278. Jägerstücklein

Im Münsterlande besaß ein Edelmann weitausgedehnte Forste, und da begab sich's auf seinem Gute, daß der Förster meuchlings erschossen wurde, und als ein anderer die Stelle bekam, ging es diesem ebenso und andern, welche folgten, desgleichen, da mochte endlich niemand mehr in diesem Walde Förster sein, denn die Sache hatte sich in der ganzen Gegend ausgesprochen, und man erzählte sie ganz genau, wie es zugehe mit diesen rätselhaften Ermordungen, nämlich sobald der neue Förster in den Wald trete, knalle in weiter Ferne ein Schuß, ihn aber treffe stets die Kugel mitten in die Stirne, so daß leicht zu ermessen war, daß hier etwas Übernatürliches und grauenhaft Geheimnisvolles im Spiele sein mußte. Daher blieb der Wald einige Jahre fast ganz ohne Aufsicht, bis sich endlich ein vagierender Jäger meldete, der ganz so aussah, als fürchte er weder den Teufel noch seine Großmutter. Der Edelmann sagte ihm aber ganz ehrlich, welche mißliche Bewandtnis es mit der Försterstelle habe, und daß er ihm kaum zur Annahme derselben raten könne und dürfe, wie gern er auch seine Waldung wieder in forstlicher Aufsicht habe: denn auch dazumal wußte man, was man da und dort in neuerer Zeit mit Willen vergaß, daß alle Waldbewirtschaftung nichts nutzt und Schaden verursacht, die nicht durch Forstverständige betrieben wird, womit an vielen Orten und Enden sich manche Gemeinde selbst recht derb ins Auge geschlagen hat. Der Weidmann aber sagte, er wolle es darauf wagen, er fürchte sich nicht vor den unsichtbaren Scharfschützen, er könne auch Jägerstücklein und habe für den, der ihm ans Leben wolle, auch eine gewisse Kugel gegossen und im Rohre stecken, und übernahm also die Stelle und den Wald. Am andern Tage versammelte der Edelmann mehrere Jagdgesellen, den neuen Förster auf seinem ersten Gange in den Wald zu begleiten, aber kaum war dieser betreten, so knallte in der Ferne ein Schuß, aber im selben Augenblicke warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, und wie der Hut niederfiel und aufgehoben ward, sahe man, daß er von einer Kugel gerade da durchbohrt war, wo er auf der Stirne des Jägers aufsaß. – Jetzt komme ich, spricht der Hanswurst, sagte der Jäger, nahm seine Büchse von der Achsel und rief: Dem Gruß einen Gegengruß! und schoß. – Alle wunderten sich, die dabei waren, auf das höchste und folgten dem Jäger tief durch den Wald, bis sich an dessen Ende ein Mühlhaus zeigte, aus welchem Klagegeschrei erscholl. Als die Waldgesellen hinzutraten, fanden sie darin den [202] Müller tot – eine Büchsenkugel war ihm mitten durch die Stirne gegangen; er war der jagdzauberkundige Schütze gewesen, der jeden Förster aus der Ferne mit Freikugeln traf, um allein im Walde des Wildstandes Herr zu sein. Dem Edelmann grausete vor solchen Künsten, wie sein neuer Förster nicht minder übte. Dieser konnte die Feldhühner nach seiner Tasche fliegen lassen, soviel er deren bedurfte. Das Wild bannte er, daß es stehenbleiben mußte, wo er wollte, und völlig schußgerecht. In die unglaublichste Entfernung traf der Jäger stets und sicher. Darum nahm der Edelmann einen schicklichen Vorwand und entließ ihn bald wieder aus seinen Diensten.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 278. Jägerstücklein. 278. Jägerstücklein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2528-7