Klare-Mond

Mit Vergnügen hörte die Katze die Erzählung ihrer Freundin, der Schlange, und als diese geendet hatte, sagte sie: »Kein Tiergeschlecht hat vom Undanke der Menschen so viel zu leiden, als wir armen Katzen. Wie diese Menschen euch Schlangen zu Sinnbildern der Falschheit, des Undankes und der Bosheit machen, so auch uns, deshalb tun wir beide wohl, uns zusammen und Freundschaft miteinander zu halten. Da heißt es immer: die falsche Katze, Katzenfalschheit, und solcher Ehrentitel mehr, die wir erhalten. Eines ihrer zahlreichen Laster, den Diebstahl, haben die Menschen nach unserem vom Schöpfer in uns gelegten Beruf und Nahrungstrieb, Mäuse zu fangen, das Mausen genannt, was doch recht schändlich von ihnen ist, und endlich haben sie die Lügenmäre ersonnen, daß ihre bösen Hexenweiber und Teufelsbündnerinnen sich in ein so edles und schönes Geschöpf, wie eine Katze ist, verwandeln könnten; das hat dann wieder dahin geführt, daß viele Menschen jede Katze für eine Hexe halten, durch welche heilige Einfalt schon viele Tausende unseres Geschlechtes den grausamsten Tod erlitten haben. Ich könnte dir bis an das Ende meines Lebens solche Märlein erzählen, in denen wir als Hexen eine Rolle gespielt haben sollen, und würde doch nicht mit allen fertig.

Ich will dir nur ein solches Märchen erzählen, welches nicht so grausame Züge vom Pfoten oder Kopf Abhacken hat, wie so viele andere, in welchem vielmehr unsere Begabung mit wunderschönem Gesang, und unsere Freude an Betrachtung des schönen gestirnten Himmels Erwähnung geschieht. Ich glaube fest, daß die Sirenen des Altertumes nur singende Katzen waren, welche im Meere lebten, also echteMeerkatzen, während die tückischen Menschen diesen [685] Namen eines nicht mehr vorhandenen schönen Tiergeschlechtes der häßlichsten Affenart beigelegt haben. Auch ist es bei uns eine bekannte Sage und Sache, daß der bei Nacht leuchtende Glanz unserer Augen nichts anderes ist, als Sternenlicht, das wir vom ersten Offenwerden unserer Augen in uns einsaugen; daher sehen wir auch bei Nacht, und es gibt für uns, die bevorzugtesten Geschöpfe auf der ganzen Erde, kein Dunkel, und wenn wir schon durch die Nacht schleichen, so schleichen wir doch nie im Finstern, und es würde ebenso abgeschmackt von den Menschen sein, uns als Sinnbilder geistiger Finsternis zu bezeichnen, als sie dies mit den Eulen tun, die jene Begnadigung steten Hellsehens mit uns teilen. Doch ich bin weit entfernt, mich und mein Geschlecht selbst zu loben, ich bedarf in Wahrheit nicht des Eigenlobes. Mein Märchen lautet:

Es lebte einmal ein Mann, der hatte auf seinem Hause einen schönen geräumigen Söller, von welchem aus man sich einer herrlichen Aussicht über die Stadt, in welcher er wohnte, und in deren ganze Umgegend erfreute. Nahe diesem Söller war im Sommer des Mannes Schlafgemach, und es führte aus diesem eine Glastüre heraus auf das mit Blumentöpfen und kleinen Bäumen in Eschen geschmückte Belvedere.

In einer wunderherrlichen Sommernacht, in welcher der volle Mond prachtvoll schien, und der Himmel voll Sterne stand, erwachte jener Mann von himmlischen Tönen, die ganz in seiner Nähe erklangen. Er erhob sich von seinem Lager und sah durch eine Scheibe des Glasfensters hinaus auf seinen Söller, da erblickte er mit großem Erstaunen eine zahlreiche Gesellschaft schöner Damen, teils in weißen, teils in farbigen und dunkeln Kleidern, alle vom angenehmsten Äußern, die saßen um eine Tafel herum, welche gewöhnlich auf dem Söller stand, und sangen mit den lieblichsten Stimmen einen Rundreim, welcher lautete:


›Wir trinken hier viel süßeren Wein,
Als Burgunderwein,
Als Champagnerwein,
Wir trinken den klaren Mondenschein.‹

Indessen schien diese zarte Gesellschaft auch einige leibliche Erquickung nicht zu verschmähen, mindestens sahe der Mann, daß sotane Frauengesellschaft auch irdischen Wein [686] und niedliche Speisen genoß. Er konnte sich, da er ein Hagestolz war, und außer alter Dienerschaft sein Haus ganz allein bewohnte, gar nicht denken, wer diese vielen Frauen und Fräulein waren, und woher sie in aller Welt gekommen seien, und weshalb gerade zu ihm herauf? Es deuchte ihm endlich ein hübscher Traum zu sein, aber dagegen stritt, daß er sich dennoch lebhaft wachend fühlte, und so gedachte er bei sich: Ich bin doch der Herr des Hauses, ich habe ein Recht, in diese Gesellschaft zu treten, da werde ich ja gleich hören, welche seltsame Veranlassung sie zu mir herauf führt. So klinkte der Mann die Glastüre auf, und trat unbefangen mit freundlichem Gruße zu den Damen heraus. Diese erhoben sich bei seinem Anblick alsbald alle von ihren Sitzen, und ein ganz artiges junges Mädchen in einen schneeweißen Kleide, mit blondem Haar und rosenrotem Mäulchen und Händchen trat auf ihn zu, und sprach: ›Verzeihet gütigst, edler Herr, die Freiheit, die wir uns genommen, diese schöne wonnevolle Mainacht auf Euerm Söller zu feiern, und nehmt es nicht für ungut, wenn vielleicht unser Gesang Euern Schlummer gestört hat. Gesellet Euch zu uns, nehmt Platz, nehmt Kuchen, nehmt Wein!‹

Der Mann wußte nicht, wie ihm geschah, des kleinen holdseligen Fräuleins liebliches Geplauder schnitt ihm alle Fragen vom Munde ab, er setzte sich mit an die runde Tafel, ließ sich nicht ungern ein Gläschen Sekt kredenzen, und da er mit ihnen trank, sangen jetzt die Damen ihren Reim ein wenig verändert:


›Wir trinken den allerköstlichsten Wein,
Burgunderwein!
Champagnerwein!
Und den klaren, klaren. Mondenschein!‹

Das weißgekleidete Mägdlein schmiegte sich mit so großer Zutraulichkeit an den Mann, wie eine junge Tochter an einen Vater, den sie liebt, und bot ihm nun auch von dem Kuchen an; auch von diesem nahm er, doch wollte er ihm nicht recht munden, es fehlte ihm etwas, und er sagte daher:

›Verehrte Damen! Dürfte ich Sie wohl in Gottes Namen um ein wenig Salz bitten?‹ –

Kaum waren diese Worte gesprochen, als plötzlich der Mann an der Stelle des lieblichen Gesanges ein wildes Durcheinander von Katzenstimmen hörte, für deren zarten, [687] melodischen und unvergleichlichen Wohllaut den plumpen Menschen das Ohr gänzlich verschlossen ist, und ihnen kein Sinn innewohnt – und nicht minder erblickte er die ganze Gesellschaft zu lauter Katzen geworden, darunter seine eigene, welche eben das schöne weiße Fräulein gewesen war, welches heute seinen eigenen Geburtsabend feierte. Der Mann sah aber die Katzen nur noch nach allen Seiten hin vom Söller auf die Dächer springen, schnell über die Firste laufen, und ehe er sich's versah, war alles, samt Gläsern, Tellern, Wein und Kuchen verschwunden, bis auf das Stückchen Kuchen – das er in der Hand hielt, und das nichts war, als ein Restchen altbackener Matzen. Seine eigene Katze war durch das Fenster der Söllertüre in sein Schlafgemach geflüchtet, in das er nun ebenfalls sehr erbost zurück schritt, und nach einem spanischen Rohre griff, um die so schön geübte Gastfreundschaft mit Undank zu vergelten. Als nun der Mann mit dem Prügel unter sein Bette fuhr, fauchte und schrie die weiße Katze furchtbar, sprang unter dem Bette hervor, und abermals durch das Fenster, wobei eine zweite Scheibe in Trümmer ging, hinaus auf den Söller, auf ein Dach und kam niemals wieder. Als der Mann, was ihm mit den Katzen begegnet war, nun häufig seinen Freunden erzählte, dazu ihnen den Reim jedesmal vorsang und allen Katzen Vertilgung zuschwur, so lachten die Freunde viel über ihn, und nannte ihn spottweiseKlare- Mond und Katzen-Herodes bis an sein Ende.«

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Klare-Mond. Klare-Mond. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2D90-6