Erinnerung der Schäferstunden

Die holde Glut, die selbst Cythere fühlte,
Wenn ihren Hals Adonis' Arm umschlang,
Wenn ihren Busen seine Küsse wärmten
Und sein Reiz unter ihren Händen wuchs.
Die Glut, von der die jungfräuliche Kälte
Der jagenden Latonenstochter schmolz,
Die ihr beim eingeschlaf'nen schönen Jüngling
Sanft zurief: Wachend ist er schöner noch!
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Die Glut, die Amors stärkste Pfeile stählet,
Oft auch zu kühn den Bogen spannt und sprengt,
Die in den Myrtenkranz entzückter Liebe
Das unschätzbarste Reischen steckt:
Ha! möchte doch die Glut dies Lied begeistern!
O Liebe! hör' des Jünglings heißes Fleh'n,
Des Jünglings, der dich zehnfach mehr empfindet,
Als einst Adonis und Endymion.
Hör' mich, ich sing' die Freudenaugenblicke,
Die ich an Chloris Busen schmachtend starb,
Uns aus dem Springbrunn Aphroditens
Ein Nektarstrahl in Chloris Grotte floß.
Wie in dem Busen aufgeknospter Rosen
Der Morgenthau, der an den Blättern hing,
Zusammenfließt und dann im rothen Schooße
Geschmolz'nen Perlen gleich ihr Roth erhöht:
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So hingen auch des fruchtbar'n Liebesthränen
Hier um der Purpurmuschel weichen Rand,
Und an dem seid'nen Moos, das sie umschattet,
Und mehrten ihrer Farbe kostbar'n Reiz.
Wohlthätige, lustreiche Augenblicke,
Die Liebe und die Freude segne euch,
Euch segnete die Unschuld, als mein Mädchen
Aus ihrer Muschel mir die Perle gab.
O Wollust, welch ein unaussprechlich Opfer
Hat den Altar je reiner's Blut gefärbt?
Stets denkt mein Herz der Unschuld sanfte Röthe,
Ihr Zittern und des Opferstahles Kraft.
O Chloris, bestes Mädchen, welch ein Opfer
Bestürmt, erweicht durch meine Zärtlichkeit,
Gabst du dein Kleinod hin. Ich brach das Röschen,
Das jungfräulich im Schatten aufgeblüht.
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O feire mit mir, Mädchen, die Minute,
Durch manches helle Thränchen theu'r erkauft!
In ihr schlang Amors Hand den schönen Knoten,
Der unser Wesen heiligt und vereint.
Dem Tage Heil, am dem der kühne Amor
Den ersten Pfeil in deinen Köcher schoß
Und von dem selbstgezog'nen Stamme
Ambrosia im Pfirsicherstling brach.
Heil dir, o Tag, da ich den ganzen Umfang
Von deiner Tugend sah, da mich dein Aug'
Und seiner feinen Bogen selt'ne Schönheit
Zu seufzen zwang: O wäre Chloris dein!
Heil dir, o Tag, da ich zuerst dich küßte
Und deines Busens Rosenknospen sah,
Da ich des Heiligthums Altar berührte,
Mit nie entweihten Locken tändelte.
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Heil dir, o Tag, da ich der Wangen Purpur
Und Chloris Herz im Auge schmachten sah,
Da bei der Zungen kitzelnder Berührung
Aus Amors Traubenkelter Balsam floß.
Heil dir, o Tag, sei Grazien und Musen,
Cytheren selbst ein ewig Myrthenfest,
Den Amor sang: Triumph! Triumph! und kränzte
Sich sechsmal am Altar mit Siegeslaub.
Feir', Mädchen, ihn, den Tag, da du aus Liebe
Dich ganz zum Eigenthum mir zärtlich gabst.
Er war des innigsten Vertrauens Ursprung,
Sein Angedenken labt den Trennungsschmerz.
O, Mädchen, ha! wie kochten meine Adern,
Wenn deine weiche kleine Zauberhand
Cupidens Scepter sanftverschämt berührte,
Und er von Wollust wuchs und träufelte.
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O könnt' ich doch den kostbar'n Rausch beschreiben,
Den ich zu deinen Füßen oft gefühlt,
Wenn jeder neid'sche Vorhang aufgezogen,
Und jeder Sinn entzückt befriedigt ward.
Ha! welche Schätze blend'ten dann die Sinne!
Der seid`nen lock'gen Haare Wohlgeruch,
Der Milchsaft in der Muschel feinsten Falten,
Wie Rosen unter Lilien gemischt.
Wie zärtlich küßt' ich nicht die schöne Rose,
Mein Mund sog Wollust für das Herz aus ihr;
Wie freut' ich mich, wenn alles nach der Kelche,
Nach balsamüberthauten Blättern roch!
Wie dalt' ich nicht mit nachbarlichen Hügeln,
Von Venus' Hand mit Atlas überkleid't,
Die tausend buhlerischer Mädchen Busen
An Farb' und Form und Glätte übergeh'n:
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Der Busenknospen Schattenbild, ein Purpurfleckchen,
Sog ich zum neuen Schmuck einst jedem auf,
Ihr Anblick schwängerte den Geist mit Wollust,
Und ihr Berühren strömte Feu'r in's Blut.
Fruchtbar bethaut von duft'gen Lebenssäften,
Die über'n Rand der Muschel rieselten,
Wuchs um das Grottchen der getheilten Kugeln
Das Graswerk schattenreicher auf.
An diese wollustreichen Edenshügel
Gelehnt, erwart' ich dich, geliebter Schlaf.
Besuche einst mich da, und bring' durch Träume
Die wachend schon genoss'ne Lust zurück.
Und wenn ich dann von dir gestärkt erwache,
Dann küss' ich erst, mein Lieblingsnischchen, dich,
Und wage dann, mit neuer Kraft gerüstet,
Den Wettlauf um den Preis im Mädchenschooß.
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Dann, Mädchen, stell' dich dreust dem Speer entgegen,
Mach seinen Sieg theilnehmend schön,
Und lach' mich an, wenn nach des Streits Vollendung
Du mich den Kampfplatz freundlich anschau'n siehst.
Uns ich, ich trockne dann mit heißen Lippen
Den Wollustreif vom heil'gen Haar dir ab,
Und danke dir, wenn du den müden Liebling
In Amors Wiege sich einschmiegen hilfst.
O Liebe, immer neu und schön und mächtig,
Wer spricht es aus dein unerschöpflich Glück!
Wenn uns're Seelen in einander fließen,
Sei jeder heiße Kuß dein Lobgesang.

Anonym [= Johann Georg Scheffner]. [201]


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TextGrid Repository (2011). Anonym. Erinnerung der Schäferstunden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DDED-1