Sigmund von Birken
Gedichte

[79] Schäfers Klage

Wie wird mir nun geschehen,
Da ich dich lassen muß,
Und dich nicht mehr soll sehen?
Ach, bittrer Scheidegruß!
Du reißest dich von mir,
O Hirtin, meine Zier!
Ich möcht' in Angst vergehen –
Der Tod mich trennt von dir!
Ihr Gräslein, helft mir klagen,
Ihr Wäslein allzumal,
Die ihr sie oft getragen
Hier in dem Pegnitzthal.
[79]
Ihr seht mich jetzt allein
Und traurig treten ein.
Mich dünkt, ich hör' euch fragen:
Wo mag die Seine sein?
Wie wird mir doch geschehen,
Wenn ich sie nimmer werd',
Wo ich sie sahe, sehen
Spaziren um die Heerd'?
Wenn sie nicht mehr im Gras
Wird sitzen, wo sie saß?
Vor Leid werd' ich vergehen,
Von Weinen werden naß.
Der Bach, von meinen Zähren
Vermehrt und trüb' gemacht,
Wird auch mein Weinen mehren,
Und was ich vorgebracht,
Den bittern Scheidegruß,
Wird er in schnellem Schuß
Nachlispelnd lassen hören
Und tragen in den Fluß.
[80]
Ihr, die ihr sonst gesprungen,
Wenn meine Margaris
Zur Tafel euch gesungen,
Das Grasmahl machte süß,
Es wird euch keine Weid'
Wohl schmecken mehr vor Leid.
Wo Lieder sonst erklungen,
Wird heulen Traurigkeit.
Ach, mir wird weh' geschehen.
Fahr' hin, verwich'ne Freud'!
Komm an, mich blaß zu sehen!
Du kömmst, du schwarzes Leid!
Willkommen, Angst und Pein!
Ich mag nicht fröhlich sein.
Mein Licht mußt' untergehen,
Drum, Nacht, brich du herein!

[81] Floramor oder Tausendschön

Wann die Nymphen sich ergötzen,
Und sie etwan in dem Hetzen
Eines Dornes Stachel ritzt:
Wo der Ritz sich hin ergossen,
Macht er Floramoren sprossen,
Blutes Purpur auf sie spritzt.
Jene mag die Meerschneck' mahlen,
Die zu Hof in Purpur prahlen,
Die ein prächtig Elend ziert:
Schöner sind die Tausendschönen,
Die uns hier mit Freiheit krönen,
Wo man fromme Heerden führt.
[82]
Amarante, Liebesblüthe!
Blumen liebe ich und biete
Ehre vor den andern dir.
Du den Blumhold ehre wieder,
Stehe, wann ich liege nieder,
Dort um meine Grabesthür.

[83] Friedenslied

Nun, so bist du endlich kommen,
O du langgewünschter Tag,
Der uns alles Leid benommen
Und geendet unsre Plag'!
Tausend Seelen mit Verlangen
Hofften tausend Tag' auf dich.
Nun du uns bist aufgegangen,
Enden alle Nächte sich.
Theurer Tag, der Tage Sonne,
Zeitenkrone, Freund der Welt,
Feind der Unruh', Länderwonne,
Du durchstrahlst der Erden Zelt!
Und es werden treue Seelen
Von dir heute fangen an
Jahre neuer Ruh' zu zählen,
Die uns hoch beglücken kann.
[84]
Du machst unsre Zeiten lachen,
Alles Weinen geht zu Grab;
Treue, Freud' und Fried' erwachen,
Weil die Waffen ziehen ab.
Mache fest das Band der Liebe,
Das nicht reiß' in Ewigkeit!
Gott, uns stäten Frieden giebe
Nach dem langen Kriegesleid!
Laß ihn immer grünend bleiben,
Diesen neuen Friedenszweig,
Laß ihn Blüth' und Wurzeln treiben,
Daß er uns viel Früchte zeig'!
Unsre Schuld mit Gnad' anschaue,
Daß die Axt in deiner Hand
Ihn im Zorn uns nicht abhaue,
Und der Streit ersteh' im Land!

[85] Beständigkeit

Feige Sinnen weiche sind,
Weichen, wie von jedem Wind
Wird ein Wetterhahn gedrehet.
Großer Muth steht unverwandt,
Fest gegründet auf Bestand,
Den kein Nordensturm umwehet.
Laß die Wellen brausen her,
Laß die Winde sausen sehr,
Laß den heißen Mittag stechen:
Unglück, Noth und Ungemach,
Selbst der Tod ist viel zu schwach,
Einen festen Muth zu brechen.
[86]
Wer den Dank erlaufen will,
Muß durchaus nicht halten still,
Bis er hat das Ziel erreichet.
Kämpfen bringet keine Kron',
Wenn man eher läßt davon,
Als der Feind bezwungen weichet.
Durch Bestand die Tugend wird
In Vollkommenheit geführt,
Eingepflanzt in das Gemüthe,
Daß der Wille nichts mehr will,
Als was dem Verstand gefiel,
Tugend wallet im Geblüte.
Endlich doch behält Bestand
Wohl vergnügt die Oberhand,
Siehet seine Sorgenwende.
Laß denn nichts dich führen ab,
Denk', daß nur Belohnung hab',
Wer beharret bis an's Ende.

[87] Gleichmuth

O wie wohl ist der daran,
Der da kann
Sich begeistern,
Seine Feindin Sorge meistern,
Ist bei Glücke trotzig nicht,
Zag im Leiden,
Der behält in Leid und Freuden
Ein Gesicht!
Lacht das Glück, er denkt bei sich:
Hüte dich!
Sonnenscheinen
Kehrt sich bald in Regenweinen.
[88]
Heute da auf stillem Meer
Schiffe laufen,
Morgen sieht man sie ersaufen
Ungefähr.
Tobt das Glück, ihn trifft es nit:
Sein Gemüth
Felsengleiche
Weichet nie, wird niemals weiche.
Er sitzt allzeit klippenfest,
Ob das Sausen,
Ob das tolle Nordenbrausen
Auf ihn bläst.
Laß den Fels bestürmen sehr
Wind und Meer.
Sturm und Wellen
Müssen stets zurücke prellen.
Es steht seiner Wurzeln Erz
Unverletzet;
Nur sein Außen wird benetzet,
Nicht das Herz.
[89]
Tugend ist das rechte Glück,
Das zurück
Nimmer weichet,
Glück und Unglück wohl abgleichet.
Großmuth sich selbst Alles ist,
Wohnet innen,
Macht, daß du mit Stand der Sinnen
Glücklich bist.

[90] Morgenandacht

Frisch auf, mein Sinn, ermuntre dich,
Weil dort die Morgensonne sich
Zeigt auf vergüld'tem Hügel.
Es hüpfet ob den Büschen ümm,
Und singet Gott mit krauser Stimm'
Das leichte Luftgeflügel.
Schläfer, Schäfer,
Sind geflissen,
Zu begrüßen
Trift und Auen,
Dir und ihnen sich zu trauen.
Dir, dir, dir hier, o Gott, stimmt an,
Was schwebt, was webt, was beben kann,
Ein Loblied deiner Güte.
Auch mich soll nichts beschämen nicht,
[91]
Daß ich vergesse meine Pflicht
Und dankbares Gemüthe.
Höre, mehre
Dies Erklingen,
Laß mein Singen,
Dich jetzt preisen,
Und dir Ruhm und Ehr' erweisen.
Das Leid der Nacht ist überhin.
Wer macht, daß ich entkommen bin
Aus tausendfachen Stricken?
Da mich umfing des Todes Bild,
War deine Hand mein starker Schild,
Dein Schutz wollt' mich beglücken.
Pfeilen, Seilen
Böser Leute,
Die zur Beute
Mich erwählet,
Hat ihr Werk der Nacht gefehlet.
Du Held und Hüter unsrer Wacht,
Der du nicht schläfest in der Nacht,
[92]
Dein Gnadenaug' bleib' offen;
Beug' ferner allem Unfall für,
Und öffne meines Herzens Thür
Zu fest gefaßtem Hoffen.
Ende, wende
Meine Schmerzen
In dem Herzen
Ob den Sünden,
Laß mich deine Gnad' empfinden.

[93] Pilgerlied

Ziehet hin! spricht zu den Seelen,
Der dem Adam Odem gab.
Geht, ihr Kinder, in die Hölen,
Die ich euch gebauet hab'.
Wandert hin! Kommt wieder her!
Sucht durch Elend Sternenehr'!
Unser Gasthaus ist die Erde,
Sie ist unsre Heimath nicht.
Unser Wallen voll Beschwerde
Nach dem Himmel ist gericht'.
Für uns ist kein Bleiben hier,
Jene Wohnstatt suchen wir.
[94]
Uns schützt wider Sonn' und Regen
Gottes Hand, der Pilgerhut,
Und der Stab auf unsern Wegen
Ist sein Wort, so Hülfe thut.
Der macht unsern Tritt gewiß
In dem Thal der Finsterniß.
Sorgen, Sünden, die uns drücken,
Unsre Wanderbündel sind,
Bis das Reiseziel den Rücken
Von der schweren Last entbind'.
Wann sich endet unser Lauf,
Schlafen wir dann sanft darauf.

[95] Gott und Alles

An meinem Gott ich hange,
Ihn halt' ich, der mich hält.
Nach nichts mich sonst verlange!
Ist Alles schnöde Welt.
Wer will, an ihr sich labe,
Such' Lust und finde Leid.
Herr, wenn ich dich nur habe,
Ach, das ist meine Freud'!
Gott lieben ist mein Leben;
An ihm ich bleibe grün
Und saftig, gleich der Reben,
Bin dürr und todt ohn' ihn.
Von ihm kommt alle Gabe,
So zieret mein Gemüth.
Herr, wenn ich dich nur habe,
Mein Herz von Tugend blüht.
[96]
Es brennet, Gott zu loben,
Mein Herz in Andachtsglut.
Ich suche das, was oben,
Das macht mich wohlgemuth.
Dies sei es, was mich labe,
Wenn ich dich jede Stund',
Herr, wenn ich dich nur habe
Im Herzen und im Mund!
Ob mich die Dornen stechen,
Mein Glaub' vor Anker liegt;
Ich werd' noch Rosen brechen,
Die Hoffnung grünt und siegt.
Mein Elend ich begrabe
In seinen Vaterschoß.
Herr, wenn ich dich nur habe,
So leb' ich sorgenlos.
Sollt' auch der Leib veschmachten,
So will ich himmelwärts
Aus diesem Kerker trachten.
Es wird ein kurzer Schmerz
[97]
Mich fördern hin zum Grabe
Und enden alle Noth.
Herr, wenn ich dich nur habe,
Was frag' ich nach dem Tod?
So leb' ich, Gott ergeben,
Und sterb' auf seine Gnad'.
Den Himmel und das Leben
Hat ewig, der Gott hat.
Den Leib send' ich zu Grabe,
Die Seel' in seine Hut.
Herr, wenn ich dich nur habe,
So hab' ich alles Gut.

[98] Leben Tod, Tod Leben

Nur ein Tod ist dieses Leben,
Nichts als eine Grabesbahn.
Wann zu leben wir anheben,
Fahen wir zu sterben an.
Unser Tod ist jede Noth,
Die uns wünschen macht den Tod.
Von des Leibes Knochenwagen
Wird die Seele fortgetragen.
Tod, du giebst das rechte Leben,
Dies hier ist der wahre Tod.
Himmelauf, dahin wir streben,
Holst du uns, du lieber Both'!
Den du führest bald zur Ruh',
Dessen bester Freund bist du.
Schneller Tod ist kein Verderben,
Gottgeliebte fertig sterben.
[99]
Christen wie der Phönix sterben,
Werden lebend in dem Grab.
Wer im Sternenhaus will erben,
Muß die Erde legen ab.
Wann die Sonne eilt der Ruh'
In den Wintertagen zu,
Sie läßt nach dem Untergehen
In der andern Welt sich sehen.
Jesus hier mit seinen Lieben
Aus dem todten Leben eilt,
Und mit ihnen, ohn' Verschieben,
Seine Himmelsfreude theilt.
Fahre, spricht er, hin, mein Boot!
Führ' mir diese aus dem Tod!
Laßt den todten Leib verderben!
Hört er doch nur auf zu sterben.

Notes
Birkens weltliche und geistliche Gedichte sind in verschiedenen Gedichtsammlungen erschienen: Schäfer Floridans Poetischer Liebes-Blumen 1. Sträußlein, Nürnberg 1653; Geistlicher Weihrauchkörner Oder Andachtslieder I. Dutzet, Nürnberg 1652; Todes-Gedancken u. Todten-Andenken, Nürnberg 1670; Pegnesische Gesprächspiel-Gesellschaft, Nürnberg 1665; Pegnesis. Tle. I-II, Nürnberg 1673-79. Die hier vorliegenden Texte stammen aus einer kleinen Auswahl von Wilhelm Müller (Leipzig 1826).
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TextGrid Repository (2011). Birken, Sigmund von. Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3562-D