Hurra - erreicht !
" Hilde , du willst studieren ? "
- " Na , so was , gerade du ! " - - - " Und heute schon wird Sturm gelaufen ? " - - - " Wirklich - ich glaubte , du ulkst den Direks nur an ! " - - - " Gerade du , die immer durch Faulheit geglänzt hat ! " - - - " Ach , dein Vater gibt es ja doch nicht zu ! "
- " Hast du nicht mächtige Angst ? " - - - so schwirrten die aufgeregten Mädchenstimmen auf dem Schulhof durcheinander .
" Was - Kinder - 'n Bammel soll ich haben ? -
Keine Spur , " unterbrach die lebhafte Hilde Dahlen mit blitzenden Augen das auf sie eindringende laute Stimmengewirr der Mitschülerinnen .
" Na , so feige bin ich nicht .
Heute gleich nach Tisch schwinge ich mich zu einem Speech mit Papa auf .
Er wird zwar erst paff sein - aber - ich werde den alten Herrn schon rumkriegen ! "
Damit schlang sie den Arm um ihre Busenfreundin Daisy Greeham und schlenderte langsam , mit gesundem Appetit ihr Frühstücksbrot vertilgend , unter dem kahlen , graubraunen Geäst der Schulhofslinden auf und nieder .
Die Erregung der zurückbleibenden Mädchenschar legte sich nicht so schnell .
Der Direktor hatte eben in der vorhergehenden Stunde die in kurzem abgehenden Schülerinnen gefragt , wie sich jede ihre Zukunft zu gestalten gedenke - und da war es herausgekommen !
Hilde , die lustige Hilde Dahlen , die zu keiner französischen Stunde präpariert hatte , die noch nie eine Rechenaufgabe selbständig gelöst und grundsätzlich Turn- und Handarbeitsstunden schwänzte , die wollte jetzt noch aufs Gymnasium - wollte studieren !
" Das ist doch ganz sicher nur Nachäfferei ; weil Daisy studiert , muß Hilde auch aufs Gymnasium , " meinte die blasse Anna , die im geheimen auf die innige Freundschaft der beiden neidisch war .
" Na , ein halber Student ist sie ja schon ohnedies durch ihre Brüder , viel burschikoser braucht sie nicht mehr zu werden , " meinte die Erste der Klasse ein wenig zimperlich .
" Wie kann der Mensch nur so vernagelt sein und sich auch nur eine Stunde länger als nötig in dem Schulgefängnis einsperren lassen - Kinder - noch siebenundsiebzig Stunden - dann sind wir frei ! "
Die helle Blondine reckte ihre jungen Arme jubelnd in die feuchtwarme Frühlingsluft .
" Na , ich danke für Obst , " lachte Lilli , ein niedlicher kleiner Backfisch .
" Schulmädel bin ich lange genug gewesen , jetzt will ich die Dame spielen , " und dabei sah die Kleine so drollig und kindlich aus , daß die anderen in ihr fröhliches Lachen einstimmten .
Himmel - da läutete es schon wieder - hu , jetzt wurden die englischen Extemporalien zurückgegeben - seufzend trollten sich die Mädchen in die erste Klasse zurück . - - - " Daisy , nimm mich mit unter deinen Schirm - es gießt mit Mollen , " sagte Hilde zwei Stunden später , ihre Büchermappe hin und her schlenkernd , als sie auf die Straße traten .
Daisy spannte gemütlich das schwarze Regendach auf .
" Aber beeile dich doch , ich bin ja schon naß wie eine Katze , " Hilde trippelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen .
" All riecht - komme , Klingen , " schützend hielt die schlanke Daisy den Schirm über die etwas kleinere Freundin , die sich fest in ihren Arm hängte .
" Daisy , hast du das klassische Gesicht von dem Direks gesehen , als ich heute sagte , daß ich aufs Gymnasium möchte ? " kicherte Hilde .
" Als ob ich seiltanzen lernen wollte , so sprachlos hat er mich angestarrt . "
" Seiner Ansicht nach würdest du dich dafür vielleicht auch besser eigenen , als zum Studieren , Hilde . "
" Und du , Daisy - was ist deine Ansicht ? "
" Ich bleibe dabei , was ich dir immer gesagt habe .
Es ist jammerschade , daß du solch arger Faulpelz bist .
Du hast die glänzendsten Fähigkeiten von der Welt - lernst spielend , was ich mir mühsam durch Fleiß erringen muß .
Wenn du Ausdauer genug hast , wirst du sicher dein Ziel erreichen . "
Daisys weiche Stimme verriet , trotzdem sie schon einige Jahre in Deutschland lebte , immer noch die Amerikanerin .
Hildes hellbraune , sonst so mutwillige Augen blickten ein wenig zaghaft zu der Freundin auf .
" Und Rechnen , Daisy , meine schwache Seite - im Rechnen bestehe ich die Aufnahmeprüfung in die Obersekunda nie ! "
" Deutsch-Literatur macht es wieder wett , darling , " tröstete Daisy .
" Professor Richter , der Direktor , legt den Hauptwert auf Deutsch - leider ! " sie seufzte drollig .
Sie standen vor dem Hause von Daisys Verwandten , bei denen diese nach dem Tode ihrer Eltern Aufnahme gefunden hatte .
" Du begleitest mich doch noch ein Stückchen , " bat Hilde , und sie setzten sich wieder in Trab .
" Wenn nur deine Eltern es erlauben , " meinte Daisy beklommen .
" Ach - Mutters bin ich sicher , " Hilde zog die Stirn in nachdenkliche Falten .
" Muttchen ist eine moderne Frau , die ist mit der Zeit mitgegangen , aber Vater - Vater denkt , die Mädchen sind gleich mit dem Kochlöffel auf die Welt gekommen , " da brach sich der Übermut schon wieder Bahn .
Im Gespräch vertieft , begleitete Hilde bereits zum zweiten Male wieder die Freundin zu ihrer Wohnung zurück .
" Na , und deine Brüder ? "
" Werden einfach gar nicht gefragt , " lachte Hilde .
" Richard ist bestimmt dagegen , so 'n Referendar denkt Wunder , was er ist .
Aber Max , der ist ja selbst noch ein junger Fuchs , der findet es sicher kolossal schneidig von mir . "
" Na ich bin gespannt , was Richards Freund , Günter Berndt , dazu sagen wird , " meinte Daisy mit möglichst gleichgültiger Stimme , während verräterische Röte ihr langsam in das zarte Gesicht stieg .
" Pah , der , " -
Hilde war viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt , um auf Daisy zu achten - " der hetzt Richard sicher nur noch auf , behandelt mich sowieso immer noch wie ein Baby im Steckkissen .
Aber er soll nur was sagen - weißt du , was ich ihm dann antworte ?
» Herr Doktor « werde ich sagen - ich nenne ihn jetzt immer Herr Doktor , trotzdem er es noch gar nicht ist , weil er noch ganz dreist Hilde zu mir sagt - » Herr Doktor , das ist ja nur Konkurrenzneid von Ihnen , weil ich auch Medizin studieren will , wie Sie « - ja , das sage ich ihm ! "
Hilde schleuderte zur Bekräftigung ihrer Worte ihre Büchermappe so nachdrücklich hin und her , daß der Federkasten in weitem Bogen entsprang .
Hochauf spritzte die Pfütze zu Füßen eines ihnen entgegenkommenden Herrn , der nahm mit einem erstaunten " Nanu ? " das längliche Etwas empor .
" Hilde - - - ! "
Daisy kniff die Freundin vor Aufregung in den Arm .
Da hatte Günter Berndt die beiden auch schon erkannt .
Er lächelte ein ganz klein wenig und lüftete den Hut .
" Süß " fand die errötende Daisy heimlich dieses Lächeln , während Hilde es innerlich als unglaublich mokant bezeichnete .
" Wem gehört dieser Ausreißer ? " fragte Günter Berndt , den schmutzigen Federkasten mit spitzen Fingern emporhaltend .
" Mir , " rief Hilde , ihm den Kasten so energisch aus der Hand reißend , daß ihr weißer Trikothandschuh schwärzliche Spuren aufwies .
" Na , machen Sie nur , daß Sie nach Hause kommen , Hilde , die Suppe steht schon auf dem Tisch .
Ich komme eben von Richard .
Sonst gehen Sie heute mittag leer aus , " rief er lachend .
Hilde warf einen entsetzten Blick auf die Turmuhr drüben .
" Allmächtige Schokolade - gleich zwei - Daisy , ich komme nachmittags zu dir , um Bericht zu erstatten - adieu , Herr Doktor ! "
Trotz ihrer Eile betonte sie die spöttische Anrede noch so auffallend , daß es wieder belustigt um Günters Lippen zuckte .
Trapp - trapp rannte sie durch den strömenden Regen ihrem Hause zu , während Daisy herzklopfend an Günters Seite in entgegengesetzter Richtung dahinschritt .
" Netter kleiner Backfisch ! " sagte Günter Berndt harmlos zu Daisy , ohne im geringsten zu ahnen , daß er ihre empfindlichste Stelle damit traf .
Daisy richtete sich in ihrer ganzen stattlichen Größe empor .
Sie war nicht viel kleiner als der junge Mediziner .
" Backfisch ! " - sagte sie kühl und sehr von oben herab , " meine Freundin wird bald siebzehn und geht in drei Wochen von der Schule ab .
Bei uns in Amerika heiratet man in diesem Alter . "
" Verzeihung , gnädiges Fräulein , " er machte ein ganz zerknirschtes Gesicht , " man vergißt , daß man alt wird .
Gedenkt denn Ihre Freundin nun auch gleich zu heiraten ? "
Da erst merkte sie den Spott in seinen grauen Augen . -
Hilde hatte recht , er konnte wirklich unausstehlich sein .
" Hilde wird studieren ! "
Voll Empörung warf sie ihm das große Geheimnis an den Kopf .
" Was denn ? -
Küchenchemie ? " neckte er .
Daisys Blauaugen flammten .
" Nein , Medizin - gerade wie ich ! "
- Lachte er nicht schon wieder ?
Daisy sah ihn scheu von der Seite an .
" Sie - Miß Daisy - Sie auch ? "
Sie wollte den ernsten Ton in seiner Stimme nicht hören .
" Jawohl ich - ich - Herr Berndt - denken Sie , ich bin zu dumm dazu ? -
Oh , ich werde es Ihnen schon beweisen ... " , die sonst so sanfte Daisy war ganz außer sich .
Er reichte ihr die Hand .
" Sie sind viel zu zart zum Medizinstudium , dazu muß man aus derberem Stoff sein , " sagte er .
Dann grüßte er kurz und ging schnellen Schritts davon .
Daisy aber starrte ihm noch nach , als längst schon der letzte Zipfel seines wehenden Lodenmantels um die Ecke verschwunden war .- - - Hilde stieg inzwischen herzklopfend die Treppen zu ihrer Wohnung empor - war nur das schnelle Laufen an dem ungestümen Pochen ihres Herzens schuld oder - hatte sie am Ende doch ein ganz klein bißchen " Bammel " ?
Sie wagte sich selbst keine Antwort darauf zu geben .
Fatal , daß es schon so spät war .
Nun war Papa sicherlich schlecht gelaunt .
Aber " Mut zeiget auch der Mameluck , " murmelte Hilde vor sich hin und drückte dann die Klingel unter dem weißen Schild , auf dem mit großen schwarzen Buchstaben " Dr. Ludwig Dahlen , Augenarzt " prangte .
" Die Herrschaften sind schon beim Fleisch , Fräulein Hilde , " flüsterte ihr Mine , der dienstbare Geist , nicht sehr ermutigend zu .
Vier Augenpaare richteten sich bei Hildes Eintritt fragend auf sie .
Tiefe Stille .
" 'n Tag , " sagte Hilde möglichst unbefangen und nahm ihr Mundtuch hoch .
Da lagen auf ihrem Teller drei Taschenuhren - selbst der Vater hatte ihr seine Uhr aufgebaut - dann war er nicht allzu böse !
Hilde lachte befreit auf .
" Na - hier gibt es nichts zu lachen , Mädel , " sagte der Vater mit angenommener Strenge .
" Ist das eine Art , so spät zu Tische zu kommen , wo hast du dich denn ' rumgetrieben , he ? "
Mit geheimem Stolz betrachtete er sein blühendes Töchterchen .
" Hast wohl nachsitzen müssen , was , Kleine ? " neckte Bruder Max .
" Es regnete so ... " begann Hilde .
" Ach - ne ! " machte Max erstaunt .
" Höchstens ein Grund , schneller nach Haus zu kommen , " sagte Richard mit seiner gräßlichen Logik .
" Also erste Entschuldigung wird rundweg abgelehnt .
Was kann die Angeklagte sonst noch zu ihrer Entlastung anführen ? "
" Ach - höre doch schon mit deinem Unsinn auf , " rief Hilde unwirsch .
" Ich habe mich eben mit Daisy verspätet . "
" Ja - natürlich - an mich denkst du ja nicht , " klagte die Mutter .
" Das ist dir ganz gleich , ob Wäsche ist oder nicht , selbst den Tisch habe ich heute für dich decken müssen . "
" Na , laßt sie nur in Ruhe essen , " brummte Papa , der es nicht mit anhören konnte , wenn andere seinem Liebling etwas taten .
Hilde blickte dankbar zu dem guten Vater hinüber .
Das Essen rutschte nicht - erstens gab_es Kohl , das obligate Waschfrauenessen , und dann überhaupt - sie hatte keinen rechten Hunger .
Vater war in sein Sprechzimmer gegangen , die Teller waren zusammengestellt , der Tisch abgefegt - Hilde fand keinen Grund mehr , die Sache hinauszuschieben .
" Also denn los ! "
Mit gepreßtem Herzen folgte Hilde dem Vater in sein Zimmer .
Sie legte ihm die Zeitung auf sein Tischchen neben dem Klubsessel und stellte Zigarren , Aschbecher und Streichhölzer zurecht .
Verwundert schaute der Vater ihr zu .
" Nanu , Wildfang , solch zarte Aufmerksamkeiten bin ich ja gar nicht von dir gewöhnt .
Da steckt doch irgend was dahinter - also heraus mit der Sprache ! "
Die große Hilde sprang dem Vater wie ein kleines Mädel auf das Knie und schlang ungestüm beide Arme um seinen Hals .
" Du bist mein kluges , allerbestes Vaterchen ! " schmeichelte sie .
Zärtlich strich der Vater seiner Jüngsten das zerzauste goldbraune Haar aus der Stirn .
" Also zur Sache , Kind , die lange Einleitung kannst du dir schenken , wo hapert denn ? "
Hilde schwieg noch immer .
" Wieder was ausgefressen in der Schule , hm ? "
Sie schüttelte das hübsche Köpfchen .
" Ach , Papa - ich habe eine Riesenbitte ! "
" Konnte ich mir lebhaft denken - na , was ist es denn - ein neues Kleid - nochmal Tanzstunde oder - "
" Nein , Vater - ich möchte studieren ! "
- Gottlob - nun war es heraus !
Der Vater brach in ein schallendes Gelächter aus .
" Weiß der Himmel , Mädel , du verstehst es , einen doch immer vergnügt zu machen , man mag noch so verstimmt sein - aber nun gehe , Kind , ich bin heute noch nicht dazu gekommen , die Zeitung zu lesen . "
" Aber es ist doch mein Ernst , Papa , " beharrte Hilde , " ich möchte aufs Gymnasium gehen und dann später Medizin studieren . "
" Wa-as ? "
Der Vater hob ihren Kopf zu sich empor , blickte ihr in die hellbraunen Schelmenaugen , die ernst und bittend zu ihm aufschauten , und griff nach ihrem Puls .
" Ist dir die warme Frühlingsluft zu Kopf gestiegen oder - - - "
" Aber Vaterchen , es gehen doch so viele Mädchen aufs Gymnasium .
Daisy kommt doch auch hin ! "
Hilde zeigte eine gekränkte Miene .
" Daisy ist eine vorzügliche Schülerin , das ist etwas ganz anderes !
Aber du - Mädel - jedes Halbjahr zittert Mutter vor deiner Zensur - du studieren ! -
Es ist wirklich zum Lachen . "
" Ach , Papa - nur im Betragen , Aufmerksamkeit und Fleiß hatte ich ein schlechtes Zeugnis und - und im Rechnen . "
" Ja - aber Betragen - - - "
" Ist die Hauptsache bei einem Mädchen , " fiel Hilde dem Vater lachend ins Wort , " das weiß ich ja noch ganz genau von der letzten Zensur her !
Du kannst es doch Mal probieren , Vaterchen .
Wenn ich nicht vorwärts komme , ist es doch immer noch Zeit , mich herauszunehmen - und Richard und Max hast du es doch auch erlaubt , " schloß sie weinerlich .
" Jawohl , " sagte der Vater grimmig , " zwei studierte Esel habe ich schon . "
" Alle guten Dinge sind drei , " flehte Hilde , die um der guten Sache Willen selbst den Esel mit in Kauf nahm .
Aber der Vater fuhr unbeirrt fort : " Weiß gar nicht , wie meine Tochter zu solchen Ideen kommt - in die Küche gehört ein Mädel , an den Herd - und nicht in den Seziersaal ! "
" Ja , früher , Vaterchen , " erwiderte Hilde eifrig .
" Wir Mädel wählen uns doch jetzt genau so unseren Beruf wie die Jungen .
Fast zu jedem Beruf wird das Abiturium verlangt .
Und du hast doch immer gesagt , ich hätte eine weiche , sichere Hand und solle einmal deine Assistentin werden .
Nun sei doch auch mein einziges , süßes , allerbestes Vaterchen und sage » ja « - ja ? "
Ihre kleinen Hände strichen glättend über des Vaters gefurchte Stirn .
" Nein ! " sagte der Vater mit Nachdruck , " ganz ausgeschlossen ! " , und griff nach seiner Zeitung .
" Wer so wenig in der Schule geleistet hat wie du , der gehört nicht aufs Gymnasium .
Erst wünsche ich Mal für dich ein Haushaltungsjahr unter Mutters Anleitung .
Und dann können wir weiter von Berufen reden .
So - und nun gehe , Kind , ich will endlich meine Ruhe haben ! "
Hildes Augen begannen zu tropfen .
Sie sah , wie der Vater sich in die Reichstagsverhandlungen vertiefte .
Nun war nichts mehr zu wollen .
Für heute mußte sie die Waffen strecken .
Weinend schlich Hilde in ihr Stübchen .
Ach , das war ein trauriger Nachmittag !
Zu Daisy durfte sie auch nicht , um ihr Herz zu erleichtern .
Sie mußte der Mutter beim Blauen und Stärken der Wäsche zur Hand gehen .
Mit todestraurigem Gesicht drehte Hilde die Wringmaschine .
Der Mutter fiel schließlich die Einsilbigkeit ihres sonst so munteren Töchterchens auf .
" Hilde , du drehst ja wie im Schlaf - sei doch bei der Sache , Kind !
Flink und gewandt muß ein junges Mädchen sein . -
Nanu , Tränen ?
Aber was ist denn los , Heldchen , du bist doch sonst nicht so dicht am Wasser gebaut ? "
Hilde schluchzte , daß es einen Stein hätte erbarmen können .
Vergeblich suchte die erschreckte Mutter durch sanften Zuspruch ihr Kind zu beruhigen .
Nach und nach erst kam es heraus - stoßweise - das ganze große Elend - ihr heißer Wunsch , zu studieren , der Überfall heute nachmittag auf den ahnungslosen Vater und ihre jämmerliche Niederlage .
" Ach , Muttchen , hilf du mir doch bloß , " schloß Hilde mit verzweifelter Miene , " vielleicht kannst du Papa noch umstimmen . "
Die kluge Mutter , die im Herzen ihres Kindes zu lesen gewöhnt war , zeigte absolut keine Überraschung .
Längst schon hatte sie den geheimen Wunsch ihrer Hilde erkannt , und im Grunde war sie demselben durchaus nicht abgeneigt .
Hilde hatte ihrer Ansicht nach auf der Schule blutwenig gelernt , es schadete ihr gar nichts , wenn sie noch ein paar Jahre gewissenhaft arbeitete , vielleicht nahm sie sich auf dem Gymnasium mehr zusammen .
Lauter Dummheiten und lustige Streiche spukten der Hilde im Kopfe herum ; ernstes , zielbewußtes Streben konnte ihrer geistigen Entwicklung nur förderlich sein .
Und mit dem Studium , da hatte es ja noch gute Wege , das konnte man sich ja dann immer noch überlegen .
So versprach die Mutter , selbst noch einmal mit dem Vater zu reden , und ein klein wenig getröstet , half Hilde beim Aufhängen der Feinwäsche .
Allerdings erschien sie beim Abendbrot immer noch mit verheulten Augen .
Richard , der scharfsichtige Jurist , hatte es natürlich gleich entdeckt .
" Was ist_es , daß du so traurig bist .
Wo alles froh erscheint .
Ich sehe dir es an den Augen an .
Gewiß - du hast geweint ! " deklamierte er mit pathetischer Stimme .
Hilde warf dem älteren Bruder einen bitterbösen Blick zu und knudelte nervös ihr Mundtuch - die Tränen stiegen ihr schon wieder heiß in die Augen .
" Na , weine man nicht , na , weine man nicht - In der Röhre stehen Klöße , du siehst sie bloß nicht ! " begann jetzt Max in höchst unmelodischen Tönen das Schwesterlein anzuulken .
Das nahm Hilde nun aber gewaltig krumm .
Heftig sprang sie von ihrem Stuhl auf .
" Ihr sollt mich in Ruhe lassen - ihr dummen Jungs ! " rief sie laut weinend und wollte aus dem Zimmer .
" Aber hier geblieben ! " rief Papa , der die ganze Zeit über schon unbehagliche Blicke auf das verstörte Gesicht seines Lieblings geworfen hatte .
" Laßt mir das Kind in Frieden , verstanden ! " wandte er sich an die Herren Söhne - " und du , Heldchen , komme , sei vernünftig , sie meinen es doch nicht böse .
Hier hast du ein schönes , zartes Stück Schinken ; so , nun esse , Kind , " er legte dem Töchterchen eigenhändig das Fleisch auf den Teller .
" Eklige kleine Kratzbürste ! " brummte Max , während Richard etwas von " empfindsamem Backfisch " murmelte .
Hilde aber würgte und würgte , sie konnte nicht essen .
Bald nach dem Abendbrot sagte sie gute Nacht und suchte ihr Lager auf .
Ach , was würde Daisy bloß sagen !
Und all die anderen in der Schule - wie schadenfroh würden sie sein , daß sie sich so blamiert hatte !
Oh , wie schämte sie sich - ruhelos wälzte sich Hilde in ihren Kissen hin und her .
Mit bleichem Gesicht erschien sie am nächsten Morgen am Kaffeetisch .
Hatte Mama schon mit dem Vater gesprochen ?
" 'n Morgen , " sagte sie mit müder Stimme .
Der Vater blickte prüfend in Hildes blasses , trauriges Gesichtchen .
" Ja , sage Mal , Hilde , soll das nun etwa so weitergehen , diese Jammermiene und das miesepetrige Wesen ?
Ich will mein frisches Mädel wieder haben - verstanden ! - nicht solche Tranfunzel ! "
Hilde schwieg verstockt .
" Ihr werdet ja nicht eher klug , ihr junges Volk , als bis ihr selbst Lehrgeld bezahlt habt , " meinte der Vater seufzend - " also denn meinetwegen - wirst mich bald genug quälen , meine Erlaubnis wieder rückgängig zu machen .
Und nun bitte ich mir ein anderes Gesicht aus ! "
Hilde glaubte ihren Ohren nicht zu trauen .
" Was - du - erlaubst - es ? " stieß sie zweifelnd heraus und blickte fragend auf die Mutter .
Diese nickte ihr lächelnd zu .
Laut jubelnd fiel Hilde dem Vater um den Hals .
Dann kam die Mutter an die Reihe , glückselig sprang sie von einem zum anderen .
" Aber das sage ich dir gleich , du Strick , " sagte der Vater ernst , " Bälle und sonstigen Firlefanz gibt es dann nicht , nun wird stramm gearbeitet - entweder - oder ! "
So meldete sich Hilde an einem der nächsten Tage zur Aufnahmeprüfung in dem Gymnasium . - - - Es fiel ein Reif Natürlich - die Familie stand Kopf !
Sämtliche alten Tanten der Familie schüttelten das Haupt .
Unglaublich - gar nicht zu verstehen - die Eltern waren doch sonst so vernünftige Leute , warum gaben sie die Tochter nicht lieber in eine Haushaltungsschule - na , sie würden es ja sehen , wohin es führte , was sie sich für einen Blaustrumpf damit erzogen !
Hilde , das unweibliche , wilde Ding , hatte es doch gewiß nötig , mädchenhafter und häuslicher zu werden !
Hilde aber kümmerte sich nicht um alle rückständigen Tanten der Welt , sie strahlte , nichts war imstande , ihre gute Laune zu trüben .
Selbst die ständigen Neckereien der Brüder ertrug sie mit ungewöhnlicher Sanftmut .
Sie lehnte höflich die Zigarren ab , die sie ihr jeden Mittag nach dem Essen anboten , fuhr nicht wütend los , als sie in ihrem zierlichen Mädchenzimmer an der Wand eines Tages eine lange Pfeife und ein Rapier entdeckte , und stopfte die blauen Strümpfe Richards , die dieser extra für sie heraussuchte , mit wahrer Todesverachtung .
Max redete nur noch Lateinisch oder in Hexametern zu ihr , sandte ihr mit der Post Einladungen zu seinen Studentenkneipen und zum Katerfrühstück und lehrte sie mit Stöcken kunstgerecht fechten und seinen Hieben parieren .
Aber als die erste Fensterscheibe daran glauben mußte , machte die Mutter ein für allemal diesen Mensuren ein Ende . -
So kam der Tag der Aufnahmeprüfung heran .
Hilde hatte Mühe , ihr zuversichtliches Wesen den düsteren Prophezeiungen der Brüder gegenüber , daß sie niemals die Prüfung bestehen würde , aufrecht zu erhalten , denn sie war ihrer Sache selbst mehr als unsicher .
" Du sollst sehen , Daisy , " sagte sie zur Freundin , die ebenfalls sehr erregt war , als sie beim Eintritt in die fremden Klassenräume , in denen die Prüfung stattfand , sich all den neugierig musternden Augen der Konkurrentinnen ausgesetzt fühlte , " paß bloß auf , Mathematik bricht mir den Hals ! "
Direktor Richter , ein liebenswürdiger Herr , ermutigte die Schüchternen .
Hilde fand ihre Unverfrorenheit wieder .
Kinderleicht war es ja - die schriftlichen Arbeiten in Deutsch , Französisch und Englisch glücklich vorüber , in Mathematik allerdings hatte sie trotz eifrigen Schielens auf Daisys Heft die letzte Ausrechnung nicht genau entziffern können - warum schrieb Daisy auch so undeutlich !
Nun nahm der Direktor sie natürlich noch extra scharf beim Mündlichen heran , eklig zwiebelte er sie , aber Hildes frische , dreiste Art machte ihm augenscheinlich Spaß .
Und als sie in Literatur , ihrem Lieblingsfach , einige treffende Antworten über die schlesische Dichterschule gegeben , ließ Direktor Richter ein vernehmliches " Gut " hören .
Hilde hatte bestanden .
Daisys Aufnahme war ja über jeden Zweifel erhaben gewesen , selbst deutscher Aufsatz , die Achillesferse der jungen Ausländerin , war zur Zufriedenheit ausgefallen .
" Mächtiges Schwein habe ich gehabt , " berichtete Hilde frohlockend daheim ihrem Intimus Max , während Mama über die derb burschikose Ausdrucksweise ihres Töchterchens erschrocken den Kopf schüttelte .
" Natürlich habe ich gleich Schillerlocken aus Dankbarkeit spendiert , da , Max , hast du noch ein paar .
Ach , Daisy war auch ganz glücklich . "
Ja - Daisy war fast noch glückseliger über Hildes Aufnahme als die Freundin selbst .
Das elternlose Mädchen , das im Hause der reichen Verwandten ihrer Mutter nur ungern Aufnahme gefunden und dort ein trauriges , freudloses Leben führte , hatte sich mit ihrem liebebedürftigen Herzen fest an die impulsive , warmherzige Hilde angeschlossen .
Das Elternhaus der Freundin war ihr eine zweite Heimat geworden , und Frau Doktor Dahlen nahm sich Daisys wie eine Mutter an .
Hilde , mit ihrem flattrigen , übermütigen Wesen , konnte durch den innigen Verkehr mit der um ein Jahr älteren und bedeutend reiferen Freundin nur gewinnen .
Sie saßen beide auf dem niedlichen hellen Sofa , ihrem Lieblingsplatz in Hildes Zimmer .
Heute hatte das große Ereignis stattgefunden , die Pforten des Lyzeums hatten sich für immer hinter ihnen geschlossen .
" Sage ' Mal , Daisy , warum hast du denn bloß wie ein Schloßhund geheult , als dir der Direks die feine Prämie mit den anerkennenden Worten überreichte , totgefreut hätte ich mich an deiner Stelle ! "
" Ach , rede nur nicht , Hilde , " verteidigte sich Daisy , " wer hat denn ein Tränchen nach dem anderen im Auge zerdrückt , als der Chor das Abschiedslied » Ihr lieben Schulgenossen « anstimmte ?
Ich denke , du freust dich so , daß du die Schulzeit hinter dir hast ? "
" Tu ' ich auch , " Hildes Augen strahlten , " gottlob , daß ich aus dem langweiligen ledernen Bildungsstall heraus bin , nun sind wir doch keine Schulmädel mehr - Gymnasium - ja , das ist doch etwas ganz anderes ! "
" I tont Thing so , " meinte Daisy , sinnend vor sich hinblickend , " Schule bleibt Schule , die Hauptsache ist , daß man etwas Ordentliches lernt und bald sein Ziel erreicht .
Aber wir werden schon tüchtig miteinander arbeiten , nicht , darling ? " , sie schlang den Arm zärtlich um Hildes zierliches Figürchen .
" Ich bin ja so froh , daß ich mit dir gemeinsam studieren darf . "
" Natürlich werden wir büffeln - Ehrensache im Gymnasium .
Will doch Mal sehen , ob der dumme Günter Berndt jetzt nicht » Fräulein « zu mir sagt . "
Daisy schwieg , herzklopfend dachte sie an ihre letzte Begegnung mit Richards Freund ; war es treulos von ihr , daß sie Hilde Günters Zweifel an ihrer Eignung für das Studium verheimlichte ?
Aber es war ihr nicht möglich , davon zu sprechen .
" Daisy , willst du ein Stückchen Torte essen ? "
Hilde zog zu Daisys Erstaunen ein arg zerquetschtes , in ein französisches Extemporalblatt gewickeltes Paket aus ihrer Kleidertasche .
Es sah nicht sehr vertrauenerweckend aus .
" Woher hast du es ? " erkundigte sich Daisy vorsichtig .
" Ach , Daisy , das war ja gestern zum Brüllen , es ist ja mein zweites Stück von unserer Abschiedstorte .
Und gerade , als ich unter den Tisch gekrochen war , um heimlich abzubeißen , gab mir Ehlert mein französisches Extemporale zurück .
Ich glaubte , ich müßte an dem großen Happen ersticken , kein Wort konnte ich herausbringen , während er mir noch zu guter Letzt eine Standpauke hielt wegen der vielen Flüchtigkeitsfehler .
Da habe ich den Rest der Torte dann lieber gleich in das Extemporale hineingewickelt ... "
Sie begann eifrig zu schmausen und Daisy half ihr .
" Was haben sie denn zu Hause zu deiner Prämie und dem glänzenden Abgangszeugnis gesagt , Daisy ? " fragte Hilde mit vollem Munde .
Ein Schatten huschte über das holde Gesicht der jungen Amerikanerin .
Sie schwieg .
" Was , waren sie heute etwa wieder eklig zu dir , deine liebe Tante und Fränze , das hochnäsige Ding ? " fuhr Hilde auf .
Daisy nickte traurig .
" Kein freundliches Wort haben sie für mich gefunden , " klagte sie leise , " Tante Malwine sagte bloß : » Na , da haben wir das viele Geld doch wenigstens nicht umsonst für dich ausgegeben « und Fränze meinte :
» Gott , solche Prämie ist doch gar nichts Besonderes ! « "
" Möchte wissen , ob der Affenschwanz jemals eine bekommen hat .
Das ist doch sicher wieder der pure Neid von ihr ; sei doch bloß nicht immer so schafmäßig sanft , Daisy , wenn sie so gemein gegen dich ist ; zeige ' ihr doch die Zähne - na , ich sollte Mal in deiner Haut stecken , ich wäre schon längst aus dem Hause geflogen . "
" Yes indeed , " lachte Daisy , " das glaube ich selbst , " und fügte dann gleich wieder ernst werdend hinzu : " Ja , siehst du , Herzchen , wenn man abhängig ist , lernt man den Mund schon halten ; kannst mir es glauben , schwer genug wird es mir manchmal .
Aber was soll ich anfangen , wenn sie die Hand von mir ziehen ?
Onkel Wilhelm tut , was seine Frau will .
Ich glaube , das einzige Mal , daß er sich gegen ihren Willen aufgelehnt , war vor fünf Jahren , als er mich trotz ihres Widerspruchs in sein Haus nahm .
Na , und oft genug hat sie_es ihm seitdem anzuhören gegeben .
Onkel Wilhelm ist gut , der würde mir gewiß gern manches im Hause erleichtern , aber er darf nicht .
Als ich ihm heute mein Abgangszeugnis gab und er freundlich sagte :
» Schade , Kind , daß deine Mutter , meine gute Schwester , das nicht erlebt hat , « hielt sich die Tante gleich beide Ohren zu und rief : » Um Himmels Willen , werdet bloß nicht gefühlvoll , sentimentale Menschen passen nicht in die Welt .
Daisy hat doch wohl allen Grund , energisch und tatkräftig zu sein und sich möglichst bald auf eigene Füße zu stellen . «
- Siehst du , Hilde , deshalb will ich arbeiten , und arbeiten und wenn ich die Nächte zu Hilfe nehmen muß ; ich werde den Tag segnen , an dem ich nicht mehr das Gnadenbrot dort im Hause zu essen brauche . "
Hilde ballte ihre Hände .
" Ach - ich möchte - könnte ich doch der geizigen , eingebildeten Gesellschaft , die auf nichts weiter pocht , als auf ihren Geldbeutel , Mal ordentlich eins auswischen .
Ins Gesicht möchte ich es ihnen Mal sagen , wie lieblos und häßlich sie sich zu dir benehmen ; ich wünsche keinem Menschen was Schlechtes , aber ... "
" Schscht , " machte Daisy und legte Hilde die Hand auf den vorschnellen Mund , " nichts sagen , was einem nachher leid tut .
Tante Malwine kann es eben meiner armen Mutter selbst im Tode noch nicht verzeihen , daß sie damals ihren reichen Vetter ausschlug und meinem verstorbenen Vater , einem armen Künstler , in die weite Ferne folgte .
Trotzdem sie mich doch möglichst bald los sein möchte , hätte sie es doch nie zugegeben , daß ich Lehrerin , Erzieherin oder Tippfräulein geworden wäre , » plebejisch « nennt sie das .
Aber studieren , ja , das ist etwas anderes ; da braucht sie sich doch vor ihren vornehmen Bekannten meiner nicht zu schämen . "
" Ja , und nebenbei hat es noch den Vorteil , daß sie dich doch noch ein paar Jahre in die Schulstube steckt , da stichst du wenigstens ihre häßliche Fränze auf den Gesellschaften nicht aus , " lachte Hilde boshaft .
" Pfui , Heldchen , sei nicht so mokant ! "
" Na , findest du sie vielleicht hübsch mit ihrer plumpen kleinen Gestalt und dem breiten bäuerischen Gesicht ?
Ich gönne es der gnädigen Frau von Staven , daß ihre Tochter so wenig aristokratisch aussieht . "
" Hilde , ans Telefon , du wirst verlangt , " rief die Mutter zur Tür hinein .
Daisy blieb allein .
Sie sah sich in dem behaglichen Raum , den Mutterliebe so traulich wie möglich gestaltet hatte , um - wie gut hatte es doch die Hilde !
Und so selbstverständlich nahm sie all die Liebe der Ihrigen hin - Daisy seufzte - ja , man weiß immer erst zu schätzen , was man nicht mehr besitzt .
Aus dem Nebenzimmer , der Stube der Brüder , klangen Stimmen herüber , Daisy wollte nicht lauschen .
Sie schlug ein Buch auf , das auf dem Tische lag , und begann zu lesen .
" Nein , Richard , du hast nicht recht , " hörte sie jetzt eine deutliche Stimme - Daisy fuhr empor - war das nicht ...
Das Buch entsank ihren bebenden Fingern .
" Warum soll deine Schwester nicht noch etwas Tüchtiges lernen , " hörte sie Günter Berndt weiter sprechen , " besser , als wenn sie die Zeit totschlägt und herumflaniert .
Das Frauenstudium hat durchaus seine Berechtigung - ach Unsinn , Mensch , rede doch nicht von den paar Gramm Gehirn , die der Frau fehlen , sie haben ohne dasselbe doch schon genug geleistet .
Ich habe alle Achtung vor diesen tüchtigen Frauen , ich verehre sie - aber lieben - nie könnte ich ein studiertes Mädel lieben oder sie gar begehren .
Ein Mädchen mit dem Seziermesser in der Hand ist mir immer nur Studiengenosse ; es geht ihr in meinen Augen jeder weibliche Reiz dabei verloren . "
Daisy zuckte zusammen - sie hätte aufschreien mögen vor Weh - aber sie war es gewöhnt , sich zu beherrschen .
Fest preßte sie die Hand gegen das wild schlagende Herz , mit Gewalt schluckte sie die Tränen hinunter , und als gleich darauf Hilde zurückkam , konnte sie schon wieder mühsam lächeln .
" Daisy - was ist dir , du siehst ja so blaß aus ? " sie sah die Freundin besorgt an .
" Ach - nichts - darling- es ist schon vorüber , mir war nur im Augenblick nicht ganz wohl - ich glaube , das beste ist , ich gehe nach Hause . "
" Nein , auf keinen Fall , " protestierte Hilde lebhaft , " du hast mir doch versprochen , zum Abend zu bleiben - Papa ist leider noch nicht zu Hause , aber halte - drin ist ja Günter Berndt , der ist doch auch Mediziner , der kann dir helfen - zu etwas wird er doch gut sein ! " spornstreichs lief sie aus dem Zimmer .
" Hilde - Hilde ! " rief Daisy beschwörend hinter ihr her , aber es war schon zu spät , sie hörte Hilde bereits im Nebenzimmer verhandeln .
" Nimm dich zusammen - nimm dich bloß zusammen , " Daisy grub fest die kleinen weißen Zähne in die Unterlippe und preßte die Fingernägel ins Fleisch , daß es sie schmerzte .
" Er darf es nicht merken , daß ich etwas gehört habe , er soll es nie - nie erfahren ! " sie flog wie im Fieber .
Es kamen Schritte .
Mit fast übermenschlicher Willenskraft zwang Daisy ihr Gesicht zum Lachen .
" Hilde , " rief sie der Eintretenden entgegen , " du bist ja nicht klug , holst den Doktor , und die Patientin ist bereits ganz gesund . "
Sie legte ihre Hand flüchtig in Günter Berndts Rechte .
Er blickte sie durch seine Hornbrille prüfend an .
" Schade , Daisy , " lachte Richard , der ebenfalls mit hereingekommen war , " ich glaubte , Sie könnten mich vielleicht auch gebrauchen ; ich stelle mich Ihnen zum Testamentaufsetzen untertänigst zur Verfügung . "
Daisy lächelte gezwungen .
Das Lächeln tat ihr weh .
" Na , wollen Sie nicht Mal nach meiner Freundin sehen oder verstehen Sie noch nichts vor dem Doktorexamen ? " fragte Hilde Günter Berndt schnippisch .
" Frechdachs ! " sagte Richard und packte die jüngere Schwester an den Ohren .
Eine dunkle Blutwelle war in Günters schmales , bleiches Gesicht gestiegen ; schnellen Schritts trat er auf Daisy zu .
Mit einem kurzen " Sie erlauben " ergriff er trotz ihres Protestes das Handgelenk des jungen Mädchens .
" Es ist wirklich nichts , Herr Berndt , bemühen Sie sich doch nicht , " stieß Daisy mit zuckenden Lippen hervor - daß er nur nicht merkte , wie sie zitterte !
" Ihre Hände sind eiskalt , und Ihr Puls fliegt , " sagte er nach einigen Sekunden ruhig .
" Ich würde Ihnen raten , sich ein wenig auf das Ruhebett zu legen , gnädiges Fräulein . "
" Gnädiges Fräulein - " neulich hatte er sie anders genannt .
Bald lag Daisy warm verpackt auf dem Ruhebett .
Frau Doktor Dahlen hatte sie mütterlich in Decken gehüllt und brachte ihr dampfenden Tee , während Hilde zärtlich die Hände der Freundin streichelte .
Nach und nach wurde Daisy ruhiger .
Ein wohltuendes Gefühl des Geborgenseins und Behütetwerdens , das sie schon längst nicht mehr kannte , durchrieselte sie - ach , wie lange hatte sich keiner so um sie gesorgt und gekümmert !
Mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung schloß Daisy die brennenden Augen .
Hilde schlich leise auf den Fußspitzen aus dem Zimmer .
" Nie könnte ich ein studiertes Mädel lieben .
Ich sehe nur den Studiengenossen in ihr . "
- Mit schneidender Deutlichkeit hört Daisy wieder Günter Berndts unbarmherzige Worte , sie sieht seine schlanke Gestalt wieder vor sich , den Blick so ruhig , so gleichgültig ärztlich prüfend - all ihr Mädchenstolz bäumt sich plötzlich empor .
Nein - nein - er verdiente es ja gar nicht , daß sie sich seine grausamen Worte so zu Herzen nahm .
Er hatte nie etwas für sie empfunden .
Mußte man denn beim Arbeiten und Streben , Lernen und Studieren an weiblichem Reiz einbüßen ?
Mußte ein Mädchen einem Mann nicht doppelt liebenswert erscheinen , wenn sie mit äußerer Anmut auch Tüchtigkeit und Schärfe des Geistes vereinte ?
Sollte ein Mädchen denn nicht seine Persönlichkeit voll für einen Beruf einsetzen ?
Hin und her gingen Daisys Gedanken , sie kam zu keinem Resultat .
Nur eins wurde ihr klar , sie mußte mit der Sache fertig werden , sie durfte ihre Gedanken nicht in fruchtlosen Träumereien zersplittern , sie mußte all ihre Kräfte einsetzen und geraden Wegs auf ihr Ziel zustreben .
Arbeit , Studium , das war ihr Weg .
Beweisen , daß sie stark genug war , durchzusetzen , was sie sich vorgenommen hatte .
Sie war zu schade dazu , ihr Sinnen und Hoffen an einen zu verschwenden , dem sie gleichgültig war .
Ja , sie wollte das törichte Gefühl bezwingen , gleich heute - sie war fertig damit - ganz fertig !
Ein leiser Seufzer entrang sich Daisys Lippen , wie durch eine geheime Macht schlug sie plötzlich die Augen auf , der , dem ihr Denken und Ringen eben gegolten , stand vor ihr .
Sie hatte seinen Blick gefühlt .
Warm hing sein Auge an ihrem Antlitz .
Sie wollte aufspringen , aber mit sanfter Gewalt drückte er sie in die Kissen zurück .
" Ist Ihnen jetzt besser ? "
Seine Stimme klang teilnehmend .
Daisy nickte beklommen - die Kehle war ihr wie zugeschnürt .
Sie schwiegen beide .
Unterlag sie schon wieder dem Zauber seines Blickes ? -
Nein , es durfte nicht sein , welche Vorsätze hatte sie noch eben gefaßt !
" Sie können mit dem ersten Resultat Ihrer Praxis zufrieden sein , Herr Berndt , " unterbrach sie die sekundenlange Stille scherzhaft mit nicht ganz natürlich klingender Stimme .
" Ich bin wieder vollständig genesen , hoffentlich wird die Rechnung nicht zu hoch . "
" Ich werde Ihnen meine Forderung eines Tages schon vorlegen , Miß Daisy . "
Sie mußte aufs neue die Wimpern vor diesem seltsamen Blick senken .
" Ein studiertes Mädel begehrt man nicht , das sieht man nur als Studiengenossen an , " klang es Daisy plötzlich schrill im Ohr wider .
Mit Gewalt schüttelte sie den Bann , den sein Auge auf sie ausübte , ab .
" Unter Kollegen nimmt man es doch nicht so genau , Herr Berndt , ich denke , Sie werden an die Kollegin in spe nicht eine zu hohe Forderung stellen . "
Sie hatte ihren Zweck erreicht .
Ein Schatten flog über sein kluges , offenes Gesicht .
Das warme Leuchten in seinem Blick erlosch - richtig , sie wollte ja auch ein studiertes Mädel werden , eine von denen , mit denen er täglich in Hörsaal und Klinik zusammen , arbeitete und die ihm so wenig begehrenswert erschienen .
Nervös fuhr er sich mit der Hand über die Augen , während Daisy mechanisch das Tapetenmuster zu zählen begann .
Da trat Hilde ins Zimmer .
Gottlob - sie atmeten beide auf - ihr harmloses , frisches Geplauder scheuchte allmählich den beklemmenden Druck , der über den zwei lag .
Günter Berndt machte Miene , sich zu verabschieden .
" I wo , Günter , daraus wird nichts , " meinte die eintretende Frau Doktor , die den jungen Mann von klein auf kannte .
" Sie gehen doch heute abend mit Richard zum Kegeln ; da essen Sie natürlich vorher mit uns ein Butterbrot .
- Schnell , Heldchen , deck den Tisch !
Es ist die höchste Zeit , Papa wird gleich hier sein . "
Hilde zog ein Gesicht - es war doch nicht zum Blasen - heute , wo sie Besuch hatte , konnte Mine doch Mal decken !
Aber nein , Mama zog die Zügel jetzt noch viel straffer an als früher .
Solche Haustochter hatte es doch wirklich schwer , seufzend machte sich Hilde ans Werk .
" Doch das Salz vermiss ich , den Bringer der Lust , Das mir schmackhaft würze die Rinderbrust ! " deklamierte Max beim Essen , sich suchend auf dem Tisch umsehend .
Hilde wurde rot und sprang auf .
" Mädel , " rief lachend der Vater , " kurze Haar und kurze Gedanken , gut , daß der Kopf festgewachsen ist ! "
" Hilde kümmert sich jetzt doch nur noch um attisches Salz , " neckte Günter Berndt .
" Ich kann Ihnen gut etwas davon abgeben , Herr Doktor , " war die prompte Antwort .
" Sie werden es zur Doktorarbeit gebrauchen können . "
" Scht - Kinder , Frieden gehalten , mache lieber den Tee , Hilde , " mischte sich die Mutter begütigend ein .
Hilde entzündete das Spiritusflämmchen .
Sie frohlockte - sie hatte es dem arroganten Günter Berndt doch eben ordentlich gegeben , vor Daisy .
Ganz erschreckt ob solcher Kühnheit hatte die Freundin sie heimlich am Kleide gezupft .
Gedankenvoll begann Hilde den Tee einzugießen .
" Du , Hilde , der ist zu stark , wir werden umfallen , " lachte da plötzlich Richard los , aller Blicke richteten sich auf das Teetischchen .
Da standen unschuldig und harmlos drei Gläser mit klarem kochenden Wasser - Hilde hatte vergessen , den Tee einzuschütten .
Nun wurde Mama aber wirklich ärgerlich : " Nimm doch deine Gedanken zusammen , Mädchen , du hast doch an nichts weiter zu denken ! "
Hilde wurde puterrot - wie boshaft der dumme Günter lächelte , und Daisy sah sie voll Mitleid an .
" Hilde ist Antialkoholikerin , " versuchte die Freundin sie scherzend in Schutz zu nehmen und versetzte ihr unter dem Tisch einen kleinen Aufmunterungspuff .
" Wasser ist das gesündeste Getränk für Kinder , " damit stellte Richard ein Glas der farblosen Flüssigkeit vor Hildes Platz .
" Laß unseren kleinen Gymnasiasten in Ruhe , " nahm sich Max des jüngeren Schwesterleins , mit dem er stets ein Herz und eine Seele gewesen , an , " als ich solch hoffnungsvoller Pennäler war , wusste ich auch noch nicht , daß man zum Teebereiten Tee braucht . "
Alle lachten , und der Stein des Anstoßes war beseitigt .
" Daisy , wollen wir morgen Tennis spielen ? " fragte Hilde , ihre gute Laune schnell wieder findend .
Daisy zögerte .
" Ich wollte dir eigentlich vorschlagen , jeden Tag in den Ferien ein paar Stunden zusammen Geometrie und Mathematik zu treiben . "
Hilde schüttelte sich .
" Brr - Mathematik - und noch dazu in den Ferien , wo ich grundsätzlich nicht arbeite , Daisy , das kann dein Ernst nicht sein !
Schauderhaft diese Zahlen und Formeln , eine tötende Langeweile beschleicht mich , wenn ich nur an einen Mathematiklehrer denke , das verkörperte Einschläferungsmittel ist diese Gattung von Menschen ! "
" Hilde , Sie sollten Mathematik studieren und nicht Medizin .
Sie bringen den nötigen Enthusiasmus für dies Fach mit , " sagte Günter Berndt .
" Und so was will überhaupt studieren , so ein Faulpelz , " lachte Papa , " garantiere , nicht ein halbes Jahr bleibt die Hilde auf dem Gymnasium ! "
Daisy erhob sich .
" Es ist schon spät - und - und ich habe immer noch ein wenig Kopfschmerzen - ich möchte mich verabschieden . "
" Kopfschmerzen - so 'n Kiekindiewelt - na , Daisy , als ich in Ihrem Alter war , kannte ich noch nicht einmal das Wort , " sagte Doktor Dahlen , Daisy die Hand reichend .
" Ja , die heutige Generation ist ein schwaches Geschlecht trotz allem Sport , zu unserer Zeit war das ganz anders ! " meinte Hilde mit drolligem Ernst .
" Wir begleiten Sie selbstverständlich , Daisy - ach wo , wir machen garkeinen Umweg , nicht wahr , Günter ? "
Richard half Daisy verbindlich beim Anziehen .
" Bleiben Sie doch noch , Daisy , " stimmte Max in Hildes Bitten ein , " ich bringe Sie nachher nach Hause , wirklich , es ist mir ein Vergnügen . "
" O no - I Tank you - das Vergnügen , mit dem ältere Brüder die Freundinnen jüngerer Schwestern nach Hause begleiten , ist mir bekannt .
Ich will mir nicht Ihre ewige Feindschaft zuziehen . "
Max beteuerte zwar das Gegenteil , aber im Grunde hatte Daisy den Nagel auf den Kopf getroffen .
Die beiden Mädchen nahmen zärtlichen Abschied voneinander , als ob sie sich für Jahre trennten , und dann schritt Daisy in lebhaftem Gespräch mit Richard dem Hause ihres Onkels zu .
Günter ging ziemlich einsilbig daneben .
Unbefangen und gleichgültig klang Daisys " Gute Nacht " , als sie Günter die Hand reichte .
Oben aber in dem kleinen Mädchenstübchen , das sie mit Cousine Fränze teilte , drückte Daisy den schmerzenden Blondkopf in heißem Weh in die Kissen .
Fest preßte sie das Deckbett gegen den Mund , daß Fränze von ihrem stoßweißen Schluchzen nicht etwa aufwachte .
Zu gleicher Zeit streckte sich auch Hilde auf ihr Lager , und energisch die kleinen Hände ballend , murmelte sie vor sich hin :
" Ich werde es ihnen schon beweisen , daß ich auf dem Gymnasium aushalte ! "
Ein trotziges Lächeln um die frischen Lippen schlief sie ein .
Auf dem Gymnasium An einem lichten Frühlingstage war_es , warmer Lenzsonnenschein lachte siegreich vom Aprilhimmel herab und lugte neugierig durch die hohen , gardinenlosen Fenster in das große Klassenzimmer hinein .
Ei - so viele holde Frühlingsblüten , die mußte er sich doch näher ansehen .
Übermütig glitt der flimmernde Sonnenglanz an den graugetünchten Wänden entlang , huschte über die große Landkarte durch den Atlantischen Ozean und streifte mit den goldenen Strahlenfingern weich und warm die blonden und braunen Mädchenköpfe , die sich eifrig über Hefte und Bücher neigten .
An widerspenstigem braunen Gelock machte der lose Geselle plötzlich Halt , sprühende Goldfunken ließ er in Hildes Braunhaar aufblitzen , kitzelte sie neckend mit seinem Strahlenbüschel unter das kecke Näschen und malte ihr gar seltsame Figuren , Schnörkel , Kreise , Linien und Fleck auf das Rechenheft , bis Hilde mit einem leisen Seufzer das hübsche Köpfchen von der Arbeit hob .
Sehnsüchtig folgten ihre Augen dem gleißenden und lockenden Spiel der glitzernden Sonnenstrahlen hinaus zum Fenster in die süße , weiche Frühlingsluft .
Leise schaukelte der große Kastanienbaum draußen seine knospenschwellenden Zweige im linden Lenzwind , zart lichtgrüne Blättchen , die sich wie winzige Kinderhändchen zusammenballten , lugten hie und da schon fürwitzig aus braunem Knospenbett hervor .
Hilde blinzelte in wohliger Schläfrigkeit in das goldene Sonnengeflimmer hinaus , ihre roten Lippen öffneten sich durstig - würziges , frisches Wehen kam vom Flusse herüber ; das halbgeöffnete Fenster , vor dem sie ihren Platz hatte , ließ den kräftigen Erdgeruch , der dem keimenden Boden entstieg , in die dumpfige Schulstube hineinströmen .
Die Augen des jungen Mädchens leuchteten auf - zwitschernde Schwalben schossen plötzlich in großem Bogen am Klassenfenster vorüber , pfeilschnell durchschnitten sie auf schlanken Schwingen die blaue Luft - ach , wer doch mit könnte !
" Fräulein Dahlen , sind Sie mit der Kreisberechnung schon fertig ? " klang es jäh in Hildes Frühlingsträume hinein .
Das junge Mädchen schrak empor , ein schneller Blick flog zum Katheder hinüber .
Hatte Doktor Werner ihre Unaufmerksamkeit beobachtet ?
Er saß zurückgelehnt in seinem Stuhl , hatte die Arme über die Brust gekreuzt und blickte mit ernsten Augen fragend zu ihr herüber .
Der Blick war Hilde unbequem .
Trotzig warf sie den Kopf zurück und begann verlegen an ihrem Federhalter zu kauen .
Ach du lieber Himmel - wenn er bloß auf dem Katheder sitzen blieb , wenn er nur nicht , wie es seine leidige Angewohnheit war , an den Fenstern auf und ab marschierte .
Sie hatte ja noch nicht die Hälfte der Aufgaben gelöst !
Und als ob Doktor Werner ihre geheimen Gedanken erraten hätte , erhob er sich plötzlich und trat zum Fenster .
Hilde neigte den Kopf tief über ihre Arbeit und begann eifrig Zahlen und Buchstaben hinzuschreiben , ohne Sinn und Verstand .
Diese vertrackte Kreisberechnung !
Sie kam damit nicht zustande .
Doktor Werner wandte ihr den Rücken , er schien ganz versunken in die sonnige Frühlingswelt da draußen .
Hilde benutzte die Zeit .
" Daisy , " sie zupfte die neben ihr sitzende Freundin aufgeregt am Ärmel , " du - was kommt denn heraus ? "
Daisy hörte nicht , sie rechnete und schrieb , ohne aufzublicken , mit heißen Wangen , daß Hilde vom Zusehen allein schon brühwarm wurde .
Mit fliegender Hand kritzelte Hilde ein paar Zeilen auf ihr Löschblatt und schob es Daisy zu .
" Schreibe mir flink die Resultate vom Inhalt , Sektor und Kreisbogen auf , " las Daisy erstaunt .
Sie sah unzufrieden auf die Freundin - Hilde war doch kein Kind mehr - sie arbeitete doch für sich und nicht für den Lehrer !
" Versuche es doch noch einmal , es ist gar nicht schwer , "
bat Daisy kaum hörbar .
Hilde schüttelte ärgerlich den Kopf - solche Zumutung - sich noch einmal mit diesem mopsigen Kreis abquälen , das konnte ihr fehlen !
In ihrem Kopf ging es schon davon wie im Kreise herum .
Sie wartete , beobachtete gähnend , wie der Frühlingswind das volle blonde Haar Doktor Werners leise bewegte , wie tadellos der dunkelgraue Anzug seine hohe , breitschulterige Gestalt umschloß , und wie eine kecke Frühfliege langsam über seinen schneeweißen Kragen spazierte .
Daisy würde ihr die Ausrechnung schon schicken - sie kannte sie ja !
Und ihre Zuversicht täuschte Hilde nicht .
Die gutmütige Daisy ließ das Löschblatt mit den Resultaten zurückwandern - Hilde war mit ihren Aufgaben fertig .
Eine stärkere Luftwelle flutete plötzlich zum Fenster herein .
Doktor Werner wandte sich um - Hilde griff erschreckt nach ihrem Löschblatt , das der boshafte Wind gerade zu Füßen des Lehrers hintrieb .
Es war zu spät - schon hatte Doktor Werner sich gebückt und reichte der errötenden Hilde ihr Eigentum zurück , ohne scheinbar einen Blick auf das Blatt zu werfen .
Hilde atmete auf .
" Bitte , Fräulein Steinau , was haben Sie bei der ersten Aufgabe herausbekommen ? "
Doktor Werner schritt an den Fenstern auf und nieder .
Er war der einzige Lehrer am Gymnasium , der die jungen Mädchen mit " Fräulein " anredete .
Daher fühlten sie sich auch verpflichtet , sich wie junge Damen in seiner Stunde zu benehmen .
Die Gefragte , eine kleine Blondine , nannte das richtige Resultat .
" Weiter - Fräulein Dahlen . "
Hilde begann siegesgewiß mit lauter Stimme die abgeschriebenen Resultate zu verlesen .
" Ihre Ausrechnung , bitte ? " er stand neben ihr und streckte die Hand nach ihrem Heft aus .
Daisy wurde totenbleich .
Hilde aber bis sich auf die Lippen und reichte Doktor Werner stumm das Korpus Delikte dar .
Ihre hellbraunen Augen sahen kampfbereit zu ihm auf .
Doktor Werner überflog das unsinnige Zahlen- und Buchstabengewirr - bis in den Hals hinein fühlte Hilde ihr Herz schlagen - eine Ewigkeit dünkte ihr jede Sekunde .
Ihr Mut verflog allmählich - jetzt klappte Doktor Werner das Heft zu .
Hilde senkte schuldbewußt in Erwartung der kommenden Strafe das Haupt .
" Es ist gut , " hörte sie ihn plötzlich mit ruhiger Stimme sagen .
Das Unglücksheft lag wieder vor ihr auf dem Tisch .
Verdutzt blickte Hilde auf - das war alles ?
Die Stunde nahm ihren Fortgang .
Eifriger als sonst beteiligte sich Hilde am Unterricht , aber Doktor Werner nahm keine Notiz mehr von ihr .
Ihre Wangen brannten vor Scham , und ihre Augen blitzten vor verhaltenen Tränen - hätte er sie doch vor all den Mitschülerinnen bloßgestellt und heruntergemacht - hätte sich doch ein Donnerwetter über sie entladen - nur nicht solche schweigende Verachtung !
Sie waren doch alle gleich , diese Zahlenmenschen , einer wie der andere .
Nicht ausstehen konnte Hilde sie .
Entweder trocken und ledern wie 'n Paar alte Stiefel oder so - so - Hilde ballte zornig die Hände .
Eigentlich war es ihr ja total schnuppe , was Doktor Werner von ihr dachte - ja , war es ihr auch !
Aber sie galt doch jetzt als erwachsenes Mädchen , und er sagte doch auch " Fräulein " zu ihr .
Da durfte sie sich nicht wie eine Schulgöre benehmen .
Sich entschuldigen - i wo - sie war doch kein Baby , selbst als Kind hatte sie nur schwer eine Abbitte über die widerstrebenden Lippen gebracht .
Doktor Werner schloß die Stunde , er nahm sein Notizbuch vor und begann Verschiedenes einzutragen .
Die jungen Mädchen hatten ihre Bücher zusammengepackt und zogen sich draußen auf dem Korridor an .
Allen voran war Hilde hinausgestürmt , der Boden brannte ihr förmlich unter den Füßen , es war ihr , als ob sie in der Klasse ersticken müßte .
" Bist du fertig , Hilde ? " fragte Daisy , zum Gehen bereit .
" Ja , - einen Augenblick - halte - ich habe meine lateinische Grammatik drinnen liegen lassen ; gehe immer voraus , Daisy , ich komme gleich nach . "
Hilde trat in die leere Klasse zurück .
Doktor Werner sah nicht auf .
Langsam näherte sie sich dem Katheder .
" Ich - es - es ist mir so peinlich , Herr Doktor , " begann sie blutübergossen mit stockender Stimme .
Er hob den klugen Kopf und sah sie unverwandt an .
" Daß - daß ich keine Ausrechnung hatte , " vollendete Hilde leise .
" Sie betrügen nur sich selbst , nicht mich , " sagte er kalt und wandte die Augen von ihrem reizenden Gesichtchen wieder seinem Buche zu .
Hilde kämpfte mit sich - eigentlich war sie verabschiedet - warum ging sie denn nicht ?
" Bitte , seien Sie mir nicht mehr böse , " bat die eigenwillige Hilde plötzlich ganz schüchtern , - " aber die Kreisberechnung ist auch zu eklig ! "
Durch die eben noch so weiche Stimme klang schon wieder ein klein wenig kriegerischer Geist .
Es zuckte belustigt über Doktor Werners Gesicht .
Hilde sah es nicht .
" Sie wissen , Fräulein Dahlen , daß Sie mich so oft fragen können , wie Sie wollen , wenn Ihnen etwas unklar geblieben ist , ich werde es Ihnen immer wieder gern erklären - aber die Lüge , und wäre es auch nur ein kindisches Siechselbstbetrügen , verzeihe ich allerdings nicht . "
Da war es wieder , dieses Unnahbare in seinen Worten , das Hilde stets so reizte und empörte .
Sie drehte sich kurz um .
" Guten Tag ! " sagte sie schroff und war zur Tür hinaus .
Er trat zum Fenster und blickte auf die Brücke hinunter , auf der Daisy Greeham ungeduldig auf und ab ging .
Jetzt machte sie einige Schritte zurück ; ein schlankes Mädchen im grauen Kostüm mit heißen , brennenden Wangen hing sich an den Arm der Freundin , Trapp-Trapp ging_es über die Brücke , und jetzt bogen sie um die Straßenecke .
" Wie der Frühlingswind ist sie , das kleine Ding , " dachte Doktor Werner , " süß und herbe zugleich , eigenwillig und ungestüm , und dabei doch von köstlicher , erquickender Frische . "
Hilde und Daisy schlenderten langsam durch die durchsonnten Pfade des Tiergartens dem Stadtviertel zu , in dem ihre Wohnung lag .
Dieser tägliche Spaziergang nach dem stundenlangen Sitzen bei geistiger Arbeit war ihnen beiden eine Wohltat .
Hilde reckte die kräftigen Arme in die laue Luft und sog in vollen Zügen den milden , balsamischen Lenzhauch ein , während Daisy mit weicher Hand liebkosend über die jungen Blättchen und Knospen strich .
Wie ein zartgrüner , duftiger Schleier hing es über Baum und Strauch .
" Frühling - Frühling wird es nun bald , " begann Hilde trällernd .
Daisy hielt sich entsetzt beide Ohren zu .
" Shocking indeed - Hilde höre auf mit deinen Frühlingsgefühlen , nicht ein Ton war richtig . "
Hilde lachte ohne jede Empfindlichkeit .
" Na , wenn du meine holde Stimme so wenig zu würdigen weißt , halte ich eben den Mund , zum Dank für deine werktätige Hilfe heute bei den schauderhaften Mathematikaufgaben . "
" Ach , Hilde - ich war mehr tot als lebendig - aber das war doch nett von Werner , nicht , das mußt selbst du zugeben ? "
" Ja , es war riesig anständig von ihm , " räumte Hilde ein .
" Aber du hättest ihm irgend etwas sagen müssen , Hilde , ja ganz bestimmt , wenn du ihn auch nicht ausstehen kannst , du warst ihm doch eine Erklärung schuldig . "
" Was ist da viel zu erklären , " meinte Hilde , " daß ich gemogelt habe , hat er ja selbst gesehen , aber im übrigen beruhige dich , " - ihr aufrichtiger Charakter siegte - " ich habe pater pecavi gesagt . "
" Was - du hast - - - "
" Jawohl , " fiel Hilde ungeduldig ein , " war natürlich nur Mumpitz mit der vergessenen Grammatik .
Ich bin in Kanossa gewesen und habe wie ein artiges Kind Abbitte geleistet , und zum Dank dafür bekam ich ein Solokolleg zu hören über kindischen Selbstbetrug und so weiter .
Aber nun Schluß der Debatte , ich will mir den schönen Tag nicht durch den langweiligen Werner verderben . "
" Langweilig ist er gar nicht , " widersprach Daisy , " im Gegenteil , er weiß einem selbst das trockenste Zeug interessant zu machen , ich finde ihn am nettsten von allen Lehrern am Gymnasium . "
" Na , dazu gehört nicht viel , " seufzte Hilde , " das habe ich in den drei Wochen nun auch schon weg , Gymnasium ist gerade so öde wie Schule - natürlich unter Diskretion , Daisy - zu Hause bin ich selbstverständlich von allem begeistert - sogar von Werner .
Nein - den Gefallen tue ich den Jungen nicht , zu sagen , daß es mir dort nicht gefällt ! "
" Ich finde es in der Tat riesig nett und anregend ; sieh Mal , Hilde , Literatur bei der Kurz ist doch ganz famos . "
" Ja , der Unterricht geht ja noch an , aber die Kurz selbst ist gerade solche alte Tante , wie wir sie an der Schule hatten .
Immer und ewig hat sie an mir herumzunörgeln ; wie kann sie sich erlauben , mir zu sagen , ich solle nicht wie das Mecklenburger Wappen dasitzen .
Ich bin doch ein erwachsenes Mädchen ! "
" Umso schlimmer , wenn du trotzdem noch die Ellbogen unmanierlich auf den Tisch stütztest , " lachte Daisy .
Hilde schwieg .
" Böse ? "
Daisy hob Hildes Kinn zu sich empor .
" Quatsch - auf dich bin ich doch niemals verknurrt , Daisy .
Aber mit der Kurz setzt es noch manchen Tanz , ich habe solche Ahnungen - Lehrerinnen konnten mich niemals leiden . "
" Dafür hat dich aber der alte Collmann umso mehr in sein Herz geschlossen .
Latein wird dir doch geradezu beneidenswert leicht . "
" es wäre mir lieber , wenn ich in Mathematik nicht so vernagelt wäre ; denkst du vielleicht , es ist mir angenehm , vor jeder Aufgabe wie ein Ochse vorm Berge zu stehen und den gelehrten Herrn Doktor Gerhard Werner so niederträchtig vor sich hin lächeln zu sehen !
Weiß der Kuckuck - jedesmal , wenn ich einen Gähnkrampf kriege , muß er mich gerade angucken . "
" Er hat doch wundervolle dunkelblaue Augen , nicht ?
Die Mädels schwärmen ja fast alle für ihn , " sagte Daisy .
" Du , wie mir scheint , nicht am wenigsten , " fuhr Hilde los .
" Die richtigen kleinen Backfische - blaue Augen und hoher Wuchs - futsch sind sie - na , mir kann es ja ganz pipe sein ! "
Sie knickte vor Ärger ein lichtgrün sprießendes Zweiglein ab .
Daisy nahm das junge Reis behutsam auf .
" Pfui , Hilde , wie ungestüm du bist , " sagte sie vorwurfsvoll , " die armen jungen Triebe können doch nichts für deine Abneigung gegen Werner - du kannst die Person eben nicht von der Sache trennen . "
" Ja , nimm ihn nur auch noch in Schutz ! " höhnte Hilde .
" Hilde , du weißt es doch selbst , daß ich an ganz anderes zu denken habe als an dumme Mädchenschwärmereien , " sagte Daisy ernst , aber ein klein wenig rot wurde sie doch dabei - und Günter ?
Das war keine Schwärmerei , nein , Günter Berndt hatte sie wirklich lieb gehabt - und es war ja vorüber !
Hilde schlang stürmisch den Arm um die Freundin .
" Sei nicht böse , Daisychen , ich bin ein rechtes Scheusal .
Hast es schon so schwer daheim und nun ärgere ich dich auch noch , " sie zog Daisys Kopf zu sich herab und küßte sie herzhaft .
" Was nicht Worte können sagen , sagt ein einziger süßer Kuß , " klang es da plötzlich neckend von frischen Stimmen hinter ihnen .
Die Mädchen sahen sich erschreckt um .
Lachende Studenten zogen des Wegs .
" Schnell , Hilde , daß sie uns nicht belästigen . "
Wie gehetzt eilte Daisy der Freundin voran .
" Lauf doch nicht so , " rief Hilde hinter ihr her , " sie tragen Gelb , Rot , Schwarz , das ist ja eine befreundete Verbindung von Max . "
Aber Daisy hörte nicht , erst als sie die breite Chaussee erreicht hatten , die zur Stadt führte , blieb sie atemschöpfend stehen .
Hilde lachte , daß ihr alles weh tat .
" Au - ich kann - nicht mehr - Daisy - du Hasenfuß - läufst vor deinen eigenen baldigen Kollegen davon , vor ganz harmlosen , lustigen Studenten !
Ach , das hätten Richard und Günter Berndt sehen müssen ! "
" Hilde - dein Wort , daß du nichts erzählst ! "
Daisy umkrampfte flehentlich Hildes Hand .
" Ist doch ganz selbstverständlich , Daisy , Diskretion Ehrensache !
Aber Wurst wider Wurst , hast du morgen für mich eine Stunde Zeit ? "
" Wieso ? "
" Du sollst die mathematischen Aufgaben noch einmal mit mir durchkauen ; wenn ich Max frage , quatscht er mir immer so viel von X vor , daß mir von all seinen Exen schon allein ganz trieselig im Kopf wird .
Und Abschreiben werde ich mir vorläufig verkneifen müssen .
Werner nimmt mich jetzt sicher aufs Korn , da muß ich mich eben ins Unvermeidliche fügen und meinen armen Kopf malträtieren . "
Hilde stieß einen schweren Stoßseufzer aus .
" Ja , morgen muß ich mit Fränze zur Schneiderin zur Anprobe .
Aber warte Mal - um sechs hat Fränze Violinstunde - well , dann arbeite ich eben heute mehr . "
" Hat die Fränze immer noch bei dem schüchternen , kurzsichtigen Jüngling mit dem komischen Namen Unterricht , für den sie so schwärmt ?
Na , so ein Blödsinn , lernt ja doch nichts , die ist genau so unmusikalisch wie ich , " sagte Hilde mit der ihre Person betreffenden eigenen Ehrlichkeit .
" Ich muß heute den nächsten Weg nach Haus , es ist schon spät , " Daisy blieb auf dem großen Platz stehen , von dem verschiedene Straßen abzweigten .
Elektrische Bahnen sausten klingelnd vorüber , Autos tuteten schrill , Lastwagen fuhren rasselnd dahin , es war ein ohrenbetäubender Lärm - man verstand sein eigenes Wort kaum .
" Also auf morgen - soll ich nachmittags zu dir kommen ? "
Daisy erhob ihre Stimme .
" Geht nicht - großes Frühlingsreinmachen - fürchterliches Scheuerfest bei uns - Mama wird sowieso nicht sehr begeistert davon sein , wenn ich desertiere .
Aber was tut man nicht alles für seine Lehrer ! "
" Na , also schön , Hilde , dann sei um sechs bei mir , allerdings Fränzes Geigengewinsel bei Herrn Lämmerhirt oder Lämmergeier , wie du ihn immer nennst , müssen wir in den Kauf nehmen . "
Daisy bog in die vornehm stille Straße ab , während Hilde sich dem Vorwärtsflutenden Menschenstrom anschloß . - - - Es war nach dem Abendessen .
Um den gemütlichen runden Eßtisch hatten sich die Mitglieder der Dahlenschen Familie versammelt .
Der Vater las medizinische Zeitschriften , Richard und Max spielten Schach , und nur Mamas fleißige Hände feierten noch immer nicht .
Neben ihr stand ein großer Korb mit zerrissenen Strümpfen - eifrig stopfte sie die großen und kleinen Löcher .
" Schade , Hilde - ich hatte gehofft , du würdest mir helfen , wenigstens deine feinen Flor- und Seidenstrümpfe könntest du dir wohl selber ausbessern . "
Ein vorwurfsvoller Blick flog zu der Tochter herüber .
Diese hatte beide Zeigefinger in die Ohren gestopft , die Arme auf den Tisch gestützt und die lateinische Grammatik vor sich aufgeschlagen .
" Mensa - mensae - mensae - mensam - " deklinierte sie halblaut vor sich hin .
" Ja - aber Mama , ich muß doch meine Aufgaben machen ; wenn ich nicht arbeite , kriege ich einen Anranzer , und wenn ich lerne , erst recht . "
" Man darf nichts übertreiben .
Kleine , auch im Eifer soll man Maß halten , " der Vater wunderte sich heimlich schon lange über Hildes ungewohnte Strebsamkeit .
" Himmel , wann soll ich denn da arbeiten ? "
Hilde sah höchst unglücklich aus .
" Eine halbe Stunde früher aufstehen , " nickte Mama vor sich hin , " dann ist die Zeit mit Leichtigkeit eingebracht . "
Mit einem lauten Bums schlug Hilde das lateinische Buch zu .
" Na , denn nicht , " unwirsch vor sich hin brummend , ergriff sie einen hellen Seidenstrumpf .
" Schimpfe nicht , du dachsiger Sextaner , du , " Richard ließ seinen Turm nach der anderen Seite wandern , " nähere Bekanntschaft mit Strümpfen kann solchem Blaustrumpf nur förderlich sein . "
" Oho - wieso Sextaner - ich bin Obersekundanerin ! "
" Der Baum ist grün - das Fass ist rund - die Eltern sind gut - diese unumstößlichen Wahrheiten übersetzten wir bereits als kleine Dreikäsehoch in Sexta . "
" Kann ich vielleicht dafür , wenn im Vita Romana , solch blödes Zeug steht ? "
Hilde zog mechanisch den Faden durch das feine Gewebe .
" Ihr Mädels könnt mir mit eurem Unterricht überhaupt gestohlen bleiben , " meinte jetzt auch Max , " Griechisch , womit wir uns haben so quälen müssen , fällt ganz fort , da ist es kein Wunder , wenn ihr beim Examen nicht rasselt . "
" Oh , bitte sehr , früher wurde Griechisch verlangt , " verteidigte Hilde das Mädchengymnasium , " früher waren es humanistische Gymnasialkurse - "
" Hu - wie gebildet ! " beide Brüder hielten sich lachend die Ohren zu .
" Und jetzt sind überall Realgymnasien für Mädchen eingeführt , " fuhr Hilde unbeirrt fort , " dafür plagen sie einen eben umso mehr in modernen Sprachen , Naturwissenschaften und Mathematik - lieber lerne ' ich schon Griechisch . "
Die letzte Mathematikstunde tauchte düster wieder vor Hilde auf .
Wenn die Jungen wüßten , wie schauderhaft sie sich heute blamiert hatte !
Dieser Doktor Werner war wirklich für sie das Schreckgespenst am Gymnasium - und trotzdem imponierte er ihr durch seine sich stets gleichbleibende überlegene Ruhe .
Ob er wußte , daß die dummen Dinger alle so für ihn schwärmten ?
Martha Tiedemann , die älteste , benannte ihn nicht anders als Germanicus - er hatte auch wirklich etwas von dem Typus des alten , urwüchsigen Germanenvolkes .
Man konnte sich seine kraftvolle Gestalt gut , in Bärenfelle gekleidet , am Waldfeuer hingestreckt denken , das Horn mit Met auf einen Zug leerend .
Aber so augenscheinlich brauchte ihn die Tiedemann deshalb doch nicht anzuhimmeln , es wurde Hilde stets ganz blümerant bei ihrem Augenaufschlag ; da mußte Werner ja eingebildet werden !
Am Ende - Hildes Denkkraft stockte plötzlich vor der Ungeheuerlichkeit des Gedankens - am Ende bildete sich dieser Mensch auch noch gar ein , daß sie ebenfalls von der allgemeinen Epidemie ergriffen sei - ach , hätte sie sich doch bloß nicht entschuldigt !
Der Vater beobachtete das lebhafte Mienenspiel seiner Tochter .
Weiß der Himmel , das Mädchen fehlte ihm doch am Nachmittag auf Schritt und Tritt jetzt , wo es immer bei den Büchern saß .
Hilde pflegte früher während der Sprechstunde die Tür zu öffnen , ihm den Kaffee in sein Studierzimmer zu bringen , ja , hatte bei leichteren Operationen geschickt hin und wieder Handreichungen gemacht .
Sogar seinen Abendspaziergang , auf dem sie ihm eine treue Begleiterin gewesen , mußte er nun meist auch ohne sie machen .
Doktor Dahlen seufzte leise .
Er wollte nicht egoistisch sein , man erzog die Kinder ja nicht für sich .
" Schläfst du etwa , Mädel ? "
Der Vater hob plötzlich Hildes Kopf hoch , der tief auf die Arbeit gesenkt war .
" Aber Kindchen , was ist denn los - wo ist dir denn die Petersilie verhagelt ? -
Na , so rede doch , Kleine . "
Ärgerlich beschämt wischte Hilde sich geschwind mit dem Handrücken die Tränen ab , die an ihren langen Wimpern hingen .
Mutter und Brüder sahen erstaunt auf - was war denn dem Mädchen ?
Ja , was war ihr ?
Hilde wußte es selbst nicht .
Sie hatte nur an die morgigen Stunden gedacht , und da - da sah sie sich mit einem Male wieder in der Klasse vor dem Katheder stehen .
Sie sah wieder die goldenen Strahlenbündel , welche die Sonne auf das einförmige Schwarz des Lehrertisches warf , jetzt tauchte sie das blonde Haar Doktor Werners in ein rötlich flammendes Lichtmeer , und nun fuhr sie zuckend über seine ernsten , leuchtend blauen Augen , daß er geblendet die hellen Wimpern senkte .
Aber nur für einen Augenblick , dann schauten sie seine Augen wieder durchdringend und streng an und :
" Die Lüge verzeihe ich allerdings nicht ! " klang es kalt und verächtlich wieder an Hildes Ohr .
Und darum hatte sie geweint ?
Lächerlich - sie verstand sich selbst nicht !
Um allen weiteren Fragen aus dem Wege zu gehen , sagte sie eiligst gute Nacht und verschwand alsbald in ihr Zimmer .
Daisy " Daisy - du mußt aufstehen - Himmel , Schlaf doch nicht wie 'ne Ratte - nachmittags bist du natürlich mit deinen Arbeiten wieder nicht fertig , wenn ich zur Schneiderin gehen will - Daisy , so sei doch nicht so rücksichtslos , stehe auf , ich bin doch erst um drei Uhr von einer Gesellschaft nach Haus gekommen , " damit rollte sich Fränze von Staven laut gähnend auf die andere Seite gegen die Wand .
In dem Bett gegenüber begann es sich zu regen .
Lichtes Blondhaar wurde sichtbar ; zwei Arme fuhren , sich rekelnd , in die Luft ; ein verschlafenes Gesicht tauchte für einen Augenblick auf , um plötzlich wieder in bleierner Müdigkeit in die Kissen zurückzusinken .
Ach , das Aufstehen - dieses leidige Aufstehen !
Es verdarb den Charakter - ganz sicher - wie sie die schnarchende Fränze in diesem Augenblick haßte - mit einem energischen Ruck setzte sich Daisy plötzlich auf .
Müde blinzelte sie auf die kleine goldene Uhr , ein Erbstück von ihrer Mutter , jetzt klangen sechs helle Schläge aus dem Nebenzimmer herüber - es half nichts , sie mußte heraus .
" Plansche doch nicht so , sieh dich doch ein bißchen vor , " knurrte Fränze empört aus dem Halbschlaf und rieb sich zum heimlichen Gaudium der jetzt vollständig ermunterten Daisy herübergespritzt Seifenschaum von der sommersprossigen Nase .
Daisy vollendete mit schneller Hand ihren einfachen Morgenanzug , band die große Wirtschaftsschürze darüber , legte die herumliegenden Sachen an ihren Platz und ging dann ihren täglichen Obliegenheiten nach .
Vor dem Unterricht mußte sie noch im Haushalt helfen .
Tante Malwine hatte es trotz ihrer vornehmen Gepflogenheiten für ratsam gehalten , das Hausmädchen zu entlassen , um , wie sie sagte , den jungen Mädchen Gelegenheit zu geben , sich im Haushalt zu betätigen , in Wahrheit aber sparte sie dadurch einen Teil des Geldes , das Daisy sie kostete .
Daisy lächelte bitter - kolossal nützlich machte sich Fränze im Haushalt ; wenn es hoch kam , stäubte sie die Meißner Puppen und Elfenbeinschnitzereien im Salon ab und gab dem Vogel frisches Wasser , während sie selbst beim Aufräumen der Zimmer , bei Wäsche und Plätten , ja selbst bei groben Arbeiten Hand anlegen mußte .
Heute schlief noch alles im Hause , sogar Auguste war noch nicht sichtbar .
Mit geschickter Hand machte Daisy Feuer im Herd und setzte Kaffeewasser auf .
Dann zog sie aus ihrer Kleidertasche ein Buch und murmelte beim Kaffeemalen halblaut lateinische Vokabeln vor sich hin .
Auch beim Reinigen des Herrenzimmers hatte sie die Grammatik in der Hand , das heutige Pensum wollte gar nicht in ihrem Gedächtnis haften .
" Pater - der Vater , mater - die Mutter , avunculus - der Oheim , bellum - der Krieg , " mechanisch ließ sie dabei den schweren Bohner über das Parkett gleiten .
" Aber Daisy - nein - das ist mir doch noch nicht vorgekommen - das ist doch wirklich zu stark - und dann wundert man sich , daß man mit der Arbeit nicht von der Stelle kommt , wenn nebenbei Allotria getrieben wird . "
Die eintretende Tante fuhr ärgerlich in ihrem Morgenrock im Zimmer auf und nieder .
Daisy legte still das Buch zur Seite .
" Allotria treibe ich nicht , Tante , ich lerne , " sagte sie mit ruhiger Stimme , welche die erboste Tante nur noch mehr aufbrachte , " da ich mit Fränze nachmittags zur Schneiderin gehen soll - - - "
" Aha - natürlich - da haben wir es ja - selbst dieser kleine Gefallen ist dir zu viel - nichts kann man doch von dem Mädchen haben ! " fiel ihr die Tante erregt ins Wort .
" Nun siehst du es ja Mal selbst , Wilhelm , was du mir für eine Last mit deiner Nichte aufgebürdet hast . "
Onkel Wilhelm strich sich im Nebenzimmer leise seufzend das Butterbrötchen ; seine kleinen gutmütigen Äuglein wanderten ängstlich und zaghaft von seiner erzürnten Frau zu der schweigenden Daisy .
Aber Tante Malwine war noch lange nicht am Ende ihrer Kraft .
" Anstatt dankbar zu sein , " fuhr sie in scharfem Tone fort , " daß man sich ihrer angenommen , und sie aus der ärmlichen Atmosphäre in vornehme Kreise versetzt hat , zeigt sie es täglich aufs neue , wie wenig sie in unsere Gesellschaft paßt . "
Ein leises " Ja , Gott sei Dank ! " entrang sich Daisys fest zusammengepreßten Lippen-Tante Malwine überhörte es zum Glück .
" Das Künstlerblut verleugnet sich eben nicht , " mit diesem letzten Hieb rauschte die Tante zum Zimmer hinaus .
" Tante " - Daisy war aufgesprungen , ihre Lippen zuckten , und Tränen stürzten ihr aus den Augen , sie wollte hinter der Tante her .
Plötzlich besann sie sich , auf halbem Wege machte sie kehrt und trat in jähem Aufwallen vor den erschreckten Onkel .
" Und das leidest du , " rief sie mit flammenden Augen , " daß man mich in deinem Hause so beschimpft , daß man es wagt , das Andenken meines Vaters mit hineinzuziehen , der mehr adliges Empfinden gehabt hat als die ganze Gesellschaft hier zusammengenommen ! "
Onkel Wilhelm sah entsetzt auf die sonst so stille Nichte .
" Aber Daisychen - " begann er unsicher .
" Ach - wenn ich euch doch nicht brauchte , wenn ich euch doch eure Wohltaten vor die Füße werfen könnte ! "
Die sanfte Daisy war vollständig außer sich , laut schluchzend stellte sie das Tassengeschirr zusammen .
Onkel Wilhelms Gutmütigkeit konnte diesen lebhaften Schmerz nicht mit ansehen , leise und scheu strich er über Daisys kalte Rechte .
" Kind - Daisychen - beruhige dich doch - Himmel , Wein doch nicht so - du kennst doch Tante Malwine , die sagt doch bald Mal ein schnelles Wort - "
Er verstummte .
Wieviel schnelle Worte hatte er so während seiner Ehe mit anhören müssen !
Daisy schluckte krampfhaft - es war Unrecht , daß sie Onkel Wilhelm solche Szene machte , der hatte genug an seinem eigenen Päckchen zu tragen .
Mit energischem Griff trocknete sie sich die Augen und ging wieder an die Arbeit .
" Daisy , " rief die Tante aus dem anderen Zimmer nach einer Weile , als ob nichts vorgefallen wäre , " du hast ja heute erst um zehn Uhr Unterricht , du kannst vorher noch in die Markthalle gehen . "
Daisy , die eigentlich Latein arbeiten wollte , zog stillschweigend den Mantel über und stülpte den Hut auf .
Ein schneller Blick in den Spiegel - sie sah noch ganz schrecklich verweint aus , aber das half nun nichts .
" Nein - nimm nur die große graue Netztasche , in das kleine Ding geht ja nichts hinein - hier auf dem Zettel ist alles aufgeschrieben , sonst vergißt du mir wieder die Hälfte , und daß du nicht mehr als dreißig Pfennig für den Kohl gibst . "
Daisy vertauschte widerwillig die kleine zierliche Tasche mit dem schmutziggrauen Marktnetz - wenn sie nur keine Bekannten traf !
Der Einkauf zerstreute sie ein wenig ; die Tasche war bereits vollgepfropft und der lange Zettel immer noch nicht zu Ende .
" Eine , Fräuleinken , was nicht is , is nicht , " meinte der treuherzige Grünkramhändler mit breitem Lächeln , " der Blumenkohlkopp Jet beim besten Willen nicht mehr rein , den nehmen Se man zärtlich in 'n Arm .
Un hier noch de Tüte mit Tomaten , aber knautschen Se ihr nicht so ! "
Beladen wie ein Packesel trat Daisy den Rückweg an .
Ach - um_das Himmelswillen und jetzt fing es auch noch an zu regnen !
Das junge Mädchen sah besorgt zu den schwarzen Wolken empor , in großen , schweren Tropfen ging der Regen hernieder .
Kein Gedanke daran , den Schirm öffnen zu können ; alle paar Minuten mußte Daisy sowieso schon die schwere Tasche absetzen , der Griff schnitt schmerzhaft in ihre Hand .
Und nun stellte sich auch noch der abscheuliche Wind ein .
Übermütig griff er unter das blaue Hütchen und zauste das weiche Blondhaar , daß es wie ein goldener Heiligenschein ihr echauffiertes Gesicht umflatterte .
" Dreadfull indeed ! " stöhnte Daisy und schaute hilflos nach irgend einem kleinen Burschen aus , der ihr für einige Pfennige die schwere Tasche nach Haus trug .
Vergebens - die Straße war wie ausgestorben , seufzend nahm sie ihre schwere Last wieder auf .
Sie bog um die Ecke - ein erneuter Windstoß , das Hütchen machte Miene , das Weite zu suchen , sie hatte keine Hand frei , um es zu halten .
Krampfhaft mußte sie den Kopf zur Erde gesenkt halten - au ! -
sie war mit einem ihr entgegenkommenden Herrn , der den Schirm gegen den heftigen Sturm vor sich ausgestreckt hielt , zusammengeprallt , der Wind ließ sie den Kopf nicht emporheben .
Höflich den Hut ziehend , wollte der Herr an ihr vorüber , da stockte sein Fuß plötzlich - sein blasses Gesicht rötete sich lebhaft , eine bekannte Stimme schlug an Daisys Ohr und jagte ihr alles Blut zum Herzen .
" Aber , Miß Daisy - na das ist gut - beinahe wäre ich an Ihnen vorbeigelaufen - aber Sie sind ja ganz durchnäßt und so bepackt - erst geben Sie Mal die Tasche her - Wetter , ist das Ding schwer , treten Sie doch bloß Mal einen Augenblick hier ins Haus - Sie sind ja vollständig erschöpft . "
Mitleidig zog Günter Berndt sie in den nächsten Hausflur .
Daisy atmete erleichtert auf , sie legte den Blumenkohl und die Tüten , die sie im Arm trug , nieder und strich sich verwirrt die nassen Haare aus der Stirn .
Kein Wort brachte sie heraus , wie peinlich , daß » er « sie gerade so treffen mußte !
Günter Berndt sah ihre Verlegenheit .
" Aber , Miß Daisy , wie können Sie auch fast einen halben Zentner schleppen , das ist ja polizeiwidrig , " half er ihr lächelnd über ihre Befangenheit .
" Sie wollen wohl einen neuen Grünkram eröffnen ? "
Sein Blick überflog die aufgestapelten Gemüseschätze .
" Haben den Büchern Valet gesagt , was ? " fuhr er scherzend fort , als sie noch immer schwieg .
" Sie gefallen mir auch viel besser so hauswirtschaftlich , " setzte er ernst werdend hinzu .
" Ich will - Ihnen überhaupt nicht gefallen , " stieß Daisy mühsam hervor , griff schnell nach ihren Paketen und eilte mit einem hastigen " Guten Morgen , Herr Berndt " an ihm vorüber in das Unwetter hinaus .
Ein schützendes Schirmdach wölbte sich im nächsten Augenblick über ihr Haupt , eine entschlossene Hand ergriff die Tasche , und eine bestimmte Stimme sagte :
" Meine Gesellschaft werden Sie trotzdem in den Kauf nehmen müssen , Miß Greeham , bitte lassen Sie die Tasche los , Sie erschweren sie nur noch . "
Daisy blieb wie angewurzelt stehen .
" Nein - auf keinen Fall , Herr Berndt , das leide ich nicht , daß Sie mit einer Markttasche gehen , was sollen denn die Leute denken ? "
" Ist mir höchst gleichgültig - ich leide es wiederum nicht , daß Sie so schwer tragen - nun wollen wir sehen , wer recht behält . "
Seine ruhige Bestimmtheit machte sie verstummen .
" Herr Berndt - bitte - bitte tragen Sie die Tasche nicht weiter , " flehentlich schaute sie ihn an .
Er blieb stehen .
" Ja - wenn Sie mich bitten , Miß Daisy , das ist freilich etwas anderes - sehen Sie , dort kommt solch halbwüchsiger Bursche , den wollen wir uns Mal langen , " er übergab die Tasche dem jungen Menschen , der froh war , sich ein paar Pfennige zu verdienen .
Still schritten die beiden unter dem schützenden Schirm nebeneinander her .
" Es regnet fast gar nicht mehr , " meinte Daisy schließlich einen harmlosen Ton anschlagend .
" Das heißt auf deutsch :
Bitte empfehlen Sie sich - machen Sie , daß Sie in die Klinik kommen ! -
Aber so schnell werden Sie mich noch nicht los , Miß Daisy , wenigstens nicht eher , als bis ich weiß , warum Ihre sonst so klaren Blauaugen heute trübe und gerötet sind . "
Daisy schwieg peinlich berührt .
Er hatte kein Recht , sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern - nein - nach den Worten , die sie neulich mitanhören mußte , durfte sie ihm kein Recht einräumen , irgendwelches Interesse an ihrer Person zu nehmen - wie sagte sie ihm das nur in deutlicher Weise ?
" Bitte , halten Sie es nicht für müßige Neugier , "
bat Günter Berndt in herzlichem Ton , als ob er ihr die Gedanken von der Stirn gelesen , " ich weiß von Dahlens , daß Sie in Ihrer Familie mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben , ich nehme warmen Anteil an dem , was Sie betrifft .
Miß Daisy ich denke , das wissen Sie auch . "
" Nein - das weiß ich nicht , und das glaube ich auch nicht . "
Daisys biegsame weiche Stimme klang hart und rauh - " ich werde im übrigen aber auch mit mir allein fertig . "
Günter Berndt blieb verletzt stehen und schloß den Schirm .
" Sie haben recht , es regnet nicht mehr , " sagte er kühl , ihre abweisenden Worte überhörend , " ich darf Sie nun wohl Ihrem Schicksal überlassen . "
Er lüftete den Hut und schritt davon , ohne ihr noch einen Blick zu schenken .
" Was hat sie nur - warum ist sie so entsetzlich ungleichmäßig und launenhaft , " überlegte der junge Mann , die Strecke wieder zurückgehend , " früher war sie doch anders - so lieb und sanft - das Lernen hat schuld - sie ist dem nicht gewachsen , sie fängt bereits an , gereizt und nervös zu werden ! " -
Daisy eilte die Treppen empor .
Höchste Zeit , daß sie ins Gymnasium kam .
Sie fühlte nicht mehr die Last der Pakete , die waren ja leicht , federleicht , im Vergleich zu der Last , die ihr das Herz abdrückte .
Hatte sie recht gehandelt mit ihrer schroffen Zurückweisung ?
War es notwendig gewesen , ihm die kränkenden Worte zu sagen ? -
Selbstvorwürfe verfolgten sie bis in die Unterrichtsstunden .
Die sonst so eifrige Schülerin war heute zerstreut und teilnahmlos .
Auch nachmittags bei der Schneiderin war Daisy mit ihren Gedanken nicht recht bei der Anprobe .
Jede , auch die geringfügigste Einzelheit ihres heutigen Gespräches mit Günter durchlebte sie noch einmal .
Fränze war übler Laune .
Das neue Frühjahrskleid stand ihr nicht , die kräftige türkise Farbe ließ ihr stark gerötetes Gesicht fast blaurot erscheinen , und der plissierte Rock machte kurz und dick .
Sie hatte beständig noch irgend etwas auszusetzen und zu bemäkeln .
Die Schneiderin war schon ganz nervös .
" Ich habe es Ihnen ja gleich gesagt , gnädiges Fräulein , " meinte sie mit leiser Ungeduld , " zu solch einem Rock muß man schlank und groß sein , das Fräulein Cousine , ja , das könnte so was tragen . "
Ihr Blick ruhte wohlgefällig auf Daisys ebenmäßiger schlanker Figur .
" Na , Gott sei Dank , daß ich nicht so ' ne lange Bohnenstange bin , " lachte Fränze boshaft und warf der armen Daisy , die kaum dem Gespräch gefolgt war , einen giftigen Blick zu .
Die Schneiderin bemerkte Fränzes Ärger nicht .
" Ja - wirklich , " meinte sie bewundernd und hielt das Kleid Daisy an , " so was müßten Sie sich Mal machen lassen , gnädiges Fräulein , diese grünblaue Farbe hebt sich entzückend von Ihrem Goldhaar ab . "
Daisy lächelte wehmütig - ein seidenes Kleid für sie bei solcher teuren Schneiderin - ihre Fähnchen ließ Tante Malwine von einer billigen Hausschneiderin herstellen !
" Bitte - Fräulein -beeilen Sie sich doch ein bißchen - Sie sehen doch , ich muß fort , " Fränze zeigte sich in ihrer ganzen Unliebenswürdigkeit .
" Ich nehme mir ein auto , Daisy , Herr Lämmerhirt darf auf keinen Fall warten . "
Daisy zog erschreckt die Uhr - gleich sechs - Hilde war sicherlich schon da . - - - Ja , Hilde saß schon längst in dem kleinen Mädchenstübchen , in dem Fränzes Sachen unordentlich herumlagen .
Trotzdem Hilde gerade auch kein Ordnungsmuster war , fiel ihr diese Unordnung hier doch unangenehm auf .
Sie setzte sich an Daisys Arbeitstisch und begann sich in das Rechenbuch zu vertiefen - Daisy mußte ja gleich kommen .
Aber Daisy kam und kam nicht .
Hildes Kopf brummte schon wieder von all den Zahlen , Buchstaben und Linien , von denen sie nur die Hälfte begriff , sie fing an , sich zu langweilen .
Gähnend schritt sie in dem kleinen Raum auf und nieder , die Tür zum Nebenzimmer , wo die Stunde stattfinden sollte , war weit geöffnet , Geigenständer und Violine warteten schon auf Herrn Lämmerhirt .
Hilde rümpfte das Näschen , ihr Geschmack wäre er nicht , der kurzsichtige junge Mann mit dem gebrannten Kraushaar ; sie mußte doch Fränze heute Mal wieder mit ihrem dummen Lämmergeier ordentlich aufziehen .
Langsam schritt sie im Zimmer auf und ab und blieb vor den verschiedenen kleinen Bildern , die Fränze in der Malstunde verbrochen hatte , stehen .
Gelbes Gras , grüner Himmel , verzeichnete Kühe , Hilde überlegte ernstlich , ob Fränze wohl schlechter malte oder Geige spielte .
Das ganze Zimmer war mit diesen künstlerischen Erzeugnissen geschmückt .
Nur über Daisys Bett hingen die grün bekränzten Bilder ihrer Eltern .
Also hier war_es , wo die boshafte Fränze ihre arme Daisy oft bis aufs Blut peinigte und quälte - ach , wenn sie Daisy doch Mal rächen , wenn sie der Fränze doch auch Mal einen Schabernack spielen könnte !
Fränze mußte gestern abend aus gewesen sein ; Seidenpapiermützen und Knallbonbons lagen im bunten Durcheinander auf dem Tisch .
Und hier - was war denn das ?
Ach , eine Larve , eine ganz abscheuliche Larve , wie kam die denn hierher ?
Eigentlich hatte die Larve Ähnlichkeit mit Fränze - ja wirklich - dasselbe breite rote Gesicht mit den kleinen Augen .
Hilde langweilte sich weiter - sie blickte auf die Larve , sie blickte in das nebenliegende Zimmer , und plötzlich ging ein triumphierendes Leuchten über ihre sprechenden Züge .
Der Fränze , der wollte sie es anstreichen , warum blieb sie auch so lange !
Sie nahm Fränzes Rock , den diese über einen Stuhl geworfen hatte und begann mit geschickter Hand den Geigenständer zu bekleiden .
Er hatte zwar noch etwas mehr Umfang als Fränze , aber Hilde wußte sich mit einer Sicherheitsnadel zu helfen .
Dann bekam er Hildes loses Jackett über , und jetzt noch das Schwierigste , die Larve oben zu befestigen .
Sie wollte und wollte nicht sitzen , mit fliegender Hand löste das junge Mädchen ihren Gürtel und schnallte die Larve kunstgerecht fest .
Nun noch ihren Hut aufgestülpt , prüfend mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete Hilde ihr Werk - die Figur hatte entschieden etwas Menschliches , von weitem sah sie Fränze gar nicht unähnlich .
Jetzt schlug es sechs .
Hilde atmete auf , jeden Augenblick mußte Fränzes Geigenjüngling kommen .
Da klingelte es schon , das war er ; denn Fränze hatte Schlüssel .
Vorsichtig lehnte die mutwillige Hilde den angezogenen Geigenständer gegen die nach außen aufgehende Eingangstür , durch welche der Lehrer eintreten mußte .
Dann begab sie sich auf den Fußspitzen in das kleine Mädchenzimmer auf ihren Beobachtungsposten .
Es klopfte - Hilde drückte das Taschentuch gegen die Lippen , um nicht loszuprusten , gespannt blickte sie durch die Türspalte .
Die Tür tat sich auf , und der verkleidete Geigenständer flog dem entsetzten jungen Mann direkt an das Herz .
" Gnädiges Fräulein - Fräulein Fränze " - hörte Hilde ihn schüchtern stammeln , immer noch hielt er den Geigenständer zärtlich im Arm .
Das war zuviel für Hilde , sie brach in ein schallendes Gelächter aus .
Sie hörte nicht , daß die Tür draußen geschlossen wurde , nicht , daß Fränze bereits das Musikzimmer betrat .
" Entschuldigen Sie , Herr Lämmerhirt - " Fränzes holdseliges Lächeln erstarrte plötzlich - war Lämmerhirt verrückt geworden ?
Da stand er mitten im Zimmer , den Violinständer im Arm , und blickte blöde auf die hölzerne Figur , deren wahre Bedeutung er nachgerade erfaßt hatte , herab .
" Aber , Herr Lämmerhirt ... "
Mit einem Ruck setzte der junge Mann die leblose Gestalt auf ihre hölzernen Füße .
" Gnädiges Fräulein , " begann er mit jämmerlicher Miene , " ich fürchte , ich bin das Opfer eines kindischen Streiches geworden , diese Figur , die ich , da das Licht stark blendete , bei meiner Kurzsichtigkeit für gnädiges Fräulein selber hielt , flog mir bei meinem Eintritt in die Arme . "
Fränze schaute auf das breite steife Ungetüm , auf das abscheuerregende Gesicht , Tränen des Zornes traten ihr in die Augen .
" Das kann nur Hilde gewesen sein , die unverschämte Hilde Dahlen , aber sie soll es mir büßen , sie und Daisy . "
Sie riß die Tür zu ihrem Zimmer auf .
Da saß Hilde noch immer auf demselben Stuhl und lachte so unbändig , daß die Tränen ihr über das Gesicht liefen .
Vor ihr stand die ahnungslose Daisy und bemühte sich vergebens , eine Erklärung von Hilde herauszubekommen .
" Was ist los ? " fragte Daisy erstaunt , als sie das zornverzerrte Gesicht der Cousine erblickte .
" Was los ist - das wirst du gleich erfahren - Hilde , was weißt du von dem Geigenständer drin , wie konntest du die Frechheit haben - - - "
Fränzes Stimme schnappte vor Zorn über .
" Ach du mein Himmel - ich kann ja nicht mehr , " stöhnte Hilde , " ich kann doch nichts dafür , Fränze , wenn du unpünktlich zur Stunde kommst , " sie wischte sich immer noch lachend die Tränen aus den Augen .
" Selbstverständlich wollte ich nur dir mit der angezogenen Puppe eine Freude machen ; daß Herr Lämmergeier das häßliche Gestell für dich halten könnte und es gar nicht wieder aus seinen Armen lassen würde , das konnte ich doch nicht voraussehen . "
Fränze hatte genug , sie raste aus dem Zimmer .
Hilde blamierte sie mit jedem Wort nur noch mehr vor dem angebeteten Lehrer .
Bald klang wütendes Geigengekratze aus dem Nebenzimmer .
Daisy aber stand in stummem Entsetzen .
Um es Himmels Willen - was hatte die Hilde , das enfant terrible , wieder angestellt !
Allmählich erholte sich Hilde von der Anstrengung des Lachens , zärtlich strich sie Daisy über das blasse Gesicht .
" Aber , Daisychen - was sagst du denn bloß dazu , ist das nicht glänzend ? - stolz kannst du auf deine Freundin sein .
Für alle Zeiten habe ich dich an der greulichen Fränze gerächt ! "
" Mir wäre es lieber gewesen , du hättest ihr den Streiche nicht gespielt , darling , " sagte Daisy ernst .
" Siehst du , ich muß es auf alle Fälle ausbaden , an mir wird sie ihre Wut auslassen . "
Hilde machte ein bestürztes Gesicht , daran hatte sie noch gar nicht gedacht .
" Komme , Daisychen , verstöre mir den famosen Jux nicht durch deine traurige Miene . Habe nur keine Bange , es kommt mir gar nicht darauf an , dich noch einmal an Fränze zu rächen ; ich habe noch viel auf der Walze .
Ach , du hättest das stupide Gesicht des Lämmergeiers sehen sollen - zum Radschlagen ! "
Daisy wurde von Hildes Heiterkeit mit fortgerissen ; wider Willen mußte auch sie über die komische Situation lachen .
Hilde hatte wieder Mal gewonnenes Spiel .
Aber Daisys schwarze Ahnung trog nicht .
Auf Schritt und Tritt mußte sie den Ulk der Freundin büßen .
Fränze machte ihr das Leben im Hause jetzt geradezu zur Hölle , und am Abend des bedeutungsvollen Tages sprach Frau von Staven zu Daisy die inhaltsschweren Worte :
" Die Hilde Dahlen , dieses bodenlos schlecht erzogene Ding , kommt mir nicht wieder in mein Haus ! "
Ein trotziges Mädel Nicht im sonnendurchsponnenen maigrünen Lenzgewande zog der Wonnemond diesmal durch die Lande , mürrisch und griesgrämig schaute der holde Frühlingsgesell drein .
Zerfetzte regengeschwollene Wolken jagten am grauen Himmel dahin , in endlosen Strömen rauschte der Regen tagein , tagaus hernieder .
An der Haltestelle der elektrischen Bahn ballten sich die schwarzen Schirmdächer zu einem großen dunklen Knäuel zusammen , rücksichtslos kämpfte man mit den Ellenbogen um die wenigen freien Plätze im schützenden Wagen .
Schon die dritte Bahn war den beiden Freundinnen , welche , die Büchermappe unter dem Arm , vergeblich versucht hatten , noch ein Plätzchen zu erwischen , an der Nase vorbeigefahren .
" Nein , Daisy , jetzt bleibst du aber dicht hinter mir , drängle doch und Schusse wie ich ; ich war in der letzten Bahn fast drin , aber wenn du höflich jedem Menschen den Vortritt läßt , werden wir heute wohl überhaupt nicht mehr in die Schule kommen . "
Hilde hatte sich allmählich wieder daran gewöhnt , statt der stolzen Benennung " Gymnasium " den verachteten Namen " Schule " zu setzen .
" Aber , Hilde , ich konnte doch unmöglich die alte Dame vor mir zurückstoßen .
Übrigens kommen wir sowieso zu spät , da schlägt eben drei Viertel acht .
Na , Doktor Werner wird wenig erbaut sein . "
Hilde schwieg , das war nun schon das dritte Mal , daß sie zu spät kam , gerade bei Werner , das erste Mal hatte er sie in recht ironischem Ton gebeten , das Morgenfrühstück nicht zu lange auszudehnen , und als sie kurz darauf sich wieder um fast eine Viertelstunde verspätete , da hatte er sie nach seiner bekannt ekligen Manier einfach nicht beachtet .
Hilde , die früher in der Schule in aller Gemütsruhe stets pünktlich nach dem Läuten zu erscheinen pflegte , sah jetzt gepreßt , wie der Zeiger an der großen Normaluhr unerbittlich vorwärtsrückte .
Mußte Doktor Werner nicht denken , daß sie ihn absichtlich ärgern wollte ?
Diesmal wurden Hildes kraftvolle Stöße und Puffe von Erfolg gekrönt .
Sie sowohl als die schüchtern nachfolgende Daisy fanden zwei bescheidene Plätzchen in der Straßenbahn .
Daisy , der " Musterknabe " , wie Hilde die Freundin benannte , nahm sogleich das lateinische Buch vor und sah noch einmal das heutige Pensum durch , während Hilde die lebhaften Augen neugierig in der Bahn herumschweifen ließ .
Da gab es wenig Interessantes zu schauen .
Der größte Teil der Herren hatte das Gesicht hinter der Zeitung vergraben , hier setzte ein dicker Alter schnarchend sein Morgenschläfchen fort und belästigte dabei den neben ihm Sitzenden , dort durchblätterte ein junges Mädchen den spannenden Roman .
Aber meistens sahen die Gesichter alle , jung und alt , grau und regnerisch aus wie der Himmel draußen .
Es roch nach feuchten Kleidern und nassen Schirmen .
" Daisy , " rief Hilde plötzlich betrübt , " ich muß vorhin beim Drängen mein Frühstück verloren haben , wirklich , ist es futsch ! "
" Siehst du , das ist die Strafe , " neckte Daisy , " nun mußt du dir beim Bäcker Nolte die feinen Mushörnchen kaufen .
Ich habe dich im Verdacht , dein Frühstück mit Willen preisgegeben zu haben . "
Eine alte Dame stieg an der nächsten Haltestelle ein , suchend überblickte sie die Reihen , nirgends ein Plätzchen mehr .
Hilde sah sich erwartungsvoll um , machte denn keiner von den jungen Leuten ihr gegenüber der würdigen Greisin Platz ?
Keiner rührte sich , die jungen Herren starrten aus dem regenbespritzten Fenster , und blieben unhöflich sitzen .
Empört sprang Hilde auf :
" Bitte schön , gnädige Frau , " sagte sie mit flammenden Wangen , " nehmen Sie meinen Platz . "
Sie machte Miene , sich ans Ende des Wagens zu stellen .
Dankend setzte sich die alte Dame .
Einer der Jünglinge aber stand jetzt nachträglich auf und bot Hilde errötend seinen Platz an .
" Danke , ich stehe , " das schlanke Mädchen im dunkelblauen Regenmantel schritt mit zurückgeworfenem Köpfchen bis ans Ende des Wagens .
Verächtlich blickte sie auf die " Stoff liege Gesellschaft " herab .
Leuchtend blaue Augen hatten schon eine ganze Weile über die Zeitung hinweg dem Vorgange interessiert zugeschaut .
Jetzt ließ der Herr in der Ecke plötzlich die verbergende Zeitung von dem Gesicht sinken , die Hand griff nach dem weichen Filz und eine bekannte Stimme fragte freundlich :
" Aber meinen Platz werden Sie doch nicht zurückweisen , nicht wahr , Fräulein Dahlen ? "
Ehe Hilde es sich versah , saß sie auf dem Eckplatz , und neben ihr stand Doktor Gerhard Werner und schaute lächelnd auf das erglühende Gesichtchen herab .
Traumbefangen saß Hilde da .
Wie kam Doktor Werner nur hier in diese Bahn ?
Er wohnte doch draußen im Vorort .
Erst neulich hatte sie ihm ganz , ganz heimlich Fensterpromenade gemacht .
" Sie denken wohl , Sie können allein nur zu spät kommen ? " begann er scherzend das Gespräch .
" Heute bekommen wir beide einen Tadel .
Schon die dritte Bahn mußte ich benutzen , um bei dem fürchterlichen Wetter überhaupt nur vorwärts zu kommen . "
Daisy sah neugierig herüber - wenn das Martha Tiedemann und Alice Marx wüßten , wie angelegentlich sich ihr Germanicus mit Hilde Dahlen , der er doch noch dazu unsympathisch war , unterhielt .
Doktor Werner nahm den leer gewordenen Platz neben Hilde ein , und diese hatte ihre Unbefangenheit bald wieder gefunden .
Nur in die leuchtenden Augen zu blicken , wagte sie nicht , sie heftete den Blick auf den obersten Knopf seines Überziehers , und redete kunterbuntes , krauses Zeug durcheinander , wie es ihr gerade durch den lustigen Mädchenkopf spukte .
Aber der ernste Mann neben ihr mußte doch seine Freude an dem frischen , kindlichen Geplauder haben , jetzt lachte er sogar laut und herzlich .
Daisy schielte erstaunt über ihr Buch herüber - war das denn noch derselbe sachliche Lehrer , als den ihn die Klasse kannte ?
" Nun gibt es bald Ferien , Fräulein Dahlen , " Doktor Werners Blick haftete auf dem taufrischen Gesicht seiner Nachbarin .
" Ja - leider , " Hilde zupfte traumverloren an ihrem Stupsnäschen .
" Leider " - Gerhard Werner horchte erstaunt auf , " schmeckt denn der Unterricht so gut , Fräulein Dahlen ? "
" Der Unterricht nicht - nein , " das junge Mädchen hielt verwirrt inne .
Sie konnte doch unmöglich zugestehen , daß sie es ganz entsetzlich fand , fünf lange Wochen das Leuchten der dunkelblauen Augen entbehren zu müssen , " nein - aber die Mushörnchen , " setzte sie erleichtert aufatmend hinzu .
Doktor Werner sah kopfschüttelnd vor sich nieder .
Sie war doch noch das reine Kind mit ihren fast siebzehn Jahren .
Eben noch glaubte er reifes , weibliches Empfinden in ihrem verschleierten Blick zu lesen , und im nächsten Moment blitzte es schon wieder voll kindlichen Übermuts in den rehbraunen Augen auf .
Aber was wollte er denn , das gefiel ihm doch gerade so an ihr , diese natürliche Jugendfrische !
Hilde ahnte nichts von den ernsten Gedanken , die hinter der Stirn des Lehrers soeben vorüberzogen .
Unbekümmert berichtete sie ihm von dem Mißgeschick , das ihr Frühstück betroffen , und daß sie noch unbedingt vor der Stunde die beliebten Mushörnchen einkaufen müsse .
Doktor Werner zog die Uhr .
" Gleich viertel - nein , Fräulein Dahlen , wir müssen sofort mit dem Unterricht beginnen , wenn Sie auch nur fünf Minuten fehlen , haben Sie gleich eine Lücke , die auszufüllen , später Stunden kostet . "
Hilde warf unwillig die frischen Lippen auf .
" Nachher sind die Mushörnchen wieder alle futsch , " brummte sie zwischen den Zähnen .
Aber sie wagte doch nicht , seiner Autorität zu trotzen und ihm , wie sie es so gern getan hätte , in den kleinen Bäckerladen drüben zu entschlüpfen .
Der Unterricht in den übrigen Abteilungen hatte bereits begonnen , längst schon hatte die Glocke das Zeichen zum Anfang gegeben .
- Doktor Werner fehlte noch immer .
An den Fenstern preßten seine Verehrerinnen die Nasen gegen die nassen Scheiben platt und lugten sehnsüchtig nach ihrem Germanicus aus .
Da kam er ja .
Jetzt schritt er eilig über die Brücke , und an seiner Seite gingen Daisy Greeham und Hilde Dahlen - eifersüchtige Blicke huschten zu den beiden Freundinnen hinunter .
Hilde saß verdrossen auf ihrem Platz .
Sie dachte nicht mehr daran , wie glückselig eben noch ihr Herz an Doktor Werners Seite geschlagen hatte , sie hörte nicht die erläuternden Worte des Lehrers .
Die Mushörnchen spukten ihr im Kopf herum .
Ob es nachher auch noch welche gab ?
Endlich Pause .
Wie gejagt eilte Hilde allen voran die Treppen hinab , über den Damm in den kleinen Bäckerladen .
" Viktoria ! " -
Sie ergatterte noch gerade die beiden letzten Mushörnchen , großmütig schenkte sie der verlangend zuschauenden Daisy eines des kostbaren Gebäcks .
Aber zwischen Lippe und Kelchsrand ... , in dem Augenblick , wo Hilde gierig auf der Treppe in das knusprige Hörnchen hineinbeißen wollte , ereilte sie das Verderben .
Fräulein Studienrat Doktor Kurz tauchte plötzlich wie aus der Versenkung vor Hilde auf .
" Hilde Dahlen , Sie sind doch schon wieder auf die Straße gelaufen , ich habe Ihnen doch oft genug gesagt , daß ich das nicht wünsche . "
Gegen ihre Gewohnheit hatte Hilde die Strafpredigt der Lehrerin schweigend an sich vorübergehen lassen .
In der Klasse aber machte sich ihre Empörung Luft .
" So ' ne alte Tante , wie kommt sie denn bloß dazu , mich wie eine Schuljöre abzukanzeln , eine Obersekundanerin !
Na , warte man .
Kurzchen , ich räche mich bei passender Gelegenheit .
Wißt ihr , Kinder , was ich tue ? "
Hilde war bereits zu den meisten Mitschülerinnen in ein freundschaftliches Verhältnis getreten , und das steife " Sie " , das man anfangs gebraucht , hatte allgemein dem vertraulichen " Du " Platz gemacht .
" Ich stehe ganz einfach nachher in der Stunde beim » Wickelkind « nicht auf .
Fräulein Kurz hat uns erst neulich darum gebeten , das ärgert sie sicher mächtig .
Im übrigen haben wir doch wahrhaftig auch nicht nötig , bei solchem jungen Ding , wie das » Wickelkind « ist , beim Antworten aufzustehen ; das verlangen doch nicht einmal die alten Lehrer von uns erwachsenen Mädchen . "
Und das erwachsene Mädchen bis so wütend in das unschuldige Mushörnchen , als ob es zwischen ihren weißen Zähnchen Fräulein Kurz samt dem " Wickelkind " zermalmen wollte .
Ruhe trat plötzlich ein , Doktor Werner hatte seinen Platz auf dem Katheder wieder eingenommen , der Unterricht nahm seinen Fortgang .
Hilde war inzwischen schon etwas mehr in die Geheimnisse der Mathematik eingedrungen , es war ihr nicht mehr alles ein Buch mit sieben Siegeln wie im Lyzeum , wenn ihr das Rechnen auch nach wie vor kein Vergnügen machte .
Aber heute hatte Doktor Werner nach langer Zeit wieder ernstlich Grund , über ihre Unaufmerksamkeit zu klagen .
Vor ihr im Tischfach lag das angebissene Mushörnchen und duftete herrlich zu Hilde herauf .
Hilde zog schnuppernd das Näschen kraus , nur einmal abbeißen - ihr Magen knurrte vernehmlich .
Doktor Werner schrieb erläuternd eine Formel an die Wandtafel .
" Was er für schlanke , weiße Hände hat ! " flüsterte die schwarzäugige Alice Marx entzückt ihrer Nachbarin zu .
" Ach , und sein süßer Hinterkopf , " schwärmerisch blickte Ilse Petersen , die Künstlertochter , auf den kräftig gebauten , von üppigen , weichen Haaren umwogten Schädel des Angebeteten .
Mit einigen sicheren Linien hatte sie sein charakteristisches Profil auf ihr Löschblatt gebracht .
Hilde aber sah weder die schlanken Hände noch den entzückenden Hinterkopf Doktor Werners ; ihre Blicke waren starr auf das verlockende Mushörnchen gerichtet .
Eins , zwei , drei , saß sie unter dem Tisch , einen großen Happen - noch einen - nun hatte sie den Mund so voll , daß sie das Taschentuch dagegenpressen mußte .
" Haben Sie die Formel verstanden ? "
Doktor Werner wandte sich wieder der Klasse zu .
Sein Blick suchte Hilde .
" Sie auch , Fräulein Dahlen ? "
Hilde nickte , krampfhaft drückte sie das Tuch gegen den vollgestopften Mund .
Sie würgte und würgte .
" Sie haben wohl Zahnschmerzen , Fräulein Dahlen ? "
Er trat teilnehmend zu ihr .
In tödlicher Verlegenheit schüttelte Hilde den Kopf , während sich ein lautes Gelächter in der Klasse erhob .
Was dachte er wohl von ihr ? -
seine Augen hingen fragend an ihrem zusammengeknäuelten Taschentuch .
Mit raschem Entschluß ließ Hilde das Tuch sinken .
" Ich hatte nur solchen schrecklichen Hunger , " kam es kleinlaut in seltsam gequetschten Tönen aus Hildes vollem Munde .
Schüchtern blickten die sonst so mutwilligen Augen zu den unbeweglichen Zügen des Lehrers auf .
Jetzt aber huschte es wie Sonnenschein um seine Lippen , belustigt leuchtete es in den blauen Augen auf - was das Mädel für ein drolliges Gesicht machen konnte !
" Na , dann nehmen Sie sich Ihr Mushörnchen nur ganz ruhig vor , Fräulein Dahlen , " lachte er zum Gaudium der Klasse , " wir sind doch keine Barbaren , daß wir Sie dem Hungertode preisgeben werden . "
Er schritt wieder zum Katheder .
Hilde aber schmeckte das unglückselige Mushörnchen auf einmal kein bißchen mehr .
Ihre ganze Wut , daß sie sich Doktor Werner gegenüber schon wieder einmal so kindisch benommen hatte , ließ Hilde in der nächsten Stunde an dem unschuldigen " Wickelkind " aus .
Fräulein Studienassessor Geßner , die seit kurzem am Gymnasium Geschichtsunterricht erteilte , machte wirklich , wenn sie ihre Autorität den Schülerinnen gegenüber schwinden fühlte , ein so hilfloses Kindergesicht , daß man sie allgemein das " Wickelkind " nannte .
Fast alle aus der Klasse kamen Fräulein Doktor Geßners Wunsch , sich beim Antworten von den Plätzen zu erheben , nach .
Nur Hilde und einige Getreue waren nach wie vor widerspenstig und wollten sich dieses Zeichen ihrer Würde nicht rauben lassen .
In unüberlegtem Mutwillen erschwerten sie der armen Lehrerin ihr neues Amt nach Möglichkeit .
Und dabei verstand das " Wickelkind " es entschieden , den Unterricht interessant zu gestalten .
Sie stellte kluge , anregende Fragen , und die jungen Mädchen beteiligten sich fast alle interessiert und gaben klare aufgeweckte Antworten .
Auch Hilde , die im Geschichtsunterricht schon in der Schule geglänzt hatte , hätte gern teilgenommen , aber ihr Stolz gab es nicht zu .
Unmöglich konnte sie sich doch beim " Wickelkind " wie ein Schulmädel melden .
Fräulein Doktor Geßner trug aus den Bauernkriegen vor .
Hilde hatte fleißig darüber in Vaters Werken nachgelesen .
Aber sie machte ein möglichst gleichgültiges Gesicht und tat , als ob sie gelangweilt aus dem Fenster schaute .
" Wissen Sie wirklich nicht , Hilde Dahlen , auf welche Weise Thomas Münzer sein Ende fand ? "
Fräulein Doktors Augen ruhten mißbilligend auf der teilnahmlosen Hilde .
" Natürlich weiß ich es . "
Hilde lehnte sich überlegen auf ihren Platz zurück .
" Und warum melden Sie sich nicht ? "
Fräulein Geßners Stimme klang ein wenig gereizt .
" Ich bin kein Baby . "
Hilde blickte starr zur Decke empor .
Fräulein Doktor Geßner atmete erregt .
" Stehen Sie auf , wenn Sie mit mir sprechen . "
Die klugen Züge der jungen Lehrerin wurden bleich .
Hilde blieb sitzen .
" Verstehen Sie mich nicht , Hilde Dahlen ? "
Ihre Stimme zitterte leicht .
" So stehe doch auf , Heldchen , " flüsterte Daisy bittend der Freundin zu .
Aber Hildens Trotz war geweckt .
Mit neugierigen Augen sahen die anderen der Entwicklung des Kampfes zu .
" Hilde Dahlen , bitte folgen Sie mir zum Direktor . "
Fräulein Studienassessor raffte den letzten Rest ihrer Energie zusammen .
" Ich bin Obersekundanerin und kein Schulmädel , " kam es erbittert von Hildes trotzigen Lippen , " ich verlange von Ihnen dieselbe Behandlung , die uns alle übrigen Lehrer zuteil werden lassen . "
Sie blieb immer noch sitzen .
Fräulein Doktor Geßner machte ihr hilflosestes Wickelkindgesicht , aber merkwürdigerweise mokierte Hilde sich nicht wie sonst darüber .
Diese gequälten traurigen Augen der jungen Lehrerin taten ihr plötzlich weh .
War sie zu weit gegangen ?
Gefaßt nahm Fräulein Doktor den Unterricht wieder auf , aber über ihren klugen Augen hing es wie ein verhaltener Tränenschleier .
Hildes Herz schlug ungestüm .
Sie wagte während der ganzen Stunde das blasse betrübte Gesicht auf dem Katheder nicht anzusehen .
Sie hätte die Sache gern ungeschehen gemacht .
" Bitte noch auf ein Wort , Hilde Dahlen , " sagte die junge Lehrerin mit leiser Stimme nach Schluß der Stunde .
Hilde blieb in unbehaglicher Stimmung zurück .
" Ich sehe ein , " begann Fräulein Studienassessor mit zuckenden Lippen , " daß ich den feindlichen Strömungen hier in der Klasse nicht gewachsen bin .
Ich kam mit einem Herzen voll Liebe zu Ihnen , ich hoffte freundschaftliche Gesinnung , gegenseitiges Verstehen und getreuliches Miteinanderarbeiten bei den erwachsenen Mädchen zu finden - ich habe mich getäuscht !
Ihr heutiges Verhalten , Hilde Dahlen , zwingt mich , mich an eine andere Anstalt versetzen zu lassen .
Ihnen , Hilde , aber wünsche ich , daß Ihnen das Leben solch bittere Stunde erspart , wie Sie mir sie heute bereitet haben . "
Fräulein Doktor Geßner fuhr sich mit der Hand über die feuchtglänzenden Augen .
Hildes rosiges Gesicht hatte jähe Blässe überzogen .
Ihr Atem stockte .
Das war keine Strafpredigt , nein , das war tiefempfundener Seelenschmerz , der aus innerstem Herzen hervorquoll und daher auch den Weg zu Hildes warmem Herzen fand .
Sie war ja nicht schlecht - nur übermütig und eigenwillig !
Ehe es sich Fräulein Doktor versah , hatte die heißblütige Hilde beide Arme um den Hals der Lehrerin geschlungen .
Ein tränenüberströmtes Gesicht preßte sich zärtlich gegen die bleiche Wange Fräulein Geßners und unter stoßweisem Schluchzen kam es von Hildes Lippen : " Ach , Fräulein Doktor , liebes Fräulein Geßner , versuchen Sie es doch nur noch einmal mit uns .
Wir sind ja gar nicht so schlecht , wie Sie glauben .
Gehen Sie nicht fort , Fräulein Geßner !
Ich bedauere ja so sehr , Sie vorhin geärgert zu haben .
Nicht wahr , Sie bleiben ? "
Flehentlich sahen die aufrichtigen braunen Augen die junge Lehrerin an .
Der wurde es mit einem Male ganz warm ums Herz .
So hatte sie sich in Hilde Dahlen doch getäuscht , und die widerspenstige Schale verbarg einen goldenen Kern ?
Warm drückte sie dem jungen Mädchen die Hand .
" Ich glaube Ihnen , Hilde , " sagte sie leise , " solche Augen können nicht lügen .
Wohlan , versuchen wir es noch einmal miteinander . "
Und Fräulein Doktor Geßner hatte ihren Entschluß niemals zu bereuen .
Hilde sorgte mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit dafür , daß keine ihrem Wickelkind etwas zuleide tat ; ihr , die bei allen Streichen stets die erste war , folgten die Gefährtinnen nun auch blindlings , die Stellung Fräulein Doktor Geßners in der Klasse zu festigen und ein herzliches Verhältnis zwischen ihr und den Schülerinnen zu schaffen . -
Hilde aber hatte in der jungen Lehrerin eine Freundin für das ganze Leben gewonnen .
Spätsommer Die großen Ferien waren vorüber .
Hilde hatte diesmal " kuschen " müssen und daheim bleiben , denn Frau Doktor Dahlen mochte in diesem verregneten Sommer keinen Landaufenthalt nehmen .
Der Vater freilich mußte auf Anraten eines befreundeten Kollegen ein Sanatorium aufsuchen , er hatte sich in der Praxis überangestrengt und bedurfte dringend der Erholung .
Auch die Brüder , denen sich Günter Berndt als Dritter angeschlossen hatte , waren vierzehn Tage durch das Riesengebirge gewandert .
Aber einsam war es Hilde trotzdem nicht , denn Daisy , ihre liebe Daisy , wohnte die ganzen fünf Wochen über bei ihr .
Das war eine wundervolle Zeit .
Daisys Tante wollte zwar erst nicht recht heran ; in dem Hause des Arztes , im steten Zusammensein mit der verwilderten Hilde , der sie den Schabernack , den diese ihrer Fränze gespielt , immer noch nicht vergessen hatte , würde Daisy sicherlich nicht gut beeinflußt werden .
Aber der Geiz gab schließlich den Ausschlag .
Was Daisys Bitten und Betteln nicht gelang , das tat die Überlegung , das Haus während ihrer Reise dann einfach zuschließen zu können .
Denn Daisy in das teure Nordseebad mitzunehmen , der Gedanke kam der lieblosen Frau überhaupt nicht .
So siedelte Daisy eines Tages glückstrahlend mit Sack und Pack in das Mädchenstübchen des Dahlenschen Hauses über , wo sie mit offenen Armen empfangen wurde .
Hilde , die sich nur schweren Herzens von Fräulein Doktor Geßner , den lustigen Gefährtinnen im Gymnasium und vor allem von gewissen Augen getrennt hatte , begriff jetzt gar nicht mehr , daß sie sich so vor den Ferien gegrault hatte .
Wie ein Kind freute sie sich von einem Tage zum anderen .
Des Morgens mußte Frau Doktor Dahlen immer wieder gegen die Tür klopfen , bis ihre jungen Damen sichtbar wurden ; das Anziehen dauerte jetzt gerade noch einmal so lange wie sonst .
Die beiden turnten in der Früh und hatten gar viel miteinander zu schwatzen und zu kichern .
Dann räumten sie miteinander ihr Zimmer auf und besorgten den Einkauf .
" Ach , Daisy , wenn du doch meine Schwester wärst , es ist ja so herrlich , alles gemeinsam unternehmen zu können , " seufzte Hilde oft .
Vormittags wurde Tennis gespielt , gerudert oder geschwommen .
Jeden Tag aber blieb eine festgesetzte Stunde für die Arbeit , täglich wurde etwas anderes wiederholt , darauf hielt die gewissenhafte Daisy .
Das schönste aber waren die Nachmittage , da machte sich Frau Doktor Dahlen von allen Haushaltspflichten frei und wanderte , wenn das Wetter nur einigermaßen war , mit den jungen Mädchen hinaus ins Grüne .
Hildes Mutter hatte es verstanden , sich die Jugend des Herzens und die Frische des Gemüts selbst in vorgerückten Jahren zu bewahren .
Sie war die heiterste und bestgelaunteste von den Drei .
Ein inniges Verhältnis erblühte in diesen Tagen schrankenlosen Beisammenseins zwischen Mutter und Tochter , wie zu einer älteren Freundin sah Hilde zu ihrer Mutter auf .
Daisy verehrte Frau Doktor Dahlen mit der ganzen großen Liebe ihres verwaisten Herzens ; sie war voll rührender Dankbarkeit und zartester Rücksichtnahme für die Mutter der Freundin , und unbewußt fiel durch ihr gutes Beispiel manch Samenkorn in Hildes empfängliches Herz , das dort keimte und später edle Frucht trug . -
Durch die von der ersterbenden Sonne in flüssiges Kupfer getauchte Welt wanderten die drei gegen Abend durch die Fluren , und harmonisch verschmolz Frau Doktor Dahlens Sopran mit der wunderbaren , weichen Altstimme Daisys .
Dann war es , als ob jedes Ding in der Natur den Atem anhielte und den herrlichen Tönen lauschte ; die zwitschernden Vöglein , die surrenden Käfer , die zirpenden Heimchen am Wege , ja selbst der leise wehende Abendwind schien plötzlich innezuhalten .
Auch die unmusikalische Hilde hörte wie gebannt zu .
Das war die erhebendste Stunde des Tages .
" Daisy , du solltest wirklich Gesangunterricht nehmen , es ist ein Jammer , daß eine so selten schöne Stimme wie die deine nicht ausgebildet wird , " sagte Frau Doktor Dahlen oft .
" Lassen Sie das bloß nicht Tante Malwine hören , Frau Doktor , " lachte Daisy dann , " die will es durchaus nicht wahr haben , daß an meiner Stimme etwas Besonderes ist .
Ich glaube , sie hat Angst , daß ich in die Fußstapfen meines lieben verstorbenen Vaters trete und ebenfalls zur Bühne gehe . "
" Oder sie fürchtet , daß Fränzes heiseres Gekrächze einem noch mehr auf die Nerven fällt , wenn man deine Stimme daneben hört , meine Daisy . "
Zärtlich schlang Hilde den Arm um die Freundin .
" Hilde , Hilde , dein loses Mundwerk läuft schon wieder davon , " drohte Mama scherzend .
- Aus Nord und Süd , aus Ost und West flatterten Grüße , nach Bergwind duftend oder Meeresrauschen ausströmend , in das stille Dahlensche Heim .
Der Vater schrieb befriedigende Briefe , die Brüder feuchtfröhliche Bierkarten , die Mitschülerinnen ließen fast alle etwas von sich hören und schwärmten von dem Schönen , das sie zu sehen bekamen .
Und Fräulein Doktor Geßner sandte Hilde alle paar Tage von ihrer herrlichen Tour durch das Berner Oberland freundschaftliche Grüße .
Der Stoß Ansichtskarten häufte sich von Tag zu Tag , Daisy aber fand die am allerschönsten , auf denen in irgend einer Ecke die Worte " Besten Gruß !
Günter Berndt " prangten .
Sie suchte stets zuerst nach seinen festen steilen Schriftzügen und starrte auf die kurzen , sich meist gleichbleibenden Worte , als ob sie eine Offenbarung enthielten .
Fünf Wochen sind eine lange Zeit , aber schließlich gehen auch sie vorüber .
Einer nach dem anderen der Ausflügler rückte sonnengebräunt , mit klarem Auge und erfrischtem Geiste wieder in die Heimat ein .
Daisy kehrte schweren Herzens zu den Verwandten zurück .
Das regelmäßige Gleichmaß der Tage trat wieder in seine Rechte , der Unterricht auf dem Gymnasium begann .
Die Mädel waren von ihrem Germanicus begeistert .
Die Gletschersonne hatte sein Gesicht scharf gebräunt , seltsam hob sich sein helles Haar und die weiß gebliebene Stirn von dem dunklen Hautton ab .
Aber es stand ihm ganz famos , fanden alle , einfach süß sah er aus !
Auch Hilde gestand es sich heimlich zu , Doktor Werner sah jetzt womöglich noch männlicher und bedeutender aus .
Unverwandt sah sie ihn die ganze Stunde über an .
Ein übermütig keckes Wesen hatte er von der Alm mit heimgebracht .
Er ließ sich in der ersten Stunde von den jungen Damen ihre Erlebnisse berichten und erzählte auch selbst einiges von seinen halsbrecherischen Besteigungen .
Noch nachträglich klopfte Hildes Herz vor Angst und Sorge .
" Na , Fräulein Dahlen , und Sie , wo haben Sie sich Ihre schönen roten Backen geholt ? " fragte er freundlich , Hildes flammendes Gesichtchen musternd .
" Ich - ich habe fleißig den Monte Croce bei Berlin bestiegen , die Bergluft ist mir so fein bekommen , " lachte sie schelmisch .
" O - o - gar nicht herausgewesen ? " er sah sie bedauernd an , " das tut mir leid ! "
" Es war aber auch hier sehr hübsch , Herr Doktor , " beteuerte Hilde eifrig , " Daisy und ich , wir haben die ganze Umgegend unsicher gemacht - fein war_es ! "
- Der erste Schultag verging , andere folgten , einer wie der andere - bald war_es , als ob das Einerlei der täglichen Arbeit niemals unterbrochen worden wäre .
Heute schrieb man französisches Extemporale bei Fräulein Doktor Kurz .
Es war schauderhaft schwer , lauter Konjunktivformen .
Hilde mußte höllisch aufpassen , das heißt auf das , was Daisy neben ihr niederschrieb .
Und trotzdem mitten in einem schwierigen Satze flüsterte sie plötzlich der Freundin zu :
" Du - Daisy - hörst du - denke Mal , Günter Berndt hat gestern sein Doktorexamen bestanden mit Auszeichnung - in drei Tagen geht er zur See nach Indien - will Schiffsarzt werden , sechs Monate bleibt er fort ! "
Daisys Blutlauf stockte - sie griff sich mit der Hand nach dem wild schlagenden Herzen , sie wußte nichts mehr von Konjunktiv und Indikativ , mechanisch schrieb sie die Formen nieder - " er geht fort - in die weite Welt " .
- Unaufhörlich kreiste dieser Gedanke in ihrem Hirn .
" Aber , Daisy Greeham , was haben Sie nur gemacht , was soll ich denn bloß von Ihnen denken ? " fragte am nächsten Tage Fräulein Studienrat , die Stirn furchend .
" Bis zur Hälfte haben Sie ein vollständig fehlerfreies Extemporale geschrieben und mit einem Male Fehler über Fehler .
Sie schreiben hier Formen , wie sie ein Kind in der sechsten Klasse nicht bilden würde .
Wenn Ihnen das nun zum Abiturium passiert ! "
Daisy sah bleich und abgespannt aus .
" Mir wurde gestern mit einem Male so elend , Fräulein Doktor , " stotterte sie verlegen , " indeed , ich verstand gar nicht mehr , was Sie sagten . "
" Sie sehen auch heute noch blaß aus , Daisy , " Fräulein Doktor Kurz schaute sie prüfend an , " ein wenig nervös und überarbeitet , was ?
Na , lassen Sie sich zu Hause nur schön pflegen ! "
Sie wandte sich zu Hilde .
" Und Sie , Hilde Dahlen , war Ihnen auch elend ? "
Hilde blickte verwundert auf .
" Mir - nein - mir war ganz vorzüglich zumute ! "
" Merkwürdig , Ihr Extemporale ist ebenfalls bis auf einige Flüchtigkeitsfehler zur Hälfte fehlerlos , und dann schreiben auch Sie den größten Blödsinn von der Welt , in edler Übereinstimmung mit Daisy Greeham .
Ich werde die Freundinnen doch wohl auseinandersetzen müssen . "
Hilde blieb kaltblütig , sie war es gewöhnt , öfters Mal beim Abschreiben abgefaßt zu werden .
Nur bei Doktor Werner machte sie prinzipiell keine Schielübungen mehr , den wollte sie nie wieder betrügen .
Fräulein Doktor Kurz schenkte sich für heute ihre Moralpredigt , sie war besonders guter Laune , und das machten sich die jungen Mädchen zunutze .
" Fräulein Studienrat , liebes Fräulein Doktor , " bettelten sie , " nun ist doch das Wetter beständiger , jetzt kann doch unser längst geplanter Dampferausflug stattfinden ; ja , dürfen wir die Lehrer und Lehrerinnen zu nächstem Sonnabend einladen ? "
Jubelnd umringten die großen Mädchen die lächelnd Gewährung nickende Lehrerin , und der Ausflug war beschlossene Sache .
Den ersten Korb gab der alte Professor Collmann , der Latein lehrte , der Klasse .
Er sei wasserscheu , meinte er , eine Dampferfahrt ihm zu gefährlich , und seine Glieder schon zu steif , um vorher noch Schwimmunterricht zu nehmen .
Lautes Gelächter der gesamten Klasse lohnte wie stets Professor Zollmanns Witz ; denn das war eine Schwäche des alten Herrn , daß er seine Bonmots gebührend belacht wissen wollte .
Der Spätsommer schien alles Versäumte wieder gut machen zu wollen .
Heiß und blendend hing die Sonne am graublauen Dunsthimmel , bleiern schwer legte sich die ungewohnte drückende Wärme auf die Augen .
Hilde war ganz schläfrig zumute .
Die lateinische Lektüre war auch nicht gerade dazu angetan , sie munter zu halten ; ein halb dutzendmal hatte sie wohl schon hintereinander gegähnt .
" Daisy , ich sterbe vor Langeweile .
Ich bin ja so schrecklich müde .
Setze dich Mal ein kleines bißchen vor - so - ich werde jetzt eine kleine Siesta halten ; wenn Collmann einen Witz macht und gelacht werden muß , kannst du mir einen Stoß geben . "
Sie stützte den Kopf in die Hände , daß ihr Gesicht unsichtbar blieb , neigte sich tief über den Cornelius Nepos und schlief wirklich bei dem monotonen Geräusch des einförmigen Übersetzens sanft ein .
" Bitte , weiter Mal - die - die - na , Mal Hilde Dahlen , " sagte Professor Collmann sich räuspernd .
Hilde schlief fest und rührte sich nicht .
Tiefe , gleichmäßige Atemzüge entquollen ihren halbgeöffneten Lippen .
Professor Collmann sah sich suchend um .
" Ja - also - die - die - Hilde Dahlen , bitte , " er putzte sich angelegentlich die goldene Brille .
Daisy gab der immer noch schlummernden Hilde einen derben Stoß .
Verschlafen fuhr diese empor .
Lachende Gesichter ringsherum - gewiß hatte Collmann wieder einen Witz gemacht - und " ha - ha - ha - ha - ha , " legte Hilde plötzlich los , sie brach in ein wieherndes Gelächter aus .
Ein nicht endenwollendes Lachen der Klasse folgte .
" Hilde , bist du verdreht , du sollst übersetzen , " rief ihr Daisy entsetzt mit gedämpfter Stimme zu .
Der alte Collmann aber setzte sich verdutzt die Brille auf die kurze Nase und blickte mit erschreckten Augen zu der lachenden Hilde hinüber - war sie verrückt geworden ?
Seit diesem Tage sah Professor Collmann Hilde Dahlen häufig mißtrauisch von der Seite an ; war sie wirklich geistig ganz normal ?
Er traute dem Frieden nicht recht . -
Das Abschiedslied Was ziehen wir an ?
Diese Frage bildete jetzt einen wichtigen Faktor in dem Gedankengange der jungen Mädchen ; sie waren doch nicht blaustrümpfig genug , um nicht alle die weibliche Eitelkeit zu besitzen , sich möglichst schön zur Landpartie zu machen .
Das Wetter schien warm und sonnig zu bleiben , da konnte man noch einmal die hellen Sommerkleider hervorsuchen .
Nur Daisy beteiligte sich nicht an den eifrigen Toilettendebatten , erstens war die Auswahl ihrer einfachen Kleider keine allzu große , und zweitens war sie mit ihren Gedanken überhaupt gar nicht bei dem Dampferausflug .
Morgen reiste Günter Berndt nach Hamburg , und dann schiffte er sich ein zu dem fernen , fernen Erdteil .
Ach , wenn nur kein Sturm dem " Bismarck " , auf den er an Bord ging , drohte , keine ruhige Minute würde sie jetzt sechs Monate lang mehr haben .
Heute schon zitterte und bangte sie für ihn , dem sie doch so vollständig gleichgültig war , der ihr jedesmal , wenn sie ihn bei Dahlens traf , so kühl und gemessen entgegentrat .
Seit jenem Regentage , wo er ihr die Markttasche getragen und wo sie seine freundlichen Worte so häßlich zurückgewiesen , war er steif und förmlich gegen sie geworden .
Was war sie doch für ein törichtes Mädchen , daß sie so unsagbar darunter litt , daß sie allen guten Vorsätzen zum Trotz wieder und wieder an ihn denken mußte .
Heute , am letzten Abend , war er noch einmal bei Dahlens , Hilde hatte es erzählt .
" Komme doch auch , " hatte Hilde harmlos gesagt , " Günter Berndt ist jetzt nach dem Examen viel verdaulicher geworden .
Es wird sicher ein fideler Abend werden . "
" Nein , nein , ich muß arbeiten . "
Daisy hatte so eifrig abgewehrt , als ob ihr Hilde wer weiß was für eine Zumutung gemacht hätte .
Und jetzt hätte sie sich dafür prügeln können .
Sie saß an dem alten kleinen Schreibtisch , der noch aus der Mädchenzeit ihrer Mutter stammte , und starrte abwesend in das Physikbuch .
Es war ihr nicht möglich , die Gedanken zur Arbeit zu sammeln , die kommunizierenden Röhren waren ihr totgleichgültig .
Jetzt war Günter Berndt gewiß schon bei Dahlens , und morgen ging er fort - für lange Zeit !
Hätte sie doch Hildens Einladung angenommen !
In Gedanken verloren stützte sie den Kopf in die Hand und schaute Fränzen zu , die vor dem Spiegel eine neue Haarfrisur ausprobte .
Wie die Nordseesonne den kräftigen Hautton der Cousine verbrannt hatte , krebsrot sah sie aus .
Heute abend gingen die Verwandten alle zum Geburtstag einer Tante , sie hatte man wie gewöhnlich nicht mit aufgefordert .
Wie schön hätte sie den freien Abend bei Dahlens verbringen können - sollte sie noch ...
" Nein , " sagte sie plötzlich laut und schroff zu sich selbst .
Fränze fuhr empor .
" Was ist denn los ? "
" Ach , nichts , gar nichts . "
Daisy strich sich erschreckt mit der Hand über die Augen und beugte verwirrt den Kopf wieder über das Buch .
" Man nimmt eine U-förmig gebogene Röhre , füllt sie mit Wasser und dann steigt die Flüssigkeit in beiden Röhren zu gleicher Höhe , " murmelte sie mechanisch vor sich hin , ohne den Sinn der Worte zu fassen .
Ob er sehr bleich und überarbeitet aussah ?
Sie hatte ihn noch gar nicht nach dem Examen gesehen , wenn sie am Ende doch noch ... Seufzend klappte sie das Physikbuch zu .
Sie wollte es lieber mit der französischen Präparation versuchen , Racine nahm die Gedanken doch mehr in Anspruch als die öde Physik .
Fränze war nun glücklich gegangen , so hatte sie einen stillen Abend zur ungestörten Arbeit .
Also fort mit den dummen Träumereien und forsch ans Übersetzen ; eifrig begann Daisy in ihrer Ledermappe zu kramen .
Wo war denn nur ihr Vokabelheft ?
Mindestens zehn Seiten Vokabeln hatte sie schon herausgezogen - ach , richtig - Hilde hatte es sich ja gestern von ihr geliehen , die sich die Arbeit erleichtern und die Vokabeln von ihr abschreiben wollte .
Ein glückselig triumphierendes Lächeln verklärte plötzlich Daisys Gesicht .
Nun mußte sie doch - nun ging es nicht anders - und schon hatte sie den Hut aufgestülpt und eilte spornstreichs , ohne auch nur noch einen Blick in den Spiegel zu werfen , die Treppe hinab und die Straße entlang , dem Hause der Freundin zu .
Hilde quietschte direkt vor Freude , als Daisy so unerwartet vor ihr stand , jubelnd zog sie die Freundin ins Zimmer .
Da saßen sie alle um den runden gemütlichen Tisch , Hildes Eltern , die Brüder und neben Richard ein bleiches Antlitz mit dunkelumschatteten Augen - hatte es nicht eben in den grauen Augen ein ganz klein wenig aufgeleuchtet , als Daisy unvermutet ins Zimmer trat ?
Es war wohl Täuschung , denn Günter Berndt ergriff nur flüchtig Daisys dargebotene Rechte und erwiderte ihren schnell hervorgestoßenen Glückwunsch nur mit einer leichten Verbeugung .
" Das ist recht , Daisy , " meinte Richard , ihr einen Stuhl an den Tisch schiebend , " daß Sie Freund Günter Fortfeiern helfen .
Sehen Sie sich nur das Bleichgesicht einmal an , grün- und gelbkariert sieht der arme Kerl aus , ja , » magna cum laude « will errungen sein . "
" Mache doch Miß Greeham nicht bange , Richard , " wehrte Günter ab , " wie lange wird es dauern , und sie steht an derselben Stelle . "
Daisy bis sich auf die Lippen .
Da hatte er doch schon wieder die Rede auf ihr Studium gebracht , in jedem Gespräch zielte er darauf hin , er sah nur noch die künftige Kollegin in ihr .
" Daisy , du stehst ja da wie 'ne Katze , wenn es donnert , " lachte Hilde los , " setze ' doch den Hut ab und mache es dir bequem ; möchtest du Tee oder Bier ? "
" Nein , danke , ich will gleich wieder fort .
Nur mein Vokabelheft mußte ich mir holen , Hilde , ich konnte absolut nicht weiter präparieren , " so - nun wußte Günter Berndt doch wenigstens , daß sie nicht etwa seinetwegen gekommen .
" Ausgeschlossen - einfach ausgeschlossen , " damit hatte Hilde Daisy geschickt den Hut entrissen , und der lange Max hängte ihn gefällig hoch oben an die Deckenbeleuchtung .
" Sehen Sie - nun gibt es kein Auskneifen mehr , Daisy , " neckte er , " Französisch können Sie auch noch morgen genießen , das läuft nicht davon ; aber Günter Berndt können Sie morgen nicht mehr sehen , der ist dann schon beinahe in Kalkutta . "
Daisy warf einen schnellen Blick zu Günter herüber - keine Miene zuckte in seinem ruhigen Gesicht .
" Bitte , Max , geben Sie meinen Hut her .
Hilde , indeed I musst go , es ist niemand zu Hause ... "
" Na also - dann kannst du dir überhaupt jedes weitere Wort sparen , Daisy .
Sei doch nicht so ungemütlich !
Hier hast du einen Teller - so , nun esse .
Ja , ich weiß schon , was du sagen willst , nach Hause gebracht wirst du , auch vor zehn Uhr , wenn du keinen Schlüssel hast ! " damit hatte Hilde Daisy auf einen Stuhl niedergedrückt und begann eifrig , ihr Salat vorzulegen .
Die weiche , nachgiebige Daisy vermochte ihren Widerspruch nicht länger aufrecht zu halten .
Bald hatte sie das beklemmende Gefühl , das die grauen Augen ihr gegenüber verursachten , überwunden und vermochte unbefangen in das übermütige Scherzen und Lachen der anderen einzustimmen .
" Günter , bist du auch seefest ? " erkundigte sich Richard .
" Ich denke , " meinte dieser erstaunt .
" Na , sonst könntest du ja meinen Vater noch Mal konsultieren , bist hier ja im Hause eines Augenarztes , " ulkte Richard ihn an .
" Au - " machten alle , und Hilde gab dem Bruder für den schlechten Witz einen schwesterlichen Puff .
Günter Berndt hatte seine strahlendste Laune mitgebracht , so hatte Daisy ihn noch nie gesehen .
Er dichtete aus dem Stegreif und sang mit prachtvollem Bariton Kneiplieder , in welche die ganze Korona dröhnend mit einfiel .
" Daisy , warum schweigst du in allen Tonarten und bohrst mit deinen Blicken ein Loch in die Luft ? " fragte Frau Doktor Dahlen lächelnd , " wem der liebe Gott eine so schöne Stimme gegeben hat wie dir , der hat auch die Verpflichtung , sie vor seinen Mitmenschen erschallen zu lassen . "
" Sie singen , gnädiges Fräulein ? - davon hatte ich ja keine Ahnung , " Günter Berndt wandte sich interessiert Daisy zu .
Es war das erstemal heute abend , daß er sie direkt ansprach .
" Sie haben eben von vielem keine Ahnung , was meine Daisy kann , " Hilde streichelte zärtlich Daisys schlanke Hand und sah Günter schnippisch an .
" Frieden halten , Hilde , " lachte dieser , " heute am letzten Abend ist Waffenstillstand , sonst kriegen Sie keine Ansichtskarte aus Bombay . "
" Singe uns doch ein Lied , Daisychen , " bat die Mutter .
" Genieren - ach , Unsinn , du bist doch ein vernünftiges Mädel ! "
" Ja , singen Sie Günter ein Abschiedslied , Daisy , " Richard begann kunstvoll : " Muß i denn , muß i denn zum Städtle hinaus " , zu pfeifen .
" Und du mein Schatz bleibst hier , " vollendete Max höchst unnötigerweise .
" Na , wo bleibt der Schatz denn eigentlich ? " mischte sich jetzt auch Doktor Dahlen neckend ins Gespräch .
" Los , Günter , beichten Sie Mal ! "
Günter lachte .
" Am Ufer des Ganges wartet sie auf mich , meine schlanke Lotosblume , " scherzte er .
Daisy hatte sich erhoben .
" Ich singe Ihnen das nächste Mal etwas vor , Frau Doktor , " entschuldigte sie sich , " es ist schon drei Viertel zehn , ich komme sonst nicht ins Haus . "
Sie trug die Noten , die Frau Doktor Dahlen schon für sie herausgesucht hatte , ins Nebenzimmer zurück zum Instrument .
" Nein , Daisy , die Uhr geht über zwanzig Minuten vor , du kannst noch eine halbe Stunde bleiben , " rief Hilde hinter ihr her .
Günter Berndt war ihr zum Klavier gefolgt .
Er blätterte in den Noten .
" Bitte , singen Sie mir noch ein Lied - ja ? " bat er leise .
So hatte er sie schon lange nicht mehr angesehen .
Daisy nickte .
Sie sah wie gebannt in die tiefen grauen Augen .
" Was soll ich singen ? "
Ihre Stimme klang verschleiert .
Er schlug das Liederbuch auf .
" Hier , mein Lieblingslied , wollen Sie ? "
Sie warf einen Blick auf das ausgewählte Lied , dann stieg glühendes Rot ihr bis zu dem weichen Blondhaar empor .
Sie nahm auf dem Klavierstuhl Platz .
" Aber bitte , ' reingehen , " bat sie ängstlich , als er Miene machte , sich hinter ihren Stuhl zu stellen , " wenn Sie hier bleiben , kriege ich keinen Ton heraus . "
Er fügte sich ihrem Wünsche .
Das laute Gespräch im Nebenzimmer verstummte plötzlich .
" Er ist gekommen in Sturm und Regen , Er hat genommen mein Herz verwegen , " tönte es in glockenreinen Tönen zu ihnen hinein .
Ein klein wenig gepreßt klang die weiche Altstimme im Anfang , dann aber schien sie jede einengende Fessel abzustreifen , jubelnd schwoll sie zum Schluß des Liedes an .
Traumverloren ließ Daisy die Finger von den Tasten gleiten .
Der Morgen stand wieder deutlich vor ihren Blicken , wo er in Sturm und Regen gekommen war , und wo sie auf seine lieben Worte nur eine schroffe Zurückweisung gehabt .
Und jetzt stand er wieder an ihrer Seite , und in seinem bleichen Gesicht zuckte es vor Erregung .
" Ich danke Ihnen , Miß Daisy , " endlich nannte er sie wieder beim Vornamen , " Ihr Sang wird mich in die Fremde geleiten und mir dort die ferne Heimat vorzaubern . "
Tief tauchte sein Blick in ihr Auge .
Daisys Wimpern senkten sich .
Es brauste und toste vor ihren Ohren , es flimmerte ihr vor den Augen , sie mußte sich fest auf das Instrument stützen .
Hilde und die Brüder umringten sie beifallspendend , auch Frau Doktor Dahlen klopfte ihr die heiße Wange und meinte anerkennend :
" Kind , so schön hast du noch nie gesungen ! "
Zehn tiefe Schläge hallten plötzlich von der großen Standuhr durch das Zimmer , es war höchste Zeit zum Aufbruch .
Max machte Miene , Daisy zu begleiten .
" Bleibe da , Max , " Günter Berndt war bereits in seinen Ulster geschlüpft , " ich gehe sowieso jetzt , muß morgen früh heraus .
Ich habe ja denselben Weg wie Miß Greeham . "
Noch ein energisches Händeschütteln , viele gute Wünsche für die Seefahrt , lachende Neckworte und scherzende Gegenrede , und dann standen Daisy und Günter Berndt unten in der stillen Straße .
Schweigend schritten sie nebeneinander her .
Jeder von ihnen war mit seinen Gedanken beschäftigt , und diese drehten sich merkwürdigerweise beiderseits um den anderen .
Daisy empfand dieses stumme Nebeneinandergehen drückend , sie mußte unbedingt etwas sagen .
" Ich bedaure sehr , daß Sie meinetwegen so früh aufbrechen mußten , " es fiel ihr absolut nichts Gescheiteres ein .
Er sah gerade vor sich hin .
" Nach Ihrem Lied mochte ich nichts anderes mehr hören , das will ich still in mir verklingen lassen . "
Daisy empfand den warmen Klang seiner Stimme , als ob eine zärtliche Hand ihr kosend über das Gesicht strich .
Sie hatten die Wohnung erreicht .
" Ihr heutiges Lied , Miß Daisy , " fuhr er langsam , Wort für Wort betonend , fort , " hat abstoßende Worte in meinem Gedächtnis ausgelöscht , es hat häßliche Monate versinken lassen .
Wollen wir uns wieder vertragen , Miß Daisy ? "
Er hielt ihr die Hand hin .
Schüchtern schmiegten sich die bebenden Mädchenfinger in die kräftige Hand des Mannes .
" Also sind wir wieder gut ? " fragte er weich .
Sie nickte - die Brust war ihr so eingeengt .
" Sehr gut -
Daisy ? "
" Sehr gut , " wie ein Hauch nur schwebten Daisys Worte zu Günters Ohr .
Da preßte er ungestüm seine heißen Lippen auf die kühle Hand , die er immer noch umfangen hielt , einmal - noch einmal - und dann hatte sich Daisy losgerissen und war in dem dunklen Treppenflur verschwunden .
Er starrte ihr nach .
Und leise , ganz leise , öffnete sich noch einmal die Haustür , ein heißes Mädchengesicht schaute hinaus , blaue Augen grüßten lieb , und eine gepreßte Stimme flüsterte :
" Leben Sie wohl - und reisen Sie glücklich ! "
Dann schlug das schwere Haustor hinter Daisy zu .
Eine Landpartie Auf den Brücken der Oberspree standen barfüßige Jungen und kleine Mädchen und begrüßten mit lautem Hallo den unter der Brücke durchfahrenden buntbewimpelten Dampfer .
Aber nicht nur die Berliner Straßenjugend verfolgte das lustige Fahrzeug mit sehnsüchtigen Blicken , auch jeder der Vorübergehenden blieb stehen und hatte seine Freude an dem anmutigen Anblick , den die festlich gekleideten Mädchen dort unten auf dem laut tutenden Dampfer boten .
Kein Gedanke heute an Latein und Mathematik .
Der ganze gelehrte Kram war heute aufs strengste verbannt , Übermut und Frohsinn , heiteres Lachen , Scherz und Sang erscholl aus den jungen Kehlen ; auch die Lehrenden waren wieder jung und fröhlich mit den Fröhlichen .
Hilde thronte hoch oben am Bug des Schiffes .
Sie hatte bereits mit dem berußten Klingeljungen Freundschaft geschlossen und schenkte ihm großmütig einige gebrannte Mandeln aus der umfangreichen Tüte , die sie in ihrer nächsten Umgebung eifrig hin und her wandern ließ , Fräulein Doktor Geßner , die Hilde gegenübersaß , konnte schon keine gebrannte Mandel mehr sehen , wie sie der sie stets aufs neue quälenden Hilde immer wieder versicherte , und die für Süßigkeiten sonst so empfängliche Daisy war heute sonderbarerweise auch keine rechte Abnehmerin .
Die starrte mit verlorenem Blick in den silberweißen Wellengischt , den der Dampfer erzeugte , und betrachtete dann wieder sinnend ihre schmale , weiße Rechte .
Ein verträumtes Lächeln lag in den blauen Augen .
" Daisy , du döst ja schon wieder , haben die Spreenixen es dir dort unten angetan ? "
Hilde lehnte sich ebenfalls über das Geländer und schaute in die ziemlich schmutzige Wasserflut .
" Sage ' Mal , Hilde , ist es nicht ganz so , als ob man auf einem richtigen Schiffe über den Ozean fährt ? "
Daisys Augen suchten die Ferne .
" Nee - , " meinte Hilde in unverfälschter Berliner Mundart , " Meerwasser ist sauberer , und das Schiff schaukelt ein bißchen mehr , auch sieht man , glaube ich , keine Ufer mit Fabrikschornsteinen - aber sonst stimmt ! "
Daisy schwieg gekränkt , Hilde hatte doch keine Spur von Phantasie und poetischer Schwärmerei .
Die stand mit ihren kleinen Füßen fest auf dem Boden des Realen .
Auch jetzt wickelte sie recht prosaisch zwei leckere Schinkensemmeln aus und machte sich eifrig an die Vertilgung der einen .
" Daisy , was hast du zum Frühstück mit ? "
" Butterbrot , " war die abwesende Antwort .
" Mit nichts belegt ? " erkundigte sich Hilde interessiert .
Daisy nickte und dachte an Günter Berndt .
Einen Abschiedsblick noch warf Hilde auf ihr verlockendes Brötchen , dann war der heimliche innere Kampf zu Ende .
" Deine Tante Malwine ist ein alter Geizkragen , aber da , Daisychen , " sie drückte der erstaunten Freundin ihre Semmel in die Hand , " wir teilen redlich , ich esse nachher dafür von dir Butterstullen mit . "
Daisy schlang beschämt den Arm um Hilde und bat ihr im stillen die ungerechten Vorwürfe ab , sie hatte doch ein goldenes Herz !
Auch Fräulein Doktor Geßner hatte den Vorgang beobachtet und ihr Urteil über Hildes selbstlosen Charakter wieder einmal bestätigt gefunden .
Freundlich nickte sie ihr zu .
Es war jetzt allgemeine Fütterung auf dem Dampfer .
Die Fahrt dauerte zwei volle Stunden .
Auch Doktor Werner , der von seinen Getreuen umringt war , zog das Frühstücksbrot aus der Tasche .
Hilde hatte sich absichtlich nicht unter die Germanicusschwärmerinnen gesetzt , sie fand das " Ranschmeißen " gräßlich .
Auch gehörte der größte Teil der ihn hofierenden jungen Damen schon der Prima , die ebenfalls an dem Ausflug beteiligt war , an .
Aber immer wieder wanderte Hildes Blick von den in leuchtend bunten Herbsttönen prangenden Ufern zu der angeregten Gruppe , deren Mittelpunkt Doktor Werner bildete , herüber .
Sie hatte es selbst gar nicht gewußt , daß sie solch ein Neidhammel war .
Doktor Werner hatte sich erhoben , er ließ sich von einem der Kollegen Feuer für seine Zigarre geben und schritt dann die schmale Reihe entlang .
Oben am Bug des Dampfers blieb er stehen .
Er schien Hilde , die gerade neben ihm in einen saftigen Pfirsich bis , nicht zu sehen .
Unbehaglich rückte sie auf ihrem Platz hin und her , brühheiß wurde ihr , sie mußte den Hut vom Kopf nehmen .
Der frische , mutwillig einherstürmende Wind kühlte wundervoll die heißen Schläfen , er zauste Hildes schimmerndes hellbraunes Gelock und spielte kosend mit ihren Nackenlöckchen , die sich eigensinnig an dem zarten Halsansatz krausten .
Doktor Werners Blick wanderte jetzt von den kieferumbuschten Ufern zu diesen lustig im Winde flatternden Löckchen ; Hilde hatte den Kopf , ärgerlich über sein völliges Übersehen , mit der ihr eigenen herrischen Bewegung zurückgeworfen und ihm den Rücken gewandt .
Mit unvermuteter Kraft setzte plötzlich der Wind ein , der Hut wurde flüchtig .
" Mein neuer Hut ! " schrie Hilde entsetzt , doch da segelte das unselige Hütchen schon auf den schmutziggrauen Fluten .
Mit einem Satz war Doktor Werner über die Barriere neben dem Klingeljungen .
Die lange Stange , die zum Abstoßen des Schiffes benutzt wurde , handhabte er mit großer Geschicklichkeit , um den Flüchtling wieder zu ergattern .
Weit lag er mit seinem Körper über dem Geländer .
" Herr Doktor - ach , bitte , Herr Doktor - lassen Sie doch um Himmels Willen meinen Hut - ach , kommen Sie doch bloß wieder herauf ! "
bat Hilde in Todesangst .
Doch da stand Doktor Werner schon wieder fest auf beiden Füßen , triumphierend schwang er das aufgeweichte blaue Etwas in der Hand .
Hilde sah ihm mit verstörtem Gesicht entgegen , das Blut wollte noch immer nicht wieder in ihre blaß gewordenen Wangen zurückkehren .
Der lustige Scherz , mit dem Doktor Werner Hilde ihr Eigentum wieder zustellen wollte , erstarb ihm auf den Lippen , als er ihr entfärbtes Gesicht gewahrte - hatte sie um ihn gesorgt ?
" Ist für mich hier wohl ein Plätzchen ? " fragte er höflich Fräulein Geßner , die bereitwillig zur Seite rückte .
Und so saß er nun Hilde gegenüber , schien ernsthaft die immer idyllischer werdende Landschaft zu betrachten und hatte dabei doch nur Auge für sein reizendes Gegenüber , auf dessen lebhaftem Gesicht die Farben jetzt kamen und gingen .
Hilde war zufrieden , als die Fahrt zu Ende war .
Ein unbekanntes Etwas hatte auf dem Dampfer ihre frische Munterkeit eingedämmt .
Erst im Wald bei den harmlosen Spielen gewann sie ihre muntere Beweglichkeit zurück .
In jedem Wettrennen blieb die leichtfüßige Hilde Siegerin .
Wie eine Waldelfe huschte sie in dem leuchtend blauen Voilekleid zwischen den bemoosten Waldstämmen hin und her .
Doktor Werner lehnte gegen eine Blutbuche und sah dem kraftvoll anmutigen Spiel der schlanken Gestalt zu .
Jede Bewegung war ursprünglich und temperamentvoll .
Hilde war heute ganz in ihrem Element .
Ihre Schaukel flog zu Daisys Entsetzen hoch in die Lüfte ; eine Butterdose und einen Stieglitz hatte sie bereits erwürfelt ; und Fräulein Doktor Kurz und einige ältere Lehrerinnen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen , als sie Hilde plötzlich auf einem Pferd im Karussell lachend im Herrensattel herumreiten sahen .
Sie war doch wirklich zu unweiblich , diese Hilde Dahlen !
Am Nachmittag aber , als man die langen Tafeln am Wasser zum Kaffee deckte und den bräunlichen Trank selbst bereitete , da zeigte es sich , daß Hilde doch zu Hause bei ihrer Mutter eine gute Schule durchgemacht haben mußte .
Sie half so geschickt und umsichtig , daß Fräulein Doktor Geßner ihr ihre Anerkennung nicht vorenthielt .
Jede der Lehrerinnen hatte sich eines der jungen Mädchen zur Hilfe gewählt , und Hilde war nicht wenig stolz darauf , daß Fräulein Geßner sie zu ihrem Adjutanten gekürt hatte .
Sie schleppte die weißen Riesenkaffeekannen , die mit lautem Hallo begrüßt wurden , zu den buntgedeckten Tafeln , half den mitgebrachten Kuchen zierlich schneiden und auf die Teller ordnen , sah , daß jeder Milch und Zucker hatte , und schritt geschäftig von einem zum anderen , um den herrlich duftenden Mokka zu kredenzen .
Doktor Werner saß eingekeilt zwischen Martha Tiedemann und Alice Marx , die durch List glücklich die heißersehnten Plätze erwischt hatten .
Von beiden Seiten redeten sie auf ihn ein und merkten es gar nicht , wie wenig ihr Germanicus auf ihre Worte hörte .
Seine Augen folgten Hilde , die ihm bei ihrer hausfraulichen Tätigkeit so gut gefiel wie noch nie .
Es lag etwas Weiches , anmutig Weibliches über das eben noch so wilde , kindische Ding ausgegossen .
Nun kam sie eifrig , die schwere Kanne in beiden Händen haltend , auf Doktor Werner zu , um ihm die Tasse zum zweiten Male zu füllen .
Sein Blick umfaßte ihre liebreizende Gestalt , er machte sie ganz unsicher .
Und da war_es geschehen - die schwärzliche Flüssigkeit rieselte statt in die Tasse über Doktor Werners hellen Sommeranzug .
Hilde starrte mit entsetzten Augen auf die großen dunklen Fleck .
" Aber , Hilde , wie ungeschickt ! " rief Alice Marx empört , während Martha Tiedemann schnell ein Tuch ergriff und eifrig die mißhandelte Jacke zu bearbeiten begann .
Hilde konnte kein Wort der Entschuldigung hervorbringen .
Sie war wie gelähmt vor Schreck .
Schweigend ließ sie die Vorwürfe der Gefährtinnen über sich ergehen , ihre Augen suchten angstvoll in Doktor Werners Mienen zu lesen - war er sehr böse ?
Einige Sekunden nur weidete sich Doktor Werner an Hildes hilflosem Gesicht , dann streckte er ihr lachend die Hand entgegen .
" Fräulein Dahlen , ich glaube gar , Sie nehmen die Sache tragisch , das wäre ja noch schöner - lassen Sie doch meine Jacke in Frieden , Fräulein Tiedemann , ich will den Kaffeefleck zur Erinnerung an unsere heutige Landpartie mit nach Hause bringen - so , Fräulein Dahlen , und nun bitte , nicht mehr solch Armsündergesicht ! "
Die Kaffeetafel war aufgehoben , in zwanglosen Gruppen begab man sich wieder zu dem im bunten Herbstgewand prangenden Walde .
Doktor Werner hatte sich zu Hilde gesellt .
Diese schielte von Zeit zu Zeit immer noch scheu zu dem großen dunkelumrandeten Kaffeefleck hin ; wie unangenehm , daß sie sich gerade Doktor Werner gegenüber so trampelig benommen hatte !
" Sie sind so ungewöhnlich schweigsam , Fräulein Dahlen , " Doktor Werner schaute ihr prüfend in das rosige Gesicht , " sollte dieser Missetäter " - er wies auf den Fleck - " wirklich noch daran schuld sein ? "
Hilde nickte betrübt .
" Aber , liebes Kind , heute morgen habe ich Sie bewundert , mit welchem stoischen Gleichmut Sie das verdorbene Hütchen in Empfang nahmen , und jetzt bringt Sie ein Fleck , der nicht einmal auf Ihrem Kleide prangt , um alle Stimmung .
Auf einer Landpartie macht man doch kein Gesicht wie drei Tage Regenwetter . "
Doktor Werner hatte seinen Zweck erreicht , Hilde lachte wieder ihr herzerquickendes frisches Lachen .
" Papa sagt immer , wenn Mama über ein verdorbenes Kleidungsstück schilt , ein Beinbruch ist schlimmer , " erzählte sie ihm treuherzig .
" Ihr Herr Vater scheint mir ein sehr kluger Mann zu sein , " meinte Doktor Werner lächelnd .
" Vaterchen ist der klügste , schönste und beste von allen Männern auf der Welt , " rief Hilde begeistert .
" Na , das ist nicht gerade schmeichelhaft für uns andere , " neckte Doktor Werner .
Hilde schlugen die Flammen ins Gesicht .
Hilfesuchend packte sie den Arm der vor ihr gehenden Daisy .
" Wir wollen noch Erika pflücken , Herr Doktor , " damit war sie ihm wie ein Wiesel entschlüpft und zog Daisy hinter sich her .
Welche innige Liebe zum Vater , welch warmes kindliches Gefühl hatte eben aus Hildes wenigen Worten geklungen ; sie hatte doch ein tiefes Empfinden und ein sonniges Gemüt dazu , die kleine Hilde !
Doktor Werner schloß sich nachdenklich den übrigen Kollegen an .
Hilde und Daisy gesellten sich zu den übrigen , die sich im Walde malerisch in dem violett schimmernden , bienendurchsummten Heidekraut lagerten .
Ilse Petersen reichte Zigaretten herum .
" Wir dürfen in der Schule nicht rauchen , " mahnte eine Gewissenhafte .
" Hier ist keine Schule , sondern Ausflug , " beruhigte man sie .
Lustig begannen die Mädels drauflos zu paffen .
" Aber wenn Fräulein Kurz uns erwischt , " wandte die brave Daisy ein .
" Ja , sind wir denn Schuljören oder Gymnasiasten ? " begehrte Hilde auf .
" Laßt ihr euch wirklich noch so gängeln ?
Ich nicht .
Ich lasse mir sogar jetzt meine Zigarre schmecken . "
Damit zog sie zum Gaudium der ganzen Gesellschaft eine lederne Zigarrentasche ihres Vaters heraus und steckte sich mit Todesverachtung einen der bräunlichen Glimmstengel in den Mund .
" Um Himmels Willen , Hilde , bist du denn von allen guten Geistern verlassen ? " rief Daisy entsetzt .
" Shocking indeed ! "
Vergeblich versuchte sie Hilde die Zigarre zu entreißen .
" Hilde macht ja nur Spaß - sie wird sich hüten , das ekelhafte Zeug zu rauchen - die Hilde Dahlen muß doch immer eine Extrawurst haben , " so schwirrten die Stimmen der Kameradinnen durcheinander .
Sie erzielten gerade das Gegenteil bei Hilde .
Hatte sie in der Tat Vaters Zigarren auch nur mitgebracht , um einen Ulk zu machen , jetzt erlaubte es ihre Ehre nicht , den Rückzug anzutreten .
Sie ließ sich Feuer geben und begann mit heldenhafter Selbstüberwindung an dem braunen Ding zu ziehen .
Es schmeckte ekelhaft .
Halb belustigt , halb entsetzt schauten die übrigen ihrem Treiben zu .
Nur Daisy beschwor sie , aufzuhören .
Keines von den jungen Mädchen hörte , daß sich Schritte auf dem weichen Waldboden näherten .
Keines sah Doktor Werner , als bis er mitten unter ihnen stand .
" Sie haben sich hier ein idyllisches Plätzchen zum Dolce far niente ausgesucht , meine jungen Damen , " sagte er lächelnd .
" Aber der würzige Waldozon ist auffallend mit Dampf durchsetzt - ei - ei - Zigaretten ? "
Er drohte lächelnd , während die meisten ihre Zigarette errötend auf dem Rücken bargen .
Da - Doktor Werner traute seinen Augen nicht - sein suchender Blick hatte Hilde Dahlen erreicht .
Da saß sie unter einer Kiefer , eine - Zigarre im Munde .
Sie blies , scheinbar unbekümmert um die Anwesenheit des Lehrers , mit Seelenruhe Dampfwolken in die Luft .
Die anderen sollten sie nicht für feige halten .
Doktor Werners Auge ruhte voller Mißbilligung auf ihr .
" Wirf die Zigarre weg , darling , " flüsterte die getreue Daisy bittend .
Aber Hildes Trotz bäumte sich empor .
Das Blut stieg ihr unter Doktor Werners abfälligem Blick zu Kopfe .
Sie zog das Lederetui hervor .
" Zigarre gefällig , Herr Doktor ? " fragte sie , alle ihre Keckheit zusammenraffend .
Starr über diese Dreistigkeit saßen die anderen da .
Zwischen Doktor Werners Augenbrauen erschien die kleine Falte , die ihn so unnahbar machte und die Hilde stets reizte .
Ohne das kecke Mädel einer Antwort zu würdigen , wandte er sich und verschwand im Walde .
Ein allgemeiner Sturm der Entrüstung entlud sich , nachdem er gegangen , über die Sünderin , und besonders Doktors Werners Verehrerinnen fühlten die Schmach , die Hilde ihrem Abgott angetan , doppelt und dreifach .
Hilde hatte auf alle Vorwürfe nur ein gleichgültiges Achselzucken zur Antwort .
" Was geht es euch an ! " sagte sie schließlich kurz und unfreundlich .
Das fehlte mir , mich so wie ihr an den Triumphwagen dieses Herrn zu spannen , nein , dazu ist meines Vaters Tochter zu gut !
Meinetwegen mag er mich auch bei der Kurz verpetzen , da habe ich doch schon ganz anderes ausgefressen . "
Sie warf die Zigarre , die schuldige Ursache von all der Aufregung , in weitem Bogen fort .
Die vorsorgliche Daisy löschte sie , damit es keinen Waldbrand gab .
Laut vor sich hinpfeifend nahm Hilde möglichst gleichmütig Daisys Arm und folgte den anderen zum Wirtschaftsgarten .
Auf die sanften Vorwürfe der Freundin hatte Hilde nur ein gleichgültiges Achselzucken .
Aber ganz so ruhig und gleichmütig , wie sie sich den Anschein gab , sah es doch nicht in Hildes Innerem aus .
Da gärte und brodelte es ganz gehörig ; unreifer Trotz und klares Empfinden , Unrecht gehandelt zu haben , kämpften einen tollen Kampf in ihrem wild pochenden Herzen .
Immer lauter und deutlicher wurde die Stimme des Gewissens , und schließlich war der böse , aufbegehrende Trotz ganz klein und demütig geworden .
Hilde hätte was darum gegeben , die Sache ungeschehen zu machen .
Überdies war ihr hundselend nach der Zigarre .
Drinnen in dem großen Tanzsaal schoben sich die jungen Mädchen bei den Klängen eines Grammofons im Foxtrott auf und nieder .
Die Lehrer mußten wohl oder übel ebenfalls das Tanzbein schwingen .
Mit guter Laune ergaben sie sich in ihr Schicksal .
Hilde und Daisy schauten von draußen durch die geöffneten Fenster dem Tanze zu .
Unter den teils altväterischen , teils ungelenken Bewegungen der übrigen Lehrer hob sich Doktor Werners hohe Gestalt , der so leicht und geschickt seine Dame führte , besonders vorteilhaft ab .
Mit brennenden Augen verfolgte Hilde jede seiner Bewegungen .
Eine nach der anderen der jungen Mädchen forderte er auf .
Wie wunderbar er tanzte !
" Komme , wir wollen auch hineingehen , " sagte Hilde , nachdem ihr besser zumute war , und mischte sich unter die Tanzenden .
Alle holten sie Hilde zum Tanz , die Lehrer , die das lustige hübsche Ding trotz ihrer dummen , kindischen Streiche im Grunde gut leiden mochten .
Nur er , gegen den sie sich so ungehörig benommen , und um dessentwillen sie doch den Tanzsaal nur betreten , kümmerte sich nicht um sie .
Das schlanke Mädel im blauen Voilekleid mit den heißen erregten Wangen und den bettelnden braunen Augen war vollständig Luft für ihn .
Hilde ballte die kleinen festen Hände .
Mit jeder einzelnen hatte er sich schon im Tanze gedreht , jetzt kam er gerade auf sie zu , nun mußte er sie doch in den Arm nehmen .
Aber einige Schritte vor ihr machte er plötzlich , ohne ihren erwartungsvollen Blick zu sehen , kehrt und schritt auf Daisy zu .
Schon zum zweiten Male forderte er sie auf .
Ein häßliches Gefühl des Neides quoll in Hilde empor , als sie die Freundin anmutig im Arm Doktor Werners vorübertanzen sah .
Da großer Herrenmangel war , tanzten die jungen Mädchen flott untereinander .
Aber Hilde , die sonst ebenso leidenschaftlich wie gut tanzte , verspürte heute gar keine Lust dazu .
Still schlich sie sich aus dem Saal .
Nach einiger Zeit fand Fräulein Doktor Geßner sie einsam am Wasser stehen und trübe in die schwarzgrauen Fluten starren .
" Nanu , Hilde , so ganz solo hier im stillen Zwiegespräch mit den Nixen , oder hegen Sie etwa Selbstmordgedanken ? " scherzte sie , ohne Hildes tränenverhaltenen Blick im Dunklen zu gewahren .
" Geschwind kommen Sie , der Dampfer läutet schon zum zweiten Male , sonst müssen wir am Ende noch hier draußen kampieren . "
Der zur Abfahrt bereite Dampfer bot einen feenhaften Anblick .
Bunte brennende Lampions schaukelten lustig im linden Abendwinde .
Lustige Kobolde sangen in fideler Stimmung .
Still und in sich gekehrt saß Hilde unter der ausgelassenen übermütigen Schar , ihr Auge haftete starr am Boden .
Nur ab und zu irrte der Blick scheu zu jener Ecke herüber , wo es am allerlustigsten herging .
Das ungewisse , zuckende Licht des roten Ballons zeigte ihr Doktor Werners lachendes , angeregtes Gesicht - so wenig also kümmerte ihn das unartige Wesen eines Schulmädels !
Ja , die jungen Mädchen waren sämtlich heute total futsch in ihren Germanicus , so liebenswürdig und fidel hatten sie ihn noch niemals gesehen .
Der dachte sicher nicht mehr an die unreife Hilde Dahlen .
Oder doch ?
Die schnell am Himmel dahinsegelnden Wolken gaben auf einige Sekunden die volle Scheibe des Mondes frei , und in seinem matten Silberlicht schaute Gerhard Werner durch eine Lücke , die zwei helle Strohhüte bildeten , eine schweigende Gestalt im blauen Kleide .
In der einen Hand hielt sie den Vogelbauer mit dem flatternden Stieglitz und die gewonnene Butterbüchse , während die andere einen großen Strauß rötlicher Erikas umspannte .
Über das abgewendete blasse Gesicht aber rieselten die Tränen herunter , eine nach der anderen und - da schob sich eine dichte schwarze Wolke am Himmel daher , und der fürwitzig herablugend Mond und der angelegentlich herüberäugend Doktor Werner hatten beide das Nachsehen .
So endete die so fröhlich begonnene Landpartie .
O alte Burschenherrlichkeit Tränen trockenen schnell , besonders wenn man knapp siebzehn Jahre alt ist und die Welt einem trotz Herbststürme und Novembernebel in eitel Sonnenschein entgegenlacht .
Einige Zeit nach dem mit einem Mißakkord abschließenden Ausfluge ging Hilde noch verstimmt und gedrückt einher , bis Papa schließlich sein Mädel eines Tages energisch am Schlafittchen nahm .
" Weltschmerz , Hilde - das ist mir an dir ja neu .
Auch Mama klagt über dein muffiges Wesen ; Richard will sich deiner groben Antworten wegen überhaupt nicht mehr mit dir einlassen , und Max , der dumme Junge , behauptet gar , du seiest verliebt - er kenne so was aus Erfahrung , ha - ha - ha - so 'n Dreikäsehoch wie du ! "
Hilde verbarg wie stets , wenn sie irgend etwas auf dem Kerbholz hatte , das Gesicht an Vaters Brust .
" Kopf hoch , Kleine , und nun Mal flink gebeichtet - drin warten schon Patienten - wo hapert denn , was ? "
Hilde preßte nur umso fester die heißen Wangen an das im letzten Jahr so sehr grau gewordene Haupt des geliebten Vaters .
" Hat mein Mädel kein Vertrauen mehr zu mir ? "
Die langen gesenkten Wimpern hoben sich , mit feuchtschimmerndem Blick schaute Hilde dem Vater in die fragenden Augen .
" Vaterchen - es ist nichts - wirklich , " stotterte sie verlegen , " ich - ich habe mich bloß über einen Lehrer geärgert - neulich auf der Landpartie - aber es lohnt wirklich nicht , überhaupt noch daran zu denken . "
" Siehst du , Hilde , Habe ich es dir nicht gleich gesagt , für dich ist das Gymnasium nichts .
In der Schule hat doch die Rüge eines Lehrers niemals solch nachhaltigen Eindruck auf dich gemacht .
Tut dir wohl schon leid , daß ich_es damals zugegeben habe - he ? "
Hilde schüttelte den Kopf .
" Grillen fangen sollst du mir nicht , mein Mädel , " der nachsichtige Vater klopfte ihr zärtlich die etwas bleiche Wange , " ich will keine blasse , nervöse Tochter haben - soll ich dich noch zum Oktober abmelden ? "
Der Atem stockte Hilde vor Schreck .
Fortgehen - für immer vom Gymnasium , fortgehen , ihn überhaupt nicht mehr sehen - nein , bloß das nicht !
" Ach wo , Vaterchen , ich finde es nach wie vor einfach ideal auf dem Gymnasium , und nun will ich mich über den - den - eingebildeten " - die Zunge wollte ihr nicht recht gehorchen - " über den eingebildeten Menschen auch nicht weiter aufregen .
Und wenn er mich noch so sehr anrüffelt , ich pfeife drauf ! "
Trotzdem Hilde recht wenig ehrerbietig von einem Lehrer gesprochen , ließ der Vater es diesmal durchgehen ; war er doch froh , wieder den alten frischen Ton bei seinem Nesthäkchen zu vernehmen .
Viel Gelegenheit hatte Hilde aber nicht , auf Doktor Werners Worte zu pfeifen , denn er sprach nach wie vor überhaupt nur das Allernotwendigste mit ihr .
Als Tag für Tag verging , ohne daß sie sich ihres ungehörigen Betragens halber bei ihm entschuldigte , wurde er merklich kälter gegen sie und redete sie nur noch innerhalb der Stunde in knappen Worten an .
Es reizte ihn , den Trotz dieses liebreizenden jungen Mädchens zu brechen .
Vorläufig aber schlug die bittere Medizin , die Doktor Werner Hilde reichte , nicht recht an .
Sie hätte sich lieber zerhacken lassen , als den Mitschülerinnen das Schauspiel einer Abbitte zu bereiten , nein - zum zweiten Male ging sie nicht nach Kanossa .
Für seine Stunden allerdings arbeitete sie mit einer Daisy geradezu verblüffenden Energie .
Sie wollte ihm den Triumph nicht gönnen , über ihre Dummheit zu lächeln .
So hatte Hildes eigenwillige Verstocktheit doch etwas Gutes ; sie war zwar noch immer kein Lumen in Mathematik , aber sie erreichte doch den Durchschnitt .
Freilich im Anfang , als er sie nie mehr in der Zwischenstunde ansprach , als er sie auf der Straße steif und kühl grüßte und fremd an ihr vorüberschritt , da waren ihr die Tränen oft recht nahe gewesen .
Aber nachdem man sich zu Hause über ihr verändertes Wesen gewundert , hatte sie mit Gewalt jene Augenblicke , wo er sie früher so lieb angeschaut , aus ihrem Gedächtnis gebannt .
Nur Abends , wenn sie im Bett lag , stellten sich nagende Reuegedanken ein , aber an Hildes Eigensinn zerschellten sie .
Dann trat die Gewohnheit in ihre Rechte , sie nahm schließlich Doktor Werners kurze Art ihr gegenüber als selbstverständlich hin .
Und als die lichten Sommerfäden in alle Winde zerflattert waren , und die ersten Schneeflocken vom grauen Himmel jagten , da war die Erinnerung an leuchtende , sonnige Tage , an denen sein Blick sie voll und warm umfaßt hatte , verflogen - nur trotziger Groll gegen ihn war zurückgeblieben . - - - Heute hatte Hilde ihr strahlendstes Gesicht aufgesetzt .
Bruder Max hatte sie und Daisy soeben feierlichst zu seinem am nächsten Abend stattfindenden Stiftungsfest in der Teutonia , wo er als Präside zum ersten Male den Vorsitz führen sollte , eingeladen .
Hilde war sofort von ihren Büchern entwischt und spornstreichs zu Daisy geeilt , um sie in Maxens Namen aufzufordern .
Jetzt stand sie im Schneegeriesel unten auf dem nassen Hof und lugte zu Daisys Fenster empor , denn hinauf traute sie sich seit der Geigenständergeschichte nicht mehr .
" Daisy - pst - Daisy ! " Himmel , sie schrie sich ja die Kehle heiser .
Da öffnete sich das Fenster - halte - jetzt zeigte sich ein Kopf hinter der Gardine - o weh - es war bloß Fränze .
" Schicke mir doch , bitte , Daisy herunter , " Hilde bequemte sich zu einem bittenden Ton .
Fränze lehnte gemütlich aus dem Fenster .
" Daisy hat zu tun , sie plättet Rollwäsche - fällt mir nicht ein , sie zu rufen ! "
" Na , denn nicht , " sagte Hilde erbost und ging auf dem engen Hof auf und ab .
Fränze betrachtete Hilde mit interessierten Blicken , etwa wie ein Physiker einen Frosch betrachtet , mit dem er Versuche anstellen will .
" Du wirst dir bei dem greulichen Wetter einen Schnupfen holen , " höhnte sie aus dem Fenster , " soll ich dir einen Schirm herunterwerfen ? "
Hilde gab keine Antwort - jetzt rächte sich Fränze für den ihr angetanen Schabernack .
Sie hätte sie gern um diese Freude gebracht , aber die Einladung zum Kommers war doch zu wertvoll , um der dummen Fränze wegen den Rückzug anzutreten .
Wenn sie nur Daisys Mal habhaft werden könnte !
Die Gardine oben am Fenster wehte im Luftzug , folglich war die Tür gegangen , kombinierte die schlaue Hilde .
" Daisy ! " rief sie noch einmal auf gut Glück .
Und " Daisy ! " echote Fränze spöttisch .
Da aber tauchte Daisys Blondkopf schon neben Fränzes dunklem Haar auf .
" Ist es sehr eilig , Hilde ? " fragte sie herab .
Hilde machte ein ungemein wichtiges Gesicht und nickte bedeutungsvoll .
Fränzes Neugier sollte auf die Folter gespannt werden .
" Only a moment , ich bin gleich fertig , tritt so lange in den Hausflur , darling , du bist ja ganz durchnäßt . "
Endlich kam Daisy .
" Daisy , wir gehen morgen zu Maxens Kommers , ein richtiger Kommers , Daisy , und er ist Präside , und ganz richtige Studenten im Wichs sind da , und eine Mimik steigt ; ach , freust du dich nicht mächtig ? "
" Ich " - meinte Daisy ruhig - " natürlich freue ich mich für dich ! "
" Aber du doch auch , Daisy .
Max hat dich extra noch durch mich einladen lassen , deshalb komme ich doch bloß , weißt du , wir wollten doch schon immer Mal eine Studentenkneipe sehen .
Max stellt uns alle Kommilitonen vor , seinen Leibfuchs kenne ich schon .
Papa und Mama kommen auch mit , also wann holst du mich ab , Daisychen ? "
" Ja - darling - ich möchte schon gern , aber ich muß doch erst die Tante fragen und dann - ich habe nichts anzuziehen . "
" Aber , Daisy , dein blaues Sonntagskleid , darin siehst du direkt süß aus , und nun Lauf schnell , grüß deine Tante , und der Kuckuck hole sie , wenn sie nicht » ja « sagt . "
" Aber Hilde - " erschrocken sah sich Daisy um , ob auch nur keiner die unvorsichtigen Worte der Freundin vernommen .
Dann flog sie die Treppe hinauf , um die ersehnte Erlaubnis zu erbitten .
" Na - was wollte denn Hilde ? " erkundigte sich Fränze gleich eifrig , die sich neben der briefschreibenden Mutter auf einem Sessel herumrekelte .
" Tante , darf ich wohl morgen abend mit Hilde und ihren Eltern zum Kommers gehen - ja ? "
Fränze beobachtete mit zusammengekniffenen Augen die Spannung in dem zarten Gesicht der Cousine .
" Meinetwegen , " brummte die Tante ohne aufzublicken .
Schon wollte Daisy glückselig zur Tür hinaus , als sich Fränze , das böse Prinzip für sie im Hause , emporrichtete .
" Morgen - nein , Mama , das geht doch nicht .
Ihr seid doch morgen abend zur Skatpartie , ich kann doch unmöglich ganz allein hier bleiben .
Aber daran denkt Daisy natürlich nicht , die lebt nur ihrem Vergnügen . "
Daisy betrachtete mit bitterem Lächeln die Schwielen in ihrer Hand , die das stundenlange Plätten erzeugt , und warf dann einen vergleichenden Blick auf die faulenzende Cousine .
Die Tante aber war jetzt in ihrem Fahrwasser .
Sie ließ sich des weiteren über Daisys Egoismus im allgemeinen und im besonderen aus , dann kam ein Kapitel über die zum Himmel schreiende Undankbarkeit der Nichte , und den Schluß ihrer langatmigen Rede bildeten die Worte :
" Also du bleibst natürlich morgen zu Hause . "
Daisy wußte , daß jedes weitere Wort vergebens sei .
Still schritt sie zur Tür , um der ungeduldig harrenden Hilde die Hiobsbotschaft zu melden .
" Du , Daisy , " hielt sie Fränze zurück , die für ihr Leben gern auch einmal einem Studentenfest beigewohnt hätte , " was schenkst du mir , wenn ich dich begleite ? "
Daisy sah sie von oben bis unten an .
" Du - du bist ja gar nicht eingeladen . "
Fränze bis sich auf die Lippen .
" Pah - Max Dahlen , der grüne Junge , würde sich doch glücklich schätzen , wenn ich , Fräulein von Staven , seinem Kommers beiwohnen würde . "
Hochmütige Beschränktheit malte sich in dem wenig anziehenden Gesicht der Cousine .
" Ich habe keine Vollmacht dazu , dich mitzubringen , " damit schnitt Daisy jede weitere Erörterung ab .
Hilde tobte - sie schimpfte so ungeniert auf die mißgünstige Fränze , daß Daisy ihr voller Angst den Mund zuhielt .
" Aber du sollst nicht darunter leiden , Daisychen , bringe ruhig das eingebildete Balg , die Fränze , mit .
Max wird es schon recht sein .
Wir kümmern uns einfach gar nicht um sie - um deinetwillen nehme ich selbst Fränze mit in den Kauf , also um neun Uhr vor unserer Tür . "
Daisy begleitete die Freundin bis vors Haus , sie schluckte und schluckte , die Worte wollten ihr nicht über die Lippen .
" Du , Hilde , " - Kunstpause - " heute hatte ich eine Ansichtskarte aus Kalkutta , " eine ganz zerknüllte und zerlesene Karte kam zum Vorschein .
" Von Günter Berndt , " fragte Hilde gleichgültig , " was schreibt er denn ? " sie überflog die geraden Schriftzüge .
" Verehrtes Fräulein , " - so anständig schreibt er an mich nie - " gestatten Sie mir , Ihnen meine ergebensten Grüße zu senden - er soll sich nur kein Bein ausreißen vor lauter Höflichkeit , " mokierte sich Hilde .
" Gib her , " hastig riß Daisy der erstaunten Hilde die Karte , die sie seit morgens früh zu ungezählten Malen gelesen , aus der Hand - solche elementare Heftigkeit war was Seltenes an der sanften Daisy .
" Erlaube - meine Taube , immer pianissimo , " lachte Hilde und lief mit einem schnellen Abschiedskuß in das Schneewetter hinaus .
- In dem großen , von schimmerndem Lichtmeer durchfluteten Festsaal der Schlaraffia erscholl die getragene Weise des alten Studentenliedes " O alte Burschenherrlichkeit " aus Hunderten von jungen Kehlen , und manch altes Auge feuchtete sich , als der liebe , wohlbekannte Klang wieder an das Ohr schlug .
Auch Doktor Dahlen , eines der ältesten Semester , fuhr sich mit der Hand über die blinkenden Augen ; wie lange war es her , daß er als junger , frischer Bursch gleich der ihn umgebenden Jugend jenes Lied froh in die Welt geschmettert hatte , ohne das Wehmütige , Vergehende darin zu empfinden .
Und heute saß er hier unter der fröhlich ins Leben stürmenden Schar als ein gealterter Mann !
Aber dort oben der hübsche flotte Junge in Schwarz , Grün , Rot , der das Zerevis so keck auf das braune Kraushaar gedrückt hatte , und jetzt , feurig mit dem Rapier auf den Tisch schlagend , mit Stentorstimme rief :
" Silentium - der zweite Vers steigt " - der Mordsbengel - das war seiner , sein Max war_es .
Jungem Nachwuchs mußte das alte Reis Platz machen , aber man tat es gern !
Stolz blickte Doktor Dahlen auf seine beiden stattlichen Söhne , und dann wanderte sein Auge zu der erhöhten kleinen Loge , wo ein blühendes junges Ding mit blitzenden Augen sich weit über die Brüstung lehnte , um auch nicht das geringste von dem sie umwogenden bunten Studententreiben zu verlieren .
Bildhübsch sah die Hilde mit den heißen , erregten Wangen und den leuchtenden Braunaugen heute aus .
Manch bewundernder Blick aus begeisterten jungen Augen flog zu ihr und Daisy herüber , das machte ihr einen riesigen Spaß .
Fränze aber , die in einem grellroten Kleide das harmonische Bild der anmutigen jungen Mädchen nur störte , quittierte mit kokettem Lächeln für jede Huldigung , die doch ihr ganz und gar nicht galt .
" Donnerwetter , Fass , " - das war Maxens Kneipname - " ist das ein allerliebster Käfer , deine Schwester , und die hast du uns bisher vorenthalten ? " von allen Seiten wurde der junge Präside bestürmt , um dem reizenden Schwesterlein vorgestellt zu werden .
Hilde war durchaus nicht gefallsüchtig , aber mit kindlichem Stolz freute sie sich ihrer ersten Triumphe , und dann Fränze - ja , die platzte fast vor Neid .
Hilde trank Bier wie ein Student , sie rieb jeden Salamander mit , ohne nachzuklappen , ließ spinnen , in die Kanne steigen , und kommandierte keck : " Rest weg ! "
Daisy dagegen sah scheu in das laute Treiben , ihr war alles neu und fremd .
Wie die jungen Leute die vollen Biergläser hinunterstürzten , wie sie mit ihren Bierstimmen das schöne Lied " Die Lindenwirtin " verhunzten , und das wüsste Lachen und Rufen , dabei war doch noch nicht einmal die Fidelitas .
Max war ein schneidiger Präside , mit dröhnender Stimme begrüßte er die verschiedenen befreundeten Verbindungen , und nun antworteten die betreffenden Abgeordneten , lauter junge Kerlchen in bunter Couleur , mit schnarrender Stimme fast immer dasselbe .
Den Schluß bildete stets ein urkräftiger Salamander auf das Wohl und Gedeihen der Teutonia : Vivat crescat floreat !
Hilde fand die Reden ziemlich mopsig , die lieben A.H. , die soeben gefeiert wurden , interessierten sie wenig , obwohl unter den " alten Herren " meist jugendlich frische Gesichter waren .
Auch die Begrüßung der Ehrengäste , die an einer querstehenden Tafel thronten , ließ sie kalt .
Erst als Max zu ihr trat und ihr die berühmten Universitätsprofessoren , die sich dort versammelt , nannte und zeigte , wurde sie aufmerksam .
Da - sie lehnte sich weit über das Geländer - eine merkwürdige Ähnlichkeit - die hohe Gestalt , das helle Haar und die leuchtenden Augen - nein , so strahlend tiefblaue Augen hatte nur einer - er mußte es sein !
" Wie heißt denn der dort , der Blonde ? " fragte sie Max möglichst unbefangen .
" Das - ach der - das ist ja Werner , Mathematiker , zwar erst Privatdozent , aber er hat den Professorenstuhl schon so gut wie in der Tasche , ein tüchtiger Kerl ist das ! "
Daisy wurde aufmerksam .
" Werner - Hilde - sieh nur , da sitzt doch wahr und wahrhaftig unser Werner !
Max , das ist ja unser Mathematiklehrer , wie kommt denn der bloß hierher ? "
" Jahrelanges Ehrenmitglied unserer Teutonia - aber Hilde , davon hast du mir doch nie einen Ton gesagt , daß euer Werner ein junger Privatdozent ist . Habe mir da immer solchen alten verknöcherten Gelehrten gedacht , na , da muß ich mich ihm doch gleich Mal als dein Bruder vorstellen . "
Und fort war er .
" Wir sind ja verknurrt , " wollte Hilde ihm noch nachrufen , aber Max segelte schon sicher durch das Gewühl auf den Honoratiorentisch zu .
Mit gespannter Aufmerksamkeit sah Hilde , wie interessiert Doktor Werner dem jungen Präsiden zuhörte , dann eine verbindliche Verbeugung , ein rascher Blick in die Damenlogen .
Doktor Werner verneigte sich zum zweiten Mal in der Richtung der Tribünen und leerte dann sein Glas mit irgend einem Scherz .
Denn Hilde sah Max herzlich lachen .
Doktor Werner überlegte .
Sinnend blickte er in das dünne Faßbier .
Er hatte die Verpflichtung , wo sich Hildes Bruder ihm vorgestellt hatte , die jungen Damen zu begrüßen .
Aber es stimmte nicht zu der steifen Zurückhaltung , die er sich dem Trotzkopf gegenüber zur Pflicht gemacht hatte .
So blieb er zurückgelehnt auf seinem Stuhl sitzen und vermied es möglichst , die kleine Damenloge gegenüber allzuoft mit dem Auge zu streifen .
Aber sein Blick suchte immer wieder - jeder festen Vornahme ungeachtet - jenen kleinen offenen Raum , aus dem rosige Mädchengesichter lugten .
Er vermeinte Hildes melodisches frisches Lachen in dem Stimmengewirr und lauten Getöse zu unterscheiden .
Doch nicht ihm galt dieses Lachen , das er so an ihr liebte , sondern einem halben Dutzend junger Füchse , die ihr mit faden Schmeicheleien das hübsche Köpfchen verdrehten . -
Dazu war die Kleine doch wahrhaftig zu schade !
Der gelehrte Herr Privatdozent hätte höchst wahrscheinlich jeden ausgelacht , der ihm gesagt hätte , daß er auf jene jungen Milchbärte , die kaum flügge geworden , ganz einfach eifersüchtig sei .
Nein , nur die Sorge um Hilde , deren offene Natürlichkeit nicht Einbuße erleiden sollte , trieb ihn zu der kleinen Loge , und schon stand er hinter den Stühlen der Damen .
Aber soweit blieb er doch seinen Erziehungsprinzipien treu , daß er sich zuerst an Daisy wandte und die aufhorchende Hilde vorläufig gar nicht beachtete .
" Sie machen wohl Vorstudien , Miß Greeham , " lachte er humorvoll , " ja das Kommersieren will auch gelernt sein .
Na , ganz so arg wie unsere jungen Füchse hier werden Sie es ja wohl nicht treiben . "
Er machte eine Bewegung nach Hildes Verehrern hin , dabei mußte er diese selbst begrüßen .
Es geschah durch eine zeremonielle Verbeugung .
Hilde bis sich auf die Lippen , heißer Groll flutete in ihr empor .
Wie herzlich er eben Daisy die Hand geschüttelt hatte !
Auch nicht das förmlichste Wort hatte er zur Begrüßung für sie , nur ihren Eltern stellte er sich mit weltmännischer Sicherheit vor .
" Na , nehmen Sie meine Krabbe auch ordentlich kurz , lieber Herr Doktor , " scherzte der Vater in jovialster Stimmung .
" Sie macht Ihnen wohl genug zu schaffen , was ? "
" Oh , nein , Herr Doktor , ich bin bis jetzt noch mit jedem fertig geworden . "
Wie unerträglich hochmütig seine Worte klangen !
Ja , ganz bestimmt , sie haßte diesen blonden Mann .
Da waren die jungen Studenten doch ganz anders .
Mit denen konnte man sich doch wenigstens amüsieren , und das wollte sie tun - nun gerade - ihm zum Trotz !
Hildes glänzende Augen lachten jeden einzelnen so schelmisch und freundlich an , daß Doktor Werner den weitschweifigen Auseinandersetzungen Doktor Dahlens über die Studenten von einst und jetzt nur mit geteilter Aufmerksamkeit folgen konnte .
Er verwünschte den ganzen Kommers .
Die Hilde hatte ja wirklich Anlage zur Koketterie !
" Sonderbar , " - dachte Hilde inzwischen , " daß mir die langweilige Süßholzraspelei der Studenten mit einem Male gar keinen Spaß mehr macht .
Nur um Doktor Werner zu ärgern , amüsiere ich mich mit ihnen - Oh , wie ich ihn hasse , wie ich ihn hasse ! "
Und das gekränkte Selbstbewußtsein trieb sie zu immer lebhafteren Neckereien mit den eifrig um sie bemühten jungen Leuten .
Daisy verhielt sich passiv .
Nur ab und zu griff sie in ihr Täschchen und faßte nach einer leise knisternden Karte .
Und dann summten ihre Lippen ein Lied - es war aber kein Kneiplied , sondern jene Weise , an die einer fern der Heimat denken wollte .
Die Mimik stieg , man hatte den Damen Plätze hinter dem Tisch der Ehrengäste eingeräumt .
Ein tückischer Zufall wollte es , daß Hilde ihren Platz gerade Doktor Werner gegenüber erhielt .
Der nahm aber herzlich wenig Notiz von ihr , sondern drehte ihr ziemlich ostentativ den Rücken .
Es war doch schauderhaft , daß " dieser Mensch " mit seinem unhöflichen Verhalten ihr den schönen Abend so verderben mußte !
Die ulkige Biermimik aber , in der Max eine Damenrolle gab , riß sie bald mit fort ; sie lachte so von innen heraus und so ansteckend über den tollen Unsinn , daß Doktor Werner sein strenges Gesicht fallen ließ und seinen Stuhl mit einem Ruck ihr zudrehte .
Das Semesterreiben mußte Doktor Dahlen , der sich ordentlich wieder jung fühlte und die Mattigkeit und Schwere , die ihn jetzt häufig quälte , ganz vergessen hatte , noch abwarten , dann verließ er mit seinen Damen ohne Aufsehen das Fest , bevor die Fidelitas einsetzte .
Draußen in der Garderobe trafen sie mit Doktor Werner , der den heimlichen Aufbruch beobachtet hatte , zusammen .
" Nanu , fahnenflüchtig , Herr Doktor ? - solch junger Mann wie Sie darf doch noch nicht Schluß machen , " meinte Doktor Dahlen erstaunt .
Doktor Werner griff nach seinen Sachen .
" Ich habe morgen noch etwas mehr vor als Frühschoppen , Katerfrühstück und Exbummel ; ich muß ein wichtiges Kolleg lesen und kann keinen Brummschädel dazu gebrauchen , " damit schloß er sich Dahlen an .
Daisy ging mit der Mutter voraus .
Doktor Dahlen bemühte sich vergebens , gegen Fränzes eingebildeten Sparren mit seiner drastischen Offenheit anzukämpfen , wohl oder übel mußte Hilde an Doktor Werners Seite bleiben .
Sie empfand es als eine Tortur .
Die Unterhaltung bei dem Nachtrab war recht einsilbig , keiner sprach , nur ab und zu blickte Gerhard Werner auf das reizende Köpfchen an seiner Seite herab .
Er atmete schnell - plötzlich blieb er stehen :
" Sagen Sie Mal , Fräulein Dahlen , soll das nun immer so zwischen uns bleiben ? " fragte er halblaut .
" Ja " - wollte Hilde hochmütig rufen , aber statt dessen stand sie gleichfalls still und senkte wie ein kleines Schulmädel schuldbewußt den Kopf .
" Tut Ihnen Ihre damalige Handlungsweise denn gar nicht leid ? " fragte er milderen Tons weiter .
Hilde wollte nicht unterliegen .
Ein lautes " Nein " wollte sie ihm entgegenrufen .
Schon warf sie den Kopf herrisch in den Nacken und hob feindselig die langbewimperten Augen .
Der fahle Schein der Straßenlaterne fiel voll auf Doktor Werners Antlitz ; ein warmes Leuchten lag in seinem Antwort heischenden Blick .
Da war es um Hildes trotzige Abwehr geschehen .
Da stürzte das ganze künstlich erbaute Gebäude ihres Grolls zusammen .
Eine kleine kalte Hand schmiegte sich plötzlich impulsiv in Doktor Werners herabhängende Rechte , und eine tränenerstickte Stimme flüsterte :
" Ich habe es ja so bereut die ganze Zeit über - so sehr bereut - seien Sie doch wieder zu mir wie früher ! "
Fest und warm umspannte die nervige Männerhand die zuckende Mädchenhand ; seine Lippen öffneten sich zur leisen Entgegnung , da - wandte sich Doktor Dahlen , der das beschränkte Protzen Fränzes nicht mehr mit anhören konnte , plötzlich um .
Jäh glitten die große und die kleine Hand auseinander .
" Na , Herr Doktor , lesen Sie der Hilde in aller Nacht ein Privatissimum ? - es tut bei dem Mädel auch Not , " liebevoll zog der Vater Hildes Arm durch den seinen .
Der Abschied zwischen Hilde und Doktor Werner war zum Unterschied von der Begrüßung nichts weniger als zeremoniell .
Doch keiner sah , wie fest und bedeutungsvoll er Hildes Hand in der seinen drückte , nur die Steinfaunen am Hausportal schienen das Gesicht mit breitem Grinsen so höhnisch zu verziehen , daß Hilde Doktor Werner schnell ihre Hand entzog .
Oben aber stand die quecksilbrige Hilde still und sinnend noch lange an dem Fenster ihres Stübchens .
" Ich glaube - ich hasse ihn doch nicht ! " flüsterte sie leise zum blinkenden Sternenhimmel empor .
Auf dem Maskenball Weiche Stimmungen hielten niemals lange bei Hilde an .
Sie schämte sich derselben stets , ihrem gesunden Naturell war jede Sentimentalität entgegen .
Auch Doktor Werner gegenüber zeigte sie im Laufe des Winters gar oft wieder kindisch trotziges Aufbegehren .
Doktor Gerhard Werner war zuerst über den jähen Wechsel in Hildes Stimmungen recht traurig .
Er glaubte schon vollständig gewonnenes Spiel zu haben und hielt ihren ungestümen Trotz für immer gebrochen ; daher traf ihn die Enttäuschung umso schmerzlicher .
Aber als er sah , wie leid Hilde jedesmal gleich darauf ihr ungestümes Aufwallen tat , tröstete er sich damit , daß auf den ersten Hieb kein Baum fällt .
Sie war ja noch so sehr jung , er mußte ihr Zeit lassen , das zarte weibliche Empfinden in sich langsam zur Reife zu bringen .
Es wurde ein fleißiger Winter für die beiden Freundinnen .
Das mußte man der Hilde lassen , sie quälte die Eltern nicht wegen Bällen , Gesellschaften und Vergnügungen , trotzdem sie doch nun fast achtzehn Jahre alt war .
Vaters Wort : " Firlefanz und solchen Mumpitz gibt es dann nicht , " klang ihr noch immer im Ohr .
Sie sehnte sich auch gar nicht danach - ohne Daisy machte es ihr keinen Spaß .
Den Eltern war das zurückgezogene Leben in ihrer behaglichen Häuslichkeit in diesem Winter sehr willkommen .
Frau Doktor Dahlen bemerkte seit geraumer Zeit mit geheimer Sorge , daß ihr Gatte im letzten Jahre auffallend gealtert war .
Und wenn er sich unbeobachtet glaubte , saß er manchmal ganz müde und apathisch da ; aber jede ängstliche Frage der Seinen schnitt er mit einem ungeduldigen Scherz ab - er fühle sich ganz wohl .
Sein hartnäckiger Husten wollte und wollte nicht weichen , es war aber auch ein selten strenger , eisiger Winter .
Die jungen Mädchen jubelten über die anhaltende Kälte .
Der neue See im Tiergarten war schon wochenlang fest zugefroren .
Hilde und Daisy tummelten sich , die blank geschliffenen Schlittschuhe unter den Füßen , in ihren Freistunden auf der spiegelglatten Fläche .
Daisy war eine glänzende Schlittschuhläuferin .
Das schlanke Mädchen in dem einfachen dunkelblauen Kostüm , das in großen kunstvollen Bogen über das Eis flog , ohne es scheinbar zu berühren , erregte Aufsehen .
Aber auch ihre etwas kleinere Begleiterin bot ein anmutiges Bild mit ihrer zierlichen , sich wiegenden Gestalt .
Das frisch gerötete Gesicht blickte wie ein lichter Frühlingstag in die eisfunkelnde , mit Rauhreif behangene Winterlandschaft .
Gerhard Werner empfand jetzt oft das dringende Bedürfnis , seine Fahrt von der Universität heimwärts zu unterbrechen und noch vorher ein halbes Stündlein in dem schneeschimmernden Park spazieren zu gehen .
Der größte Hunger und das verlockendste Mittagbrot , das seine Mutter , mit der er zusammenwohnte , für ihn bereitet , hielten ihn nicht , wenn das Thermometer unter Null zeigte , von seiner täglichen Promenade ab .
Und meistens wurde dieselbe belohnt - zwei hellbraune Augen schauten schon suchend vom Eis aus auf die Spaziergänger , und frische rote Lippen lachten ihn erfreut an , sobald er auftauchte . -
Hilde saß in ihrem Zimmer und kaute an dem Federhalter .
In großen weichen Sternen wirbelten draußen die Schneeflocken hernieder .
Sie schaute in das Schneetreiben hinaus und dann wieder auf den deutschen Aufsatz vor sich , der noch seiner Vollendung harrte .
" Preußens Unglücksjahr 1806 " lautete die Überschrift , Hilde hatte versucht , nicht nur die Begebenheiten aneinander zu reihen , sondern dieselben in der Vergangenheit zu begründen und die Zukunftsbilder daraus zu entwickeln .
Sie war ganz zufrieden mit dem bereits Geschriebenen ; nun noch die Flucht der Königin Luise !
Solch ein arges Schneewetter war es gewiß damals auch , als die Königin im Schlitten gen Memel hatte flüchten müssen - eine tolle Fahrt mußte es gewesen sein !
Helles Schellengeläut vorüberjagender Schlitten klang von der Straße in Hildes stilles Arbeitszimmer hinauf .
Da war es um ihre Sammlung geschehen .
Die Feder spritzte ungestüm auf das weiße Papier , und Hilde sprang zum Fenster .
Herrliche Bahn mußte es jetzt sein .
Ach , wenn sie doch auch einmal eine Schlittenpartie mitmachen könnte !
Richard war zu philiströs dazu , aber Max , der war schon eher dafür zu haben .
Einen Entschluß fassen und ausführen war stets eins bei Hilde .
Schon stand sie im Zimmer des Bruders .
" Na , Klingen , wo muß ich wieder Lückenbüßer sein , Latein oder Mathematik ?
Schnell losgeschossen , ich habe hier eine schwierige Konstruktionsberechnung vor . "
" Max - ich habe eine geniale Idee , wir wollen eine Schlittenpartie veranstalten .
Ich forder meine Bekannten auf , und du die deinigen ; gibt das nicht einen famosen Fez ? "
Stadt jeder Antwort begann Max das wenig schmeichelhafte Lied " Du bist verrückt , mein Kind " zu pfeifen .
Hilde aber nahm diese brüderliche Offenheit absolut nicht übel .
" Aber warum denn nicht , Max ?
Du bist schon ebenso spießbürgerlich wie Richard .
Zwei Brüder besitze ich , und dabei habe ich noch niemals eine Schlittenpartie gemacht - es ist wirklich ein Skandal ! "
" Ich sehe zwar weder das Skandalöse darin ein , noch verstehe ich den geheimen Zusammenhäng zwischen deinen Brüdern und einer Schlittenpartie , liebes Kind .
Ich kann mich aber auch jetzt nicht in die verborgene Logik vertiefen , denn ich habe Wichtigeres zu bedenken . "
Er stützte gedankenvoll den Kopf in die Hand .
" Was denn , Söhnchen ? "
Hilde zauste liebkosend das braune Kraushaar ihres guten Kameraden .
" Mußt du dich auch mit dummen Berechnungen so plagen wie ich ? "
" Ach wo - es ist ganz was anderes , " er stöhnte wieder schmerzlich .
" Na , was denn , sage es doch , was quält dich denn so ? "
Hildes Neugier war geweckt .
" Der Maskenball ! " stieß Max unwirsch hervor .
" Wa-as ? "
Hilde sah den Bruder verständnislos an .
" Welcher Maskenball ? "
" Na ja , es sollte eigentlich eine Überraschung für dich sein .
Die Teutonia will als diesjähriges Winterfest einen Maskenball veranstalten und dazu soll ich die Einladung in Versen machen . "
" Aber Max , " jubelte Hilde , " das ist ja ganz famos ! "
" Das ist ganz und gar nicht famos , sage ich dir , " legte Max ärgerlich los , " wenn man hier seit drei Stunden sitzt und dichten will , und das Vieh , der Pegasus , ist störrisch und läßt sich nicht zügeln .
Da sieh , sechs Reihen habe ich erst . "
Hilde durchflog die mit Bleistift hingekritzelten , vielfach durchstrichen und verbesserten Zeilen .
" Na , die sind auch danach , " meinte sie dann ehrlich .
" Mache es besser , " fuhr Max sie an .
" Siehst du , den Vorschlag wollte ich dir gerade auch machen .
Verse schmieden , das geht bei mir wie geschmiert .
Ich habe doch immer die Ulk- und Spottgedichte auf die Lehrer gemacht .
Komme , wir machen die Geschichte zusammen .
Verdienen tust du es zwar nicht , daß ich dir aus der Klemme helfe , wo du mich eben so angesäuselt hast .
Aber ich freue mich ja unmenschlich auf den Maskenball - Papa wird es doch erlauben ? "
Und nun ritten Bruder und Schwester einträchtig miteinander das jetzt sanfte und gefügige Musenroß .
Hilde brachte die ulkigsten Reime zustande ; lautes Lachen zeigte bald , daß die Verse gelungen waren .
Vergessen hatte Hilde die geplante Schlittenpartie , vergessen den deutschen Aufsatz , die Königin Luise mußte sich lange auf ihrer Fahrt gedulden , ehe Hilde sie ihr Ziel erreichen ließ .
Hilde lebte und webte von jetzt an nur noch in dem Gedanken an den bevorstehenden Maskenball .
Dem Vater hatte sie ohne große Mühe die Erlaubnis dazu abgebettelt .
Der war jetzt seinem Liebling gegenüber noch nachgiebiger als früher , und manchmal schaute er sie so seltsam an , mit so traurig zärtlichen Augen - es wurde Hilde ganz bange dabei ums Herz .
Jetzt aber hatte sie gar keine Zeit , an Trübes zu denken .
Die große Kostümfrage nahm all ihre Gedanken in Anspruch .
Hundert Pläne hatte sie schon gefaßt und wieder verworfen .
Ob sie nicht doch mit Daisy beraten sollte ?
Eigentlich sollte die sie auch nicht erkennen , denn Daisy mußte natürlich dabei sein , ohne die war das Fest ja ganz undenkbar .
Hilde hatte deshalb sogar Max veranlaßt , der Fränze auch eine Einladung zu schicken , denn nur so war die Erlaubnis seitens Daisys Tante gesichert .
Fränze ließ sich , wie Daisy Hilde anvertraute , ein kostspieliges seidenes Kostüm anfertigen .
Daisy selbst mußte das ihrige von dem sowieso schon recht mageren Taschengeld bestreiten .
Aber Hildes Mutter , die gute Frau Doktor Dahlen , wußte wie immer Rat .
Ihr Mann war seit einigen Tagen wieder frischer , da hatte auch sie mehr Lebensmut und Lust , sich an der Vorfreude der jungen Mädchen zu beteiligen .
" Wißt ihr was , Kinder , " unterbrach sie die tollen Vorschläge , in denen Hildes phantastisches Köpfchen sich überbot , " ihr fertigt euch eure Kostüme im Hause selbst an .
Ich schlage euch vor , ihr geht beide als Babies .
Ich habe noch wundervollen Spitzenstoff von der verstorbenen Großmutter , das gibt zwei prächtige weiße Hänger ; ganz gleich geht ihr , eine wie die andere , daß man euch gar nicht unterscheiden kann .
Ihr sollt Mal sehen , das gibt einen Hauptspaß . "
Hilde , die es eigentlich nicht unter Rundfunk oder Zeppelin hatte tun wollen , nahm den bescheidenen Vorschlag freudig an , da sie mit Daisy das gleiche Kostüm tragen sollte .
" Und du ziehst Schuhe ohne Absätze an , Daisy , und ich welche mit ganz hohen , dann sind wir ziemlich gleich groß , und blonde Lockenperücken nehmen wir , ja , Daisy , die mußt du schon spendieren .
Ach , das gibt ja einen Jokus , wenn uns alle verwechseln werden ! "
Auch die gesetzte Daisy brannte lichterloh .
" Weißt du , darling , Milchflaschen mit Gummipfropfen müssen wir uns umhängen wie richtige Babies , und dann nehmen wir Puppen auf den Arm , nicht ? "
" Nein , lieber Luftballons , das ist noch ulkiger , " entschied Hilde , das Überlegen und Beraten wollte kein Ende nehmen .
Die Arbeit kam in diesen Tagen ein wenig zu kurz .
Aber die jungen Mädchen trösteten sich damit , daß sie in den Osterferien , die vor der Tür standen , schon alles nachholen würden .
Umso eifriger wurde in Hildes Zimmer bei verschlossenen Türen zugeschnitten und geschneidert .
Frau Doktor Dahlen legte selbst mit Hand an , und Hilde , die sonst nicht zehn Minuten ruhig bei der Näharbeit sitzen konnte , brachte es fertig , stundenlang die Nadel durch den weißen Spitzenstoff zu führen .
Aber wie schön wurden auch die Kostüme !
Zart und duftig wie eine lichte Wolke hingen sie an dem endlich herangenahten Abend über dem Sofa , mattblaue Schärpen schmückten sie , und große Spitzenhüte vervollständigten den kleidsamen Anzug .
Daisy zog sich bei Hilde an , denn Fränze wollte auch , um nicht erkannt zu werden , allein zum Maskenball fahren .
Die beiden Mädel fanden sich , als sie fertig waren , gegenseitig süß .
Aber sie sahen wirklich ganz allerliebst aus , auch die Mutter meinte es ; die Milchflaschen und Luftballons vervollständigten den drolligen Eindruck .
Und als sie sich die seidenen Larven vor das Gesicht gebunden , war die Mutter im Augenblick selbst im Zweifel , welches ihre Hilde und welches die Freundin sei .
Doktor Dahlen wollte durchaus dem Maskenball beiwohnen , seiner Frau Bitten , sich doch lieber zu schonen und mit ihr daheim zu bleiben , verklangen ungehört .
Die Brüder , die sich auch in geheimnisvollster Weise verkleidet hatten , waren schon fort , als Hilde und Daisy herzklopfend im Wagen ihrem Ziele zurollten .
Der erste Ball - wohl jedes junge Mädchenherz schlägt neben aller jubelnden Freude etwas bange und zaghaft .
Selbst die kecke Hilde war nicht ganz frei von Ballfieber , und Daisy pochte das Herz bis in den Hals .
Und noch eins beschäftigte Hilde lebhaft , würde Doktor Werner da sein ?
Geladen war er , das wußte sie durch Max .
Aber ob er kam ?
Er hatte kein Wort über den Maskenball ihr gegenüber verlauten lassen , und sie hatte nicht gewagt , ihn zu fragen .
Es war schon kolossal viel » Stimmung « , als die beiden Babies Hand in Hand den lichtschimmernden Saal betraten .
Lautes Hallo begrüßte die reizenden Kleinen .
Ein dreister Hanswurst nahm Daisy sogleich ihren Luftballon weg und zerknallte ihn unter lautem Jubel aller Masken .
Ein alter Dorfschulmeister im abgeschabten schwarzen Röckchen , mit der Hornbrille auf der aufgesetzten Nase , meinte , das Rohrstöckchen schwingend , solche kleinen Würmer wie sie gehörten auf den Federball und nicht auf den Maskenball .
Hilde schaute den langen Dorfschulmeister an und erkannte ihn nicht , und dabei war es doch Bruder Max , der ebenfalls keine Ahnung hatte , daß er mit der Schwester sprach .
Es kamen viele von Maxens Freunden und schrieben einem der Babies H. D. in die Hand , welche aber die Hilde sei , das bekam keiner heraus .
Hilde hatte , um die Verwechslung aufrecht zu erhalten , ihr lebhaftes Temperament möglichst gedämpft , sie sprach nur mit verstellter Stimme .
Und Daisy fühlte sich unter ihrer Maske so sicher , und es machte ihr solchen Spaß , allgemein für Hilde gehalten zu werden , daß sie ganz aus sich herausging .
Eine kecke Satanella in feurigem Seidenkostüm drängte sich dreist an die beiden Freundinnen heran und schrieb ihnen immer abwechselnd ihre Namenszüge in die Hand , das mußte Fränze sein .
Hilde sowohl als Daisy hatten nur auf alle Fragen ein stummes Kopfschütteln zur Antwort .
Daisy ging auf Doktor Dahlen , der als älterer Herr kein Kostüm brauchte , zu und küßte ihm die Hand .
Der fuhr liebkosend dem Baby über die blonde Lockenperücke und meinte leise zu ihr :
" Hilde - Liebling , tanze nicht so toll ! "
Ja , Hilde sowohl als Daisy waren begehrte Tänzerinnen .
Sie kamen gar nicht zur Besinnung .
Jedesmal , wenn Hilde nach Doktor Werner ausspähen wollte , holte sie einer zum Tanz .
Er war sicherlich nicht da , sonst hätte sie ihn unter all den Rittern , Zigeunern , Italienern , Mönchen , Tirolern und Clowns bestimmt schon entdeckt .
Der schwarze Ritter mit dem herabgelassenen Visier ; der nicht von ihrer Seite wich und am liebsten jeden Walzer mit ihr getanzt hätte , konnte es nicht sein .
Doktor Werner war viel breitschultriger und von kräftigerem Wuchs .
Sicher war das einer von Maxens Freunden .
Er hatte ihr D. G. in die Hand gezeichnet , und sie hatte , um ihn irrezuführen , genickt .
Nun hielt er ihr fortdauernd seine Hand hin , um zu sehen , ob sie ihn auch erkannt habe .
Aber welche Namenszüge Hilde auch hineinschrieb , es stimmte nie .
Ganz merkwürdige Fragen stellte er während des Tanzes an sie , ob sie das Lied » Er ist gekommen in Sturm und Regen « gern hätte , und als sie darauf den Kopf geschüttelt hatte , war er eine Weile ganz still geworden .
Und dann hatte er sie gefragt , ob sie nicht lieber das Studium aufgeben wolle .
Diese Zumutung hatte Hilde mit aller Empörung zurückgewiesen .
Aber als er sie noch leise gefragt , ob sie wohl einmal im letzten Winter an Indien gedacht habe , da begann Hilde an seinem Verstande ernstlich zu zweifeln .
Er aber wurde immer stiller und langweiliger .
Daisy schien sich mit ihrem Herrn drüben viel besser zu unterhalten .
Das war ein frommer Eremit , mit langem , eisgrauem Bart , der war seiner Sache ganz sicher , daß er keine andere als Hilde Dahlen am Arm führte .
" Na , Sie Trotzkopf , sind Sie endlich sanft und fügsam geworden ? " fragte er Daisy beim Charleston .
Diese antwortete mit verstellter Stimme :
" Ich bin ein kleines artiges Baby und stets sanft wie eine Taube . "
Und als er die Frage an sie richtete , ob sie gern Zigarren rauche , und sie die Milchflasche mit dem Gummipfropfen statt jeder Erwiderung stillschweigend an den Mund setzte , da gab es für ihn keinen Zweifel mehr .
Nur Hilde konnte in so ulkiger Weise antworten .
Er drückte die behandschuhte Rechte während des Tanzes mit so viel Feuer , daß Daisy den greisen Gottesmann ganz erschrocken von der Seite ansah .
Bei der Tombola gab es ein großes Gedränge .
" Komme , wir wollen schnell unsere Herren wechseln , " flüsterte Hilde Daisy zu .
Und ohne , daß die Betreffenden es gemerkt hätten , führten sie mit einem Male eine andere Dame am Arm .
Der Eremit setzte das angefangene Gespräch mit seiner vermeintlichen Partnerin fort .
" Also Sie denken es sich wirklich schön , ein eigenes Heim zu haben und dem Haushalte vorzustehen ? "
" Ich - " meinte Hilde erstaunt , " nicht im geringsten ! "
" Aber Sie haben es mir doch eben schon zugestanden ? "
Dem Eremit schien sehr viel an der Beantwortung dieser Frage zu liegen .
" Da haben Sie mich total mißverstanden , " sagte Hilde , die sich vor Lachen kaum halten konnte , " nichts ist mir greulicher , als im Haushalt mich abraxen zu müssen . "
" Aber wenn Sie einen so recht liebhaben ? "
" Ich habe aber keinen lieb , " fuhr Hilde auf .
Wie kam der fremde Mensch dazu , sie derartig auszuhorchen !
Da wurde auch der noch eben so redselige Eremit ganz schweigsam und zurückhaltend .
- Hilde hätte gar zu gern gewußt , wer er war .
" Sie sind ja so still , " sagte das andere Baby inzwischen zu dem unbekannten Ritter .
Dieser zuckte die Achseln .
" Sie haben mich bitter enttäuscht . "
" Aber wieso denn ? "
Das Baby riß so verwundert die Blauaugen hinter der schwarzseidenen Maske auf , daß auch der letzte Zweifel bei dem Ritter schwand - Daisy Greeham und keine andere hatte er vor sich .
" Was würden Sie von einem Mädchen denken , die jemand in dem Glauben läßt , daß sie warm für ihn empfindet , und nach geraumer Zeit jede Erinnerung daran ausgelöscht hat ? " fragte er ernst .
" Und das hätte ich getan ? "
Daisy wurde es ganz beklommen ums Herz - wo hatte sie den schwarzen Ritter bloß schon gesehen ?
" Nicht in jedem Herzen ist der Ton des Liedes so schnell verklungen- "
" Zur Demaskierungspolonäse antreten ! "
Die leisen Worte des Ritters wurden von dem lauten Ruf des Festordners unterbrochen .
" Wir tauschen unsere Herren wieder aus , " flüsterte Hilde , die sich mit ihrem stummen Eremiten noch mehr langweilte als mit dem Ritter , übermütig Daisy zu .
Es gelang ihnen , in dem Gewühl wieder unauffällig zu ihren ersten Herren zurückzukehren .
Aber das Gespräch wollte hüben und drüben nicht mehr recht in Fluß kommen .
Auf beiden Seiten lag Verstimmung , und jedes weitere Wort der Babies verstärkte dieselbe noch .
Der Ritter sah die vermeintliche Daisy gar nicht mehr an und bemerkte es daher auch nicht , daß das Baby mit einem Male hellbraune Augen hatte .
" Also solche Angst haben Sie vor dem Abiturium , " hörte Hilde inzwischen den Eremiten zu der vor ihr gehenden Daisy sagen , " in welchem Fach sind Sie denn am besten ? "
" In Mathematik , " war die ruhige Antwort .
" Na , hören Sie Mal , " legte der Eremit da plötzlich los , und merkwürdig , seine Stimme klang gar nicht mehr so heiser und zittrig wie bisher , sondern stark und voll , Hilde stutzte - diese Stimme ...
" Na , ein bißchen viel Selbstgefühl haben Sie ja , kleines Baby , " fuhr der Eremit lachend fort , " wenn Sie in den anderen Unterrichtszweigen nicht besser sind als in Mathematik , ist es schlimm um das Examen bestellt . "
" Ja , woher wissen Sie denn das ? " verwunderte sich Daisy , und auch Hilde horchte erstaunt auf .
" Das Rätsel soll sich Ihnen gleich bei der Demaskierung lösen .
Es ist Mitternacht . "
Der Eremit reichte dem Baby den Arm , und auch der Ritter schloß sich mit Baby Nummer zwei dem vor ihnen schreitenden Paare an .
Die jungen Mädchen brannten darauf , die Herren in ihrer wahrhaften Gestalt vor sich zu sehen .
Sie hatten keine Ahnung , wer sie sein könnten .
Der Eremit und der Ritter waren weniger begierig , glaubten sie doch ganz genau zu wissen , wen sie am Arme führten .
Die Jazzkapelle blies jetzt einen lauten Tusch , und " Masken ab ! " erscholl das Kommando .
Lautes Lachen und Ausrufe der Enttäuschung wurden laut .
Der schwarze Ritter aber starrte erschreckt statt in Daisys in - Hildes heißes Gesichtchen , die voll Erstaunen " Günter Berndt , Sie ! " ausrief .
Da wandte sich das voranschreitende Baby , das lachend die Verwandlung des Eremiten in ihren blonden Mathematiklehrer mit ansah , jäh um - das Blut entwich dem zarten Gesicht , mit weit aufgerissenen Augen wie auf eine Geistererscheinung blickte sie auf Günter Berndts seegebräuntes Antlitz .
Und noch zwei Augenpaare kreuzten sich und blieben fest ineinander haften .
Doktor Werner glaubte seinen Augen nicht zu trauen , als er Hilde am Arm eines anderen erblickte .
Diese Täuschung war ihm unfaßbar .
Sekundenlang nur währte diese starre Verwunderung , dann löste Hildes helles Lachen den Bann , der sie alle vier umfangen hielt .
Und bald wurde den beiden Herren , die einen Eid darauf ablegen wollten , daß sie mit der Dame des Partners getanzt hätten , die ulkige Hintergehung offenbart .
" Das kostet Strafe , " meinte Günter Berndt lachend zu der wieder rosig angehauchten Daisy , " der nächste Tanz und alle folgenden gehören mir .
Das ist die geringste Genugtuung , die Sie mir geben müssen . "
Er war glückselig , daß nicht Daisy , sondern Hilde seine inhaltschweren Fragen so unbefriedigend beantwortet hatte .
" Aber wo kommen Sie denn bloß her , Günter , ich dachte , Sie schwimmen noch auf dem Ozean ? " fragte Hilde endlich .
" Gestern war ich noch in Hamburg , heute , als Sie in der Schule waren , " ein neckender Blick streifte Hilde , " war ich bei Richard , da hat mich Max gleich zu heute abend gekeilt .
Ich nahm ihm eine Einlaßkarte ab unter der Bedingung , daß keiner etwas von meinem Hiersein erfährt .
Die Überrumplung ist ja fein gelungen . "
Sein Auge suchte wieder die verklärt dreinschauende Daisy .
" Na , na , " begehrte Hilde auf , " die Überrumpelten sind wie immer die Herren .
Mit wem haben Sie denn nun eigentlich getanzt , Herr Doktor Werner ? "
Schalkhaft sah sie zu dem gestrengen Lehrer empor .
" Wir haben schon so manchen Tanz miteinander gehabt , " ging er auf ihren lustigen Ton beim Foxtrott ein .
" Heute wollen wir von der Landpartie nachholen . "
Hilde nickte strahlend .
" Wollen wir auch tanzen ? " fragte inzwischen Günter Berndt das andere Baby .
Dieses schüttelte den Kopf .
" Lieber plaudern , Sie müssen mir von Ihren Reiseerlebnissen erzählen und von - Ihrer Lotosblume am Ganges , " setzte sie mutwillig hinzu .
Günter war mehr als einverstanden damit .
Hilde tanzte " ohne Maß und Verstand " , nach Ausspruch des Vaters , und Doktor Werner , der mit Hildes Eltern , Richard , Günter Berndt , Daisy und Fränze einen gemütlichen Tisch in einer der Nischen gebildet hatte , gab ihm heimlich recht .
Er fand es überhaupt unnötig , daß sie mit den anderen allen tanzte .
Die Mutter aber meinte mit wehmütigem Lächeln :
" Mein Gott , der erste Ball ! "
Günters Blick haftete ernst an Doktor Dahlens graubleichem Gesicht .
Wie hatte sich der kräftige Mann in der kurzen Zeit verändert !
Hilde hätte niemals geglaubt , daß es auf ihrem ersten Ball so himmlisch sein würde .
Als sie endlich im Bette lag und die Ereignisse des Abends noch einmal durchlebte , umspielte ein seliges Lächeln im Einschlafen ihren Mund in Erinnerung an die herrlichen Stunden - es war der letzte frohe Augenblick , den Hilde für lange Zeit haben sollte .
Durch das Fenster graute trübe und regenschwer der neue Tag herein .
Erster Schmerz Eiliges Hin- und Herlaufen auf dem Korridor , gedämpfte , angstvolle Stimmen weckten Hilde nach kaum einer Stunde aus erstem Schlaf .
Mit jähem Ruck setzte sie sich auf .
Sie strich sich die wirren Haare aus der Stirn und blickte verschlafen um sich .
Eben hatte sie noch bunte Masken gesehen , lachende Tanzmusik war ihr in das Traumland hineingefolgt , wo war sie , und was gab es denn da draußen ... " Nächsten Arzt - heiße Essigumschläge - Wärmeflasche ! "
War das nicht der Mutter erregte angstdurchzitterte Stimme ?
Mit einem Satz war Hilde ungeachtet der bleiernen Müdigkeit an der Tür .
" Max , ums Himmels Willen , was ist denn los , Max ? " fragte sie gepreßt durch die Türspalte .
" Papa - Papa ist sehr unwohl geworden , Richard ist schon zum Arzt .
Schnell , Hilde , zieh dich an , daß du der Mutter zur Hand gehen kannst . "
Mit fliegenden Fingern warf Hilde die Kleider über .
" Mein Gott , mein Gott , es wird doch nichts auf sich haben , " stöhnte sie gequält vor sich hin und starrte dabei auf das lichte Maskenkleid und die Atlaslarve , die ihr jetzt in der fahlen Morgendämmerung fratzenhaft entgegengrinste .
Auf leisen Schuhen schlich sie sich zum Schlafzimmer .
Sie wagte die Tür nicht zu öffnen .
Zitternd und fröstelnd lehnte sie sich an den Türpfosten und lauschte angestrengt .
Kein Laut - ein Stöhnen jetzt - noch einmal - das war die Mutter , dieser aus tiefster Seelennot hervorgestoßene Ton .
Da gab es kein Zaudern mehr für Hilde .
Geräuschlos öffnete sie die Tür und eilte an die Seite der am Lager des Vaters kauernden Frauengestalt , welche die kalten Hände des Erkrankten in den ihren wärmte , die heißen Umschläge auf den Füßen erneuerte und die Schläfen des Bewußtlosen mit Kölnischem Wasser netzte .
" Ist der Arzt noch nicht da ? "
Wie ein Hauch schwebte die bange Frage durch das Zimmer .
Hilde schüttelte den Kopf und hielt sich mit Gewalt am Fußende des Bettes aufrecht .
Ein scheuer Blick streifte das Gesicht des geliebten Vaters - da lag er besinnungslos mit geschlossenen Augen in den Kissen .
Das Halbdunkel ließ seine Züge noch bleicher , die Nase noch schärfer und spitzer erscheinen und den Mund noch verzerrter .
Den Arm um die wankende Gestalt der Mutter geschlungen , lehnte Hilde in angstvollem Warten neben dem Lager ; ihre Pulse flogen , ein heißes Stoßgebet rang sich von ihren stummen Lippen zum Himmel empor .
Wie leblos der Vater dalag .
Jetzt lief ein leises Zucken über seine hingestreckte Gestalt , und nun setzte der Atem lauter ein , schwer und keuchend , aber die Augenlider blieben fest geschlossen .
Endlich , eine Ewigkeit dünkte es die Mutter und Hilde , kam der Arzt .
Stumm harrte Hilde im Nebenzimmer mit den Brüdern seinem Ausspruch .
Welche Diagnose würde er stellen ?
Es durfte , es konnte ja keine Gefahr haben , ihr geliebter Vater mußte ja wieder gesunden .
Qualvoll forschte ihr Auge in den Zügen der leise miteinander flüsternden Brüder .
Der Arzt war gegangen .
Er hatte höhere Kopflage , Eisblase auf die Stirn und vor allem ungestörte Ruhe verordnet .
Der Mutter schlimmste Ahnung hatte sich bestätigt , ein schwerer Schlaganfall gefährdete das so teure Leben .
Angesichts der drohenden Gefahr hatte die Mutter ihre Fassung vollständig zurückgewonnen .
Mit umsichtiger Ruhe kam sie den Anordnungen des Arztes nach , nur von Zeit zu Zeit bewegten sich ihre Lippen mechanisch .
" Erhalte ihn mir , lieber Gott , erhalte ihn mir ! " zitterte es an das Ohr der mit allen Fibern den unregelmäßigen Atemzügen des Vaters lauschenden Hilde .
Die Zeit verrann .
Waren es Minuten , Stunden oder Tage , sie wußten es nicht .
Es wurde Tag und Nacht , dunkel und hell ; gleichmäßig rauschte die Zeit durch das stille Krankenzimmer , man konnte ihren Flügelschlag vernehmen .
Zwei stumme Frauengestalten mit überwachten Mienen und versorgten Augen glitten geräuschlos vom Lager des Kranken zum Behälter mit Eis , um die Umschläge regelmäßig zu erneuern ; zwei kalte Mädchenhände umspannten in bangem Weh die fieberheißen Hände des Vaters , und eine tränenverhaltene Stimme flüsterte dann und wann : " Vaterchen , liebes Vaterchen ! "
Aber der Vater sah und hörte nichts von alledem .
Tiefe Nacht hielt seine Sinne umfangen .
Die starre Bewußtlosigkeit wollte und wollte nicht weichen , und der Arzt zuckte ernst und bedeutungsvoll die Achsel - er hatte keine Hoffnung mehr .
Von allen Seiten kamen Nachfragen nach dem Befinden des allgemein beliebten Mannes .
Verwandte , Freunde und Patienten erkundigten sich täglich , auch die Kollegen stellten sich ein , um der Gattin Mut zuzusprechen .
Hilde mochte niemand sehen .
Ihr war alles so gleichgültig , so schal und nichtig dem einen , Furchtbaren gegenüber , das unaufhaltsam seine Kreise enger und enger um das wehrlose Opfer zog .
Nur Daisy hatte sie gesprochen .
Laut weinend war sie der Freundin um den Hals gesunken .
Und als diese ihr , um sie abzulenken , von dem Gymnasium erzählen wollte , hatte Hilde teilnahmlos ins Blaue gestarrt .
Die Außenwelt hatte augenblicklich jedes Interesse für sie verloren .
Und dann kam eine Nacht , düster und stürmisch , da Hilde allein die Nachtwache beim Vater übernommen hatte .
Um drei Uhr wollte Richard sie ablösen .
Die Mutter hatte das vereinte Bitten ihrer Kinder bewogen , sich endlich einmal wieder für einige Stunden auf das Bett zu legen .
So saß Hilde nun , ohne sich zu regen , am Bett des in den Kissen Ruhenden und betrachtete mit ausdruckslosen Augen die lieben Züge , welche die Krankheit so grausam verheert hatte .
Eine tiefe Zärtlichkeit quoll plötzlich in Hilde empor , sie neigte sich über die abgezehrte Hand des Vaters und preßte ihre zuckenden Lippen darauf .
" Vaterchen - mein Vaterchen , gehe nicht von mir ! "
Die Einsamkeit und Stille der Nacht wirkten einschläfernd auf die erschöpften Nerven des jungen Mädchens .
Sie hörte nicht mehr die im Sturm klirrenden Eisenstangen des Wetterrouleaus , fühlte nicht , daß die Rechte des Kranken , die ihre lebenswarme Hand umklammert hielt , kälter und kälter wurde .
Das junge übermüdete Haupt sank herab , der schmerzende Rücken lehnte sich zurück , ein gütiger Gott hüllte Hildes Bewußtsein minutenlang in Traumschleier .
Aber auch nur für Augenblicke .
Dann schreckte sie wild empor .
Pfeifend und gurgelnd ging plötzlich der Atem des Vaters ; keuchend hob sich die Brust ; und als die graue Morgendämmerung ihre gespensterhaften Schatten ins Zimmer gleiten ließ , da war der finstere , unerbittliche Zerstörer an das Lager des Vaters getreten .
Unbekümmert um die Verzweiflung der Mutter , um das erstickte Schluchzen Hildes und die stillen Tränen der Brüder hatte er mitleidlos der bleichen Stirn sein majestätisches Siegel aufgedrückt .
Hilde war vaterlos .
In stumpfem Schmerz vergingen die ersten Tage .
Das Entsetzliche , das Unfaßbare war Wahrheit !
Hilde griff sich immer wieder an die schlagende Stirn - es war ja unmöglich - ganz undenkbar !
Wenn sie nur Tränen gefunden hätte wie ihre arme Mutter .
Aber ihre starre Verzweiflung löste kein erleichternder Tränenstrom .
Selbst bei der Bestattung konnte Hilde nicht weinen .
Wie durch einen Schleier sah sie die bekannten Gestalten auf sich zukommen und ihr die Hand drücken :
Daisys tränenüberströmtes Gesicht , die fest und tröstend den Arm um sie geschlungen hielt , Fräulein Geßner , die sie so herzlich küßte und sie voll Mitleid an ihre Brust zog .
Und dann hörten die Tage der Unruhe und des fortwährenden Besuches auf .
Gleichmäßige Stille trat wieder ein , die nach der aufregenden Zeit besonders schwer und niederdrückend auf dem Dahlenschen Hause lastete und die Lücke doppelt fühlbar machte .
Die Vermögensverhältnisse der Familie blieben durchaus keine glänzenden .
Doktor Dahlen war ein tüchtiger , beschäftigter Arzt gewesen , aber er hatte es nie verstanden , Kapital aus seinen Patienten zu schlagen und oftmals bei Unbemittelten die Forderung gestrichen .
Hilde hatte die traurige Zeit merkwürdig gereift .
Mit frühzeitigem Ernst begriff sie , daß sie nun , falls sie ihre Studien fortsetzen dürfte , mit ganz anderem Eifer daran gehen müsse , daß sie die Verpflichtung hatte , sich gleich Daisy möglichst bald auf eigene Füße zu stellen .
Aber vorläufig fehlte ihr noch jede Spannkraft , sie dämmerte dahin , und die Mutter sah trotz eigenen Schmerzes voll Sorge auf ihr so verändertes Kind .
Hilde mußte in ihre Tätigkeit zurück , sie mußte auf andere Gedanken kommen .
Als sie das erstemal an Daisys Seite die Klasse wieder betrat , wo jedes Ding sie unverändert ansah , meinte sie , die böse Zeit müsse ein wüstes Traumbild gewesen sein .
Die Lehrer und Lehrerinnen waren freundlich und teilnahmvoll .
Doktor Werners Blick aber ruhte voll tiefem , innigem Mitgefühl auf dem blassen , stillen Mädchen in den düsteren Trauerkleidern .
Das war Hilde Dahlen , das wilde , trotzige Ding ?
Die einst so übermütigen Augen leer und tief umschattet , die weichen Mundwinkel in herbem Weh herabgezogen , und ihr Lächeln , das sonnige , schelmische Lächeln , war einem Zuge stumpfer Verzweiflung gewichen .
Was wollte die in dem jungen Mädchenantlitz ?
Wie ein vom Sturm geknicktes Bäumchen lehnte sie kraftlos und schlaff in der Bank .
Da bedurfte es einer liebevollen und festen Stütze , an welcher der junge Baum sich aufrichten konnte und erstarken , bis er wieder in eigener voller Lebenskraft seinen Wipfel der Sonne entgegenhob .
" Fräulein Dahlen , ich bitte noch einen Augenblick . "
Doktor Werners Stimme hielt Hilde , die langsam neben Daisy die Klasse verlassen wollte , zurück .
Müde stützte sie sich auf die vorderste Bank , den Blick gesenkt .
Nun würde er ihr kondolieren wie all die übrigen .
Wie gleichgültig das alles war !
Aber Gerhard Werner sprach nicht .
Schweigend streckte er Hilde seine beiden Hände entgegen .
Da sah sie zum ersten Male wieder zu ihm auf , und ein Blick so weher Trostlosigkeit traf ihn , daß er sich erschüttert abwandte .
" Armes Kind , " sagte er dann leise , " armes Kind - ich weiß , Sie haben Ihren Vater sehr lieb gehabt . "
Hilde nickte stumm .
" Wissen Sie auch , wie Sie ihm Ihre Liebe noch über das Grab hinaus beweisen können ? " fragte er ernst .
" Wissen Sie es -
Hilde ? "
Das junge Mädchen war bei Nennung ihres Vornamens zusammengezuckt .
Jetzt schüttelte sie wieder apathisch das Haupt .
" Ich will es Ihnen sagen , Hilde , " fuhr Doktor Werner langsam fort , " denken Sie , Ihr Vater stände jetzt an meiner Stelle .
Ich weiß es , wie er zu Ihnen sprechen würde :
» Kopf hoch , mein Mädel , das sind die Schwachen und Wertlosen , die sich von einem ersten Schmerz zu Boden drücken lassen .
Ich aber kenne meinen Liebling besser .
Meine Hilde ist stark und voll Lebensmut , die rafft sich auf , die lebt so weiter , wie es im Sinne ihres Vaters ist . «
- So würde Ihr Vater zu Ihnen reden - glauben Sie , daß er sich über dieses schlaffe , energielose Hindämmern freuen würde ? "
Hilde hielt die Augen geschlossen .
Das Bild des Vaters aus gesunden Tagen hatten die Worte des Lehrers in ihr heraufbeschworen .
Ja , so würde er sie ansehen , so ihr übers Haar streichen und - " Vaterchen ! " schluchzte sie auf , und ein ungestümer Tränenstrom brach endlich , endlich den starren Schmerz .
Gerhard Werner ließ sie sich ruhig ausweinen .
Tränen waschen den schweren Druck vom Herzen und bringen Befreiung .
Aber als das wilde Weinen leiser und ruhiger geworden war , strich er ihr kaum merklich mit der Hand über das braune Haar .
" Sie haben nicht nur Rechte in Ihrem Schmerz , sondern auch Pflichten , " sagte er in warmem Ton .
" Haben Sie wohl schon einmal in diesen Tagen an Ihre Mutter gedacht , die Ihres frischen Jugendmutes jetzt bedarf , um daran wieder zu gesunden ?
Das ist ein unedler Schmerz , der voll Egoismus nur an sich selbst denkt und seine Umgebung darüber vergißt . "
Doktor Werner schwieg .
Hilde aber stieg langsam die Schamröte in das blasse Gesicht .
Was hatte Daisy ihr doch heute erst gesagt ?
" Sieh mich an , Hilde , ich stehe ganz allein in der Welt und lasse doch den Kopf nicht hängen . Dir hat Gott noch viel gelassen , du hast eine gute Mutter , die dich lieb hat , sei nicht undankbar . "
Zum zweiten Male wies man ihr heute ihre Pflicht .
Mit einem energischen Ruck wie früher hob Hilde das verweinte Gesicht .
Dann streckte sie Doktor Werner die Hand hin .
Das Ausdruckslose in ihrem Auge war gewichen .
" Ich danke Ihnen , Herr Doktor , " sagte sie leise , " ich will an Ihre Worte denken . "
- Die treue Daisy war trotz des langen Wartens nicht ungeduldig geworden .
Zärtlich zog sie Hildes Arm durch den ihren .
" Du siehst lange nicht mehr so matt aus , darling , " sagte sie liebevoll .
- " Wie gut unserer Hilde die Arbeit tut , " meinte nach einiger Zeit auch die Mutter zu Richard , " sie ist ordentlich eine andere geworden .
Vater würde sich über sein tapferes Mädel freuen . "
" Ja , sie ist sanft und weich geworden durch die Trauer , " sagte Richard sinnend .
" Aber trotzdem , die eigenwillige , starrköpfige Hilde war mir lieber .
Sie hat ihr helles Lachen ganz verlernt . "
" Es kommt wieder - das kommt wieder - " die Mutter blickte trübe vor sich hin , " du lieber Himmel , mit knapp achtzehn Jahren .
Sie wird nicht vergessen , aber überwinden lernen . "
" Mama , ich lasse euch sehr unruhig zurück .
Gerade jetzt eine so lange Vertretung außerhalb .
Und doch ist_es richtig , daß ich sie angenommen habe ; das Geld wird mir zum Assessorexamen willkommen sein . "
" Du hast ganz recht gehandelt , mein Sohn .
Freilich still wird es bei uns werden , noch stiller als es schon ist .
Aber der Umzug wird uns ablenken , und in den neuen Räumen werde auch ich vielleicht ruhiger sein . "
Sie blickte mit schwimmenden Augen auf das vor ihr stehende Bild des Gatten .
- Ostern brachte große Veränderungen mit sich .
Dahlens siedelten in eine kleinere , freundliche Gartenwohnung über .
Hilde und Daisy wurden Primanerinnen .
Nach der letzten Mathematikstunde vor dem Schulschluß trat Hilde zu Doktor Werner ans Katheder .
Es war seit dem Tode ihres Vaters das erstemal , daß sie unaufgefordert das Wort an ihn richtete .
Er konnte mit ihrem eifrigen Streben und ernsten Wollen jetzt zufrieden sein .
Aber die rechte Schaffensfreude fehlte der Arbeit noch .
" Herr Doktor , " begann sie zögernd , " ich habe in den letzten Wochen eingesehen , wieviel Lücken meine Mathematikkenntnisse noch aufweisen .
Ich bin recht niedergedrückt dadurch , denn ich möchte mit den anderen gern Schritt halten .
Das beste ist , denke ich , wenn ich noch eine Nachhilfestunde wöchentlich nehme ; und da wollte ich Sie um Ihren Rat bitten .
Sie können mir gewiß einen Lehrer nennen , aber - er darf auch nicht zu teuer sein , " zaghaft gingen ihr die letzten Worte über die Lippen .
" Hm - "
Doktor Werner dachte nach , " einen Lehrer wüßte ich schon , der Sie ganz gern bei Ihrer Arbeit unterstützen würde , Fräulein Hilde .
Auch mit dem Preise ließe er wohl mit sich reden .
Aber die Hauptsache - kann ich Sie denn mit gutem Gewissen dem Herrn empfehlen , ist es Ihnen denn ernst mit Ihrer Arbeit ? "
" Sie haben ein Recht , diese Frage an mich zu stellen , Herr Doktor , " sagte Hilde leise , " ich habe mich Ihnen gegenüber oft genug kindisch und unreif gezeigt , aber - ich bin eine andere geworden - Sie dürfen mir Glauben schenken . "
Sie blickte ihm frei ins Gesicht .
" Ich weiß es , Hilde Dahlen , " Doktor Werner reichte ihr ernst die Hand , " und darum wollen wir es miteinander probieren .
Ich selbst will der Lehrer sein , der versuchen wird , Ihnen die unverständliche , trockene Mathematik schmackhafter und verdaulicher zu machen .
Ich will Ihnen gern meinen freien Sonntagvormittag opfern .
Nur müssen Sie sich zu mir herausbemühen .
Der Sonntag gehört meiner Mutter , die mich die ganze Woche entbehren muß .
Sie wird sich übrigens freuen , Ihre Bekanntschaft zu machen . "
Ein Lächeln verschönte zum ersten Male seit vielen Tagen wieder Hildes schmal gewordenes Gesicht .
" Vielen , vielen Dank , Herr Doktor , Sie sollen Ihre Güte nicht bereuen . "
Noch lange klang Gerhard Werner dieser warme Ton im Ohr nach . -
Herzklopfend saß Hilde in der Stadtbahn , die sie an einem der nächsten Sonntage nach dem ruhigen , von friedlichen Gärten umkränzten Vorort heraustrug , wo das stark pulsierende Leben der Großstadt so wohltätig , verstummt .
Zerrissene Wolken jagten wild am grauen Aprilhimmel , doch da - ein winziges Stückchen Himmelsblau , Hildes Augen hingen mit abergläubischem Bangen an diesem Eckchen .
Würde auch ihrem Leben einmal wieder blauer Himmel lachen ? - ach , nur solch winziges Stück , sie war ja bescheiden geworden .
Nur ein wenig Sonnenschein - ja , war nicht schon heute ein goldener Strahl durch die dicken , düsteren Wolken , die an ihrem Lebenshorizont hingen , geblitzt , war nicht eine Empfindung der Freude in ihr erwacht , daß sie sich zur Stunde zu Doktor Werner begab ?
Langsam schritt sie die stille Straße hinunter , die vom Bahnhof zum Vorort führte .
Sie hielt den Blick nicht mehr krampfhaft zu Boden gesenkt wie die Tage zuvor .
Zum ersten Male sah sie , daß es wieder zu treiben und zu keimen begann in der Natur , gelblichgrüne Spitzchen sprengten schon die starre braune Winterhülle - es wurde wieder Frühling .
" Alles erwacht wieder , alles lebt wieder auf , nur er - " murmelte Hilde bitter vor sich hin .
Ihr tränenverschleierter Blick schaute den kleinen efeubestandenen Erdhügel im Garten des Todes , unter dem der Vater schlief .
Sie sah nicht , daß zwei alte Augen aus dem weinumsponnenen Erker , an dem sie gedankenlos vorüberschritt , ihr Näherkommen und das wechselnde Mienenspiel in ihrem Gesicht beobachtet hatten .
Suchend blieb sie plötzlich stehen .
Da hatte sie doch tatsächlich die Hausnummer vergessen .
Welches der sich so gleichenden Häuschen war es nun ? -
Sie war doch im vorigen Jahre schon heimlich daran vorbeispaziert !
Unsicher flog ihr Blick in die Runde .
Da öffnete sich die Gartentür vor ihr , eine schlanke Frauengestalt trat heraus .
Schneeweißes Haar umrahmte ein kluges Gesicht , und die Augen blickten so klar , so leuchtend blau - solche Augen konnte nur seine Mutter haben .
Die alte Dame kam Hildes Frage zuvor .
" Sie sind gewiß Fräulein Hilde Dahlen , " sagte sie mit gewinnendem Lächeln , " ich sah Sie an unserem Heim vorübergehen .
Da wollte ich Ihnen das Suchen ein wenig erleichtern . "
Freundlich streckte sie Hilde die feingeäderte Hand entgegen .
Wie vornehm seine Mutter aussah und dabei wie lieb !
Bewundernd folgte ihr Hildes Blick , als sie dem jungen Mädchen voran ins Haus schritt .
" Ein wenig müssen Sie noch mit mir fürliebnehmen , liebes Kind , " sagte Frau Werner , Hilde in den mit altmodischer Behaglichkeit ausgestatteten Erker führend .
" Mein Sohn hat noch Besuch von einem Kollegen .
Und ich bin egoistisch genug , mich darüber zu freuen .
Ich alte Frau plaudere auch gern einmal mit einem jungen Menschenkinde . "
Ihre einfache , freundliche Art verscheuchte bald die leise Befangenheit , die über dem jungen Besuch lag ; in kluger , unabsichtlicher Weise leitete sie das Gespräch auf Hildes Interessen und veranlaßte sie zum Erzählen .
Hildes anfänglich so gedrücktes Wesen wurde frischer und lebhafter .
Die forschenden gütigen Augen ihr gegenüber schienen ihr bis ins Herz zu leuchten und Licht und Schatten in ihrem Inneren zu durchdringen .
Sagte Hilde denn kein unbewußtes Ahnen , wie angstvoll und besorgt eine Mutter hier im Herzen derjenigen zu lesen versuchte , deren Bild ihr kluger , feinfühlender Sinn schon eher in der Brust des Sohnes entdeckt hatte , als es ihm selbst klar geworden war ?
Und immer freundlicher wurde die Miene der alten Frau und immer leichter ihr Herz .
Klar und rein wie ein See lag Hildes Sein und Fühlen vor ihr .
Es war Edelmetall , kein blendendes Talmi , die Kleine war es wert , daß Gerhard sich ihr zuwandte .
Als Doktor Werner nach geraumer Zeit eiligst in das Zimmer der Mutter trat und der Verspätung wegen vielmals um Entschuldigung bat , meinte Hilde ehrlich : " Eigentlich tut es mir leid , daß Sie schon kommen , Herr Doktor .
Ich fand es viel netter , mit Ihrer Frau Mutter zu plaudern , als Mathematikstunde zu haben . "
Und die Mutter setzte mit liebevollem Blick auf ihren Sohn hinzu : " Wir sind schon gute Freunde geworden in der kurzen Zeit , und nächsten Sonntag kommt Fräulein Hilde ein bißchen früher und schenkt mir wieder ein Plauderstündchen , nicht wahr ? "
Da ging es wie ein Freudenschein über das Gesicht des Sohnes .
Und dann begann der Ernst der Stunde .
Hilde versuchte es redlich , all ihre Gedanken auf den Gegenstand zu konzentrieren , sich durch nichts ablenken zu lassen .
Aber nach einer halben Stunde schon fühlte sie , daß sie begann , abzuspannen .
Wenn sie nur nicht wieder den schrecklichen Gähnkrampf kriegte ; wie mußte das Doktor Werner , der ihr in so liebenswürdiger Weise seine Zeit opferte , verletzen .
Hilflos irrte ihr Blick umher .
Aber je fester sie die Lippen zusammenkniff , umso mehr verlor sie die Herrschaft über sich .
" Huuh " - Doktor Werner schien es zu übersehen , er sprach ruhig weiter .
Jetzt war sie verloren - " huuh " - das konnte doch nicht so fortgehen .
Ihre kleine Hand preßte sich gegen den rebellischen Mund - " huuh " - sie mußte ihn bitten , eine Pause zu machen .
" Herr Doktor , ach , seien Sie nicht böse - huuh - ich bin wirklich nicht unaufmerksam , nur - "
Da lachte Doktor Werner plötzlich sein von Herzen kommendes Lachen .
" Aber Kind , quälen Sie sich doch nicht so .
Abgespannt sind Sie und noch immer angegriffen .
Ich bin ein recht rücksichtsloser Mentor , was ?
Gähnen Sie nur , ich sehe mir inzwischen das Sprießen unserer Syringenbüsche an . "
Aber auf halbem Wege zum Fenster machte er sich besinnend halte und schritt zu einem kleinen Wandschrank .
Dort füllte er ein Spitzgläschen mit goldgelbem Wein und reichte es der errötenden Hilde .
" Trinken Sie , " sagte er sorglich , " Sie werden davon frischer werden . "
Hilde nippte Gehorsam das feurige Naß , noch nie hatte ihr Wein so gut gemundet - und vor allem , es half .
Sie fühlte den ermattenden Bann , dem sie unterlegen , schwinden , klarer blickte ihr Auge .
In Doktor Werners Studierzimmer wanderte es langsam umher : über die einfachen , guterhaltenen Möbel , die Riesenregale mit gelehrten Büchern und den schriftenbelasteten Schreibtisch ; daran saß er wohl meist in emsigem Schaffen .
Stille Harmonie lag über dem Studierzimmer und seinem Besitzer .
" Sehen Sie , Fräulein Hilde , " sagte er , ihr den Rücken wendend , " wie draußen in der Natur nach langer Todesnacht das Leben wieder in seine Rechte tritt - so geschieht es auch dem so leicht verzagten Menschenherzen . "
Keine Antwort - da schritt er zu ihr zum Tisch zurück .
" Auch Ihrem Herzen wird es wieder heller Frühling werden - glauben Sie es , Fräulein Hilde ? "
Sie schüttelte unmerklich den Kopf .
" Nein , Sie glauben es nicht - sehen Sie mich , bitte , an , so - glauben Sie es nun -
Hilde ? "
Da wußte Hilde es : ein Frühling würde eines Tages auch ihrem Leben kommen ! -
Die Sonntagvormittage draußen in dem friedlichen Gelehrtenheim und das stets dem Unterricht vorangehende gemütliche Plauderstündchen mit der ebenso klugen als gütigen Frau Werner begann bald den Hauptinhalt in Hildes Leben auszumachen .
Der mühselige Wochentag , all das angestrengte Arbeiten und Lernen , das Sparen und Einrichten im Hause wurde ihr leicht , folgte doch stets ein entschädigender Sonntag als Belohnung .
Da draußen unter den duftenden Fliederbüschen lernte Hilde wieder lachen , frei und froh , wie es ihren Jahren entsprach .
Frau Werner und Hildes Mutter hatten einander kennen und schätzen gelernt ; und die alte Frau Werner , die ihren Gatten schon so früh verloren , wußte mit weicher Hand das wunde Herz Frau Doktor Dahlens langsam zu heilen .
Mathematische Formeln wechselten mit dem Tacitus ; französischer Konjunktiv mit Anglezismen .
Hildes Eifer erlahmte nicht .
In zielbewußter Arbeit fand sie ihre Jugendfrische wieder .
Bäume blühten , trugen Frucht , vergingen .
Draußen auf einem stillen Rasenfleckchen , über das man oft zwei schwarzgekleidete Frauengestalten sich neigen sah , waren Veilchen und Primeln längst verblüht .
Der Goldregen hatte seine gleißende Pracht auf den braunen Hügel gestreut , das weiße Rosenbäumchen ihn weich mit lichten Blättchen gedeckt , und die letzten Astern waren entblättert .
Jetzt begann die kühle , glitzernde Schneedecke , die das stille Grab seit Wochen umfing , unter linden Lüften langsam zu schmelzen - ein Jahr war vergangen , seitdem man Hildes Vater zur Ruhe gebettet .
Ein vornehmer Freier Fränze war Braut .
Eitel Glück und Sonnenschein herrschte im Stavenschen Hause , denn der Bräutigam war von altem vornehmen Adel , wie die Tante jedem versicherte .
Nur Daisy bekam die Schattenseite dieser lichtvollen Zeit zu kosten .
Fränze war eingebildeter und hochmütiger als je ; und dazu die Unruhe und die vermehrte Arbeit des Verlobungstrubels .
Daisy wußte oft nicht , wo sie die Zeit zum Lernen hernehmen sollte .
Sie war äußerst verblüfft , als Fränze sie eines Nachts , vom Ball heimkehrend , unbarmherzig aus dem Schlaf rüttelte :
" Du - Daisy - ich habe mich heute abend verlobt , mit Herrn von Hülsen , er hat ein großes Rittergut . "
Die gutmütige Daisy wünschte der Cousine , trotzdem diese ihr nur Leide_es angetan , von Herzen Glück .
" Habt ihr euch denn schon lange lieb ? " fragte sie interessiert .
" Liebe - " Fränze zuckte mitleidig über Daisys Dummheit die Achsel - " lieben ist ganz unmodern , sagt Mama .
Heutzutage schätzt man sich , das ist viel vornehmer .
Manfred - wie feudal der Name schon klingt - ist durch und durch Kavalier .
Morgen wirst du ihn ja kennenlernen . "
Lange wälzte Daisy sich voll unruhiger Gedanken schlaflos auf dem Lager , während die eben verlobte Braut seelenruhig schnarchte .
So also sah das Glück aus , das jubelnde , himmelstürmende Glück , das sie bisher stets mit einer Verlobung für gleichbedeutend gehalten hatte ?
Und als am nächsten Vormittag Fränzes Manfred in tadellosem Gesellschaftsanzug Besuch bei der Familie machte , um in aller Form um Fränze anzuhalten , da starrte ihn Daisy mit ungläubiger Verwunderung an und vergaß fast das Gratulieren .
Dieser kahlköpfige Mensch mit der blassen Gesichtsfarbe und den vielen Fältchen und Strichen um Augen und Mund , das war der Auserwählte der noch nicht zwanzigjährigen Fränze ?
Dagegen sah ja Onkel Wilhelm mit seiner kurzen , gedrungenen Gestalt und dem fast ergrauten Haar wie ein Jüngling aus !
Und dieses Gezierte und Gedrechselte in seinem Wesen !
Daisy mußte sich Mühe geben , um nicht laut herauszulachen .
Die eintretende Tante aber blähte sich wie ein Pfau vor Stolz und Eitelkeit und meinte mit einem Blick auf den neuen Schwiegersohn , der in abgemessener Verbindlichkeit die rote , fleischige Hand Fränzes an seine schmalen Lippen zog : " Siehst du , das ist wahre Vornehmheit , Daisy , achte nur jetzt recht auf dich . "
Daisy stand in der Küche und half beim Backen , Braten und Schmoren ; und da die geizige Tante kein Hausmädchen mehr hielt , mußte Daisy natürlich das Essen selbst auftragen und servieren , denn die Köchin sah nicht standesgemäß genug aus .
Daisy preßte fest die Lippen zusammen , um die Tränen zurückzuhalten ; das war Fränze wieder , nur Fränze , die ihr dies eingebrockt hatte , um sie vor dem Bräutigam zu erniedrigen .
Wie gut , daß es Sonntag war , und die Verwandten Theaterkarten hatten .
Da konnte Daisy doch wieder einen gemütlichen Sonntagabend in der stillen Gartenwohnung bei Dahlens verbringen und Hilde brühwarm die große Neuigkeit erzählen .
Sie kam jetzt nur noch selten zu der Freundin .
Die Entfernung war eine zu große geworden ; umso mehr freute sie sich auf den heutigen Besuch .
Ob Günter Berndt sich auch am Ende einfinden würde ?
Richard hatte zwar eine neue Vertretung angenommen und war nicht daheim , aber Hilde hatte erzählt , daß sich Günter in treuer Freundschaft , so oft es sein Beruf gestattete , nach ihnen umsähe ; er verehrte Frau Doktor Dahlen wie eine Mutter .
Daisy hatte ihn ab und zu flüchtig auf der Straße getroffen , wenn er vom Kinderkrankenhaus , an dem er tätig war , heimkehrte .
Aber seit jenem Maskenball , wo die Wiedersehensfreude sie einander so nahe gebracht hatte , war eine seltsame Entfremdung zwischen sie getreten .
Wenn er sie mittags auf dem Heimweg vom Gymnasium traf , das Mäppchen unter dem Arm , runzelte er unwillkürlich die Augenbrauen , und die feinfühlende Daisy las das Abweisende gegen ihr vieles Lernen in seinem offenen Mienenspiel .
Dann wappnete sie sich gegen seinen Blick , war taub gegen jeden wärmeren Ton , und ein längst vergessenes hartes Wort erwachte wieder in ihr und bohrte und quälte sie und erstickte alle weichen Regungen .
Sie litt unsäglich unter diesem Zwiespalt und trotzdem - wenn er doch heute da wäre , wünschte sie inbrünstig , als sie die Klingel zur Dahlenschen Wohnung zog .
Max öffnete und begrüßte freudig den gern gesehenen Gast .
Ihr Blick überflog die Garderobenhaken .
Der schwarze weiche Hut gehörte Max und der da - der braune - sie kannte ihn nur zu gut , spähte sie doch unbewußt auf der Straße ständig nach jedem braunen Herrenhut aus .
Ein anheimelndes Bild beschien der rötliche Lampenschirm in dem traulichen , nicht allzu geräumigen Zimmer .
Die Mutter saß eifrig mit Näharbeit beschäftigt .
Hilde war aus sämtlichen Sachen , die der Trauer wegen ein Jahr liegen mußten , herausgewachsen .
Sie war größer und voller geworden in diesem Jahre und blühte wie eine Rose .
Sie schrieb einen Aufsatz ins reine .
Auf dem Schachtisch daneben stützte Günter Berndt nachdenklich das Gesicht in die Hand .
Er war gerade am Zuge , als Max abgerufen wurde .
Jetzt hob er lauschend den Kopf .
" Ratet Mal , wen ich bringe ! " rief Max schon von draußen herein und zog Daisy frohlockend hinter sich her .
Hildes Füllfederhalter flog auf die Erde , mit altem Ungestüm begrüßte sie die Freundin .
Die Schachfiguren klapperten leise .
" Mensch , was machst du denn ? " rief Max .
" Du hast ja eben deinen Springer über fünf Felder gehen lassen , nicht mogeln , bitte ich mir aus ! "
Günter Berndt erhob sich , nur flüchtig lag Daisys Hand in der seinen .
" Na , Daisychen , " meinte Hildes Mutter erfreut , " das ist recht , daß du dich wieder einmal sehen läßt . "
" Ich bringe auch eine nagelneue Nachricht - eine Verlobung - rate , Hilde ! "
" Sie selbst , " neckte Max .
" Unsinn , " Daisy errötete heftig , " ich habe Besseres zu tun , also - Fränze . "
Hilde ließ sich mit unnachahmlicher Miene in den nächsten Stuhl fallen .
" Fränze - tatsächlich , Daisy - rechte Hand , Ehrenwort ? "
Daisy bekräftigte ihre Mitteilung durch den gewünschten Handschlag .
" Na , wo die Liebe hinfällt , da liegt sie , " meinte Hilde lachend , " der Ärmste - das heißt , es geschieht ihm schon recht , wenn er solch Esel ist , sie zu nehmen .
Wer ist denn der Glückliche ?
Ihr angebeteter Lämmergeier ? "
" Not at all - das heißt , ich glaube , im innersten Herzen hätte sie den lieber genommen , aber » Frau Lämmerhirt « - pfui , wie das klingt ! "
" Wer ist es denn nun eigentlich ? " erkundigte sich auch Frau Doktor Dahlen .
" Kennt und liebt ihn deine Cousine schon lange ? "
" Kennen - na , acht Tage wird sie ihn wohl schon gekannt haben , und lieben - aber das ist ja höchst überflüssig dabei , die Hauptsache ist , daß er durch und durch Kavalier ist und ein einträgliches Rittergut besitzt . "
" Aber Daisy - Daisy , " drohte Frau Doktor Dahlen , " du bist ja eine ganz gefährliche kleine Person ! "
" Wie sieht er denn aus ? "
Hilde war vollständig bei der Sache , handelte es sich doch um die erste Braut in ihrem Kreise .
" Figur - wie ein halbzusammengeklapptes Taschenmesser , Gesicht - wie eine vertrocknete Zitrone , Haare - einst gewesen , besondere Merkmale - spinnenartig aristokratische Hände . "
Daisy ließ ihrer spöttischen Laune freien Lauf .
Alle lachten .
Nur Günter Berndt , der sich bisher angelegentlichst mit seinen Elfenbeinfiguren beschäftigt hatte , meinte neckend : " Ei , ei .
Miß Daisy , so vielen scharfen Spott für das bräutliche Glück Ihrer Cousine .
Wären Sie am Ende gern selbst an ihrer Stelle ? "
Daisy schoß das Blut in die Wangen :
" Ich - ich habe von diesem sogenannten Glück schon vom bloßen Ansehen genug . "
" Na - na , " machte Günter Berndt , ungläubig mit den Augen zwinkernd , " wie ist doch die Geschichte von dem Fuchs und den Weintrauben ? "
Was fiel ihm denn ein - der dachte wohl am Ende gar , sie warte nur darauf - er brauche nur zu winken - o nein , diese Illusion wollte sie dem Herrn Doktor doch gründlich nehmen .
" Ich werde ja vermutlich nicht in die Verlegenheit kommen , " trotz allen Zusammennehmens klang Daisys Stimme erregt und gereizt , " ich habe es ja Gott sei Dank nicht nötig , auf den Herrn der Schöpfung zu warten .
Ich habe ja meinen Beruf . "
Günter Berndt stellte die Königin , die er eben in der Hand hielt , geräuschvoll auf das Brett .
" Wenn Sie nur Ihrer Sache sicher sind , Miß Greeham , " es zuckte spöttisch um seine Lippen , " es ist schon Mal ein Nachtwächter am Tage gestorben , und es soll einen kleinen geflügelten Gott geben , der selbst vor einem mit Mathematik und Latein umpanzerten Mädchenherzen nicht halte macht . "
" Da sind Sie doch vollständig im Irrtum , Herr Doktor .
Ein » studiertes Mädel « wie ich , liebt nicht so leicht .
Dem ist der Mann nur guter Kamerad , Berufsgenosse .
An ein Mädchen mit dem Seziermesser in der Hand wagt sich nicht einmal Gott Amor . "
So - nun hatte sie es ihm mit seinen eigenen Worten gesagt ; was so lange in ihr gewühlt , hatte endlich die niederdämmenden Fesseln gesprengt .
Günter Berndt fuhr sich mit der Hand über die Stirn - diese Worte - wo hatte er sie nur schon einmal gehört ?
Keine Ahnung dämmerte in ihm auf , daß Daisy ihn soeben mit seinen eigenen Waffen geschlagen , daß sie seine Unterhaltung mit Richard damals belauscht hatte .
Er fühlte sich durch ihre Worte bis ins Innerste zurückgestoßen und verletzt .
Ahnte er es wirklich nicht , welche Qual ihr diese kühlklingenden Worte bereiteten ?
" Sie haben recht , Miß Greeham , ich bin ganz Ihrer Meinung , " sagte er nach sekundenlangem Schweigen mit erzwungener Ruhe , " ein studiertes Mädel , das trockene Wissenschaft in sich aufspeichert , tut dieses wohl auf Kosten ihres Gefühlslebens .
Ihr Beruf wird sie stets in Zwiespalt bringen mit ihren Empfindungen als Weib .
Wie will sie ihre Pflichten als Gattin und Mutter mit den Anforderungen des Berufes in Einklang bringen ?
Eins muß dabei zu kurz kommen . "
Daisy war bleich geworden .
Hilde aber rief ein empörtes " Oho ! " dazwischen , und selbst Max ließ ein " Na , erlaube Mal gütigst ! " vernehmen .
" Oho , " rief Hilde noch einmal mit verstärkter Stimme , " da sind Sie doch gehörig auf dem Holzwege , Günter !
Ich hätte nicht gedacht , daß es im zwanzigsten Jahrhundert noch Menschen mit so vorsintflutlichen Ansichten gäbe .
Machen Sie doch gefälligst die Augen auf .
Sie werden überall finden , daß die gebildete , kenntnisreiche Frau , die ihre Kräfte schon im Kampf ums Dasein erprobt hat , dem Gatten nicht nur eine Puppe , sondern die einsichtige , verständige Gefährtin ist , der treueste Kamerad in jeder Lebenslage . "
Hilde schwieg plötzlich verlegen .
Sie fühlte aller Blicke auf sich gerichtet .
Wozu hatte sie die Gedanken auch preisgegeben , die Doktor Werner neulich in ihr angeregt , und die sie seitdem innerlich weitergesponnen hatte .
" Mädel , du redest ja wie ein Buch , " sagte die Mutter , ihrer Hilde liebevoll die heißen Backen streichelnd , " aber wahr ist_es , unser Freund Günter ist diesmal ungerecht . "
" Er ist und bleibt ein alter Krakeeler und kann keinen Frieden halten , " ulkte Max , " früher hat er sich stets und ständig mit der Hilde gekabbelt , und seitdem diese die Friedenspalme schwingt , kriegt die arme Daisy ihr Teil .
Lassen Sie den Brummbär doch laufen , Daisy . "
In Daisys Gesicht zuckte es .
Es hätte nicht viel gefehlt , dann hätte sie losgeheult .
" Komme , Daisy , wir wollen das Abendbrot zurechtmachen , das Mädchen ist ausgegangen , " Hilde zog die Freundin mit sich fort , " dann hat Günter Berndt doch gleich Gelegenheit , einzusehen , daß auch » studierte Mädel « Rühreier zu bereiten verstehen . "
Daisy blieb schweigsam , sie konnte ihrer trübseligen Stimmung nicht Herr werden .
Heute wußte sie nun ganz genau , was er von ihr dachte , daß ihm alles nur ein Spiel gewesen .
Zu dürren , unbarmherzigen Worten hatte er ihr seine wahre Meinung enthüllt .
Das gab ein förmlich gezwungenes Gespräch , später auf dem Heimweg .
Jeder der beiden bemühte sich , gleichgültig und sachlich zu reden , und jeder dachte im geheimen an den Nachhauseweg vor der indischen Seereise - wie anders war der gewesen ! -
Sie grüßten sich fortan , wenn sie sich auf der Straße trafen , sie sprachen auch miteinander , und sie vermieden es nicht , bei Dahlens zusammenzutreffen .
Aber die zarten , sich von Herz zu Herzen schlingenden Fäden , die sich zwischen ihnen gesponnen , hatten Mißverständnisse und gedemütigter Stolz arg verknotet und verwirrt .
Keiner von ihnen fand das rechte Wort , um sanft und geduldig die zum Zerreißen gespannten Fäden zu entknüpfen und zu glätten .
Günter Berndt machte in Gedanken einen dicken Strich unter den Namen " Daisy " ; und Daisy wandte nicht mehr den Kopf nach jedem braunen Hut .
Ihre Gedanken konzentrierten sich nach und nach nur wieder auf ihre Arbeit .
Aber Kämpfe kostete es , dieses Vergessenwollen , mancher Tropfen Herzblut blieb daran hängen .
- Man rüstete im Stavenschen Hause zu Fränzes Hochzeit .
Daisy kam oft erst abends nach neun Uhr , wenn die ganze unruhige Gesellschaft ausgeflogen war , zum gesammelten Arbeiten .
Stammten daher ihre bleichen Wangen , die müden , glanzlosen Augen ?
Erschreckt hielt Günter Berndt , als er sie einige Wochen nach dem letzten Zusammensein mit ihrem Mäppchen traf , im Gruß inne .
Wie elend das Mädel aussah !
Er hatte es ja gleich gewußt , sie war viel zu zart für die Anstrengungen des Studiums .
Schon wollte er stehen bleiben , doch sich besinnend setzte er kalt grüßend seinen Weg fort .
Und Daisy wandte sich kein einziges Mal um .
Zu Ostern wurden Daisy und Hilde in die Oberprima versetzt .
Das letzte Jahr vor dem Abiturium - es stellte große Anforderungen an die jungen Gymnasiastinnen .
Trotzdem hatte Hildes Mutter gemeint , daß ihre Tochter jetzt keine Privatstunden in Mathematik mehr brauche .
Sie mußte nun so weit sein , um selbständig arbeiten zu können .
Für das Stundenhonorar konnte man schon das Examenskleid anschaffen .
Als Hilde das letzte Mal vor Ostern das Vorstadthäuschen , in dem Doktor Werner mit seiner Mutter wohnte , aufsuchte , waren ihre Gedanken recht jämmerlich .
Nun hatten die schönen Sonntagvormittage ein Ende .
" Kindchen , Sie sind ja so ruhig , wo fehlt es denn , darf es Ihre alte Freundin nicht wissen ? " fragte Frau Werner , prüfend in das trübselige Mädchengesicht blickend .
" Ich bin heute zum letzten Male hier , " sagte Hilde mit Grabesstimme .
" Nanu , " die alte Dame erschrak wirklich , " wollen Sie der Heimat Lebewohl sagen ? "
Hilde schüttelte stumm den Kopf .
Die Tränen stiegen ihr verräterisch in die braunen Augen .
" Ich - ich soll - ich darf keine Mathematikstunden mehr haben , " stieß sie hervor .
Die kluge Frau Werner verstand auch das Ungesagte .
" Sie besuchen mich weiter fleißig , " tröstete sie mit seinem Lächeln , " ich kann ja ordentlich stolz darauf sein , daß Ihnen die Trennung von mir so schwer fällt . "
Eine Glutwelle jagte Hilde über das Gesicht .
" Ach , da blühen ja schon die ersten Schneeglöckchen im Garten , " versuchte sie ablenkend dem Gespräch eine andere Richtung zu geben .
Und dann saß sie wie sonst Doktor Werner gegenüber in dem schmucklos ernsten Studierzimmer , und in klaren Worten machte er ihr geduldig immer und immer wieder die jetzt schwieriger werdenden Aufgaben verständlich .
Er hatte bisher niemals mehr über Hildes Unaufmerksamkeit zu klagen gehabt .
Sie gab sich grenzenlose Mühe , ihm zu folgen .
Aber heute sah er ihre Blicke unruhig im Zimmer umherschweifen und dann wieder abwesend an seinem Antlitz haften - was hatte denn die Hilde ?
Unvermittelt machte er eine Pause in seiner Erklärung und sah sie fragend an .
Hilde schrak aus ihrer Versunkenheit empor .
Antwort heischend ruhte sein Blick auf ihr .
" Ich habe - heute die letzte Privatstunde , Herr Doktor , " begann sie stockend .
" Nanu - sind Sie schon zu klug ? " fragte er lächelnd .
Hilde war nicht zum Scherzen zumute .
" Mama meint , " fuhr sie auf ihre Zahlen niederstarrend fort , " wenn ich jetzt in die Oberprima gehe , genüge der Mathematikunterricht dort für mich ; was die anderen können , müsse ich auch leisten , oder ich sei überhaupt zu vernagelt zum Studieren . "
Doktor Werners Mundwinkel zuckten belustigt .
" Ich bin auch der Ansicht Ihrer Frau Mutter , daß Sie mit den Stunden am Gymnasium nun auskommen werden . "
Hilde malte mechanisch Kreise in ihr Heft - so wenig lag ihm an den Sonntagvormittagen !
Gerhard Werner weidete sich einige Sekunden heimlich an ihren trotzig traurigen Mienen .
" Aber mein Mutterchen soll doch nicht darunter leiden , die sich die ganze Woche lang auf Ihre Gesellschaft freut , nicht wahr , Fräulein Hilde ?
Ich will Ihnen einen Vorschlag machen :
Unterricht nehmen Sie nicht mehr , aber Sie kommen nach wie vor am Sonntag zu uns heraus .
Sie besuchen meine Mutter , und dann rechnen wir die Exempel , die Ihnen in der Woche unklar geblieben sind , noch einmal zusammen durch .
Einverstanden ? "
Er streckte ihr herzlich seine Hand über den Tisch entgegen .
Aber Hilde schlug nicht freudestrahlend ein , wie er erwartet hatte .
Peinlich verlegen saß sie da , Schamröte schlug ihr ins Gesicht .
Er hatte den Grund ihrer Mutter durchschaut und wollte ihr Stunden geben ohne Honorar , dieser Gedanke demütigte die stolze Hilde tief .
Doktor Werner wußte nicht , was er von ihrem Schweigen denken sollte .
" Gefällt Ihnen mein Vorschlag denn nicht ? " fragte er erstaunt .
" Nein - nein , " stieß Hilde erregt hervor , " umsonst nehme ich keine Stunden .
Schenken lasse ich mir nichts , " sie zerknitterte das Löschblatt zwischen den Fingern .
Ohne aufzublicken , fühlte sie seinen ernsten Blick .
" So kleinlich - sind Sie wirklich so lächerlich kleindenkend , daß Sie mir die Freude , Ihnen Unterricht geben zu können , bezahlen wollen , Hilde ? " wieder kam seine Hand über den Tisch .
Ein kurzes Zögern noch - ein scheuer Blick in sein vorwurfsvolles Gesicht , und dann lag Hildes Hand fest in der seinen - sie hatte sich wieder einmal besiegt !
So fuhr sie auch nach Ostern regelmäßig zu dem syringenumbuschten weißen Häuschen hinaus . - - - Aus Frühling wurde Sommer , und Fränzes Hochzeit stand vor der Tür .
Frau von Staven kannte ihrer Tochter gegenüber kein ängstliches Sparen , Fränze bekam eine fürstliche Ausstattung , denn das war sie dem vornehmen Schwiegersohn doch schuldig .
Wie eine Königin sollte ihre Fränze auf dem herrlichen Rittergut in Ostpreußen einziehen .
Freilich , daß sie ihr Kind fortgeben mußte , war bitter , denn die einzige weiche Regung in dem harten Herzen der Tante Malwine gehörte Fränze .
Aber sie sonnte sich in dem Glück und dem Glanz ihrer Tochter , allerdings in dem Glanz mehr als in dem Glück .
Von Glück war auch eigentlich nicht viel bei dem sonderbaren Brautpaar zu merken .
Manfred von Hülsen blieb vornehm kühl und zurückhaltend in seinen Empfindungen wie im Anfang , und Fränze dachte , so wäre es vornehm .
Dummstolz meinte sie zu der sich stets aufs neue wundernden Daisy :
" In vornehmen Kreisen ist das nun Mal so . "
Daisy war der Bräutigam von Fränze unsympathisch .
Sein Blick hatte etwas Verstecktes , er sah keinem Menschen gerade ins Auge .
Sie konnte ein leises Mißtrauen gegen ihn nicht unterdrücken .
Und sie sollte sich nicht getäuscht haben .
Drei Tage vor der Hochzeit ließ sich der Schwiegersohn , noch etwas fahler als sonst aussehend , frühmorgens bei Onkel Wilhelm melden .
" Papa , du mußt die Güte haben , mir sofort siebzigtausend Mark vorzustrecken , bekomme eben die Nachricht , daß mein Inspektor mir mit dieser Summe durchgebrannt ist . Habe heute wichtige Zahlungen zu leisten und kann meine Gelder nicht so schnell flüssig machen , " er sprach ruhig und wie immer von oben herab .
Onkel Wilhelm zog die Augenbrauen empor , kraute sich bedenklich den sich lichtenden Hinterkopf und sah höchst unglücklich aus .
Hilflos sah er den imponierenden Schwiegersohn an .
" Wieviel ? " fragte er , seinen Ohren nicht trauend .
" Siebzigtausend - eine Bagatelle für dich - Schuldschein ist wohl zwischen uns nicht nötig . "
Manfreds Augen irrten unstet umher .
Es lag etwas Verstörtes über dem graubleichen Gesicht , das den sonst so leichtgläubigen Onkel Wilhelm stutzig machte .
" Ich habe mein Scheckbuch im anderen Zimmer , bitte , warte einen Augenblick , " sagte er bedächtig .
Er war gewöhnt , nichts ohne seine Frau zu tun .
" Bist du denn nicht gescheit , Wilhelm ? " rief Frau von Staven empört in nicht sehr aristokratischem Tone , als ihr Gatte ihr seine Bedenken mitteilte .
" Einem Kavalier wie Hülsen von altem Adel vertraue ich ungezählte Millionen an . "
" Aber ich habe mich doch nicht einmal nach ihm erkundigen dürfen , " wagte Onkel Wilhelm noch schüchtern einzuwenden .
" Ist auch gar nicht nötig , verlaß du dich nur auf den Scharfblick deiner Frau . "
Gehorsam füllte Onkel Wilhelm dem Schwiegersohn den verlangten Scheck aus , und ganz nachlässig , ohne mit der Wimper zu zucken , ließ Manfred von Hülsen ihn in seiner Brieftasche verschwinden .
Mit einem " Auf Wiedersehen ! " war er zur Türe hinaus .
Die Familie von Staven sollte lange auf dieses Wiedersehen warten .
Am Abend desselben Tages schritt Fränze ungeduldig in hellem Theaterkleide in den Zimmern auf und nieder .
Solche Unpünktlichkeit war sie von ihrem Bräutigam nicht gewöhnt .
Über dem Sofa lag das bräutliche Seidenkleid in seiner weißschimmernden Pracht ausgebreitet .
In drei Tagen zog sie als Frau von Hülsen auf der schloßartigen Besitzung Manfreds , von der ihr dieser erzählt hatte , ein .
Die stolze Genugtuung , die Fränze erfüllte , schwand , je weiter der Zeiger der Uhr vorrückte - wo blieb er denn nur ?
Verschiedentlich hatte es schon geläutet , aber jedesmal kamen Herren , die zum Vater verlangten .
Der hatte augenblicklich in seinem Zimmer eine heftige Auseinandersetzung mit den Besuchern , die ihm auf seinen Namen lautende Wechsel in schwindelnder Höhe präsentierten , Ehrenschulden , die sein Schwiegersohn beim Spiel gemacht hatte .
Manfred von Hülsen war ein elender Betrüger , der gerade mit den siebzigtausend Mark das Schiff nach Südamerika bestieg , als seine Braut unruhig auf ihn harrte und ihr Vater der Polizei Anzeige erstattete .
Das war ein harter Schlag .
Die Tante war wie vom Donner gerührt , Fränze bekam Weinkrämpfe , und Onkel Wilhelm stöhnte :
" Hätte ich ihm nur nicht noch das viele Geld gegeben , ich wollte es nicht , du bist schuld daran , " und Tante Malwine schwieg zum ersten Male in ihrem Leben .
Ihr Stolz war mit Füßen getreten .
Sie schämte sich vor den vornehmen Bekannten ihrer beschränkten Kurzsichtigkeit , daß sie sich so leicht von einem Schwindler hatte blenden lassen .
An das Glück ihrer Tochter dachte sie erst in zweiter Reihe .
Fränze tobte , ihre ganze Charakterlosigkeit kam zum Ausbruch , und die arme Daisy hatte am meisten auszubaden .
Das glänzende Hochzeitskleid und die elegante Aussteuer verschwanden von der Bildfläche .
Fränzes Hochmut hatte einen Denkzettel für das ganze Leben erhalten .
Daisys gutes Herz zeigte sich auch hier wieder .
Sie nahm alle Gereiztheit der Cousine schweigend in den Kauf und versuchte ihr ihre peinliche Lage möglichst zu erleichtern .
Hilde aber meinte aufrichtig :
" Ich bin nicht schlecht genug , um mich über die Niederlage der hochnäsigen Gesellschaft zu freuen .
Aber das eine steht fest : verdient hat die Fränze ihr Schicksal schon um deinetwillen , Daisy .
Es gibt doch noch eine ausgleichende Gerechtigkeit auf Erden ! "
Das Abiturium Durch die heißen , sonnendurchglühten Straßen der staubigen Großstadt rasselten die mit Koffern beladenen Autos .
Kinderaugen schauten erwartungsvoll heraus , und Extrazüge wurden allenthalben abgelassen - die großen Sommerferien hatten wieder einmal begonnen .
Auch Frau Doktor Dahlen hatte ihre Gartenwohnung zugeschlossen und war mit Hilde in die einsame Försterei in der sogenannten " märkischen Schweiz " übergesiedelt .
Dort war es abgelegen und billig , ihre noch immer angegriffenen Nerven fanden hier das notwendige Ausruhen .
Solche Mutter hatte doch ewig zu sorgen .
Kaum war Richards Assessorexamen glücklich vorüber , Max an dem großen Elektrizitätswerk angekommen , um vor dem Ingenieurexamen ein Jahr praktisch zu arbeiten , und nun mußte sie schon wieder an Hilde denken .
Die sah blaß und abgearbeitet aus , eine Erholung tat ihr dringend notwendig .
Aber nicht nur Erfrischung fanden die beiden Damen in dem idyllischen Forsthause unter den rauschenden Tannen .
Hilde hatte Muße und Sammlung , um die schon erworbenen Kenntnisse in sich zu befestigen und weiter auszubauen .
Nach achttägigem Aufenthalt langte an Hildes Mutter ein Brief von Daisy an , der lautete : " Liebe Frau Doktor !
Tante Malwine hat mich wieder einmal einfach auf die Straße gesetzt .
Die großen Koffer sind gepackt und meine Verwandten reisefertig .
Sie fahren morgen nach Ostende .
Sie hätten mich seelenruhig in der leeren Wohnung zurückgelassen .
Aber Onkel Wilhelm ist gutmütig genug , mir das Geld zu einem Landaufenthalt zu bewilligen , und nun wende ich mich wie schon einmal voll Vertrauen an Sie , verehrte Frau Doktor .
Wollen Sie der Obdachlosen wieder ein Asyl gewähren , mich in Ihr Tuskulum einlassen und unter Ihren mütterlichen Schutz nehmen ?
Hilde und ich würden uns schon vertragen und uns bei unserer Arbeit gegenseitig fördern .
Ich harre voll Erwartung Ihrer Antwort - es wäre zu schön !
Sie herzlich grüßend mit einem Kuß für meine Hilde Ihre dankbar ergebene Daisy Greeham . "
Hilde jubelte , als der Brief kam ; und zwei Tage später hielt Daisy in dem in Waldeinsamkeit träumenden Forsthause ihren Einzug .
Die Mutter war für Hilde froh , daß sie mit der Freundin zusammenhauste .
Sie selbst war manchmal ganz apathisch , die Wunde , die der Tod des Gatten ihr geschlagen , wollte nicht heilen , bei der leisesten Berührung begann sie wieder zu bluten .
Von morgens bis abends lagen die jungen Mädchen in dem würzig duftenden Heidekraut .
Ihre blassen Stadtwangen röteten sich bei dem kräftigen Waldozon und der frischen Milch der Frau Försterin , und die für die Ferien geplanten Aufgaben wurden erledigt .
Unter gackernden Hühnern und schnatternden Gänsen erklangen die Verse Virgils , bei den grunzenden Schweinen wurde des göttlichen Sauhirten gedacht , und die blauen Schwälbchen am Dachfirst horchten neugierig auf , wenn sogar zur Schlafenszeit gelehrte lateinische Reden aus dem Mansardenstübchen zu ihnen herausschallten .
Der biedere , vierschrötige Förster wurde ihnen ein Lehrer in der Botanik und Zoologie des Waldes ; was da kreucht und fleucht machte er seinen Pflegebefohlenen anschaulich .
Wenn die Abendglocken aus dem Dörfchen herüberhallten , und die Schatten der Nacht sich leise herabsenkten , saß man vor dem mit Hirschgeweihen geschmückten Tor , und der Förster gab , große Dampfwolken aus seiner Pfeife paffend , launige Jagdgeschichten und seltsame Heidemärchen zum besten .
Frau Doktor Dahlens trübe Stimmungen verflogen bei diesem friedlichen , gesunden Leben .
Sie machte mit den jungen Mädchen weite Spaziergänge und nahm wieder an ihren Interessen Teil .
Nur singen mochte sie nicht wie einst mit Daisy zusammen , jeder Ton tat ihr weh .
Wie auf einem einsamen , weltentrückten Eilande lebten sie dahin , nur selten erinnerten sie Karten , daß es noch ein " Draußen " gäbe .
Acht Tage vor Schluß der Ferien stellte sich noch ein neuer lieber Gast in dem Heidehaus ein ; Fräulein Doktor Geßner , mit der Hilde in Briefwechsel gestanden , wollte hier noch ein paar Tage von ihren anstrengenden Hochtouren ausruhen .
Das wurde ein hübscher Abschluß der Ferien , denn auch Daisy hatte längst mit dem einst so verschmähten " Wickelkind " Freundschaft geschlossen .- Die Badetünche auf den Wangen der jungen Mädchen verflog bald wieder bei angestrengtem Stubenhocken .
Nicht einmal für den Sport blieb Zeit .
Das Schreckgespenst , das Abiturium , lag nicht mehr in ungreifbarer Ferne .
Näher und näher rückte es heran ; die Monden und Wochen flogen dahin ; schon sprach man im Gymnasium von nichts anderem mehr .
Welcher Schulrat wird dabei sein - wohl keines der jungen Mädchen streckte sich abends auf ihr Lager , ohne diesen Gedanken nicht unruhig in beklommener Brust zu hegen .
Selbst Hilde war von dem allgemeinen Examenfieber angesteckt ; sie erweiterte die ständige Frage noch dahin :
" Wer wird Mathematik prüfen ? "
Das war ihre größte Sorge .
Geriet sie an einen wenig zugänglichen Examinator , der sie pedantisch in die Enge trieb , dann war sie trotz allen Arbeitens verloren .
" Sie sollen es sehen , Herr Doktor , " jammerte sie in einer der letzten Privatstunden , " ich rede das blödsinnigste Zeug kunterbunt durcheinander - in Mathematik rassele ich bestimmt . "
" Aber Kindchen , " versuchte Doktor Werner ihre Erregung zu dämpfen und sah ihr besorgt in das abgearbeitete , von Nachtarbeit zeugende Gesicht , " Sie geben mir doch hier in der Stunde ganz vernünftige , klare Antworten .
Sie beherrschen jetzt alles Notwendige .
Wenn Sie aufmerksam dem Fragenden zuhören und dann überlegt und sachlich antworten , müssen Sie bestehen . "
Er bangte innerlich selbst um ihr Examen .
Hilde war noch lange nicht beruhigt .
" Hier bei Ihnen in der Stunde ist es etwas anderes , Herr Doktor , wenn ich Ihnen gegenüber sitze - " sie brach plötzlich ab .
" Na - was ist dann ? " forschte er .
" Sie geben mir Ruhe und Besonnenheit , " fuhr Hilde , ohne ihn anzusehen , fort , " aber wenn ich ins Examen steige und ein fremdes Gesicht vor mir sehe , dann vergesse ich sicher auch die einfachste Formel . "
" Aber Fräulein Hilde , Sie sind ja wie ausgetauscht .
Ich habe Sie immer für solch tapferes Mädchen gehalten , habe gedacht , na , die Hilde Dahlen geht doch sicher mutig und keck ins Examen . "
" Ja - ich kenne mich selbst nicht mehr , " gestand sie kleinlaut , " das kommt alles bloß daher , weil ich immer und ewig zum Examen ochse .
Man verdummt ja rein dabei . "
Er schüttelte den Kopf über ihre derbe Ausdrucksweise .
" Ich meine zum Examen büffeln , " entschuldigte sich Hilde , und ein amüsiertes Lächeln flog über Doktor Werners Züge - an der Hilde war doch Hopfen und Malz verloren .
Aber merkwürdig , je näher die Tage des schriftlichen Examens heranrückten , und je aufgeregter und nervöser die anderen wurden , allen voran Daisy , umso ruhiger und zuversichtlicher wurde Hilde .
Sie hatte der Mutter den Termin des Examens verheimlicht , um ihr die Sorge zu ersparen , und war bereits mitten im Schriftlichen , als Frau Doktor Dahlen das Examen noch weit entfernt wähnte .
Die schriftliche Prüfung in den gewohnten Klassenräumen bei den bekannten Lehrern ging zur Zufriedenheit von statten .
Daisy behauptete zwar steif und fest , den deutschen Aufsatz " Das Parzenlied " aus Iphigenie total verhauen zu haben , und Hilde schlich sich scheu um Doktor Werner herum , da sie die vierte mathematische Aufgabe nur halb gelöst hatte .
Aber im allgemeinen war die Stimmung eine gehobene .
Allerdings flaute sie wieder ab , als die drohende mündliche Prüfung nun unmittelbar bevorstand .
Daisy und Hilde gehörten nicht zu den Glücklichen , die auf Grund ihres guten schriftlichen Examens vom Mündlichen befreit wurden .
" Rein in die Hölle , " kommandierte Hilde , als Daisy an dem Schreckenstage herzklopfend an der Eingangstür zur Aula halte machte .
Daisy wurde nach ihrem Aufsatz tüchtig in Deutsch-Literatur herangenommen , aber gerade den Laokoon , über den sie befragt wurde , hatte sie am letzten Abend noch einmal durchgelesen .
" Sehen Sie sich den spanischen Erbfolgekrieg ordentlich an , Hilde , " hatte Fräulein Geßner ihr geraten , " das ist immer eine beliebte Examensfrage , " und richtig - sie bekam ihn !
Mit glückstrahlendem Gesicht schnurrte Hilde die Namen , Zahlen und Daten herunter , so daß der Schulrat ganz erstaunt aufsah .
Wenn nur Mathematik nicht gewesen wäre .
Hilde fühlte ein leises Zittern in den Beinen , wenn sie daran dachte .
Jetzt würde es losgehen - nun hieß es , allen Mut zusammennehmen !
Aber da zog der Schulrat die Uhr - trat ans Fenster und wandte sich dann zu den jungen Examinandinnen :
" Professor Döring , der in Mathematik prüfen sollte , ist leider plötzlich erkrankt .
Ich habe bereits Doktor Werner bitten lassen , für ihn einzuspringen - es scheint den Damen ja allen sehr unangenehm zu sein , " setzte er gutgelaunt hinzu , als er ringsum strahlenden Mädchenaugen begegnete .
Hilde hätte den Schulrat am liebsten umarmt , so erleichtert fühlte sie sich auf einmal .
Und als nach kurzer Zeit Doktor Werner in Frack und weißer Binde eilig die Aula betrat , warf sie ihm einen glückselig triumphierenden Blick zu .
Da wußte er , es war bisher gut gegangen .
So ganz leichten Kaufes kam sie aber doch nicht davon .
Gerhard Werner fühlte sich seinem Gewissen gegenüber verpflichtet , gerade Hilde tüchtig heranzunehmen .
Aber sein Blick flößte ihr Klarheit ein .
Die Aula mit den ernsten Herren ringsum und die bebrillten Augen des gestrengen Herrn Schulrats versanken plötzlich vor ihr , sie sah sich wieder in dem stillen Studierzimmer , und ohne Erregung und Hast gab sie zufriedenstellende Antworten .
Das Abiturium war vorüber , sie hatten alle , ohne Ausnahme , bestanden !
Die Mädel gebärdeten sich wie die Verdrehten .
Sie sprangen , tanzten und sangen nach Verlesung des Resultats auf dem Schulhof wie die Gören .
Am ausgelassensten war Ilse Petersen .
" Kinder , nur mit edler Dreistigkeit kommt man durch die Welt , " rief sie mit lachenden Augen , " ich habe doch keine blasse Ahnung von Zoologie und mir fest eingeredet , ich komme bei den Käfern heran .
Das ist das einzige , was ich kenne .
Und da gibt man mir Unglückswurm die Singvögel .
Na , entweder glückt es mir , dachte ich , oder ich plumpse rein und sagte also ganz unverschämt :
Die Hauptnahrung der Singvögel besteht in Käfern .
Was nun die Käfer anbelangt , so teilt man dieselben in die und die Klassen .
Und ließ Singvögel Singvögel sein und warf ihnen mit einer Geschwindigkeit alles , was ich von den Käfern wußte , an den Kopf , daß die Herren vor lauter Staunen ganz vergaßen , mich zu unterbrechen .
Na , ihr wurde ja selbst dabei , der Schulrat muß die Frage wohl überhört haben , denn er brummte , als ich glücklich in meiner Naht innehielt , ein vernehmliches » Gut « , und die Herren waren anständig genug , mich durchschlüpfen zu lassen . "
" Ja , " sagte Hilde bewundernd , " du hast mir kolossal imponiert , Ilse ! "
Daisy indessen war eine derartig dreiste Unverschämtheit ganz unbegreiflich .
" Nanu , Fräulein Hilde , haben Sie sich tätowiert ? " fragte Doktor Werner , der mit einem lauten Hoch von den Abiturientinnen empfangen wurde , nachdem er allen herzlich gratuliert .
" Wieso ? " fragte Hilde erstaunt .
Sie standen beide an dem breiten Korridorfenster , und er hielt , ihr noch einmal allein Glück wünschend , immer noch ihre Hand umschlossen .
Doktor Werner warf einen fragenden Blick auf ihre Finger .
Wie von der Tarantel gestochen zog Hilde plötzlich ihre Hand zurück .
Die rosigen Nägel waren mit allerlei schwarzen seltsamen Zeichen und Strichen bemalt - was war denn das für Allotria ?
Hilde mußte sich dazu bequemen , wohl oder übel Aufklärung zu geben .
" Es ist nur Latein , " versuchte sie sich zu verteidigen , aber vor seinem ernsten Blick senkte sie verwirrt das Auge .
Er schwieg beredt .
" Nur ein paar lateinische Vokabeln , die ich absolut nicht kapieren konnte , " fügte sie kleinlaut hinzu .
" Das tun die Jungen immer .
Mein Bruder Max hat es im Abiturium noch schlimmer getrieben .
Wir Mädel haben doch keine Manschetten , auf denen man sich ein paar Notizen machen kann , " setzte sie , in altem Trotz die Lippen aufwerfend , hinzu .
Doktor Werner schien Hildes letzte Argumente vollständig zu überhören .
Er sah traurig aus .
" Also doch wieder unwahr , immer noch nicht vom Selbstbetrug geheilt .
Sie haben mich enttäuscht , Fräulein Hilde . "
Er wandte sich zum Gehen .
Hilde blieb erstarrt stehen .
Dann aber , einem plötzlichen Impuls folgend , holte sie ihn mit schnellen Schritten ein .
" Herr Doktor , Sie betrüge ich nicht , gegen Sie bin ich nie - niemals mehr unwahr gewesen , " es lag solche flehentliche Abbitte in ihren hellbraunen Augen , daß Doktor Werners strenger Blick milder wurde .
" Sie sollen auch gegen andere wahr sein und vor allem gegen sich selbst , " sagte er , ihr in das bewegte Gesicht schauend , mit Nachdruck , und doch - er fühlte bei Hildes Worten , wie seine Brust sich ungestüm hob , wie eine heiße Glückswelle ihm zum Herzen flutete .
Die Mädel waren alle schon nach Hause gestürmt , um den Eltern die frohe Botschaft zu melden .
Daisy und Hilde waren die letzten hinter denen sich die Schulpforten , die Tore der Kindheit , schlossen .
Nichtsahnend saß Frau Doktor Dahlen an ihrem Nähtisch und besserte Kleidungsstücke aus .
Da wurde die Tür aufgerissen , ein rascher Schritt - " Hilde - jetzt schon ! " -
und da lag sie der Mutter am Halse und " Ich bin durch , Muttchen ! " jubelte sie .
Fest preßte Frau Doktor Dahlen ihr Kind an sich .
Wieder flossen die Tränen über ihr feines blasses Gesicht , aber diesmal waren es Tränen reinster Freude .
" Wenn doch Vaterchen das erlebt hätte ! " sagte Hilde leise .
Und dann fuhren sie beide zu der efeuumschmiegten Ruhestatt hinaus , und Hilde brachte ihrem Vaterchen die ersten Veilchen . -
Von Richard kam ein ulkiges Telegramm in Versen , und Max eilte spornstreichs herbei , um sich den frischgebackenen weiblichen Mulus persönlich anzusehen .
Hilde war es zumute wie einem gefangenen Vöglein , das plötzlich in Freiheit gesetzt wird , sie wagte es noch gar nicht , ihre Schwingen zu entfalten .
Auch Günter Berndt erschien mit herrlichen Blumen zur Gratulation .
" Ich hätte es wirklich nicht gedacht , Hilde , daß Sie es so weit bringen würden . "
Hilde zuckte die Achseln , sie hatte ein für allemal das Kriegsbeil zwischen ihnen begraben .
" Und was wird nun ? " fragte er weiter .
" Wirklich studieren - haben Sie sich den Schritt auch wohl überlegt ? "
" Da gibt es nichts mehr zu überlegen , " sagte Hilde ruhig .
" Und Ihre Freundin Daisy - natürlich auch durch ? "
" Daisy - das bedarf doch keiner Frage , " Hilde schaute ihn an , als ob sie an seinen fünf gesunden Sinnen zweifelte .
" Die ist jetzt fein heraus .
Gefreut haben sie sich weiter nicht , ihre lieben Verwandten , über das bestandene Examen .
Aber ihr Onkel hat ihr eine jährliche Summe während ihrer Studienzeit ausgesetzt .
Nun kann sie studieren , wo sie Lust hat .
Vielleicht gehen wir im nächsten Jahr zusammen nach Heidelberg - Daisy ist ganz glücklich . "
" Sie ist ganz glücklich , ihr fehlt nichts mehr zu ihrem Glücke , " sagte sich Günter Berndt immer wieder , als sein unvernünftiges Herz ihn dazu drängte , Daisy einen Glückwunsch zu senden .
Er unterließ es .
Daisy hatte auch eigentlich keine Gratulation von ihm erwartet .
Aber als sie nun wirklich ausblieb , tat es ihr doch sehr weh .
Es war so schwer , sich in das Unabänderliche zu fügen !
" Habt ihr denn auch Muluskneipe , ihr Mädel ? " fragte Bruder Max lachend und packte Hilde wie in seinen Jungenjahren an den goldbraunen Locken .
Hilde nickte .
" Viel was Schöneres noch , Bier schmeißen kann jeder - wir geben ein Mulusessen ! "
" Ist denn auch das nötige Kleingeld dazu vorhanden ? " erkundigte sich Max lebhaft , der selbst öfters Mal in der Geldklemme saß .
Hilde brachte eine alte Streichholzschachtel zum Vorschein .
Sie war mit Fünfzigpfennigstücken gefüllt .
" Seit Wochen habe ich schon mein Taschengeld nicht mehr angerührt , " berichtete sie dem Bruder stolz - " Sonnabend wird alles verjubelt , ich habe noch viel dazu zu dichten .
Es soll wunderschön werden . "
Und es wurde wunderschön !
Die jungen Muli hatten ihre Lehrer und Lehrerinnen zum Abendessen geladen , und sie kamen alle .
Von Anfang an herrschte frohe , ausgelassene Stimmung .
Ein jeder hatte die Würde der Schulstube gänzlich zu Hause gelassen .
Man trank und toastete , man sang und schwang Reden , und dann beim Eis erschien Hildes " Neues Kommersbuch " .
Sie hatte darum gebeten , nicht als Verfasserin genannt zu werden .
Aber als man in dem fröhlichen Kreise die von Witz und Laune sprühenden Verse nach den alten Studentenweisen absang , wußte ein jeder , wer dieselben verbrochen .
Keiner ging leer aus , ein jeder bekam sein Teil .
Selbst die Respektspersonen , Lehrer und Lehrerinnen , mußten sich ein Durchhecheln gefallen lassen .
" Bin ich denn wirklich manchmal so unnahbar und unfehlbar , Fräulein Hilde , wie Sie mich eben nach den Klängen der Lindenwirtin gezeichnet haben ? " fragte Doktor Werner belustigt .
" Ich , " erstaunte Hilde , " ich lese diese Verse eben das erstemal . "
" Die Wahrheit ! " drohte er lächelnd .
" Wenigstens gedruckt , " gestand sie ein .
Auch die übrigen hatten die harmlosen , lustigen Seitenhiebe mit Humor pariert , und als nach dem Essen Ilse Petersens " Hobelbank " vorgeführt wurde , war der Jubel auf dem Höhepunkt .
Ilse hatte als echte Tochter ihres Vaters künstlerische Karikaturen angefertigt .
Ein jeder der ausgelassenen Gesellschaft erblickte sich in irgend einer Eigenschaft auf dem Bilderbogen festgehalten .
Da sah man Germanicus den Zirkel gleich einem Speer schleudern gegen die Dummheit und Verbohrtheit in der Mathematikstunde .
Hier erschien Fräulein Kurz in Schutzmannskleidung und inspizierte die Klassen , Fräulein Geßner erblickte man als Wickelkind im Steckkissen , griechische Geschichte lehrend , und Hilde sah sich zu ihrem Entsetzen im Heidekraut liegen , eine dicke Zigarre im Munde .
Doktor Werners Blick suchte , als der Vers auf Hilde von der Korona gesungen wurde , Hildes Auge .
Sie war wie mit Blut übergossen .
Als ihren getreuen Schatten aber hatte Ilse Petersen Daisy hingemalt .
Einer nach dem anderen kam daran , und der Jubel und Hallo wuchs bei einem jeden neuen Bilde .
Es machte den Lehrern riesigen Spaß , ihre geheimen Spitznamen und Eigenheiten aus den Karikaturen kennen zu lernen .
Zum Schluß wurde noch eine richtige Kneiptafel veranstaltet , man mußte doch wissen , daß man bei einer Mulusfeier war .
Daisy und Alice Marx , die ebenfalls eine reizende Stimme hatte , überraschten die Gesellschaft dabei als flotte Studentinnen , die in lustigen Couplets das Frauenstudium besangen .
Die meisten der jungen Mädchen beabsichtigten die Universität zu beziehen .
Hilde und Daisy mit noch drei anderen traten in Äskulaps Fußstapfen .
Die anderen studierten Volkswirtschaft , Rechtswissenschaft , Naturwissenschaften , Sprachen oder Geschichte ; letztere gedachten ihren Studienrat zu machen , um später am Gymnasium zu unterrichten .
Es war ein höchst gelungenes Fest - ein würdiger Abschluß der schönen Gymnasialzeit - das fanden sie alle , als man sich spät trennte .
Doktor Werner begleitete erst Daisy und dann Hilde heim ; schweigend , in Gedanken versunken schritt er an ihrer Seite .
Hilde blickte ihn verwundert von der Seite an - er war nach Daisys Abschied so still geworden .
Gerhard Werner schwankte - sollte er die günstige Gelegenheit benutzen und zu Hilde heute noch , wo sie nun nicht mehr seine Schülerin war , von dem sprechen , was sein Herz erfüllte .
Würde das tiefe , gewaltige Gefühl einen Widerhall in ihrem Herzen wecken ?
Zuneigung hatte er oft in ihrem selbstvergessenen Blick zu lesen geglaubt , aber war dieselbe schon fest und stark genug , um als sichere Grundpfeiler den Bau ihres Glückes zu tragen ?
War Hilde überhaupt schon genügend reif , um sich ihrer Empfindungen vollständig klar zu sein ?
Er sah auf sie herab , der Mondenschein webte ein glitzerndes Silbernetz um ihre schlanke Gestalt und ließ ihre jungen Züge bleicher und ernster erscheinen .
Lauer Wind spielte kosend mit ihren krausen Löckchen .
Es lag eine märchenhafte Stimmung in diesem stillen Nachtfrieden .
" Fräulein Hilde - also Sie wollen nun wirklich studieren ? " begann er zögernd das bedeutungsvolle Gespräch .
Hilde blickte überrascht auf .
" Sie haben mir doch selbst vor dem Examen dazu geraten . "
Wie merkwürdig er mit einem Male war .
" Früher - aber ich habe meine Ansicht geändert - " wieder eine Pause .
Hilde machte immer erstauntere Augen - sie verstand ihn nicht .
" Sie sind doch ein eifriger Verteidiger des Frauenstudiums , Herr Doktor ? " fragend sah sie zu ihm auf .
" Ja - aber für Sie nicht - für Sie nicht , " seine Stimme klang erregt - nun mußte sie ihn doch verstehen .
Hilde stutzte .
Einen Augenblick überlegte sie , und dann stiegen ihr Tränen des Zorns in die Augen .
" Also solch geringe Meinung haben Sie von mir .
Ich soll nicht studieren , weil ich in Mathematik so verbohrt bin .
Aber nun gerade , ich will Ihnen schon den Beweis bringen , daß Sie sich in mir geirrt haben . "
" Ich habe mich wirklich in Ihnen geirrt , " sagte Gerhard Werner langsam .
Hildes heftige Entgegnung hatte sein heißes Herz wie ein kalter Wasserstrahl berührt - versunken war die Märchenstimmung .
Mochte sie ruhig studieren und den Kampf mit dem Leben aufnehmen .
Noch war sie nicht reif genug , um ihn voll zu verstehen .
Aber ein Schiff , das gegen Brandung und Wellen gekämpft hat , läuft erprobt in den sicheren Hafen ein .
Er wollte geduldig warten .
Am nächsten Tage ließen sich die beiden Freundinnen an der Berliner Universität als stud. med. immatrikulieren .
Hilde und Daisy waren Studentinnen .
Alt Heidelberg , du feine Es gibt kein schöner Leben als Studentenleben , Wie es Bacchus und Gambrinus schuf , " hatte Hilde schon vor Jahren mit Bruder Max um die Wette in die Welt geschmettert .
Jetzt aber , wo sie selbst als junge Studentin zur Universität zog , merkte sie herzlich wenig von dem freien , ungebundenen Leben der Alma mater .
Hilde war enttäuscht .
Als sie mit Daisy das erstemal herzklopfend den Vorgarten der Universität betrat , schienen Wilhelm und Alexander von Humboldt , die steinernen Bildwerke , spöttisch lächelnd auf sie herabzublicken , daß sie , das kleine dumme Mädel , es wagte , dreist in den Tempel der Wissenschaft einzudringen .
Die vielen Treppen , die langen Korridore mit den hohen Türen , alles machte solchen würdigen , strengen Eindruck .
Hildes fröhliches leichtlebiges Gemüt empfand den wuchtigen Ernst , der aus jedem Eckchen schaute , beklemmend .
Aber als sie dann neben Daisy , der es ähnlich erging wie ihr selbst , unter den vielen bartlosen Jünglingen im Hörsaal saß , ließ sie die kecken braunen Augen neugierig umherschweifen .
Hilde glaubte sich den gleichaltrigen Studenten gegenüber , welche die hübschen Mädchen verstohlen betrachteten , weit überlegen , sie fühlte sich um Jahre reifer , mitleidig lächelnd ließ sie die heimlich bewundernden Blicke der " Jungs " an sich abprallen .
Es hörten noch mehrere Damen dasselbe Kolleg , und die Huldigungen der jungen Füchse gaben sich bald , als sie sahen , wie wenig empfänglich die Studentinnen dafür waren , wie ernst es ihnen mit ihrer Arbeit war .
Für Hilde mit ihrer flatterhaften Zerstreutheit war es freilich anfangs eine wahre Pein , den sachlich wissenschaftlichen Vorträgen , von denen sie im ersten Semester kaum die Hälfte begriff , angestrengt zu folgen .
Daisy verstand es viel besser , ihre Gedanken zu konzentrieren , während Hilde sich von jeder Eigenheit des Vortragenden ablenken ließ .
Zuerst hatte sie tüchtig mitgeschrieben , jedes Wort , Wichtiges und Unwichtiges bunt durcheinander , und wenn es zu schnell ging , dann hatte sie eben einfach ein paar Sätze ausgelassen .
So drangen in der Hast und Eile des Mitschreibens die Worte nur als leerer Schall an Hildes Ohr , ihr Bewußtsein nahm sie nicht auf .
Und zu Hause zeigte es sich , daß Daisy , die sich nur gelegentlich ein paar Notizen machte , den Gedankengang des Kollegs viel mehr im Kopf hatte als die zerfahrene Hilde .
Sie folgte nun Daisys Beispiel , und später wurden die Vorträge dann gemeinsam ausgearbeitet .
Aber beim praktischen Arbeiten war Hilde der Freundin weit überlegen .
Als Daisy zum ersten Male die Anatomie betrat , wurde sie ohnmächtig .
Sie glaubte , niemals den Ekel und Abscheu überwinden zu können .
In Hildes Adern dagegen kreiste Doktorblut .
Die schreckte vor nichts zurück , und ihr tapferes Vorbild ermutigte die zarter besaitete Daisy , den Kampf gegen ihre schwächeren Nerven immer wieder aufzunehmen .
Und noch eins veranlaßte Daisy , die Flinte nicht ins Korn zu werfen .
Nicht die Furcht vor den empörten Verwandten , nicht der Spott der Bekannten und Freunde hielt sie davon ab , das medizinische Studium an den Nagel zu hängen .
Nur der Triumph , der aus grauen Augen blitzen würde , war die Triebfeder , die sie alle Willenskraft anspannen und das zage , weichherzige Zurückbeben überwinden hieß .
Hatte Günter Berndt es nicht gleich gesagt , sie sei nicht robust genug für das medizinische Studium ?
Nein , er sollte , er durfte nicht recht behalten .
Und sie blieb Siegerin .
Langsam , ganz allmählich gewöhnte sie sich an die Schrecknisse des Seziersaals , ihr Blick wurde ruhiger , ihre Hand sicherer , das Grauen hatte sich verloren .
Die Zeit der jungen Studentinnen war vollauf in Anspruch genommen , Hilde wußte am Abend nicht , wo der Tag geblieben war .
Sie mußten beide trotz ihrer entgegengesetzten Interessen in den Morgenstunden noch fleißig im Haushalt tätig sein , und die freie Zeit , die ihnen blieb , war durch Stundengeben ausgefüllt .
Hilde wollte der Mutter die Last der Studienjahre etwas erleichtern und hatte Doktor Werner gebeten , ihr lateinische Schülerinnen zum Nachhilfeunterricht nachzuweisen .
Er hatte sie vielfach empfohlen .
Mit Ernst und Eifer kam Hilde den Anforderungen , die das neue Amt an sie stellte , nach , und ihre frische , lustige Art machte den Unterricht für die jungen Gymnasiastinnen fesselnd .
Auch Daisy gab Mathematikunterricht , die Studiengelder standen ihr zwar zu Gebote , aber sie setzte ihren Stolz darein , nun auch ihre Garderobe aus eigener Tasche zu bestreiten .
Sobald als möglich beabsichtigte sie , Berlin den Rücken zu kehren .
In dem Klinikenviertel tauchte gar oft , wenn sie aus der Anatomie kam , unter den Vorübergehenden eine schlanke Männergestalt auf , ein länglich blasses Gesicht mit grauen Augen .
Zuvorkommend grüßte Günter Berndt stets , blieb wohl auch Mal mit einem spöttischen " na , Fräulein Kollega , das Seziermesser tapfer geschwungen ? " stehen .
" Fräulein Kollega " war sie ihm nur , er sah sie jetzt nur noch als Student in der Anatomie .
Was sie einst aneinander gebunden hatte , das Zarte , Unausgesprochene , war zerrissen .
Daisy hatte dann den ganzen Tag in sich ein Gefühl der Enttäuschung und solche Unlust zur Arbeit , daß sie den vergeblichen Kämpfen ein jähes Ende machen mußte .
Flucht , nur Flucht aus der alten gewohnten Umgebung , vor den spöttischen grauen Augen konnte dieses immer neue Aufwühlen dessen , was vergessen sein mußte , zum Schweigen bringen .
Das zweite Semester neigte sich seinem Ende zu .
Goldener Sonnenglanz lockte verheißungsvoll in die Ferne - Daisy rüstete zum Studiumjahr in Heidelberg .
Die Tante war zwar wenig erbaut davon , denn Daisy war eine nicht zu unterschätzende Kraft im Haushalt , und Fränze mußte geschont werden .
Trotz der knallroten Backen fand die Tante , daß das arme Ding die schwere Enttäuschung noch immer nicht verwunden hatte .
Umso entsetzter war Frau von Staven , als Fränze eines Tages seelenruhig vor sie hin trat und ihr die Mitteilung machte , daß sie nun von den vornehmen Verlobungen genug habe und sich in der letzten Violinstunde mit Herrn Lämmerhirt versprochen hätte , den sie schon immer lieb gehabt .
Das war ein harter Stoß für die vornehme Frau von Staven ; der traf sie noch mehr als die Schmach mit Herrn von Hülsen .
Ein Geigenlehrer , der noch dazu den lächerlichen Namen " Lämmerhirt " trug , sollte ihr Schwiegersohn werden , nein - nie und nimmer gab sie dazu ihren Segen .
Diesmal aber legte sich Onkel Wilhelm mit ungeahnter Energie ins Mittel .
Das Glück seines Kindes sollte durch Vorurteile nicht zum zweiten Male Schiffbruch leiden .
An einem der nächsten Tage konnte man den stolzen Namen " Franziska von Staven " mit " Otto Lämmerhirt " zusammen fettgedruckt in den Zeitungen lesen .
Die Tante hatte sich ergeben müssen , aber es war jetzt nicht gut Kirschen essen mit ihr .
Daisy machte , wo sie nur konnte , einen großen Bogen um ihre vornehme Gestalt .
Der schüchterne Geigenlehrer aber mußte doch wohl Fränze gegenüber den richtigen Ton anzuschlagen wissen .
Es war erstaunlich , welchen wohltätigen Einfluß er auf ihr häßlich abstoßendes Wesen ausübte .
Daisy stand jetzt bedeutend besser mit ihr , allerdings kam die alte Fränze noch oft genug wieder zum Vorschein .
Nur zu gern packte Daisy ihre Siebensachen für die heitere Neckarstadt .
Der Aufenthalt im Haus der Verwandten war jetzt unerfreulicher als je , denn die Tante ließ allen Ärger über die nicht standesgemäße Verlobung an der unschuldigen Daisy aus .
Eins jedoch hemmte die Flugkraft von Daisys leichtbeschwingten Gedanken , die ihr ungeduldig voraus in das neue Leben eilten - das war Hilde .
Mit stillen Augen sah Hilde den Vorbereitungen der Freundin zu .
Zum ersten Male sollte sie sich von ihr trennen .
Sie mußte sie allein nach dem schönen Heidelberg ziehen lassen , sie konnte und durfte der Mutter nicht noch größere Entbehrungen auferlegen .
Neidlos half sie Daisy beim Überlegen und Einkaufen , Mißgunst lag ihrem reinen Charakter vollständig fern .
Daisy sollte es nicht einmal ahnen , wie schwer ihr die Trennung wurde .
Aber Daisy kannte ihre Hilde , sie ließ sich kein X für ein U machen .
Oft zog sie auf dem Heimweg von der Universität den Arm Hildes fester an sich und meinte betrübt :
" Darling , um deinetwillen möchte ich am liebsten all meine Reisepläne aufgeben . "
Durch das Lachen , mit dem Hilde der Freundin versicherte , daß sie froh sei , sie endlich einmal los zu werden , klangen verhaltene Tränen .
Die Mutter ahnte nichts von Hildes Kummer .
Sie glaubte ihren Versicherungen , daß sie ein viel zu verhätscheltes Mutterkind wäre , um allein in die Welt hinauszufliegen und überhaupt nur den Wunsch zu hegen , anderswo zu studieren .
Nur draußen in dem anmutigen Vororthäuschen , zu dem sie jetzt durch ihre stete Beschäftigung immer seltener kam , ließ Hilde ihren Gefühlen freien Lauf .
Den gütigen , verständnisvollen Augen der alten Dame entschleierte sie ihr Innerstes .
Frau Werner sah , wie Hilde unter der bevorstehenden Trennung litt , und wie es sie gleich Daisy zu selbständigem Aufsichangewiesensein nach der schönen Musenstadt zog .
Sie sprach mit ihrem Sohne , und dieser stimmte ihr bei , es konnte Hilde nur förderlich sein , wenn sie sich für einige Zeit von Mutters Schürzenband löste und als selbständiger Mensch sich daran gewöhnte , für ihr Tun und Lassen die eigene Verantwortung zu tragen .
Und noch aus einem anderen Grunde wünschte Gerhard Werner für Hilde einen längeren Aufenthalt in der Fremde .
Er wollte ihre Gefühle für ihn prüfen , ob sie stark genug wären , Zeit und Entfernung zu überbrücken .
Neulich , als er die Universitätstreppen hinabgeschritten , da war eine leichte Mädchengestalt plötzlich spornstreichs hinter ihm her gejagt und hatte zum Gaudium der umstehenden Studenten glückselig und ganz ungeniert seine herabhängende Rechte ergriffen .
Die freudige Überraschung , mit ihm das erstemal in der Universität zusammenzutreffen , hatte dieses auffallende Benehmen verursacht .
Noch im Weitergehen hatte Doktor Werner gehört , wie Daisy der Freundin Vorwürfe machte wegen ihrer unbesonnenen Handlungsweise ; ihm aber war seit Wochen nicht so froh zumute gewesen .
Und trotzdem riet er zu dem Heidelberger Aufenthalt , trotzdem wollte er sie missen .
So sah man eines Tages , während Hilde ahnungslos ein histologisches Kolleg hörte , Frau Werners schlanke vornehme Gestalt die Glocke zu der Dahlenschen Gartenwohnung ziehen , wo sie von Hildes Mutter aufs freudigste begrüßt wurde .
Es gab ein langes eingehendes Gespräch zwischen den miteinander sympathisierenden Damen ; mit fein empfundenem Takt berichtete Frau Werner von dem , was Hilde vor ihrer Mutter verborgen hielt , ohne dem Mutterherzen zu nahe zu treten .
Frau Doktor Dahlen sah still vor sich hin .
" Daß ich mein eigenes Kind so wenig verstanden habe , daß ich erst von anderen hören muß , wie es um meine Hilde steht ! " sagte sie leise .
" Mein Schmerz hat mich wohl egoistisch gemacht , ich lebe zu sehr in der Vergangenheit , dadurch entschlüpft mir die Gegenwart .
Aber es ist ja noch Zeit , wieder gutzumachen .
Hilde soll unbedingt mit Daisy nach Heidelberg .
Eine verständige Mutter sorgt dafür , daß für unvorhergesehene Fälle stets ein Spargroschen bereit liegt .
Haben Sie Dank , liebste Frau Werner , daß Sie mich sehend gemacht haben .
Mein Kind soll nicht versauern , das soll seine goldenen Jugendtage in vollen Zügen auskosten . "
Als Hilde gegen Mittag heimkehrte , sie hatte noch Koffer und Handtasche mit Daisy besorgt , fand sie die Mutter umgeben von Kleidungsstücken , die sie eifrig auf ihre Verwendbarkeit hin prüfte .
" Aber Muttchen , du bist ja schon bei meinen Sommersachen , und draußen ist eine Hundekälte , " wunderte sich Hilde .
Die Mutter besichtigte angelegentlich eine fadenscheinige Mullbluse .
" Sage ' Mal , Kind , " begann sie mit unmotiviert weicher Stimme , " würde es dich eine große Überwindung kosten , wenn ich dich bitten würde , Daisy nach Heidelberg zu begleiten ? "
Sie machte eine Pause .
Hilde riß die Augen auf .
" Aber Mama - Muttchen - wie kommst du denn nur darauf , ich bleibe doch selbstverständlich bei dir - es wird mir auch durchaus nicht schwer - durchaus nicht , " wiederholte sie noch einmal , aber vor dem beredten Blick der Mutter verstummte sie .
" Komme her , Hilde - so , setze dich Mal zu mir , Kind .
Ich denke doch , die treuste Freundin eines jungen Mädchens ist seine Mutter - willst du nicht aufrichtig sein , Hilde ?
Sieh her , in dieser Schatulle ist mehr Geld , als du zu deinem Aufenthalt in Heidelberg brauchst .
An dich nur habe ich gedacht , als ich es zusammensparte ; nun mag es seinen Zweck erfüllen .
In acht Tagen ist Semesterschluß , dann fährt Daisy .
Das ist Zeit genug , um auch dich reisefertig zu machen .
Nun , Heldchen , findest du denn gar kein Wort ? "
Hilde stand wie angewurzelt .
Das Bild , das die Mutter ihr soeben eröffnet , war so schön , so märchenhaft schön , daß es aller Willenskraft bedurfte , um es von sich zu weisen .
Sie stand und kämpfte .
" Nein , Mutterchen , " brachte sie nach einer Weile mit zuckenden Lippen hervor , " ein solches Opfer nehme ich nicht von dir an .
Ich lasse dich nicht allein , wo Richard beständig außerhalb ist , und auch Max nur Sonntags zu uns kommen kann . "
Die Mutter war auf diese Einwendung vorbereitet .
" Auch dafür ist gesorgt , Hilde .
Frau Werner , die heute vormittag bei mir war , hat in ihrem Hause oben zwei Zimmer und eine Küche freistehen .
Ich kann ihr keinen größeren Gefallen tun , als zu ihr überzusiedeln .
In lieberer , anregenderer Gesellschaft kannst du mich nicht zurücklassen . "
Da waren Hildes kindliche Gefühle beruhigt , und sie gab sich nun mit der ganzen Ursprünglichkeit ihres Temperaments der ungebundensten Freude hin . -
Daisy war im siebenten Himmel , und zehn Tage später saßen die beiden jungen Studentinnen im Zuge , der sie rasselnd der alten Universitätsstadt zutrug .
War es denn wirklich so herrlich in der weiten Welt , oder lag das nur in den jungen , lachenden Augen , daß die vorüberfliegenden violettbraunen Erdschollen , das kalte Geäst der Birken und die in der Ferne blauenden Waldungen so zauberhaft schön erschienen ?
Und dann gegen Abend lag das ersehnte Ziel , das heitere Heidelberg , in Sonnenglanz gebadet , vor ihren Blicken , warm umbuscht von dunklen Tannen und schlanken Fichten .
Trutzig streckte der Otto-Heinrich-Bau seine massigen Mauern gegen den lichten Abendhimmel , in hügelige Wellenlinien schmiegte sich das ehrwürdige , sagenumflatterte Heidelberger Schloß .
Hilde empfand ein Gefühl frommer Andacht , als sie zum ersten Male den herrlichen Schloßhof des halbzerfallenen Bauwerks betrat .
Und als sie drunten im Keller am großen Fass gestanden , das der Zwerg Perkeo getreulich bewacht , da fühlte auch sie in sich den ungestümen Jugenddrang , den frischen Studentenmut , den hier so viele vor ihr empfunden .
Die Wohnungsfrage erledigte sich zur Zufriedenheit .
" Die Bude " , wie Hilde ihr neues Heim nach Vorbild der Musensöhne benannte , war tadellos und die freundliche behäbige Wirtin ein Juwel .
Nach acht Tagen waren sie vollständig eingerichtet , hatten die einschlägigen Kollegien belegt , herausgetüftelt , wo man am besten und dabei am billigsten speiste , und mit ihrem kleinen Spirituskocher , auf dem Kaffee und Abendbrot selbst hergerichtet wurde , bereits die erste Kommodendecke ihrer gutmütigen Wirtin verbrannt .
Gibt es etwas Schöneres , als im grünen Neckartal den Einzug des Lenzes zu beobachten ?
Mit blanken Augen und freiem Herzen wanderten Hilde und Daisy Abend für Abend zur Molkenkur hinauf und schauten von ihrem hohen Lieblingssitz in das schimmernde Meer von schneeigen Obstblüten herab , das die finstere Tannenpracht heiter ablöste .
In hellgrünen Wogen schäumte der übermütige Neckar durch das fruchtbare Gelände , weit öffnete sich das liebliche Tal , und aus dem Städtchen klang durch den Frieden des Abends wehmütig und getragen die Weise : " Alt Heidelberg , du feine , Du Stadt an Ehren reich . "
- Ein lustiger Kreis weiblicher und männlicher Studenten bildete sich allmählich um die beiden .
Da wurde fleißig Biologie , Bakteriologie , Histologie und Anatomie gepaukt .
Aber auch auf dem Fechtboden verschmähte Hilde nicht mitzupauken .
Sie galt bald als eine geachtete Fechterin , während Daisy diesem Sport ganz und gar keine Freude abgewinnen konnte .
Für sie gab es nur Tennis .
Darin glänzte sie , manchen Preis trug sie beim Turnier davon .
Nach getaner Arbeit wanderte das fidele Studentenvölkchen allabendlich neckarwärts .
Dort wurde geschwommen , gerudert oder auch nur gelagert und bei niedergehender Sonne lustige Studentenlieder in den Maiabend geschmettert .
Hilde schrieb begeisterte Briefe an die Mutter daheim , die wurden dann abends in der kleinen Geißblattlaube , in der man nach dem Abendessen zusammenkam , Frau Werner und ihrem sich merkwürdigerweise stets dazu einfindenden Sohne vorgelesen .
Ordentlich jung fühlten sich die beiden älteren Damen , wenn sie diese frischen , ungekünstelten Berichte lasen , aus denen Arbeitsfreude , überschäumender Frohsinn und Lebenstüchtigkeit sprachen .
Auch Doktor Werners Erinnerungen an fröhliche Studententage erwachten durch Hildes Schilderungen , und die Sehnsucht nach jenem lieblichen Fleckchen Erde , an dem er frohe Tage verlebt , wurde laut .
Galt sein Sehnen wirklich nur dem sonnigen Landstrich und dem fröhlichen Neckarvölkchen , von dem Hilde schrieb , oder war es nicht viel mehr die anmutige Schreiberin selber , die seine Gedanken so oft in blaue Fernen schweifen ließ ?
Einmal hatte sie an ihn geschrieben , einen lieben , warmempfundenen Brief .
Das war damals , als ihre Mutter ihr mitgeteilt , daß Gerhard Werner einen Professorenstuhl an der Berliner Universität erlangt habe , und daß man große Hoffnungen auf ihn setze ; da hatte sie dem neugebackenen Herrn Professor voller Freude Glück gewünscht .
- " Weißt du , Daisy , eigentlich können wir stolz darauf sein , daß wir solch berühmten Mathematiklehrer gehabt haben , " meinte Hilde .
Es war ein Jubeln und Singen in ihr , galt das dem fremden Manne ?
Daisy blieb kühl .
" Ja , Werner ist sicher ein tüchtiger Mensch , " sagte sie so nebenbei , das Scheffeldenkmal betrachtend .
Die impulsive Hilde hätte sie für ihre tranige Gleichgültigkeit prügeln können .
" Tüchtiger Mensch , " echote sie , " die gibt es viele , aber Doktor Werner ist mehr , er ist bedeutend . "
" Seit wann bist du denn so von ihm eingenommen ? " staunte Daisy .
" Solange du bei ihm Unterricht gehabt hast , hattest du doch , soviel ich weiß , recht wenig für ihn übrig . "
" Deshalb lasse ich ihm doch Gerechtigkeit widerfahren , " sagte Hilde schnell und wandte sich verlegen den mit hellgrünem Maiwuchs grüßenden Tannen zu .
Sonderbar - so innig und vertraut die beiden Freundinnen miteinander waren , ihre geheimsten Gedanken , das innerste Fühlen , das sie durchzitterte , verbargen sie scheu voreinander , keine kannte das Herzensgeheimnis der anderen .
- Es war Sommer geworden , die überfüllten Züge brachten täglich neue Fremde auf der Durchreise in das traute Städtchen , manch bekanntes Gesicht hatten die jungen Studentinnen schon erblickt .
Heute stiegen sie gegen Abend zu den waldumkränzten Höhen empor , mit klangvoller Stimme schmetterte Daisy " Studio auf einer Reis ' " in den Bergwald hinein .
" Jum heidi - heidi - Heide - Schnaps ist gut für die Cholera , " fiel Hildes weniger melodische als frische Stimme lachend ein .
Da - ein Echo - noch einmal - jetzt kam es näher - eine dunkle Männerstimme - Daisy fuhr zusammen .
Etwas seltsam Bekanntes in der schönen Stimme machte ihren Atem stocken .
Ein heller Hut flatterte grüßend aus den Haselnußstauden unter ihnen in die Luft , und vertraute Laute schlugen an das Ohr der erstaunt aufblickenden Mädchen :
" Aber laufen Sie doch nicht so , Hilde - warten Sie doch , Fräulein Kollega , ein armer Reisender bittet um ein Almosen , " da tauchte das erhitzte Gesicht Günter Bernds aus der grünen Blattumrahmung auf , lachend schwang er sich zu dem erhöhten Standpunkt der Freundinnen .
Bis in die Lippen erbleichte Daisy .
Ihre Knie zitterten .
Hilde aber rief lustig :
" Nun Schlag einer aber lang hin und stehe kurz wieder auf - Günter Berndt , wie kommen denn Sie hier plötzlich aus der Versenkung ? "
" Ich ziehe als fahrender Sänger des Wegs , " ging Günter Berndt heiter auf ihren Ton ein , " und da ich Heidelberg auf meiner Tour nach dem Vierwaldstäter See berühre , mußte ich der Frau Mama versprechen , mich nach ihrem ausgesetzten Küken umzusehen .
Ihre prächtige Wirtin dort unten hat mich gleich des richtigen Weges gewiesen .
Miß Greehams Stimme diente mir als Wegweiser . "
Zum ersten Male nach der Begrüßung wandte er sich an Daisy .
Diese hatte inzwischen ihre Fassung mühsam wieder errungen .
Günter Berndt war in rosiger Reisestimmung .
Er schien die Entfremdung , die zwischen ihm und Daisy in Berlin geschwebt hatte , vergessen zu haben , und Daisy war klug genug , auf seinen harmlosen Ton einzugehen .
Wie jüngere Kolleginnen behandelte er die beiden Mädchen ; er uzte sie , daß sie keiner farbentragenden Verbindung angehörten , wunderte sich , daß sie noch keinen Schmiß davongetragen hatten und teilte ihnen seinen unabänderlichen Entschluß mit , die ganze Nacht mit ihnen durchzukneipen .
Das war was für Hilde , erst der lustige Weinkommers zu drei auf der Molkenkur , dann an dem vom Silberregen des Mondes überrieselten , gigantischen Heidelberger Schloß vorüber zum eleganten Konzert drunten im Stadtgarten .
Die bunten Studentenmützen flogen allenthalben in die Luft , wo Günter Berndt mit seinen anmutigen Begleiterinnen auftauchte , man verehrte die beiden hübschen Medizinerinnen allgemein .
Daisy schien froh und ausgelassen , aber durch ihre Heiterkeit klang ein Unterton mit von weher Entsagung .
Am anderen Tage setzte Günter Berndt seine Reise fort .
Hilde schwärmte noch lange von dem fidelen Abend .
Daisy aber streifte wie aufgescheucht durch den bergigen Forst .
" Warum - warum bloß mußte er aufs neue meinen Weg kreuzen und die so mühsam errungene Ruhe meines Herzens stören ? " fragte sie sich wieder und wieder .
Und die bemoosten Tannen und graubärtigen Fichten neigten sich leise wispernd zueinander , ein trostverheißendes Raunen und Rauschen ging durch die wehenden Wipfel .
Unter Eis und Schnee Heidelberg war leer geworden , die Herren Studenten waren nach Nord und Süd davongeflogen - die Universitätsferien hatten begonnen .
Daisy und Hilde saßen in ihrer " Bude " und überzählten ihre Barschaft .
Sie hatten ein erkleckliches Sümmchen von dem ausgesetzten Studiengeld erspart ; Daisy war ein wahres Sparsamkeitsgenie , sie hatte auch für Hilde das Rechnungsführen übernommen .
Denn Hilde stand noch immer mit allem , was Zahlen hieß , auf dem Kriegsfuß .
Und nun gingen zwei große Briefe ab .
Der eine an Hildes Mutter und der andere an Onkel Wilhelm .
Es mußte wohl etwas sehr Wichtiges darin stehen , denn die beiden Mädchen liefen jeden Morgen dem Postboten in fieberhafter Erwartung entgegen .
Und nach drei Tagen kam die heißersehnte Antwort :
Ja , sie durften den Rucksack auf den Rücken schnallen , den Wanderstab zur Hand nehmen und mit Fräulein Geßner , die jedes Jahr nach Tirol ging , in München zusammentreffen .
Hilde hatte in eifrigem Briefwechsel mit der älteren Freundin gestanden , und diese dem jungen Mädchen den Vorschlag gemacht , sich ihr diesmal auf ihren Fußwanderungen anzuschließen .
Aus dem kleinen möblierten Zimmer erscholl solch ein zweistimmiges Jubelgeschrei bei Empfang der Erlaubnis , daß die Frau Wirtin erschreckt die Tür öffnete , um nachzuschauen , ob auch ihren " jungen Fräulein Studenten " nichts zugestoßen sei . -
Drei Tage später marschierten sie mit dicksohligen , benagelten Stiefeln , das kecke graugrüne Hütchen flott in das lockige Haar gedrückt durch die Maximilianstraße in München .
An ihrer Seite schritt Fräulein Doktor Geßner als Cicerone und machte ihre jungen Reisegefährtinnen auf alle Schönheiten der bayerischen Residenzstadt aufmerksam .
Sie wanderten durch die Pinakotheken , besuchten das Hofbräu , und Hilde trank zu Fräulein Geßners Belustigung " a ganze Maß " .
Und dann saß man wieder in dem schwarzen , fauchenden Ungetüm , das so viel Schönheiten erschloß , die vorüberfliegende Landschaft wurde bergiger , immer höher strebten die Gipfel zu den Wolken empor , und schließlich rief Hilde beseligt :
" Schnee - ich sehe richtige Schneeberge ! "
Nun waren sie mitten drin , rings umgeben von der eisumpanzerten Alpenwelt .
Sogar die muntere Hilde verstummte , überwältigt von dieser ewigen Schönheit .
Fräulein Geßner war hier zu Hause .
Keine Schneespitze , kein Höhenzug war ihr unbekannt .
Die beiden Freundinnen hatten an der Seite eines solchen Reisemarschalls doppelten Genuß von ihrer Tour .
Daisy hatte bereits eine wie Alpenglühen leuchtende Gletschernase , und Hildes Gesicht hatte sich schon zweimal gehäutet .
" Morgen wird früh aufgestanden , meine Damen , " sagte Fräulein Doktor , als man abends nach anstrengendem Tagwerk auf dem heuduftenden Wiesenplan zwischen Hühnern und Ziegen sich der wohlverdienten Ruhe hingab , " morgen haben wir viel vor . "
" Wo soll_es denn ' nausgehen ? " fragte der biedere Tiroler Wirt , der mit der brennenden Pfeife sich zum Plauschen zu ihnen gesellt hatte .
Fräulein Geßner wies mit der Hand zu den in der untergehenden Sonne purpurn erglühenden Schneefeldern hinauf :
" Dort hinüber , erst zur Hütte und dann übermorgen mit Führer weiter über den Gletscher , jenseits ins Tal . "
" Das ist schon a Leistung , " meinte der Wirt anerkennend , " no , das Dirndl da , " - er wies auf Hilde - " die moacht es mit Leichtigkeit , das ist eine - sakra - die läuft jo wie der Teufel ! "
Hilde lächelte geschmeichelt , sie war gut Freund mit dem schlichten Tiroler Landvolk , ihre frische , harmlose Art fühlte etwas Verwandtes in dem vertraulichen , geraden Wesen der Bevölkerung .
Mancher Bua sah dem bildsauberen Dirndl , das so freundlich mit jedem sprach und den Dialekt so gut verstand , keck in die blitzenden Augen .
Daisy war schwerfälliger , nicht nur im Klettern , sie traf auch nicht so den richtigen einfachen Ton im Verkehr mit den ehrlichen Menschen ; und der Tiroler Dialekt klang an ihr Ohr , als ob es chinesische Laute wären .
Hilde neckte sie immer und meinte , sie sei eine steife Amerikanerin .
Auch mit der vierbeinigen Bevölkerung konnte sich Daisy nicht so anfreunden wie Hilde .
Vor fremden Hunden hegte sie ein unüberwindbares Mißtrauen ; die Maulesel , die ihre Rucksäcke öfters zur Höhe schleppten , bezeichnete sie als störrisch ; friedlich werdende Kühe hielt sie für wütende Stiere und nahm zur Erheiterung ihrer Gefährtinnen ängstlich Reißaus . -
Eiskalt wehte der Bergwind , als die drei Damen in der Frühe um vier Uhr , zum Weitermarsch gerüstet , aus dem gastfreien Wirtshause traten .
Tiefblauer Himmel umspannte die Gletscherwelt und das friedlich im Talkessel schlummernde Dörfchen .
Über blumige , grillendurchzirpte Matten ging es allmählich empor .
Dann hörten die hohen Bergföhren nach und nach auf , die Pflanzenwelt wurde struppig , mageres Knieholz umkroch den steinigen Erdboden .
Die drei Wanderinnen schritten wacker aus , ihr treuer Begleiter , der Bergstock , erleichterte die Steile des Aufstiegs .
Sie überschritten die italienische Grenze .
" Nichts Versteuerbares ? " fragte der schwarzäugige Kontrollbeamte .
Hilde , die als Leithammel meist vorausging , schüttelte das sonnengebräunte Köpfchen .
" Auch keine Zigarren ? " lachte der gutgelaunte Grenzaufseher , daß seine weißen Zähne blitzten .
Hilde verneinte verwirrt .
Und umgeben von flimmernden Eisriesen und gigantischen Schneehäuptern erstand plötzlich in ihr ein stilles Waldfleckchen , auf dem sie im Kreise fröhlicher Genossinnen Doktor Werner zum Trotz blauen Zigarrendampf in die Luft gepafft hatte .
Wo mochte er jetzt weilen , zu dem ihre Gedanken so oft wanderten ?
Die Mutter hatte ihr geschrieben , daß Professor Werner seine Sommerreise angetreten habe .
Er machte wie alljährlich kühne Besteigungen in den Alpen , aber ob sie ihn in der Schweiz oder in Tirol zu suchen habe , wußte Hilde nicht .
" Heldchen , was kostet das Wort bei Ihnen ?
Sie haben ja seit einer Viertelstunde in allen Sprachen geschwiegen .
Hat der schnauzbärtige Grenzbeamte es Ihnen angetan ? " neckte Fräulein Geßner .
Hilde schüttelte den Bann der Erinnerungen ab .
Die Gegenwart , der Augenblick war ja auch so märchenhaft schön .
In vollen Zügen sog sie den herben , heudurchtränkten Almenduft ein .
Sie hatten die Paßhöhe erreicht , eine gewaltige Steinwüste begann sich längs des Weges zu türmen .
Da , ein Marterl , ein junger neunzehnjähriger Bursch , Sepp Steinhuber , hatte hier einer todbringenden Lawine sein junges Leben lassen müssen .
Das fröhliche Lachen der drei verstummte - als warnendes Memento mori grinste das Marterl zu ihnen herüber .
Zu ihrer Rechten gähnten die blauen Gletscherspalten des funkelnden Eiskolosses , dem sie morgen keck den Fuß in den Nacken setzen wollten .
An die Moräne lehnte sich die Schutzhütte , von der aus der Aufstieg unternommen werden sollte .
Fräulein Doktor war unzufrieden ; die Aussicht war nicht so tadellos , wie sie es erwartet hatte .
Das rötliche zackige Gestein der Dolomiten lag klar , aber die Zillertaler Alpen waren in Dunstschichten gehüllt .
Das weissagte nichts Gutes für den kommenden Tag .
Sie sprach eingehend mit den Führern , die auf der Bank vor dem Hause die müden Glieder ruhten und ebenfalls prüfend die sich ballenden Wolken beobachteten .
" Das gibt heute schon noch a bös Wetter , " meinte einer .
" Fräulein Geßner , lassen Sie das Unken , Ihr Schmarrn wird kalt , " rief Hilde dazwischen , " wenn es regnet , machen wir es wie die Leute in Sachsen , wir gehen darunter weg . "
" Wees Knebbchen , hären Se , da ham Se recht , " ertönte da eine lachende sächselnde Stimme aus der Hütte ; ein Ehepaar aus Leipzig stellte sich den Damen vor und nahm ohne alle Umschweife an ihrem Tische Platz .
Man besprach die verschiedenen Reisewege , die Sachsen zollten dem unternehmungslustigen Kleeblatt ihre Anerkennung , daß sie den nicht ungefährlichen Gletscherübergang wagen wollten ; und je lauter sie ihren Mut priesen , desto mehr fühlten Hilde und Daisy ihn sinken .
Ängstlich blickten sie zu den unheimlichen Gletscherspalten herüber .
Welche von ihnen bedrohte ihr junges Leben ?
Fräulein Geßner als Wetterprophetin wurde glänzend gerechtfertigt .
Mit einer Geschwindigkeit , wie es nur im Hochgebirge möglich , stürmten Nebel die Schneehalde hinab , und im Umsehen schob sich eine dicke graue Wand vor jeden Ausblick .
Und nun begann das Unwetter .
Hilde und Daisy lehnten in stummem Entsetzen an den im Sturme erklirrenden Fenstern und schauten dem grausigen Toben der entfesselten Naturmächte zu - es war ein schaurig großartiges Schauspiel .
" O Gott - Hilde - da kommen Menschen , indeed , in diesem Wetter , ein Führer mit einem Herrn - Log - er hat die Lodenkapuze ganz über den Kopf gezogen , der Ärmste wird schön durchweicht sein . "
Klirrende Nagelschuhe schlugen draußen auf den Steinboden des Flurs , man hörte die laute Stimme der Wirtin : " No , Gott sei es gedankt , daß Sie wieder da sein , i hoab mi schon Geoar zu sehr um Ihnen gebangt . "
Und dann wurde die Tür geöffnet und mit einem klingenden " Grüß Gott ! " trat ein hochgewachsener Mann , den Eispickel in der Hand , in die niedrige Gaststube ; die dunkle Lodenkapuze fiel , blondes Haar wurde sichtbar - " Professor Werner ! " rief Daisy , während Hilde die triefende Männergestalt entgeistert anstarrte .
" Da hätten wir ja die kühnen Bergsteiger endlich ! " rief Gerhard Werner mit froher Stimme , den Schnee von den Sachen schüttelnd und den jungen Damen kräftig die Hand drückend .
" Drei Tage liege ich nach dem letzten Brief meiner Mutter , die mir Ihr Reiseprogramm mitgeteilt , nun schon wartend in diesem fürstlichen Palast - Mal müssen sie doch kommen , tröstete ich mich von Tag zu Tag mit stoischer Ruhe .
Ich glaube , es gibt hier kein Eishaupt mehr im Umkreis , dem ich nicht inzwischen aufs Dach gestiegen bin . "
Fräulein Geßner und Daisy umringten ihn mit einer Freude , wie man sie nur zweitausend Meter überm Meeresspiegel beim Anblick eines bekannten Gesichtes hegt .
Hilde hielt sich zurück .
Professor Werner wandte sich zu ihr .
" Fräulein Hilde , Sie empfinden doch meine aufgedrängte Gesellschaft nicht etwa störend ? "
Da schlug sie die tiefen Augen mit einem Blick so unaussprechlicher Seligkeit zu ihm auf , daß sich jeder Zweifel in ihm löste .
" Natürlich machen wir die Gletschertour morgen zusammen .
So , also einen Führer haben Sie schon - na , dann rolle ich als fünftes Rad am Wagen hinterher .
Nein , Fräulein Geßner , wir brauchen keinen zweiten Führer , der Übergang ist für mich Kinderspiel , ich nehme sogar noch eine der Damen ins Schlepptau . "
Und wieder ging sein Blick in stummer Frage zu Hildes braunem Gesichtchen , und ihre sprechenden Augen gaben ihm die gewünschte Antwort .
Der Führer war angewiesen , auf alle Fälle , wie auch das Wetter wäre , um drei Uhr zu wecken ; und mit einem ängstlich prüfenden Blick in die dunkeldrohenden Wolkenmassen trennte man sich frühzeitig .
Fräulein Geßner schlief mit der Gemütsruhe einer bewährten Hochtouristin den Schlaf des Gerechten , während Daisy und Hilde sich erregt in den feuchtkalten Betten wälzten .
Die erste wirklich ernste Tour morgen stand im unheimlichen Dunkel der Nacht gespensterhaft drohend vor ihnen .
Leise übte Daisy im Bett die aus dem Baedeker gelernten Notsignale .
Hilde dagegen dachte nicht ganz so intensiv an das Morgen - " er " war ja bei ihr , da fühlte sie sich sicher vor allen Lawinen und Tücken des Gletschers .
Graue Frühdämmerung umwob noch die Hütte , als man zum Aufbruch bereit in die eisigkalte Hochgebirgsluft hinaustrat .
Man hatte lange geschwankt , ob man die Tour wagen sollte ; Neuschnee war in der Nacht gefallen und erschwerte das Vorwärtskommen .
Die Lust am Abenteuerlichen aber hatte gesiegt .
Schneebrille und Gletscherhandschuhe waren angetan , der Führer mit Proviant ausgerüstet , und nun stieg man langsam den steinigen Pfad bis zum Schneefeld empor , der sich längs der Moräne aufwärts zog .
Dann wurde angeseilt .
Daisy bebte vor Erregung , als ihr das Seil um die Hüften geschlungen wurde ; sie ging als die am wenigsten Geübte zwischen dem Führer und Fräulein Geßner .
Hilde wurde von Professor Werner " an die Leine " genommen , wie er sich ausdrückte ; zärtlich strich sie über den harten Hanfstrick , der sie an ihn knüpfte .
" Vorwärts ! " kommandierte Gerhard Werner , und die Karawane setzte sich in Bewegung .
Hinein ging es in die unendlichen , blendenden Schneefelder ; bis zu den Knien versanken die Damen in den weichen Schneemassen .
Hilde stapfte wacker in Gerhard Werners Fußstapfen .
Der vorausgehende Führer war bereits mit den beiden anderen Damen von dem wogenden Nebelmeer verschlungen .
Hildes Atem ging von der Anstrengung des Steigens schnell .
Aber ein nie gekanntes Gefühl umfing sie , hier in der beklemmend großartigen Welt des bläulichen Eises und des unabsehbaren Schnees so ganz allein mit ihm , die einzigen lebenden Wesen in der starren , toten Gletscherwüste .
Gerhard Werner sah besorgt aus , die jagenden Nebelfetzen bedeuteten Unwetter - nur kein Schneesturm jetzt , ehe man die gefahrvollen Gletscherspalten bis zum Firnsattel umschritten hatte !
Von Zeit zu Zeit blieb er , auf seine Eisaxt gestützt , stehen und wandte das gerötete Antlitz ermutigend der nachfolgenden Hilde zu .
" Geht_es noch , mein tapferer kleiner Kamerad ? "
Sie nickte glückselig , und alle Müdigkeit verflog vor seinem Blick .
Der Führer wartete jetzt auf den Nachtrab und gab Anweisung , wie die Gletscherspalten zu umgehen seien .
Und weiter - fest angezogen lag jetzt das Seil , vorsichtig prüfte Professor Werner den Boden , ehe er den Fuß aufsetzte .
" Links treten ! " schrie er Hilde plötzlich zu .
Diese aber in der Aufregung des Augenblicks wandte sich rechts , der Schnee unter ihrem Fuße wich , langsam glitt sie hinab .
Gerhard Werner fühlte einen starken Ruck am Strick - voll Geistesgegenwart warf er sich platt auf die Erde und versuchte , die totenbleiche , am Seil schwebende Hilde aus der Spalte zu sich emporzuziehen .
Wenn das Seil riß oder der weiche Schnee , an den er sich klammerte , nicht mehr trug , dann waren sie beide verloren .
Dieser Gedanke gab ihm übermenschliche Kraft , noch ein Anziehen , und Hilde flog neben ihm in den Schnee .
Ihre Augen waren fest geschlossen , der Schreck hatte sie der Sinne beraubt .
Gerhard Werner kniete nieder , lehnte die leichte Gestalt an sich , und sie mit den Armen stützend , rieb er zart und leise Hildes Schläfen mit Schnee .
Er war so vertieft in seine Sorge um sie , daß er das dumpfe Grollen überhörte , das schaurig von den gigantischen Eisblöcken zurückgeworfen wurde .
Mit einem tiefen Seufzer schlug Hilde die Lider auf und sah über sich zwei so liebevolle bange Augen , daß sie die ihren verwirrt wieder schloß .
Aber auch Gerhard Werner mußte plötzlich geblendet die Wimpern senken .
Ein jäher Blitzstrahl flammte zuckend über das flimmernde Eis .
Und nun setzte der Schneesturm ein in tollem Wirbel , daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte .
Gerhard Werner riß seinen Lodenumhang aus dem Riemen und hüllte die vor Kälte und Aufregung zitternde Hilde warm hinein .
Und wieder schlang er schützend den Arm um sie .
Widerstandslos ruhte das einst so eigensinnige Köpfchen an Professor Werners Brust .
Hilde hielt die Augen noch immer geschlossen .
Jetzt aber richtete sie sich ein wenig auf .
" Sie werden ja ganz naß , Herr Doktor - Herr Professor , " verbesserte sie sich schnell , " bitte , nehmen Sie Ihren Umhang zurück . "
Da zog er ihren Kopf in der braunen Mantelkapuze wieder sanft an sich , da hatte alles pedantische Überlegen und Zweifeln , ob sie auch reif genug sei , ein Ende .
" Für Sie will ich weder Doktor noch Professor Werner sein - weißt du keinen anderen Namen für mich , Hilde ? " fragte er flüsternd .
Wild dröhnender Donner verschlang ihre leise Erwiderung , aber Gerhard Werner mußte sie wohl verstanden haben .
Unter Donner und Blitz hatte sich die spröde Hilde gegeben .
Immer noch wirbelten die Schneeflocken , eisig empfand Gerhard plötzlich trotz des inneren Feuers die durch das Lodenwams dringende Nässe , sie mußten weiter , wollten sie sich nicht dem sicheren Tode aussetzen .
Laute Rufe schallten plötzlich zu den beiden herüber - jetzt noch einmal - Ein heller Juchzer aus Gerhard Werners Mund antwortete .
Dem Führer war das lange Ausbleiben der beiden aufgefallen ; er hatte seine beiden Damen in der bereits erreichten Unterkunftshütte zurückgelassen , um nach ihnen zu suchen .
Bald hatten auch Gerhard und Hilde den Firnsattel erreicht , voller Besorgnis sahen Fräulein Geßner und Daisy nach ihnen aus .
" Wo haben Sie denn bloß gesteckt ? " riefen sie ihnen entgegen .
" Hilde in einer Gletscherspalte , " lachte Gerhard Werner überselig , " und als ich sie dann glücklich heraus hatte , wußten wir , da in dem Schneesturm das Weiterkommen unmöglich war , die Zeit nicht besser anzuwenden , als - uns miteinander zu verloben ! "
Das gab einen Jubel und eine Überraschung - "na warte , du Scheinheilige , dir glaube ich nie mehr , " lachte Daisy in inniger Freude .
Und bei dampfender Erbssuppe wurde dann die Verlobung gefeiert hoch oben unter Schnee und Eis .
" Hast du auch einen Mann ? " fragte die Frau , welche die Hütte bewirtschaftete , die danebenstehend Daisy .
Daisy schüttelte verlegen den Kopf .
" Dann mußt halte Umschau halten , " meinte die Frau ernsthaft .
Und Daisy dachte leise seufzend an einen , der niemals ein studiertes Mädel lieben konnte ...
Sie stiegen wieder zu der kleinen Alltagswelt herab , aber Hilde und Gerhard nahmen das andächtige Festtagsgefühl aus der ewigen Gletscherwelt mit sich .
Die Mütter in dem stillen Vorstadthaus empfingen ihre vereinten Kinder in heller Glückseligkeit .
Hilde hängte ihre gelehrten Bücher an den Nagel , denn Gerhard Werner wollte durchaus nicht bis zur Beendigung des Studiums auf seine Hilde warten .
Nicht einmal das Physikum , das sie gerne noch machen wollte , um doch wenigstens den ganzen " Kram " nicht umsonst gelernt zu haben , wurde ihr zugebilligt .
Aus der jungen Studentin wurde ein eifriges und umsichtiges Hausmütterchen , und als der Rosenmonat wieder ins Land zog , führte Professor Gerhard sein junges Weib heim .
In der Kinderklinik Vier Jahre waren seitdem vergangen .
Die junge Frau Professor Werner huschte wie ein Irrwisch durch ihr trauliches Nest , rückte hier an einem Bilde , zog dort an einem Deckchen und stand auch nicht für die Dauer einer Sekunde auf demselben Fleck .
Von dem behaglichen Speisezimmer ging es in die Kinderstube , ob denn Klein-Hänschen noch immer nicht aus seinem Nachmittagschlaf aufzuwachen geruhte .
Wie ein Rafffälscher Engel lag er da mit seinen goldbraunen Löckchen und den rosigen Schlafbäckchen .
Nein , Hänschen durfte nicht geweckt werden , nicht einmal solchem großen Ereignis zuliebe , wie dem bevorstehenden Besuche .
War es denn möglich ?
Fast vier Jahre hatte sie ihre Daisy , ihr einstiges zweites Ich , nicht gesehen .
Seit ihrer Hochzeit war Daisy nicht mehr in Berlin gewesen .
Sie hatte in Würzburg , München und Freiburg studiert .
Nicht einmal die Ferien hatte sie in Berlin verbracht .
Daß es sie nicht zu den Verwandten zog , war ja verständlich .
Aber warum hatte sie ihre und ihres Mannes wiederholte Einladung , die Ferien in ihrem jungen Heim zu verleben , stets ausgeschlagen ?
Hilde stand vor einem Rätsel .
Denn daß Daisy immer und ewig zu büffeln hatte , das glaubte sie einfach nicht .
Aber nun war das Staatsexamen mit Glanz erledigt , der Dr. med. errungen .
Endlich hatte Daisy sich bei den Freunden angemeldet .
Hänschen , ihren kleinen Paten , kannte sie überhaupt noch nicht - still , in Andacht versunken , stand die eben noch so lebhafte Frau Hilde am Gitterbettchen des kleinen Schläfers .
Da schlug der Kleine die Augen auf , leuchtend blaue Sterne , wie sein Vater sie hatte , nur tiefer , klarer .
" Mama , anschien ! " kommandierte er und streckte der Mutter zwei rosige Strampelbeinchen entgegen .
Hilde schwenkte das jauchzende Kind erst einige Male durch die Luft , ehe sie sich entschließen konnte , die Beinchen in die Wadenstrümpfe zu stecken , anstatt sie zu liebkosen .
Es war immer ein schwieriges Stück , Hänschen anzukleiden .
Denn der Kleine war nach Ausspruch des Vaters genau solch Perpetuum mobile wie seine Mutter .
Aber heute war die Sache noch erschwert ; beide , Mutter und Sohn , waren noch weniger geduldig als sonst .
Hänschen sollte Daisy zu Ehren in die ersten Höschen hinein .
Diese wichtige Angelegenheit leuchtete aber dem Kleinen durchaus nicht ein .
Er sah darin nur eine Freiheitsberaubung .
In einem unbewachten Augenblick entschlüpfte er den mütterlichen Händen - auf allen Vieren , schnell wie ein Wiesel , aus der Tür und zur gegenüberliegenden , die in das Studierzimmer des Vaters führte .
Dort begann er mit Leibeskräften mit den kleinen Fäusten gegen die Tür zu bummern .
Er wußte , daß er hier stets willkommen war .
Und wirklich , ehe Frau Hilde noch den Ausreißer einfangen konnte , saß er bereits auf des Vaters Knie , fuhr mit seinen dicken Patschhändchen respektlos in die gelehrten mathematischen Berechnungen auf dem Schreibtisch und verlangte :
" Tickettake ! " , indem er an der Uhrkette energisch zu reißen begann .
" Dein Sohn ist heute wieder aus Rand und Band , " rief Gerhard Werner lachend der hinzueilenden Hilde entgegen , sie mit dem freien Arm ebenfalls umschlingend .
Aber die hatte heute keine Zeit zu einem Familienidyll .
" Ausgekniffen ist der Bengel - jeden Augenblick kann die Tante Daisy hier sein !
Komme , Jungchen , sei verständig , laß dich anziehen . "
Aber " Jungchen " dachte gar nicht daran , Vernunftsgründen zugänglich zu sein .
Der rettete sich zu seinem Vater .
Der gelehrte Herr Professor setzte sich den Filius auf die Schulter und galoppierte mit dem " hü " rufenden Sprößling der Mutter davon im Zimmer umher .
Die lachende und schimpfende Frau Hilde hinterdrein .
" Gerd - Gerd - bleibe doch stehen - die Männer müssen doch immer gegen uns arme Frauen zusammenhalten - wenn dich deine Studenten so sähen , Gerd - der Junge ist ja noch gar nicht fertig angezogen - einer von euch ist immer unvernünftiger als der andere " - sie konnte vor Lachen nicht weitersprechen .
Klein-Hänschen juchzte vor Seligkeit und zauste sein Pferdchen in die blonde Haarmähne .
Der Professor sprang im Trab und im Galopp .
Hilde versuchte vergeblich , Roß und Reiter zu zügeln .
Keiner vernahm bei dem Radau die Türglocke .
Das Klopfen des anmeldenden Mädchens verhallte - und plötzlich stand im Türrahmen eine blonde Dame mit lachenden Augen und rief in den Tumult hinein :
" Darf ich mitspielen ? "
" Daisy ! " jubelte Hilde los .
Mit großen Augen sah Klein-Hänschen , daß die Mutter eine fremde Dame so liebevoll in die Arme nahm , wie sie es sonst mit ihm zu machen pflegte .
Unzufrieden mußte er wahrnehmen , daß auch sein Pferd auf kein " Hü " mehr gehorchte , sondern den kleinen Reiter einfach abwarf , um sich ebenfalls voller Freude der Fremden zuzuwenden .
Da drängte sich Hänschen eifersüchtig dazwischen .
Ehe er es sich versah , hatte die fremde Dame ihn auf dem Arm und drückte ihn zärtlich an sich .
Hänschen wehrte sich aus Leibeskräften - was gingen ihn fremde Tanten an ?
" Da hast du ihn , Daisy , deinen Patenjungen , " stellte Hilde , strahlend vor Mutterglück , vor .
" Er ist noch gar nicht empfangsbereit , der Schlingel , unbehost , und das Willkommensträußchen für Tante Daisy muß er auch erst noch feierlich überreichen .
Junge , benimm dich anständig !
Gib ihm ruhig einen Klaps , Daisychen , wenn er nicht brav ist .
Dazu bist du als Patin ermächtigt . "
" Ich werde mich ja hüten , " lachte Daisy , " mir gleich die Feindschaft eures Herrn Sohnes zuzuziehen . "
Sie holte ein Spielzeug hervor , und damit war die Freundschaft mit Tante Daisy besiegelt .
" Also , Fräulein Doktor , nun laß dich erst Mal anschauen , " rief Hilde in ihrer lebhaften Art , nachdem Hänschen zur Vervollständigung seines äußeren Menschen dem Mädchen überliefert war .
" Gut sieht sie aus , die Daisy , nicht wahr , Gerd ?
Größer und , wie soll ich sagen , viel erwachsener bist du geworden .
Das Büffeln scheint dir glänzend bekommen zu sein . "
" Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken , " zitierte der Professor lachend .
" Darling - wie hast du mir gefehlt , " war alles , was Daisy zuerst nur herausbrachte .
Hilde aber kannte keine sentimentale Regung .
" So , Daisychen , dies ist der Willkommenskuß - und der da , der ist für das fein bestandene Examen , so - und einen gibt es noch als besondere Zugabe , und nun wollen wir Kaffee trinken . "
Davon aber wollte Daisy wieder nichts wissen .
" Erst muß ich mir dein Heim ansehen , Hilde , ich kenne zwar schon jedes Winkelchen aus deinen Briefen , aber nun will ich mir doch das Nest , in dem meine Hilde so glücklich haust , auch einmal näher besehen . "
Arm in Arm schritten sie von Zimmer zu Zimmer , Hilde froh und stolz erläuternd , und Daisy jedes Bild und jede Bronze studierend .
Am meisten aber wurde Hänschen bewundert .
Tante Daisy ließ ihn nicht vom Schoß .
Das gab ein gemütliches Kaffeestündchen .
Gerhard und seine ehemalige Schülerin Daisy waren ebenfalls inzwischen Freunde geworden .
Daisy mußte Bericht erstatten .
" Also nun beichte Mal erst , Daisy .
Warum bist du die ganze Zeit über unsichtbar geblieben ?
Wo sitzt er , in Freiburg , Würzburg oder München , der dich uns abspenstig gemacht hat ? " scherzte Hilde .
" Weder dort , noch wo anders , " lachte Daisy .
Ernst werdend fügte sie hinzu : " Ich mußte mich daran gewöhnen , auf mich allein angewiesen zu sein , Hilde .
Man erstarkt , wenn man seine Kräfte selbständig im Leben erprobt . "
Gerhard ließ sich vom Examen erzählen .
" Mächtig schwer war_es .
Das Physikum ist Kinderspiel dagegen . "
" Gut , daß ich mich vorher verheiratet habe , " meinte Hilde in ihrer drolligen Art .
" Wenn ich mich auch genug mit dem Mann hier ärgern muß . "
" Strafe muß sein , " der Professor versuchte ihr den übermütigen Mund zu schließen .
" Aber Gerd " -
Hilde machte sich aus seinen Armen frei - " was soll denn bloß Daisy davon denken ? "
" Daß wir , trotzdem wir schon solch altes , würdiges Ehepaar , noch genau so unvernünftig glücklich sind wie am ersten Tage , stimmt , Herzchen ? "
Hilde sah warmen Blicks in seine liebevollen Augen .
Daisy fühlte sich durch die Zärtlichkeit der beiden ein wenig bedrückt .
Sie beschäftigte sich angelegentlich mit Hänschen .
" Nun bleibst du doch für immer hier , Daisy , nicht wahr ? "
" Das hängt davon ab , ob ich hier eine Anstellung als Volontärärztin an einem Kinderkrankenhaus bekomme .
Ich muß noch mein Praktikantenjahr erledigen , ehe ich mich niederlassen kann .
Die Aussichten sind hier in Berlin besser , als in Süddeutschland .
Darum bin ich zurückgekommen . "
" Also nur deshalb , Gerd , darauf können wir uns nichts einbilden . "
Die noch immer wie einst so lustige Hilde sah voll Staunen , wie ernst und zielbewußt die Freundin in den vier Arbeitsjahren geworden war .
" Wirst du wieder bei Tante Malwine wohnen ? "
" Ich werde es wohl nicht umgehen können ; übrigens Fränze , die hat sich in der Ehe verändert , es ist kaum zu glauben . "
" Wieso - ist sie nicht mehr solch Greuel ? " erkundigte sich Hilde mit alter Natürlichkeit .
" Nein , sie ist eine ganz verständige Frau geworden . "
" Ich hätte nicht gedacht , daß der schüchterne Lämmergeier sie kirre kriegt , " meinte Hilde bedächtig .
" Ja , solche Ehe bringt viel zuwege , auch ich bin ganz bescheiden und demütig geworden . "
" Na - na , " warf Gerhard ein und wurde zur Strafe dafür von Hilde unter Lachen und Jubel in sein Studierzimmer befördert .
Die beiden Freundinnen waren allein .
" Weißt du , Daisychen , was ich wünschte , " sagte Hilde mit einem Male ganz unvermittelt , " du wärest auch so glücklich verheiratet wie ich ! "
Daisys Gesicht färbte sich glutrot .
" Aber Hilde , wie kommst du bloß auf solche Dummheiten , " wehrte sie ab , " ich habe doch meinen Beruf , der ersetzt mir doch alles andere . "
Hilde schüttelte den Kopf .
" Du sprichst wie der Blinde von der Farbe .
Ich habe früher auch genau so gedacht , aber habe nur erst einen richtig lieb .
Richard ist auch seit kurzem verlobt und - - - "
" Und - Günter Berndt ? "
Daisy hätte sich auf die Lippen beißen mögen , daß ihnen diese Frage , die sie ganz geheim nur gedacht , entschlüpft war .
" Pah , der - an dem ist Hopfen und Malz verloren , unheilbarer Weiberfeind .
Der lebt nur seiner Medizin .
Aber halte , Daisy , Günter Berndt kann dich doch in seiner Kinderklinik anbringen , er ist dort Oberarzt .
Gleich schreibe ich an ihn . "
Mit altem Ungestüm eilte Hilde zum Schreibtisch .
Vornahme und Ausführung war bei ihr immer noch dasselbe .
" Nein - Hilde , nein , " Daisy lehnte sich mit aller Entschiedenheit dagegen auf , " an den kannst du dich nicht wenden .
Das ist mir peinlich . "
" Aber Daisy , habe dich doch nicht , du bist aber wirklich komisch .
Solch ein guter Freund , der tut mir doch gern den Gefallen .
Und ihr kennt euch doch auch viele Jahre .
Es muß für dich doch angenehmer sein , unter einem bekannten Arzt zu arbeiten , als unter einem fremden . "
" Ich möchte die Anstellung mir selbst verdanken , nicht einer Empfehlung , " wandte Daisy noch ein .
Doch Hilde schrieb bereits mit ihrer schnellen Entschlossenheit ein Briefchen an Günter Berndt .
Daisy verstummte .
Vier Jahre war sie der Heimat fern geblieben , um vergessen zu lernen , andere Werte für Verlorenes zu erringen .
Und jetzt , wo sie heimkehrte , sollte sie gleich auf so harte Probe gesetzt werden ?
Tägliche Zusammenarbeit mit dem , den sie meiden wollte ?
Aber wenn sie mit ihrem Jugendtraum wirklich abgeschlossen hatte , mußte sie doch ihrer selbst sicher sein .
Dann brauchte sie nicht feige Versteck zu spielen , sondern durfte nur den Kollegen in Günter Berndt sehen , wie er es ja umgekehrt auch sicher tat .
Erst Klein-Hänschens lustiges Radebrechen gelang es , den Ernst von der Stirn der neuen Tante zu scheuchen .
Als Doktor Günter Berndt am nächsten Morgen das zierliche Briefchen mit Hildes steilen Schriftzügen in Empfang nahm , dachte er , wie gewöhnlich eine Einladung von ihr zu erhalten .
Aber je weiter er las , desto mehr verfinsterten sich seine Züge , und mit einem " Nein - entschieden nein ! " schleuderte er das Briefchen auf den Tisch .
Mit großen Schritten trat er zum Schreibtisch und tauchte energisch seine Feder ein .
Er wollte sofort die Absage vom Stapel lassen .
" Liebe Frau Professor ! " prangte bereits als Überschrift .
Was gab er nun für einen Grund an ?
Überfüllung natürlich , keine Stelle frei , das war das Glaubhafteste .
Aber ob Daisy es auch glauben würde ?
Ob sie sich nicht am Ende heimlich einbildete , er wolle eine Begegnung mit ihr vermeiden , er wäre seiner selbst nicht sicher .
Die Feder spritzte in großem Bogen über das weiße Papier , nein , er hatte es nicht nötig , ihr auszuweichen .
Er konnte voller Seelenruhe mit ihr zusammenarbeiten .
Er würde nur die Kollegin in ihr sehen , ihn berührte ihre Anwesenheit absolut nicht .
So ging statt der geplanten Absage ein einverstandenes Schreiben an Hilde ab .
Und zu Beginn des nächsten Monats trat Dr. med. Daisy Greeham ihre neue Volontärstelle an .
Gepreßten Herzens schritt Daisy zum ersten Male durch das ziegelrote Gebäude der Kinderklinik .
Doch als sie Günter nach langer Zeit wieder gegenüberstand , sagte ihr das laute Pochen ihres unverständigen Herzens , daß die jahrelange Trennung sie noch immer nicht vergessen gelehrt hatte .
Aber die sachlich kühle Art , mit der Günter Daisy in ihr neues Arbeitsfeld einführte und die jedes Persönliche ausschloß , gab ihr Ruhe und Gleichgewicht der Seele wieder .
Allerdings nur , solange sie mit ihm gemeinsam tätig war .
Abends , wenn ihr Tagewerk vollbracht , und ihr Gefühl nicht mehr durch die Arbeit des Augenblicks betäubt war , wallte es jäh in ihr empor , " ich gehe nicht mehr hin , ich gehe morgen bestimmt nicht mehr hin , " beteuerte sie sich jeden Abend und - am nächsten Tage tat sie wieder den weißen Arztkittel um , und schritt wieder von einem Bettchen zum anderen .
Die kranken Kleinen liebten in kurzer Zeit die " neue blonde Tante Doktor " über alles .
Keiner hatte solch weiche Hand zum Verbinden , keiner tat so wenig bei der Untersuchung weh , ja selbst die gräßliche Medizin schmeckte nicht mehr so bitter , wenn die Tante Doktor sie reichte .
Und wie freundlich und zärtlich sie einem jeden Kinde zuzusprechen wußte , wie sie es verstand , auf all die kindlichen Interessen einzugehen .
Der junge Oberarzt , der seine Gedanken sonst klar und bestimmt auf seine Tätigkeit richtete , der jedes Abschweifen streng verpönte , ertappte sich jetzt öfters bei sekundenlanger Unaufmerksamkeit .
Die echt weibliche , mütterliche Art der jungen Ärztin , verbunden mit ihrer zuverlässigen Berufstätigkeit machten ihm die Zusammenarbeit mit ihr zur Freude .
Er vergaß es manchmal , nur die Kollegin in ihr zu sehen .
Gab es wirklich Frauen , die sich ihre Gefühlstiefe , ihre weibliche Anmut , trotzdem sie kaltblütig das Operationsmesser handhabten , bewahrt hatten ?
Die Theorie , die Günter Berndt von studierten Frauen aufgestellt hatte , kam ins Wanken .
Jedes Wort Daisys im Verkehr mit den kranken Kindern offenbarte eine solche Gemütstiefe , solch einen Reichtum des Gefühlslebens , daß er seine Augen dem nicht verschließen konnte .
Und wieder begann ein stiller Kampf in Günter Berndts Innerem .
Der Funke hatte nur unter der grauen Aschenschicht des Vergessenwollens geschlummert .
Jetzt war er aufs neue geweckt ; langsam entfachte sich die erstickte Glut wieder .
Daisy merkte nichts von alledem .
Er behielt seinen höflich kollegialen Ton ihr gegenüber bei .
Er war der Oberarzt , sie eine junge Praktikantin wie viele andere .
Alles Persönliche in ihrem Verkehr war von Anfang an ausgeschaltet .
Heute mußte er eine schwierige Operation vollführen , und da er in Daisys Gegenwart heimlich für die Sicherheit seiner Hand fürchtete , hatte er sie ersucht , inzwischen die notwendigen Verbandwechsel im chirurgischen Saal vorzunehmen .
Heiter lachend und scherzend führte sie ihre schmerzhafte Tätigkeit aus .
Kein Schreien und Weinen ertönte dabei .
Was die liebe Tante Doktor machte , tat nicht weh .
Da - mitten im Erzählen eines Märchens eilte eine Schwester aufgeregt in den Saal .
" Fräulein Doktor , Herr Doktor Berndt läßt bitten , daß Sie sofort kommen .
Die kleine Margot will sich von keinem anderen halten lassen , sie stößt mit Händen und Füßen um sich und schreit unausgesetzt nach Tante Doktor . "
Daisy eilte in den Operationssaal .
Wütendes Geschrei tönte ihr bereits daraus entgegen .
Mit schnellem Schritt trat sie zu dem aufgeregten Kinde .
Sanft strich ihre Hand über das verweinte Gesichtchen , und zärtliche Laute , wie daheim die Mutter sie für ihre kleine Margot gehabt hatte , schlugen an das Ohr der verängstigten Kleinen .
Da umklammerte das heiße Kinderhändchen fest die kühle , schlanke Mädchenhand :
" Bleibe du bei mir , gehe nicht wieder fort , " schluchzte sie stoßweise .
Leise sprach Daisy auf die ruhiger und ruhiger werdende Kleine ein , und bald hatte sie das verzogene und eben noch so störrische Kind so weit , daß die Narkose gemacht werden konnte .
Mit sicherer , gewandter Hand assistierte sie Günter , zurückscheuende Nerven kannte sie nicht mehr .
Die Operation war gelungen , das Kind im Separatzimmer gebettet , und nun saß Günter Berndt allein an seinem Schreibtisch .
Es stürmte in ihm , seine Gedanken jagten sich - wie weich und zärtlich Daisy das eigensinnige Kind eben noch umfangen , und wie kaltblütig und ohne jedes Wimperzucken sie ihm gleich darauf das Messer zugereicht hatte .
Reimte sich Frauentum und Frauenstudium nicht doch zusammen ?
Lieferte Daisy ihm nicht täglich den Beweis , daß die studierte Frau an weiblichem Reiz nichts einzubüßen brauchte ?
Günter Berndt sprang auf , er hatte seine Verblendung einsehen gelernt .
Hell schlugen die zurückgehaltenen Flammen in seinem Herzen empor .
Es war noch nicht zu spät , gut zu machen .
Und doch - jenes Wort , das sie damals gesprochen und das ihn so verletzt , legte sich wieder erkältend auf die Glut seiner Gefühle :
" Ein studiertes Mädel liebt nicht so leicht .
Dem ist der Mann nur guter Kamerad , nur Berufsgenosse - "
Er vernahm wieder ihre gereizte Stimme .
In heftigem Zwiespalt mit sich selbst schritt er noch einmal zu dem Privatzimmer der kleinen Margot , um zu sehen , ob die Kleine schon aus der Narkose erwacht sei .
Die Tür war halb offen , die Schwester schien abwesend .
Doch da - vom Bett her eine Mädchenstimme , so zart , so süß - Günter Berndt hielt den Atem an .
" Schlaf in süßer Ruhe , Tue die Äuglein zu , " wie ein Hauch , hold und duftig schwebten die Töne zu dem angestrengt Lauschenden .
Mit klopfendem Herzen lugte Günter durch die Türspalte .
Da saß Daisy am Bettchen , sie hatte sich über das unruhige Kind geneigt .
Voller Zärtlichkeit blickte sie auf die ruhiger atmende Kleine .
Die Augenlider der kleinen Margot senkten sich wieder , die süße Stimme hatte dem Kind den Genesungsschlaf gebracht .
Behutsam erhob sich Daisy .
Als sie sich aufrichtete , stand Günter Berndt mit bewegten Mienen vor ihr .
Versunken war in ihm jene Zeit der Entfremdung , Daisys weiche Altstimme hatte jede Erinnerung daran ausgelöscht .
Er rang nach Worten .
" Miß Daisy - Daisy - ich wollte mich nicht ergeben - ich habe mich dagegen gewehrt , aber es ist stärker als ich , das Gefühl in mir ist mächtiger als alle falschen Vorurteile .
Als ein Reumütiger stehe ich vor Ihnen , Daisy , wollen Sie mich noch hören ? "
Zitternd umspannte die Mädchenhand den kalten Bettpfosten .
Die bleich gewordenen Lippen öffneten sich , aber kein Ton entrang sich ihnen .
Und Günter Berndt sprach weiter von seiner Verblendung , von seinen Kämpfen , und wie er sehend geworden .
Lautlos hörte Daisy ihm zu .
Aber die jubelnde Freude , die seine Worte in ihr hätten entzünden müssen , blieb aus .
Ihr Empfinden war wie gelähmt .
Günter hatte geendet .
Mit einem leisen " Daisy , ich weiß ja , du hast mich auch lieb , ich bin dir nicht nur Berufsgenosse , " wollte er sie innig an sich ziehen .
Aber sanft machte sich Daisy aus seinem Arm frei .
Sie blickte geradeaus an ihm vorbei .
Ihre Stimme klang wie gesprungenes Erz .
" Ja , Günter Berndt , " sagte sie tonlos , " ich habe Sie lieb gehabt - mehr als ich sagen kann .
Auch ich habe gekämpft und gerungen , um zu vergessen , und ich muß es noch .
Und trotzdem kann ich nicht die Ihre werden , ich darf es nicht . "
Und mit leiser Stimme erzählte sie , wie sie einst seine Worte , daß er nie ein studiertes Mädel würde lieben können , belauscht habe .
" Jenes Wort , " schloß sie mit zuckender Lippe , " würde sich immer wieder zwischen uns stellen .
Um unser beider Glück Willen , Günter - lassen Sie mich ! "
Aber nur umso fester hielt Günter Berndt die bebenden Finger umschlossen .
" Nein , Daisy , ich lasse dich nicht mehr , nie mehr , seitdem ich aus deinem Munde weiß , daß mir dein Herz gehört , und daß nur jenes unüberlegte Wort die unseligen Mißverständnisse heraufbeschworen .
Meine Liebe soll jenes Wort in deinem Gedächtnis verlöschen , Daisy .
Sieh mich an , hast du denn gar kein Vertrauen zu mir ? "
Schüchtern hoben sich die goldenen Wimpern , tief blickte sie ihm in die reuevollen lieben Augen - und da war es um ihre Abwehr geschehen .
" Nicht nur mein geliebtes Weib wirst du mir sein , Daisy , " sagte Günter innig , " du sollst mir auch die treue Gefährtin im Beruf sein .
Nicht nur auf Liebe , auf gemeinsamer Arbeit gründen wir unseren Bund . " - - -
CC-BY

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Bildungsroman Projekt

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TextGrid Repository (2025). Korpus. Studierte Mädel. Studierte Mädel. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0rb.0