Lied des Verfolgten im Thurm

Nach Schweizerliedern.

Der Gefangne.

Die Gedanken sind frey,
Wer kann sie errathen;
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schiessen;
Es bleibet dabey,
Die Gedanken sind frey.
Das Mädchen.

Im Sommer ist gut lustig seyn,
Auf hohen wilden Heiden,
Dort findet man grün Plätzelein,
Mein Herzverliebtes Schätzelein,
Von dir mag ich nicht scheiden.
Der Gefangne.

Und sperrt man mich ein
Im finstern Kerker,
Dies alles sind nur
Vergebliche Werke;
Denn meine Gedanken
Zerreissen die Schranken,
Und Mauern inzwey,
Die Gedanken sind frey.
[41] Das Mädchen.

Im Sommer ist gut lustig seyn,
Auf hohen wilden Bergen;
Man ist da ewig ganz allein,
Man hört da gar kein Kindergeschrey,
Die Luft mag einem da werden.
Der Gefangne.

So sey es wie es will,
Und wenn es sich schicket,
Nur alles in der Still;
Und was mich erquicket,
Mein Wunsch und Begehren
Niemand kanns mir wehren;
Es bleibet dabey,
Die Gedanken sind frey.
Das Mädchen.

Mein Schatz du singst so fröhlich hier,
Wies Vögelein in dem Grase;
Ich steh so traurig bey Kerkerthür,
Wär ich doch todt, wär ich bey dir,
Ach muß ich denn immer klagen.
Der Gefangne.

Und weil du so klagst,
Der Lieb ich entsage,
Und ist es gewagt,
So kann mich nicht plagen,
So kann ich im Herzen
Stets lachen, bald scherzen;
Es bleibet dabey,
Die Gedanken sind frey.
[42]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Lied des Verfolgten im Thurm. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-10F9-5