De Libertate
Der Prinzessin von C . .... geweiht

Der Fürst sass tief in seinem Lehnstuhl. Den Arm in einer breiten schwarzen Binde, vom Stich des Grafen – – –.

»Lass' ihn eintreten – –« sagte er zu dem Kammerdiener.

Der Dichter trat ein.

»Es gehen Sagen über Sie, mein Herr, dass Sie ›à rebours‹ leben, in Spelunken hausen, so die Nacht zum Tage machen, Dirnen erhöhen und Vorgänge des Daseins in unerhörter Weise deuten, die Welt verdrehen, bouleversieren wollen und alles Hergebrachte mit Ihrem Hass verfolgen, bloss weil es von gestern und nicht von morgen oder übermorgen!? Ein Robespierre der Seele – – –. Ich selber hasse das. Allein das Leben meiner Nächsten um mich herum geht à rebours. So verordnete ich heute meinem allzu kranken und geschwächten Herzen als letztes Mittel Sie und Ihren Geist, ein Gift, das mir vielleicht die Gifte vergiftete, die mich vergiften – – –. Sprechen Sie!! Können Sie mir die Welt-Ordnung verdrehen?! Vergehen in Tugenden umwandeln und Gesetz!? Auf dass ich[76] milder gegen jene werde, die sich nach unserem Maassstabe vergangen?!«

»Fürst! Wir alle sind Gefangene, Kerkersträflinge des Lebens, Recruten mit gebundener Marsch-Route, Galeeren-Menschen unser selbst. Wie in einer schrecklichen dicken rothen Ziegelkaserne verbringen Alle diese kurzen Fristen, die ihnen verliehen sind, lassen das süsse Schicksal, geboren worden zu sein, ungenützt. Nun gut. Wer wollte aufbegehren?! So ist es! Schweige, Recrut des Lebens!

Aber wie?! Besitzen wir nicht die heiligen Begabungen, das Leben, welches uns entrinnt, in unseren Phantasieen, in Träumen und Erdichtung festzuhalten?! So sind wir Künstler unser selbst, Farçeure unserer Seele! Und wie, wenn Gott selber nun ein solcher Künstler würde und einige sparsame Exemplare dieser Knechtes-Gattung »Mensch« schaffte als Wesen, die frei sind von dem allem, was uns zwängt?! Gottes Phantasie-Geschöpfe! Gottes Dichtungen und Träume selber?!?

Ja, Gott, der Künstler über alle Künstler, schafft hie und da, um uns, den Müden, das Leben frei von Knechtschaften und Banden vorzuführen, Menschen-Exemplare unter hundert Millionen Sklaven, welche, losgelöst von dem Gesetz der Lebensschwere und seinen Drängen, den Anderen die Freiheit zeigen, nicht als Ideal und nicht als Schreckgebilde, die Freiheit an und für sich, die Freiheit, die gelöst im Welten- Raume liegt, gebunden nun in einem Organismus, zu einem Organismus umgeschaffen, [77] einem freien Menschen! In einem Bettler, einem Könige vielleicht, in einer Dirne, in einer Prinzessin – – –!

Bald findest Du, mühseliger Rampant, diese durch Gottes Künstlerlaune »Organismus gewordene« Welten-Freiheit als einen armen Dichter, wie Paul Verlaine, der excedierte und verkam, bald als eine Schauspielerin mit braunrothen Haaren und grauen Augen und wunderbaren Armen, bald als einen Kaufmann, der sich plötzlich auf Bergalmen zurückzieht, wie ein Holzknecht lebt, Schwarz-Föhren mit greisenhaftem Moose liebt und nach dem Sonnen-Sterben Klopf-Vögeln lauscht, dem Ur-Tamtam des Waldes! Oder bald als ein junges Mädchen aus gutem Hause, welches unbekümmert in freiem Leichtsinn ihren Leib verschenkt, bald als einen König, der unerhörte Bauten aufführt, bald als eine Metze, die zügellos dem Abgrunde entgegengaloppiert und darauf pfeift, bald als eine Prinzessin, die Grenzen überschreitet und im Unbegrenzten hinfliegt und sich schaukelt wie der Condor in allzu dünnen Höhen-Lüften, dem Irdischen fern und ausserhalb der Schwerkraft – – –! Im Paradies des Unerlaubten.

Merkwürdig seid Ihr, vor Gefangenschaften schon Stupide! Wie einer seid Ihr, den böse Verwandte eingeschlossen hielten in einen Stall-Raum und die Commission zeigte ihm nun plötzlich seine Freiheiten!?

Ganz zusammenknacksen möchte er, umkippen, ganz teppert würde er. Und so die Menschen! [78] Sehen sie die Freiheit von ihrem Stallraum aus, von Gott in einem Exemplare ihrer armseligen Gattung, wenn auch ein wenig übertrieben, mit starken Farben aufgetragen, exemplificiert, so werden sie ganz teppert und verzagt. Wie ein Bauern-Rüpel, der zum erstenmale ein grosses Ding in Lüften frei und ruhig, gleichsam erlöst und lächelnd, schweben sähe. Gleich stürzte er hin, ergriffe die Leine, die am Boden schleift und massacrierte das Schwebe-Ding, weil es ein Schwebendes, ein Fliegendes, das sich hinwegsetzt – – –.

Wie wenn diese Damen, in miserablen Panzern des Mieders vegetierend, Eine beschimpften, welche frei die kaiserliche Pracht der Brüste trüge!

Ich kenne einen schlichten Kaufmann. Doch über seinem Bette hängen zwei wundervolle Stiche. Darunter steht geschrieben: »Als ich 18 war, war Kossuth mein Gott. Nun, da ich 70, ist es Victor Hugo! Ich blieb, in Freiheit – – –!«

Viele sagen: »Ist es ein Kaufmann, bitte, einer, der da handelt?!«

Nein, es ist ein heiliges Paradigma, welches Gott in die Welt stellte, um Seelen-Freiheit nachzuweisen auch im Gebundensten! Im Gegentheil, just herrscht sie erst! Denn Gluten unter der Asche haben mehr Ex pansions-Kräfte als Flammen, die sich schwächen, indem sie sind!

So giebt es »Fürstinnen des Lebens«, welche die »Frau in Freiheit« darstellen, ein lichtes Schau-Objekt für unsere trüben Augen, auf dass wir einmal sähen[79] die Freiheit, die zersplittert liegt im Weltenraume, gedrängt in einem Punkt nun, den man fassen kann! Fürstinnen des Daseins, ungezwängt vom Mieder des Lebens, die Frau an und für sich, die »Mensch gewordene« Schönheit dieser Welt, die Frau ohne ihre Annexe, ohne die faden Attribute edler Weiblichkeiten, ohne die Krone der Tugend, ohne das Scepter der Treue, ohne den Mantel der Demuth, ohne den Reichsapfel der Liebe, die Frau ohne Dankbarkeit und ohne Friedens-Sehnen, ohne Ruhe-Lust und ohne Güte, die Frau ohne ihr Handwerkszeug der Seele, frei, ganz frei, frei wie ein Gegenstand, dem Gott in seiner Künstler-Laune die Schwerkraft nähme und es schwebte frei, da alles andere fiele und zu einem Ruhe-Centrum gravitierte!! Eine Freie, die im Sonnen-Aether des Seins hinschwebte! Oder ein Wesen, ausgesetzt den Welten-Stürmen, selber Welten-Sturm! Oder ein wunderbares Ungeheuer, hausend im eigenen Labyrinthe seiner Seele, mit jedem Hauche Seligkeiten spendend und mit jedem Prankenschlage einen Mann zermalmend!

Ausgeburten aus dem Künstler-Hirne von Gott- E.T.A. Hoffmann, der es manchmal satt hat, 100 Millionen »Wäschezettel-Controlleusen« und »Schaben-Verhinderinnen« zu erschaffen und einmal in Einer eine Orgie feierte seiner eingedämmten Schöpferkräfte! Blicket ihr nach, Ihr, aus euren Cachots, aus euren Höhlen, aus euren Kasernen, euren Ställen, aus euren dunstigen Schlafgemächern, euren Zellen, [80] euren Kerkermauern, blickt ihr nach! Und statt dass Ihr, stupide Sklavenbrut, wie einst die Primitiven vor hehren Wundererscheinungen und Unfassbarem, in die Kniee sänket und bewundernd stauntet vor Unbegreiflichem, zerstört Ihr heute, in frechem Eigendünkel, jene seltenen herrlichen Gebilde, die Gott als höchster Künstler in einzelnen Exemplaren von »Sich Auslebenden« in eure dunkle Knechtschaft sendet, auf dass Ihr wisset, dass es Freiheit gibt und Licht! Gebilde, in Orgien ihrer selbst freilich hintaumelnd, sich selbst beunruhigend und das träge All, doch immer Freiheit athmend, frei vom Zwange!! Wie ein Mensch gewordenes Shrapnel, das explodierte und seiner Kräfte maasslosen Zwang verlöre, indem es birst, und nun, erlöst, die Kräfte rückgibt an den Weltenraum! Und wenn ich eine sehe, die hingeht und stumm den Leib versenkt in Donaufluten, so werde ich nicht philosophieren, sondern mich innerlich verneigen vor einer Seele, die in Freiheit ging und sich nicht knechten liess vom Herrscher »Leben« und sagte: »Ich passe nicht hierher, adieu, ich gehe lieber – – –.«

O, sagt mir nichts – – –. Ich weiss, was Allen ziemt, wovor sie sich zu hüten, die in Gemeinschaft leben! O, ich weiss es. Jedoch wenn wir von unseren erhabenen Niedrigkeiten aus einmal in Jahren eine lichtere Prinzessin erschauen in dem Erdenthale, die in die Welt fliegt, frei von Erden-Schwere [81] und irdischem Gesetz, dann haben wir nur eine Seelen-Pflicht, dieser tief traurig nachzublicken in Regionen, die uns versagt sind, zu unserem Heile, uns, den correcten und normalen Erdenbürgern der irdischen Gemeinsamkeit!!

Ha ha ha ha – – – gebt mir Champagner, Herr! Ich trinke ex auf die Prinzessin! Sie lebte lügelos!

Ich trinke auf die »Prinzessinnen des Lebens«, die sich um ihre Lebensfülle nicht betrügen lassen!

Leicht ist's, sich einzuengen, wenn man eng! Ich trinke ex auf die Prinzessinnen!

Und schmettere mein Glas nach rückwärts an die Wand!

Ah – – – – – –

Nun komm', Bertha oder Grethe oder Anna, man ist wieder bereit zur Pflicht des Tages, zur Robot! Zu den Gemeinsamkeiten!!«

Der Dichter schwieg.

Ganz versunken aber in seinen Lehnstuhl lag der Fürst und sann – – – – –.

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. De Libertate. De Libertate. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DA51-6