Vor-Frühling

Der Himmel war weissblau und in Frühlings-Dunst gebadet. Die Kuppeln von Kupferplatten schimmerten lila. Der Fries mit den griechischen nackten Göttern hob sich von goldenem Grunde ab und war wie ein schönes Dreieck auf blauer Schiefertafel. Die schwarzen Quadrigen rasten gleichsam von ihren schmalen Postamenten in den Frühlingshimmel hinein. Die braungrauen Aeste waren wie Kricksel-Kracksel von Schülern in den blauen Himmel gezeichnet und die Pappeln gravitirten nach oben wie natürliche aber zu dünne und zerfaserte Kirchenthürme. Es war der Vor-Frühling. Unerhört durcheinander verschlungene und verdrehte Zweige trugen helle gelbe Klümpchen und die Amseln zerrten an alten Strohgebinden herum und besassen Jugendübermuth für zehn. Wie wenn sie Katzen entfliehen müssten, benahmen sie sich; wie »schreckliches Flüchten« zum Spasse. Auf halbleeren Beeten standen gelbe Stiefmütterchen, nur so probeweise ausgestreut, und irgendwo dunkelblaue Hyacinthen, welche sterben dürfen, unbeweint vom Gärtner. Die Teiche waren abgelassen, gereinigt, weiss wie verlassene Wildbäche und aus ihnen erhoben sich [54] alte Holzgestelle mit Birkenreis umwunden, auf welchen später in der Hitze der Natur Schilf und Rohr wachsen würden und Wasserlilien. Kinder von mittelmässiger Rasse, wenig Grazie und guter Pflege thaten sich zusammen und versuchten es sich zu amüsiren und Verlegenheiten erster Bekanntschaft zu überwinden durch Sprünge und Geschrei.

»Fräulein, darf ich meinen Hut ablegen?!«

»Non, ma petite, le soleil printannier – – –.«

»Aoh, springsun is good for all, for soul and body«, sagte eine elegante englische Gouvernante eines entzückenden Bübchens mit einem unwahrscheinlichen Namen wie »Seïthère«.

»Eh bien, donnez votre chapeau – –.«

»Merci, vous êtes bonne comme Jeanne d'Arc.«

»C'est sa maman qui lui parle littérature – – –.«

»Mais elle est avancée tout de même, cette petite – – –.«

»Trop. Elle est le génie de la famille. Vous savez, chacune en a un.«

Der Herr in langem geschlossenem grauem Rocke sass da, betrachtete die Contouren der Dächer am blauen Himmel, die verfizten Aeste, die gelben Klümpchen an den Büschen, die Gouvernanten, welche milde und ergeben für Welten lebten, die ihnen nichts bedeuten konnten und die den Frühlingsschnupfen fürchteten für ihre Schützlinge oder Diarrhöen oder Uebermüdung. Den ganzen Winter, bitte, in den überheizten teppichdichten Räumen und dann in der Natur, wo Winde wehen?! [55] »La petite a toussé cette nuit – –«

»Madame, c'est le printemps – –.«

»Mais, mademoiselle, c'est à vous de corriger les inconvéniens du printemps.«

»Il faisait si beau, si chaud – –.«

»Le printemps – – mais il n'est pas fait pour vous, mademoiselle, il est une institution d'hygiène, j'espère.«

Der Herr im langen geschlossenen Rocke betrachtete diese Damen wie verwelkte Julias und resignirte Leonoren! Er empfand die Bürde des Lebens. An solchen Tagen dichtete Buddha vielleicht seine Lehre, zog sich der heilige Augustinus zurück, gleichsam in sich selbst zusammen, kapselte sich ein. An solchen Tagen gehen arme Mädchen in die Donau, lächeln echte Dichter über ihre eigene Dichtung. An solchen Tagen wird Heiliges seines Scheins entschleiert, zerbröckelt und wird Erde!

Da riefen die kleinen Mädchen: »Oh, Rosamunde, Rosamunde, Du störst die Kreise, siehst Du nicht?!«

Der Herr blickte auf, sah Rosamunde, den überirdischen Engel mit braunen Locken, welcher Kreise störte.

Sie stand da, verlegen, in ihrem braunen Velvet-Jäckchen mit den riesigen weissen Perlmutterknöpfen.

»Rosamunde, so geh' doch – –«

Langsam zog sie sich zurück aus den Ball-Schule-Kreisen.

Der Herr fühlte: »Süsseste, Lieblichste, Herzigste – – –«

[56] Er dachte: »Wie blass Du bist und zart, Rosamunde – – –!«

Vorfrühling in Deinen milden Prächten! O Gott, was bist Du für ein Shakespeare! Zerstörte und Werdende vereinigst Du auf einer Frühlingsbank und wirfst die Seelen durcheinander! Der Herr dachte:

»Rosamunde – – warum bist Du so blass und zart?! Durchleuchtet bereits Deine Seele den Leib, wie eine innere Sonne, welche Alles bleichte?! Rosamunde, vielleicht schläfst Du nicht lang genug?! Oder ist Dein Polsterchen zu hart oder zu weich, zu hoch, zu niedrig?! Bei offenen Fenstern müsstest Du schlummern, dass Deine kleine Lunge frische Luft bekäme mit jedem Athemzuge. Deine Athemzüge – – – Nächtelang möchte ich sie belauschen, sie zählen, zählen, von 8 Uhr Abends bis 8 Uhr Früh, meine zärtliche Hand auf Deinen zarten Locken. Und dann würde ich mich leise wegschleichen von Deinem Bettchen und Hafer-Cacao für Dich bereiten und dreimal aufkochen lassen und mit der Tasse an Dein Bettchen treten und warten, bis Du erwachst, und sagen: »Prinzessin, Heil Eurem Tage! Votre Jeunesse est servie!« Ja, Rosamunde, wie eine fixe Idee, süss und quälend, würde Deine Gesundheit für mich. Und für Rosen auf Deinen Wangen würde ich mit Freuden sterben wollen. Auf meinem Rücken würde ich Dich durch die blühenden Gelände tragen, huckepack, in schattigen Wald-Lichtungen mit Dir ruhen und Dir [57] vorlesen: »Gribouille«, »l'âne savant«, »les vacances«, »le prince Shi-Shi. Und in Deine überirdisch schönen Augen würde ich Lebensströme von Liebe aus meinen Augen sich ergiessen lassen und in holdem Tausche Deine Welten-Schönheit trinken, die gleichsam als kindliche Quelle in Deinen Augen ihren Ursprung hat!«

So sass er da in seinem langen geschlossenen winterlichen Rocke und träumte »Vorfrühling« und war wie die kahlen Büsche mit ungeheuer verschlungenen und verworrenen Zweigen, die Triebkraft spüren für die Gottesblüthen.

Weggeschwemmt, gefegt von lauen Lüften, war das Lügengewebe mit Erwachsenen, den Wünsche-Hegern!

Welche Bedeutung nimmt der Frühlingstag!?!

Auf einem kleinen Kieshaufen stampfst Du herum, Rosamunde.

Zweimal nimmt der Wind den Hut.

Du ordnest Deine Locken.

Mit einem Schirme zeichnest Du Figuren.

Ein Bübchen stösst Dich, erstaunt blickst Du es an.

Du fängst den Ball auf – – nein, Du lässt ihn fallen.

Und Deine Gouvernante küssest Du.

Ermüdet ruhest Du.

Kühl wird's im Garten. Alles geht nach Hause.

»Rosamunde! Rosamunde – – –!«

[58] Der Herr stand auf, ging langsam aus dem Garten, in die dunkelnde Stadt – – –.

Er kam nach Hause. Der Tisch war bereits zum Abend-Essen gedeckt und es duftete gleichsam nach fader Gemüthlichkeit und Ordnung. Das Kind seiner Schwester lief ihm entgegen, begrüsste ihn.

Sie war fest und rosig wie eine Knorpelkirsche. Sie strotzte von guten gesicherten Kräften; die Freude der Grosseltern und überhaupt.

Er aber setzte sich stumm an den Tisch, unbekümmert um die Knorpelkirsche.

Die Grossmama sagte: »Geh', sei doch nicht so! Komm', Mauserl, lass' den schlimmen Onkel!«

Er sass da, ausruhend vom Frühlingstage, drehte die Lampe ein wenig ein, während die Grossmutter der Kleinen Handschuhe verkehrt anzog, zum Spasse.

»Dotmama, Onkel 'limm!« sagte die Kleine.

Die Grossmama gab keine Antwort – – –.

[59]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Vor-Frühling. Vor-Frühling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DAAE-5