[426] Sinngedichte

Kleiner, hüte dich!

Worte werfen die Wahrheit nicht um, doch wackelt sie manchmal,
Wenn von rechts und von links Wortegestöber krawallt.
Leider genügt das bereits, denn wackelnde Wahrheiten werden
Gerne von hoch und gering eilig als Irrtum geschätzt.
Steht aber Unsinn recht stramm, breitbeinig und wuchtig im Erdreich,
Fühlt sich die Menge zu ihm wie mit Magneten gelenkt,
Klebt wie der Eisenfeilspahn daran fest und fühlt sich geborgen,
Denn das Feste allein bietet den Wankenden Schutz.
[427]
Wehe dir, Männchen mit Spaten und Beil, wenns keck dich gelüstet,
Auszugraben den Stamm, der so gar viele beschützt!
Bist du nicht stark wie der Sturm, der knorrige Eichen entwurzelt,
Nageln sie dich mit Gehöhn an den geheiligten Stamm.
Und es geschieht dir recht, denn der schändlichste Dilettantismus
Ist es, fürs Große ins Feld als ein Pygmäe zu ziehn.
Ehrfurcht gebietet die Kraft auch als Wahn; sie niederzukämpfen
Ziemt nur wieder der Kraft; Macht gebührt nur der Macht.

Wahrheit und Wahn

Wo wächst die Wahrheit?
Hinter dem Zaun, im Feld,
Tief in der Wiese, im Wald:
Ueberall, überall.
[428]
Aber über sie her
Weht seine Halme der Wahn,
Die Brotfrucht.
Willst du ihn ernten, den nährenden, greif
Zu Sichel und Sense.
Aber die Wahrheit zu pflücken genügt
Die Hand eines Kindes.
Drum siehst du sie öfter im Strauße des Dichters,
Als in den Tennen der klugen Leute.

Frage- und Antwort – Spiel

Der Sohn fragt:

Wohin käm ich,
Vater, wenn ich
Aufwärts immer höher stiege?
Wohin komm ich,
Vater, wenn ich
Steilauf durch die Lüfte fliege?
Der Vater antwortet:

Flieg und steige in die Ferne!
Steig und fliege und verlerne,
Daß ein Dort ist und ein Hier.
[429]
Steigend lernst du es begreifen:
Alles Indiehöheschweifen
Bringt am Ende dich zu dir.

Eigentum

Du hast gekauft und du erworben,
Du hast geerbt, wie dein Vater gestorben:
Ihr sitzt im Recht.
Aber der Erste, der euer Land besessen,
Hat sichs mit Keulen zugemessen,
Hat sichs erfrecht.
Wahrlich, ich sage euch: Fragt nicht zurück!
Auf dem Grunde des Grundbuchs steht: Recht ist Glück.
Machts wie jener, der sich erfrechte:
Behauptet mit Keulen euch in euerm Rechte
– Wenn aber nun wiederum Einer käme
Und sich die Keule zur Elle nähme
Und uns beim Kragen ...? ...
Weiß keinen Rat als: wehrt euch gut!
Fehlts aber euch an Kraft und Mut,
Soll er hinaus euch jagen.

[430] Parabel

(Herrn Franz von Lenbach zugeeignet.)


Herr Lehmann wollt sich malen lan,
Hub drum zu Lenbach z'reden an:
»Herr Meister, Ihr sollt mich konterfein!
Doch solls ein feines Bildnus sein:
Ein Bild voll Schönheit, Geist und Kraft,
Ein Ehrenmal der Lehmannschaft.
Mein treues Auge, deutsch und blau,
Daß es recht gottesfürchtig schau!
Meiner Lippen roter Bogenschwung
Verrate heilge Begeisterung
Für alles, was da groß und wahr:
Baut meine Stirne hoch und klar,
Und laßt die Locken golden wallen!
Meine Nase soll meiner Frau gefallen
(Sie liebt die langen, graden, schmalen):
Was Ihr verlangt, ich wills bezahlen.«
Der Meister durch das Brillenrund
Schaut nieder auf Herrn Lehmann und
Er spricht:
»Herr Lehmann, Euer wohledel Gesicht
Eignet sich zu einem Adonis nicht!
Ihr seid ein guter Lehmann zwar,
Doch ein Apoll nicht eben gar.
Euer Auge blickt ein wenig schiel,
Eure Nase staunt zum Himmel zu viel,
[431]
Eurer Locken blonden Scheitelkranz,
Die Zeit hat ihn gelichtet ganz.
Ihr seid ein Bürger unzweifelhaft bieder,
Doch Eure Stirn ist gedrückt und nieder,
Auch geht Eurer Lippen Schwung die Quere –
Herr Lehmann, ich bedaure sehre.«
Groß sah den Meister Herr Lehmann an,
Dacht bei sich: Das ist ein grober Mann!
Ist auch von den Realisten verdorben;
Der Idealismus ist ausgestorben.
Oh, diese Zeiten, diese krassen!!
Kein Biedermann kann sich mehr malen lassen.

Ehemarterl

Hier fiel ich, steh, Wandrer, und bet ein Gebet,
In die Hände meiner Frau, der Anna Margreth;
Es war am fünfundzwanzigsten Mai,
Als ich ging an diesem ††† Baume vorbei,
Hinter dem sie ganz von ungefähr stand;
Ich sagte Guten Abend und gab ihr die Hand.
Damals war ich ein Junggesell,
Und deshalb verliebte ich mich sehr schnell;
Sie behauptete von sich selber das Gleiche
Und verlangte, daß ich die Hand ihr reiche
Nächstens und schleunigst auch am Altar,
Der zufällig hier in der Nähe war.
[432]
Und deshalb, weil dieses wirklich geschehn,
Sag ich: Oh Wandrer, bleibe hier stehn,
Bedenke der Freiheit Vergänglichkeit,
Bet ein Gebet und bleibe gescheidt.
Bums Bärlaatsch, Bauer und Ehemann,
Der ein Wort davon mitreden kann.

Bellender Neid

Wie es dir schlecht ging, ließen sie dich gelten,
Du warst talentvoll und ein Biedermann;
Da führte dich das Glück nur einen Schritt voran,
Und schon hubs an, das dumpf verhaltne Schelten.
Nun aber, da sich ganz die Himmel dir erhellten
Und dir das Glück sehr hold zu sein begann,
Jetzt fangen heulend sie zu bellen an,
Wie hungerstoll nur je im Walde Wölfe bellten:
Du bist ein Stümper und ein Schuft, pack ein!
Talentlos, ehrlos, schamlos ohnegleichen;
Der Speichel ist zu gut, dich zu bespein.
Du wirst doch nicht vor diesen Kläffern weichen?
Hör das Konzert an, Freund, es muß so sein:
Die Bettler sind es am Portal des Reichen.

[433] Glück auf die Reise!

Sie machen die Luft dir dumpf und schwer,
Die kreischenden Zwerge?
Lach ihnen Abschied! Fahr über das Meer!
Steig über die Berge!
Doch, ehe du gehst, nimm einen am Ohr
Und schüttel ihn leise.
Verloren ist, wer den Humor verlor.
Glück auf die Reise!

Meinen werten Feinden

Die Feinde haben mich weise gemacht,
– Die guten Feinde!
Erst hab ich gebrummt, dann hab ich gelacht
Der grimmen Gemeinde.
Sie haben mir, was ich bin, gezeigt,
– Die lieben Leute!
Nun weiß ich, wie man lächelt und schweigt.
Wer haßt mich heute?

[434] Rat

Was machst du für ein schief Gesicht?
– Ach Gott, der X, der miserable Tropf,
Spie Tinte mir auf mein Gedicht.
Du Kinderkopf!
Kein größer Ehr könnt dir geschehen sein.
Geh hin und trinke einen Freudenwein!

Einem Geräuschvollen

Laß mir mein Glück,
Ich laß dir deins;
Mir thuts nicht weh,
Wenn ich mit Hengsten viere lang
Dich fahren seh.
Laß mir mein Glück,
Ich laß dir deins;
Laß mich allein.
Ein Stückchen Erde will ich und
Ein Bauer sein.

[435] Ach so!

Wohin denn, wohin denn so schnelle,
Du Mann mit der Elle?
Siehst nicht den schönen Regenbogen?
Frivoler Geselle!
Den eben will ich messen gehn.
Wär mir eine Art, so dazustehn
Und bloß die Farben anzusehn.
Ich bin gründlich!

An die Verschämlichen

Ihr armen Schächer, wie thut ihr mir leid
In eurer Tugend engem Kleid,
Darunter die Triebe zu Krankheiten werden,
Zu bösen Dünsten und allen Beschwerden
Der Leibeslüge und Heuchelei.
Nie seid ihr froh, nie seid ihr frei,
Denn euer Wahn hat zur Sünde verdacht,
Was Kreaturen selig macht.
Des Lebens Quell mit Schmutz zu verschlammen,
Tragt alle Unnatur ihr zusammen;
[436]
Was fröhlich, rein, lebendig fließt,
Wird euch und uns zum faulen Bache,
Zur giftigen Sünden-Unken-Lache,
Wenn eure »Moral« hinein ihr gießt.
Oh Jammermißbrauch mit dem Wort!
Was blüht, ist Leben, tot, was dorrt;
Ihr aber streut Salz auf des Lebens Fluren,
Was keimt und treibt, ist euch verhaßt,
Dem Leben grabt ihr ohne Rast
Das Grab, ihr »sittlichen« Lemuren.

Der Kunstmäcen

»Sieh den kunstergebenen Herrn,
Fortgeschritten und modern!
An den Wänden: Thoma, Klinger,
Stuck, Rops, Goya, Stauffer-Bern,
Und die neuesten Meister-Singer
Kennt er, kauft er, liest er gern!«
»Gut, gut, gut. Ich weiß es schon.
Leider – spricht er auch davon.«

[437] Der Dichter an den Philosophen

Was willst du alles wissen?
Oh Weiser, sei kein Thor!
Wer klug ist, zieht dem Leben
Leis einen Schleier vor.
Das Nackte ist das Leere,
Wenn du es nicht verklärst,
Und keine Schönheit wäre,
Wenn du kein Seher wärst.

Meine Antwort

»Freund, ob künde dein Verlangen!«
–: Einsam sein und Verse fangen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Sinngedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3226-4