nach dem Herzen.
Ich wüßte nicht, daß so ein Ding
Mir je in's Aug' gekrochen,
Und doch behaupten alle kühn,
Mit Pfeil und Bogen säß' er d'rin
Und habe sie gestochen.
Oft seh'n sie gar – Gott weiß, woraus
Sie solche Lügen saugen –
Auf meinen Wangen Rosen steh'n
Auf meiner Stirne Lilien,
Und Sonnen in den Augen.
Da werd' ich kurios, beseh'
Im Spiegel mich, und finde
Von allen diesem keine Spur:
[145]
Gewiß, die Herren lügen nur,
Und lügen ist doch Sünde.
Gar unausstehlich ist's, wenn sie –
Sie nennen's, glaub' ich – schmachten
Da thun sie so erbärmlich klein
Ohrhängen, wie die Eselein,
Daß man sie muß verachten.
Da schneiden sie vor Liebesgram
Gesichter zum erschrecken;
Und sind doch weiß und roth, wie ich,
Und lassen Trank und Speise sich,
Wie and're Menschen schmecken.
Oft kommen sie herangehüpft,
So recht als wie die Hasen,
Und seufzen ein's von Liebesqual,
Und wischen sich wohl hundertmal
An meiner Hand die Nasen.
Doch kehret oft im Augenblick
Ihr Muthwill' unvermuthet:
Dann spitzen sie das Züngelchen,
Und schimpfen auf die Häßlichen,
Daß mir die Seele blutet.
Ist etwa mein Gesichtchen Schuld
An allen diesen Sünden,
Du lieber Gott, so mache! daß
Ich häßlich werde, oder laß
Die Herren all' erblinden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Blumauer, Aloys. Gedichte. Sämmtliche Gedichte. Satyrische, scherzhafte und erotische Gedichte. Wunderseltsame Klage. Wunderseltsame Klage. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-374F-D