Trinklied

Kriegers Arien. Dresden 1676.


Der edle Wein
Ist doch der beste Schieferdecker,
Sein schiefer Schein
Macht alle Menschen etwas kecker,
Ich wundre mich,
Daß er so klettern kann und steigen,
Und macht daß sich
Die großen Häupter vor ihm neigen.
Der muntre Trank
Kann ohne Leiter weiter kommen,
Wenn er so blank
Die Stirnenburg hat eingenommen,
Als mancher, der
Mit Hülfe sich hinan will bringen,
Und ohn Gefahr
Die Hälfte noch weiß zu erzwingen.
[417]
Drum bleibts dabey,
Er hegt ein recht vergöttert Leben,
Weil er so frey
Kann in die Lüfte schweben.
Und wenn wir ihn
In unsre hohlen Hälse lassen
Mit Pracht einziehn,
Empfinden wir ihn gleichermassen.
Dann manches Haus,
So schwer es sonst auf Säulen stehet,
Fährt mit hinaus,
Es merket, daß es leichter gehet,
Sobald der Wein
Durch seine Pfort ist eingezogen,
So stimmt es ein,
Und meint es sey schon hochgeflogen.
Wenn dies geschicht,
So könnte doch kein Haus bestehen,
Wenn Morpheus nicht,
Der Baukunst an die Hand zu gehen,
Vor andren wär
Erfahren und so weit gekommen,
Daß ihm die Ehr
Von Sterblichen noch nie genommen.
Dann wenn der Wein
Aufleget gar zu schwere Dächer,
So muß es seyn,
Daß sie beschweren die Gemächer,
Macht er Verdruß,
So mag er Schieferdecker bleiben,
[418]
Dach Morpheus muß
Den Bau erhalten und forttreiben.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 2. Trinklied [2]. Trinklied [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0C73-1