Zweiter Band Erstes Kapitel Berufswahl .
Die Mutter und die Ratgeber Ich konnte den unbestimmten Zwischenzustand nun nicht länger ertragen , sondern suchte unter meinen Sachen nach feinem Papier , um einen Brief an meine Mutter zu schreiben , den ersten in meinem Leben .
Als ich ganz zuoberst am Rande das " Liebe Mutter ! " hinsetzte , schwebte sie mir in einem neuen Lichte vor ; ich empfand diesen Fortschritt und Ernst des Lebens wohl , und meine Schreibgeläufigkeit ließ mich anfänglich im Stiche und kaum die ersten Sätze finden .
Doch führten mich die Schilderungen meiner Reise und der sonstigen Erlebnisse bald vorwärts , und meine Beschreibung fiel nur allzu geschmückt und prahlerisch aus .
Ich trug ein großes Behagen zur Schau und ein gewisses sonderbares Bestreben , welches sich nachher mehrmals wiederholte , auf meine Mutter mit einem glücklichen Befinden und mit meinen verschiedenen Taten und Abenteuern ein Art Eindruck zu bewirken , eine förmliche Sucht , auf drollige Weise sie zu unterhalten und zugleich dadurch mich geltend zu machen .
Alsdann ging ich auf den Zweck meines Schreibens über und erklärte unverhohlen , daß ich nun durchaus glaubte , ein Maler werden zu müssen ; und infolgedessen bat ich sie , sich vorläufig umzusehen und mit den verschiedenen Erfahrenen unserer Bekanntschaft sich zu beraten .
Die Familien berichte und Grüße sowie einige wichtige Aufträge über kleine Gegenstände bildeten den Schluß des Briefes ; ich faltete ihn eng und künstlich zusammen und verschloß ihn mit meinem Leibsiegel , einem Hoffnungsanker , welchen ich längst in ein weiches Stückchen Alabaster gegraben hatte und nun zum ersten Mal gebrauchte .
Nach dem Empfange dieses Briefes begab sich meine Mutter in ihre Staatskleidung , schlicht und einfarbig , bauschte ein frisches Taschentuch zusammen , das sie in die Hand nahm , und begann feierlich ihren Rundgang bei den ihr zugänglichen Autoritäten .
Zuerst sprach sie bei einem angesehenen Schreinermeister vor , welcher viel in guten Häusern verkehrte und Weltkenntnis besaß .
Als Freund meines seligen Vaters hielt er in Freundschaft zu uns , so wie er auch die Bildungsversuche jenes Kreises eifrig fortsetzte .
Nachdem er Vortrag und Bericht der Mutter ernstlich angehört , erwiderte er kurzweg , das sei nichts und hieße so viel , als das Kind einer liederlichen und ungewissen Zukunft anheimstellen .
Hingegen wußte der Schreiner besseren Rat , wenn einmal etwas Künstlerisches ergriffen werden müsse .
Ein junger Vetter von ihm hatte sich in einer entfernteren Stadt als Landkartenstecher ausgebildet und genoß eines guten Auskommens , so daß er in den Augen seiner Sippschaft als etwas Rechtes dastand .
Daher erbot sich der Ratgeber , mich aus besonderer Freundschaft in der Nähe dieses Mannes unterzubringen , wo ich dann , wenn wirklich etwas Tüchtiges in mir stecke , es nicht nur bis zum Stechen , sondern zum Selbstentwerfen der Landkarten bringen könne , indem ich meine Zeit wohl anwende zur Erwerbung der nötigen Kenntnisse .
Dies wäre dann ein feiner , ehrenvoller und zugleich ein nützlicher und in das große Leben passender Beruf .
Mit vermehrten Sorgen und Zweifeln gelangte meine Mutter zum zweiten Gönner und auch einem Freunde ihres Mannes .
Derselbe war ein Fabrikant von farbigen und bedruckten Tüchern , welcher sein ursprünglich geringes Geschäft nach und nach erweitert hatte und sich eines wachsenden Wohlstandes erfreute .
Er erwiderte den Bericht meiner Mutter folgendermaßen :
" Dieses Ereignis , daß der junge Heinrich , der Sohn unseres unvergeßlichen Freundes , sich für eine künstlerische Laufbahn erklärt , und die Nachricht , daß er schon lange sich vorzugsweise mit Stift und Farben beschäftigt , kommt sehr erfreulich einer Idee entgegen , die ich schon einige Zeit in Bezug auf den Knaben hege .
Es entspricht ganz dem Geiste seines wackeren Vaters , daß er seine Neigung einer feineren Tätigkeit zuwendet , zu welcher Talente und ein höherer Schwung erforderlich sind ; allein diese Neigung muß auf eine solide und vernünftige Bahn gelenkt werden .
Nun ist Euch , werteste Frau und Freundin , die Art meines nicht unbedeutenden Geschäftes bekannt ; ich fabriziere bunte Stoffe , und wenn ich einen leidlichen Verdienst erzwecke , so geschieht es hauptsächlich dadurch , daß ich mit Aufmerksamkeit und Raschheit allezeit die neuesten und gangbarsten Dessins zu bringen und selbst den herrschenden Geschmack durch ganz Neues und Originelles zu überbieten suche .
Hierzu sind eigene Zeichner vorhanden , deren Aufgabe es ist , lediglich neue Dessins zu erfinden und , in der behaglichen Stube sitzend , nach Herzenslust Blumen , Sterne , Ranken , Tupfen und Linien durcheinanderzuwerfen .
In meiner Anstalt habe ich drei solcher Leute , denen ich ein lästerliches Geld bezahlen und sie obenhinein noch sehr glimpflich behandeln muß .
Sie sind , obgleich sie ziemlich geschickt den Gang des Geschäftes begreifen und verfolgen , doch nur zufällig zu diesem Berufe gekommen und durch keinerlei innere Kraft vorherbestimmt .
Was könnte mir nun willkommener sein als ein junger Mensch , der mit solcher Energie sich für Papier und Farben erklärt , in so frühem Alter , der den ganzen Tag , ohne weitere Anregung , Bäume und Blumengärtchen malt ?
Wir wollen ihm schon Blumen genug verschaffen , in geordneten Reihen soll er sie auf die Tücher zaubern , unerschöpflich , immer neu ; er soll aus der reichen Natur die wunderbarsten und zierlichsten Gebilde abstrahieren , welche meine Konkurrenten zur Verzweiflung bringen !
Kurz , gebt mir Euren Sohn ins Haus !
Ich werde ihn bald so weit gebracht haben wie die anderen , und wenn er einige Jahre älter ist , so tun wir ihn nach Paris , wo die Sache ins Große betrieben wird und die ausgezeichnetsten Dessinateurs der verschiedensten Industriezweige leben wie die Fürsten und von den Geschäftsleuten auf Händen getragen werden .
Hat er dort sich gehörig emporgeschwungen und seine Erfahrung bereichert , so ist er ein gemachter Mann und kann sein Los selbst bestimmen .
Will er alsdann sich wieder mit mir verbinden , so wird das mir zur Freude und zum Vorteil gereichen ; findet er aber sein Glück anderswo , so habe ich nichtsdestoweniger meine Zufriedenheit daran .
Bedenket Euch , ich glaube mich nicht zu täuschen ! "
Er führte hierauf meine Mutter in seinem Geschäfte herum und zeigte ihr die bunten Herrlichkeiten , die geschnittenen Holzmodel und vor allem die kühnen Kompositionen seiner Zeichner .
Es leuchtete ihr alles vollkommen ein und erfüllte sie wieder mit Hoffnung .
Abgesehen von dem gesicherten und reichlichen Er werbe , welchen ein gewandter Geschäftsmann verbürgte , war ja diese ganze Kunst dem Dienste der Frauen gewidmet und so reinlich und friedsam , daß ein Sohn in ihrem Schoße wohl geborgen schien .
Auch mochte es vielleicht eine Ader verzeihlicher Eitelkeit erwecken , wenn sie sich in einen der bescheideneren Stoffe meiner Erfindung gekleidet dachte .
Sie war so mit diesen angenehmen Gedanken beschäftigt , daß sie für diesmal ihre Wanderung einstellte , um sich ganz in denselben zu ergehen .
Der folgende Tag jedoch rief sie wieder zur Erfüllung der sonst väterlichen Pflicht auf und führte sie mit neuen Sorgen und Zweifeln auf den Weg .
Sie gelangte zu einem dritten Freunde des Vaters , einem Schuster , der im Geruche tiefen Verstandes und eines gewaltigen Politikers lebte .
Seit dem Tode meines Vaters war er durch die Zeitereignisse in eine strenger demokratische Richtung hineingetreten .
Nach mißlaunischer Anhörung des Berichtes und des Erfolges der gestrigen Bemühungen brach er barsch los :
" Maler , Landkartenmacher , Blümchenzeichner , Stubensitzer , Herrenknecht !
Handlanger der Geldaristokraten , Gehilfe des Luxus und der Verweichlichung , als Landkartenmacher sogar direkter Vorschubleister des bestialischen Kriegswesens !
Handwerk , ehrliche und schwere Handarbeit ist uns vonnöten , gute Frau !
Wenn Euer Mann lebte , so würde er den Jungen so gewiß durch schwere Handarbeit ins Leben führen , als zwei Mal zwei vier sind !
Zudem ist der Junge schon ein bißchen schwächlich und verwöhnt durch Eure Weiberwirtschaft ; laßt ihn Maurer oder Steinmetz werden , oder besser , gebt ihn mir , so wird er die gehörige Demut und damit den rechten Stolz eines Mannes aus dem Volke gewinnen , und bis er imstande ist , einen guten Schuh fix und fertig zu arbeiten , soll er gelernt haben , was ein Bürger ist , wenn er anders seinem Vater nachfolgt , den wir sehr vermissen , wir andere Handwerksleute !
Besinnt Euch , Frau Lee !
von der Pike auf dienen , das macht den Mann !
Waren die neuen Schuhe doch nicht zu eng , die ich letzthin schickte ? "
Die Frau Lee ging aber nicht sonderlich erbaut fort und murmelte vor sich her : " Schlag du nur deine hölzernen Zwecke ein , bei mir erreichst du deinen Zweck nicht , Herr Schuster , ungehobelter Mann ! Bleibe nur bei deinem Leisten und warte , bis mein Kind kommt , dir Gesellschaft zu leisten !
Draht ist nicht Rat !
Wenn du Gott fürchten würdest , so brauchtest du nicht vor dem Gerber zu fliehen !
Wer Pech angreift , besudelt sich ! "
Unter solchen Sarkasmen , welche sie nachher wiederholte , sooft sie auf diese Unterredung zu sprechen kam , zog sie die Klingel an einem hohen und schönen Hause , welches der Vater einst für einen vornehmen Herrn gebaut hatte .
Es war ein feiner und ernster Mann , der in den Staatsgeschäften stand , nicht viele Worte machte , jedoch für uns einige Geneigtheit bezeigte und schon mehrmals mit entscheidendem Rat an die Hand gegangen war Als er vernommen , worum es sich handelte , erwiderte er mit höflich ablehnenden Worten :
" Es tut mir leid , gerade in dieser Angelegenheit nicht dienen zu können !
Ich verstehe soviel wie nichts von der Kunst !
Nur weiß ich , daß auch für das ausgezeichnetste Talent lange Studienjahre und bedeutende Mittel erforderlich sind .
Wir haben wohl große Genies , welche sich durch besondere Widerwärtigkeiten endlich emporgeschwungen ; allein um zu beurteilen , ob Ihr Sohn hierzu nur die geringsten Hoffnungen biete , dazu besitzen wir in unserer Stadt gar keine berechtigte Person !
Was hier an Künstlern und dergleichen lebt , ist ziemlich entfernt von dem , was ich mir unter wirklicher Kunst vorstelle , und ich könnte nie raten , einem ähnlichen verfehlten Ziele entgegenzugehen . "
Dann besann er sich eine Weile und fuhr fort :
" Betrachten Sie mit Ihrem Sohne die ganze Sache als eine kindische Träumerei ; kann er sich entschließen , sich von mir in einer unserer Kanzleien unterbringen zu lassen , so will ich hierzu gern die Hand bieten und ihn im Auge behalten .
Ich habe gehört , daß er nicht ohne Talent sei , besonders in schriftlichen Arbeiten .
Würde er sich gut halten , so könnte er sich mit der Zeit ebensogut zu einem Verwaltungsmanne emporarbeiten als mancher andere wackere Mann , welcher ebenso von unten angefangen und als armer Schreiberjunge in unsere Kanzleien getreten ist .
Letztere Bemerkung mache ich übrigens nicht , um irgend große Hoffnungen zu erregen , sondern nur um Ihnen zu zeigen , daß der Knabe auch auf diesem Wege nicht unbedingt an ein dunkles und dürftiges Los gebunden ist . "
Diese Rede , indem sie meiner Mutter eine ganz neue Aussicht eröffnete , warf sie gänzlich in Ungewißheit zurück , ob sie nicht ernstlich mich zur Änderung meines Sinnes bestimmen solle .
Denn hier war noch mehr als beim Fabrikanten die Bürgschaft eines angesehenen und seiner Worte sicheren Mannes zur Hand , welcher einen großen Teil unserer Verhältnisse ebenso klar durchschaute als mit beherrschte und imstande war , diejenigen über dem Wasser zu halten , die sich seinem Rate anvertrauten .
Sie schloß hier ihren beschwerlichen Gang und beschrieb mir in einem großen Briefe sämtlichen Erfolg desselben , jedoch die Vorschläge des Fabrikanten und des Staatsmannes besonders hervorhebend , und ermahnte mich , meinen bestimmten Entschluß noch hinauszuschieben und eher darauf zu denken , auf welche Weise ich am füglichsten im Lande bleiben , mich redlich nähren , ihr selbst ein Trost und eine Stütze des Alters und doch meinen natürlichen Anlagen gerecht werden könne ; denn daß sie je dazu helfen würde , mich gewaltsam zu einem mir widerstrebenden Lebensberufe zu bestimmen , davon sei keine Rede , da sie hierüber die Grundsätze des Vaters genügsam kenne und es ihre einzige Aufgabe wäre , annähernd so zu verfahren , wie er getan haben würde .
Dieser Brief war überschrieben " Mein lieber Sohn ! " , und das Wort Sohn , das ich zum ersten Male hörte von ihr , rührte mich und schmeichelte mir aufs eindringlichste , daß ich für den übrigen Inhalt sehr empfänglich und dadurch an mir selbst irre und in Zweifel gesetzt wurde .
Ich fühlte mich ganz allein und wehrlos mit meinen grünen Bäumen gegenüber dem ernsten kalten Weltleben und seinen Lenkern .
Aber während ich schon begann , mich mit dem Gedanken vertraut zu machen , auf immer vom geliebten Walde zu scheiden , gab ich mich nur um so inniger der Natur hin und schweifte den ganzen Tag in den Bergen , und die drohende Trennung ließ mich manches angehende Verständnis sicherer ergreifen , als es sonst geschehen wäre .
Ich hatte schon viele Studien des Junker Felix nachgezeichnet und dadurch einige Ausdrucksweise gewonnen , so daß meine Blätter wenigstens ordentlich weiß und schwarz wurden von Stift und Tusche .
Zweites Kapitel Judith und Anna Oft , am Morgen oder am Abend , stand ich auf der Höhe über dem tiefen See , wo unten der Schulmeister mit seinem Töchterchen wohnte , oder ich hielt mich auch einen ganzen Tag an einer Stelle des Abhanges auf , unter einer Buche oder Eiche , und sah das Haus abwechselnd im Sonnenscheine oder im Schatten liegen ; aber je länger ich zauderte , desto weniger konnte ich es über mich gewinnen hinabzugehen , da mir das Mädchen fortwährend im Sinne lag und ich deshalb glaubte , man würde mir auf der Stelle ansehen , daß ich seinetwegen käme .
Meine Gedanken hatten von der feinen Erscheinung Annas plötzlich so vollständigen Besitz ergriffen , daß ich alle Unbefangenheit ihr gegenüber im gleichen Augenblicke verlor und mit vorwitziger Ziererei von ihrer Seite sofort das gleiche voraussetzte .
Indem ich jedoch mich nach dem Wiedersehen sehnte , war mir die Zwischenzeit und meine Unentschlossenheit gar nicht peinlich und unerträglich , vielmehr gefiel ich mir in diesem gedanken- und erwartungsvollen Zustande und sah einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe entgegen .
Wenn meine Basen von ihr sprachen , tat ich , als hörte ich es nicht , indessen ich doch nicht von der Stelle wich , solange das Gespräch dauerte , und wenn sie mich fragten , ob es denn nicht ein allerliebstes Kind sei , erwiderte ich ganz trocken :
" Ja , gewiß ! "
Auf meinen Wegen war ich häufig am Hause der schönen Judith vorübergekommen und , da ich eben deswegen , weil sie ein schönes Weib war , auch einige Befangenheit fühlte und Anstand nahm einzutreten , von ihr gebieterisch hereingerufen und festgehalten worden .
Nach der Weise der aufopfernden und nimmermüden alten Frauen und auch aus unentbehrlicher Gewohnheit befand sich ihre Mutter beinahe immer auf dem warmen Felde , während die kräftige Tochter das leichtere Teil erwählte und im kühlen Haus und Garten gemächlich waltete .
Deswegen war diese bei gutem Wetter regelmäßig allein zu Hause und sah es gern , wenn jemand , den sie leiden mochte , bei ihr vorkehrte und mit ihr plauderte .
Als sie meine Malerkünste entdeckt hatte , trug sie mir sogleich auf , ihr ein Blumensträußchen zu malen , welches sie mit Zufriedenheit in ihr Gesangbuch legte .
Sie besaß ein kleines Stammbüchelchen von der Stadt her , das nur zwei oder drei Inschriften und eine Menge leerer Blätter mit Goldschnitt enthielt ; von diesen gab sie mir bei jedem Besuche einige , daß ich eine Blume oder ein Kränzchen darauf Male ( Farben und Pinsel hatte ich schon bei ihr zurückgelassen , und sie verwahrte dieselben sorgfältig ) ; dann wurde ein Vers oder witziger Spruch darunter geschrieben und ihr Kirchenbuch mit solchen Bildchen , die ich in wenigen Minuten anfertigte , gefüllt .
Die Verse wurden einer großen Sammlung bedruckter Papierstreifchen entnommen , welche sie als Überbleibsel früher genossenen Zuckerzeuges aufbewahrte .
Durch diesen Verkehr war ich heimisch und vertraut bei ihr geworden , und indem ich immer an die junge Anna dachte , hielt ich mich gern bei der schönen Judith auf , weil ich in jener unbewußten Zeit ein Weib für das andere nahm und nicht im mindesten eine Untreue zu begehen glaubte , wenn ich im Anblicke der entfalteten vollen Frauengestalt behaglicher an die abwesende zarte Knospe dachte als anderswo , ja als in Gegenwart dieser selbst .
Manchmal traf ich sie am Morgen , wie sie ihr üppiges Haar kämmte , welches geöffnet bis auf ihre Hüften fiel .
Mit dieser wallenden Seidenflut fing ich neckend an zu spielen , und Judith pflegte bald , ihre Hände in den Schoß legend , den meinigen ihr schönes Haupt zu überlassen und lächelnd die Liebkosungen zu erdulden , in welche das Spiel allmählich überging .
Das stille Glück , welches ich dabei empfand , nicht fragend , wie es entstanden und wohin es führen könne , wurde mir Gewohnheit und Bedürfnis , daß ich bald täglich in das Haus huschte , um eine halbe Stunde dort zuzubringen , eine Schale Milch zu trinken und der lachenden Frau die Haare aufzulösen , selbst wenn sie schon geflochten waren .
Dies tat ich aber nur , wenn sie ganz allein und keine Störung zu befürchten war , so wie sie auch nur dann es sich gefallen ließ , und diese stillschweigende Übereinkunft der Heimlichkeit lieh dem ganzen Verkehre einen süßen Reiz .
So war ich eines Abends , vom Berge kommend , bei ihr eingekehrt ; sie saß hinter dem Hause am Brunnen und hatte soeben einen Korb grünen Salat gereinigt ; ich hielt ihre Hände unter den klaren Wasserstrahl , wusch und rieb dieselben wie einem Kinde , ließ ihr kalte Wassertropfen in den Nacken träufeln und spritzte ihr solche endlich mit unbeholfenem Scherze ins Gesicht , bis sie mich beim Kopfe nahm und ihn auf ihren Schoß preßte , wo sie ihn ziemlich derb zerarbeitete und walkte , daß mir die Ohren sausten .
Obgleich ich diese Strafe halb und halb bezweckt hatte , wurde sie mir doch zu arg ; ich riß mich los und faßte meine Feindin , nach Rache dürstend , nun meinerseits beim Kopfe .
Doch leistete sie , indem sie immer sitzen blieb , so kräftigen Widerstand , daß wir beide zuletzt heftig atmend und erhitzt den Kampf aufgaben und ich , beide Arme um ihren weißen Hals geschlungen , ausruhend an ihr hängen blieb ; ihre Brust wogte auf und nieder , indessen sie , die Hände erschöpft auf ihre Knie gelegt , vor sich hinsah .
Meine Augen gingen den ihrigen nach in den roten Abend hinaus , dessen Stille uns umfächelte ; Judith saß in tiefen Gedanken versunken und verschloß , die Wallung ihres aufgejagten Blutes bändigend , in ihrer Brust innere Wünsche und Regungen fest vor meiner Jugend , während ich , unbewußt des brennenden Abgrundes , an dem ich ruhte , mich arglos der stillen Seligkeit hingab und in der durchsichtigen Rosenglut des Himmels das feine , schlanke Bild Annas auftauchen sah .
Denn nur an sie dachte ich in diesem Augenblicke ; ich ahnte das Leben und Weben der Liebe , und es war mir , als müßte ich nun das gute Mädchen alsogleich sehen .
Plötzlich riß ich mich los und eilte nach Hause , von wo mir der schrille Ton einer Dorfgeige entgegenklang .
Sämtliche Jugend war in dem geräumigen Saale versammelt und benutzte den kühlen , müßigen Abend , nach den Weisen des herbeigerufenen Geigers sich gegenseitig im Tanze zu unterrichten und zu üben ; denn die älteren Glieder der Sippschaft befanden für gut , auf die Feste des nahenden Herbstes den jüngern Nachwuchs vorzubereiten und dadurch sich selbst ein vorläufiges Tanzvergnügen zu verschaffen .
Als ich in den Saal trat , wurde ich aufgefordert , sogleich teilzunehmen , und indem ich mich fügte und unter die lachenden Reihen mischte , ersah ich plötzlich die errötende Anna , welche sich hinter denselben versteckt hatte .
Da war ich sehr zufrieden und innerlich hoch vergnügt ; aber obgleich schon Wochen vergangen , seit ich sie zum ersten Male gesehen , ließ ich meine Zufriedenheit nicht merken und entfernte mich , nachdem ich sie kurz begrüßt , wieder von ihr , und als meine Basen mich aufforderten , mit ihr , die gleichfalls anfing , einen Tanz zu tun , suchte ich ungefällig und unter tausend Ausflüchten auszuweichen .
Dieses half nichts ; widerstrebend fügten wir uns endlich und tanzten , einander nicht ansehend und uns kaum berührend , etwas ungeschickt und beschämt einmal durch den Saal .
Ungeachtet es mir schien , als ob ich einen jungen Engel an der Hand führte und im Paradiese herumwalzte , trennten wir uns doch nach der Tour so schleunig wie Feuer und Wasser und waren in selbem Augenblicke an den entgegengesetzten Enden des Saales zu sehen .
Ich , der ich kurz vorher unbefangen und mutwillig die Wangen der großen und schönen Judith zwischen meine Hände gepreßt , hatte jetzt gezittert , die schmale , fast wesenlose Gestalt des Kindes zu umfangen , und dieselbe fahrenlassen wie ein glühendes Eisen .
Sie verbarg sich ihrerseits wieder hinter die fröhlichen Mädchen und ließ sich sowenig mehr in die Reihen bringen als ich ; hingegen bestrebte ich mich , meine Worte an die Gesamtheit zu richten und so zu stellen , daß sie von Anna auch hingenommen werden mußten , und bildete mir ein , sie meine es mit den wenigen Wörtchen , die sie hören ließ , ebenfalls so .
Sie war , da sie mit den Töchtern meines Oheims einen lebhaften Taubenverkehr führte , mit einem Körbchen voll junger Täubchen angekommen , was hauptsächlich das Heraufrufen des vorbeiziehenden Geigers veranlaßt hatte .
Nun wurde verabredet , daß die Tanzübungen mehrere Male wiederholt werden sollten .
Für jetzt aber war es notwendig , da es dunkel geworden , daß jemand die Anna nach Hause begleite , und dazu wurde ich ausersehen .
Diese Kunde klang mir zwar wie Musik ; doch drängte ich mich nicht sonderlich vor ; denn es erwachte ein Stolz in mir , der es mir fast unmöglich machte , gegen das junge Ding freundlich zu tun , und je lieber ich es in meinem Herzen gewann , desto mürrischer und unbeholfener wurde mein Äußeres .
Das Mädchen aber blieb immer gleich , ruhig , bescheiden und fein und band gelassen seinen breiten Strohhut um , auf welchem eine Rose lag ; der Nachtkühle wegen brachte die Muhme einen prachtvollen weißen Staatsschal aus alter Zeit , mit Astern und Rosen besäet , den man um ihr blaues , halb ländliches Kleid schlug , daß sie mit ihren Goldhaaren und dem feinen Gesichtchen aussah wie eine junge Engländerin aus den neunziger Jahren .
So wandte sie sich nun anscheinend ganz ruhig zum Gehen , gewärtig , wer sie begleiten würde , aber sich deswegen nicht unentschlossen aufhaltend .
Sie lächelte , durch den Mutwillen der Basen belebt und gedeckt , über meine Ungeschicklichkeit , ohne sich nach mir umzublicken , und vermehrte so meine Verlegenheit , da ich gegenüber den zusammenhaltenden und verschworenen Mädchen allein dastand und fast Willens war , im Saale zurückzubleiben .
Doch erbarmte sich die älteste Base meiner und rief mich noch einmal entschieden heran , so daß es mit meiner Ehre verträglich war , mich wenigstens dem Zuge anzuschließen , der sich vor das Haus bewegte .
Wir gingen gemeinschaftlich bis an das Ende des Dorfes , wo der Berg anhob , über welchen Anna zu gehen hatte .
Dort wurde Abschied genommen ; ich stand im Hintergrunde und sah , wie sie ihr Tuch zusammenfaßte und sagte : " Ach , wer will nun eigentlich mit mir kommen ? " indessen die Mädchen schalten und sagten :
" Nun , wenn der Herr Maler so unartig ist , so muß eben jemand anders dich begleiten ! " und ein Bruder rief : " Ei , wenn es sein muß , so gehe ich schon mit , obgleich der Maler ganz recht hat , daß er nicht den Jungfernknecht spielt , wie ihr es immer gern einführen möchtet ! "
Ich trat aber hervor und sagte barsch :
" Ich habe gar nicht behauptet , daß ich es nicht tun wolle , und wenn es der Anna recht ist , so begleite ich sie schon . "
- " Warum sollte es mir nicht recht sein ? " erwiderte sie , und ich schickte mich an , neben ihr herzugehen .
Allein die übrigen riefen , ich müßte sie durchaus am Arme führen , da wir so feine Stadtleutchen seien ; ich glaubte dies und schob meinen Arm in den ihrigen , sie zog ihn rasch zurück und faßte mich unter den Arm , sanft , aber entschieden , indem sie lächelnd nach dem spottenden Volke zurücksah ; ich merkte meinen Fehler und schämte mich dergestalt , daß ich , ohne zu sprechen , den Berg hinanstürmte und das arme Kind mir beinahe nicht folgen konnte .
Sie ließ sich dies nicht ansehen , sondern schritt tapfer aus , und sobald wir allein waren , fing sie ganz geläufig und sicher an zu plaudern über die Wege , welche sie mir zeigen mußte , über das Feld , über den Wald , wem diese und jene Parzelle gehöre und wie es hier und dort vor wenigen Jahren noch gewesen sei .
Ich wußte wenig zu erwidern , während ich aufmerksam zuhörte und jedes Wort wie einen Tropfen Muskatwein verschlang ; meine Eile hatte schon nachgelassen , als wir die Höhe des Berges erreichten und auf seiner Ebene gemächlich dahingingen .
Der funkelnde Sternhimmel hing weit gebreitet über dem Lande , und doch war es dunkel auf dem Berge , und die Dunkelheit band uns näher zusammen , da wir , unsere Gesichter kaum sehend , einander auch besser zu hören glaubten , wenn wir uns fest zusammenhielten .
Das Wasser rauschte vertraulich im fernen Tale , hier und da sahen wir ein mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen , welche sich massenhaft mit ihrem schwarzen Schatten vom Himmel sonderte , der sie am Rande mit einem blassen Dämmergürtel umgab .
Ich beachtete dieses alles , lauschte den Worten meiner Begleiterin und bedachte zugleich für mich meine Freude und meinen Stolz , eine Geliebte am Arme zu führen , als welche ich sie ein für allemal betrachtete .
Wir sprachen nun ganz munter und aufgeräumt von tausend Dingen , von gar nichts , dann wieder mit wichtigen Worten von unseren gemeinsamen Verwandten und ihren Verhältnissen , wie alte kluge Leute .
Je näher wir ihrer Wohnung kamen , deren Licht bereits in der Tiefe glühte wie ein Leuchtwurm , desto sicherer und lauter wurde Anna ; ihre Stimme klingelte unaufhörlich und fein , gleich einem fernen Vesperglöckchen ; ich setzte ihren artigen Einfällen die besten meiner eigenen Erfindung entgegen , und doch hatten wir uns den ganzen Abend noch nie unmittelbar angeredet , und das Du war seit jenem einen Male nie mehr zwischen uns gefallen .
Wir hüteten es , wenigstens ich , im Herzen gleich einem goldenen Sparpfennige , den man auszugeben gar nicht nötig hat ; oder es schwebte wie ein Stern weit vor uns in neutraler Mitte , nach welchem sich unsere Reden und Beziehungen richteten und sich dort vereinigten wie zwei Linien in einem Punkte , ohne sich vorher unzart zu berühren .
Erst als wir in der Stube waren und ihren sie erwartenden Vater begrüßt hatten , nannte sie , die Ereignisse des Abends froh erzählend , beiläufig ganz unbefangen meinen Namen , sooft es erforderlich war , und nahm , unter dem Schutze ihres Vaterhauses , wo sie sich geborgen fühlte wie eine Taube im Neste , unbesehen das Wörtchen Du hervor und warf es unbekümmert hin , daß ich es nur aufzunehmen und ebenso arglos zurückzugeben brauchte .
Der Schulmeister machte mir Vorwürfe über mein langes Ausbleiben , und um sicher zu gehen , forderte er mich zu dem Versprechen auf , gleich am nächsten Morgen früh zu kommen und den ganzen Tag an seinem See zuzubringen .
Anna übergab mir den Schal , den ich wieder zurücktragen sollte ; dann leuchtete sie mir vor das Haus und sagte adieu mit jenem angenehmen Tone , der ein anderer ist nach einer stillschweigend geschlossenen Freundschaft als vorher .
Kaum war ich aus dem Bereiche des Hauses , so schlug ich das blumige weiche Tuch , das mir eine Wolke des Himmels zu sein dünkte , um Kopf und Schultern und tanzte darin wie ein Besessener über den nächtlichen Berg .
Als ich auf seiner Höhe war unter den Sternen , schlug es unten im Dorfe Mitternacht ; die Stille war nun nah und fern so tief geworden , daß sie in ein geisterhaftes Getöse überzugehen schien , und nur wenn sich diese Täuschung zerstreute und man gesammelt horchte , rauschte und zog unten der Fluß .
Ein seliger Schauer schien , als ich einen Augenblick stand wie festgebannt , rings vom Gesichtskreise heranzuzittern an den Berg , in immer engeren Zirkeln bis dicht an mein Herz .
Ich entledigte mich andächtig meiner närrischen Umhüllung , legte sie zusammen , stieg träumend den Abhang hinunter und fand den Weg nach Hause , ohne auf ihn achtzugeben .
Drittes Kapitel Bohnenromanze Am nächsten Morgen legte ich denselben Weg , der von Tau und Sonne funkelte und blitzte , mit meinem Geräte beladen , zurück und sah bald den See unter dem Morgendufte hervor leuchten .
Haus und Garten waren vom jungen Tag übergoldet und warfen ihr kristallenes Gegenbild in die Flut ; zwischen den Beeten bewegte sich eine blaue Gestalt , so fern und klein wie in einem Nürnberger Spielzeuge ; das Bild verschwand wieder hinter den Bäumen , um bald desto größer und näher hervorzutreten und mich in seinen Rahmen mit aufzunehmen .
Schulmeisters hatten mit dem Frühstücke auf mich gewartet ; ich war sehr eßlustig geworden durch den weiten Weg und sah mich daher mit großer Zufriedenheit hinter dem Tische , während Anna die Tugenden eines Hausmütterchens aufs lieblichste spielen ließ und sich endlich neben mich setzte und so zierlich und mäßig an dem Essen nippte wie eine Elf und als ob sie keine irdischen Bedürfnisse hätte .
Ich sah sie indessen kaum eine Stunde nachher mit einem mächtigen Stück Brot in der Hand und , mir auch ein solches bringend , unbefangen und tüchtig reinbeißen mit ihren kleinen weißen Zähnen , und dies begierige Essen im Gehen und Plaudern stand ihr ebenso wohl an wie vorher der bescheidene Anstand am Tische .
Nach dem Frühstücke war der Vater mit der alten Magd in seinen Weinberg gestiegen , um von den reifenden Trauben das Laub zu brechen , welches den Sonnenstrahlen den Zugang versperrte .
Die Besorgung des Weinberges war , nebst dem Schlagen und Kleinmachen des Holzes , seine Hauptarbeit in seinem beschaulichen Leben .
Ich aber sah mich nach einem Gegenstande meiner Tätigkeit um .
Anna hatte eine mächtige Wann voll grüner Bohnen der Schwänzchen zu entledigen und an lange Fäden zu reihen , um sie zum Dörren vorzubereiten .
Damit ich in ihrer Nähe bleiben konnte , gab ich vor , ich müßte nun zur Abwechslung einmal Blumen nach der Natur malen , und bat sie , mir einen Strauß derselben zu brechen .
Der Zusammenstellung wegen begleitete ich sie in den Garten , und nach einer guten halben Stunde hatten wir endlich eine hübsche Menge beisammen und setzten sie in ein altmodisches Prunkglas und dieses auf einen Tisch , der in einer Weinlaube hinter dem Hause stand ; Anna schüttete ihre Bohnen rings darum her , und wir setzten uns einander gegenüber , bis zur Mittagsstunde arbeitend und von unseren beiderseitigen Lebensläufen erzählend .
Ich war nun ganz erwärmt und heimisch geworden und begann bald mit der Überlegenheit eines Bruders dem guten Kinde mit wichtigen Urteilen , eingestreuten Bemerkungen und Belehrungen zu imponieren , indessen ich meine Blumen mit verwegenen bunten Farben anlegte und sie mir erstaunt und vergnügt zuschaute , über den Tisch gebeugt und ein Büschel Bohnen in der einen , das kleine Taschenmesserchen in der anderen Hand .
Ich brachte den Strauß in natürlicher Größe auf einen Bogen und gedachte damit ein rechtes Prunkstück im Hause zurückzulassen .
Inzwischen kam die Magd vom Berge und forderte meine Gespielin auf , ihr zum Bereiten des Essens behilflich zu sein .
Diese kurze Trennung , dann das Wiedersehen am Tische , die Ruhestunde nach demselben , das Billigen meiner vorgeschrittenen Arbeit von Seiten des Schulmeisters , gewürzt mit weisen Sprüchen , und endlich die Aussicht auf ein abermaliges Zusammensein bis zum Abend in der Laube veranlaßten ebenso viele angenehme Bewegungen und Zwischenspiele .
Anna schien auch meines Sinnes zu sein , da sie eben wieder einen ansehnlichen Haufen Bohnen auf den Tisch schüttete , welcher bis zum Abend auszureichen schien .
Allein die Haushälterin erschien plötzlich und erklärte , daß Anna mit in den Weinberg müßte , damit man heute mit demselben noch fertig würde und eines kleinen Überbleibsels wegen nicht am anderen Tage hinzugehen brauche .
Diese Erklärung betrübte mich , und ich wurde sehr ärgerlich über die alte Frau ; Anna hingegen brach sogleich willig und freundlich auf und bezeigte weder Freude noch Verdruß über die Änderung ihres Planes .
Die Alte , als sie mich bleiben sah , sagte , ob ich nicht auch mitkomme , ich werde doch nicht allein hiersein wollen und es sei recht schön im Weinberge .
Allein ich war nun schon zu tief betrübt und unwillig und erklärte , ich müßte meine Zeichnung zu Ende führen .
Bald saß ich allein in der einsamen Gegend und der Nachmittagsstille und fühlte mich nun doch wieder zufrieden .
Auch kam dieses Alleinsein meinem Machwerke zu gut , indem ich mir mehr Mühe gab , die natürlichen Blumen vor mir wirklich zu benutzen und an ihnen zu lernen , während ich am Vormittage mehr nach meiner früheren Kindermanier drauflosgepinselt hatte .
Ich mischte die Farben genauer und verfuhr reinlicher und aufmerksamer mit den Formen und Schattierungen , und dadurch entstand ein Bild , welches an der Wand unschuldiger Landbewohner etwas vorstellen konnte .
Darüber verfloß die Zeit schnell und leicht und brachte den Abend , indessen ich mit Liebe die Zeichnung nach meiner Einsicht vervollkommnete und überall ein Blatt oder einen Stiel ausbesserte und einen Schatten verstärkte .
Die Neigung für das Mädchen lehrte mich dies gewissenhafte Fertigmachen und Durchgehen der Arbeit , welches ich bis dahin noch nicht gekannt ; und als ich gar nichts mehr anzubringen sah schrieb ich in eine Ecke des Blattes " Heinrich Lee fecit " und unter den Strauß mit gotischer Schrift den Namen der künftigen Eigentümerin .
Der Weinberg mußte inzwischen noch ein großes Stück Arbeit gegeben haben , denn schon schwebte die Sonne dicht über dem Waldrande und warf ein feuerfarbenes Band über das dunkelnde Gewässer her , und noch hörte ich nichts von meinen Gastfreunden Ich setzte mich auf die Stufen vor dem Hause ; die Sonne ging hinab und ließ eine tiefe Goldglut zurück , welche auf alles einen Nachglanz verbreitete und das Bild auf meinen Knien wunderbar verklärte und etwas Rechtem gleichsehen ließ .
Da ich sehr früh aufgestanden war und in diesem Augenblicke auch sonst nichts Besseres zu tun wußte , schlief ich allmählich ein , und als ich erwachte , standen die Zurückgekehrten in der vorgerückten Dämmerung bei mir und am dunkelblauen Himmel wieder die Sterne .
Meine Malerei wurde nun in der Stube bei Licht besehen , die Magd schlug die Hände über dem Kopf zusammen und hatte noch nie etwas Ähnliches erblickt ; der Schulmeister fand mein Werk gut und belobte meine Artigkeit gegen sein Töchterchen mit schönen Worten und freute sich darüber ; Anna lächelte vergnügt auf das Geschenk , wagte aber nicht , es anzurühren , sondern ließ es auf dem flachen Tische liegen und guckte nur hinter den anderen hervor darüber hin .
Wir nahmen nun das Nachtmahl ein , nach welchem ich aufbrechen wollte ; aber der Schulmeister verhinderte mich daran und gab Befehl , mir ein Lager zu bereiten , da ich mich auf dem dunklen Berge unfehlbar verirren würde .
Obgleich ich einwandte , daß ich den nächtlichen Weg ja schon einmal zurückgelegt hätte , ließ ich mich doch leicht bereden , aus bloßer Freundschaft dazubleiben , worauf wir in den kleinen Saal mit der Orgel gingen .
Der Schulmeister spielte , und Anna und ich sangen dazu einige Abendlieder und der Magd zu Gefallen , welche gern mitsang , einen Psalm , den sie mit heller Stimme beherrschte .
Dann ging der Alte zu Bette .
Doch jetzt begann erst die Herrschaft der alten Katherine , welche unten in der Stube einen ungeheuren Vorrat von Bohnen aufgetürmt hatte , welche heute Nacht noch sämtlich bearbeitet werden sollten .
Denn da sie nachts nicht viel schlafen konnte , beharrte sie hartnäckig auf der ländlichen Sitte , dergleichen Dinge bis tief in die Nacht hinein vorzunehmen .
So saßen wir bis um ein Uhr um den grünen Bohnenberg herum und trugen ihn allmählich ab , indem jedes einen tiefen Schacht vor sich hineingrub und die Alte den ganzen Vorrat ihrer Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns beide in wacher Munterkeit erhielt .
Anna , welche mir gegenübersaß , baute ihren Hohlweg in die Bohnen hinein mit vieler Kunst , eine Bohne nach der anderen herausnehmend , und grub unvermerkt einen unterirdischen Stollen , so daß plötzlich ihr kleines Händchen in meiner Höhle zutage trat als ein Bergmännchen und von meinen Bohnen wegschleppte in die grauliche Finsternis hinein .
Katherine belehrte mich , daß Anna der Sitte gemäß verpflichtet sei , mich zu küssen , wenn ich ihre Finger erwischen könne , jedoch dürfe der Berg darüber nicht zusammenfallen , und ich legte mich deshalb auf die Lauer .
Nun grub sie sich noch verschiedene Wege und begann mich auf die listigste Weise zu necken ; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges versteckt , sah sie mich über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch an , indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken ließ , dort die Bohnen bewegte wie ein unsichtbarer Maulwurf , dann plötzlich mit der ganzen Hand hervorschoß und wieder zurückschlüpfte wie ein Mäuschen ins Loch , ohne daß es mir je gelang , sie zu haschen .
Sie trieb es so weit , mir immer auf die Augen sehend , daß sie plötzlich eine Bohne , die ich eben ergreifen wollte , meinen Fingern entzog , ohne daß ich wußte , wo dieselbe hingekommen .
Katherine bog sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr : " Laßt sie nur machen ; wenn ihr der Bau endlich zusammenbricht über den vielen Löchern , so muß sie Euch auf jeden Fall küssen ! "
Anna wußte jedoch so gleich , was die Alte zu mir sagte ; sie sprang auf , tanzte dreimal um sich selbst herum , klatschte in die Hände und rief : " Er bricht nicht , er bricht nicht , er bricht nicht ! "
Beim dritten Male gab Katherine mit ihrem Fuße dem Tische schnell einen Stoß , und der unterhöhlte Berg stürzte jammervoll zusammen .
" Gilt nicht , gilt nicht ! " rief Anna so laut und sprang so ausgelassen im Zimmer umher , wie man es gar nicht hinter ihr vermutet hätte .
" Ihr habt an den Tisch gestoßen , ich habe es wohl gesehen ! "
" Es ist nicht wahr " , behauptete Katherine , " Heinrich bekommt einen Kuß von dir , du Hexe ! "
" Ei , schäme dich doch , so zu lügen , Katherine " , sagte das verlegene Kind , und die unerbittliche Magd erwiderte :
" Sei dem , wie ihm wolle , der Berg ist gefallen , ehe du dich dreimal gedreht hast , und du bist dem Herrn Heinrich einen Kuß schuldig ! "
" Den will ich auch schuldig bleiben " , rief sie lachend , und ich , selbst froh , der feierlichen Zeremonie entflohen zu sein und doch die Sache zu meinem Vorteile lenkend , sagte : " Gut , so versprich mir , daß du mir immer und jederzeit einen Kuß schuldig sein willst ! "
" Ja , das will ich ! " rief sie und schlug leichtsinnig und mutwillig auf meine dargebotene Hand , daß es schallte .
Sie war jetzt überhaupt so lebendig , laut und beweglich wie Quecksilber und schien ein ganz anderes Wesen zu sein als am Tage .
Die Mitternacht schien sie zu verwandeln , ihr Gesichtchen war ganz gerötet , und ihre Augen glänzten vor Freude .
Sie tanzte um die unbehilfliche Katherine herum , neckte sie und wurde von ihr verfolgt , es entstand eine Jagd in der Stube umher , in welche ich auch verwickelt wurde .
Die alte Katherine verlor einen Schuh und zog sich keuchend zurück , aber Anna wurde immer wilder und behender .
Endlich haschte ich sie und hielt sie fest , sie legte ohne weiteres ihre Arme um meinen Hals , näherte ihren Mund dem meinigen und sagte leise , vom hastigen Atmen unterbrochen :
" Es wohnt ein weißes Mäuschen Im grünen Bergeshaus ; Der Berg , der will zerfallen , Das Mäuslein flieht daraus " ; worauf ich in gleicher Weise fortfuhr :
" Man hat es noch gefangen , Am Füßchen angebunden Und um die Vordertätzchen Ein rotes Band gewunden " ; dann sagten wir beide im gleichen Rhythmus und indem wir uns geruhig hin und her wiegten :
" Es zappelte und schrie Was habe ich denn verbrochen ?
Da hat man ihm ins Herzlein Eine goldenen Pfeil gestochen . "
Und als das Liedchen zu Ende war , lagen unsere Lippen dicht aufeinander , aber ohne sich zu regen ; wir küßten uns nicht und dachten gar nicht daran , nur unser Hauch vermischte sich auf der neuen , noch ungebrauchten Brücke , und das Herz blieb froh und ruhig .
Am anderen Morgen war Anna wieder wie gewöhnlich , still und freundlich ; der Schulmeister begehrte die Zeichnung bei Tage zu besehen , und da ergab es sich , daß sie von Anna schon in den unzugänglichsten Gelassen ihres Kämmerchens verwahrt und begraben worden .
Sie mußte dieselbe aber wieder hervorholen , was sie ungern tat ; der Vater nahm einen Rahmen von der Wand , in welchem eine vergilbte und verdorbene Gedächtnistafel der Teuerung von 1817 hing , nahm sie heraus und steckte den frischen bunten Bogen hinter das Glas .
" Es ist endlich Zeit , daß wir dies traurige Denkmal von der Wand nehmen " , sagte er , " da es selber nicht länger vorhalten will .
Wir wollen es zu anderen verschollenen und verborgenen Denkzeichen legen und dafür dieses blühende Bild des Lebens aufpflanzen , das uns unser junger Freund geschaffen .
Da er dir die Ehre erwiesen hat , liebes Ännchen , deinen Namen unter die Blumen zu setzen , so mag die Tafel zugleich deine Ehren-und Denktafel in unserem Hause sein und ein Vorbild , immer heiter , mit geschmückter Seele und schuldlos zu leben wie diese zierlichen und ehrbaren Werke Gottes ! "
Nach Tisch machte ich mich endlich bereit zur Rückkehr ; Anna erinnerte sich , daß heute wieder Tanzübung stattfinde , und erbat sich die Erlaubnis , gleich mit mir gehen zu dürfen .
Zugleich verkündete sie , daß sie bei ihren Basen übernachten würde , um nicht wieder so spät über den Berg zu müssen .
Wir wählten den Weg längs des Flüßchens , um im Schatten zu gehen ; und da dieser Pfad öfter feucht war und von Wasserpflanzen und Gesträuchen beengt , schürzte sie das hellgrüne , mit roten Punkten besetzte Kleid , nahm den Strohhut der überhängenden Zweige wegen in die Hand und schritt neben mir her durch das Helldunkel , durch welches die heimlich leuchtenden Wellen über rosenrote , weiße und blaue Steine rieselten .
Ihre Goldzöpfe hingen tief über den Nacken hinab , ihr Gesicht war von einer weißen Krause von eigener Erfindung eingefaßt , und dieselbe bedeckte noch die jungen schmalen Schultern .
Sie sagte nicht viel und schien sich ein wenig der vergangenen Nacht zu schämen ; überall , wo ich nichts gewahrte , sah sie späte Blüten und brach dieselben , daß sie bald alle Hände voll zu tragen hatte .
An einer Stelle , wo das Wasser sich in einer Erweiterung des Bettes sammelte und stillstand , warf sie ihre sämtliche Last zu Boden und sagte :
" Hier ruht man aus ! "
Wir setzten uns an den Rand des Teiches ; Anna flocht einen Kranz aus den kleinen vornehmen Waldblumen und setzte ihn auf .
Nun sah sie ganz aus wie ein holdseliges Märchen ; aus der Flut schaute ihr Bild lächelnd herauf , das weiß und rote Gesicht wie durch ein dunkles Glas fabelhaft überschattet .
Aus der gegenüberliegenden Seite des Wassers , nur zwanzig Schritte von uns , stieg eine Felswand empor , beinahe senkrecht und nur mit wenigem Gesträuche behangen .
Ihre Steile verkündete , wie tief hier das kleine Gewässer sein müsse , und ihre Höhe betrug diejenige einer großen Kirche .
An der Mitte derselben war eine Vertiefung sichtbar , die in den Stein hineinging und zu welcher man durchaus keinen Zugang entdeckte .
Es sah aus wie ein recht breites Fenster an einem Turme .
Anna erzählte , daß diese Höhle die Heidenstube genannt würde .
" Als das Christentum in das Land drang " , sagte sie , " da mußten sich die Heiden verbergen , welche nicht getauft sein wollten .
Eine ganze Haushaltung mit vielen Kindern flüchtete sich in das Loch dort oben , man weiß gar nicht auf welche Weise .
Und man konnte nicht zu ihnen gelangen , aber sie fanden den Weg auch nicht mehr heraus .
Sie hausten und kochten eine Zeitlang , und ein Kindlein nach dem anderen fiel über die Wand herunter ins Wasser hier und ertrank .
Zuletzt waren nur noch Vater und Mutter übrig und hatten nichts mehr zu essen und nichts zu trinken und zeigten sich als zwei Jammergerippe am Eingange und starrten auf das Grab ihrer Kinder , zuletzt fielen sie vor Schwäche auch herunter , und die ganze Familie liegt in diesem tiefen , tiefen Wasser ; denn hier geht es so weit hinunter , als der Stein hoch ist ! "
Wir schauten , im Schatten sitzend , in die Höhe , wo der obere Teil des grauen Felsens im Sonnenscheine glänzte und die seltsame Vertiefung erhellt war .
Wie wir so hinschauten , sahen wir einen blauen glänzenden Rauch aus der Heidenstube dringen und längs der Wand hinsteigen , und wie wir länger hinstarrten , sahen wir ein fremdartiges Weib , lang und hager , in der webenden Rauchwolke stehen , herabblicken aus hohlen Augen und wieder verschwinden .
Sprachlos sahen wir hin , Anna schmiegte sich dicht an mich , und ich legte meinen Arm um sie ; wir waren erschreckt und doch glücklich , und das Bild der Höhle schwamm verwirrt und verwischt vor unseren emporgerichteten Augen , und als es wieder klar wurde , standen ein Mann und ein Weib in der Höhe und schauten auf uns herab .
Eine ganze Reihe von Knaben und Mädchen , halb oder ganz nackt , saß unter dem Loche und hing die Beine über die Wand herunter .
Alle Augen starrten nach uns , sie lächelten schmerzlich und streckten die Hände nach uns aus , wie wenn sie uns um etwas flehten .
Es wurde uns bange , wir standen eilig auf , Anna flüsterte , indem sie perlende Tränen vergoß : " Oh , die armen , armen Heidenleute ! "
Denn sie glaubte fest , die Geister derselben zu sehen , besonders da manche glaubten , daß kein Weg zu jener Stelle führe .
" Wir wollen ihnen etwas opfern " , sagte das Mädchen leise zu mir , " damit sie unser Mitleid gewahr werden ! "
Sie zog eine Münze aus ihrem Beutelchen , ich ahmte ihr nach , und wir legten unsere Spende auf einen Stein , der am Ufer lag .
Noch einmal sahen wir hinauf , wo die seltsame Erscheinung uns fortwährend beobachtete und mit dankenden Gebärden nachschaute .
Als wir im Dorfe anlangten , hieß es , man habe eine Bande Heimatloser in der Gegend gesehen und man würde dieselben nächster Tage aufsuchen , um sie über die Grenze zu bringen .
Anna und ich konnten uns nun die Erscheinung erklären ; es mußte doch ein geheimer Weg dorthin führen , welcher nur unter dem unglücklichen Volke , das solche Schlupfwinkel braucht , bekannt sein mochte .
Wir gaben uns in einem einsamen Winkel feierlich das Wort , den Aufenthalt der Armen nicht zu verraten , und hatten nun ein wichtiges Geheimnis zusammen .
Viertes Kapitel Totentanz So lebten wir , unbefangen und glücklich , manche Tage dahin ; bald ging ich über den Berg , bald kam Anna zu uns , und unsere Freundschaft galt schon für eine ausgemachte Sache , an der niemand ein Arges fand , und ich war am Ende der einzige , welcher heimlich ihr den Namen Liebe gab , weil mir einmal alles sich zum Romane gestaltete .
Um diese Zeit erkrankte meine Großmutter , nach und nach , doch immer ernstlicher , und nach wenigen Wochen sah man , daß sie sterben würde .
Sie hatte genug gelebt und war müde ; solange sie noch bei guten Sinnen war , sah sie gern , wenn ich eine Stunde oder zwei an ihrem Bette verweilte , und ich fügte mich willig dieser Pflicht , obgleich der Anblick ihres Leidens und der Aufenthalt in der Krankenstube mich ungewohnt und trübselig dünkten .
Als sie aber in das eigentliche Sterben kam , welches mehrere Tage dauerte , wurde mir diese Pflicht zu einer ernsten und strengen Übung .
Ich hatte noch nie jemanden sterben sehen und sah nun die bewußtlose oder wenigstens so scheinende Greisin mehrere Tage röchelnd im Todeskampfe liegen , denn ihr Lebensfunke mochte fast nicht erlöschen .
Die Sitte verlangte , daß immer mindestens drei Personen in dem Gemache sich aufhielten , um abwechselnd zu beten und den fremden Besuchern , welche unablässig eintraten , die Ehren zu erweisen und Nachricht zu geben .
Nun hatten aber die Leute , bei dem goldenen Wetter , gerade viel zu arbeiten , und ich , der ich nichts versäumte und geläufig las , war ihnen daher willkommen und wurde den größten Teil des Tages am Todesbette festgehalten .
Auf einem Schemel sitzend , ein Buch auf den Knien , mußte ich mit vernehmlicher Stimme Gebete , Psalmen und Sterbelieder lesen und erwarb mir zwar durch meine Ausdauer die Gunst der Frauen , wofür ich aber den schönen Sonnenschein nur von ferne und den Tod beständig in der Nähe betrachten durfte .
Ich konnte mich gar nicht mehr nach Anna umsehen , obschon sie mein süßester Trost in meiner asketischen Lage war ; da erschien sie , schüchtern und manierlich , unversehens auf der Schwelle der Krankenstube , um die ihr sehr entfernt Verwandte zu besuchen .
Das junge Mädchen war beliebt und geehrt unter den Bäuerinnen und daher jetzt willkommen geheißen , und als sie sich , nach einigem stillen Aufenthalte , anbot , mich im Gebete abzulösen , wurde ihr dies gern gestattet , und so blieb sie die noch übrige Sterbenszeit an meiner Seite und sah mit mir die ringende Flamme verlöschen .
Wir sprachen selten mit einander ; nur wenn wir uns die geistlichen Bücher übergaben , flüsterten wir einige Worte , oder wenn wir beide frei waren , ruhten wir behaglich nebeneinander aus und neckten uns im stillen , da die Jugend einmal ihr Recht geltend machte .
Als der Tod eingetreten und die Frauen laut schluchzten , da zerfloß auch Anna in Tränen und konnte sich nicht zufriedengeben , da sie doch der Todesfall weniger berührte als mich , der ich als Enkel der Toten , obgleich ernst und nachdenklich , trockenen Auges blieb .
Ich wurde besorgt für das arme Kind , welches immer heftiger weinte , und fühlte mich sehr niedergeschlagen und betreten .
Ich führte sie in den Garten , streichelte ihr die Wangen und bat sie inständigst , doch nicht so sehr zu weinen .
Da erheiterte sich ihr Gesicht , wie die Sonne durch Regen , sie trocknete die Augen und sah mich urplötzlich lächelnd an .
Wir genossen nun wieder freie Tage , und ich begleitete Anna zur Erholung sogleich nach Hause , um dort zu weilen bis zum Leichenbegängnis .
Ich blieb die Zeit über ziemlich ernst , da der ganze Verlauf mich angegriffen und mir überdies die Großmutter sehr lieb und verehrungswürdig gewesen , ungeachtet ich sie seit kurzem kannte .
Diese Stimmung war nun wiederum meiner Freundin unbehaglich , und sie suchte mich mit tausend Listen aufzuheitern und glich hierin den übrigen Frauen , welche alle wieder plaudernd und schwatzend vor ihren Häusern standen .
Der Mann der toten Großmutter tat nun , während er sich bequem fühlte , als ob er sehr viel verloren und seine Frau im Leben wertgehalten hätte .
Er ordnete eine pomphafte Leichenfeier an , woran über sechzig Personen teilnehmen sollten , und ließ es an nichts fehlen , alle alten Gebräuche in ihrem vollen Umfange zu beobachten .
Am bezeichneten Tage begab ich mich mit dem Schulmeister und mit Anna auf den Weg ; er trug einen feierlichen schwarzen Frack mit sehr breiten Schößen und eine gestickte weiße Halsbinde , Anna ebenfalls ihr schwarzes Kirchengewand und eine ihrer eigentümlichen Krausen , worin sie aussah wie eine Art Stiftsfräulein .
Den Strohhut hingegen ließ sie zu Hause und trug ihre Haare besonders kunstreich geflochten , dazu durchdrang sie heute eine tiefe Frömmigkeit und Andacht , sie war still und ihre Bewegungen voll Sitte , und dieses alles ließ sie in meinen Augen in neuem , unendlichem Reize erscheinen .
In meine traurig festliche Stimmung mischte sich ein süßer Stolz , mit diesem liebenswürdigen und seltenen Wesen so vertraut zu sein , und zu diesem Stolze gesellte sich eine innige Verehrung , daß ich meine Bewegungen ebenfalls Maß und zurückhielt und mit eigentlicher Ehrerbietung neben ihr herging und ihr dienstbar war , wo es der unebene Weg erforderte .
Wir machten vorerst im Hause meines Oheims halte , dessen Familie schon gerüstet war und sich , als die Totenglocke läutete , uns anschloß .
Im Sterbehause wurde ich von meinen sämtlichen Begleitern getrennt , da meine Stellung als Enkel die Gegenwart unter den nächsten Leidtragenden mit sich brachte , und als der jüngste und unmittelbarste Nachkomme befand ich mich in meinem grünen Habit an der Spitze der ganzen Trauergesellschaft und war den umständlichen und langwierigen Zeremonien zuerst ausgesetzt .
Die nähere Verwandtschaft war in der geräumten großen Wohnstube versammelt und harrte auf das weibliche Geschlecht , welches erscheinen sollte , um hier seine Beileidsbezeugungen abzustatten .
Nachdem wir eine geraume Weile stumm und aufrecht längs den Wänden gestanden , traten nach und nach viele bejahrte Bäuerinnen herein , in schwarzer Tracht , fingen bei mir an , eine um die andere , indem sie mir die Hand boten , ihren Spruch sagten und zum nächsten fortschritten auf gleiche Weise .
Diese Matronen gingen größtenteils gebückt und zitternd und sprachen ihre Worte mit Rührung als alte Freundinnen und Bekannte der Seligen und als solche , welche die Nähe des Todes doppelt empfanden .
Sie sahen mich alle fest und bedeutungsvoll an , ich mußte jeder einzelnen danken und sie ebenfalls ansehen , was ich ohnehin getan hätte .
Manchmal war eine noch hohe und kraftvolle alte Frau darunter , welche aufrecht heranschritt und mit Seelenruhe auf mich sah ; dann folgte aber gleich wieder ein gebeugtes Mütterchen , welches an seinem eigenen Leiden dasjenige der Geschiedenen zu kennen und zu schätzen schien .
Doch wurden die Frauen immer jünger , und in gleichem Verhältnisse mehrte sich die Zahl ; die Stube war nun vollständig mit dunklen Gestalten angefüllt , die sich herbeidrängten , Weiber von vierzig und dreißig Jahren , voll Beweglichkeit und Neugierde , die verschiedenen Leidenschaften und Eigentümlichkeiten waren kaum durch die gleichmachende Trauerhaltung verschleiert .
Der Andrang schien kein Ende nehmen zu wollen ; denn nicht nur das ganze Dorf , sondern auch viele Frauen aus der Umgegend waren erschienen , weil die Verstorbene eines großen Ruhmes unter ihnen genoß , der , zum Teil verjährt , jetzt noch einmal in vollem Glanze sich geltend machte .
Endlich wurden die Hände glatter und weicher , das jüngste Geschlecht zog vorüber , und ich war schon ganz mürbe und müde , als meine Basen herzutraten , mir aufmunternd und freundlich die Hand reichten , und gleich hinter ihnen , wie ein Himmelsbote , die allerliebste Anna , welche , blaß und aufgeregt , mir flüchtig das Händchen reichte und schimmernde Tränen darüber fallen ließ .
Weil ich seltsamerweise gar nicht an sie gedacht und auf sie gehofft hatte , schwebte sie mir jetzt um so überraschender vorüber .
Zuletzt erschöpfte sich doch die Frauenwelt , und wir traten vor das Haus , wo eine unabsehbare Schar bedächtiger Männer harrte , um mit uns , die wieder eine Reihe bildeten , den gleichen Gebrauch vorzunehmen .
Sie machten es zwar bedeutend kürzer und rascher als ihre Weiber , Töchter und Schwestern , allein dafür gebrauchten sie ihre schwieligen harten Hände wie Schmiedezangen und Schraubstöcke , und aus mancher Faust brauner Ackermänner glaubte ich meine Hand nicht mehr heil zurückzuziehen .
Endlich schwankte der Sarg vor uns her , die Weiber schluchzten , und die Männer sahen bedenklich und verlegen vor sich nieder ; der Geistliche erschien auch und machte seine Würde geltend , und ohne viel zu wissen , wie es zugegangen , sah ich mich endlich an der Spitze des langen Zuges auf dem Kirchhofe und dann in die kühle Kirche versetzt , welche von der Gemeinde ganz angefüllt wurde .
Ich hörte nun mit Verwunderung und Aufmerksamkeit den ursprünglichen Familiennamen , die Abstammung , das Alter , den Lebenslauf und das Lob der Großmutter von der Kanzel verkünden und stimmte von Herzen in das Versöhnungs- und Ruhelied , welches zum Schlusse gesungen wurde .
Als ich aber die Schaufeln klingen hörte vor der Kirchentür , drängte ich mich hinaus , um in das Grab zu schauen .
Der einfache Sarg lag schon darin , viele Menschen standen umher und weinten , die Schollen fielen hart auf den Deckel und verbargen ihn allmählich ; ich sah erstaunt hinein und kam mir fremd und verwundert vor , und die Tote in der Erde erschien mir auch fremd , und ich fand keine Tränen .
Erst als es mir durch den Sinn fahre , daß es die leibliche Mutter meines Vaters gewesen , und an meine Mutter dachte , welche einst auch also in die Erde gelegt werde , da vergegenwärtigte sich mir wieder mein Zusammenhäng mit diesem Grabe und das Wort : " Ein Geschlecht vergeht und das andere entsteht ! "
Der eingeladene Teil der Versammlung begab sich nun wie der nach dem Trauerhause , dessen Räume alle von den Vorrichtungen des Leichenmales belebt waren .
Als man zu Tische saß , versetzte mich die Sitte wieder an die Seite des finsteren Witwers , wo ich zwei volle Stunden aushalten mußte , ohne mit jemandem sprechen zu können , solange die erste herkömmliche Essenszeit mit allen ihren unvermeidlichen Gerichten dauerte .
Ich sah die lange Tafel hinunter und suchte den Schulmeister und sein Kind , welche auch anwesend waren ; sie mußten aber im anstoßenden Zimmer sein , denn ich fand sie nicht .
Anfänglich wurde mäßig und bedächtig gesprochen und die Speisen in großer Ehrbarkeit eingenommen .
Die Bauern saßen aufrecht an ihre Stühle oder an die Wand gelehnt , in beträchtlichem Abstand vom Tische , und stachen die Fleischbissen mit feierlich ausgestrecktem Arme an , die Gabel am äußersten Ende haltend .
So führten sie ihre Beute auf dem weitesten Wege zum Munde und tranken den Wein in kleinen , züchtigen , aber häufigen Zügen .
Die Aufwärterinnen trugen die breiten Zinnschüsseln in erhobenen Händen in der Höhe ihres Gesichtes heran , mit gemessenem Paradeschritt , die Hüften gewaltig hin und her wiegend .
Wo sie die Tracht auf den Tisch setzten , mußten die beiden Zunächstsitzenden einen Wettstreit beginnen , indem sie ihnen ihre Gläser zum Trinken boten und jeder wenigstens zwei gute Witze flüsterte ; dieser kleine Kampf wurde dann dadurch geschlichtet , daß die Aufwärterin aus jedem Glase nippte und mehr oder weniger zufrieden mit der Ausführung dieser Etikette sich zurückzog .
Nach Verfließen zweier langen Stunden näherten sich die Roheren unter den Gästen immer mehr dem Tische , legten die Arme darauf und begannen nun erst ein fleißiges Essen , wozu sie den Wein in tiefen Zügen schluckten .
Die Gesetzteren aber wurden lauter im Gespräche , rückten ihre Stühle mehr zusammen und ließen die Unterhaltung allmählich in eine mäßige Fröhlichkeit übergehen .
Diese war wohl zu unterscheiden von einer gewöhnlichen lustigen Stimmung und eine symbolische Absicht , welche eine heitere Ergebung in den Lauf der Dinge und das Recht des Lebens gegen den Tod bedeuten sollte .
Ich fand nun endlich Raum , meinen Platz zu verlassen und umherzugehen .
Im nächsten Zimmer fand ich an einer kleineren Tafel Anna neben ihrem Vater sitzen , welcher im Kreise einiger Klugen und Frommen die weise und fröhliche Ergebung in das Unvermeidliche mit ausgezeichneter Kunst übte .
Er machte einigen bejahrten Frauen den Hof und wußte jeder noch zu sagen , was sie vor dreißig Jahren gern gehört ; dafür schmeichelten sie der kleinen Anna , lobten ihre Manieren und priesen den Alten glücklich .
Zu dieser Gruppe setzte ich mich und horchte neben Anna auf die beschaulichen Reden der Alten .
Dabei hielten wir zwei , denen nun erst vergnüglich zu Mute wurde , noch eine kleine Mahlzeit aus der gleichen Schüssel und tranken zusammen ein Glas Wein .
Auf einmal fing es über unseren Köpfen an zu brummen und zu pfeifen .
Geige , Bass und Klarinette wurden angestimmt , und ein Waldhorn erging sich in schwülen Tönen .
Während der rüstige Teil der Versammlung aufbrach und nach dem geräumigen Boden hinaufstieg , sagte der Schulmeister : " So muß es also doch getanzt sein ?
Ich glaubte , dieser Gebrauch wäre endlich abgeschafft , und gewiß ist dies Dorf das einzige weit und breit , wo er noch manchmal geübt wird !
Ich ehre das Alte , aber alles , was so heißt , ist doch nicht ehrwürdig und tauglich !
Indessen mögt ihr einmal zusehen , Kinder , damit ihr später noch davon sagen könnt ; denn hoffentlich wird das Tanzen auf Leichenbegängnissen endlich doch verschwinden ! "
Wir huschten sogleich hinaus , wo auf der Flur und der Treppe , die nach oben führte , die Menge sich zu einem Zuge ordnete und paarte , denn ungepaart durfte niemand hinaufgehen .
Ich nahm daher Anna bei der Hand und stellte mich in die Reihe , welche sich , von den Musikanten angeführt , in Bewegung setzte .
Man spielte einen elendiglichen Trauermarsch , zog nach seinem Takte dreimal auf dem Boden herum , der zum Tanzsaal umgewandelt war , und stellte sich dann in einen großen Kreis .
Hierauf traten sieben Paare in die Mitte und führten einen schwerfälligen alten Tanz auf von sieben Figuren mit schwierigen Sprüngen , Kniefällen und Verschlingungen , wozu schallend in die Hände geklatscht wurde .
Nachdem dies Schauspiel seine gehörige Zeit gedauert hatte , erschien der Wirt , ging einmal durch die Reihen , dankte den Gästen für ihre Teilnahme an seinem Leid und flüsterte hier und dort einem jungen Burschen , daß es alle sahen , in die Ohren , er möchte sich die Trauer nicht allzusehr zu Herzen gehen und ihn in seinem Schmerze jetzt nur allein und einsam lassen , er empföhle ihm vielmehr , sich nun wieder des Lebens zu freuen .
Hierauf schritt er wieder gesenkten Hauptes von dannen und stieg die Treppe hinunter , als ob es direkt in den Tartarus ginge .
Die Musik aber ging plötzlich in einen lustigen Hopser über , die Älteren zogen sich zurück , und die Jugend brauste jauchzend und stampfend über den dröhnenden Boden hin .
Anna und ich standen , noch immer Hand in Hand , verwundert an einem Fenster und schauten dem dämonischen Wirbel zu .
Auf der Straße sahen wir die übrige Jugend des Dorfes dem Geigenklange nachziehen ; die Mädchen stellten sich vor die Haustür , wurden von den Knaben heraufgeholt , und wenn sie einen Tanz getan , hatten sie das Recht erworben , aus den Fenstern die Burschen , die noch unten waren , heraufzurufen .
Es wurde Wein gebracht und in allerhand Dachwinkeln kleine Trinkstätten hergestellt , und bald verschmolz alles in einen rauschenden und tobenden Wirbel der Lust , welche sich in ihrem Lärm um so sonderbarer ausnahm , als es Werktag war und das Feld weit herum in gewöhnlicher stiller Arbeit begriffen .
Nachdem wir lange Zeit zugeschaut , fortgegangen und wiedergekommen waren , sagte Anna errötend , sie möchte einmal probieren , ob sie in der großen Menge tanzen könne .
Dieses kam mir sehr gelegen , und wir drehten uns im selben Augenblicke in den Kreisen eines Walzers dahin .
Von nun an tanzten wir eine gute Weile ununterbrochen , ohne müde zu wer den , die Welt und uns selbst vergessend .
Wenn die Musik eine Pause machte , so standen wir nicht still , sondern setzten unseren Weg durch die Menge fort in raschem Schritte und fingen mit dem ersten Tone wieder zu tanzen an , wir mochten gerade gehen , wo es war .
Mit dem ersten Tone der Abendglocke aber stand auf einmal der Tanz still mitten in einem Walzer , die Paare ließen ihre Hände fahren , die Mädchen wanden sich aus den Armen der Tänzer , und alles eilte , sich ehrbar begrüßend , die Treppe hinunter , setzte sich noch einmal hin , um Kaffee mit Kuchen zu genießen und dann ruhig nach Hause zu gehen .
Anna stand , mit glühendem Gesichte , noch immer in meinem Arme , und ich schaute verblüfft umher .
Sie lächelte und zog mich fort ; wir fanden ihren Vater nicht mehr im Hause und gingen weg , ihn beim Oheim aufzusuchen .
Es war Dämmerung draußen , und die allerschönste Nacht brach an .
Als wir auf den Kirchhof kamen , lag das frische Grab einsam und schweigend , vom aufgehenden goldenen Monde bestreift .
Wir standen vor dem braunen , nach feuchter Erde duftenden Hügel und hielten uns umfangen ; zwei Nachtfalter flatterten durch die Büsche , und Anna atmete erst jetzt schnell und stark .
Wir gingen zwischen den Gräbern umher , für dasjenige der Großmutter einen Strauß zu sammeln , und gerieten dabei , im tiefen Grase wandelnd , in die verworrenen Schatten der üppigen Grabgesträuche .
Da und dort blinkte eine matte goldene Schrift aus dem Dunkel oder leuchtete ein Stein .
Wie wir so in der Nacht standen , flüsterte ich Anna , sie möchte mir jetzt etwas sagen , aber ich müßte sie nicht auslachen und es verschweigen .
Ich fragte : " Was ? " und sie sagte , sie wolle mir jetzt den Kuß geben , den sie mir von jenem Abend her schuldig sei .
Ich hatte mich schon zu ihr geneigt , und wir küßten uns ebenso feierlich als ungeschickt .
Fünftes Kapitel Beginn der Arbeit .
Habesaat und seine Schule Als Anna mit ihrem Vater noch spät sich verabschiedete , war ich in dem Augenblicke nicht zugegen , und sie konnte mir daher nicht Lebewohl sagen .
Obgleich ich schmerzlich betroffen war , sie nicht mehr zu finden , überwog doch mein junges Seelenglück ; auf meiner Kammer lag ich noch eine volle Stunde unter dem Fenster und sah die Gestirne ihren fernen Gang tun , und die Wellen unter mir trugen das Mondsilber auf ihren klaren Schultern hastig und kichernd zu Tal , als ob sie es gestohlen hätten , warfen hier und da einige Schimmerstücke ans Ufer , als ob sie ihnen zu schwer würden , und sangen fort und fort ihr mutwilliges Wanderlied .
Auf meinem Munde lag es unsichtbar , aber süß und warm und doch frisch und taukühl .
Als ich schlafen ging , spukte und rauschte es die ganze Nacht auf meinen Lippen , durch Traum und Wachen , welche oft und heftig wechselten ; ich sank von Traum zu Traum , farbig und blitzend , dunkel und schwül , dann wieder sich erhellend aus dunkelblauer Finsternis zu blumendurchwogter Klarheit ; ich träumte nie von Anna , aber ich küßte Baumblätter , Blumen und die lautere Luft und wurde überall wiedergeküßt ; fremde Frauen gingen über den Kirchhof und wateten durch den Fluß mit silberglänzenden Füßen ; die eine trug Annas schwarzes Gewand , die andere ihr blaues , die dritte ihr grünes mit den roten Blümchen , die vierte ihre Halskrause , und wenn mich dies ängstigte und ich ihnen nachlief und darüber erwachte , war es , als ob die wirkliche Anna von meinem Lager soeben und leibhaftig wegschliche , daß ich verwirrt und betäubt auffuhr und sie laut beim Namen rief , bis mich die stille Glanznacht , welche im Tale lag , zu mir selbst brachte und in neue Träume hüllte .
So ging es in den hellen Morgen hinein , und beim Erwachen war ich wie von einem heißen Quell der Glückseligkeit durchtränkt und berauscht .
Ich ging , noch immer trunken und träumend , unter meine Verwandten und fand in der Wohnstube den benachbarten Müller vor , welcher mit einem leichten Fuhrwerke meiner harrte , um mich mit nach der Stadt zu nehmen .
Meine Rückkehr war nämlich , seit einiger Zeit bestimmt , an die Geschäftsreise dieses Mannes geknüpft und verabredet worden , da das Fahren mit ihm einige Bequemlichkeit bot .
Ich fragte nach dieser ohnehin nicht viel , der Müller erschien zudem unerwartet und früher , als man geglaubt , mein Oheim und seine Sippschaft forderten mich auf , ihn fahren zu lassen und zu bleiben , in meinem Herzen schrie es nach Anna und nach dem stillen See - aber ich versicherte ernsthaft , daß meine Verhältnisse geböten , diese Gelegenheit zu benutzen , frühstückte eilig , nahm meine Sachen zusammen und von den Verwandten Abschied und setzte mich mit dem Müller auf das Wägenchen , welches ohne Aufenthalt zum Dorfe hinaus- und bald auf der Landstraße dahinrollte .
Dies alles tat ich in der Verwirrung , zum Teil weil ich wähnte , man würde mir auf der Stelle ansehen , daß ich wegen Anna bliebe und daß ich sie wirklich liebe , und endlich auch aus unerklärlicher Laune .
Sobald ich hundert Schritte vom Dorfe entfernt war , bereute ich meine Abreise ; ich wäre gern vom Wagen gesprungen , drehte den Kopf immerwährend zurück nach den Höhen , welche um den See lagen , und schaute sie an , ohne zu gewahren , wie sie unter meinen Augen blau und klein wurden und das Hochgebirge aus größeren und tieferen Seen emporstieg .
Ich konnte mich in den ersten Tagen meiner Rückkehr kaum zurechtfinden .
Im Angesichte der großartigen Landschaft , welche die Stadt umgibt , schwebte mir nun die verlassene Gegend wie ein Paradies vor , und ich fühlte erst jetzt jeden Reiz ihrer einfachen und anspruchlosen , aber so ruhigen und lieblichen Bestandteile .
Wenn ich auf der höchsten Höhe über unserer Stadt in das Land hinaussah , so war mir der kleine versteckte Strich blauen Fernegebietes , wo das Dorf und nicht weit davon des Schulmeisters See zu vermuten waren , die schönste Stelle des Gesichtskreises , die Luft wehte reiner und glücklicher von dorther , der mir unsichtbare Aufenthalt Annas in jener entlegenen bläulichen Dämmerung wirkte magnetisch über alles dazwischenliegende Land her ; ja wenn ich , in der Tiefe gehend , jenen glücklichen Horizont nicht sah , so suchte und fühlte ich doch die Himmelsgegend und sah mit Heimweh und Sehnsucht das dorthin gehende Stück Himmel von näheren Bergen begrenzt .
Indessen erneuerte sich die Frage über meine Berufswahl und machte sich täglich dringender geltend , da man mich nicht länger müßig und planlos sehen konnte .
Ich war einmal an den Türen des Fabrikgebäudes vorbeigestrichen , wo der eine Gönner hauste .
Ein häßlicher Säuregeruch drang mir in die Nase , und bleiche Kinder arbeiteten innerhalb und lachten mit rohen Grimassen .
Ich verwarf die Hoffnungen , die sich hier darboten , und zog es vor , lieber ganz von solchen halbkünstlerischen Ansprüchen fernzubleiben und mich dem Schreibertum entschieden in die Arme zu werfen , wenn einmal entsagt werden müsse , und ich gab mich diesem Gedanken schon geduldig hin .
Denn nicht die mindeste Aussicht tat sich auf , bei irgendeinem guten Künstler untergebracht zu werden .
Da gewahrte ich eines Tages , wie eine Menge der gebildeten Leute der Stadt in einem öffentlichen Gebäude aus und ein gingen .
Ich erkundigte mich nach der Ursache und erfuhr , daß in dem Hause eine Kunstausstellung stattfinde , welche durch die Städte zirkuliere .
Da ich sah , daß nur feingekleidete Leute hineingingen , lief ich nach Hause , putzte mich ebenfalls möglichst heraus , als ob es in die Kirche ginge , und wagte mich alsbald in die geheimnisvollen Räume .
Ich trat in einen hellen Saal , in welchem es von allen Wänden und von großen Gerüsten in frischen Farben und Gold erglänzte .
Der erste Eindruck war ganz traumhaft ; große klare Landschaften tauchten von allen Seiten , ohne daß ich sie vorerst einzeln besah , auf und schwammen vor meinen Blicken mit zauberhaften Lüften und Baumwipfeln ; Abendröten brannten , Kinderköpfe , liebliche Studien guckten dazwischen hervor , und alles entschwand wieder vor neuen Gebilden , so daß ich mich ernstlich umsehen mußte , wo denn dieser herrliche Lindenhain oder jenes mächtige Gebirge hingekommen seien , die ich im Augenblicke noch zu sehen geglaubt ?
Dazu verbreiteten die frischen Firnisse der Bilder einen sonntäglichen Duft , der mir angenehmer dünkte als der Weihrauch einer katholischen Kirche .
Es wurde mir kaum möglich , endlich vor einem Werke stillzustehen , und als dies geschah , da vergaß ich mich vor demselben und kam nicht mehr weg .
Einige große Bilder der Genfer Schule , mächtige Baum-und Wolkenmassen in mir unbegreiflichem Schmelze gemalt , waren die Zierden der Ausstellung ; eine Menge Genrebildchen und Aquarellen reizten dazwischen als leichtes Plänklervolk , und ein paar Historien und Heiligenscheine wurden auch bewundert .
Aber immer kehrte ich zu jenen großen Landschaften zurück , verfolgte den Sonnenschein , welcher durch Gras und Laub spielte , und prägte mir voll inniger Sympathie die schönen Wolkenbilder ein , welche von Glücklichen mit leichter und spielender Hand hingetürmt schienen .
Ich steckte , solange es dauerte , den ganzen Tag in dem wonniglichen Saale , wo es fein und anständig herging , die Leute sich höflich begrüßten und vor den glänzenden Rahmen mit zierlichen Worten sich besprachen .
Nach Hause gekommen , saß ich nachdenklich da und beklagte fortwährend mein Schicksal , daß ich auf das Malen verzichten müsse , so daß es meiner Mutter durchs Herz ging und sie nochmals eine Rundschau anstellte mit dem Vorsatze , mir meinen Willen zu tun , möchte es gehen , wie es wolle .
So trieb sie endlich einen Mann auf , welcher in einem alten Frauenklösterlein vor der Stadt , wenig beachtet , einen wunderlichen Kunstspuk trieb .
Er war ein Maler , Kupferstecher , Lithograph und Drucker in einer Person , indem er , in einer verschollenen Manier , vielbesuchte Schweizerlandschaften zeichnete , dieselben in Kupfer kratzte , abdruckte und von einigen jungen Leuten mit Farben überziehen ließ .
Diese Blätter versandte er in alle Welt und führte einen dankbaren Handel damit .
Dazu machte er , was ihm unter die Finger kam , sonst noch , Taufscheine mit Taufstein und Gevattersleuten , Grabschriften mit Trauerweiden und weinenden Genien ; wenn dazwischen ein Unkundiger gekommen wäre und ihm gesagt hätte :
" Könnt Ihr mir ein Bild malen , so schön es zu haben ist , das unter Kennern zehntausend Taler wert ist ?
Ich möchte ein solches ! " so würde er die Bestellung unbedenklich angenommen und sich , nachdem die Hälfte des Preises zum voraus bezahlt , unverweilt an die Arbeit gemacht haben .
Bei diesem Treiben unterstützte ihn ein tapferes Häuflein Gerechter , und der Schauplatz ihrer Taten war das ehemalige Refektorium der frommen Klosterfrauen .
Dessen beide Langseiten waren jede mit einem halben Dutzend hoher Fenster versehen mit runden Scheibchen , die das Licht wohl ein , aber bei ihrer wellenförmigen Oberfläche keinen Blick hinausließen , was auf den Fleiß der hier waltenden Kunstschule wohltätigen Einfluß übte .
Jedes dieser Fenster war mit einem Kunstbeflissenen besetzt , welcher , dem Hintermanne den Rücken zukehrend , dem Vordermanne ins Genick sah .
Das Haupttreffen dieser Armee bildeten vier bis sechs junge Leute , teils Knaben , welche die Schweizerlandschaften blühend kolorierten ; dann kam ein kränklicher , hustender Bursche , der mit Harz und Scheidewasser auf kleinen Kupferplatten herumschmierte und bedenkliche Löcher hineinfressen ließ , auch wohl mit der Radiernadel dazwischenstach und der Kupferstecher genannt wurde .
Auf diesen folgte der Lithograph , ein froher und unbefangener Geist , der verhältnismäßig das weiteste Gebiet umfaßte , nächst dem Meister , da er stets gewärtig und bereit sein mußte , das Bildnis eines Staatsmannes oder eine Weinkarte , den Plan einer Dreschmaschine wie das Titelblatt für eine Erbauungsschrift junger Töchter auf den Stein zu bringen mit Kreide , Feder , graviert oder getuscht .
Im Hintergrunde des Refektoriums arbeiteten mit breiten Bewegungen zwei schwärzliche Gesellen , der Kupfer- und der Steindruckergehilfe , jeder an seiner Presse , indem sie die Werke jener Künstler auf feuchtes Papier abzogen .
Endlich , im Rücken der ganzen Schar und alle übersehend , saß der Meister , Herr Kunstmaler und Kunsthändler Habesaat , Besitzer einer Kupfer- und Steindruckerei und sich zu allen gefälligen Aufträgen empfehlend , an seinem Tische mit den feinsten und schwierigsten Aufgaben , meistens jedoch mit seinem Buche , mit Briefschreiben und dem Verpacken der fertigen Sachen beschäftigt .
Es herrschte ein streng ausgeschiedener Geist in den Ansprüchen und Hoffnungen des Refektoriums .
Der Kupferstecher und der Lithograph waren fertige Leute , die selbständig in die Welt schauten , bei Meister Habesaat um einen Gulden täglich ihre acht Stunden arbeiteten und sich weiter weder um ihn was bekümmerten noch große Hoffnungen nährten .
Mit den jungen Koloristen hingegen verhielt es sich anders .
Diese lustigen Geister gingen mit wirklichen , leichten und durchsichtigen Farben um , sie handhabten den Pinsel in Blau , Rot und Gelb , und das um so fröhlicher , als sie sich um Zeichnung und Anordnung nichts zu bekümmern hatten und mit ihrem buntflüssigen Elemente obenhin über die düstern Schwarzkünste des Kupferstechers wegeilen durften .
Sie waren die eigentlichen Maler in der Versammlung ; ihnen stand noch das Leben offen , und jeder hoffte , wenn er nur erst aus diesem Fegefeuer des Meisters Habesaat entronnen , noch ein großer Künstler zu werden .
In dieser Gruppe erbte sich durch alle Generationen , welche schon im Dienste des Meisters durch das Refektorium gegangen , die große Künstlertradition von Samtrock und Barett fort ; aber nur selten erreichte einer dies Ziel , indem immer der Flug vorher ermüdete und die Mehrzahl der Getäuschten nach ihrem Austritte noch ein gutes Handwerk erlernte .
Es waren immer Söhne blutarmer Leute , welche , in der Wahl eines Unterkommens verlegen , von dem rührigen Manne in sein Refektorium gelockt worden mit der Aussicht , eine Art Maler und Herren zu werden , die ihr Auskommen finden und immer noch etwas über dem Schneider und Schuster stehen würden .
Da sie gewöhnlich keine Gelder beibringen konnten , so mußten sie sich verbindlich machen , den Unterricht in der " Malerkunst " abzuverdienen und vier Jahre für den Meister zu arbeiten .
Er richtete sie dann vom ersten Tage an zum Färben seiner Landschaften ab und brachte sie , ungeachtet ihrer gänzlichen Unberufenheit , durch Strenge so weit , daß sie ihre Arbeit bald reinlich und nett und nach den überlieferten Gebräuchen verrichteten .
Nebenbei durften sie , wenn sie wollten , an Feiertagen ein verkommenes oder zweckloses Blatt nachzeichnen zur weiteren Ausbildung , und sie wählten meistens solche Gegenstände , welche nichts zu lernen darboten , aber für den Augenblick am meisten Effekt machten und die ihnen der Meister korrigierte , wenn er nicht allzu beschäftigt war .
Er sah es aber nicht einmal gern , wenn sie diesen Privatfleiß zu weit trieben ; denn er hatte schon einigemal erfahren , daß solche , welche Geschmack daran fanden und eine künstlerische Ader in sich entdeckten , beim Kolorieren seiner Prospekte unreinlich und verwirrt geworden .
Sie mußten streng und anhaltend arbeiten und steckten um so mehr voll Possen und Schwänke , die sich in jedem freien Augenblicke Luft machten , und erst gegen das vierte Jahr hin , wenn die schönste Zeit zur Erlernung von etwas Besserem verflossen war , wurden sie gebeugt und gedrückt , von den Eltern mit Vorwürfen geplagt , daß sie immer noch von ihrem Brote äßen , und dachten ernstlich darauf , während sie noch pinselten , bei guter Zeit noch etwas Einträglicheres zu ergreifen .
Die Jugendjahre von wohl Dreißigen solcher Knaben und Jünglinge hatte Habesaat schon in blauen Sonntagshimmeln und grasgrünen Bäumen auf sein Papier gehaucht , und der hüstelnde Kupferstecher war sein infernalischer Helfershelfer , indem er mit seinem Scheidewasser die schwarze Unterlage dazu ätzte , wobei die melancholischen Drucker , an das knarrende Rad gefesselt , füglich eine Art gedrückter Unterteufel vorstellten , nimmermüde Dämonen , die unter der Walze ihrer Pressen die zu färbenden Blätter unerschöpflich , endlos hervorzogen .
So begriff er vollständig das Wesen heutiger Industrie , deren Erzeugnisse um so wertvoller und begehrenswerter zu sein scheinen für die Käufer , je mehr schlau entwendetes Kinderleben darin aufgegangen ist .
Er machte auch ganz ordentliche Geschäfte und galt daher für einen Mann , bei dem sich was lernen ließe , wenn man nur wolle .
Von irgendeiner Seite her war meiner Mutter angeraten worden , sich mit ihm zu besprechen und sein Geschäft einmal anzusehen , da es wenigstens für den Anfang eine Zuflucht zu weitem Vorschreiten böte , zumal wenn man mit ihm übereinkäme , daß er mich nicht zu seinem Nutzen verwende , sondern gegen genügende Entschädigung nach seinem besten Wissen unterrichte .
Er zeigte sich gern bereit und erfreut , einen jungen Menschen einmal als eigentlichen Künstler heranzubilden , und belobte meine Mutter höchlich für ihren kundgegebenen Entschluß , die nötigen Summen hieran wenden zu wollen ; denn jetzt schien ihr der Zeitpunkt gekommen zu sein , wo die Frucht ihrer unablässigen Sparsamkeit geopfert und auf den Altar meiner Bestimmung gelegt werden müsse .
Es wurde also ein Vertrag geschlossen auf zwei Jahre , welche ich gegen regelmäßige Quartalzahlungen im Refektorium zubringen sollte unter den zweckdienlichsten Übungen .
Nach gegenseitiger Unterschreibung desselben verfügte ich mich eines Montagmorgens in das alte Kloster und trug meine sämtlichen bisherigen Versuche und Arbeiten in bunter Mischung bei mir , um sie auf Verlangen des neuen Kleisters vorzuzeigen .
Er bezeugte , indem meine wunderlichen Blätter herumgingen , nachträglich seine Zufriedenheit mit meinem Eifer und meinen Absichten und stellte mich dem Personale , das sich erhoben haue und neugierig herumstand , als einen wahren Bestrebten vor , wie er beschaffen sein müsse schon vor dem Eintritte in eine Kunsthalle .
Sodann erklärte er , daß es ihm recht zum Vergnügen gereichen werde , einmal eine ordentliche Schule an einem Schüler durchzuführen , und sprach seine Erwartungen hinsichtlich meines Fleißes und meiner Ausdauer feierlich aus .
Einer der Koloristen mußte nun seinen Platz am Fenster räumen und sich neben einen anderen setzen , indessen ich dort eingerichtet wurde ; und hierauf , als ich , erwartungsvoll der Dinge , die da kommen sollten , vor dem leeren Tische stand , brachte Herr Habesaat eine landschaftliche Vorlage aus seinen Mappen hervor , den Umriß eines einfachen Motives aus einem lithographierten Werke , wie ich es schon in den Schulen vielfach gesehen hatte .
Dies Blatt sollte ich vorerst aufmerksam und streng kopieren .
Doch bevor ich mich hinsetzte , schickte mich der Meister wieder fort , Papier und Bleistift zu holen , an welche ich nicht gedacht , da ich überhaupt keinen Begriff von dem ersten Beginnen gehabt haue .
Er beschrieb mir das Nötige , und da ich kein Geld bei mir trug , mußte ich erst den weiten Weg nach Hause machen und dann in einen Laden gehen , um es gut und neu einzukaufen , und als ich wieder hinkam , war es eine halbe Stunde vor Mittag .
Dieses alles , daß man mir für diesen Anfang nicht einmal ein Blau Papier und einen Stift gab , sondern fortschickte , welche zu holen , ferner das Herumschlendern in den Straßen , das Geld fordern bei der Mutter und endlich das Beginnen kurz vor der Stunde , wo alles zum Essen auseinanderging , erschien mir so nüchtern und kleinlich und im Gegensatze zu dem Treiben , das ich mir dunkel in einer Künstlerbehausung vorgestellt hatte , daß es mir das Herz beengte .
Jedoch wurde es bald von diesem Eindrucke abgezogen , als die unscheinbaren Aufgaben , die mir gestellt wurden , mir mehr zu tun gaben , als ich mir anfänglich eingebildet ; denn Habesaat sah vor allem darauf , daß jeder Zug , den ich machte , genau die gleiche Größe des Vorbildes Maß und das Ganze weder größer noch kleiner erschien .
Nun kamen aber meine Nachbildungen immer größer heraus als das Original , obgleich in richtigem Verhältnisse , und der Meister nahm hieran Gelegenheit , seine Genauigkeit und Strenge zu üben , die Schwierigkeit der Kunst zu entwickeln und mich behaglich fühlen zu lassen , daß es doch nicht so rasch ginge , als ich wohl geglaubt hätte .
Doch fand ich mich wohl und geborgen an meinem Tische ( die Abwesenheit von Staffeleien , die ich mir als besondere Zierde einer Werkstatt gedacht , empfand ich freilich ) und arbeitete mich tapfer durch diese kleinlichen Anfänge hindurch .
Ich kopierte getreulich die ländlichen Schweinställe , Holzschuppen und derlei Dinge , aus welchen , in Verbindungen mit allerlei magerem Strauchwerk , meine Vorbilder bestanden und die mir um so mühseliger wurden , je verächtlicher sie meinen Augen erschienen .
Denn bei dem Eintritte in den Saal des Meisters hatte sich mit der Pflicht und dem Gehorsame zugleich der Schein der Nüchternheit und Leerheit über diese Dinge ergossen für meinen ungebundenen und willkürlichen Geist .
Auch kam es mir fremd vor , den ganzen Tag , an meinen Platz gefesselt , über meinem Papiere zu sitzen , zumal man nicht im Zimmer umhergehen und unaufgefordert nicht sprechen durfte .
Nur der Kupferstecher und der Lithograph führten einen bescheidenen Verkehr unter sich und den betreffenden Druckergesellen und richteten das Wort auch an den Meister , wenn es ihnen gutdünkte , ein bißchen zu plaudern .
Dieser aber , wenn er guter Laune war , erzählte allerlei Geschichten und geläufige Kunstsagen , auch Schwänke aus seinem früheren Leben und Züge von der Herrlichkeit der Maler .
Sowie er aber bemerkte , daß einer zu eifrig aufhorchte und die Arbeit darüber vergaß , brach er ab und beobachtete eine geraume Zeit weise Zurückhaltung .
Ich erhielt nach einiger Zeit das Recht , meine Vorlagen selbst hervorzuholen und die vorhandenen Schätze durchzugehen .
Sie bestanden aus einer großen Menge zufällig zusammengeraffter Gegenstände , aus leidlichen alten Kupferstichen , einzelnen Fetzen und Blättern ohne Bedeutung , wie sie die Zeit anhäuft , Zeichnungen von einer gewissen Routine , ohne Naturwahrheit , und einem übrigen Mischmasch .
Handzeichnungen nach der Natur , Blätter , die um ihrer selbst Willen da waren und denen man angesehen hätte , daß sie freie Luft und Sonne getrunken , fanden sich nicht ein einziges Stück vor ; denn der Meister hatte seine Kunst und seinen Schlendrian innerhalb vier Wänden erworben und begab sich nur hinaus , um so schnell als möglich eine gangbare Ansicht zu entwerfen .
Eine gewandte , obschon falsche Technik war das eigentliche Wissen meines Meisters , und er legte alles Gewicht seines Unterrichtes auf diesen Punkt .
Anfänglich hielt er mich eine Weile in Abhängigkeit , indem ich den Unterschied zwischen einem transparenten scharfen und einem rußigen stumpfen Vortrage nicht recht begriff und mehr auf Form und Charakter sah ; doch endlich , durch das fortwährende Pinseln , geriet ich hinter das Geheimnis , und nun fertigte ich in einem fixen Jargon eine Menge Tuschzeichnungen an , ein Blatt ums andere .
Schon sah ich nur auf die Zahl des Gemachten und hatte meine Freude an der anschwellenden Mappe ; kaum daß bei meiner Wahl die wirkungsvollsten und auffallendsten Gegenstände mir noch eine weitere Teilnahme abgewannen .
So war , noch ehe der erste Winter ganz zu Ende , meines Lehrers Vorrat an Vorlagen von mir beinahe durchgemacht , und zwar auf eine Weise , wie er selbst ungefähr konnte ; denn nachdem ich einmal die Handgriffe und Mittel einer sorgfältigen und reinlichen Behandlung gemerkt , erstieg ich bald den Grad geläufiger Pinselei , welchen der Meister selbst innehatte , um so schneller , als ich in dem wahren Wesen und Verständnis gänzlich zurückblieb .
Habesaat war daher schon nach dem ersten halben Jahre in einiger Verlegenheit , was er mir vorlegen sollte , da er mich aus Sorge für sich selbst nicht schon in seine ganze Kunst einweihen mochte ; denn er hatte nur noch seine Behandlung der Wasserfarben im Hinterhalte , welche , wie er sie verstand , ebenfalls keine Hexerei war .
Weil Nachdenken und geistige Gewissenhaftigkeit im Refektorium nicht gekannt waren , so bestand alles Können in demselben aus einer bald erworbenen leeren Äußerlichkeit .
Doch fand ich selbst einen Ausweg , als ich erklärte , eine kleine Sammlung großer Kupferstiche mit meinem Tuschpinsel vornehmen zu wollen .
Er besaß in derselben etwa sechs schöne Blätter , nach Claude Lorrain gestochen , zwei große Felsenlandschaften mit Banditen nach Salvator Rosa und einige Stiche nach Ruisdael und Verdingen .
Diese Sachen kopierte ich der Reihe nach in meiner geläufigen frechen Manier .
Die Claudes und Rosas gerieten nicht so übel , da sie , abgesehen davon , daß sie selbst etwas konventionell gestochen waren , auch sonst mehr in symbolischen und breiten Formen sich darstellten ; die feinen und natürlichen Niederländer hingegen zerarbeitete ich auf eine greuliche Weise , und niemand sah diese Lasterhaftigkeit ein .
Doch legte sich durch diese Arbeit in mir ein Grund edlerer Anschauung , und die schönen und durchdachten Formen , die ich vor mir hatte , hielten dem übrigen Treiben ein wohltätiges Gegengewicht und ließen die Ahnung des Besseren nie ganz in mir verlöschen .
Auf der anderen Seite aber heftete sich an die Errungenschaft sogleich wieder ein Nachteil , indem sich die alte voreilige Erfindungslust regte und ich , durch die einfache Größe der klassischen Gegenstände verführt , zu Hause anfing , selber dergleichen Landschaftsbilder zu entwerfen , und diese Tätigkeit bald in der eigentlichen Arbeitszeit bei dem Meister fortsetzte , meine Entwürfe in anspruchsvollem Format mit der eingelernten Fertigkeit ausführend .
Herr Habesaat hinderte mich in diesem Tun nicht , sondern sah es vielmehr gern , da es ihn der weiteren Sorge um zweckdienliche Vorbilder enthob ; er begleitete die ungeheuerlichen und unreifen Gedanken , welche ich zutage brachte , mit ansehnlichen Redensarten von Komposition , historischer Landschaft und dergleichen , und das alles brachte ein gelehrtes Element in seine Werkstatt , daß ich bald für einen Teufelsburschen galt und auch die lustigen Aussichten der Zukunft , Reise nach Italien , Rom , große Ölbilder und Kartons , was man mir alles vormalte , geschmeichelt hinnahm .
Doch überhob ich mich nicht in diesen Dingen , sondern lebte in Eintracht und Schelmerei mit meinen jungen Genossen und war oft froh , das ewige Sitzen unterbrechen zu können , indem ich ihnen , die zugleich der Hausfrau untertänig waren , einen Haufen Brennholz unter Dach bringen half .
Überhaupt drängte sich die Frau , eine zungenfertige und streitbare Dame , mit Hauswesen und Familiengeschichten , Kind und Magd häufig in das Refektorium und machte es zum Schauplatze heißentbrannter Kämpfe , in welche nicht selten die ganze Mannschaft verwickelt wurde .
Dann stand der Mann an der Spitze einer ihm ergebenen Gruppe der Frau gegenüber , welche mit mächtigem Geräusche vor ihrem Anhing sich aufstellte und nicht eher abzog , als bis sie alles niedergesprochen hatte , was sich ihr entgegensetzte ; manchmal befand sich auch das Ehepaar zusammen gegen das ganze übrige Haus im Streite , oft auch begann der Kupferstecher oder der Lithograph eine drohende Bewegung als Vasall , indessen die gemeinen Sklavenempörungen der Koloristen mit Macht niedergeschlagen wurden .
Ich selbst kam mehr als einmal in gefährliche Lage , indem mich die heftigen Szenen belustigten und ich dies zu unvorsichtig kundgab und zum Beispiel einst eine solche theatralisch nachbildete und in dem halbverfallenen Kreuzgange des Hauses mit den jungen Malern zur Aufführung brachte .
Denn obgleich ich um diese Zeit empfänglich und geneigt gewesen wäre , ein feines und reinstrebendes Leben zu fahren , da während der schönen Tage auf dem Lande ein starkes Ahnen in mir erwacht war , so sah ich mich doch , von entsprechendem Verkehr entblößt , an das derbe Treiben des Refektoriums gewiesen und machte allen Unfug getreulich und lebhaft mit , weil ich des Umganges und der Mitteilung bedurfte und am wenigsten mich auf weise Zurückhaltung und halbe Teilnahme verstand .
Daß aber das Heulen mit den Wölfen mir nicht Schaden tat , wie ich glaube , verhütete der freundliche Stern Anna , der immer in meiner Seele aufging , sobald ich in dem Hause meiner Mutter oder auf einsamen Gängen wieder allein war .
An sie knüpfte ich alles , wessen ich , über den Tag hinaus bedurfte , und sie war das stille Licht , welches das verdunkelte Herz jeden Abend erleuchtete , wenn die Sonne niederging , und in der erhellten Brust wurde mir dann immer auch unser gute Freund , der liebe Gott , sichtbar , der um diese Zeit mit erhöhter Klarheit begann , seine ewigen Rechte auch an mir geltend zu machen .
Ich hatte , nach Büchern herumspürend , einen Roman des Jean Paul in die Hände bekommen .
In demselben schien mir plötzlich alles tröstend und erfüllend entgegenzutreten , was ich bisher gewollt und gesucht oder unruhig und dunkel empfunden .
Diese Herrlichkeit machte mich stutzen , dies schien mir das Wahre und Rechte !
Und inmitten der Abendröten und Regenbogen , der Lilienwälder und Sternensaaten , der rauschenden und blitzenden Gewitter , inmitten all des Feuerwerkes der Höhe und Tiefe , in diesen saumlosen schillernden Weltmantel gehüllt der Unendliche , groß , aber voll Liebe , heilig , aber ein Gott des Lächelns und des Scherzes , furchtbar von Gewalt , doch sich schmiegend und bergend in eine Kinderbrust , hervorguckend aus einem Kindesauge wie das Osterhäschen aus Blumen !
Das war ein anderer Herr und Gönner als der silbenstecherische Patron im Katechismus !
Früher hatte ich dergleichen etwas geträumt , die Ohren hatten mir geläutet , nun ging mir ein Morgen auf in den langen Winternächten , welche hindurch ich an dreimal zwölf Bände des Propheten las .
Und als der Frühling kam und die Nächte kürzer wurden , las ich von neuem in den köstlichen Morgen hinein und gewöhnte mir darüber an , lange im Bette zu liegen und am hellen Tage , die Wange auf dem geliebten Buche , den Schlaf des Gerechten zu schlafen .
Wenn ich dann erwachte und endlich doch an die Arbeit ging , war ich von einem Geiste träumerischer Willkür und Schrankenlosigkeit besessen , der noch bedenklicher war als die früheren Auflehnungen .
Sechstes Kapitel Schwindelhabe Als der Frühling kam , welchen ich voll Ungeduld erwartet hatte , begab ich mich in den ersten warmen Tagen ins Freie , ausgerüstet mit der erworbenen Fertigkeit , um an die Stelle der papiernen Vorbilder die Natur selbst zu setzen .
Das Refektorium sah voll Achtung und mit geheimem Neide auf meine umständlichen Zurüstungen ; denn es war das erste Mal , daß eines seiner Mitglieder die Sache so großartig betrieb , und das Zeichnen " nach der Natur " war bisher ein wunderbarer Mythos gewesen .
Ich selbst ging nicht mehr mit der unverschämten , aber gutgemeinten Zutraulichkeit des letzten Sommers vor die runden , körperlichen und sonnebeleuchteten Gegenstände der Natur , sondern mit einer weit gefährlicheren und selbstgefälligen Borniertheit .
Denn was mir nicht klar war oder zu schwierig er schien , das warf ich , mich selbst betrügend , durcheinander und verhüllte es mit meiner unseligen Pinselgewandtheit , da ich , an statt bescheiden mit dem Stifte anzufangen , sogleich mit den angewöhnten Tuschschalen , Wasserglas und Pinsel hinausging und bestrebt war , ganze Blätter in allen vier Ecken bildartig anzufüllen .
Ich ergriff entweder ganze Aussichten mit See und Gebirgen oder ging im Walde den Bergbächen nach , wo ich eine Menge kleiner und hübscher Wasserfälle fand , welche sich ansehnlich zwischen vier Striche einrahmen ließen .
Das lebendige und zarte Spiel des Wassers im Fallen , Schäumen und eiligen Weiterfließen , seine Durchsichtigkeit und tausendfältige Widerspiegelung ergötzte mich , aber ich bannte es in die plumpen Formeln meiner Virtuosität , daß Leben und Glanz verlorengingen , während meine Mittel nicht hinreichten , das bewegliche Wesen wiederzugeben .
Leichter hätte ich die mannigfaltigen Steine und Felstrümmer der Bäche , in reicher Unordnung übereinandergeworfen , beherrschen können , wenn nicht mein künstlerisches Gewissen verdunkelt gewesen wäre .
Wohl regte sich dieses oft mahnend , wenn ich perspektivische Feinheiten und Verkürzungen der Steine , trotzdem daß ich sie sah und fühlte , überging und verhudelte , statt den bedeutenden Formen nachzugehen , mit der Selbstentschuldigung , daß es auf diese oder jene Fläche nicht ankomme und die zufällige Natur ja auch so aussehen könnte , wie ich sie darstellte ; allein die ganze Weise meines Arbeitens ließ solche Gewissensbisse nicht zur Geltung kommen , und der Meister , wenn ich ihm meine Machwerke vorzeigte , war nicht darauf eingerichtet , der fehlenden Naturwahrheit nachzuspüren , die sich gerade in den vernachlässigten Zügen hätte zeigen sollen ; sondern er beurteilte die Sachen immer von seiner Stubenkunst aus .
Abgesehen von seinem Grundsatze der Reinlichkeit und Durchsichtigkeit des Vortrages hegte er nur noch eine einzige Tradition , die er mir zu überliefern für angemessen hielt , nämlich die des Sonderbaren und Krankhaften , was mit dem Malerischen verwechselt wurde .
Er ermunterte mich , hohle , zerrissene Weidenstrünke , verwitterte Bäume und abenteuerliche Felsgespenster aufzusuchen mit den bunten Farben der Fäulnis und des Zerfalles , und pries mir diese Dinge als interessante Gegenstände an .
Das sagte mir sehr zu , indem es meine Phantasie reizte , und ich begab mich eifrig auf die Jagd nach solchen Erscheinungen .
Doch die Natur bot sie mir nur spärlich , sich einer volleren Gesundheit erfreuend , als mit meinen Wünschen verträglich war , und was ich an unglücklichem Gewächse vorfand , das wurde meinen überreizten Augen bald zu blöde und harmlos , wie einem Trinker , der nach immer stärkerem Schnapse verlangt .
Das blühende Leben in Berg und Wald fing daher an , mir gleichgültig zu werden im einzelnen , und ich streifte vom Morgen bis zum Abend in der Wildnis umher .
Ich drang immer tiefer in bisher nicht gesehene Winkel und Gründe ; fand ich eine recht abgelegene und geheimnisvolle Stelle , so ließ ich mich , dort nieder und fertigte rasch eine Zeichnung eigener Erfindung an , um ein Produkt nach Hause zu bringen .
In derselben häufte ich die seltsamsten Gebilde zusammen , die meine Phantasie hervorzutreiben vermochte , indem ich die bisher wahrgenommenen Eigentümlichkeiten der Natur mit meiner erlangten Fertigkeit verschmolz und so Dinge hervorbrachte , die ich Herrn Habesaat als in der Natur bestehend vorlegte und aus denen er nicht klug werden konnte .
Er gratulierte mir zu meinen Entdeckungen und fand seine Aussprüche über meinen Eifer und mein Talent bestätigt , da ich hiermit beweise , daß ich unverkennbar ein scharfes und glückliches Auge für das Malerische hätte und Dinge auffände , an welchen tausend andere vorübergingen .
Diese gutmütige Täuschung erweckte mir eine üble Lust , dergleichen fortzusetzen und es förmlich darauf anzulegen , den guten Mann zu hintergehen .
Ich erfand , irgendwo im Dunkel des Waldes sitzend , immer tollere und mutwilligere Fratzen von Felsen und Bäumen und freute mich im voraus , daß sie mein Lehrer für wahr und in nächster Umgegend vorhanden erachten würde .
Doch mag es mir zu einiger Entschuldigung gereichen , daß ich in alten Kupferblättern , zum Beispiel von Swanefeldt , die abenteuerlichsten Formationen als löbliche Meisterwerke vorgebildet sah und selbst der guten Meinung lebte , dieses sei das Wahre und immerhin eine treffliche Übung .
Denn schon waren die edlen und gesunden Formen Claude Lorrains im flüchtigen Jugendgemüte wieder unter die Oberfläche getreten .
Während der Winterabende war im Refektorium etwas Figurenzeichnen getrieben worden , und ich hatte mir , als ich eine Menge radierter bekleideter Staffagefiguren kopierte , einige oberflächliche Übung im Entwerfen solcher erworben .
So erfand ich nun zu meinen wunderlichen Landschaftsstudien noch viel wunderlichere Menschen , zerlumpte Kerle , die ich dem Refektorium zutrug , um ein tüchtiges Gelächter einzuheimsen .
Es war ein nichtsnutziges und verrücktes Geschlecht , welches in Verbindung mit der seltsamen Lokalität eine Welt bildete , die nur in meinem Gehirne vorhanden war und endlich doch meinem Vorgesetzten verdächtig wurde .
Doch bemerkte er nicht viel hierüber , sondern ließ mich meine Wege gehen , da ihm einerseits das frische Gemüt mangelte , um den Ränken meines Treibens nachzuspüren und mich darüber zu ertappen , und andererseits die Überlegenheit des eigenen Wissens .
Diese beiden Vermögen bilden ja das Geheimnis aller Erziehung unverwischte lebendige Jugendlichkeit , welche allein die Jugend kennt und durchdringt , und die sichere Überlegenheit der Person in allen Fällen .
Eines kann oft das andere zur Notdurft ersetzen , wo aber beide fehlen , da ist die Jugend eine verschlossene Muschel in der Hand des Lehrers , die er nur durch Zertrümmerung öffnen kann .
Beide Eigenschaften gehen aber nur aus einem und demselben letzten Grunde hervor aus unbedingter Ehrlichkeit , Reinheit und Unbefangenheit des Bewußtseins .
Der Sommer war nun auf seine volle Höhe geschritten , als ich meinem geheimen Verlangen nach der anderen Heimat , dem entlegenen Dorflande , nachgab und mit meinen Siebensachen hinauszog .
Die Mutter blieb wieder zurück in entsagender Unbeweglichkeit und Selbstbeschränkung , ungeachtet aller freundlichen Aufforderungen , die Wohnung doch ganz zu schließen und wieder einmal an den Orten ihrer Jugend sich zu ergehen .
Ich aber führte die umfangreichen Früchte meiner zwischenweiligen Tätigkeit mit mir , da ich mittels derselben ein günstiges Aufsehen zu erregen gedachte .
Die zahlreichen , kräftig geschwärzten Blätter verursachten im Hause meines Oheims allerdings einige Verwunderung , und im allgemeinen sah man die Sache mit ziemlichem Respekt an ; als jedoch der Oheim die Zeichnungen betrachtete , welche ich nach der Natur gefertigt haben wollte ( denn ich glaubte als eine Art Münchhausen nachgerade selbst daran , vorzüglich weil die Sachen doch unter freiem Himmel entstanden waren ) , da schüttelte er bedenklich den Kopf und wunderte sich , wo ich denn meine Augen gehabt hätte .
In seinem realistischen Sinne , als Land-und Forstmann , fand er trotz aller Unkunde in Kunstdingen den Fehler schnell und leicht heraus .
" Diese Bäume " , sagte er , " sehen ja einer dem anderen ähnlich und alle zusammen gar keinem wirklichen !
Diese Felsen und Steine könnten keinen Augenblick so aufeinanderliegen , ohne zusammenzufallen !
Hier ist ein Wasserfall , dessen Maße einen der größeren Fälle verkündet , die aber über kleinliche Bachsteine stürzt , als ob ein Regiment Soldaten über einen Span stolperte ; hierzu wäre eine tüchtige Felswand erforderlich ; indessen nimmt es mich eigentlich Wunder , wo zum Teufel in der Nähe der Stadt ein solcher Fall zu finden ist !
Dann möchte ich auch wissen , was an solchen verfaulten Weidenstöcken Zeichnenswertes ist , da dünkte mich doch eine gesunde Eiche oder Buche erbaulicher " usw .
Die Frauensleute hingegen ärgerten sich über meine Vagabunden , Kesselflicker und Fratzengesichter und begriffen nicht , warum ich im Felde nicht lieber ein artiges vorübergehendes Landmädchen oder einen anständigen Ackersmann abgebildet habe , als mich fortwährend mit solchen Unholden zu beschäftigen ; die Söhne belachten meine ungeheuerlichen Berghöhlen , die unmöglichen und lächerlichen Brücken , die menschenähnlichen Steinköpfe und Baumkrüppel und gaben jeder solchen Tollheit einen lustigen Namen , dessen Lächerlichkeit auf mich zu fallen schien .
Ich stand beschämt da als ein Mensch , der voll närrischer und eitler Dinge ist , und die mitgebrachte künstliche Krankhaftigkeit verkroch sich vor der einfachen Gesundheit dieses Hauses und der ländlichen Luft .
Gleich am ersten Tage nach meiner Ankunft stellte mir der Oheim , um mich wieder auf eine reale Bahn zu leiten , die Aufgabe , seine Besitzung , Haus , Garten und Bäume , genau und bedächtig zu zeichnen und ein getreues Bild davon zu entwerfen .
Er machte mich aufmerksam auf alle Eigentümlichkeiten und auf das , was er besonders hervorgehoben wünschte , und wenn seine Andeutungen auch eher dem Bedürfnisse eines rüstigen Besitzers als demjenigen eines Kunstverständigen entsprachen , so wurde ich doch dadurch genötigt , die Gegenstände wieder einmal genau anzusehen und in allen ihren eigentümlichen Oberflächen zu verfolgen .
Die allereinfachsten Dinge am Hause selbst , sogar die Ziegel auf dem Dache , gaben mir nun wieder mehr zu schaffen , als ich je gedacht hatte , und veranlaßten mich , auch die umstehenden Bäume in gleicher Weise gewissenhafter zu zeichnen ; ich lernte die aufrichtige Arbeit und Mühe wieder kennen , und indem darüber eine Arbeit entstand , die mich in ihrer anspruchlosen Durchgeführtheit selbst unendlich mehr befriedigte als die marktschreierischen Produkte der jüngsten Zeit , erwarb ich mir mit saurer Mühe den Sinn des Schlichten , aber Wahren .
Inzwischen erfreute ich mich des Wiederfindens alles dessen , was ich im letzten Jahre hier verlassen , beobachtete alle Veränderungen , welche etwa vorgefallen , und harrte im stillen auf den Augenblick , wo ich Anna wiedersehen oder wenigstens zuerst ihren Namen hören würde .
Aber schon waren einige Tage verflossen , ohne daß die geringste Erwähnung fiel , und je länger dies andauerte , desto minder brachte ich die Frage nach ihr hervor .
Man schien sie völlig vergessen zu haben , als wäre sie niemals dagewesen , und , was mich innerlich kränkte , niemand schien im geringsten zu ahnen , daß ich irgendeine Berechtigung oder ein Bedürfnis besitzen könnte , von ihr zu hören .
Wohl ging ich halbwegs Über den Berg oder in den Schatten des Flußtales , allein jedesmal kehrte ich plötzlich um , aus unerklärlicher Furcht , ihr zu begegnen .
Ich ging auf den Kirchhof und stand an dem Grabe der Großmutter , welche nun schon seit einem Jahre in der Erde lag ; aber die Luft war windstill vom Gedächtnisse Annas , die Gräser begehrten nichts von ihr zu wissen , die Blumen flüsterten nicht ihren Namen , Berg und Tal schwiegen von ihr , nur mein Herz tönte ihn laut hinaus in die undankbare Stille .
Endlich wurde ich gefragt , warum ich den Schulmeister nicht besuche ? und da ergab es sich zufällig , daß Anna schon seit einem halben Jahre nicht mehr im Lande sei und daß man meine Kunde hierüber vorausgesetzt habe .
Ihr Vater hatte , in seiner steten Sehnsucht nach Bildung und Feinheit der Seele und in Betracht , daß nach seinem Tode sein Kind , das einmal für eine Bäuerin zu zart sei , verlassen in der rauhen dörflichen Umgebung bleiben würde , sich plötzlich entschlossen , Anna in eine Bildungsanstalt der französischen Schweiz zu bringen , wo sie sich bessere Kenntnisse und Selbständigkeit des Geistes erwerben sollte .
Er ließ sich , als sie ihre Abneigung dagegen aussprach , durch ihre Tränen nicht erweichen , allein auf die Befriedigung seiner Wünsche bedacht , und begleitete das ungern scheidende Kind in das Haus des fernen , vornehm-religiösen Erziehers , wo sie nun noch wenigstens ein volles Jahr zu bleiben hatte .
Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag aus blauem Himmel .
Ich ging nun alle Tage zu ihrem Vater , begleitete ihn auf seinen Wegen und hörte von ihr sprechen ; oft blieb ich mehrere Tage dort , alsdann wohnte ich in ihrem Kämmerchen , wagte mich jedoch fast nicht zu rühren darin und betrachtete die wenigen einfachen Gegenstände , welche es enthielt , mit heiliger Scheu .
Es war klein und enge ; die Abendsonne und der Mondschein füllten es immer ganz aus , daß kein dunkler Punkt darin blieb und es bei jener wie ein rotgoldenes , bei diesem wie ein silbernes Juwelenkästchen aussah , dessen Kleinod ich nicht verfehlte mir hineinzudenken .
Wenn ich nach malerischen Gegenständen umherstreifte , so suchte ich vorzüglich die Stellen auf , wo ich mit Anna geweilt hatte ; so war die geheimnisvolle Felswand am Wasser , wo ich mit ihr geruht und jene Erscheinung gesehen , schon von mir gezeichnet worden , und ich , konnte mich nun nicht enthalten , auf der schneeweißen Wand des Kämmerchens ein sauberes Viereck zu ziehen und das Bild mit der Heidenstube , so gut ich konnte , hineinzumalen .
Dies sollte ein stiller Gruß für sie sein und ihr später bezeugen , wie beständig ich an sie gedacht .
Diese fortwährende Erinnerung an sie und ihre Abwesenheit machten mich insgeheim immer kecker und vertraulicher mit ihrem Bilde ; ich begann lange Liebesbriefe an sie zu schreiben , die ich zuerst verbrannte , dann aufbewahrte , und zuletzt wurde ich so verwegen , alles , was ich für Anna fühlte , auf ein offenes Blatt zu schreiben , in den heftigsten Ausdrücken , mit Vorsetzung ihres vollen Namens und Unterschrift des meinigen , und dies Blatt auf das Flüßchen zu legen , das es vor aller Welt hinabtrieb , dem Rheine und dem Meere zu , wie ich kindischerweise dachte .
Ich kämpfte lange mit diesem Vorsatze , allein ich unterlag zuletzt ; denn es war eine befreiende Tat für mich und ein Bekenntnis meines Geheimnisses , wobei ich freilich voraussetzte , daß es in nächster Nähe niemand finden würde .
Ich sah , wie es gemächlich von Welle zu Welle schlüpfte , hier von einer überhängenden Staude aufgehalten wurde , dann lange an einer Blume hing , bis es sich nach langem Besinnen losriß ; zuletzt kam es in Schuß und schwamm flott dahin , daß ich es aus den Augen verlor .
Allein der Brief mußte unterwegs doch wieder irgendwo gesäumt haben , denn erst tief in der Nacht gelangte er zu der Felswand der Heidenstube , an die Brust einer badenden Frau , welche niemand anders als Judith war , die ihn auffing , las und aufbewahrte .
Dies erfuhr ich erst später , denn während meines jetzigen Aufenthaltes im Dorfe ging ich nie in ihr Haus und vermied den Weg desselben sorgfältig .
Das Jahr , um welches ich älter geworden , ließ mich mit Beschämung auf das vertrauliche Verhältnis von früher zurückblicken und flößte mir eine trotzige Scheu ein vor der kräftigen und stolzen Gestalt ; ich verbarg mich , ohne zu grüßen , rasch , als sie einmal am Hause vorüberging , und sah ihr doch neugierig nach , wenn ich sie von fern durch Gärten und Kornfelder schreiten sah .
Siebentes Kapitel Fortsetzung des Schwindelhaberes Ich kehrte diesmal früher nach der Stadt zurück , mit einer tiefen Sehnsucht im Gemüte , welche sich nun gänzlich ausgebildet hatte und alles umfaßte , was mir fehlte und was ich in der Welt doch als vorhanden ahnte .
Mein Lehrer führte mich jetzt auf die letzten Stufen seiner Kunst , indem er mir die Behandlung seiner Wasserfarben mitteilte und mich mit aller Strenge zu deren sauberer und flinker Anwendung anhielt .
Da jedoch die Natur wieder nicht in Frage kam , so lernte ich bald gefärbte Zeichnungen hervorbringen , wie sie ungefähr im Hause verlangt wurden , und ehe das zweite bedungene Jahr zu Ende war , sah ich nicht viel mehr zu lernen , ohne doch etwas Rechtes zu können .
Ich langweilte mich in dem alten Kloster und blieb wochenlang zu Hause , um dort zu lesen oder Arbeiten zu beginnen , die ich vor dem Meister verbarg .
Dieser suchte meine Mutter auf , beschwerte sich über meine Zerstreutheit , rühmte meine Fortschritte und schlug vor , ich sollte nun in ein anderes Verhältnis zu ihm treten , in seinem Geschäfte für ihn arbeiten , fleißig und pünktlich , aber gegen Entschädigung .
Es sei dies , erklärte er , das zweite Stadium , wo ich , indessen ich mich vorläufig immer mehr ausbilde , mich an vorsichtige Arbeit gewöhnen und zugleich Ersparnisse machen könne , um in einigen Jahren in die Welt zu gehen , wozu es doch noch zu früh sei .
Er versicherte , daß es nicht die Schlechtesten unter den berühmten Künstlern wären , welche sich durch jahrelange anspruchlosere Arbeit endlich auf die Höhe der Kunst geschwungen , und eine mühevolle und bescheidene Betriebsamkeit dieser Art lege manchmal einen tüchtigeren Grund zur Ausdauer und Unabhängigkeit als eine vornehme und ausschließliche Künstlererziehung .
Er habe , sagte er , talentvolle Söhne reicher Eltern gekannt , die es nur deswegen zu nichts gebracht hätten , weil sie nie zu Selbsthilfe und raschem Erwerbe gezwungen gewesen und in ewiger Selbstverhätschelung , falschem Stolze und Sprödigkeit sich verloren hätten .
Diese Worte waren sehr verständig , obgleich sie auf einigem Eigennutz beruhen mochten ; allein sie fanden keinen Anklang bei mir .
Ich verabscheute jeden Gedanken an Tagelohn und kleine Industrie und wollte allein auf dem geraden Wege ans Ziel gelangen .
Das Refektorium erschien mir mit jedem Tage mehr als ein Hindernis und eine Beengung ; ich sehnte mich danach , in unserem Hause mir eine stille Werkstatt einzurichten und mir selbst zu helfen , so gut es ginge ; und eines Morgens verabschiedete ich mich , noch vor Beendigung meiner Lehrzeit , bei Herrn Habesaat und erklärte der Mutter , ich würde nun zu Hause arbeiten ; wenn sie verlange , daß ich etwas verdienen solle , so könne ich dies auch ohne ihn tun , zu lernen wüßte ich nichts mehr bei ihm .
Vergnügt und hoffnungsvoll schlug ich meinen Sitz zuoberst im Hause auf , in einer Dachkammer , welche über einen Teil der Stadt weg weit nach Norden hin sah , deren Fenster am frühen Morgen und am Abend den ersten und letzten Sonnenblick auffingen .
Es war mir eine ebenso wichtige als angenehme Arbeit , hier eine eigene Welt zu schaffen , und ich brachte mehrere Tage mit der Einrichtung der Kammer zu .
Die runden Fensterscheiben wurden klar gewaschen , vor dieselben auf ein breites Blumenbrett ein kleiner Garten gepflanzt .
Die geweißten Wände behing ich teils mit Kupferstichen und solchen Zeichnungen , welche irgendeinen abenteuerlichen Knalleffekt enthielten , teils zeichnete ich mit Kohle seltsame Masken oder schrieb Lieblingssprüche und gewaltsame Verse , die mir imponiert hatten , darauf .
Ich stellte die ältesten und ehrwürdigsten unserer Geräte hinein , schleppte herzu , was nur irgend einem Buche gleichsah , und türmte es auf die gebräunten Möbeln ; die verschiedensten Gegenstände häuften sich nach und nach an und vermehrten den malerischen Eindruck ; in der Mitte aber wurde eine Staffelei aufgepflanzt , das Ziel meiner langen Wünsche .
Ich war nun ganz mir selbst überlassen , vollkommen frei und unabhängig , ohne die mindeste Einwirkung und ohne Vorbild noch Vorschrift .
Ich knüpfte abwechselnden Verkehr an mit jungen Leuten , an denen mich ein verwandter Hang oder ein freundliches Eingehen anzog , am liebsten mit ehemaligen Schulgenossen , die in der Zeit ihre Studien fortsetzten und mir , mich in meiner Klause besuchend , getreulich Bericht erstatteten von ihren Fortschritten und von allem , was in den Schulen vorkam .
Diese Gelegenheit benutzte ich , noch ein und andere Brocken aufzuschnappen , und sah öfter schmerzlich durch die verschlossenen Gitter in den reichen Garten der reiferen Jugendbildung , erst jetzt recht fühlend , was ich verloren .
Doch lernte ich durch meine Freunde manches Buch und manchen Anknüpfungspunkt kennen , von wo aus ich weitertappte am dürftigen Faden , und das Gefundene verschmelzend mit dem phantastischen Wesen meiner Abgeschiedenheit , gefiel ich mir in einer komischen , höchst unschuldigen Gelehrsamkeit , welche meine Beschäftigungen seltsam bereicherte und vermehrte .
Ich schrieb am frühen stillen Morgen oder in später Nacht hochtrabende Aufsätze , begeisterte Schilderungen und Ausrufungen und war besonders eitel auf tiefsinnige Aphorismen , die ich , mit Zeichnungen und Schnörkeleien vermischt , in Tagebüchern anbrachte .
So glich meine Zelle dem Küchenwinkel eines Alchimisten , auf dessen Herd ein ringendes Leben gebraut wurde .
Das Anmutige und Gesunde und das Verzerrte und Sonderbare , Maß und Willkür brodelten durcheinander und mischten sich oder schieden sich in Lichtblicken aus .
Und ungeachtet meines äußerlich stillen Lebens trat doch manche frühe Trübung hinzu , welche mich sorgenvoll oder leidenschaftlich bewegte .
Ich hatte um die Zeit einen feurigen und lebhaften Freund , welcher meine Neigungen stärker teilte als alle anderen Bekannten , viel mit mir zeichnete und poetisch schwärmte und , da er noch die Schulen besuchte , reichlichen Stoff von da in meine Kammer brachte .
Zugleich war er lebenslustig und trieb sich ebensooft mit flotten Leuten in Wirtshäusern herum , von deren Herrlichkeiten und energischen Gelagen er mir dann erzählte .
Ich blieb meistens wehmütig zu Hause , da mich meine Mutter in dieser Beziehung äußerst knapp hielt und keine Notwendigkeit einer geringsten Ausgabe solcher Art einsah .
Darum schaute ich dem froh sich Herumtummelnden nach wie ein gefangener Vogel einem in der Höhe fliegenden und träumte von der Freiheit einer glänzenden Zukunft , wo ich eine Zierde der Zechgelage zu werden mir vornahm .
Inzwischen aber mißbilligte ich , wie der Fuchs , dem die Trauben zu sauer sind , öfter die Wildheit meines Freundes und suchte ihn mehr an meine stille Wohnung zu fesseln .
Dies verursachte manche Mißstimmung zwischen uns , und ich freute mich endlich innerlich seiner Abreise in die Ferne , welche zu einem feurigen Briefwechsel die willkommene Gelegenheit gab .
Wir erhoben nun unser Verhältnis zu einer idealen Freundschaft , nicht getrübt von dem persönlichen Zusammensein , und boten in regelmäßigen Briefen die ganze Beredsamkeit jugendlicher Begeisterung auf .
Nicht ohne Selbstzufriedenheit suchte ich meine Episteln so schön und schwungreich als immer möglich zu schreiben , und es kostete mich Übung , meine unerfahrene Philosophie einigermaßen in Form und Zusammenhäng zu bringen .
Leichter wurde es , einen Teil der Briefe in ein Gewand ausschweifender Phantasie zu hüllen und mit dem meinem Jean Paul nachgemachten Humor zu verbrämen ; allein wie sehr ich mich auch erhitzte und allen meinen Eifer aufbot , so übertrafen die Antworten des Freundes dieses alles jedesmal sowohl an reiferen und gediegenen Gedanken als an wirklichem Witze , der beschämend das Schreiende und Unruhige meiner Ergüsse hervorhob .
Ich bewunderte meinen Freund , war stolz auf ihn und nahm mich , doppelt zusammen , indem ich mich an seinen Briefen bildete , würdige und ebenbürtige Sendungen aufzubringen .
Doch je mehr ich mich erhob , um so höher und unerreichbarer wich er zurück , wie ein glänzendes Luftbild , welches ich fruchtlos zu ergreifen strebte .
Dazu trugen seine Gedanken die abwechselndsten Farben gleich dem ewigen Meere , ebenso reizend launenhaft und überraschend und ebenso reich an Quellen , die aus der Tiefe , von Gebirgen herab und vom Himmel zugleich zu strömen schienen ; ich staunte den fernen Genossen an wie eine geheimnisvolle großartige Erscheinung , deren herrliche Entwicklung von Tag zu Tage Größeres versprach , und rüstete mich mit Bangen , an ihrer Seite ins Leben hinaus möglichst Schritt zu halten .
Da fiel mir eines Tages Zimmermanns Buch über die Einsamkeit in die Hände , von welchem ich schon viel gehört und das ich deshalb nun mit doppelter Begierde las , bis ich auf die Stelle traf , welche anfängt :
" Auf deiner Studierstube möchte ich dich festhalten , o Jüngling ! " , Jedes Wort wurde mir bekannter , und endlich fand ich einen der ersten Briefe meines Freundes hier wortgetreu abgeschrieben .
Bald darauf entdeckte ich einen anderen Brief in Diderots unmaßgeblichen Gedanken über die Zeichnung , welche ich bei einem Antiquar erworben , und fand so die Quelle jener Schärfe und Klarheit , die mich so erregt hatten .
Und wie lange säumende Ereignisse und Zufälle plötzlich haufenweise zutage treten , so trat nun rasch eine Entdeckung nach der anderen hervor und enthüllte eine seltsame Mystifikation .
Ich fand Stellen aus Rousseau wie aus dem Werther , aus Sterne und Hippel sowohl wie aus Lessing , glänzende Gedichte aus Byron und Heine in briefliche Prosa umgewandelt , sogar Aussprüche tiefsinniger Philosophen , die , unverstanden , mich mit Achtung vor dem Freunde erfüllten .
Mit solchen Sternen hatte ich ohnmächtig gerungen ; ich war wie vom Blitz getroffen , ich sah im Geiste meinen Freund über mich lachen und konnte mir seine Handlungsweise nur durch eigenen Unwert erklären .
Doch fühlte ich mich schmerzlich beleidigt und schrieb nach einigem Schweigen einen anzüglichen Brief , mittels dessen ich seine angemaßte geistige Herrschaft abzuwerfen , doch nicht unsere Freundschaft aufzuheben , vielmehr ihn zu treuer Wahrheit zurückzufahren gedachte .
Allein mein verletzter Ehrgeiz ließ mich zu heftige und spitze Ausdrücke wählen ; mein Gegner hatte sich nicht über mich lustig machen , sondern nur mit wenig Mühe meinem Eifer die Waage halten wollen , wie er sich auch nachher , in ernsteren Dingen , immer mit solchen Mitteln zu helfen suchte , obgleich er die Talente zu wirklichem Streben in vollem Maße und daher auch Selbstgefühl besaß .
So kam es , daß er , um seine Verlegenheit zu bedecken und ärgerlich über meine Auflehnung , noch gereizter und beleidigter antwortete .
Es stieg ein mächtiges Zorngewitter zwischen uns auf ; wir schalten uns rücksichtslos , und je mehr wir uns zugetan gewesen , mit desto mehr Aufwand an tragischen Worten kündeten wir uns die Freundschaft auf und bestrebten uns blindlings , jeder der erste zu sein , der den anderen aus seinem Gedächtnis verbanne !
Aber nicht nur seine , sondern auch meine eigenen harten Worte schnitten mir ins Herz ; ich trauerte mehrere Tage lang , indessen ich den Geschiedenen zu gleicher Zeit noch achtete , liebte und haßte ; ich empfand nun zum zweiten Male , in vorgerücktem Alter , das Weh beim Brechen einer Freundschaft , aber um so schmerzlicher , als das Verhältnis edler gewesen war Daß mir nur die Possen wiedervergolten worden , die ich meinem Lehrer Habesaat mit jenen schwindelhaften Naturstudien gespielt hatte , daran dachte ich nicht im Traume .
Achtes Kapitel Wiederum Frühling Der Frühling war gekommen ; Schlüsselblümchen und Veilchen waren im erstarkten Grase verschwunden , niemand beachtete ihre kleinen Früchtchen .
Hingegen breiteten sich Anemonen und die blauen Sterne des Immergrün um die lichten Stämme junger Birken aus , am Eingange der Gehölze ; die Lenzsonne durchschaute und überschien die Räumlichkeiten zwischen den Bäumen ; denn noch war es hell und geräumig , wie in dem Hause eines Gelehrten , dessen Liebste dasselbe in Ordnung gebracht und aufgeputzt hat , ehe er von einer Reise zurück kommt und bald alles in die alte tolle Verwirrung versetzt .
Bescheiden und abgemessen nahm das zartgrüne Laubwerk seinen Platz und ließ kaum ahnen , welcher Überdrang in ihm heranwuchs .
Die Blättchen saßen symmetrisch und zierlich an den Zweigen , zählbar , ein wenig steif , wie von der Putzmacherin angeordnet , die Einkerbungen und Fältchen noch höchst exakt und sauber , wie in Papier geschnitten und gepreßt , die Stiele und Zweigelchen rötlich lackiert , alles äußerst aufgedonnert .
Frohe Lüfte wehten , am Himmel kräuselten sich glänzende Wolken , es kräuselte sich das junge Gras an den Rainen , die Wolle auf dem Rücken der Lämmer , überall bewegte es sich leise mutwillig ; die losen Flocken im Genicke der jungen Mädchen kräuselten sich , wenn sie in der Frühlingsluft gingen , es kräuselte sich in meinem Herzen .
Ich lief über alle Höhen und blies an einsamen , schön gelegenen Stellen stundenlang auf einer großen Flöte , welche ich seit einem Jahre besaß .
Nachdem ich die ersten Griffe dem Verkäufer , einem musikalischen Nachbaren , abgelernt , war an weiteren Unterricht nicht zu denken , und die ehemaligen Schulübungen waren längst in ein tiefes Meer der Vergessenheit geraten .
Darum bildete sich , da ich doch bis zum Übermaß spielte , eine wildgewachsene Fertigkeit aus , welche sich in den wunderlichsten Trillern , Läufen und Kadenzen erging .
Ich konnte ebenso fertig blasen , was ich mit dem Munde pfeifen oder aus dem Kopfe singen konnte , aber nur in der härteren Tonart , die weichere hatte ich allerdings empfunden und wußte sie auch hervorzubringen , aber dann mußte ich langsam und vorsichtiger spielen , so daß diese Stellen gar melancholisch und vielfach gebrochen sich zwischen den übrigen Lärm verflochten .
Musikkundige , welche in entfernterer Nachbarschaft mein Spiel hörten , hielten dasselbe für etwas Rechtes , belobten mich und luden mich ein , an ihren Unterhaltungen teilzunehmen .
Als ich mich aber mit meiner braunen einklappen Röhre einfand und verlegen und mit bösem Gewissen die Ebenholzinstrumente mit einer Unzahl silberner Schlüssel , die großen Notenblätter sah , bedeckt von schwarzem Gewimmel , da stellte es sich heraus , daß ich zu nichts zu gebrauchen , und die Nachbaren schüttelten verwundert die Köpfe .
Desto eifriger erfüllte ich nun die freie Luft mit meinem Flötenspiele , welches dem schmetternden und doch monotonen Gesange eines großen Vogels gleichen mochte , und empfand , unter stillen Waldsäumen liegend , innig das Schäferlichen Vergnügen eines anderen Jahrhunderts .
Um diese Zeit hörte ich ein flüchtiges Wort , Anna sei in ihre Heimat zurückgekehrt .
Ich hatte sie nun seit zwei Jahren nicht gesehen ; wir beide gingen unserem sechzehnten Geburtstage entgegen .
Sogleich rüstete ich mich zur Übersiedelung nach dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends wohlgemut auf die geliebten Wege .
Meine Stimme war gebrochen , und ich sang , dieselbe mißbrauchend , mich müde durch die hallenden Wälder .
Dann hielt ich inne , und die Tiefe meiner Töne bedenkend , dachte ich an Annas Stimme und suchte mir einzubilden , welchen Klang sie nun haben möge .
Darauf bedachte ich ihre Größe , und da ich selbst in der Zeit rasch gewachsen , so konnte ich mich eines kleinen Schauers nicht erwehren , wenn ich mir die Gestalt sechzehnjähriger Mädchen unserer Stadt vorstellte .
Dazwischen schwebte mir immer das halbkindliche Bild am See oder auf jenem Grabe vor , mit seiner Halskrause , seinen Goldzöpfen und freundlich unschuldigen Augen .
Dies Bild verscheuchte einigermaßen die Unsicherheit , welche sich meiner bemächtigen wollte , daß ich getrost fürbass schritt und das Haus meines Oheims in alter Ordnung und lauter Fröhlichkeit fand .
Doch nur die älteren Personen waren sich eigentlich ganz gleichgeblieben ; das junge Volk führte einen etwas veränderten Ton in Scherz und Reden .
Als nach dem Nachtessen sich die Älteren zurückgezogen und einige junge Dorfbewohner beiderlei Geschlechtes dafür ankamen , um noch einige Stunden zu plaudern , bemerkte ich , daß die Liebesangelegenheiten nun ausschließlicher und ausgeprägter der Stoff der neckischen Gespräche geworden , aber so , daß die Jünglinge mit etwas spöttischer Galanterie den Schein tieferer Empfindung zu verhüllen , die Mädchen eine große Sprödigkeit , Männerverachtung und jungfräuliche Selbstzufriedenheit an den Tag zu legen bemüht schienen ; und an der Art und Weise , wie die sich kreuzenden Scherze und Angriffe da reizten , dort scheinbar verletzten , war nicht zu verkennen , daß hier die Kristallelemente zusammenzuschießen auf dem Punkte waren .
Ich war anfangs still und suchte mich in den mehr wort- als sinnreichen Scharmützeln zurechtzufinden ; die Mädchen betrachteten mich als einen anspruchlosen Neutralen und schienen einen frommen und bescheidenen Knappen an mir gewinnen zu wollen .
Doch unversehens nahm ich , das Scheingefecht für vollen Ernst haltend , die Partei meines Geschlechts .
Die vermeintliche Bedürfnislosigkeit und stolze Selbstverklärung der Schönen dünkte mir gefährlich und beleidigend und entsprach nicht im mindesten meinen Gefühlen .
Aber leider setzte ich , anstatt mich der praktischeren und beliebteren Waffen meiner Genossen zu bedienen , knabenhafter- und ungalanterweise den Mädchen ihre eigene Kriegführung entgegen .
Der trotzige Stoizismus , welchen ich gegen das jungfräuliche Selbstgenügen aufwandte , warf mich um so schneller in eine einsame und gefährliche Stellung , als ich in meiner Einfalt augenblicklich selber daran glaubte und mit heftigem Ernste verfuhr .
Ich vereinigte sogleich alle Pfeile des Spottes auf mich als ein nicht zu duldender Aufrührer ; die männlichen Teilnehmer ließen mich auch im Stich oder hetzten mich fälschlicherweise auf , um bei den erzürnten Mädchen desto besser ihre Rechnung zu finden , worüber ich wieder verdrießlich und eifersüchtig wurde , und es ärgerte mich gewaltig , wenn ich bemerkte , wie mitten im Kriege die verständnisvollen Blicke häufiger fielen und der schöne Feind seine Hände den Burschen immer anhaltender und williger überließ .
Kurz , als die Gesellschaft auseinanderging und ich die Treppe hinanstieg als ein erklärter Weiberfeind , verfolgten mich die drei Basen , jede ihr Nachtlämpchen tragend , spottend bis vor die Tür meines Schlafzimmers .
Dort wandte ich mich um und rief : " Geht , ihr törichten Jungfrauen mit euren Lampen !
Obgleich jede nur zu bald ihren irdischen Bräutigam haben wird , fürchte ich doch , das Öl eurer Geduld reiche nicht aus für die kürzeste Frist ; löscht eure Lichter und schämt euch im Dunklen , so spart ihr das bißchen Öl , ihr verliebten Dinger ! "
Eine Magd trug gerade ein Becken mit Wasser hinein ; sie tauchten ihre Finger in das Wasser und spritzten mir dasselbe ins Gesicht , während sie mit ihren brennenden Lämpchen mir um Haar und Nase herumzündeten und mich hart bedrängten .
" Mit Feuer und Wasser " , sagten sie , " weihen wir dich zu ewigem Frauenhasse !
Nie soll eine wünschen , diesen Haß schwinden zu sehen , und das Licht der Liebe soll dir für immerdar erlöschen !
Schlafen Sie recht wohl , gestrenger Herr , und träumen Sie von keinem Mädchen ! "
Hiermit bliesen sie meine Kerze aus und huschten auseinander , daß ihre Lichtchen in dem dunklen Hause verschwanden und ich im Finsteren stand .
Ich tappte in das Zimmer , stieß an alle Gegenstände und streute in der Dunkelheit mißmutig meine Kleider auf dem Boden umher .
Und als ich endlich das Kopfende des Bettes gefunden und mich rasch unter die Decke schwingen wollte , fuhr ich mit den Füßen in einen verwünschten Sack , daß ich sie nicht ausstrecken konnte , sondern in meiner gewaltsamen Bewegung auf das unangenehmste gehemmt und zusammengebogen wurde .
Die Leintücher waren , infolge einer ländlich-sittlichen Neckerei , so künstlich ineinandergeschürzt und - gefaltet , daß es allen meinen ungeduldigen Bemühungen nicht gelang , sie zu entwirren , und ich mußte mich in der unbequemsten und lächerlichsten Lage von der Welt zum Schlafe zusammenkauern .
Allein dieser wollte trotz meiner Müdigkeit sich nicht einfinden ; ein ärgerliches und beschämendes Gefühl , daß ich mich in eine schiefe Stellung geworfen , die Besorgnis , wie Anna sich zu all diesem verhalten würde , und das verhexte Bett ließen mich die Augen nur auf Augenblicke schließen , wo dann die verworrensten Traumbilder mich verfolgten .
Die Nacht im Tale war unruhig und geräuschvoll , denn es war diejenige des Sonnabends auf den Sonntag , in welcher die ledigen Bursche bis zum Morgen zu schwärmen und ihren Liebeswegen nachzugehen pflegen .
Ein Teil derselben durchzog in Haufen singend und jauchzend die nächtliche Gegend , bald fern , bald nah hörbar werdend ; ein anderer Teil schlich einzeln um die Wohnungen her , mit verhaltener Stimme Mädchennamen rufend , Leitern anlegend , Steinchen an Fensterladen werfend .
Ich stand auf und öffnete das Fenster ; balsamische Mailuft strömte mir entgegen , die Sterne zwinkerten verliebt hernieder , ein Kätzchen duckte sich um die eine Hausecke , um die andere bog ein schlanker Schatten mit einer langen Leiter und lehnte sie an das Haus , drei oder vier Fenster von mir .
Rüstig klomm er die Sprossen entlang und rief halblaut den Namen der ältesten Base , worauf das Fenster leise aufging und ein trauliches Geflüster begann , von einem Geräusche unterbrochen , welches von demjenigen feuriger Küsse nicht im geringsten zu unterscheiden war .
Oho ! dachte ich , das sind feine Geschichten ! und indem ich so dachte , sah ich einen anderen Schatten von dem Fenster der mittleren Base , welche eine Treppe tiefer schlief , sich auf den Ast eines nahen Baumes schwingen und flink zur Erde gleiten ; kaum war er aber fünfzig Schritte entfernt , so brach er , den fernen Nachtschwärmern antwortend , in ein mörderliches Jauchzen aus , welches weithin widerhallte .
Mit sehr ungewohnten Empfindungen machte ich vorsichtig das Fenster zu und suchte in meinem boshaften Leinwandlabyrinth Mädchen , Liebe , Mainacht und Verdruß zu vergessen .
Noch gemischtere Gefühle jedoch kehrten zurück , als ich am Morgen meine nächtlichen Erfahrungen bedachte .
Zuerst befiel mich eine bekümmerte Entrüstung gegen meine Basen und ihre Liebhaber .
Es machte mir den Eindruck , wie wenn in einem verschlossenen Garten allerlei Freimaurerei getrieben würde und ich als ein Verhöhnter vor dem Tore stände .
Indessen beschloß ich , als es darauf ankam , in die große Wohnstube zu gehen und mein nächstes Benehmen zu ordnen , vorderhand gänzliche Verschwiegenheit zu üben , und dieser Entschluß kam mir so edel und großmütig vor , daß ich , ganz aufgebläht davon , wähnte , die Mädchen müßten mir meine Großmut auf der Stelle ansehen , als ich in die Stube trat .
Ich erregte jedoch nicht die mindeste Aufmerksamkeit ; wohl aber sah ich an einem der Fenster eine schlank aufgewachsene jungfräuliche Gestalt stehen , umgeben von meinen drei Basen .
An ihren eigentümlichen Zügen und der veränderten und doch gleich lieblich gebliebenen Stimme erkannte ich sogleich Anna ; sie sah fein und nobel aus , und ich blieb ganz ratlos und verblüfft stehen .
Still und bescheiden schaute sie in die Landschaft hinaus , und die Basen sprachen gedämpft , zierlich und vertraulich mit ihr , wie es die Weiber zu tun pflegen , wenn sie einen Besuch haben , der ihrer Gesellschaft zum Schmucke gereicht .
Es ging so freundlich andächtig zu , als ob die vier hübschen Kinder geraden Weges aus einer Klosterschule kämen , und besonders die Töchter des Hauses schienen nicht die leiseste Erinnerung an den Ton des gestrigen Abends zu hegen .
Unbefangen grüßten sie mich , als ich endlich bemerkt wurde , und stellten mich der Anna vor .
Wir sahen auf den Boden und boten uns die Fingerspitzen , die sich kaum berührten , wobei sie , wie ich glaube , einen kleinen höflichen Knicks machte .
Ich sagte ganz verlegen :
" Sie sind also wieder zurückgekehrt ? " worauf sie erwiderte : " Ja " - mit dem Tone eines Glöckchens , welches nicht recht weiß , ob es anfangen soll , Mittag oder Vesper zu läuten .
Hierauf sah ich mich wieder aus dem Mädchenkreise herausversetzt , ohne zu wissen auf welche Weise , und machte mir eifrig mit einer Katze zu schaffen , indessen ich Anna verstohlen betrachtete .
Sie war eine ganz andere Gestalt geworden , von einem schwarzen Seidenkleide umwallt , ihr Goldhaar lag schlicht und vornehm gebunden und ließ eine sorgfältige Behandlung ahnen , während früher manche Löckchen sich auf eigene Hand gekräuselt und zwischen den Flechten hervorgeguckt hatten .
Die Gesichtszüge waren in ihrer Eigentümlichkeit ganz gleichgeblieben , nur hielten sie sich viel ruhiger , und die armen , schönen blauen Augen hatten ihre Freiheit verloren und lagen in den Banden bewußter Sitte .
Dies alles unterschied ich im Augenblick nicht genau , allein es machte zusammen einen solchen Eindruck auf mich , daß ich erschrak , als ich mich zum Frühstück , welches inzwischen aufgetragen war , neben sie setzen mußte ; denn der Oheim hatte , da Anna aus Welschland kam , seine französischen Künste aus der eleganten Zeit des Pfarrhauses wieder zusammengelesen und zu mir gesagt : " Ehe bien ! monsieur le neveu ! prenez place auprès de Mademoiselle votre cousine , s' il vous plaît , parbleu ! est-ce que vous n' avez pas bien dormi ?
Parait que vous faites la triste figure ! " und zu Anna , mit einem komischen Kratzfuße , indem er mit seinem Waldhörnchen salutierte :
" Veuillez accepter les services de ce pauvre jeune homme de la triste figure , Mademoiselle ! souffrez , s' il vous plaît , qu' il fasse votre galant , pour que notre maison illustre revisse les beaux jours d'autrefois ! allons parler français toute la compagnie ! "
Nun begann eine drollige Unterhaltung in französischen Brocken , welche sich auf die lustigste Weise kreuzten , weil niemand sich schämte , seine Schwerfälligkeit und Unkunde zu verraten , und der Scherz als eine Art Huldigung der Anna Gelegenheit geben sollte , ihre erworbene Bildung zu zeigen .
Auch nahm sie bescheiden , aber sicher an dem seltsamen Gespräche Teil und brachte ihre Reden mit artigem Akzente vor , geziert mit den Wendungen welscher Konversation als En vérité ! tenez ! voyez ! usf. , wozwischen der Oheim , seine Geistlichkeit vergessend , einige diables ! einfügte .
Mir waren diese Formen keineswegs geläufig , und ich konnte meine Meinungen nur in strikter und nackter Übertragung vorbringen , dazu nicht in dem lieblichsten Akzente ; daher sagte ich , nur dann und wann oui und non oder je ne sais pas !
Die einzige Redensart , welche mir zu Gebote stand , war Que voulez-vous que je fasse ! und ich brachte diese Blüte mehrere Male an , ohne daß sie gerade paßte .
Als hierüber gelacht wurde , machte mich dies trübselig und verstimmt ; denn mit jedem Augenblicke , seit ich an das seidene Kleid Annas streifte , wurde es mir banger , daß ich als gänzlich wertlos und unbedeutend zum Vorschein käme , während ich doch bisher überzeugt war , das Beste und Höchste schätzen und erstreben zu wollen und gerade dadurch selber einen nicht unerheblichen Wert in mir zu tragen .
In der Theorie hatte ich schon die Welt erobert und auch verdient und besonders über Anna durchaus verfügt ; da nun aber die Praxis begann , so beschlich mich gleich im Anfange eine verzagte Demut , welche ich ungefähr in folgende trotzige und gewaltige Rede zusammenfaßte : " Moi , j'aime assez la bonne et venerable langue de mon pays , qui est heureusement la langue allemande , pour ne pas plaindre mon ignorance du français .
Mais Mademoiselle ma cousine ayant le goût français et comme elle doit frequenter l' eglise de notre village , c'est beaucoup a plaindre qu' elle n'y trouvera point de ses orateurs vaudois qui sont si élevés , savants et devots .
Aussi , que son déplaisir ne soit trop grand , je vous propose , Monsieur mon oncle , de remonter en chaire , nous ferons un petit auditoire et vous nous ferez de beaux sermons français .
Que voulez-vous que je fasse " , fügte ich etwas verlegen hinzu , als ich diese Rede so hastig und fließend als möglich gehalten hatte .
Die Gesellschaft war sehr verwundert über diese langatmige Phrase und betrachtete mich als einen unvermuteten Teufelskerl von Franzosen , besonders da sie wegen der Schnelligkeit , mit der ich sprach , nichts davon verstanden hatten , außer dem Oheim , welcher vergnüglich lachte .
Man ahnte freilich nicht , daß ich die Rede im stillen förmlich ausgedacht und daß ich keineswegs mit dieser Geläufigkeit fortzufahren imstande wäre .
Anna war die einzige Person , welche alles verstanden , und sie sagte kein Wort hierauf und schien innerlich beleidigt zu sein ; denn sie wurde rot und sah verlegen vor sich nieder .
Sie verstand nämlich keinen Spaß in Bezug auf die waadtländischen Geistlichen , weil sie nebst dem Französischen einen Anflug orthodox kirchlichen Wesens davongetragen hatte .
Da ich bemerkte , daß die verkehrte Art , meine innere Mutlosigkeit zu äußeren , fast einen üblen Eindruck gemacht , so flüchtete ich mich , sobald möglich , vom Tische hinweg .
Es läutete nun das letzte Zeichen zur Kirche , und die ganze Familie rüstete sich zum Kirchgange .
Anna zog helle glänzende Lederhandschuhe an , und die drei Mädchen des Hauses , welche bisher , obgleich städtisch gekleidet , wie die Landmädchen ohne Handschuhe zur Kirche gegangen , brachten nun ebenfalls deren gestrickte aus Seide oder Baumwolle zum Vorschein und putzten sich damit aus .
Anna zeigte , als man zum Gehen bereit war , ein gesammeltes und andächtiges Wesen , sprach nicht mehr viel und sah vor sich nieder ; und die übrigen Bäschen , welche von jeher lachend und fröhlich zur Kirche gegangen , gaben sich nun auch ein feierliches Ansehen , daß ich ganz aus der Verfassung kam und nicht wußte , wie ich mich gebärden sollte .
Ich stand aus Verlegenheit am Ofen , obschon die junge Sommersonne auf dem Garten sich lagerte ; man fragte mich , ob ich denn nicht mitginge ? worauf ich , um endlich mir wieder etwas Geltung zu verschaffen , mit Wichtigkeit sprach : nein , ich hätte nicht Zeit , ich müßte schreiben !
Heute ging das ganze Haus zur Kirche , wohl Anna zu Ehren , und nur ich allein blieb zurück .
Durch das Fenster sah ich dem Zuge nach , welcher sich durch die Wiesen unter den Bäumen hinbewegte und dann auf der Höhe des Kirchhofes zum Vorschein kam , um endlich in der Kirchentür zu verschwinden .
Diese wurde bald darauf geschlossen , das Geläute schwieg , der Gesang begann und hallte deutlich und schön her über .
Auch dieser schwieg , und nun verbreitete sich ein Meer von Stille über das Dorf , nur hie und da , wie von Möwenschrei , durch einen kräftigeren Ruf des Predigers unterbrochen .
Das Laub und die Millionen Gräser waren mäuschenstill , trieben aber nichtsdestominder mit Hin- und Herwackeln allerlei lautlosen Unfug , wie mutwillige Kinder während einer feierlichen Verhandlung .
Die abgebrochenen Töne der Predigt , welche durch einen offenen Fensterflügel sich in die Gegend verloren , klangen seltsam und manchmal wie hollaho ! manchmal wie juchhe ! oder hopsa ! bald in hohen Fisteltönen , bald tief grollend , jetzt wie ein nächtlicher Feuerruf und dann wieder wie das Gelächter einer Lachtaube .
Während der Pfarrer predigte und ich Anna in Gedanken aufmerksam und still dasitzen sah , nahm ich Papier und Feder und schrieb meine Gefühle für sie in feurigen Worten nieder .
Ich erinnerte sie an die zärtliche Begebenheit auf dem Grabe der Großmutter , nannte sie mit ihrem Namen und brachte so häufig als möglich das Du an , welches ehedem zwischen uns gebräuchlich gewesen .
Ich wurde ganz beglückt über diesem Schreiben , hielt manchmal inne und fuhr dann in um so schöneren Worten wieder fort .
Das Beste , was in meiner zufälligen und zerstreuten Bildung angesammelt lag , befreite sich hier und vermischte sich mit der Empfindung meiner augenblicklichen Lage .
Überdies wob sich eine schwermütige Stimmung durch das Ganze , und als das Blatt vollgeschrieben war , durchlas ich es mehrere Male , als ob ich damit jedes Wort der Anna ins Herz rufen könnte .
Dann reizte es mich , das Blatt offen auf dem Tische liegenzulassen und in den Garten zu gehen , damit es der Himmel oder sonst wer durch das offene Fenster lesen könne ; aber nur die völlige Sicherheit , daß jetzt doch keine menschliche Seele in der Nähe sei , gab mir diese Verwegenheit , mit welcher ich zwischen den Beeten auf und nieder spazierte , nach dem Fenster hinaufschauend , hinter welchem meine schöne Liebeserklärung lag .
Ich glaubte etwas Rechtes getan zu haben und fühlte mich zufrieden und befreit , verfügte mich aber bald wieder in die Stabe , da ich dem Frieden doch nicht recht traute , und kam gerade dort an , als das Blatt , durch den Luftzug getragen , zum Fenster hinaussäuselte .
Es setzte sich auf einem Apfelbaume nieder ; ich lief wieder in den Garten ; dort sah ich es sich erheben und mit einem gewaltigen Schusse auf das Bienenhaus zufliegen , wo es hinter einem vollen summenden Bienenkorbe sich festklemmte und verschwand .
Ich näherte mich dem Korbe ; allein die Bienen waren , in Betracht der kurzen Sommerzeit , polizeilich von der Sonntagsfeier dispensiert und ihre Arbeit als Notwerk erklärt ; es summte und kreuzte sich vor dem Hause , daß an kein Durchkommen zu denken war .
Unschlüssig und ängstlich blieb ich stehen ; doch ein empfindlicher Stich auf die Wange bedeutete mir , daß meine Liebeserklärung für einmal der bewaffneten Obhut dieses Bienenstaates anheimgegeben sei .
Für einige Monate lag sie allerdings sicher hinter dem Korbe ; wenn aber der Honig ausgenommen wurde , so kam sicher auch mein Blatt zutage , und was dann ?
Indessen betrachtete ich diesen Vorfall als eine höhere Fügung und war halb und halb froh , meine Erklärung aus dem Bereiche meines Willens einer allfälligen Entdeckung ausgesetzt zu wissen .
Meine gestochene Wange reibend , verließ ich endlich die Bienen , nicht ohne genau nachzusehen , ob nirgends ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke .
Der Gesang in der Kirche ertönte wieder , die Glocken läuteten , und die Gesellschaft kam in einzelnen Gruppen zerstreut nach Hause .
Ich stand wieder oben am Fenster und sah Annas Gestalt durch das Grüne allmählich herannahen .
Ihren weißen Hut abnehmend , stand sie vor dem Bienenhause einige Zeit still und schien die fleißigen Tierchen mit Wohlgefallen zu betrachten ; mit noch größerem Wohlgefallen betrachtete ich jedoch sie , welche so ruhig vor meinem verborgenen Geheimnisse stand , und ich bildete mir ein , daß die Ahnung desselben sie an der blühenden und lieblichen Stelle festhalte .
Als sie heraufkam , zeigte sie jene zufriedene Fröhlichkeit Andächtiger , welche aus der Kirche kommen , und machte sich nun ein wenig lauter und zugänglicher als vorher .
Beim Mittagessen , wo ich wieder neben sie zu sitzen kam , begann jedoch meine herbe süße Schule wieder .
An Sonn- und Festtagen glich der Tisch meines Oheims ganz seinem Hause und zeigte dessen merkwürdige und malerische Zusammensetzung in allen Stücken .
Drei Vierteile desselben , von der Jugend und den Dienstleuten besetzt , trugen große ländliche Schüsseln mit den entsprechenden Speisen mächtige Stücke Rindfleisch und gewaltige Schinken .
Neuer Wein aus einem großen Kruge wurde in einfache grünliche Gläser geschenkt , Messer und Gabeln waren aufs billigste beschaffen und die Löffel von Zinn .
Nach der Spitze der Tafel zu , wo der Oheim und die allfälligen Gäste saßen , veränderte sich die Gestalt dieser Dinge .
Dort waren die Ergebnisse der Jagd oder des Fischfanges nebst anderen guten Dingen in kleinen Portionen aufgestellt ; denn da die Muhme dem Zubereiten und Essen solcher Sachen nicht grün war , so behandelte sie dieselben apothekerhaft und spitzfingerig , gleich einem Grobschmied , der eine Uhr zusammensetzen will .
Auf einem bunten alten Porzellanteller lag hier ein gebratener Vogel , dort ein Fisch , einige rote Krebse oder ein feines Salatchen .
Alter starker Wein stand in kleineren Flaschen , uralte Ziergläser der verschiedensten Form dabei ; die Löffel waren von Silber , und das übrige Besteck bestand aus den Trümmern früherer Herrlichkeit , hier ein Messer mit einem Elfenbeinhefte , dort eine kurzgezackte Gabel mit Emailgriff .
Aus dem Gewimmel dieser Zierlichkeiten ragte das ungeheure Brot wie ein Berg empor , als ein mächtiger Ausläufer des unteren Speisengebirges , dessen Anwohner sich an der Ausschließlichkeit der oberen Feinschmecker dadurch rächten , daß sie eine scharfe Kritik über deren Geschicklichkeit im Essen ausübten .
Wer nicht rasch und reinlich einen Fisch zu verzehren oder die Knöchelchen eines Vogels zu zerlegen wußte , hatte für den Spott nicht zu sorgen .
Bei der Mutter an die einfachste Lebensweise gewöhnt , war meine Gewandtheit in Fisch- und Vogelessen nur gering , und ich sah mich daher am meisten den Witzen der Tischgenossen ausgesetzt .
So hielt mir auch heute ein Knecht einen Schinken her und bat mich , ihm diesen Taubenflügel zu zerlegen , da ich so geschickt hierin sei ; ein anderer hielt mich für vortrefflich geeignet , den Rückgrat einer Bratwurst zu benagen .
Dazu sollte ich als angeblicher Galan meine Schöne bedienen , was mir durchaus unbequem war ; denn außer daß es mir lächerlich vorkam , ihr ein Gericht vorzuhalten , das ihr vor der Nase stand , und ich ihr lieber mit dem Herzen als mit den Händen dienen wollte , wo es nicht nötig war , reichte meine Kenntnis hierfür nicht aus , sondern ich präsentierte manchmal den Schwanz eines Fisches , wo der Kopf gut war , und umgekehrt .
Ich ließ sie auch bald unbedient sitzen und freute mich unbeschwert ihrer Nähe ; aber der Oheim weckte mich aus diesem Vergnügen , als er mich aufforderte , Anna einen Hechtkopf auseinanderzulegen und ihr die Symbole des Leidens Christi zu zeigen , welche darin enthalten sein sollten .
Allein ich hatte diesen Kopf unbesehen gegessen , obschon man früher davon gesprochen , und stellte mich nun zugleich als einen unwissenden Heiden dar ; darüber ärgerlich , ergriff ich mit der Faust den mittlerweile entblößten Schinkenknochen , hielt ihn der Anna unter die Augen und sagte , hier wäre noch ein heiliger Nagel vom Kreuze .
Ich behielt nun freilich wieder recht in den Augen der Spötter , doch Anna hatte gerade solche Grobheit nicht verdient , da sie mich nicht verspottet und ganz still neben mir gesessen hatte .
Sie wurde über und über rot , ich fühlte augenblicklich mein Unrecht und hätte aus Reue gern den Knochen verschlungen .
Das ersparte mir aber nicht einen kleinen Verweis des Oheims , welcher mich ersucht haben wollte , dergleichen Mitteilungen zu unterlassen .
Das Rotwerden war nun an mir , und ich sagte nichts mehr während der übrigen Zeit , die man am Tische zubrachte .
Ich zog mich zurück in bitterem Unmute und gedachte mich nicht mehr sehen zu lassen , bis meine Basen mich aufsuchten und mich aufforderten , mit ihnen und ihren Brüdern Anna nach Hause zu begleiten und den Schulmeister zu besuchen .
Da ich in eine beschämende Lage geraten , so fanden sie es angemessen , mich durch diese Freundlichkeit daraus zu ziehen ; denn sie wußten wohl , daß ich sonst nach der Sitte jenes Alters nicht mitkommen konnte , wo das Schmollen eine Ehrensache und an bestimmte Gesetze gebunden ist .
Wir zogen also aus und gingen dem Flüßchen nach durch den Wald .
Ich blieb still , und als wir , durch die Enge des Weges getrennt , hintereinander gehen mußten , marschierte ich als der letzte hintendrein , dicht nach Anna , aber immer in tiefem Schweigen .
Meine Augen hingen mit Andacht und Liebe an ihrer Gestalt , immer bereit , sich abzuwenden , sobald sie zurückschauen würde .
Doch tat sie dies nicht ein einziges Mal ; hingegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnügen ein , daß sie hie und da mit einer kaum sichtbaren Absicht zu gefallen sich über schwierige Stellen hinbewegte .
Ich machte ein paarmal schüchterne Anstalten , ihr behilflich zu sein , allein immer kam sie meinen Händen zuvor .
Da stand an einer erhöhten Stelle des Weges die schöne Judith unter einer dunklen Tanne , deren Stamm wie eine Säule von grauem Marmor emporstieg .
Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen ; sie schien mit der Zeit noch immer schöner zu werden und hatte die Arme übereinandergeschlagen , eine Rosenknospe im Munde , mit welcher ihre Lippen nachlässig spielten .
Sie grüßte eines um das andere , ohne sich in ein Gespräch einzulassen , und als ich schließlich auch an die Reihe kam , nickte sie mir leicht zu mit einem etwas ironischen Lächeln .
Der Schulmeister begrüßte uns mit Freuden und vor allen seine Tochter , die er sehnlich zurückerwartet .
Denn sie war nun die Erfüllung seines Ideales geworden , schön , fein , gebildet und von andächtigem , edlem Gemüte , und mit dem bescheidenen Rauschen ihres Seidenkleides war , nicht in schlimmem Sinne , eine neue schöne Welt für ihn aufgegangen .
Er hatte zu seinem bisherigen Vermögen noch eine gute Erbschaft gemacht und benutzte diese , ohne Vornehmtuerei , sich mit allerhand anständigen Bequemlichkeiten zu umgeben .
Was seine Tochter nach den aus Welschland mitgebrachten Bedürfnissen irgend wünschen konnte , schaffte er augenblicklich an und überdies eine Anzahl schöner Bücher für seine eigenen Wünsche .
Auch hatte er seinen grauen Frack mit einem feinen schwarzen Leitrock vertauscht , wenn er ausging , und im Hause trug er einen ehrbaren talarartigen Schlafrock , um mehr das Ansehen eines würdigen , halbgeistlichen Privatgelehrten zu gewinnen .
Was irgend mit einer Stickerei geziert werden konnte an seiner Person oder an seinem Geräte , das zeigte diesen Schmuck in allen Manieren und Farben , da ihm solcher ausnehmend gefiel und Anna reichlich dafür sorgte .
In dem kleinen Orgelsaale stand nun ein prächtiges Sofa mit buntgestickten Kissen , und vor demselben lag ein großblumiger Teppich von Annas Hand .
Diese reiche Farbenpracht , an einer Stelle zusammengehäuft , nahm sich vortrefflich und eigentümlich aus im Gegensatze zu dem einfachen weißgetünchten Saale .
Nur die Orgel bot noch einigen Schmuck in glänzenden Pfeifen und mit ihren bemalten Türflügeln .
Anna erschien nun in einem weißen Kleide und setzte sich an die Orgel .
Sie hatte in der Pension Klavier spielen müssen , lehnte es aber ab , ein Klavier zu haben , als ihr Vater sogleich ein solches anschaffen wollte ; denn sie war zu klug und zu stolz , die gewöhnliche Klimperei fortzusetzen .
Dagegen wandte sie das Erlernte dazu an , sich für einfache Lieder auf der Orgel einzuüben ; sie begleitete also jetzt unseren Gesang , und der Schulmeister weilte dafür singend in unserem Kreise .
Er schaute fortwährend seine Tochter an , und ich ebenfalls , da wir ihr im Rücken standen ; sie sah wirklich aus wie eine heilige Cäcilie , während die Stellung ihrer weißen Finger auf den Tasten noch etwas Kindliches ausdrückte .
Als wir des musikalischen Vergnügens satt waren , gingen wir vor das Haus ; dort war auch vieles verändert .
Auf dem Treppchen standen Granat- und Oleanderbäumchen , das Gärtchen war nicht mehr ein krauses Rosen- und Gelbveigeleingärtchen , sondern , Annas jetziger Erscheinung mehr angemessen , mit fremden Gewächsen und einem grünen Tische nebst einigen Gartenstühlen versehen .
Nachdem wir hier eine kleine Abendmahlzeit eingenommen , gingen wir an das Ufer , wo ein neuer Kahn lag ; Anna hatte auf dem Genfer_See fahren gelernt und der Schulmeister deswegen das Fahrzeug machen lassen , das erste , welches auf dem kleinen See seit Menschengedenken zu sehen war .
Außer dem Schulmeister stiegen wir alle hinein und fuhren auf das ruhige glänzende Wasser hinaus ; ich ruderte , da ich als Anwohner eines größeren Sees auch meine Künste zeigen wollte , und die Mädchen saßen dicht beisammen , die Bursche aber hielten sich unruhig und suchten Scherz und Händel .
Endlich gelang es ihnen , das Gefecht wieder zu eröffnen , zumal sich ihre Schwestern aus der gemessenen Haltung heraus nach freier Bewegung sehnten .
Sie hatten sich nun genug darin gefallen , mit Anna die Feinen und Gestrengen zu machen , und wünschten vorzüglich die Früchte des Spukes , welchen sie sich mit meinem Bette erlaubt hatten , mit Glanz einzuernten .
Deshalb wurde ich bald der Gegenstand des Gespräches ; Margot , die Älteste , berichtete Anna , daß ich mich als einen strengen Feind der Mädchen dargestellt hätte und wohl nicht zu hoffen wäre , daß ich jemals mich eines schmachtenden Herzens erbarmen würde ; sie warne daher Anna zum voraus , sich nicht etwa früher oder später in mich zu verlieben , da ich sonst ein artiger junger Mensch sei .
Darauf bemerkte Lisette , es wäre dem Schein nicht zu trauen ; sie glaube vielmehr , daß ich innerhalb lichterloh brenne vor Verliebtheit , in wen , wisse sie freilich nicht ; allein ein sicheres Zeichen davon wäre mein unruhiger Schlaf , man habe am Morgen mein Bett im allersonderbarsten Zustande gefunden , die Leintücher ganz verwickelt , so daß zu vermuten , ich habe mich die ganze Nacht um mich selbst gedreht wie eine Spindel .
Scheinbar besorgt fragte Margot , ob ich in der Tat nicht gut geschlafen ?
Wenn dem so wäre , so wüßte sie allerdings nicht , was sie von mir halten müßte .
Sie wolle inzwischen hoffen , daß ich nicht ein solcher Heuchler sei und den Mädchenfeind spiele , während ich vor Liebe nicht wüßte , wo hinaus !
Überdies wäre ich doch noch zu jung für solche Gedanken .
Lisette erwiderte , eben das sei das Unglück , daß ein Grünschnabel wie ich schon so heftig verliebt sei , daß er nicht einmal mehr schlafen könne .
Diese letzte Rede brachte mich endlich auf , und ich rief :
" Wenn ich nicht schlafen konnte , so geschah das , weil ich durch eure eigene Verliebtheit die ganze Nacht gestört wurde , und ich habe wenigstens nicht allein gewacht ! "
- " O gewiß sind wir auch verliebt , bis über die Ohren ! " sagten sie etwas betroffen , faßten sich aber sogleich , und die Ältere fuhr fort : " Weißt du was , Vetterchen , wir wollen gemeinsam zu Werke gehen ; vertraue uns einmal deine Leiden , und zum Danke dafür sollst du unser Vertrauter werden und unser Rettungsengel in unseren Liebesnöten ! "
- " Es dünkt mich , du hast keinen Rettungsengel notwendig " , antwortete ich , " denn an deinem Fenster steigen die Engel schon ganz lustig die Leiter auf und nieder ! "
- " Hört , nun redet er irre , es muß schon arg mit ihm stehen ! " rief Margot , rot werdend , und Lisette , weiche noch beizeiten sich verschanzen wollte , setzte hinzu : " Ach , laßt den armen Jungen in Ruhe , er ist mir recht lieb und dauert mich ! "
- " Schweige du ! " sagte ich noch mehr erbost , " dir fallen die Liebhaber von den Bäumen in die Kammer ! "
Die Bursche klopften in die Hände und riefen : " Oho , steht es so ?
Der Maler hat gewiß etwas gesehen , freilich , freilich , freilich !
Wir haben es schon lange gemerkt ! " und nun nannten sie die begünstigten Liebhaber der beiden Dämchen , welche uns den Rücken wandten mit den Worten :
" Larifari ! ihr seid alle verlogene Schelme und der Maler ein recht böser Hauptlügner ! "
Lachend und flüsternd unterhielten sie sich hierauf mit den anderen beiden Mädchen , die nicht recht wußten , woran sie waren , und alle würdigten uns keines Blickes mehr .
So hatte ich das Geheimnis , das ich am Morgen großmütig zu verschweigen gelobt , noch vor Untergang der Sonne ausgeplaudert .
Dadurch war der Krieg zwischen mir und den Schönen erklärt , und ich sah mich plötzlich himmelweit von dem Ziele meiner Hoffnungen gerückt ; denn ich dachte mir alle Mädchen als eng verbündet und gleichsam eine Person , mit welcher man im ganzen gut stehen müsse , wenn man ein Teilchen gewinnen wolle .
Neuntes Kapitel Der Philosophen- und Mädchenkrieg Um diese Zeit wurde der zweite Lehrer des Dorfes versetzt , und an seine Stelle kam ein blutjunges Schulmeisterlein von kaum siebzehn Jahren , welches bald ein Aufsehn in der Gegend machte .
Es war ein wunderhübsches Bürschchen mit rosenroten Wangchen , einem kleinen lieblichen Munde , mit einem kleinen Stumpfnäschen , blauen Augen und blonden gelockten Haaren .
Er nannte sich selbst einen Philosophen , weshalb ihm dieser Name allgemein zuteil wurde , denn sein Wesen und Treiben war in allen Stücken absonderlich .
Mit einem vortrefflichen Gedächtnisse begabt , hatte er die zu seinem Berufe gehörigen Kenntnisse bald erworben und sich im Seminare daher mit dem Studium von allen möglichen Philosophien abgegeben , welche er den Worten nach auswendig lernte ; denn er behauptete , der beste Volksschulmeister sei nur derjenige , welcher auf dem höchsten und klarsten Gipfel menschlichen Wissens stände , mit dem umfassenden Blicke über alle Dinge , das Bewußtsein bereichert mit allen Ideen der Welt , zugleich aber in Demut und Einfalt , in ewiger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen , womöglichst mit den Kleinsten .
Demgemäß lebte er wirklich ; aber dies Leben war seiner großen Jugend wegen eine allerliebste Travestie in Miniatur .
Gleich einem Stare wußte er alle Systeme von Tales bis auf heute herzusagen ; allein er verstand sie immer im wörtlichsten und sinnlichsten Sinn , wobei besonders seine Auffassung der Gleichnisse und Bilder einen komischen Unfug hervorbrachte .
Wenn er von Spinoza sprach , so war ihm nicht etwa die Idee aller möglichen Stühle der Welt , als ein Stück zweckmäßig gebrauchter Materie , der Modus , sondern der einzelne Stuhl , der gerade vor ihm stand , war ihm der fertige und vollständige Modus , in welchem die göttliche Substanz in wirklichster Gegenwart steckte , und der Stuhl wurde dadurch geheiligt .
Bei Leibniz fiel ihm nicht etwa die Welt in einem greulichen Monadenstaub auseinander , sondern die Kaffeekanne auf dem Tisch , mit welcher er gerade exemplierte , drohte auseinanderzugehen und der Kaffee , welcher im Gleichnis nicht mitbegriffen , auf den Tisch zu fließen , so daß der Philosoph sich beeilen mußte , durch die prästabilierte Harmonie die Kanne zusammenzuhalten , wenn wir den erquickenden Trank genießen wollten .
Bei Kant horte man das göttliche Postulat so leibhaftig und zierlich erklingen wie ein Posthörnchen , aus der tiefen Ferne der innersten Brust ; bei Fichte verschwand wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in Auerbachs Keller , nur daß wir nicht einmal an unsere Nasen glauben durften , welche wir in den Händen hielten ; wenn Feuerbach sagte Gott ist nichts anderes , als was der Mensch aus seinem eigenen Wesen und nach seinen Bedürfnissen abgezogen und zu Gott gemacht hat , folglich ist niemand als der Mensch dieser Gott selbst , so versetzte sich der Philosoph sogleich in einen mystischen Nimbus und betrachtete sich selbst mit anbetender Verehrung , so daß bei ihm , indem er die religiöse Bedeutung des Wortes immer beibehielt , zu einer komischen Blasphemie wurde , was im Buche die strengste Entsagung und Selbstbeschränkung war .
Am drolligsten nahm er sich jedoch aus in seiner Anwendung der alten Schulen , deren Lebensregeln er in seinem äußeren Behaben vereinigte .
Als Zyniker schnitt er alle überflüssigen Knöpfe von seinem Rocke , warf die Schuhriemen weg und riß das Band von seinem Hute , trug einen derben Prügel in der Hand , welcher zu seinem zarten Gesichtchen seltsam kontrastierte , und legte sein Bett auf den bloßen Boden ; bald trug er sein schönes Goldhaar in langen , tausendfach geringelten Locken , weil die Schere überflüssig sei , bald schnitt er es so dicht am Kopfe weg , daß man mit dem feinsten Zängelchen kaum ein Härchen hätte fassen können , indem er die Locken als schnöden Luxus erklärte , und er sah dann mit seinem kahlen Rosenköpfchen noch viel lustiger aus .
Im Essen war er hinwieder Epikureer , und die gewöhnliche Dorfkost verschmähend , schmorte er sich ein saures Eichhörnchen , briet ein Fischchen oder eine Wachtel , die er gefangen hatte , und aß ausgesuchte kleine Bohnchen , junge Kräutchen und dergleichen , wozu er ein halbes Gläschen alten Wein trank .
Als Stoiker hingegen richtete er allerhand spaßhafte Händel an und brachte die Leute in Harnisch , um in dem entstandenen Lärm dann einen kalten Gleichmut zu behaupten und sich nichts anfechten zu lassen ; insbesondere aber erklärte er sich als einen Verächter der Frauen und führte einen beständigen Krieg mit ihnen , welche mit ihren sinnlichen Reizen und ihrem eitlen Wesen die Männer ihrer Tugend und Ernsthaftigkeit berauben wollten .
Als Zyniker verfolgte er die Frauen und Mädchen überall mit Natürlichkeiten , als Epikureer mit erotischen Witzen , und als Stoiker sagte er ihnen Grobheiten , war aber immer zu finden , wo drei beieinanderstanden .
Sie wehrten sich mit geräuschvollem Entsetzen gegen ihn , so daß überall , wo er erschien , ein lustiger Spektakel losging ; nichtsdestoweniger sah man ihn ziemlich gern ; die Männer achteten nicht auf ihn , und die Kinder hingen mit großer Liebe an ihm ; denn mit diesen war er auf einmal wie ein Lamm und stand in dem besten Verhältnisse zu ihnen .
Er hatte die Allerkleinsten zu besorgen , und er tat dies so vortrefflich , daß man noch nie einen so wohlgearteten Schlag kleiner Jüngelches und Dirnchens im Dorfe gesehen hatte .
Deshalb übersah man seine übrigen Geschichten , die er anrichtete und die man seiner tollen Jugend zuschrieb ; und selbst daß er sich für einen Atheisten ausgab , konnte ihn der Gunst des weiblichen Dorfes nicht berauben .
Er fand sich auch im Hause meines Oheims ein , wo eine gute Anzahl Mädchen und junger Bursche , die durch vielfältigen Besuch noch verstärkt wurde , für seine Aufführungen empfänglich war .
Ich gesellte mich dem Philosophen bei , einesteils von seinem Philosophieren angezogen , andernteils von seinem Weiberkriege , da dieser gerade mit meiner schiefen Lage zu den Mädchen zusammentraf .
Wir machten große Spaziergänge , auf welchen er mir die Systeme der Reihe nach vortrug , wie er sie im Kopfe hatte und wie ich sie verstehen konnte .
Es kam mir alles äußerst wichtig und erbaulich vor , und ich ehrte bald , gleich ihm , jede Lehre und jeden Denker , gleichviel ob wir sie billigten oder nicht .
Über den christlichen Glauben waren wir bald einig und machten in die Wette unseren Krieg gegen Pfaffen und Autoritätsleute jeder Art ; als ich aber den lieben Gott und die Unsterblichkeit aufgeben sollte und der Philosoph dieses mit höchst unbefangenen Auseinandersetzungen verlangte , da lachte ich ebenso unbefangen , und es kam mir nicht einmal in den Sinn , die Sache ernstlich zu untersuchen .
Ich sagte , am Ende wäre die Hauptformel einer jeden Philosophie , und sei diese noch so logisch , eine ebenso große und greuliche Mystik wie die Lehre von der Dreieinigkeit , und ich wollte von gar nichts wissen als von meiner persönlichen angeborenen Überzeugung , ohne mir von irgendeinem Sterblichen etwas dazwischenreden zu lassen .
Außerdem daß ich nicht wußte , was ich anfangen sollte ohne Gott , und ich der Meinung war , daß ich einer Vorsehung im Leben noch sehr benötigt sein würde , band mich eine Art künstlerischen Fühlens an diese Überzeugung .
Ich glaubte , daß alles , was Menschen zuwege bringen , seine Bedeutung nur dadurch habe , daß sie es zuwege zu bringen vermochten und daß es ein Werk der Vernunft und des freien Willens sei ; deshalb konnte mir die Natur , an die ich gewiesen war , auch nur einen Wert haben , wenn ich sie als das Werk eines mir gleich fühlenden und voraussehenden Geistes betrachten durfte .
Ein sonnedurchschossener Buchengrund konnte nur dann ein Gegenstand der Bewunderung sein , wenn ich ihn mir durch ein ähnliches Gefühl der Freude und der Schönheit geschaffen dachte .
" Sehen Sie diese Blume " , sagte ich zum Philosophen , " es ist gar nicht möglich , daß diese Symmetrie mit diesen abgezählten Punkten und Zacken , diese weiß und roten Streifchen , dies goldene Krönchen in der Mitte nicht vorhergedacht seien !
Und wie schön und lieblich ist sie , ein Gedicht , ein Kunstwerk , ein Witz , ein bunter und duftender Scherz !
So was macht sich nicht selbst ! "
- " Auf jeden Fall ist sie schön " , sagte der Philosoph , " sei sie gemacht oder nicht gemacht !
Fragen Sie einmal !
Sie sagt nichts , sie hat auch nicht Zeit dazu , denn sie muß blühen und kann sich nicht um Ihre Zweifel kümmern !
Denn das sind alles Zweifel , was Sie vorbringen , Zweifel an Gott und schnöde Zweifel an der Natur , und es wird mir übel , wenn ich nur einen Zweifler höre , einen empfindsamen Zweifler !
O weh ! "
Er hatte diesen Trumpf beim Disputieren älterer Leute gehört und brachte denselben wie ähnliche Fechterkünste , die er sich angeeignet , gegen mich vor , so daß ich schließlich geschlagen wurde ; besonders sagte er zuletzt immer , ich verstehe eben die Sache noch nicht und wüßte nicht richtig zu denken , was mich dann gewaltig erboste , und wir gerieten manchmal in grimmigen Zank .
Doch vereinigten wir uns immer wieder , wenn wir mit den Mädchen zusammentrafen , wo wir einen gemeinsamen Kampf zu bestehen hatten , von allen Seiten angegriffen Wir schlugen unsere Feinde eine Zeitlang mit unseren Sarkasmen siegreich zurück ; wenn sie aber nicht mehr weiterkonnten und zu sehr gereizt waren , so ging der Krieg in Tätlichkeiten über ; eine einzelne begann damit , einem von uns unversehens ein Glas Wasser über den Kopf zu gießen , und alsobald war ein hitziges Jagen und Verfolgen durch Haus und Gärten im Gange .
Andere Bursche machten sich schnell herbei , denn fünf bis sechs zornige Mädchen waren eine zu reizende Gelegenheit für sie .
Man warf sich mit Früchten , schlug sich mit ausgerissenen Nesselstauden , suchte sich gegenseitig ins Wasser zu drängen , wobei man ins allerengste Handgemenge kam , und ich war sehr verwundert , die tollen Kinder so rührig und wehrbar zu finden .
Wenn ich eine junge Wilde mit aller Kraft umfaßt hielt , um sie zu bändigen , während sie mich böslich zu schädigen begehrte , so stritt ich ganz ehrlich und tapfer , ohne irgendeinen Nebenvorteil zu suchen , und ich wußte gar nicht , daß ich ein Mädchen in den Arm preßte .
Solche Gefechte geschahen immer in Annas Abwesenheit ; einst aber entzündete sich der Streit in ihrer Gegenwart , ohne daß man es gewollt hatte , und sie wollte sich schleunigst salvieren ; ich aber , der eben hitzig einer anderen nachstellte , um sie für eine meuchlerische Bosheit zu bestrafen , kriegte plötzlich Anna zu fassen und ließ erschrocken meine Hände sinken .
So mutig ich an der Seite des Philosophen war , um so kleinlauter war ich , wenn ich den Mädchen allein gegenüberstand ; denn alsdann war keine Rettung , als alles über sich ergehen zu lassen .
Der Philosoph fürchtete sich vor dieser Feuertaufe nicht und tummelte sich manchmal furchtlos in einer Hölle von zwölf jungen und alten Weiber umher , und er triumphierte um so lauter , je übler er von ihren Zungen und Händen zugerichtet wurde , wenn er ihnen weiberschmähende Aussprüche aus der Bibel und weltliche Argumente an den Kopf warf .
Ich hingegen räumte das Feld , wenn mir die Sache zu arg wurde , oder ich stellte mich , als ob ich nicht ungeneigt wäre , mich belehren und bekehren zu lassen .
Wenn ich vollends mit einem der Mädchen ganz allein war , so wurde stets ein Waffenstillstand geschlossen , und ich war immer halb bereit , unsere Sache zu verraten und mich unter den Schutz des Feindes zu stellen .
Ich wünschte durch diesen gemäßigten und freundlichen Verkehr allmählich dahin zu gelangen , auch mit Anna wieder im einzelnen und allein zu sprechen , und glaubte dies törichterweise immer am besten auf weitläufigem Wege zu bewerkstelligen , indem ich mich an die anderen hielt , statt Anna einfach einmal bei der Hand zu nehmen und anzureden .
Allein dies letztere schien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmöglichkeit ; lieber hätte ich einen Drachen geküßt , als so leichtsinnig die Schranke gebrochen , obgleich es vielleicht nur an diesem Drachenkuß , an diesem ersten Worte hing , die schöne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wiederzugewinnen .
Allein wer konnte wissen !
Ein Sperling in der Hand ist besser als ein Adler auf dem Dache !
Lieber noch dies stumme Nahsein sicher behalten , als durch die beleidigte Ehre genötigt zu sein , auf immer zu scheiden !
Dadurch wurde ich immer mehr und mehr verhärtet und endlich unfähig , das gleichgültigste Wort an Anna zu richten ; so kam es , als sie auch nichts zu mir sagte , daß nach einer sehr stillschweigenden Übereinkunft wir füreinander gar nicht da waren , ohne uns deswegen zu meiden .
Sie kam ebensooft zu uns herüber , wenn ich da war , wie sonst , und ich besuchte den Schulmeister nach wie vor , wo sie sich dann zufrieden herumzubewegen schien , ohne sich um mich zu bekümmern .
Indessen kam es mir wunderlich vor , daß kein Mensch unsere seltsame Haltung zu bemerken schien , obgleich es doch gewiß auffallen mußte , daß wir auch gar nie etwas zueinander sagten .
Die älteste Base , Margot , hatte sich diesen Sommer mit dem jungen Müller verlobt , welcher ein stattlicher Reitersmann war ; die mittlere duldete offen die Bewerbungen eines reichen Bauernsohnes , und die jüngste , ein Ding von sechzehn Jahren , welches sich im Kriege immer am wildesten und feindseligsten gebärdet , war unmittelbar nach einem der hitzigsten Gefechte überrascht worden , wie sie in der Laube sich schnell von dem Philosophen küssen ließ .
Die Wolken der Zwietracht hatten sich daher verzogen , der allgemeine Friede war hergestellt , nur zwischen mir und Anna , welche nie im Kriege gelegen miteinander , war kein Friede , oder vielmehr ein sehr stiller ; denn unser Verhältnis blieb sich immer gleich .
Anna hatte die äußerlichen Welschlandsmanieren schon abgelegt und war wieder frischer und freier geworden ; allein sie blieb doch ein feines und sprödes Kind , das überhaupt nicht viel sprach , leicht beleidigt und gereizt wurde , was ein schnelles Erröten immer anzeigte , und besonders stellte sich ein leichter Stolz heraus , der sich mit etwas Eigensinn verband .
Desto verliebter aber wurde ich mit jedem Tage , so daß ich mich fortwährend mit ihr beschäftigte , wenn ich allein war , mich unglücklich fühlte und einsam Wälder und Höhen durchstreifte ; denn da ich nunmehr wieder der einzige war , welcher seine Gedanken verbergen mußte , wie ich wenigstens glaubte , so ging ich auch vorzugsweise wieder allein und auf mich selbst angewiesen .
Zehntes Kapitel Das Gericht in der Laube Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu , mit meinem Handwerkszeuge versehen ; allein ich zeichnete nur wenig nach der Natur , sondern wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden , wo ich sicher war , daß niemand mich überraschte , zog ich ein schönes Stück englisches Papier hervor , auf welchem ich Annas Bildnis aus dem Gedächtnis in Wasserfarben malte .
Es war für mich das allergrößte Glück , wenn ich mich an einem klaren Spiegelwässerchen unter dichtem Blätterdache so wohnlich eingerichtet hatte , das Bild auf den Knien .
Ich konnte nicht erheblich zeichnen , daher fiel das Ganze etwas byzantinisch aus , was ihm bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben ein eigenes Ansehen gab .
Jeden Tag betrachtete ich Anna verstohlen oder offen und verbesserte danach das Bild , bis es zuletzt ziemlich ähnlich wurde .
Es war in ganzer Figur und stand in einem Blumenbeete , dessen hohe Stängel und Kronen mit Annas Haupt in den tiefblauen Himmel ragten ; der obere Teil der Zeichnung war bogenförmig abgerundet und mit Rankenwerk eingefaßt , in welchem glänzende Vögel und Schmetterlinge saßen , deren Farben ich noch mit Goldlichtern erhöhte Alles dies sowie Annas Gewand , welches ich phantastisch erfand und schmückte , war mir die angenehmste Arbeit während vieler Tage , die ich im Walde zubrachte , und ich unterbrach diese Arbeit nur , um auf meiner Flöte zu spielen , welche ich beständig bei mir führte .
Auch des Abends , nach Sonnenuntergang , ging ich oft mit der Flöte noch aus , strich hoch über den Berg , bis wo der See in der Tiefe und des Schulmeisters Haus daran lag , und ließ dann meine wildgewachsenen Weisen oder auch ein schönes Liebeslied durch Nacht und Mondschein ertönen .
So gingen die Sommermonate vorüber ; ich verbarg das Bild sorgfältig und gedachte es noch lange zu verbergen , da es von jedermann als ein ziemlich deutliches Geständnis der Liebe angesehen werden mußte .
An einem sonnigen Septembernachmittage , als der herbstliche Schein mild auf dem Garten lag und das Gemüt zur Freundlichkeit stimmte , wollte ich eben ausgehen , als ein ganz kleines Knabchen mir die Botschaft brachte , ich möchte in die größere Gartenlaube kommen .
Ich wußte , daß sämtliche Mädchen dort mit Margots Aussteuer beschäftigt waren und daß Anna ihnen half ; das Herz klopfte mir daher sogleich , weil ich irgend etwas ahnte ; doch ging ich erst nach einer kleinen Weile mit gleichgültiger Miene hin .
Die Mädchen saßen in einem Halbkreise um das weiße Leinenzeug herum , unter dem grünen Rebendache , und sie sahen alle schön und blühend aus .
Als ich eintrat und fragte , was sie begehrten , lächelten und kicherten sie eine Zeitlang verlegen , daß ich trotzig schon wieder umkehren und weggehen wollte .
Jedoch Margot ergriff das Wort und rief : " So bleibe doch hier , wir werden dich nicht essen ! " und nachdem sie sich geräuspert , fuhr sie fort : " Es sind mannigfaltige Klagen über dich angesammelt , und wir haben daher uns als eine Art Gerichtshof hierher gesetzt , um dich zu richten und ins Verhör zu nehmen , lieber Vetter ! und wir fordern dich hiermit auf , uns auf alle Fragen treu , wahr und bescheiden zu antworten !
Erstlich wünschen wir zu wissen - je , was wollten wir denn zuerst fragen , Caton ? "
" Ob er gern Aprikosen esse " , erwiderte diese , und Lisette rief :
" Nein , wie alt er sei , müssen wir zuerst fragen , und wie er heiße ! "
" Bitte , macht euch nicht gar zu unnütz " , sagte ich , " und rückt heraus mit eurem Anliegen ! "
Doch Margot sagte : " Kurz und gut , du sollst einmal sagen , was du gegen die Anna hast , daß du dich so gegen sie benimmst ? "
" Wieso ? " antwortete ich verlegen , und Anna wurde ganz rot und sah auf ihre Leinwand .
Margot fuhr fort : " Wieso ? das möchte ich auch noch fragen !
Mit einem Wort , was hast du für einen Grund , seit deiner Ankunft bei uns kein Sterbenswörtchen zur Anna zu sagen und zu tun , als ob sie gar nicht in der Welt wäre ?
Dies ist nicht nur eine Beleidigung für sie , sondern für uns alle , und schon des öffentlichen Anstands wegen muß es gehoben werden auf irgendeine Weise ; wenn Anna dich beleidigt hat , ohne es zu wissen , so erkläre es , damit sie dir demütige Abbitte tun kann .
Übrigens brauchst du hierauf nicht stolz zu sein oder zu glauben , es sei auf deine kostbare Gunst abgesehen !
Einzig und allein muß durch gegenwärtige Verhandlung die Schicklichkeit und das gute Recht gewahrt werden ! "
Ich erwiderte , daß ich die Gründe für mein Benehmen gegen Anna angeben könne , sobald sie mir diejenigen für ihr eigenes Verhalten mitteilen wolle , indem ich mich ebensowenig eines an mich gerichteten Wortes rühmen dürfe .
Auf diese Rede wurde mir vorgehalten ein Frauenzimmer könne immer noch tun , was sie wolle ; jedenfalls müßte ich den Anfang machen , worauf dann Anna sich verpflichten würde , in einem gesellschaftlich freundlichen und zuvorkommenden Verkehr mit mir zu leben wie mit anderen .
Dies ließ sich hören und schien mir ganz in dem Sinne gesagt zu sein , in welchem ich die Frauen als eine verschworene Einheit betrachtet hatte ; es klang mir wie ein angenehmer Beweis davon , daß es gut sei , wenn sie eine Sache wohlwollend an die Hand nähmen .
Ihre hochtrabenden Worte beirrten mich nicht , und ich bildete mir gleich ein , daß man mich sehr nötig habe .
Lächelnd erwiderte ich , daß ich mich einem vernünftigen Wort gern füge und daß ich nichts Besseres verlange , als mit aller Welt in Frieden zu leben .
Nun stand ich aber wieder da , ohne Anna weiter anzusehen , welche emsig nähte .
Lisette ergriff nun das Wort und sagte : " Um einen Anfang zu machen , gib nun der Anna die Hand und versprich ihr mit deutlichen Worten , jedesmal , wo du mit ihr zusammentriffst , sie mit ihrem Namen zu grüßen und sie zu fragen , wie es ihr geht ; hierbei soll festgesetzt sein , daß alle Tage , wo und wann ihr euch zuerst begegnet , die Hand gereicht werde , wie es unter Christen gebräuchlich ist ! "
Ich näherte mich Anna , hielt meine Hand hin und sprach eine verworrene kleine Rede ; ohne aufzusehen , gab sie mir die Hand , wobei sie die Nase ein bißchen rümpfte und ein wenig lächelte .
Als ich hierauf mich aus der Laube entfernen wollte , begann Margot wieder :
" Geduld , Herr Vetter !
Es kommt nun der zweite Punkt , welcher zu erledigen ist . "
Sie schlug die Tücher , welche den Tisch bedeckten , auseinander und enthüllte mein Bild Annas .
" Wir wollen " , fuhr sie fort , " nicht lange erörtern , wie wir zu diesem geheimnisvollen Werke gelangt sind ; es ist entdeckt , und wir wünschen nun zu wissen , mit welchem Recht und zu welchem Zweck harmlose Mädchen ohne ihr Wissen abkonterfeit werden ? "
Anna hatte einen flüchtigen Blick auf das bunte Wesen geworfen und saß ebenso verlegen und unruhig da , als ich beschämt und trotzig war .
Ich erklärte , daß das Blatt mein Eigentum und ich keiner sterblichen Seele eine Verantwortung darüber schuldig wäre , gleichviel ob es ans Tageslicht getreten oder noch im verborgenen liege , wo ich künftig meine Sachen zu lassen bitte .
Damit wollte ich meine Zeichnung ergreifen ; allein die Mädchen deckten sie schleunig mit Leinwand zu und türmten die ganze Aussteuer darauf .
Es könne ihnen nicht gleichgültig sein , sagten sie , ob ihre Bildnisse heimlich und zu unbekanntem Zwecke angefertigt würden .
Ich müßte also bestimmt erklären , für wen ich besagtes Werk angefertigt habe oder was ich damit zu machen gedenke ; denn daß ich es für mich behalten wolle , sei nach meinem bisherigen Verhalten nicht wohl anzunehmen ; auch wäre dies nicht zu gestatten .
" Die Sache ist sehr einfach " , erwiderte ich endlich , " ich habe dem Schulmeister , Annas Vater , eine kleine Freude zu seinem Namenstage machen wollen und gedachte dies am besten durch ein Porträt seiner Jungfrau Tochter zu erreichen ; habe ich damit Unrecht getan , so ist es mir leid , ich werde es nicht wieder tun !
Ich kann vielleicht durch eine Abbildung seines Hauses und Gartens am See dem Herrn Vetter den gleichen Dienst leisten , mir verschlägt es nichts ! "
Durch diese Ausflucht beraubte ich mich zwar selbst des Bildes , das mir auch der Mühe und Arbeit wegen lieb geworden war ; zugleich aber schnitt ich der unbequemen Verhandlung den Faden ab , indem die Mädchen hiergegen nichts mehr einzuwenden wußten und meine aufmerksame Gesinnung für den Schulmeister noch zu loben veranlaßt wurden .
Doch beschlossen sie , die Malerei aufzubewahren bis zum bestimmten Tage , wo wir sie sämtlich dem Schulmeister feierlich überbringen würden .
So kam ich um meinen Schatz , verhehlte aber meinen Verdruß , indessen die kleine Caton , noch nicht zufrieden , wieder anfing :
" » Ihm verschlägt es nichts ! « ob er das Haus zeichne oder Anna , sagte er !
Was soll das wohl heißen ? "
Und Margot erwiderte :
" Das soll heißen , daß er ein hochmütiger Gesell ist , welchem ein Haus und ein schönes Mädchen gleich unbedeutend sind !
Hauptsächlich aber soll es heißen Glaubt ja nicht etwa , daß ich das mindeste besondere Interesse an diesem Gesichtchen hatte , als ich es malte !
Dies ist eine neue Beleidigung , und der armen Anna gebührt eine glänzende Genugtuung ! "
Margot zog nun ein zusammengelegtes Blatt aus dem Busen , entfaltete es und beauftragte Lisette , es laut und feierlich vorzulesen .
Ich war sehr begierig , was es sein möchte ; Anna wußte ebenfalls nicht , was das bedeute , und sah ein wenig auf ; nach den ersten Worten aber erkannte ich , daß es meine Liebeserklärung aus dem Bienenhause war .
Es wurde mir kalt und heiß während des Lesens ; Anna kam , soviel ich in meiner Verwirrung bemerken konnte , erst nach und nach auf die Spur ; die übrigen Mädchen , welche anfangs übermütige und lachende Gesichter zeigten , wurden durch die Stille während des Lesens und durch die ehrliche Kraft jener Worte überrascht und beschämt , und sie erröteten der Reihe nach , wie wenn die Erklärung sie selber betroffen hätte .
Indessen gab mir die Angst schon eine neue List ein , die Angst , welche ich vor dem Verklingen des letzten Wortes empfand .
Als die Leserin schwieg , selbst in nicht geringer Verlegenheit , sagte ich so trocken als möglich :
" Teufel ! das kommt mir ganz bekannt vor , zeigt einmal her ! -
Richtig ! das ist ein altes Blatt Papier , von mir beschrieben ! "
" Nun ? weiter ? " sagte Margot etwas verblüfft , denn sie wußte nun ihrerseits nicht , wo es hinaussollte .
" Wo habt ihr das gefunden ? " fuhr ich fort , " das ist ein Stück Übersetzung aus dem Französischen , das ich schon vor zwei Jahren hier im Hause gemacht habe .
Die ganze Geschichte steht in dem alten vergoldeten Schäferroman , der im Dachstübchen liegt bei den alten Degen und Folianten ; ich habe damals statt des Namens Melinde den Namen Anna hingesetzt zum Spaße .
Hole einmal das Buch herunter , kleine Caton ! ich will euch die Stelle französisch vorlesen . "
" Hole einmal selbst , kleiner Heinrich , wir sind gerade gleich alt ! " versetzte die Kleine , und die übrigen machten ganz enttäuschte Gesichter , da meine Erfindung zu natürlich und wahrhaft aussah .
Nur Anna mußte wissen , daß die Erklärung doch ausschließlich an sie gerichtet war , weil sie allein an der Berufung auf das Grab der Großmutter erkennen konnte , daß Stoff und Datum neu waren .
Sie rührte sich nicht .
So war nun der Inhalt des fliegenden Blattes doch noch an seine rechte Bestimmung gelangt , und ich konnte seine Wirkung sich selbst überlassen , ohne mit meiner Person unmittelbar dazu zu stehen und ohne daß die Mädchen einen Triumph davon hatten .
Ich wurde so sicher und kühn , daß ich das Papier nahm , zusammenfaltete und es der Anna mit einer komischen Verbeugung und den Worten überreichte :
" Da man dieser Stilübung einmal einen höheren Zweck zugeschrieben hat , so geruhen Sie , verehrtes Fräulein ! dem irrenden Blatte ein schützendes Obdach zu geben und dasselbe als eine Erinnerung an diesen denkwürdigen Nachmittag von mir anzunehmen ! "
Sie ließ mich erst eine Weile stehen und wollte das Papier nicht nehmen ; erst als ich eben links abschwenken wollte , nahm sie es rasch und warf es neben sich auf den Tisch .
Mein Witz war indessen zu Ende , und ich suchte mit guter Manier aus der Laube zu kommen .
Mit einer zweiten scherzhaften Verbeugung empfahl ich mich ; sämtliche Mädchen standen zierlich auf und entließen mich unter spöttisch-höflichen Verneigungen .
Der Spott kam von ihrem weiblichen Grolle , daß sie mich nicht gedemütigt und untergekriegt hatten , die Höflichkeit von der Achtung , welche ihnen mein Benehmen einflößte ; denn während das Bild sowohl wie das beschriebene Blatt von dem Vorhandensein einer bestimmten Neigung zeugten , hatte ich trotz der Öffentlichkeit der Verhandlung das Geheimnis so zu schützen gewußt , daß unter dem Mantel des Scherzes nicht nur ich , sondern auch Anna die volle Freiheit behalten hatte , anzuerkennen , was ihr beliebte .
Höchst zufrieden zog ich mich in das Dachstübchen zurück , wo ich meinen Sitz aufgeschlagen hatte , und verträumte dort eine kleine Stunde in der größten Seligkeit .
Anna kam mir so liebenswert und köstlich vor wie noch niemals , und indem mein eigensüchtiger Sinn sie sich nun unentrinnbar verfallen dachte , bedauerte ich sie in ihrer Feinheit beinahe und fühlte eine Art zärtlichen Mitleidens mit ihr .
Doch machte ich mich bald wieder auf die Beine und schlich , da die Septembersonne sich schon zu neigen begann , dem Garten zu , um dem Tage die Krone aufzusetzen und zu sehen , ob ich Anna nach Hause geleiten könnte , zum ersten Male wieder seit den schönen Kindertagen .
Sie aber war schon fort und allein über den Berg gegangen ; die Basen räumten ihre Arbeit zusammen und taten sehr gleichmütig und ruhig ; ich überblickte den leeren Tisch , hütete mich aber wohl zu fragen , ob Anna das Papier wirklich mitgenommen habe , und schlenderte unmutig das Tal hinauf in den Schatten hinein .
Die nächsten Tage kam sie nicht zu uns , und ich getraute mir auch nicht zum Schulmeister zu gehen ; sie hatte jetzt ein schriftliches Geständnis von mir in den Händen , weswegen wir nun unser beider Freiheit verloren und deshalb unser Benehmen schwieriger schien , weil ich die Gewaltsamkeit einer solchen Erklärung wohl fühlte .
Wie nun ein Tag nach dem anderen vorüberging , verschwand meine vergnügte Sicherheit wieder , besonders da ich gar keinerlei Erwähnung und Spuren von dem Vorgange in der Laube erfuhr , und ich war eben wieder auf dem Punkte , in meinem Herzen trotzig zu verstocken , als der Namenstag des Schulmeisters , welchen ich in der Not angerufen hatte , wirklich da war und die Bäschen erklärten , wir würden auf den Abend alle hingehen , um ihn zu beglückwünschen .
Erst jetzt bekam ich mein Bild wieder zu sehen , welches ganz fein eingerahmt war .
An einem verdorbenen Kupferstiche hatten die Mädchen einen schmalen , in Holz auf das zierlichste geschnittenen Rahmen gefunden , welcher wohl siebzig Jahr alt sein mochte und eine auf einen schmalen Stab gelegte Reihe von Muschelchen vorstellte , von denen eins das andere halb bedeckte .
An der inneren Kannte lief eine feine Kette mit viereckigen Gelenken herum , die äußere Kannte war mit einer Perlenschnur umzogen .
Der Dorfglaser , welcher allerlei Künste trieb und besonders in verjährten Lackierarbeiten auf altmodischem Schachtelwerk stark war , hatte den Muscheln einen rötlichen Glanz gegeben , die Kette vergoldet und die Perlen weiß gemacht und ein neues klares Glas genommen , so daß ich höchst erstaunt war , meine Zeichnung in diesem Aufputze wiederzufinden .
Sie erregte die Bewunderung aller ländlichen Beschauer , und besonders meine , Blumen und Vögel sowie die Goldspangen und Edelsteine , womit ich Anna geschmückt , auch die fromme und sorgfältige Ausarbeitung ihrer Haare und ihrer weißen Halskrause , die schönblauen Augen und die rosenroten Wangen , der kirschrote Mund , alles entsprach dem phantasiereichen Sinne der Leute , welche ihre Augen an den mannigfaltigen Gegenständen vergnügten .
Das Gesicht war fast gar nicht modelliert und ganz Licht , und dies gefiel ihnen nur um so mehr , obgleich dieser vermeintliche Vorzug in meinem Nichtkönnen seinen einzigen Grund hatte .
Ich mußte das Werk eigenhändig tragen , als wir fortgingen , und wenn die Sonne sich in dem glänzenden Glase spiegelte , so erwies es sich recht eigentlich , daß kein Fädlein so fein gesponnen , das nicht endlich an die Sonne käme .
Auch machten die Mädchen reichliche Witze , wenn sie sich nach mir umsahen , der den Rahmen sorgfältig in acht nehmen mußte und daher aussah , als ob ich eine Altartafel im Schweiße meines Angesichts über den Berg trüge .
Aber die Freude , welche der Schulmeister bezeugte , entschädigte mich reichlich für alles sowie über den Verlust des Bildes , zumal ich mir vornahm , für mich selbst noch ein viel schöneres zu entwerfen .
Ich war der Held des Tages , als das Bild nach genugsamem Betrachten über dem Sofa im Orgelsaale aufgehängt wurde , wo es sich wie das Bild einer märchenhaften Kirchenheiligen ausnahm .
Elftes Kapitel Die Glaubensmühen Doch dies alles trug dazu bei , meine Annäherung an Anna zu erschweren ; es war mir unmöglich , die Gelegenheit zu benutzen und mit ihr schönzutun ; ich begriff , daß sie jetzt eben sich sehr gemessen benehmen mußte , und ich erkannte , daß es eigentlich gar kein Spaß sei , einem Mädchen seine Neigung so bestimmt kundzugeben .
Desto besser stand ich mich mit dem Schulmeister , mit welchem ich vielfach disputierte .
Sein Bildungskreis umfaßte hauptsächlich das christlich moralische Gebiet in einem halb aufgeklärten und halb mystisch andächtigen Sinne , wo der Grundsatz der Duldung und Liebe , gegründet auf Selbsterkenntnis und auf das Studium des Wesens Gottes und der Welt , zuoberst stand .
Daher war er bewandert in den Denkwürdigkeiten und Aufzeichnungen geistreich andächtiger Leute aus verschiedenen Nationen , und er besaß und kannte seltene und berühmte Bücher dieser Art , die ihm die Überlieferung gleicher Bedürfnisse in die Hände gegeben hatte .
Es war viel Schönes und Erbauliches zu lesen in diesen Büchern , und ich hörte mit Bescheidenheit und Wohlgefallen seinen Vorträgen zu , da ja das Grübeln nach dem Wahren und Guten mich unerläßlich dünkte .
Meine Einsprachen bestanden darin , daß ich gegen das spezifisch Christliche protestierte , welches das alleinige Merkzeichen alles Guten sein sollte .
Ich befand mich in dieser Hinsicht in einem peinlichen Zerwürfnisse .
Während ich die Person Christi liebte , wenn sie auch , wie ich glaubte , in der Vollendung , wie sie dasteht , eine Sage sein sollte , war ich doch gegen alles , was sich Christlich nannte , feindlich gesinnt geworden , ohne recht zu wissen warum , und ich war sogar froh , diese Abneigung zu empfinden ; denn wo sich Christentum geltend machte , war für mich reizlose und graue Nüchternheit .
Ich ging deswegen schon seit ein paar Jahren fast nie in die Kirche , und die religiöse Unterweisung besuchte ich sehr selten , obgleich ich dazu verpflichtet war ; im Sommer kam ich durch , weil ich größtenteils auf dem Lande lebte ; im Winter ging ich zwei- oder dreimal , und man schien dies nicht zu bemerken , wie man mir überhaupt keine Schwierigkeiten machte , aus dem einfachen Grunde , weil ich der grüne Heinrich hieß , d.h. weil ich eine abgesonderte und abgeschiedene Erscheinung war ; auch machte ich ein so finsteres Gesicht dazu , daß die Geistlichen mich gern gehen ließen .
So genoß ich einer vollständigen Freiheit und , wie ich glaube , nur dadurch , daß ich mir dieselbe , trotz meiner Jugend , entschlossen angemaßt ; denn ich verstand durchaus keinen Spaß hierin .
Jedoch ein- oder zweimal im Jahre mußte ich genügsam bezahlen , wenn nämlich an mich die Reihe kam , in der Kirche aufzutreten , d.h. in der öffentlichen Kirchenlehre nach vorhergegangener Einübung einige auswendig gelernte Fragen zu beantworten .
Dies war vor Jahren schon eine Pein für mich gewesen , nun aber geradezu unerträglich ; und doch unterzog ich mich dem Gebrauche oder mußte es vielmehr , da , abgesehen von dem Kummer , den ich meiner Mutter gemacht hätte , das endliche gesetzliche Loskommen daran geknüpft war .
Auf die nächste Weihnacht sollte ich nun konfirmiert werden , was mir ungeachtet der gänzlichen Freiheit , welche mir nachher winkte , große Sorgen verursachte .
Daher äußerte ich mein Antichristentum jetzt gegen den Schulmeister mehr , als ich sonst getan haben würde , obgleich es in ganz anderer Weise geschah , als wenn ich mit dem Philosophen zusammen war ; ich mußte nicht nur den Vater Annas , sondern überhaupt den bejahrten Mann ehren ; und besonders seine duldsame und liebevolle Weise schrieb mir von selber vor , mich in meinen Ausdrücken mit Maß und Bescheidenheit zu benehmen und sogar zuzugestehen , daß ich als ein junger Bursche noch was zu lernen möglich fände .
Auch war der Schulmeister eher froh über meine abweichenden Meinungen , indem sie ihm Veranlassung zu geistiger Bewegung gaben und er um so mehr Ursache bekam , mich liebzugewinnen , der Mühe wegen , die ich ihm machte .
Er sagte , es sei ganz in der Ordnung , ich sei wieder einmal ein Mensch , bei welchem das Christentum das Ergebnis des Lebens und nicht der Kirche sein würde , und werde noch ein rechter Christ werden , wenn ich erst etwas erfahren habe .
Der Schulmeister stand sich nicht gut mit der Kirche und behauptete , ihre gegenwärtigen Diener wären unwissende und rohe Menschen .
Ich habe ihn aber ein wenig im Verdacht , daß dies nur darin seinen Grund hatte , daß sie Hebräisch und Griechisch verstanden , was ihm verschlossen blieb .
Indessen war die Ernte längst vorüber , und ich mußte an die Rückkehr denken .
Mein Oheim wollte mich diesmal nach der Stadt bringen und zugleich seine Töchter mitnehmen , von denen die zwei jüngeren noch gar nie dort gewesen .
Er ließ eine alte Kutsche bespannen , und so fuhren wir davon , die Töchter in ihrem besten Staate , zum Erstaunen aller Dorfschaften , durch welche wir kamen .
Der Oheim fuhr am gleichen Tage mit Margot zurück , Lisette und Caton blieben eine Woche bei uns , wo die Reihe an ihnen war , die Blöden und Schüchternen zu spielen , denn ich zeigte ihnen mit wichtiger Miene alle Herrlichkeiten der Stadt und tat , als ob ich dies alles erfunden hätte .
Nicht lange nachdem sie fort waren , kam eines Morgens ein leichtes Fuhrwerk vor unser Haus gerollt , und heraus stiegen der Schulmeister und sein Töchterchen , letzteres durch einen fliegenden grünen Schleier gegen die kühle Herbstluft geschützt .
Eine lieblichere Überraschung hätte mir gar nicht widerfahren können , und meine Mutter hatte die größte Freude an dem guten Kinde .
Der Schulmeister wollte sich umsehen , ob für den Winter eine geeignete Wohnung zu finden wäre , indem er doch allmählich sein Kind mit der Welt mehr in Berührung bringen mußte , um ihre Anlagen nach allen Seiten sich entwickeln zu lassen .
Es sagte ihm jedoch keine Gelegenheit zu , und er behielt sich vor , lieber im nächsten Jahre ein kleines Haus in der Nähe der Stadt zu kaufen und ganz überzusiedeln .
Diese Aussicht erfüllte mich zwar mit plötzlicher Freude ; aber ich hätte mir Anna doch lieber für immer als das Kleinod jener grünen entlegenen Täler gedacht , die mir einmal so lieb geworden .
Indessen hatte ich das heimliche Vergnügen , zu sehen , wie meine Mutter Freundschaft schloß mit Anna und wie diese ebenso tiefen Respekt als herzliche Zuneigung zu jener bezeigte und zu meiner allergrößten Genugtuung gern zu zeigen schien .
Wir wetteiferten nun förmlich , ich , dem Schulmeister meine Achtung darzutun , und sie meiner Mutter , und über diesem angenehmen Streite fanden wir keine Zeit , miteinander selbst zu verkehren , oder wir verkehrten vielmehr nur dadurch miteinander .
So schieden sie von uns , ohne daß ich mit ihr einen einzigen besonderen Blick gewechselt hätte .
Nun rückte der Winter heran und mit ihm das Weihnachtsfest .
Wöchentlich dreimal früh um fünf Uhr mußte ich in das Haus des Pfarrhelfers gehen , wo in einer langen schmalen riemenförmigen Stube an vierzig junge Leute zur Konfirmation vorbereitet wurden .
Wir waren Jünglinge , wie man uns nun nannte , aus allen Ständen ; am oberen Ende , wo einige trübe Kerzen brannten , die Vornehmen und Studierenden , dann kam der mittlere Bürgerstand , unbefangen und mutwillig , und zuletzt , ganz in der Dunkelheit , arme Schuhmacherlehrlinge , Dienstboten und Fabrikarbeiter , etwas roh und schüchtern , unter denen wohl dann und wann eine plumpe Störung vorfiel , während weiter oben man sich mit Anstand einer ruhigen Unaufmerksamkeit hingab .
Diese Ausscheidung war gerade nicht absichtlich angeordnet , sondern sie hatte sich von selbst gemacht .
Wir waren nämlich nach unserem Verhalten und nach unserer Ausdauer geordnet ; da nun die Vornehmsten von Haus aus zum äußeren Frieden mit der Kirche streng erzogen wurden und die meiste Sicherheit im Sprechen besaßen und dies Verhältnis durch alle Grade herunterging , so war dem Scheine nach die Rangordnung ganz natürlich , besonders da die Ausnahmen sich dann von selbst zu ihresgleichen hielten und durchaus nicht sich unter die anderen Stände mischen wollten .
Schon das pünktliche Aufstehen und Hingehen am kalten dunklen Wintermorgen , an regelmäßigen Tagen , und das Hinsitzen an einen bestimmten Platz war mir unerträglich , da ich seit der Schulzeit dergleichen nicht mehr geübt .
Nicht daß ich gänzlich unfügsam war für irgendeine Disziplin , wenn ich einen notwendigen und vernünftigen Zweck einsah ; denn als ich zwei Jahre später meiner Militärpflicht genügen und als Rekrut mich an bestimmten Tagen auf die Minute am Sammelplatze einfinden mußte , um mich nach dem Willen eines verwitterten Exerziermeisters sechs Stunden lang auf dem Absatz herumzudrehen , da tat ich dies mit dem größten Eifer und war ängstlich bestrebt , mir das Lob des alten Kommißbruders zu erwerben .
Allein hier galt es , sich zur Verteidigung des Vaterlandes und seiner Freiheit fähig zu machen ; das Land war sichtbar , ich stand darauf und nährte mich von seiner Frucht .
Dort aber mußte ich mich gewaltsam aus Schlaf und Traum reißen , um in der düsteren Stabe zwischen langen Reihen einer Schar anderer schlaftrunkener Jünglinge das allerfabelhafteste Traumleben zu führen unter dem eintönigen Befehl eines geistlichen Ministers , mit dem ich sonst auf der Welt nichts zu schaffen hatte .
Was unter fernen östlichen Palmen vor Jahrtausenden teils sich begeben , teils von heiligen Träumern geträumt und niedergeschrieben worden war , ein Buch der Sage , das wurde hier als das höchste und ernsthafteste Lebenserfordernis , als die erste Bedingung , Bürger zu sein , Wort für Wort durchgesprochen und der Glaube daran auf das genaueste reguliert .
Die wunderbarsten Ausgeburten menschlicher Phantasie , bald heiter und reizend , bald finster , brennend und blutig , aber immer durch den Duft einer entlegenen Ferne gleichmäßig umschleiert , mußten als das gegenwärtigste und festeste Fundament unseres ganzen Daseins angesehen werden und wurden uns nun zum letzten Male und ohne allen Spaß bestimmt erklärt und erläutert , zu dem Zwecke , im Sinne jener Phantasien ein wenig Wein und ein wenig Brot am richtigsten genießen zu können ; und wenn dies nicht geschah , wenn wir uns dieser fremden wunderbaren Disziplin nicht mit oder ohne Überzeugung unterwarfen , so waren wir ungültig im Staate , und es durfte keiner nur eine Frau nehmen .
Von Jahrhundert zu Jahrhundert war dies so geübt , und die verschiedene Auslegung der symbolischen Vorstellung hatte schon ein Meer von Blut gekostet ; der jetzige Umfang und Bestand unseres Staates war größtenteils eine Folge jener Kämpfe , so daß für uns die Welt des Traumes auf das engste mit der gegenwärtigen und greifbarsten Wirklichkeit verbunden war .
Wenn ich den widerspruchlosen Ernst sah , mit welchem ohne Mienenverzug das Fabelhafte behandelt wurde , so schien es mir , als ob von alten Leuten ein Kinderspiel mit Blumen getrieben würde , bei welchem jeder Fehler und jedes Lächeln Todesstrafe nach sich zieht .
Das erste , was uns der Lehrer als christliches Erfordernis bezeichnete und worauf er eine weitläufige Wissenschaft gründete , war das Erkennen und Bekennen der Sündhaftigkeit .
Nun war die Aufrichtigkeit gegen sich selbst , die Kenntnis der eigenen Fehler und Untugenden mir keineswegs fremd , das Andenken an die kindlichen Übeltaten und moralischen Schulabenteuer noch so frisch , daß ich auf dem Grunde meines Bewußtseins sogar deutlich ein angehendes Sünderlein herumgehen sah , welches mir demütige Reue verursachte .
Dennoch wollte mir das Wort nicht gefallen ; es hatte einen zu handwerksmäßigen Anstrich , einen widerlich technischen Geruch wie von einer Leimsiederei oder von dem säuerlich verdorbenen Schlichtebrei eines Leinewebers .
Daß die göttliche Manipulation mit dem Sündenfall in dem muffigen Wesen fortmüffelte , kam mir damals nicht recht zum Verständnis , weil uns die letzten Feinheiten der theologischen Gemütlichkeit noch nicht zugänglich waren .
So ließ ich die Sache ohne Hochmut und in dem Gefühle auf sich beruhen , daß es jedenfalls sich um einen schwierigen Punkt handle und es bedenklich wäre , gelegentlich etwa aus dem Kreise der Rechtschaffenen und Braven wegzufallen .
Auch dämmerte mir wohl die Ahnung auf , daß selbst der Gerechte manchen Unordentlichkeiten ausgesetzt sei und jede derselben ihr eigenes Maß der Verantwortung in sich habe .
Nach der Lehre von der Sünde kam gleich die Lehre vom Glauben , als der Erlösung von jener , und auf sie wurde eigentlich das Hauptgewicht des ganzen Unterrichtes gelegt ; trotz aller Beifügungen , wie daß auch gute Werke vonnöten seien , blieb der Schlußgesang doch immer und allein der Glaube macht selig ! und dies uns einleuchtend zu machen als herangewachsenen jungen Leuten , wandte der geistliche Mann die möglichst annehmliche und vernünftig scheinende Beredsamkeit auf .
Wenn ich auf den höchsten Berg laufe und den Himmel abzähle , Stern für Stern , als ob sie ein Wochenlohn wären , so kann ich darunter kein Verdienst des Glaubens entdecken , und wenn ich mich auf den Kopf stelle und den Maiblümchen unter den Kelch hinaufgucke , so kann ich nichts Verdienstliches am Glauben ausfindig machen .
Wer an eine Sache glaubt , kann ein guter Mann sein , wer nicht , ein ebenso guter .
Wenn ich zweifle , ob zwei Mal zwei vier seien , so sind es darum nicht minder vier , und wenn ich glaube , daß zwei Mal zwei vier seien , so habe ich mir darauf gar nichts einzubilden , und kein Mensch wird mich darum loben .
Wenn Gott eine Welt geschaffen und mit denkenden Wesen bevölkert hätte , alsdann sich in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt , das geschaffene Geschlecht aber in Elend und Sünde verkommen lassen , hierauf einzelnen Menschen auf außerordentliche und wunderbare Weise sich offenbart , auch einen Erlöser gesendet unter Umständen , welche nachher mit dem Verstande nicht mehr begriffen werden konnten , von dem Glauben daran aber die Rettung und Glückseligkeit aller Kreatur abhängig gemacht hätte , alles dieses nur , um das Vergnügen zu genießen , daß an Ihn geglaubt würde , Er , der seiner doch ziemlich sicher sein dürfte so würde diese ganze Prozedur eine gemachte Komödie sein , welche für mich dem Dasein Gottes , der Welt und meiner selbst alles Tröstliche und Erfreuliche benähme .
Glaube !
O wie unsäglich blöde klingt mich dies Wort an !
Es ist die allerverzwickteste Erfindung , welche der Menschengeist machen konnte in einer zugespitzten Lammslaune !
Wenn ich des Daseins Gottes und seiner Vorsehung bedürftig und gewiß bin , wie entfernt ist dies Gefühl von dem , was man Glauben nennt !
Wie sicher weiß ich , daß die Vorsehung über mir geht gleich einem Stern am Himmel , der seinen Gang tut , ob ich nach ihm sehe oder nicht nach ihm sehe .
Gott weiß , denn er ist allwissend , jeden Gedanken , der in meinem Inneren aufsteigt , er kennt den vorigen , aus welchem er hervorging , und sieht den folgenden , in welchen er übergeht ; er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gegeben , die ebenso unausweichlich ist wie die Bahn der Sterne und der Weg des Blutes ; ich kann also wohl sagen ich will dies tun oder jenes lassen , ich will gut sein oder mich darüber hinwegsetzen , und ich kann durch Treue und Übung es vollführen ; ich kann aber nie sagen ich will glauben oder nicht glauben ; ich will mich einer Wahrheit verschließen , oder ich will mich ihr öffnen !
Ich kann nicht einmal bitten um Glauben , weil , was ich nicht einsehe , mir niemals wünschbar sein kann , weil ein klares Unglück , das ich begreife , noch immer eine lebendige Luft zum Atmen für mich ist , während eine Seligkeit , die ich nicht begriffe , Stickluft für meine Seele wäre .
Dennoch liegt in dem Worte Der Glaube macht selig ! etwas Tiefes und Wahres , insofern es das Gefühl unschuldiger und naiver Zufriedenheit bezeichnet , welches alle Menschen umfängt , wenn sie gern und leicht an das Gute , Schöne und Merkwürdige glauben , gegenüber denjenigen , welche aus Dünkel und Verbissenheit oder aus Selbstsucht alles in Frage stellen und bemäkeln , was ihnen als gut , schön oder merkwürdig erzählt wird .
Wo das religiöse Glauben bei mangelnder Überlegungskraft seinen Grund in jener liebenswürdigen und gutmütigen Leichtgläubigkeit hat , da sagt man mit Recht , es mache selig , und denjenigen Unglauben , welcher aus der anderen Quelle herrührt , kann man billig unselig nennen .
Allein mit der eigentlichen dogmatischen Lehre vom Glauben haben beide rein nichts zu tun ; denn während es christlich Gläubige gibt , welche in allen anderen Dingen die unangenehmsten Bezweifler und Bemäkler sind , gibt es ebenso viele Ungläubige , sogar Atheisten , welche sonst an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit allbereiter Leichtigkeit glauben , und es ist ein beliebtes Argument der kirchlichen Polemiker , daß sie solchen höhnisch vorhalten , wie sie jeden auffallenden Quark als bare Münze annehmen und sich von Illusionen nähren , während sie nur das Große und Eine nicht glauben wollen .
So haben wir das komische Schauspiel , wie Menschen sich der abstraktesten Ideologie hingeben , um nachher jeden , der an etwas erreichbar Gutes und Schönes glaubt , einen Ideologen zu nennen .
Will man die Bedeutung des Glaubens kennen , so muß man nicht sowohl die orthodoxen Kirchenleute betrachten , bei denen alles über einen Kamm geschoren ist und das Eigentümliche daher zurücktritt , als vielmehr die undisziplinierten Wildlinge des Glaubens , welche außerhalb der Kirchenmauern frei umherschwirren , sei es in entstehenden Sekten , sei es in einzelnen Personen .
Hier treten die rechten Beweggründe und das Ursprüngliche in Schicksal und Charakter hervor und werfen Licht in das verwachsene und fest gewordene Gebilde der großen geschichtlichen Maße .
Es lebte in unserer Stadt ein fremder Mann namens Wurmlinger , welcher sich ein Vergnügen daraus machte , den Leuten , welche sich mit ihm abgaben , allerlei Erfindungen und Aufschneidereien vorzutragen , um sie nachher ihrer Leichtgläubigkeit wegen zu verhöhnen , indem er erklärte , die Geschichte sei gar nicht wahr .
Jemand anders aber mochte erzählen , was er wollte , so stellte der Mann es in Abrede , und er hatte eine ganz eigene tückische Manier , die Treuherzigkeit , mit welcher ihm etwas gesagt wurde , ins Lächerliche zu ziehen , auf die gleiche Weise , wie er die Treuherzigkeit derer , welche ihm glaubten , spöttisch zu machen wußte .
Er aß keine Krume Brotes , die er sich nicht durch eine Lüge verschafft ; denn er wäre lieber Hungers gestorben , ehe er in ein auf geradem Wege erworbenes Stück Brot gebissen hätte .
Aß er aber sein Brot , so sagte er , es sei gut , wenn es schlecht war , und schlecht , wenn es gut war .
Überhaupt ging sein ganzes Streben dahin , sich immer für etwas anderes zu geben , als er war , was ihm ein fortgesetztes Studium verursachte , so daß er , der eigentlich nichts tat und nie etwas genützt hatte , doch zu jeder Minute in der verwickeltsten Tätigkeit begriffen war .
Hierzu bedurfte er eines fortgesetzten Schleichens und Lauerns , teils um die günstigen Momente zu erhaschen , seine Narrheiten vorzubringen , teils um andere auf schwachen Seiten zu ertappen , da eine Hauptleidenschaft von ihm darin bestand , die ganze Welt der Unwahrheit und Lüge zu überführen ; und es war nichts Lustigeres zu sehen , als wenn er , soeben hinter einer Tür , wo er gelauert hatte , auf den Zehn hervorhüpfend , plötzlich strack und steif dastand , mit rollenden Augen um sich stierte und mit bombastischen Worten seine Geradheit , Ehrlichkeit und arglose Derbheit anrühmte .
Da er bei alledem wohl fühlte , daß jedermann besser daran war als er , so erfüllte ein unnennbar neidisches Wesen seine Seele , welches ihn verzehrte wie ein glühendes Feuer und sich dadurch zu erkennen gab , daß sein drittes Wort immer das Wort " Neid " war .
Er versicherte , sich in einer ewig glückseligen moralischen Überlegenheit zu befinden , und sah daher in jedem Blatte , das nicht nach seiner Weise säuselte , einen neidischen Widersacher , und die ganze Welt war nur ein vor Neid zitternder Wald für ihn .
Widersprach ihm jemand , so schrieb er jeden Widerspruch dem Neide zu ; schwieg man während seiner Vorträge , so wurde er wütend und konnte kaum das Weggehen des Schweigenden abwarten , um denselben des Neides zu beschuldigen , so daß seine ganze Rede durch das unaufhörlich wiederkehrende Wort Neid recht eigentlich zum tönenden Gesange des Neides selbst wurde .
So war er in allem der persönliche Feind der Wahrheit und atmete nur in Abwesenheit derselben , wie die Mäuse auf dem Tische tanzen , wenn die Katze nicht zu Hause ist , und die Wahrheit rächte sich auf die einfachste Weise an ihm .
Sein Grundübel war , daß er schon im Mutterleibe hatte gescheiter sein wollen als seine Mutter , und infolgedessen konnte er nur leben , wenn er nichts zu glauben brauchte , was irgend ein Mensch sagte , alle Menschen aber glaubten , was er sagte Nun konnte er sich freilich stellen , als ob dem so wäre , und er tat es auch , was schon eine energische Zusammenfassung der einzelnen Verlogenheiten und seine Hauptlüge war ; allein der Beweis vom wahren Sachverhalte machte sich doch zu offenbar im Gelächter seiner Nebenmenschen .
Daher fand er kurz und gut seinen besten Stützpunkt in derjenigen Lehre , welche den unbedingten Glauben zum Panier erhebt .
Schon daß die allgemeine Richtung der Zeit sich vom Glauben abwandte und die Mehrzahl der denkenden Menschen , wenn sie sich auch nicht dagegen aussprachen , doch denselben gut sein ließen und nur auf das Begreifliche und Erkennbare bauten , war ihm Grund genug , sich dieser Richtung schnurstracks entgegen zustellen und dabei zu behaupten , der Hang und Drang der Zeit ginge unverkennbar auf den erneuten Glauben los ; denn er konnte das Lügen nirgends lassen .
Diejenigen , welche wirklich glaubten , waren ihm höchst langweilig , und er bekümmerte sich nicht um sie , daher er auch nie in einer Kirche oder religiösen Gemeinschaft gesehen wurde .
Dagegen hatte er es um so mehr mit denen zu tun , welche nicht glaubten .
Nicht daß er sich um das Seelenheil derselben viel gekümmert hätte , obgleich er die Sache mit ängstlicher Hast verfolgte ; seine Angst war die hatte er einmal gesagt , daß er glaube , so mußten für ihn alle , welche nicht glaubten , Esel sein , und wenn dies auf sein Wort hin nicht angenommen wurde , so glaubte er selbst als etwas derartiges dazustehen .
In der Tat könnte man den unseligen Streit die Eselfrage nennen , da gewiß von tausend Fanatikern , welche für ihre religiöse Meinung im Blute wateten , neunhundertneunundneunzig nur aus dem Grunde den Frieden verrieten und Scheiterhaufen anzündeten , weil ihnen aus dem Trotze der Verfolgten das Wort Esel entgegenzutönen schien .
Nichts haßte der Mann mehr als die gewissenhafte und redliche Forschung und die Entdeckungen der Wissenschaft ; wenn irgendein Ergebnis derselben bekannt wurde , so zappelte er mit Händen und Füßen dagegen und suchte es lächerlich zu machen , und wenn es sich als richtig erwies und seine bedeutenden Folgen auf allen Gassen zu sehen und zu greifen waren , so tobte er erst recht und nannte es ins Angesicht eine Lüge .
Das Einmaleins und eine chemische Schale waren ihm unerträglicher als dem Teufel Vaterunser und Weihkessel ; aber auch die Natur rächte sich lächelnd an ihm .
Denn während er die fünf Sinne nicht gelten ließ , war er stets bemüht , dieselben durch einige erfundene Sinne zu vermehren , durch deren possierliche Ausmalung er die christliche Wunderwelt erklären wollte .
Wenn er hierdurch vielfach gegen den christlichen Geist verstieß und man ihm dies durch das Neue Testament bewies , so sagte er , er pfeife auf das Neue Testament , er habe seinen eigenen Kopf , im gleichen Augenblicke , wo er es das Buch des Lebens genannt hatte .
Trotz alledem glaubte er aufrichtig , denn nach irgendeiner Seite hin muß jeder Mensch sich ergeben , und er glaubte um so aufrichtiger , als einesteils der Gegenstand des Glaubens unerwiesen , unbegreiflich und überirdisch war , andernteils ihn das innere Gefühl seines verunglückten Witzes hilflos und weinerlich machte .
Eines Tages ging er mit einer lustigen Gesellschaft über eine Felsenhöhe am Seeufer .
Er war ursprünglich gut gewachsen ; doch die andauernde Verdrehtheit seiner Seele hatte seinen Körper ganz windschief gemacht , daß er aussah wie ein verbogener Wetterhahn .
Sein schöner Wuchs war aber ein Lieblingsthema seiner Rede , und jeden Augenblick war er bereit , sich auszukleiden und ihn zu zeigen , während er an allen Sterblichen etwas auszusetzen hatte , ungefragt diesem einen Höcker andichtete , jenem krumme Beine .
Als er nun etwas verstimmt vor den übrigen Gesellen herging , die ihn schon verschiedentlich aufgezogen hatten , rief plötzlich einer , welcher ihn zum ersten Mal genauer ins Auge faßte :
" Sie !
Herr Wurmlinger !
Sie sind eigentlich verteufelt krumm ! "
Erstaunt kehrte er sich um und sagte : " Sie träumen wohl , oder soll das ein Witz sein ? "
Der andere wandte sich aber zur Gesellschaft und forderte sie auf , ihn ebenfalls näher zu betrachten ; man hieß ihn einige Schritte vorwärts gehen ; er tat es , und jedermann bestätigte nun : ja , er sei schief !
Aufgebracht stellte er sich sogleich neben den Angreifer und wollte ihm beweisen , daß dieser selbst der Mißgewachsene sei .
Der war aber schlank wie eine Tanne , und die Gesellschaft fing an zu lachen .
Sprachlos und hastig kleidete er sich aus und ging splitternackt vor den übrigen her ; die rechte Schulter war vom unaufhörlichen spöttischen Achselzucken höher als die linke , die Ellbogen von seiner eitlen Gespreiztheit nach auswärts gedreht und die Hüften verschoben ; dazu wurde er durch das Bestreben , gerade zu scheinen , nur noch krummer ; er machte in seiner Nacktheit die wunderlichsten Beine , als er so dahinschritt und sich dann und wann ängstlich umsah , ob ihm noch nicht Beifall und Achtung der Gesellschaft nachfolge .
Als diese aber in ein maßloses Gelächter ausbrach , geriet er in großen Zorn und begann , um sich Achtung zu erzwingen , ungeheuerliche Sprünge und Kunststücke zu machen , um die Stärke seines Körpers zu zeigen .
Das Gelächter wurde immer größer , und die Lachenden mußten sich die Seite halten .
Wie nun der nackt Umhertanzende sah , daß die lachenden Menschen sich zur Bequemlichkeit niedersetzten , sprang er plötzlich , in einem Anfall von unsäglicher Wut und irgend etwas Wunderbares erzwingen wollend , mit einem mächtigen Satz über den Rand hinaus , hoch hinunter in den See .
Glücklicherweise fiel er in den Bereich eines weitläufigen Fischernetzes , das die in zwei Kähnen arbeitenden Fischer in eben diesem Augenblicke zusammenzogen und den Mann buchstäblich als einen zappelnden Fisch einheimsten und retteten .
Schlotternd mußte er in seinem nackten Zustande dann eine Strecke am Ufer hintraben , bis er in ein Haus flüchten und dort seine Kleider erwarten konnte .
Gleich darauf verschwand er aus der Gegend .
Die dritte Hauptlehre , welche der Geistliche uns als christlich vortrug , handelte von der Liebe .
Hierüber weiß ich nicht viel Worte zu machen ; ich habe noch keine Liebe betätigen können , und doch fühle ich , daß solche in mir ist , daß ich aber auf Befehl und theoretisch nicht lieben kann .
Schon die unmittelbare Rücksicht auf den lieben Gott ist mir gewissermaßen hinderlich und unbequem , wenn sich die natürliche Liebe in mir geltend machen will .
Es ist mir begegnet , daß ich einen armen Mann auf der Straße abwies , weil ich , während ich ihm eben etwas geben wollte , zugleich an das Wohlgefallen Gottes dachte und nicht aus Eigennutz handeln mochte .
Dann dauerte mich aber der Arme , ich lief zurück ; allein während des Zurücklaufens dünkte mich gerade dieses Bedauern wieder zu geziert , ich kehrte nochmals um , bis ich endlich auf den vernünftigen Gedanken kam möge dem sein , wie ihm wolle , der arme Mensch müsse jedenfalls zu seiner Sache kommen , das sei die erste Frage !
Manchmal kommt dieser Gedanke aber zu spät , und die Gabe bleibt ungegeben .
Daher freue ich mich immer , wenn es geschieht , daß ich unbedacht meine Pflicht erfüllt habe , und es mir erst nachträglich einfällt , daß das etwas Verdienstliches sein dürfte ; ich pflege dann höchst vergnügt ein Schnippchen gegen den Himmel zu schlagen und zu rufen : " Siehst du , alter Papa ! nun bin ich dir doch durchgewischt ! "
Das höchste Vergnügen erreiche ich aber , wenn ich mir in solchen Augenblicken denke , wie ich ihm nun sehr komisch vorkommen müsse ; denn da der liebe Gott alles versteht , so muß er auch Spaß verstehen , obgleich man auch wieder mit Recht sagen kann , der liebe Gott verstehe keinen Spaß !
Das Heiterste und Schönste war mir die Lehre vom Geiste , als welcher ewig ist und alles durchdringt .
Freilich fürchte ich , daß ich die Lehre ein wenig mißverstand und nicht von dem rechten , geistlichen Geiste ergriffen war .
Denn Gott schien mir nicht geistlich , sondern ein weltlicher Geist , weil er die Welt ist und die Welt in ihm ; Gott strahlt von Weltlichkeit .
Alles in allem genommen , glaube ich doch , daß ich unter Menschen , welche in einem geistigen Christentum lebten , zu bestehen vermöchte , und wenn ich dies Annas Vater , dem Schulmeister , einräumen mußte , forderte er , das Wunderbare und die Glaubensfragen einstweilig freisinnig beiseite setzend , mich auf , das Christentum wenigstens dieser geistigen Bedeutung nach anzuerkennen und darauf zu hoffen , daß es in seiner wahren Reinheit erst noch erscheinen und seinen Namen behaupten werde ; etwas Besseres sei einmal nicht da , noch abzusehen .
Hierauf erwiderte ich aber der Geist könne wohl durch einen Menschen leidlich schön geäußert , niemals aber erfunden werden , da er von jeher und unendlich sei ; daher die Bezeichnung der Wahrheit mit einem Menschennamen einem Raub am unendlichen Gemeingute gleichkomme , aus welchem der fortgesetzte Raub des Autoritätswesens aller Art entspringe .
In einer Republik , sagte ich , forder man das Größte und Beste von jedem Bürger , ohne ihm durch den Untergang der Republik zu vergelten , indem man seinen Namen an die Spitze pflanze und ihn zum Fürsten erhebe ; ebenso betrachte ich die Welt der Geister als eine Republik , die nur Gott als Protektor über sich habe , dessen Majestät in vollkommener Freiheit das Gesetz heilighielte , das er gegeben , und diese Freiheit sei auch unsere Freiheit , und unsere die seinige !
Und wenn mir jede Abendwolke eine Fahne der Unsterblichkeit , so sei mir auch jede Morgenwolke die goldene Fahne der Weltrepublik !
" In welcher jeder Fähndrich werden kann ! " sagte freundlich lachend der Schulmeister ; ich aber behauptete die moralische Wichtigkeit dieses Unabhängigkeitssinnes scheine mir sehr groß und größer zu sein , als wir es uns vielleicht denken könnten .
Zwölftes Kapitel Das Konfirmationsfest Der geistliche Unterricht ging nun zu Ende ; wir mußten auf unsere Ausstattung denken , um würdig bei der Festlichkeit zu erscheinen .
Es war unabänderliche Sitte , daß die jungen Leute auf diese Tage den ersten Frack machen ließen , den Hemdkragen in die Höhe richteten und eine steife Halsbinde darum banden , auch die erste Hutröhre auf den Kopf setzten ; zudem schnitt jeder , wer jugendlich lange Haare getragen , dieselben nun kurz und klein gleich den englischen Rundköpfen .
Dies waren mir alles unsägliche Greuel , und ich schwor , dieselben nun und nimmermehr nachzumachen .
Die grüne Farbe war mir einmal eigen geworden , und ich wünschte nicht einmal meinen Übernamen abzuschaffen , der mir noch immer gegeben wurde , wenn man von mir sprach .
Leicht wußte ich meine Mutter zu überreden , grünes Tuch zu wählen und statt eines Frackes einen kurzen Rock mit einigen Schnüren machen zu lassen , dazu statt des gefürchteten Hutes ein schwarzes Samtbarett , da Hut und Frack doch selten getragen und wegen meines Wachstums also eine unnütze Ausgabe sein würden .
Es leuchtete ihr um so mehr ein , als die armen Lehrlinge und Tagelöhnersöhne auch keinen schwarzen Habit zu tragen pflegten , sondern in ihren gewöhnlichen Sonntagskleidern erschienen , und ich erklärte , es sei mir vollkommen gleichgültig , ob man mich zu den ehrbaren Bürgerskindern zähle oder nicht .
So breit ich konnte , schlug ich den Halskragen zurück , strich mein langes Haar kühn hinter die Ohren und erschien so , das Barett in der Hand , am Heiligen Abend in der Stube des Geistlichen , wo noch eine vertrauliche Vorbereitung stattfinden sollte .
Als ich mich unter die feierliche , steif geputzte Jugend stellte , wurde ich mit einiger Verwunderung betrachtet ; denn ich stand allerdings in meinem Aufzug als ein vollendeter Protestant da ; weil ich aber ohne Trotz und Unbescheidenheit mich eher zu verbergen suchte , so verlor ich mich wieder und wurde nicht weiter beachtet .
Die Ansprache des Geistlichen gefiel mir sehr wohl ; ihr Hauptinhalt war , daß von nun an ein neues Leben für uns beginne , daß alle bisherigen Vergehungen vergeben und vergessen sein sollten , hingegen die künftigen mit einem strengeren Maße gemessen würden .
Ich fühlte wohl , daß ein solcher Übergang notwendig und die Zeit dazu gekommen sei ; darum schloß ich mich mit meinen ernsten Vorsätzen , welche ich insbesondere faßte , gern und aufrichtig diesem öffentlichen Vorgange an und war auch dem Manne gut , als er angelegentlich uns er mahnte , nie das Vertrauen zum Besseren in uns selbst zu verlieren .
Aus seiner Behausung zogen wir in die Kirche vor die ganze Gemeinde , wo die eigentliche Feier vor sich ging .
Dort war der Geistliche plötzlich ein ganz anderer ; er trat gewaltig und hoch auf , holte seine Beredsamkeit aus der Rüstkammer der bestehenden Kirche und führte in tönenden Worten Himmel und Hölle an uns vorüber .
Seine Rede war kunstvoll gebaut und mit steigender Spannung auf einen Moment hin gerichtet , welcher die ganze Gemeinde erschüttern sollte , als wir , die in einem weiten Kreise um ihn herumstanden , ein lautes und feierliches Ja aussprechen mußten .
Ich hörte nicht auf den Sinn seiner Worte und flüsterte ein Ja mit , ohne die Frage deutlich verstanden zu haben ; jedoch durchfuhr mich ein Schauer , und ich zitterte einen Augenblick lang , ohne daß ich dieser Bewegung Herr werden konnte .
Sie war eine dunkle Mischung von unwillkürlicher Hingabe an die allgemeine Rührung und von einem tiefen Schrecken , welcher mich über dem Gedanken ergriff , daß ich , so jung noch und unerfahren , doch einer so uralten Meinung und einer gewaltigen Gemeinschaft , von der ich ein unbedeutendes Teilchen war , abgefallen gegenüberstand .
Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder im vereinten Zuge zur Kirche gehen , um nun das Abendmahl zu nehmen .
Ich war schon in der Frühe guter Laune ; noch ein paar Stunden , und ich sollte frei sein von allem geistigen Zwange , frei wie der Vogel in der Luft !
Ich fühlte mich daher mild und versöhnlich gesinnt und ging zur Kirche , wie man zum letzten Mal in eine Gesellschaft geht , mit welcher man nichts gemein hat , daher der Abschied aufgeräumt und höflich ist .
In der Kirche angekommen , durften wir uns unter die älteren Leute mischen und jeder seinen Platz nehmen , wo ihm beliebte .
Ich nahm zum ersten und letzten Mal den Männerstuhl in Beschlag , welcher zu unserem Hause gehörte und dessen Nummer mir die Mutter in ihrem häuslichen Sinne sorglich eingeprägt hatte .
Er war seit dem Tode des Vaters , also viele Jahre , leer geblieben , oder vielmehr hatte sich ein armes Männchen , das sich keines Grundbesitzes erfreute , darin angesiedelt .
Als er herankam und mich in dem Gehäuse vorfand , ersuchte er mich mit kirchlicher Freundlichkeit , " seinen Ort " räumen zu wollen , und fügte belehrend hinzu , in diesem Reviere seien alles eigengehörige Plätze Ich hätte als ein grüner Junge füglich dem bejahrten Männchen Platz machen und mir eine andere Stelle suchen können ; allein dieser Geist des Eigentums und des Wegdrängens mitten im Herzen christlicher Kirche reizte meine kritische Laune ; auch wollte ich den frommen Kirchgänger für seine gemütliche Anmaßung bestrafen , und endlich tat ich dieses nur in dem Bewußtsein , daß der Abgewiesene alsobald wieder und für immer seinen gewohnten Platz einnehmen könne , und dieser Gedanke machte mir das größte Vergnügen .
Als ich ihn meinerseits auch belehrt und ihn ganz verblüfft und traurig eine entfernte Stelle unter den unstet herumwandernden Besitzlosen aufsuchen sah , nahm ich mir vor , ihm am anderen Tage anzudeuten , daß er sich immerhin meines Stuhles bedienen solle , indem ich denselben nicht brauche .
Einmal aber wollte ich darin sitzen und stehen , wie es mein Vater getan .
Derselbe besuchte an allen Festtagen die Kirche , denn alle hohen Feste erfüllten ihn mit heiterer Freude und tapferem Mute , indem er den großen und guten Geist , welchen er in aller Welt und Natur sich erfüllen sah , alsdann besonders fühlte und verehrte .
Weihnachten , Ostern , Himmelfahrt und Pfingsten waren ihm die herrlichsten Freudentage , an welchen es mit Betrachtungen , Kirchenbesuch und frohen Spaziergängen auf grüne Berge hoch herging .
Diese Vorliebe für Festtage hatte sich auf mich vererbt , und wenn ich an einem Pfingstmorgen auf einem Berge stehe in der kristallklaren Luft , so ist mir das Glockengeläute in der fernen Tiefe die allerschönste Musik , und ich habe schon oft darüber spintisiert , durch welchen Gebrauch bei einer allfälligen Abschaffung des Kirchentums das schöne Geläute wohl erhalten werden dürfte .
Es wollte mir jedoch nichts einfallen , was nicht töricht und gemacht ausgesehen hätte , und ich fand zuletzt immer , daß der sehnsüchtige Reiz der Glockentöne gerade in dem jetzigen Zustande bestehe , wo sie fern aus der blauen Tiefe herüberklangen und mir sagten , daß dort das Volk in alten gläubigen Erinnerungen versammelt saß .
In meiner Freiheit ehrte ich dann diese Erinnerungen wie diejenigen der Kindheit , und eben dadurch , daß ich von ihnen geschieden war , wurden mir die Glocken , die so viele Jahrhunderte in dem alten schönen Lande klangen , wehmütig ergreifend .
Ich empfand , daß man nichts " machen " kann und daß die Vergänglichkeit , der ewige Wandel alles Irdischen schon genügsam für poetisch sehnsüchtigen Reiz sorgen .
Der Freiheitssinn meines Vaters in religiöser Hinsicht war vorzüglich gegen die Übergriffe des Ultramontanismus und gegen die Unduldsamkeit und Verknöcherung reformierter Orthodoxen gerichtet , gegen absichtliche Verdummung und Heuchelei jeder Art , und das Wort Pfaff war bei ihm daher öfter zu hören .
Würdige Geistliche ehrte er aber und freute sich , ihnen Ergebenheit zu zeigen , und wenn es womöglich ein erzkatholischer , aber ehrenwerter Priester war , welchem er Ehrerbietung beweisen konnte , so machte ihm dies um so größeres Vergnügen , gerade weil er sich im Schoße der Zwinglischen Kirche sehr geborgen fühlte .
Das Bild des humanen und freien Reformators , der auf dem Schlachtfelde gefallen , war meinem Vater ein geliebter sicherer Führer und Bürge .
Ich aber stand nun auf einem anderen Boden und fühlte wohl , daß ich bei aller Verehrung für den Reformator und Helden doch nicht eines Glaubens mit meinem Vater sein würde , während ich seiner vollkommenen Duldsamkeit und Achtung für die Unabhängigkeit meiner Überzeugung gewiß war .
Dieses friedliche Ausscheiden in Glaubenssachen zwischen Vater und Sohn , welches ich arglos voraussetzte , feierte ich nun in dem Kirchenstuhle , indem ich mir den Vater noch lebend vorstellte und ein geistiges Gespräch mit ihm führte ; und als die Gemeinde sein ehemaliges Lieblings- und Weihnachtslied :
" Dies ist der Tag , den Gott gemacht ! " anstimmte , sang ich es für meinen Vater laut und froh mit , obgleich ich Mühe hatte , den richtigen Ton zu halten ; denn rechts stand ein alter Kupferschmied , links ein gebrechlicher Zinngießer , welche mich mit den seltsamsten Arabesken von der rechten Bahn zu locken suchten , und dies um so lauter und kühner , je standhafter ich blieb .
Dann hörte ich aufmerksam auf die Predigt , kritisierte sie und fand sie gar nicht übel ; je näher das Ende rückte und mir die Freiheit winkte , desto trefflicher fand ich die Predigt , und ich nannte in meinem Herzen den Pfarrer einen wackeren Mann .
Meine Stimmung wurde immer heiterer ; endlich fand das Abendmahl statt ; aufmerksam verfolgte ich die Zurüstungen und beobachtete alles sehr genau , um es nicht zu vergessen ; denn ich gedachte nicht mehr dabei zu erscheinen .
Das Brot besteht aus weißen Blättern von der Größe und Dicke einer Karte und sieht feinem glänzendem Papiere ähnlich .
Der Küster backt es , und die Kinder kaufen sich bei ihm die Abfälle als einen unschuldigen Leckerbissen , und ich selbst hatte mir manchmal eine Mütze voll erworben und mich gewundert , daß man eigentlich doch nichts daran äße .
Zahlreiche Kirchendiener teilen es aus , den Reihen entlang , worauf die Andächtigen eine Ecke davon brechen und die Blätter weitergeben , während andere Beamtete den Wein in hölzernen Bechern nachfolgen lassen .
Manche Leute , besonders die Frauen und Mädchen , behalten gern ein Blättchen zurück , um es andächtig in ihr Gesangbuch zu legen .
Auf ein solches , das ich im Buche einer meiner Basen gefunden , hatte ich einst ein Osterlämmchen gemalt mit einem Amor , der darauf reitet , und bei der Entdeckung ein strenges Verhör nebst Verweis zu bestehen gehabt ; als ich jetzt mehrere solcher Blätter in der Hand hielt , erinnerte ich mich daran und mußte lächeln ; auch gelüstete es mich einen Augenblick lang , eines zurückzubehalten , um irgendein lustiges Erinnerungszeichen an meinen Abschied von der Kir che darauf zu malen .
Aber ich besann mich , daß ich in dem väterlichen Stuhle stand , und gab das Brot weiter , nachdem ich eine Ecke davon in den Mund gesteckt , zum andächtigen , aber allerletzten Abschiede von der Kinderzeit und der Kinderspeise , die ich beim Küster gekauft hatte .
Als ich den Becher in der Hand hielt , blickte ich fest in den Wein , ehe ich trank ; aber es rührte mich nicht , ich nahm einen Schluck , gab die Schale weiter , und indem ich , mit den Gedanken schon weit auf dem Wege nach Hause , den Wein hinabschluckte , drehte ich ungeduldig mein Samtbarett in der Hand und mochte kaum das Ende des Gottesdienstes abwarten , da es anfing , mich gewaltig an den Füßen zu frieren und das Stillstehen schwierig wurde .
Als die Kirchentüren sich auftaten , drängte ich mich geschmeidig durch die vielen Leute , ohne die Freude meiner Freiheit sichtbar werden zu lassen und ohne jemanden anzustoßen , und war bei aller Gelassenheit doch der erste , der sich in einiger Entfernung von der Kirche befand .
Dort erwartete ich meine Mutter , welche sich endlich in ihrem schwarzen Gewande demütig aus der Menge hervorspann , und ging mit ihr nach Hause , gänzlich unbekümmert um meine geistlichen Unterrichtsgenossen .
Es war kein einziger darunter , mit welchem ich in näherer Berührung stand , und viele derselben sind mir bis jetzt noch gar nicht wieder begegnet .
In unserer warmen Stube angekommen , warf ich vergnügt mein Gesangbuch hin , indessen die Mutter nach dem Essen sah , welches sie am Morgen in den Ofen gesetzt hatte .
Es sollte heute so reichlich und festlich sein , wie unser Tisch seit den Tagen des Vaters nie mehr gesehen , und eine arme Witwe war dazu eingeladen , die der Mutter manche kleine Dienste leistete und sich jetzt pünktlich einfand .
Am Weihnachtstage wird immer das erste Sauerkraut genossen , und so wurde es auch hier aufgestellt mit schmackhaften Schweinsrippchen Die Beurteilung desselben gab den Frauen einen guten Anfang zum Gespräche .
Die Witwe war von ebenso gutmütiger als polternder Gemütsart ; als hierauf eine kleine Pastete kam , schlug sie die Hände über dem Kopfe zusammen und versicherte , sie esse gewiß nichts davon , es wäre schade dafür .
Den Schluß machte ein gebratener Hase , den der Oheim gesendet hatte .
Diesen , ermahnte die Frau , sollten wir unangetastet lassen und auf den zweiten Feiertag versparen , es sei nun schon mehr als genug ; trotzdem aßen wir alle und saßen lange bei Tisch , aufs beste unterhalten von der armen Frau , welche die Tischreden mit der Erzählung ihres Schicksales durchflocht und die Schleusen ihres Herzens weit öffnete .
Sie hatte vor langer Zeit einmal ein Jahr lang einen nichtsnutzigen Mann gehabt , der in alle Welt gegangen mit Hinterlassung eines Sohnes , welchen sie mit großer Not so weit gebracht , daß er als Geselle bei Dorfschneidern sich kümmerlich umhertreiben konnte , während sie in der Stadt ihr Brot mit Wassertragen , Waschen und solchen Dingen verdienen mußte .
Schon die Beschreibung ihres Mannes , des Lumpenbundes , wie sie ihn nannte , machte uns höchlich lachen , doch noch mehr das Verhältnis , in welchem sie zu ihrem Sohne stand .
Während sie ihn als eine Frucht des Lumpenhundes mit der größten Verachtung bezeichnete , war derselbe doch der einzige Gegenstand ihrer Liebe und ihrer Sorge , so daß sie fortwährend von ihm sprach .
Sie gab ihm alles , was sie irgend konnte , und gerade die Kleinheit dieser Gaben , die für sie so viel waren , mußten uns rühren und zugleich zum Lachen reizen , wenn sie die " Opfer " , welche sie fortwährend bringe , mit gutmütiger Prahlerei aufzählte .
Letzte Ostern , erzählte sie , habe er ein rot und gelbes Kattunfoulard von ihr erhalten , auf Pfingsten ein Paar Schuh , und zu Neujahr hätte sie ihm ein Paar wollene Strümpfe und eine Pelzkappe bereit , dem miserablen Kerl , dem Knirps , dem Milchsuppengesicht !
Seit drei Jahren hätte er an zwei Louisdor nach und nach von ihr empfangen , der Säuberlich , die elende Krautstorze !
Aber für alles müsse er ihr eine Bescheinigung zustellen , denn , so wahr sie lebe , müsse ihr Mann , der Landstreicher , ihr jeden Liard ersetzen , wenn er sich nur einmal sehen ließe .
Die Bescheinigungen ihres Sohnes , des Stuhlbeines , seien sehr schön , denn derselbe könne besser schreiben als der eidgenössische Staatskanzler ; auch blase er die Klarinette gleich einer Nachtigall , daß man weinen müsse , wenn man ihm zuhöre .
Allein er sei ein ganz miserabler Bursche , denn nichts gedeihe bei ihm , und so viel Speck und Kartoffeln er auch verschlinge , wenn er mit seinem Meister bei den Bauern auf Kundschaft gehe , nichts helfe es , und er bleibe mager , grün und bleich wie eine Rübe .
Einmal habe er die Idee ausgeheckt zu heiraten , da er nun doch dreißig Jahr alt sei .
Weil aber gerade ein Paar Strümpfe für ihn fertig geworden , habe sie selbige unter den Arm genommen , auch eine Wurst gekauft , und sei auf das Dorf hinausgerannt , um ihm die saubere Idee auszutreiben .
Bis er die Wurst fertig gegessen , habe er auch sich endlich in sein Schicksal ergeben , und nachher habe er noch auf das schönste die Klarinette geblasen .
Er könne nähen wie der Teufel , so wie auch sein Vater nicht auf den Kopf gefallen sei und die besten Garnhäspel zu machen verstehe weit und breit ; allein es wäre einmal ein böses Blut in diesen verteufelten Burschen , und daher müsse der junge Säuberlich im Zaume gehalten und mit dem Heiraten vorsichtig verfahren werden .
Sie lobte das Essen unaufhörlich und pries jeden Bissen mit den überschwenglichsten Worten , nur bedauernd , daß sie ihrem Galgenstrick nichts davon geben könne , obschon er es nicht verdiene .
Dazwischen brachte sie die Geschichte von drei oder vier Meisterfamilien an , bei denen ihr Söhnchen gearbeitet , die unschuldigen Zerwürfnisse mit denselben und lustige Vorfälle , welche sich in den Dörfern ereignet , wo Meister und Geselle geschneidert hatten , so daß die Schicksale einer großen Menge unser Mal würzten , ohne daß diese etwas davon ahnte .
Nach dem Essen nahm die Frau , durch ein paar Gläser Wein lustig geworden , meine Flöte und suchte darauf zu blasen , gab sie dann mir und bat mich , einen Tanz aufzuspielen .
Als ich dies tat , faßte sie ihre Sonntagsschürze und tanzte einmal zierlich durch die Stube herum ; wir kamen aus dem Lachen nicht heraus und waren alle höchst zufrieden .
Sie sagte , seit ihrer Hochzeit habe sie nicht mehr getanzt ; es sei doch der schönste Tag ihres Lebens , wennschon der Hochzeiter ein Lumpenhund gewesen ; und am Ende müsse sie dankbar bekennen , daß der liebe Gott es immer gut mit ihr gemeint und für ihr Brot gesorgt , auch ihr noch jederzeit eine fröhliche Stunde gegönnt habe ; so hätte sie noch gestern nicht gedacht , daß sie einen so vergnügten Weihnachtstag erleben würde .
Dadurch wurden die beiden Frauen veranlaßt , ernsthaftere und zufriedene Betrachtungen anzustellen , indessen ich Gelegenheit fand , einen Blick in das Leben einer Witwe zu werfen , welche aus ihrem Sohne einen Mann machen möchte und hierzu nichts tun kann , als demselben Strümpfe stricken .
Auch mußte ich gestehen , daß meine Lebensverhältnisse , welche mir oft arm und verlassen schienen , wahrhaftes Gold waren im Vergleich zu der dürftigen Verlassenheit und Getrenntheit , in welcher die Witwe und ihr armer magerer Sohn lebten .
Dreizehntes Kapitel Das Fastnachtsspiel Einige Wochen nach Neujahr , als ich eben den Frühling herbeiwünschte , erhielt ich vom Dorfe aus die Kunde , daß mehrere Ortschaften jener Gegend sich verbunden hätten , dieses Mal zusammen die Fastnachtsbelustigungen durch eine großartige dramatische Schaustellung zu verherrlichen .
Die einstige katholische Faschingslust hat sich als allgemeine Frühlingsfeier bei uns erhalten und seit einer Reihe von Jahren die derbe Volksmummerei nach und nach in vaterländische Aufführungen unter freiem Himmel verwandelt , an welchen erst nur die Jugend , dann aber auch fröhliche Männer teilnahmen ; bald wurde eine Schweizerschlacht dargestellt , bald eine Handlung aus dem Leben berühmter Helden , und nach dem Maßstabe der Bildung und des Wohlstandes einer Gegend wurden solche Aufzüge mit mehr oder weniger Ernst und Aufwand vorbereitet und ausgeführt .
Einige Ortschaften waren schon bekannt durch dieselben , andere suchten es zu werden .
Mein Heimatdorf war nebst ein paar anderen Dörfern von einem benachbarten Marktflecken eingeladen worden zu einer großen Darstellung des Wilhelm Tell , und infolgedessen war ich wieder durch meine Verwandten aufgefordert worden , hinauszukommen und an den Vorbereitungen teilzunehmen , da man mir einige Erfahrung und Fertigkeit besonders als Maler zutraute , um so mehr , als unser Dorf in einer fast ausschließlichen Bauerngegend lag und in solchen Dingen wenig Gewandtheit besaß .
Ich war vollständig Herr meiner Zeit , auch eine Unterbrechung zu solchem Zwecke zu sehr im Geiste meines Vaters , als daß die Mutter dagegen Bedenken erhoben hätte ; also ließ ich es mir nicht zweimal sagen und ging jede Woche für einige Tage hinaus , wobei mir schon das stete Wandern zu dieser Jahreszeit , manchmal durch die schneebedeckten Felder und Wälder , die größte Freude machte .
Ich sah nun das Land auch im Winter , die Winterbeschäftigungen und Winterfreuden der Landleute und wie dieselben dem erwachenden Frühling entgegengehen .
Man legte der Aufführung Schillers Tell zugrunde , welcher in einer Volksschulausgabe vielfach vorhanden war , darin nur die Liebesepisode zwischen Berta von Bruneck und Ulrich von Rudenz fehlte .
Das Buch ist den Leuten sehr geläufig , denn es drückt auf eine wunderbare Weise ihre Gesinnung und alles aus , was sie durchaus für wahr halten ; wie denn selten ein Sterblicher es übel aufnehmen wird , wenn man ihn dichterisch ein wenig oder gar stark idealisiert .
Weitaus der größere Teil der spielenden Schar sollte als Hirten , Bauern , Fischer , Jäger das Volk darstellen und in seiner Maße von Schauplatz zu Schauplatz ziehen , wo die Handlung vor sich ging , getragen durch solche , welche sich zu einem kühnen Auftreten für berufen hielten .
In den Reihen des Volks nahmen auch junge Mädchen Teil , sich höchstens in den gemeinschaftlichen Gesängen äußernd , während die handelnden Frauenrollen Jünglingen übertragen waren .
Der Schauplatz der eigentlichen Handlung war auf alle Ortschaften verteilt , je nach ihrer Eigentümlichkeit , so daß dadurch ein festliches Hin- und Herwogen der kostümierten Menge und der Zuschauermassen bedingt wurde .
Ich erwies mich als brauchbar bei den Vorbereitungen und wurde mit manchen Geschäften betraut , welche in der Stadt zu besorgen waren .
Ich stöberte alle Magazine durch , wo sich etwa Flitter- und Maskenwerk vorfinden mochte , und suchte das Tauglichste vorzuschlagen , besonders da andere Beauftragte geneigt waren , zuerst nach dem Grellen und Auffallenden zu greifen .
Ja , ich kam sogar mit den Beamten der Republik in Berührung und fand Gelegenheit , mich als einen tapferen Vertreter meiner Landesgegend zu zeigen , da mir die Auswahl und Übernahme der alten Waffen übergeben wurde , welche die Behörde unter der Bedingung treuer Sorgfalt bewilligte .
Weil aber gerade diesmal mehrere ähnliche Feste stattfanden , so mußten beinahe alle Vorräte geräumt werden , und nur die wertvollsten Trophäen , an welche sich bestimmte Erinnerungen knüpften , blieben zurück .
Überdies stritten sich die Abgeordneten der Gemeinden um die Waffen ; alle wollten dasselbe haben , obschon es nicht für alle sich schickte ; eine Anzahl großer Schlachtschwerter und Morgensterne , welche ich für meine Eidgenossen ausgesucht , wollte mir von einem Gegner durchaus abgerungen werden , ungeachtet ich ihm vorstellte , daß er für die Zeit , aus welcher seine Leute eine Handlung darstellen wollten , ganz anderer Gegenstände bedürfe .
Ich berief mich endlich auf den Zeugwart , welcher mir recht gab , und der ansehnliche starke Wirt aus den Dörfern , welcher hinter mir stand , um die Sachen wegzuführen , triumphierte und belobte mich freundlich .
Allein die Gegner hielten mich nun für einen gefährlichen Burschen , der das Beste vorwegnähme , und gingen mir auf Schritt und Tritt nach in dem alten Zeughause , gerade das ausersehend , was ich ins Auge faßte , so daß ich nur mit der äußersten Beharrlichkeit noch einen Wagen voll Eisenhüte und Halmbarten für meine riesigen Tyrannenknechte zur Seite brachte .
So kam ich mir sehr wichtig vor , als ich mit den Aufsehern das Verzeichnis der verabfolgten Sachen feststellte , obgleich der Wirt der eigentliche Gewährsmann war und dasselbe unterschrieb .
Dann hatte ich wieder auf dem Lande vollauf zu tun und begab mich mit einigen Paketen Farbstoff und mächtigen Pinseln hinaus , um ein neues Bauernhaus an der Straße noch völlig in Staufachers Wohnung umzuwandeln mittels bunter Zieraten und Sprüche ; denn nicht nur sollte da die Unterredung zwischen Stauffacher und seinem Weibe stattfinden , sondern der Zwingherr vorher selbst heranreiten und seine böse Harangue loslassen .
Im Hause des Oheims war ich ein eigentliches Faktotum und eifrig bestrebt , die Kleidung der Söhne so historisch als möglich zu machen und die Töchter , welche sich sehr modern aufputzen wollten , von solchem Beginnen abzuhalten .
Mit Ausnahme der Braut wollten sich alle Kinder des Oheims beteiligen , und sie suchten auch Anna zu überreden , welche überdies von dem leitenden Ausschuss dringend eingeladen war .
Allein sie wollte sich durchaus nicht dazu verstehen , ich glaube nicht nur aus Zaghaftigkeit , sondern auch ein wenig aus Stolz , bis der Schulmeister , für diese Veredlung der alten roheren Spiele langher begeistert , sie entschieden aufforderte , auch das Ihrige beizutragen .
Nun war aber die große Frage , was sie vorstellen sollte ; ihre Feinheit und Bildung sollte dem Feste zur Zierde gereichen , während doch alle hervorragenden Frauenrollen jungen Männern zuteil geworden .
Ich hatte mir aber längst etwas für sie ausgedacht und überzeugte bald meine Basen und den Schulmeister von der Trefflichkeit meines Vorschlages .
Obgleich die Rolle der Berta von Bruneck gänzlich wegfiel , so konnte sie doch als stumme Person das ritterliche Gefolge Geßlers verherrlichen .
Dieses war sonst vom Volkshumor ziemlich schofel und wild und besonders der Tyrann sehr fratzenhaft und lächerlich dargestellt worden ; dagegen hatte ich nun durchgesetzt , daß der Aufzug des Landvogts recht glänzend und herrisch sein müsse , weil der Sieg über einen elenden Widersacher nichts Absonderliches sei .
Ich selbst hatte den Rudenz übernommen ; auch sein Verhältnis zum Attinghausen fiel weg , und erst am Schlusse hatte er zum Volke überzugehen , so daß mir viel Freiheit und Zeit zu mancher Aushilfe und vor allem wenig zu sprechen blieb .
Einer der Vettern machte Rudolf den Harras , und Anna konnte also sich im Schutze von zwei Verwandten befinden .
Zufällig war die Originalausgabe von Schiller gar nicht bekannt im Hause , und selbst der Schulmeister las diesen Dichter nicht , weil seine Bildung nach anderen Seiten hinstrebte ; also ahnte kein Mensch die Beziehungen , welche ich in meinen Plan legte , und Anna ging arglos in die ihr gestellte Falle .
Das Schwerste war , sie zum Reiten zu bringen ; ein kugelrunder gemütlicher Schimmel stand im Stalle meines Oheims , welcher nie jemandem ein Haar gekrümmt hatte und auf welchem der Oheim über Land zu reiten pflegte .
Auf dem Boden befand sich ein vergessener Damensattel aus der alten Zeit ; dieser wurde mit rotem Plüsch neu bezogen , den man einem ehrwürdigen Lehnstuhle entnahm , und als Anna zum ersten Mal sich darauf setzte , ging es ganz trefflich , besonders da der reitkundige Nachbar Müller einige Anleitung gab , und Anna fand zuletzt großes Vergnügen an dem guten Schimmel .
Eine mächtige hellgrüne Damastgardine , welche einst ein Himmelbett umgeben hatte , wurde zerschnitten und in ein Reitkleid umgewandelt ; auch besaß der Schulmeister als ein altes Erbstück eine Krone von silbernem Flechtwerke , wie sie ehemals die Bräute getragen ; Annas goldglänzendes Haar wurde nur zunächst der Schläfe zierlich geflochten , unterhalb aber in seiner ganzen Länge frei ausgebreitet und dann die Krone aufgesetzt , auch ein breites goldenes Halsband umgetan , auf meinen Rat einige Ringe über die weißen Handschuhe gesteckt , und als sie zum ersten Mal diesen ganzen Anzug probierte , sah sie nicht nur aus wie ein Ritterfräulein , sondern wie eine Feenkönigin , und das ganze Haus war in ihrem lieblichen Anblick verloren .
Aber jetzt weigerte sie sich aufs neue , an dem Spiele teilzunehmen , weil sie sich selber so fremd vorkam , und wenn nicht die ganze Bevölkerung in ihren ehrbarsten Familien bei der Sache gewesen wäre , so hätte man sie nicht dazu gebracht .
Unterdessen hatte ich nicht geruht und mit meinen Herren Vettern ein wenig ins Sattlerhandwerk gepfuscht , indem wir die nicht sehr sauberen Zügelriemen des Oheims mit rotem Seidenzeuge umnähten , welches wir von einem Juden billig gekauft ; denn Annas Hände sollten das alte Lederwerk nicht unmittelbar berühren .
Meinen eigenen Anzug hatte ich längst in Ordnung gebracht und denselben grün und jägermäßig gewählt , da dadurch eine größere Einfachheit möglich war für meine geringen Mittel .
Doch war er noch erträglich getreu , eine große zimtfarbene Decke , ohne Beschädigung in einen faltenreichen Mantel umgewandelt , verhüllte die Unvollkommenheiten ; auf dem Rücken trug ich eine Armbrust und auf dem Kopfe einen grauen Filz .
Allein da der Mensch immer eine schwache Seite haben muß , so schnallte ich den langen Toledodegen aus der Dachkammer um ; ich hatte alle anderen zu historischer Treue ermahnt , zeitgemäße Waffen in Menge selbst aus dem Zeughause geholt , und doch wählte ich diesen spanischen Bratspieß , ohne daß ich mir heute klarmachen kann , was ich mir dabei dachte !
Der wichtige und ersehnte Tag brach an mit dem allerschönsten Morgen ; der Himmel glänzte wolkenlos , und es war in diesem Hornung schon so warm , daß die Bäume anfingen auszuschlagen und die Wiesen grünten .
Mit Sonnenaufgang , als eben der Schimmel an dem funkelnden Flüßchen stand und gewaschen wurde , tönten Alpenhörner und Herdengeläute durch das Dorf herab , und ein Zug von mehr als hundert prächtigen Kühen , bekränzt und mit Glocken versehen , kam heran , begleitet von einer großen Menge junger Bursche und Mädchen , um das Tal hinauf zu ziehen in die anderen Dörfer und so eine Bergfahrt vorzustellen .
Die Leute hatten nur ihre altherkömmliche Sonntagstracht anzulegen gebraucht , mit Ausschluß aller eingedrungenen Neuheiten und Hinzufügung einiger Prachtstücke ihrer Eltern oder Großeltern , um ganz festlich und malerisch auszusehen , und der stärkste Anachronismus waren die Tabakspfeifen , welche die Bursche unbekümmert im Munde trugen .
Die frischen Hemdärmel der Jünglinge und Mädchen , ihre roten Westen und blumigen Mieder leuchteten weithin in frohem Gewimmel , und als sie vor unserem Hause und der benachbarten Mühle anhielten und unter den Bäumen plötzlich das bunteste Gewühl entstand , von Gesang , Jauchzen und Gelächter begleitet , als sie mit lautem Grüßen einen Frühtrunk verlangten , da fuhren wir vom reichlichen Frühstück , um welches wir , mit Ausnahme Annas , schon angekleidet versammelt waren , lustig auf , und die Freude überraschte uns in ihrer Wirklichkeit viel gewaltiger und feuriger , als wir bei aller Erwartung darauf gefaßt waren .
Schnell begaben wir uns mit den bereitgehaltenen Weingefäßen und einer Menge Gläser in das Gewimmel , der Oheim und seine Frau mit großen Körben voll ländlichen Backwerkes .
Dieser erste Jubel , weit entfernt , eine frühe Erschöpfung zu bedeuten , war nur der sichere Vorbote eines langen Freudentages und noch größerer Dinge .
Die Muhme prüfte und pries das schöne Vieh , streichelte und kraute berühmte Kühe , welche ihr wohlbekannt waren , und machte tausend Späße mit dem jungen Volke ; der Oheim schenkte unaufhörlich ein , seine Töchter boten die Gläser herum und suchten die Mädchen zum Trinken zu überreden , während sie wohl wußten , daß ihr ehrsames Geschlecht am frühen Morgen keinen Wein trinkt .
Desto munterer sprachen die Hirtinnen den schmackhaften Kuchen zu und versorgten mit denselben die vielen Kinder , welche nebst ihren Ziegen den Zug vergrößerten In der Mitte des Gedränges stießen wir auf die Müllersleute , welche den Feind von der anderen Seite her angegriffen hatten , angeführt vom jungen Müller , der als geharnischter Reiter schwer einherklirrte und sein verjährtes Eisengewand andächtig verehren und betasten ließ .
Auf einmal zeigte sich Anna , schüchtern und verschämt ; doch ihre Zaghaftigkeit wurde von der Gewalt der allgemeinen Freude sogleich vernichtet , und sie war in einem Augenblicke wie umgewandelt .
Sie lächelte sicher und wohlgemut , ihre Silberkrone blitzte in der Sonne , ihr Haar wehte und flatterte schön im Morgenwind , und sie ging so anmutig und sicher in ihrem aufgeschürzten Reitkleide , das sie mit den ringgeschmückten Händen hielt , als ob sie ihr Leben lang ein solches getragen hätte .
Sie mußte überall herumgehen und wurde mit staunender Bewunderung begrüßt .
Endlich aber bewegte sich der Zug weiter , und mit seinem Aufbruche teilte sich auch unser Hausstand .
Die zwei jüngeren Basen und zwei ihrer Brüder schlossen sich demselben an , die verlobte Schwester und der Schulmeister setzten sich in ein leichtes Fuhrwerk , um als Zuschauer ihren eigenen Weg zu fahren und uns gelegentlich zu treffen , auch um Anna aufzunehmen , im Falle ihr die Sache nicht zusagen würde .
Der Oheim und die Frau blieben zu Hause , um andere Herumschwärmer zu bewirten und abwechselnd etwa sich in der Nähe umzusehen .
Anna , Rudolf der Harras und ich aber setzten uns nun zu Pferde , eskortiert von dem klirrenden Müller .
Dieser hatte für mich unter seinen Pferden einen ehrlichen Braunen ausgesucht und über den Sattel zu mehrerer Sicherheit einen Schafpelz geschnallt .
Doch kümmerte ich mich im mindesten nicht um die Reitkunst , und da auch kein Mensch sich um dergleichen bekümmerte , so schwang ich mich ganz unbefangen auf den Braunen und tummelte denselben mit großer Keckheit herum .
Auf dem Lande kann jedermann reiten , der von einem dressierten Pferde herunterfallen würde .
So ritten wir stattlich das Dorf hinauf und gaben nun selbst ein Schauspiel für die Leute , die zurückblieben , und für eine Menge Kinder , welche uns nachliefen , bis eine andere Gruppe ihre Aufmerksamkeit erregte .
Vor dem Dorfe sahen wir es bunt und schimmernd von allen Seiten her sich bewegen , und als wir eine Viertelstunde weit geritten waren , kamen wir an eine Schenke an einer Kreuzstraße , vor welcher die sechs barmherzigen Brüder saßen , die den Geßler wegtragen sollten .
Dies waren die lustigsten Bursche der Umgegend ; sie hatten sich unter den Kutten ungeheure Bäuche gemacht und schreckliche Bärte von Werg umgebunden , auch die Nasen rot gefärbt ; sie gedachten den ganzen Tag sich auf eigene Faust herumzutreiben und spielten gegenwärtig Karten mit großem Hallo , wobei sie andere Spielkarten aus den Kapuzen zogen und statt der Heiligen an die Leute verschenkten .
Auch führten sie große Proviantsäcke mit sich und schienen schon ziemlich angeglüht , so daß wir für die Feierlichkeit ihrer Verrichtung bei Geßlers Tod etwas besorgt wurden .
Im nächsten Dorf sahen wir den Arnold von Melchtal ruhig einem Stadtmetzger einen Ochsen verkaufen , wozu er schon seine alte Tracht trug ; dann kam ein Zug mit Trommel und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange , um in der Umgegend das höhnische Gesetz zu verkünden .
Denn dies war das Schönste , daß man sich nicht an die theatralische Einschränkung hielt , daß man es nicht auf Überraschung absah , sondern sich frei herumbewegte und wie aus der Wirklichkeit heraus und wie von selbst an den Orten zusammentraf , wo die Handlung vor sich ging .
Hundert kleine Schauspiele entstanden dazwischen , und überall gab es was zu sehen und zu lachen , während doch bei den wichtigen Vorgängen die ganze Menge andächtig und gesammelt erschien .
Schon war unser Zug ansehnlich gewachsen , um mehrere Berittene und auch durch Fußvolk verstärkt , was alles zu dem Ritterzuge gehörte ; wir kamen an eine neue Brücke , die über den großen Fluß führt ; von der anderen Seite näherte sich ein starker Teil der Bergfahrt , um das Vieh nach Hause zu bringen und nachher wieder als Volk zu erscheinen .
Nun war ein knauseriger Zolleinnehmer auf der Brücke , welcher durchaus von Kühen und Pferden den Zoll erheben wollte , gemäß dem Gesetze , weil die Tiere nach seiner Behauptung auf dem Transport begriffen seien ; er hatte den Schlagbaum heruntergelassen und ließ sich durchaus nicht bereden , diesmal von seiner Forderung abzustehen , indem man jetzt nicht eingerichtet und aufgelegt sei , diese Umständlichkeiten zu befolgen .
Es entstand ein großes Gedränge , ohne daß man jedoch wagte , mit Gewalt durchzukommen .
Vierzehntes Kapitel Der Tell Da erschien unversehens der Tell , welcher mit seinem Knaben einsam seines Weges ging .
Es war ein berufener fester Wirt und Schütze , ein angesehener und zuverlässiger Mann von etwa vierzig Jahren , auf welchen die Wahl zum Tell unwillkürlich und einstimmig gefallen war .
Er hatte sich in die Tracht gekleidet , in welcher sich das Volk die alten Schweizer ein für allemal vorstellt , rot und weiß mit vielen Puffen und Litzen , rot und weiße Federn auf dem eingekerbten rot und weißen Hütchen .
Überdies trug er noch eine seidene Schärpe über der Brust , und wenn dies alles nichts weniger als dem einfachen Weidmann an gemessen war , so zeigte doch der Ernst des Mannes , wie sehr er das Bild des Helden in seinem Sinn durch diesen Pomp ehrte ; denn in diesem Sinne war der Tell nicht nur ein schlichter Jäger , sondern auch ein politischer Schutzpatron und Heiliger , der nur in den Farben des Landes , in Samt und Seide , mit wallenden Federn denkbar war .
Aber in seiner braven Einfalt ahnte unser Tell die Ironie seines prächtigen Anzuges nicht ; er trat mit seinem eigenen Knaben , der wie eine Art Genius aufgeputzt war , besonnen auf die Brücke und fragte nach der Verwirrung .
Als man ihm die Gründe angab , setzte er dem Zöllner auseinander , daß er gar kein Recht habe , den Zoll zu erheben , indem sämtliche Tiere nicht aus der Ferne kämen oder dahin gingen , sondern als im gewöhnlichen Verkehr zu betrachten seien .
Der Zollmann aber , erpicht auf die vielen Kreuzer , beharrte spitzfindig darauf , daß die Tiere in einem großen Zuge los und ledig auf der Straße getrieben würden und gar nicht vom Felde kämen , also er den Zoll zu fordern berechtigt sei .
Hierauf faßte der wackere Tell den Schlagbaum , drückte ihn wie eine leichte Feder in die Höhe und ließ alles durchpassieren , die Verantwortung auf sich nehmend .
Die Bauern ermahnte er , sich zeitig wieder einzufinden , um seinen Taten zuzusehen ; uns Rittersleute aber grüßte er kalt und stolz , und er schien uns auf unseren Pferden für wirkliches Tyrannengesindel anzusehen , so sehr war er in seine Würde vertieft .
Endlich gelangten wir in den Marktflecken , welcher für heute unser Alttorf war .
Als wir durch das alte Tor ritten , fanden wir die kleine Stadt , welche nur einen mäßig großen Platz bildete , schon ganz belebt , voll Musik und Fahnen , und Tannenreiser an allen Häusern .
Eben ritt Herr Geßler hinaus , um in der Umgegend einige Untaten zu begehen , und nahm den Müller und den Harras mit ; ich stieg mit Anna vor dem Rathause ab , wo die übrigen Herrschaften versammelt waren , und begleitete sie in den Saal , wo sie von dem Ausschuss und den Anwesenden Gemeinderatsfrauen bewunderungsvoll begrüßt wurde .
Ich war hier nur wenig bekannt und lebte nur in dem Glanze , welchen Anna auf mich warf .
Jetzt kam auch der Schulmeister angefahren mit seiner Begleiterin ; sie gesellten sich zu uns , nachdem das Gefährt notdürftig untergebracht , und erzählten , wie soeben auf der Landschaft dem jungen Melchtal die Ochsen vom Pfluge genommen , er flüchtig geworden und sein Vater gefangen worden sei , wie die Tyrannen überhaupt ihren Spuk trieben und vor dem Stauffacherschen Hause merkwürdige Szenen stattgefunden hätten vor vielen Zuschauern .
Diese strömten auch bald zum Tore herein ; denn obgleich nicht alle überall sein wollten , so begehrte doch die größere Zahl die ehrwürdigen und bedeutungsvollen Hauptbegebenheiten zu sehen und vor allem den Telenschuß .
Schon sahen wir auch aus dem Fenster des Rathauses die Spießknechte mit der verhaßten Stange ankommen , dieselbe mitten auf dem Platze aufpflanzen und unter Trommelschlag das Gesetz verkünden .
Der Platz wurde jetzt geräumt , das sämtliche Volk , mit und ohne Kostüm , an die Seiten verwiesen , und vor allen Fenstern , auf Treppen , Holzgalerien und Dächern wimmelte die Menge .
Bei der Stange schritten die beiden Wachen auf und ab ; jetzt kam der Tell mit seinem Knaben über den Platz gegangen , von rauschendem Beifall begrüßt ; er hielt das Gespräch mit dem Kinde nicht , sondern wurde bald in den schlimmen Handel mit den Schergen verwickelt , dem das Volk mit gespannter Aufmerksamkeit zusah , indessen Anna und ich nebst anderem zwingherrlichen Gelichter uns zur Hintertür hinausbegaben und zu Pferde stiegen , da es Zeit war , uns mit dem Geßlerschen Jagdzuge zu vereinigen , der schon vor dem Tore hielt .
Wir ritten nun unter Trompetenklang herein und fanden die Handlung in vollem Gange , den Tell in großen Nöten und das Volk in lebhafter Bewegung und nur zu geneigt , den Helden seinen Drängern zu entreißen .
Doch als der Landvogt seine Rede begann , wurde es still .
Die Rollen wurden nicht theatralisch und mit Gebärdenspiel gesprochen , sondern mehr wie die Reden in einer Volksversammlung , laut , eintönig und etwas singend , da es doch Verse waren ; man konnte sie auf dem ganzen Platze vernehmen , und wenn jemand , eingeschüchtert , nicht verstanden wurde , so rief das Volk :
" Lauter , lauter ! " und war höchst zufrieden , die Stelle noch einmal zu hören , ohne sich die Illusion stören zu lassen .
So erging es auch mir , als ich einiges zu sprechen hatte ; ich wurde aber glücklicherweise durch einen komischen Vorgang unterbrochen .
Es trieben sich nämlich ein Dutzend Vermummte der alten Sorte herum , arme Teufel , welche weiße Hemden über ihre ärmlichen Kleider gezogen hatten , ganz mit bunten Läppchen besetzt ; auf dem Kopfe trugen sie hohe kegelförmige Papiermützen , mit Fratzen bemalt , und vor dem Gesicht ein durchlöchertes Tuch .
Dieser Anzug war sonst die allgemeine Vermummung gewesen zur Fastnachtzeit und in derselben allerlei Spaß getrieben worden ; auch liebten die armen Putzen die neueren Spiele nicht , da sie in dieser seltsamen Maskierung sich Gaben zu sammeln gewohnt und daher für deren Erhaltung begeistert waren .
Sie stellten gewissermaßen den Rückschritt und die Verkommenheit vor und tanzten jetzt wunderlich genug mit Pritschen und Besen umher .
Besonders zwei derselben störten das Schauspiel , als ich eben reden sollte , indem sie einander am Rückteile des Hemdes herumzerrten , welches mit Senf bestrichen war .
Jeder hielt eine Wurst in der Hand und rieb sie , ehe er einen Bis tat , an dem Hemde des anderen , während sie fortwährend sich im Kreise drehten wie zwei Hunde , die einander nach dem Schwanze schnappen .
Auf diese Weise tanzten sie zwischen Geßler und Tell vorbei und glaubten Wunder was zu tun in ihrer Unwissenheit ; auch erfolgte ein schallendes Gelächter , weil das Volk im ersten Augenblicke seinen alten Nücken nicht widerstehen konnte .
Doch alsobald erfolgten auch derbe Puffe und Stöße mit Schwertknäufen und Partisanen ; die erschrockenen Spaßmacher suchten sich unter die Zuschauer zu retten , wurden aber überall mit Gelächter zurückgestoßen , so daß sie längs der fröhlichen Reihen kein Unterkommen fanden und ängstlich umherirrten , mit zerzausten Mützen und furchtsam ihre Verhüllung an das Gesicht drückend , damit sie nicht erkannt würden .
Anna empfand Mitleiden mit ihnen und beauftragte Rudolf den Harras und mich , den mißhandelten Fratzen einen Ausweg zu verschaffen , und so wurde ich meiner Rede enthoben .
Dies störte übrigens nicht , da man gar nicht die Worte zählte und manchmal sogar die Schillerschen Jamben mit eigenen Kraftausdrücken verzierte , so wie es die Bewegung eben mit sich brachte .
Doch machte sich der Volkshumor im Schoße des Schauspieles selbst geltend , als es zum Schusse kam .
Hier war seit undenklichen Zeiten , wenn bei Aufzügen die Tat des Tell auf alte Weise vorgeführt wurde , der Scherz üblich gewesen , daß der Knabe während des Hin- und Herredens den Apfel vom Kopfe nahm und zum großen Jubel des Volkes gemütlich verspeiste .
Dies Vergnügen war auch hier wieder eingeschmuggelt worden , und als Geßler den Jungen grimmig anfuhr , was das zu bedeuten hätte , erwiderte dieser keck : " Herr !
Mein Vater ist ein so guter Schütz , daß er sich schämen würde , auf einen so großen Apfel zu schießen !
Legt mir einen auf , der nicht größer ist als Eure Barmherzigkeit , und der Vater wird ihn um so besser treffen ! "
Als der Tell schoß , schien es ihm fast leid zu tun , daß er nicht seine Kugelbüchse zur Hand hatte und nur einen blinden Theaterschuß absenden konnte .
Doch zitterte er wirklich und unwillkürlich , indem er anlegte , so sehr war er von der Ehre durchdrungen , diese geheiligte Handlung darstellen zu dürfen .
Und als er dem Tyrannen den zweiten Pfeil drohend unter die Augen hielt , während alles Volk in atemloser Beklemmung zusah , da zitterte seine Hand wieder mit dem Pfeile , er durchbohrte den Geßler mit den Augen , und seine Stimme erhob sich einen Augenblick lang mit solcher Gewalt der Leidenschaft , daß Geßler erblaßte und ein Schrecken über den ganzen Markt fuhr .
Dann verbreitete sich ein frohes Gemurmel , tief tönend , man schüttelte sich die Hände und sagte , der Wirt wäre ein ganzer Mann , und solange wir solche hätten , tue es nicht Not !
Doch wurde der wackere Mann einstweilen gefänglich abgeführt , und die Menge strömte aus dem Tore nach verschiedenen Seiten , um anderen Auftritten beizuwohnen oder sich sonst nach Belieben umherzutreiben .
Viele blieben auch im Orte , um dem Klange der Geigen nachzugehen , welche da und dort sich hören ließen .
Auf die Mittagsstunde machte sich aber alles bereit , auf dem Rütli einzutreffen , wo der Bund beschworen wurde , mit Weglassung der Schillerschen Stellen , die sich auf die Nacht bezogen .
Eine schöne Wiese an dem breiten Fluß , von ansteigendem Gehölz umschlossen , war dazu bestimmt , wie der Fluß auch überhaupt den See ersetzen mußte und den Fischern und Schiffleuten zum Schauplatz diente .
Anna setzte sich zu ihrem Vater in das Gefährt , ich ritt nebenher , und so begaben wir uns gemächlich auf den Weg dahin , um als Zuschauer auszuruhen und ausruhend zu genießen .
Auf dem Rütli ging es sehr ernst und feierlich her ; während das bunte Volk auf den Abhängen unter den Bäumen umhersaß , tagten die Eidgenossen in der Tiefe .
Man sah dort die eigentlichen wehrbaren Männer mit den großen Schwertern und Bärten , kräftige Jünglinge mit Morgensternen und die drei Führer in der Mitte .
Alles begab sich auf das beste und mit vielem Bewußtsein , der Fluß wogte breit glänzend und zufrieden vorüber ; nur tadelte der Schulmeister , daß die Jungen und die Alten bei der feierlichen Handlung kaum die Pfeifen aus dem Munde täten und der Pfarrer Rösselmann unaufhörlich schnupfte .
Als der Schweizerbund unter donnerndem Zuruf des lebendigen Berges umher beschworen war , setzte sich die ganze Menge , Zuschauer und Spieler untereinandergemischt , in Bewegung ; der größte Teil wogte wie eine Völkerwanderung nach dem Städtchen , wo ein einfaches Mal bereitet und fast jedes Haus in eine Herberge umgewandelt war , sei es für Freunde und Bekannte , sei es für Fremde gegen einen billigen Zehrpfennig ; denn so unbefangen , wie wir die Aufzüge des Stückes durcheinandergeworfen , hielten wir auch für gut , sie durch eine Erholungsstunde zu unterbrechen , um nachher die gewaltsamen Schlußereignisse mit desto frischerem Mute herbeizuführen .
Die Wirte hatten in Betracht des ungewöhnlich warmen Wetters rasch den inneren Raum des Städtchens in einen Speisesaal umgeschaffen ; lange Tischreihen waren errichtet und gedeckt für diejenigen der " Verkleideten " und sonstigen Ehrenpersonen , die das gemeinsame Essen teilen wollten ; die übrigen besetzten die Häuser und viele einzelne vor diese gestellten Tische .
So gewann das Städtchen doch wieder das Ansehen einer einzigen Familie ; aus allen Fenstern blickten die abgesonderten Gesellschaften auf die große Haupttafel , und diejenigen vor den Häusern sahen bald wie deren Verzweigungen aus .
Den Stoff zu den lauten Gesprächen lieh die allgemeine Theaterkritik , die sich über alle Tische verbreitete und deren mündliche Artikel die Künstler selbst verfaßten .
Diese Kritik befaßte sich weniger mit dem Inhalte des Dramas und der Darstellung desselben als mit dem romantischen Aussehen der Helden und der Vergleichung mit ihrem gewöhnlichen Behaben .
Daraus entstanden hundert scherzhafte Beziehungen und Anspielungen , von denen kaum der Tell allein freigehalten wurde ; denn dieser schien unangreifbar .
Aber der Tyrann Geßler geriet in ein solches Kreuzfeuer , daß er in der Hitze des Gefechtes einen kleinen Rausch trank und seinen blinden Ingrimm bald auf sehr natürliche Weise darzustellen imstande war .
Aber dies alles belustigte mich nicht sehr , da ich mich genug um Anna zu kümmern hatte .
Sie saß am Ehrenplatze zwischen ihrem Vater und dem Regierungsstatthalter , gegenüber dem Tell und seiner wirklichen anwesenden Ehefrau .
Nachdem sie schon ihrer reizenden und vornehmen Erscheinung wegen die allgemeine Aufmerksamkeit erregt , machte sich nun auch der ehrbare Ruf ihres Vaters , ihre feine Erziehung und im Hintergrunde ihr artiges Erbe geltend ; ich mußte zu meiner großen Bekümmernis sehen , wie der Platz , wo sie saß , von allerhand hoffnungsvollen Gesellen belagert wurde , ja wie fast alle vier Fakultäten sich bestrebten , dem gravitätischen Schulmeister zu Gefallen zu leben , da ein junger Landarzt , ein Gerichtsschreiber , ein Pfarrvikar und ein studierter Landwirt sich herbeigemacht hatten und schließlich alle der Anna ihre Visitenkarten schenkten , die sie beim Abgang von der Schule hatten stechen lassen .
Alle waren stattliche blühende Bursche mit einer behaglichen Zukunft , während ich einen Beruf gewählt hatte , der nach allgemeinen Begriffen mit ewiger Armut verbunden sein sollte .
Ich entdeckte daher zum ersten Mal mit Schrecken , welch einer geschlossenen Macht ich gegenüberstand , und ich geriet , hinter Annas Sitz stehend , in eine trübe Verfinsterung und wollte mich wegwenden .
Auf einmal kehrte sich Anna um und bat mich , ihr die Karten aufzubewahren ; sie bemerkte lächelnd , ich möchte ja recht Sorge dazu tragen , und als ich sie einsteckte , war mir , als ob ich alle vier Helden in der Tasche trüge .
Fünfzehntes Kapitel Tischgespräche Während man nun von allen Seiten aufbrach , hatte sich in unserer Nähe , wo der Statthalter , Wilhelm Tell , der Wirt , und andere Männer von Gewicht saßen , eine bedächtige Unterhaltung entsponnen .
Es handelte sich um die Richtung einer neuen Landstraße , welche von der Hauptstadt her durch diese Gegend an die Grenze geführt werden sollte .
Zwei verschiedene Pläne standen sich in Bezug auf unser engeres Gebiet entgegen , welche mit gleichwiegenden Vorteilen und Schwierigkeiten verbunden waren ; die eine Richtung ging über eine gedehnte Anhöhe , fast zusammenfallend mit einer älteren Straße zweiten Ranges , mußte aber im Zickzack geführt werden und stellte bedeutende Kosten in Aussicht ; die andere ging mehr gerade und eben über den Fluß , allein hier war das anzukaufende Land teurer und überdies ein Brückenbau notwendig , so daß die Kosten sich also gleichkamen , während die Verkehrsverhältnisse sich ebenfalls ziemlich gleichstellten .
Aber an der älteren Straße auf der Anhöhe lag das Gasthaus des Tell , weit hinschauend und viel besucht von Geschäftsmännern und Fuhrleuten ; durch die große Straße in der Niederung würde sich der Verkehr dort hingezogen haben und das alte berühmte Haus vereinsamt worden sein ; daher sprach sich der wackere Tell , an der Spitze eines Anhanges anderer Bewohner der Anhöhe , energisch für die Notwendigkeit aus , daß die neue Straße über dieselbe gezogen werde .
In der Tiefe hingegen hatte ein reicher Holzhändler , die Schiffahrt abwärts benutzend , seine weitläufigen Räume angelegt , dem nun die Straße zum Transport aufwärts unentbehrlich schien .
Er war seit einer Reihe von Jahren Mitglied des Großen Rates und einer jener Männer , die weniger ideellen Stoff in eine gesetzgebende Behörde bringen , als durch geschäftliche Sach- und Lokalkenntnis ebenso schlichte als unentbehrliche und darum stehende Erscheinungen in denselben und allen Parteien gleichmäßig von Nutzen sind .
Er war radikal und stimmte in den politischen Fragen im Sinne des Fortschrittes , aber ohne viel Umstände , indem er mehr durch sein Beispiel als durch Reden wirkte .
Nur wenn eine Frage in den Geldbeutel eingriff , pflegte er die Debatte mit genauen Erörterungen und Bedenklichkeiten aufzuhalten ; denn auch der Freisinn war ihm ein Geschäft und er der Meinung , mit den Ersparnissen , die man an den Kosten von sechs Unternehmungen erzielt , könne man eine siebente obendrein ermöglichen .
Er wollte die Sache der Freiheit und Aufklärung nach der Weise eines klugen Fabrikanten betrieben wissen , welcher nicht darauf ausgeht , mit ungeheuren Kosten auf einmal ein kolossales Prachtgebäude herzustellen , in welchem er die Arbeiter zur Not beschäftigen könnte , sondern der es vorzieht , unscheinbare räucherige Gebäude , Werkstatt an Werkstatt , Schuppen an Schuppen zu reihen , wie es Bedürfnis und Gewinn erlauben , bald provisorisch , bald solid , nach und nach , aber immer rascher mit der Zeit , daß es raucht und dampft , pocht und hämmert an allen Ecken , während jeder Beschäftigte in dem lustigen Wirrsal seinen Griff und Tritt kennt .
Deswegen eiferte er immer gegen die schönen großen Schulhäuser , gegen die erhöhten Besoldungen der Lehrer und dergleichen , weil ein Land , welches mit einer Menge bescheidener , mit wenigen guten Mitteln versehener Schulstuben gespickt sei , in bequemer Nähe überall , wo ein paar Kinder wohnen , und wo an allen Ecken und Enden tapfer und emsig gelernt würde in aller Unscheinbarkeit , erst die wahre Kultur aufzeige .
Der prahlerische Aufwand , behauptete der Holzhändler , behindere nur die tüchtige Bewegung ; nicht ein goldenes Schwert tue Not , dessen mit Edelsteinen besetzter Griff die Hand drücke , sondern eine scharfe leichte Axt , deren hölzerner Stiel , vom rüstigen Gebrauche geglättet , der Hand vollkommen gerecht sei zur Verteidigung wie zur Arbeit , und die ehrwürdige Politur an einem solchen Axtstiele sei ein viel schönerer Glanz , als Gold und Steine jenes Schwertgriffes darböten .
Ein Volk , welches Paläste baue , bestelle sich nur zierliche Grabsteine , und der Wandelbarkeit könne noch am besten widerstanden werden , wenn man sich unter ihrem Panier schlau durch die Zeit bugsiere , leicht und behende ; erst ein Volk , das dies begriffen , immer bewaffnet und marschfertig , ohne unnützes Gepäck , aber mit gefüllter Kriegskasse versehen , dessen Tempel , Palast , Festung und Wohnhaus in einem Stück das leichte , luftige und doch unzerstörbare Wanderzelt seiner geistigen Erfahrung und Grundsätze sei , überall mitzuführen und aufzuschlagen , könne sich Hoffnung auf wahre Dauer machen , und selbst seinen geographischen Wohnsitz vermöge ein solches länger zu behaupten .
Besonders von den Schweizern wäre es ein Unsinn , wenn sie ihre Berge mit schönen Gebäuden bekleben wollten ; höchstens am Eingange wären allenfalls ein paar ansehnliche Städte zu dulden , sonst aber müßten wir es ganz der Natur überlassen , die Honneurs zu machen ; dies sei nicht nur das billigste , sondern auch das klügste .
Von den Künsten ließ er einzig Beredsamkeit und Gesang gelten , weil sie seinem " Wanderzelte " entsprachen , nichts kosten und keinen Platz einnehmen .
Sein eigenes Besitztum sah ganz nach seinen Grundsätzen aus Brenn- und Bauholz , Kohlen , Eisen und Steine bildeten in mächtigen Vorräten eine große Lagerstatt ; dazwischen grünten kleine und große Gärten , denn wenn ein Platz für einen Sommer frei war , so wurde schnell Gemüse darauf gepflanzt ; hie und da beschatteten große Tannen , die er noch hatte stehenlassen , eine Sägemühle oder Schmiede .
Sein Wohnhaus lag mehr wie eine Arbeiterhütte als wie ein Herrenhaus dazwischen hingeworfen , und seine Frauensleute mußten für ein bescheidenes Ziergärtchen einen fortwährenden Krieg führen und mit demselben stets um das Haus herum flüchten ; bald wurde es an diese , bald an jene Ecke geschoben , von Hecken oder Geländern war auf dem ganzen Grundstück nichts zu sehen .
Es lag ein großer Reichtum darin , aber dieser änderte täglich seine äußere Gestalt ; selbst die Dächer von den Gebäuden verkaufte der Mann manchmal , wenn sich günstige Gelegenheit bot , und doch saß er seit langer Zeit auf diesem Besitze , und die fragliche Straße schien demselben die Krone aufzusetzen ; denn eine gute Straße dünkte ihn das beste Ding von der Welt , nur müsse sie ohne kostspielige Meilenzeiger und ohne Akazienbäumchen und derlei Firlefanz sein .
Auch war er fast immer auf der Straße in einem leichten , einfachen , aber vortrefflichen Fuhrwerke , dessen Remise ebenfalls auf steter Wanderung begriffen war und lediglich aus losen Bauhölzern bestand .
Der Holzhändler meinte nun , der Wirt müsse oben seine Hütte zu schließen und einen Gasthof unten an die neue Straße und Brücke bauen , wo ein bedeutenderer Verkehr zu erwarten wäre , da hier noch die Schiffleute hinzukämen .
Allein der Wirt war der entgegengesetzten Gesinnung .
Er saß in dem Hause seiner Väter , welches seit alten Zeiten immer ein Gasthaus gewesen ; von seiner sonnigen Höhe pflegte er weit über das Land hinzublicken , und das Haus hatte er mit schönen Schweizergeschichten bemalen lassen .
Von der Verteidigung mit einer schlechten Axt wollte er nichts hören , dieselbe sei höchstens zum gelegentlichen Erschlagen eines Wolfanschießen gut ; sonst bedurfte er einer trefflichen und fein gearbeiteten Büchse , ihre Handhabung war ihm der edelste Zeitvertreib .
Er war auch der Meinung , ein freier Bürger müsse arbeiten und sorgen , sich ein unabhängiges Auskommen zu schaffen und zu erhalten , aber nicht mehr , als nötig sei ; und wenn die Sache in sicherem Gange , so zieme dem Mann eine anständige Ruhe , ein vernünftiges Wort beim Glase Wein , eine erbauliche Betrachtung der Vergangenheit des Landes und seiner Zukunft .
Er betrieb einen beschränkten Weinhandel , nur mit gutem und wertvollem Wein , mehr gelegentlich als geschäftsmäßig , und in seinem Hause ging alles seinen Weg , ohne daß er viel umhersprang .
Auch er war ein Mann des Rates und der Tat , aber mehr in der moralischen Welt , und in politischen Dingen ein einflußreicher Volksmann , obgleich er nicht im Großen Rate saß .
Bei den Wahlen hörten viele auf ihn ; daher mochte die Regierung ihn sowenig gegen sich aufbringen als den Holzhändler .
Der Statthalter hatte jetzt die Gelegenheit ergriffen , zwischen den beiden Männern über fraglichen Straßenbau eine Verständigung herbeizuführen .
Als ein freundlicher und wohlbeleibter Mann mit einem hübschen Gesichte und vornehm grauen Haaren , welche an Puder erinnerten , trug er feine Wäsche und einen feinen Rock , an der weißen Hand goldene Ringe und lachte gern .
Immer war er gelassen , führte seine Geschäfte mit Festigkeit durch , ohne sich auf die Gewalt zu berufen und als Regierungsperson zu brüsten .
Staatswissenschaftlich gebildet , zeigte er davon jederzeit nur , soviel nötig war , und tat dies auf eine Weise , als ob er den Bauern nur etwas erzählte , das er zufällig erfahren und sie ebensogut wissen könnten , wenn es sich just gefügt hätte .
Mit seinem feinen Rock und seinen Manschetten ging er überallhin , wo ein Bauersmann hinging , nahm seinen Putz nicht in acht dabei und verdarb ihn doch nicht .
Zu den Leuten verhielt er sich nicht wie ein Vogt zu seinen Untergebenen oder wie ein Offizier zu seinen Soldaten , auch nicht wie ein Vater zu den Kindern oder ein Patriarch zu seinen Hirten , sondern unbefangen wie ein Mann , der mit dem anderen ein Geschäft zu verrichten und eine Pflicht zu erfüllen hat .
Er strebte weder herablassend noch leutselig zu sein , am wenigsten suchte er den besoldeten Diener des Volkes zu affektieren .
Seine Festigkeit gründete er nicht auf die Amtsehre , sondern auf das Pflichtgefühl ; doch wenn er nicht mehr sein wollte als ein anderer , so wollte er auch nicht weniger sein .
Und doch war er kein unabhängiger Mann ; einer reichen , aber verschwenderischen Familie entsprossen und in seiner Jugend selbst ein lustiger Vogel , kehrte er mit erlangter Besonnenheit gerade in das väterliche Haus zurück , als dasselbe in Verfall geriet ; so sah sich der junge Mann genötigt , gleich ein Amt zu suchen , und war endlich unter vielen Wechseln und Erfahrungen einer von denen geworden , die ohne ihr Amt Bettler und also Regierungspersonen von Profession sind .
Er konnte aber als eine Ehrenrettung und Verklärung dieser verrufenen Lebensart gelten ; den ersten Schritt hatte er in der lugend und in der Not getan , und als es nachher nicht mehr zu ändern war , zog er sich wenigstens mit Ehre und wahrer Klugheit aus der Sache .
Der Schulmeister pflegte von ihm zu sagen , er sei einer von den wenigen , die durch das Regieren weise werden .
Doch alle Weisheit half ihm jetzt nicht , den Holzhändler und den Wirt zu einer Verständigung zu bringen , damit er der Regierung berichten könne , welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein gewünscht werde .
Jeder der beiden Männer verteidigte hartnäckig seinen Vorteil ; der Holzhändler hielt sich schlichtweg an den Vernunftgrund , daß die Wahl zwischen einer ebenen und geraden Linie und zwischen einem Berge heutzutage unzweifelhaft sein müsse , und barg so seinen eigenen Vorteil hinter die Vernunft ; auch ließ er merken , daß er als Mitglied der Behörde jener zum Siege zu verhelfen hoffe .
Der Wirt dagegen sagte geradezu , er wolle sehen , ob er es um den Staat verdient habe , daß man ihm das Haus seiner Väter in eine Einöde setze !
Herabzusteigen und an dem feuchten Wasser sich anzunisten wie ein Fischotter , dazu werde man ihn nicht überreden ; oben , wo es trocken und sonnig , sei er geboren , und dort werde er auch bleiben !
Hierauf versetzte sein Gegner lächelnd das möge er unbehindert tun und von der Freiheit träumen , während er ein Untertan seiner Vorurteile sei ; andere zögen es vor , in der Tat frei zu sein und sich munter umherzutreiben .
Schon fing die Gelassenheit an zu weichen und bei den beiderseitigen Anhängern Worte wie Starrsinn und Eigennutz ! laut zu werden , als ein fröhlicher Haufen den Tell zur Fortsetzung seiner Taten abholte , denn er sollte noch auf die Platte springen und den Vogt erschießen .
Etwas zornig brach er auf , indes auch die übrigen sich zerstreuten und nur Anna mit ihrem Vater und ich sitzen blieben .
Die Unterredung hatte einen peinlichen Eindruck auf mich gemacht ; besonders am Wirt verletzte mich dies unverhohlene Verfechten des eigenen Vorteiles , an diesem Tage und in so bedeutungsvollem Gewande ; solche Privatansprüche an ein öffentliches Werk , von vorleuchtenden Männern mit Heftigkeit unter sich behauptet , das Hervorkehren des persönlichen Verdienstes und Ansehens widersprachen durchaus dem Bilde , welches von dem unparteischen Wesen des Staates in mir lebte und das ich mir auch von den berühmten Volksmännern gemacht hatte .
Ich äußerte diesen Eindruck in vorlauten Worten gegen Annas Vater , hinzufügend , daß mir der Vorwurf der Kleinlichkeit , des Eigennutzes und der Engherzigkeit , welcher den Schweizern zuweilen gemacht würde , nun bald gerecht erschiene .
Der Schulmeister milderte in etwas meinen Tadel und forderte mich zur Duldsamkeit auf mit der menschlichen Unvollkommenheit , welche auch diese sonst wackeren Männer überschatte .
Übrigens , meinte er , sei nicht zu leugnen , daß unsere Freiheitsliebe noch zu sehr ein Gewächs der Scholle sei und daß unseren Fortschrittsmännern die wahre Religiosität fehle , welche in das schwere politische Leben jenen heiteren , frommen , liebevollen Leichtsinn bringe , der aus warmem Gottvertrauen entspringe und erst die richtige Opferfreudigkeit , die allerfreiste Beweglichkeit von Leib und Seele möglich mache .
Wenn unsere fleißigen Männer einmal einsähen , daß im Evangelio noch eine viel aufgewecktere und schönere Beweglichkeit gelehrt würde , als diejenige sei , welche der Holzhändler predige , so werde das Politisieren noch viel erklecklicher vonstatten gehen und erst die reifen Früchte bringen .
Ich wollte eben hiergegen mein rundes Veto einlegen , als jemand mir auf die Achsel klopfte ; als ich mich umwandte , stand der Statthalter hinter uns , welcher freundlich sagte : " Obgleich ich nicht der Ansicht bin , daß man in einer guten Republik stark auf die Meinungen der Jugend achte , solange die Alten das Salz nicht verloren haben und Toren geworden sind , so will ich doch versuchen , junger Herr , Euren Kummer zu lindern , damit Euch über vermeintlichen trüben Erfahrungen nicht dieser schöne Tag zuschanden gehe ; zudem habt Ihr noch nicht einmal jenes Jugendalter erreicht , welches ich eigentlich meine , und da Ihr schon so kräftig zu tadeln wißt , so versteht Ihr gewiß noch ebensogut zu lernen .
Vor allem freut es mich , Euch in Betreff der beiden Männer , welche soeben weggingen , Euren Mut wiederaufzurichten ; es mögen allerdings nicht alle gleich sein in unserem Schweizerlande ; doch vom Herrn Kantonsrat wie vom Leuenwirt mögt Ihr sicher glauben , daß sie Hab und Gut sowohl dem Lande in Gefahr hingeben als es einer für den anderen opfern würden , wenn er ins Unglück geriete , und das vielleicht gerade desto unbedenklicher , als dieser andere sich heute kräftiger um die Straße gewehrt hat .
Sodann merkt Euch für Eure künftigen Tage wer seinen Vorteil nicht mit unverhohlener Hand zu erringen und zu wahren versteht , der wird auch nie imstande sein , seinem Nächsten aus freier Tat einen Vorteil zu verschaffen !
Denn es ist ( hier schien sich der Statthalter mehr an den Schulmeister zu wenden ) ein großer Unterschied zwischen dem freien Preisgeben oder Mitteilen eines erworbenen , errungenen Gutes und zwischen dem trägen Fahrenlassen dessen , was man nie besessen hat oder zu verteidigen zu blöd ist .
Jenes gleicht dem großmütigen Gebrauche eines wohlerworbenen Vermögens , dieses aber der Verschleuderung ererbter oder gefundener Reichtümer .
Einer , der immer und ewig entsagt , überall sanftmütig hintenansteht , mag ein guter harmloser Mensch sein ; aber niemand wird es ihm Dank wissen und von ihm sagen dieser hat mir einen Vorteil verschafft !
Denn so etwas kann , wie schon gesagt , nur der tun , der den Vorteil erst zu erwerben und zu behaupten weiß .
Wo man das aber mit frischem Mute und ohne Heuchelei tut , da scheint mir Gesundheit zu herrschen und gelegentlich ein tüchtiger Zank um den Vorteil ein Zeichen von Gesundheit zu sein .
Wo man nicht frei heraus für seinen Nutzen und für sein Gut einstehen kann , da möchte ich mich nicht niederlassen ; denn da ist nichts zu erholen als die magere Bettelsuppe der Verstellung , der Gnadenseligkeit und der romantischen Verderbnis ; da entsagen alle , weil allen die Trauben zu sauer sind , und die Fuchsschwänze schlagen mit bittersüßem Wedeln um die dürren Flanken .
Was aber die Meinung der Fremden betrifft ( hier wandte er sich wieder mehr an mich ) , so werdet Ihr einst auf Euren Reisen lernen , weniger darauf zu achten ! "
Nach dieser Rede schüttelte uns der Statthalter die Hände und entfernte sich .
Ich war indessen nicht überzeugt worden , sowenig als dem Schulmeister die Wendung des Gesprächs zu behagen schien .
Doch kamen wir darin überein , daß er ein liebenswürdiger Mann sei , und indem ich ihm , mich durch seine Ansprache geehrt fühlend , wohlwollend nachblickte , pries ich ihn gegen den Schulmeister als einen verdienstvollen und daher gewiß glücklichen Mann .
Der Schulmeister schüttelte aber den Kopf und meinte , es wäre nicht alles Gold , was glänze .
Er hatte seit einiger Zeit angefangen , mich zu duzen , und fuhr daher jetzt fort :
" Da du ein nachdenklicher Jüngling bist , so gebührt es dir auch , einen Blick in das Leben der Menschen zu gewinnen ; denn ich halte dafür , daß die Kenntnis recht vieler Fälle und Gestaltungen jungen Leuten mehr nützt als alle moralischen Theorien ; diese kommen erst dem Manne von Erfahrung zu , gewissermaßen als eine Entschädigung für das , was nicht mehr zu ändern ist .
Der Statthalter eifert nur darum so sehr gegen das , was er Entsagung nennt , weil er selbst eine Art Entsagender ist , das heißt weil er selbst diejenige Wirksamkeit geopfert hat , die ihn erst glücklich machen würde und seinen Eigenschaften entspräche .
Obgleich diese Selbstverleugnung in meinen Augen eine Tugend ist und er in seiner jetzigen Wirksamkeit so verdienstlich und nützlich dasteht , als er es kaum anderswie könnte , so ist er doch nicht dieser Meinung , und er hat manchmal so düstere und prüfungsreiche Stunden , wie man es seiner heiteren und freundlichen Weise nicht zumuten würde .
Von Natur nämlich ist er ebenso feuriger Gemütsart als von einem großen und klaren Verstande begabt und daher mehr dazu geschaffen , im Kampfe der Grundsätze beim Aufeinanderplatzen der Geister einen tapferen Führer abzugeben und im großen Menschen zu bestimmen , als in ein und demselben Amte ein stehender Verwalter zu sein .
Allein er hat nicht den Mut , auf einen Tag brotlos zu werden ; er hat gar keine Ahnung davon , wie sich die Vögel und die Lilien des Feldes ohne ein fixes Einkommen nähren und kleiden , und daher hat er sich der Geltendmachung seiner eigenen Meinungen begeben .
Schon mehr als einmal , wenn durch den Parteienkampf Regierungswechsel herbeigeführt wurden und der siegende Teil den unterlegenen durch ungerechte Maßregeln zwacken wollte , hat er sich wie ein Ehrenmann in seinem Amte dagegen gestemmt ; aber das , was er seinem Temperament nach am liebsten getan hätte , nämlich der Regierung sein Amt vor die Füße zu werfen , sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen und mittels seiner Einsicht und seiner Energie die Gewalthaber wieder dahin zu jagen , von wannen sie gekommen das hat er unterlassen , und dies Unterlassen kostet ihn zehnmal mehr Mühe als seine ununterbrochene arbeitsvolle Amtsführung .
Den Landleuten gegenüber braucht er nur zu leben , wie er es tut , um in seiner Würde fest zu stehen .
Bei den Behörden aber und in der Hauptstadt braucht es manches verbindliche Lächeln , manche wenn auch noch so unschuldige Schnörkelei , wobei er lieber sagen würde : » Herr !
Sie sind ein großer Narr ! « oder : » Herr !
Sie scheinen ein Spitzbube zu sein ! «
Denn , wie gesagt , er hat ein dunkles Grauen vor dem , was man Brotlosigkeit nennt . "
" Aber zum Teufel ! " sagte ich , " sind denn unsere Herren Regenten zu irgendeiner Zeit etwas anderes als ein Stück Volk , und leben wir nicht in einer Republik ? "
" Allerdings , mein lieber Sohn ! " erwiderte der Schulmeister ; " allein es bleibt eine wunderbare Tatsache , wie besonders in neuerer Zeit ein solches Stück Volk , ein repräsentativer Körper durch den einfachen Prozeß der Wahl sogleich etwas ganz merkwürdig Verschiedenes wird , einesteils immer noch Volk und andernteils etwas dem ganz Entgegengesetztes , fast Feindliches wird .
Es ist wie mit einer chemischen Materie , welche durch das bloße Eintauchen eines Stäbchens , ja sogar durch bloßes Stehen auf geheimnisvolle Weise sich in ihren Verbindungen verändert .
Manchmal will es fast scheinen , als ob die alten patrizischen Regierungen mehr den Grundcharakter ihres Volkes zu zeigen und zu bewahren vermochten .
Aber lasse dich ja nicht etwa verführen , unsere repräsentative Demokratie nicht für die beste Verfassung zu halten !
Besagte Erscheinung dient bei einem gesunden Volke nur zu einer wohltätigen Heiterkeit , da es sich mit aller Gemütsruhe den Spaß macht , die wunderbar verwandelte Materie manchmal etwas zu rütteln , die Phiole gegen das Licht zu halten , prüfend hindurchzugucken und sie am Ende doch zu seinem Nutzen zu verwenden . "
Den Schulmeister unterbrechend , fragte ich , ob denn der Statthalter als ein Mann von solchen Kenntnissen und solchem Verstande sich nicht reichlicher durch eine Privattätigkeit ernähren könnte als durch ein Amt ?
Worauf er antwortete :
" Daß er dies nicht kann oder nicht zu können glaubt , ist wahrscheinlich eben das Geheimnis seiner Lebenslage !
Der freie Erwerbe ist eine Sache , für welche manchen Menschen der Sinn sehr spät , manchen gar nie aufgeht .
Vielen ist es ein einfacher Tick , dessen Verständnis ihnen durch ein Handumdrehen , durch Zufall und Glück gekommen , vielen ist es eine langsam zu erringende Kunst .
Wer nicht in seiner lugend durch Übung und Vorbild seiner Umgebung , sozusagen durch die Überlieferung seines Geburtshauses , oder sonst im rechten Moment den rechten Fleck erwischt , wo der Tick liegt , der muß manchmal bis in sein vierzigstes oder fünfzigstes Jahr ein umhergeworfener und bettelhafter Mensch sein , oft stirbt er als ein sogenannter Lump .
Viele Personen des Staates , welche zeitlebens tüchtige Angestellte waren , haben keinen Begriff vom Erwerbe ; denn alle öffentlich Besoldeten bilden unter sich ein Phalansterium , sie teilen die Arbeit unter sich , und jeder bezieht aus den allgemeinen Einkünften seinen Lebensbedarf ohne weitere Sorge um Regen oder Sonnenschein , Mißwachs , Krieg oder Frieden , Gelingen oder Scheitern .
Sie stehen so als eine ganz verschiedene Welt dem Volke gegenüber , dessen öffentliche Einrichtung sie verwalten .
Diese Welt hat für solche , die von jeher darin lebten , etwas Entnervendes in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit .
Sie kennen die Arbeit , die Gewissenhaftigkeit , die Sparsamkeit , aber sie wissen nicht , wie die runde Summe , welche sie als Lohn erhalten , im Wind und Wetter der Konkurrenz zusammengekommen ist .
Mancher ist sein Leben lang ein fleißiger Richter und Exekutor in Geldsachen gewesen , der es nie dazu brächte , einen Wechsel auszustellen und rechtzeitig einzulösen .
Wer essen will , der soll auch arbeiten ; ob aber der verdiente Lohn der Arbeit sicher und ohne Sorgen sein oder ob er außer der einfachen Arbeit noch ein Ergebnis der Sorge , des Geschickes und dadurch zum Gewinst werden soll , welches von beiden das Vernünftige und von höherer Absicht dem Menschen Bestimmte sei das zu entscheiden wage ich nicht , vielleicht wird es die Zukunft tun .
Aber wir haben beide Arten in unseren Zuständen und dadurch ein verworrenes Gemisch von Abhängigkeit und Freiheit und von verschiedenen Anschauungen .
Der Statthalter glaubt sich abhängig und enthält sich während jeder Krise verschlossenen Sinnes gleichmäßig aller eigenen Kundgebung und weiß dabei nicht einmal , wie viele sich bemühen , hinter seinem Rücken seine innersten Gedanken zu erfahren , um sich danach zu richten . "
Ich empfand eine große Teilnahme für den Statthalter und ehrte ihn , ohne mir darüber Rechenschaft geben zu können ; denn ich mißbilligte höchlich seine Scheu vor der Armut , und erst später wurde es mir klar , daß er das Schwerste gelöst habe eine gezwungene Stellung ganz so auszufüllen , als ob er dazu allein gemacht wäre , ohne mürrisch oder gar gemein zu werden .
Indessen waren mir die Reden des Schulmeisters über das Erwerben und über den rechten Tick keine liebliche Musik ; es wurde mir fraglich , ob ich diesen auch erwischen würde , da ich einzusehen begann , daß für alles dies rüstige Volk die Freiheit erst ein Gut war , wenn es sich seines Brotes versichert hatte , und ich fühlte vor den langen , nun leeren Tischreihen , daß selbst dieses Fest bei hungrigem Magen und leerem Beutel ein sehr trübseliges gewesen wäre .
Ich war froh , daß wir endlich aufbrachen .
Annas Vater schlug vor , wir beide sollten uns zu ihm ins Fuhrwerk setzen , damit wir zusammen dem Schauspiele nachführen ; doch gab sie den Wunsch zu erkennen , lieber den ausgeruhten Schimmel zu besteigen und noch ein wenig umherzureiten , da es später unter keinem Vorwande mehr geschehen würde .
Hiermit war der Schulmeister auch zufrieden und erklärte so wolle er wenigstens mit uns fahren , bis er etwa Gelegenheit finde , einer bejahrten Person den Heimweg zu erleichtern , da ihn die Jungen alle im Stiche ließen .
Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem Hause , wo unsere Pferde standen , ließ dieselben auf die Straße bringen , und als ich Anna in den Sattel half , klopfte mir das Herz vor heftigem Vergnügen und stand wieder still vor angenehmem Schreck , weil ich voraussah , bald allein neben ihr durch die Landschaft zu reiten .
Sechzehntes Kapitel Abendlandschaft .
Berta von Bruneck Dies traf auch ein , obgleich noch auf andere Weise , als ich es gehofft hatte .
Wir waren noch nicht weit aus dem Tore , als der gastliche Schulmeister sein Wägenchen schon mit drei alten Leutchen beladen hatte und in lustigem Trabe vorausfuhr , der angenommenen hohlen Gasse zu .
Still ritten wir nun im Schritte dahin und grüßten sehr beflissen die fröhlichen Leute , denen wir begegneten , links und rechts , bis wir in die Nähe der wogenden und summenden Menge kamen und dieselbe beinahe erreichten .
Da stießen wir auf den Philosophen , dessen schönes Gesichtchen vor Mutwillen glühte und den tollen Spuk verkündigte , welchen er schon ausgeübt .
Er war in gewöhnlicher Kleidung und trug ein Buch in der Hand , da er nebst einem anderen Lehrer das Amt eines Einbläsers übernommen , um überall zur Hand zu sein , wenn einen Helden die Erinnerung verlassen sollte .
Doch erzählte er jetzt , wie die Leute gar nichts mehr hören wollten und alles von selber seinen ziemlich wilden Gang ginge ; er habe daher , rief er , nun die schönste Muße , uns beiden zu der Jagdszene zu soufflieren , die wir ohne Zweifel auszufahren so einsam ausgezogen wären ; es sei auch die höchste Zeit dazu und wir wollten uns ungesäumt ans Werk machen !
Ich wurde rot und trieb die Pferde an ; aber der Philosoph fiel uns in die Zügel ; Anna fragte , was denn das wäre mit der Jagdszene , worauf er lachend ausrief er werde uns doch nicht sagen müssen , was alle Welt belustige und uns ohne Zweifel mehr als alle Welt !
Anna wurde nun auch rot und verlangte standhaft zu wissen , was er meine .
Da reichte er ihr das aufgeschlagene Buch , und während mein Brauner und ihr Schimmel behaglich sich beschnupperten , ich aber wie auf Kohlen saß , las sie , das Buch auf dem rechten Knie haltend , aufmerksam die Szene , wo Rudenz und Berta ihr Bündnis schließen , von Anfang bis zu Ende , mehr und mehr errötend .
Die Schlinge kam nun an den Tag , welche ich ihr so harmlos gelegt , der Philosoph rüstete sich sichtbar zu endlosem Unfuge , als Anna plötzlich das Buch zuschlug , es hinwarf und höchst entschieden erklärte , sie wolle sogleich nach Hause .
Zugleich wandte sie ihr Pferd und begann feldein zu reiten auf einem schmalen Fahrwege , ungefähr in der Richtung nach unserem Dorfe .
Verlegen und unentschlossen sah ich ihr eine Weile nach ; doch faßte ich mir ein Herz und trabte bald hinter ihr her , da sie doch einen Begleiter haben mußte ; während ich sie erreichte , sang uns der Philosoph ein loses Lied nach , welches jedoch immer schwächer hinter uns verklang , und zuletzt hörten wir nichts mehr als die muntere , aber ferne Hochzeitsmusik aus der hohlen Gasse und vereinzelte Freudenrufe und Jauchzer an verschiedenen Punkten der Landschaft .
Diese erschien aber durch die Unterbrechungen nur um so stiller und lag mit Feldern und Wäldern friedevoll im Glanze der Nachmittagssonne wie im reinsten Golde .
Wir ritten nun auf einer gestreckten Höhe , ich hielt mein Pferd immer noch um eine Kopflänge hinter dem ihrigen zurück und wagte nicht ein Wort zu sagen .
Da gab Anna dem Schimmel einen kecken Schlag mit der Gerte und setzte ihn in Galopp , ich tat das gleiche ; ein lauer Wind wehte uns entgegen , und als ich auf einmal sah , daß sie , ganz gerötet die balsamische Luft einatmend , vergnügt vor sich hin lächelte , den Kopf hoch aufgehalten mit dem funkelnden Krönchen , während ihr Haar waagrecht schwebte , schloß ich mich dicht an ihre Seite , und so jagten wir wohl fünf Minuten lang über die einsame Höhe dahin .
Der Weg war noch halb feucht und doch fest ; rechts unter uns zog der Floß , wir blickten seine glänzende Bahn entlang , jenseits erhob sich das steile Ufer mit dunklem Walde , und darüber hin sahen wir über viele Höhenzüge weg im Nordosten ein paar schwäbische Berge , einsame Pyramiden , in unendlicher Stille und Ferne .
Im Südwesten lagen die Alpen weit herum , noch tief herunter mit Schnee bedeckt , und über ihnen lagerte ein wunderschönes mächtiges Wolkengebirge im gleichen Glanze , Licht und Schatten ganz von gleicher Farbe wie die Berge , ein Meer von leuchtendem Weiß und tiefem Blau , aber in tausend Formen gegossen , von denen eine die andere übertürmte .
Das Ganze war eine senkrecht aufgerichtete glänzende und wunderbare Wildnis , gewaltig und nah an das Gemüt rückend und doch so lautlos , unbeweglich und fern .
Wir sahen alles zugleich , ohne daß wir besonders hinblickten ; wie ein unendlicher Kranz schien sich die weite Welt um uns zu drehen , bis sie sich verengte , als wir allmählich bergab jagten , dem Flusse zu .
Aber es war uns nur , als ob wir im Traume in einen geträumten Traum träten , als wir auf einer Fähre über den Fluß fuhren , die durchsichtig grünen Wellen sich rauschend am Schiffe brachen und unter uns wegzogen , während wir doch auf Pferden saßen und uns in einem Halbbogen über die Strömung weg bewegten .
Und wieder glaubten wir uns in einen anderen Traum versetzt , als wir , am anderen Ufer angekommen , langsam einen dunklen Hohlweg emporklommen , in welchem schmelzender Schnee lag .
Hier war es kalt , feucht und schauerlich ; von den dunklen Büschen tropfte es und fielen zahlreiche Schneeklumpen , wir befanden uns ganz in einer kräftig braunen Dunkelheit , in deren Schatten der alte Schnee traurig schimmerte , nur hoch über uns glänzte der goldene Himmel .
Auch hatten wir den Weg nun verloren und wußten nicht recht , wo wir waren , als es mit einem Male grün und trocken um uns wurde .
Wir kamen auf die Höhe und befanden uns in einem hohen Tannenwald , dessen Stämme drei bis vier Schritte auseinander standen , auf einem dicht mit trockenem Moose bedeckten Boden , und die Äste hoch oben in ein dunkelgrünes Dach verwachsen , so daß wir vom Himmel fast nichts mehr sehen konnten .
Ein warmer Hauch empfing uns hier , goldene Lichter streiften da und dort über das Moos und an den Stämmen , der Tritt der Pferde war unhörbar , wir ritten gemächlich zwischendurch , um die Tannen herum , bald trennten wir uns , und bald drängten wir uns nahe zusammen zwischen zwei Säulen durch , wie durch eine Himmelspforte .
Eine solche Pforte fanden wir aber gesperrt durch den quergezogenen Faden einer frühen Spinne ; er schimmerte in einem Streiflichte mit allen Farben , blau , grün und rot , wie ein Diamantstrahl .
Wir bückten uns einmütig darunter weg , und in diesem Augenblicke kamen sich unsere Gesichter so nah , daß wir uns unwillkürlich küßten .
Im Hohlweg hatten wir schon zu sprechen angefangen und plauderten nun eine Weile ganz glückselig , bis wir uns darauf besannen , daß wir uns geküßt , und sahen , daß wir rot wurden , wenn wir uns anblickten .
Da wurden wir wieder still .
Der Wald senkte sich nun auf die andere Seite hin und stand wieder im Schatten .
In der Tiefe sahen wir ein Wasser glänzen , und die gegenüberstehende Berghalde , ganz nah , leuchtete mit Felsen und Fichten im hellen Sonnenscheine durch die dunklen Stämme , unter denen wir zogen , und warf ein geheimnisvolles Zwielicht in die schattigen Hallen unseres Tannenwaldes .
Der Boden wurde jetzt so abschüssig , daß wir absteigen mußten .
Als ich Anna vom Pferde hob , küßten wir uns zum zweiten Male , sie sprang aber sogleich weg und wandelte vor mir über den weichen grünen Teppich hinunter , während ich die beiden Tiere führte .
Wie ich die reizende , fast märchenhafte Gestalt so durch die Tannen gehen sah , glaubte ich wieder zu träumen und hatte die größte Mühe , die Pferde nicht fahrenzulassen , um mich von der Wirklichkeit zu überzeugen , indem ich ihr nachstürzte und sie in die Arme schloß .
So kamen wir endlich an das Wasser und sahen nun , daß wir uns bei der Heidenstube befanden , in einem wohlbekannten Bezirke .
Hier war es womöglich noch stiller als in dem Tannenwalde und am allerheimlichsten ; die besonnte Felswand spiegelte sich in dem reinen Wasser , über ihr kreisten drei große Habichte in der Luft , sich unaufhörlich begegnend , und das Braun auf ihren Schwingen und das Weiß an der inneren Seite wechselten und blitzten mit dem Flügelschlage und den Schwenkungen im Sonnenscheine , während wir unten im Schatten waren .
Ich sah dies alles in meinem Glücke , indessen ich den guten Gäulen , welche nach dem Wasser begehrten , die Zäume abnahm .
Anna erblickte ein weißes Blümchen , ich weiß nicht , was für eines , brach es und trat auf mich zu , es auf meinen Hut zu stecken ; ich sah und hörte jetzt nichts mehr , als wir uns zum dritten Male küßten .
Zugleich umschlang ich sie mit den Armen , drückte sie mit Heftigkeit an mich und fing an , sie mit Küssen zu bedecken .
Erst hielt sie zitternd einen Augenblick still , dann legte sie ihre Arme um meinen Hals und küßte mich wieder ; aber bei dem fünften oder sechsten Kusse wurde sie totenbleich und suchte sich loszumachen , indessen ich ebenfalls eine sonderbare Verwandlung fühlte .
Die Küsse erloschen wie von selbst , es war mir , als ob ich einen urfremden , wesenlosen Gegenstand im Arme hielte , wir sahen uns fremd und erschreckt ins Gesicht , unentschlossen hielt ich meine Arme immer noch um sie geschlungen und wagte sie weder loszulassen noch fester an mich zu ziehen .
Mich dünkte , ich müßte sie in eine grundlose Tiefe fallen lassen , wenn ich sie losließe , und töten , wenn ich sie ferner gefangenhielt ; eine große Angst und Traurigkeit senkte sich auf unsere kindischen Herzen .
Endlich wurden mir die Arme locker und fielen auseinander , beschämt und niedergeschlagen standen wir da und blickten auf den Boden .
Dann setzte sich Anna auf einen Stein , dicht an dem klaren tiefen Wasser , und fing bitterlich an zu weinen .
Erst als ich dies sah , konnte ich mich wieder mit ihr beschäftigen , so sehr war ich in meine eigene Verwirrung und in die eisige Kälte versunken , die uns überfallen hatte .
Ich näherte mich dem schönen , trauernden Mädchen und suchte eine Hand zu fassen , indem ich zaghaft ihren Namen nannte .
Aber sie hüllte ihr Gesicht fest in die Falten des langen grünen Kleides , fortwährend reichliche Tränen vergießend .
Endlich erholte sie sich ein wenig und sagte bloß : " Oh ! wir waren so froh bis jetzt ! "
Ich glaubte sie zu verstehen , weil ich ziemlich das gleiche fühlte , nur nicht so tief wie sie ; daher erwiderte ich nichts , sondern setzte mich still etwas von ihr entfernt halb gegenüber , und so blickten wir mit düsterem Schweigen in das feuchte Element .
Von dessen Grunde sah ich ihr Spiegelbild mit dem Krönchen heraufleuchten wie aus einer anderen Welt , wie eine fremde Wasserfei , die nach einem Vertrauens Frucht in die Tiefe zu fliehen droht .
Indem ich sie so gewaltsam an mich gedrückt und geküßt und sie in der Verwirrung dies erwidert , hatten wir den Becher unserer unschuldigen Lust zu sehr geneigt ; sein Trank überschüttete uns mit plötzlicher Kälte , und das fast feindliche Fühlen des Körpers riß uns vollends aus dem Himmel .
Diese Folgen einer so unschuldigen und herzlichen Aufwallung zwischen zwei jungen Leutchen , welche einst als Kinder schon genau dasselbe getan ohne alle Bekümmernis , würden vielen närrisch vorkommen ; uns aber dünkte die Sache gar nicht spaßhaft , und wir saßen mit wirklichem Grame an dem Wasser , das um keinen Grad reiner war als Annas Seele .
Den wahren Grund der schreckhaften Begebenheit ahnte ich gar nicht ; denn ich wußte nicht , daß in jenem Alter das rote Blut weiser sei als der Geist und sich von selbst zurückdämme , wenn es in ungehörige Wellen geschlagen worden .
Anna hingegen mochte sich hauptsächlich vorwerfen , daß sie nun doch für ihr Nachgeben , dem Feste beizuwohnen , bestraft und ihre eigene Art und Weise gröblich und roh gestört worden sei .
Ein gewaltiges Rauschen in den Baumkronen ringsumher weckte uns aus der melancholischen Versenkung , die eigentlich schon wieder an eine andere Art von schönem Glück streifte ; denn meiner Erinnerung sind die letzten Augenblicke , ehe uns der starke Südwind Wachrausche , nicht weniger lieb und kostbar als jener Ritt auf der Höhe und durch den Tannenwald .
Auch Anna schien sich zufriedener zu fühlen ; als wir uns erhoben , lächelte sie flüchtig gegen mein eigenes verschwindendes Bild im Wasser ; doch schienen ihre anmutig entschiedenen Bewegungen zugleich zu sagen Waage es ferner nicht , mich zu berühren !
Die Pferde hatten längst zu trinken aufgehört und standen verwundert in der engen Wildnis , wo sie zwischen Steinen und Wasser beinahe keinen Raum fanden , sich zu regen ; ich legte ihnen das Gebiß an , hob Anna auf den Schimmel , und denselben führend , suchte ich auf dem schmalen , oft vom Flüßchen beeinträchtigten Pfade so gut als möglich Vorwärtszudringen , während der Braune geduldig und treulich nachfolgte .
Wir gelangten auch wohlbehalten auf die Wiesen und endlich unter die Bäume vor dem alten Pfarrhause .
Kein Mensch war daheim , selbst der Oheim und seine Frau waren auf den Abend fortgegangen , und alles still um das Haus .
Dieweil Anna sogleich hineineilte , zog ich den Schimmel in den Stall , sattelte ihn ab und steckte ihm sein Heu vor .
Dann ging ich hinauf , um für den Braunen etwas Brot zu holen , da ich auf ihm noch dem Schauspiele zuzueilen gedachte .
Auch forderte mich Anna gleich dazu auf , als ich in die Stube kam .
Sie war schon umgekleidet und flocht eben ihr Haar etwas hastig in seine gewohnten Zöpfe ; über dieser Beschäftigung von mir betroffen , errötete sie aufs neue und wurde verlegen .
Ich ging hinab , den Braunen zu füttern , und während ich ihm das Brot vorschnitt und ein Stück um das andere in das Maul steckte , stand Anna an dem offenen Fenster , ihr Haar vollends aufbindend , und schaute mir zu .
Die gemächliche Beschäftigung unserer Hände in der Stille , die über dem Gehöfte lagerte , erfüllte uns mit einer tiefen und von Grund aus glücklichen Ruhe , und wir hätten jahrelang so verharren mögen ; manchmal bis ich selbst ein Stück von dem Brote , ehe ich es dem Pferde gab , worauf sich Anna ebenfalls Brot aus dem Schranke holte und am Fenster aß .
Darüber mußten wir lachen , und wie uns das trockene Brot so wohl schmeckte nach dem festlichen und geräuschvollen Mahle , so schien auch die jetzige Art unseres Zusammenlebens das rechte Fahrwasser zu sein , in welches wir nach dem kleinen Sturme eingelaufen und in welchem wir bleiben sollten .
Anna gab ihre Zufriedenheit auch dadurch zu erkennen , daß sie das Fenster nicht verließ , bis ich weggeritten war .
Siebzehntes Kapitel Die barmherzigen Brüder Gleich vor dem Dorfe kam der Schulmeister gefahren mit dem oheimlichen Ehepaar , denen ich sagte , daß Anna schon zu Hause sei ; und ein Stück weiter stieß ich auf des Müllers Knecht , welcher dessen Pferd nach Hause führte .
Da ich vernahm , daß schon alles bei der Zwinguri versammelt und dort ein großes Hallo sei , auch der Weg dahin nicht mehr weit war , gab ich meinen Gaul auch dem Knecht und eilte zu Fuß weiter .
Zur Zwinguri hatte man eine verfallene Burgruine bestimmt , welche auf dem höchsten Punkte einer Bergallmende steht und eine weite Aussicht ins Gebirge hinüber gewährt .
Die Trümmer waren durch einiges Stangen- und Brettergerüst so bekleidet , als ob sie eben im Aufbau statt im Verfalle wären , und mit den Kränzen der triumphierenden Tyrannei behangen .
Die Sonne ging eben unter , als ich ankam und sah , wie das Volk das Gerüste zusammenbrach und mit den Kränzen auf einen gewaltigen Holz- und Reisighaufen warf und diesen anzündete .
Hier ging auch die Verherrlichung des Tell vor sich , statt vor seinem Hause , doch nicht mehr nach der geschriebenen Ordnung , sondern infolge einer allgemeinen Erfindungslust , wie der Augenblick sie in den tausend Köpfen erweckte , und der Schluß der Handlung ging unbestimmt in eine rauschende Freudenfeier über .
Die weggejagten Zwingherren mit ihrem Trosse waren wieder herangeschlichen und gingen um unter dem Volke als vergnügte Gespenster ; sie stellten die harmloseste Reaktion vor .
Auf allen Hügeln und Bergen sahen wir jetzt die Fastnachtsfeuer brennen , und das unsrige flammte bereits in großem Umfange ; wir standen in einem Kreise hundertweise darum , und Tell , der Schütz , zeigte sich jetzt auch als einen guten Sänger , sogar als einen Propheten , indem er ein kräftiges Volkslied von der Sempacher_Schlacht vorsang , dessen Chorzeilen von allen wiederholt wurden .
Wein war in Menge vorhanden ; es bildeten sich mehrere Liederkreise , schlichte , einstimmige , welche alte Lieder sangen , wie vierstimmige Männerchöre mit neuen Liedern , gemischte Singschulen von Mädchen und Jünglingen , Kinderscharen , alles sang , klang und wogte durcheinander auf der Allmende , über welche das Feuer einen rötlichen Schein verbreitete .
Vom Gebirge herüber wehte immer stärker und wärmer der Föhn und wälzte große Wolkenzüge über den Himmel ; je dunkler die Luft wurde , desto lauter wurde die Freude , die zunächst um Burgtrümmer und Feuer in einem großen Körper lagerte , dann die Halde hinab sich in viele Gruppen und einzelne auflöste , die hier noch im rötlichen Scheine streiften , dort in der Dunkelheit jauchzten .
Noch weiterhin summte die Lust aus den dunklen Gefilden und glänzte zuletzt wieder sichtbar in den zahlreichen Flammen am Horizonte .
Der uralte gewaltige Frühlingshauch dieses Landes , obschon er Gefahr und Not bringen konnte , weckte ein altes , trotzig frohes Naturgefühl , und indem er in die Gesichter und in die heißen Flammen wehte , ging die Ahnung zurück vom Feuerzeichen des politischen Bewußtseins über die Christenfeuer des Mittelalters zu dem Frühlingsfeuer der Heidenzeit , das vielleicht zur selben Stunde , auf derselben Stelle gebrannt .
In den dunklen Wolkenlagern schienen Heerzüge verschwundener Geschlechter vorüberzuziehen , manchmal anzuhalten über dem nächtlich singenden und tönenden Volkshaufen , als ob sie Lust hätten , herabzusteigen und sich unter die zu mischen , welche ihre Spanne Zeit am Feuer vergaßen .
Es war aber auch eine köstliche Stelle , diese Allmende ; der bräunliche Boden , vom ersten Anflug des ergrünenden wilden Grases überschossen , dünkte uns weicher und elastischer als Samtpolster , und vor der fränkischen Zeit schon war er für die Bewohner der Gegend dasselbe gewesen , was heute .
Die Stimmen der Weiber waren mit der Nacht lauter geworden ; während die älteren schon fortgegangen und die verheirateten Männer sich zusammentaten , um vertraute Zechstuben aufzusuchen , begannen die Mädchen ihre Herrschaft unbefangener auszuüben , erst in lachenden Kreisen , bis zuletzt alles beieinander war , was zusammengehörte , und jedes Paar auf seine Weise sich zeigte oder verbarg .
Doch als das Feuer zusammenfiel , lösten sich die verschlungenen Menschenkränze und begannen in großen und kleinen Gruppen dem Städtchen zuzuziehen , wo auf dem Rathause sowie in einigen Gasthäusern Trompeten und Geigen sie erwarteten .
Ich hatte mich in dem Gedränge unstet herumgetrieben und vergnügte mich nun an der verlöschenden Glut , um welche außer einigen Knaben nur noch jene Fratzgestalten herumtanzten , weil der Spaß sie nichts kostete .
Sie sahen in den flatternden Hemden und mit den hohen Papiermützen aus wie Gespenster , die dem grauen Gemäuer entstiegen Einige zählten auch die Münzen , welche sie etwa erhascht , andere suchten aus dem Feuer noch ein verkohltes Holzscheit zu ziehen , und besonders einen sah ich , welcher sich zu den tollsten Sprüngen angestrengt und den ich für einen jungen Taugenichts gehalten , nunmehr nach der Entlarvung als ein eisgraues Männchen zum Vorschein kommen und sich hastig mit einem rauchenden Fichtenklotze abquälen .
Ich wandte mich endlich hinweg und ging langsam davon , unschlüssig , ob ich nach Hause kehren oder dem Städtchen zusteuern solle .
Mein Mantel , der Degen und die Armbrust waren mir längst hinderlich ; ich nahm alles zusammen unter den Arm , und als ich rascher von der Allmende hinunterschritt , fühlte ich mich so munter und lebenslustig wie am frühen Morgen , und je länger ich ging , desto stärker erwachte mir das kühne Verlangen , einmal die Nacht zu durchschwärmen , und zugleich die Reue , daß ich Anna so leichten Kaufes entlassen .
Ich bildete mir ein , ganz der Mann dazu zu sein ein Liebchen eine festliche Nacht entlangzuführen , unter Tanz , Becherklang und Scherz .
Ich machte mir die bittersten Vorwürfe , den einzigen Tag so ungeschickt und schwachmütig verpfuscht zu haben , und stellte mir zugleich voll Eitelkeit vor , daß es Anna ebenso ergehe und sie vielleicht schlaflos sich nach mir sehne ; denn es mochte schon neun Uhr vorüber sein .
Unversehens war ich in dem Flecken angelangt , welcher von Musik ertönte , und als ich in einen übervollen Saal trat , in welchem die blühenden Paare sich drehten , da klopfte mein Blut immer unwilliger und heißer ; ich bedachte nicht , daß wir die einzigen sechzehnjährigen Leutchen gewesen wären , die sich im offenkundigen Vereine zeigten , noch weniger , daß unsere heutigen Erlebnisse zehnmal schöner waren als alles , was diese lärmende Jugend hier genießen konnte , und daß ich mich in der Erinnerung derselben reich und glücklich genug hätte fühlen sollen .
Ich sah nur die Freude der Volljährigen , der Verlobten und Selbständigen , und maßte mir ihr Recht an , ohne im mindesten zu merken , daß mein prahlerisches Blut , sobald ich Anna wirklich zur Seite gehabt hätte , augenblicklich wieder zahm geworden wäre .
Es gereicht mir auch nicht zur Ehre , daß es ihrer leibhaften Gegenwart bedurfte , mich zur Bescheidenheit zurückzuführen .
Doch als ich von meinen Vettern und Bekannten als ein verloren Geglaubter tapfer begrüßt und in den Strudel gezogen wurde , blendete mich das Licht der Freude , daß ich mich und meinen Ärger vergaß und der Reihe nach mit den drei Basen tanzte .
Ich erhitzte mich immer mehr , ohne zufrieden zu sein ; die Lust , welche im ganzen soviel Geräusch machte , ging mir im einzelnen viel zu langsam und nüchtern vor sich .
So freudestrahlend alle die jungen Leute dreinblickten , schien es mir doch nur ein matter Schimmer zu sein gegen den Glanz , der in meiner Phantasie wach geworden .
Unruhig streifte ich durch einige Trinkstuben , die neben dem Saale waren , und wurde von einer Gesellschaft junger Burschen angehalten , welche purpurroten Wein tranken und dazu sangen .
Hier schien meine Sehnsucht endlich ein Ziel zu finden ; ich trank von dem kühlen Wein , dessen schöne Farbe meinen Augen sehr wohl gefiel , und fing leidenschaftlich an zu singen .
Kaum hatte ein Lied geendet , so begann ich ein anderes , schlug ein rascheres Tempo an und erhob bei ausdrucksvollen Stellen die Stimme , daß sie bald die anderen übertönte .
Verwundert , daß der Duckmäuser aus der Stadt noch besser trinken und lärmen könne als sie , wollten die Bursche nicht zurückbleiben ; wir feuerten uns gegenseitig an , ich sang und sang immerzu und bemerkte erst bei einem Rundgesange , wo ich eine Weile schweigen mußte , daß sämtliche Bäschen durch die Türe guckten und mich mit Erstaunen in meiner Herrlichkeit sitzen sahen .
Sie lachten mir zu , winkten drohend , weil ich ihr Panier verlassen , und forderten mich auf , wieder zu tanzen .
Aber ich war nun ein gemachter und angesehener Mann unter meinen Gesellen , ganz wie einst als Knabe , wo ich eine Zeitlang den Renommisten gespielt , und als einige davon sich wieder nach Mädchen umsahen , brach ich mit zwei wilden Jünglingen auf , das Städtchen zu durchziehen .
Arm in Arm stürmte ich mit den gesunden Bauerssöhnen über die Straße ; wir gaben uns die lustigsten Redensarten zum besten , sangen und empfanden das gefällige Behagen , welches entsteht , wenn Ungleiches sich eint und zusammen freut .
Doch schon im nächsten Tanzhause , in das wir traten , verlor ich einen um den anderen meiner neuen Freunde , indem sie hier fanden , was sie wahrscheinlich gesucht hatten , und ich setzte allein , aber rastlos , den Streifzug fort .
Hier und da schaute ich einen Augenblick zu , erwiderte ungesäumt die Späße , die man an mich richtete , bis ich in eine Stube kam , wo an einem großen runden Tische noch vier von den barmherzigen Brüdern saßen .
Zwei waren schon abgefallen und verschwunden ; die hier weilten , hatten bereits einen zweiten Rausch hinter sich und befanden sich nun in jenem lässigen Zustande , in welchem erfahrene Zechbrüder einen lustigen Tag austönen lassen , fragwürdige Witze machen und ihren Wein so trinken , als ob sie nicht mehr viel darum gäben , sich aber wohl hüten , schließlich einen Tropfen zu verlieren .
Etwas entfernt von ihnen saß am gleichen Tische die Judith , welcher die Brüder der Sitte gemäß ein Glas geboten .
Sie schien sich ganz allein bei dem Feste umgesehen und nun ein Gefallen daran zu haben , die Witze und Verfänglichkeiten dieser Herren schlagfertig zurückzugeben und sie in Respekt zu halten , wozu es keiner geringen Gewandtheit und Kraft bedurfte .
Sie saß ebenso lässig da , zurückgelehnt und halb abgewandt , und warf ihre Erwiderungen gleichmütig hin .
Die Mönche hatten die Flachsbärte abgelegt und die gefärbten Nasen gewaschen ; nur der älteste , welcher einen angehenden Kahlkopf und eine natürliche Feuernase besaß , prangte noch mit dem hohen Rot derselben .
Dies war der Unnützeste und rief mir zu , als ich vorübergehen wollte :
" Heda , Grünspecht ! wo hinaus ? "
Ich stand still und erwiderte :
" Guter Freund !
Ihr habt vergessen , den Zinneber von Eurer Nase zu wischen , wie die anderen Brüder doch getan !
Ich mache Euch hiermit aufmerksam , damit Ihr nicht etwa Euer Kopfkissen rot macht . "
Das Gelächter der übrigen nahm mich sogleich in den holden Bund auf ; ich mußte mich setzen und ein Glas annehmen , worauf sie sagten :
" Und dennoch , könnt Ihr glauben , daß dieser Kerl es noch für nötig befunden hat , heute seine Nase zu schminken ? " , - " Das war freilich " , erwiderte ich , " ebenso töricht , als wenn man eine Rose schminken wollte ! "
" Und dazu viel gefährlicher " , versetzte ein anderer , " denn eine Rose schminken heißt ein Werk Gottes verbessern wollen , und der liebe Gott verzeiht !
Aber eine rote Nase schminken heißt den Teufel verhöhnen , und der verzeiht nicht ! "
So ging es fort ; sie verhandelten nun seinen Kahlkopf , wobei ich aber bald weit zurückblieb , indem sie über diesen Gegenstand allein wohl zwanzig verschiedene Witze machten , welche in der Phantasie die lächerlichsten Vorstellungen erregten und von denen einer den anderen an Neuheit und Kühnheit der Bilder überbot .
Judith lachte , als die Taugenichtse über sich selbst herfuhren , und als der Angegriffene dies sah , suchte er sich aus dem Feuer zu retten , indem er sich gegen sie wendete .
Sie saß da in einem schlichten braunen Kleide , die Brust mit einem weißen Halstuche bedeckt , welches ein wenig ihren prächtigen Hals sehen ließ ; um diesen lag eine feine Goldkette und verlor sich im Halstuche ; sonst trug sie keinen Putz als ihr schönes braunes Haar .
Der Kahlkopf blinzelte mit den Augen und sang :
" Mein Schatz , um deinen weißen Hals Geht eine Schnur von Katzengold , Die führt an deinem Busam Teuf in dein falsches Herz ! "
Judith erwiderte schnell :
" Damit Ihr meinen weißen Hals einmal vergeßt , will ich Euch auch ein Lied von etwas Weißem berichten ! " und sie sang nicht , sondern sagte einfach wohlklingend :
" Es ist eine üble Zeit !
Luna , die weiland keusche Maid , Liebäugelt auf den Köpfen alter Sünder Am hellen Tag und höhnt uns arme Kinder .
Schäm dich , Mondschein !
Ich tat das Fenster auf In dunkler Nacht und suchte Lunas Lauf ; Da glänzt sie frech an meines Hauses Schwelle , Wild goß ich Wasser auf die weiße Stelle .
Schäm dich , Mondschein ! "
Ihre Mutter war gestorben , auch hatte sie seither in einer ausländischen Lotterie mehrere tausend Gulden gewonnen , da sie aus langer Weile sich mit dergleichen Dingen befaßte .
So schien sie nun mehr als je für schwere und leichte Schnapphähne ein guter Fange , und der Kahle glaubte sie , nachdem er verschiedene Anleihen bei ihr gemacht , welche sie ihm lachend gewährte , im Sturme nehmen zu können , wurde aber ebenso lachend abgewiesen .
Das obige Liedchen aber schien sogar auf ein schlimmes Abenteuer zu deuten , welches er auf seiner Freite bestanden .
Denn mit einer ganz heillosen Diskretion sahen sich die drei übrigen an , mit funkelnden Augen und mühsam verhaltenem Munde , indem sie anfingen , halblaut zu summen : " Hm ! hm ! - hm ! hm ! hm ! hm ! hm ! hm ! - hm ! hm ! hm ! "
Der Rhythmus dieses Gesummes war so verführerisch , daß ich mit einstimmte und eine stolze Glückseligkeit empfand , mit den Spöttern singen zu dürfen hm hm hm !
hm hm hm ! -
es war still und feierlich in der nur noch schwach erleuchteten Stube , und mit feierlicher Behaglichkeit setzten wir die seltsamen Takte fort .
Judith lachte hell auf und rief : " O ihr Kindsköpfe ! "
Da brachen wir laut aus : " Ha ha ha ! - ha ha ha ! "
Der Gehöhnte aber spähte umher , zog unversehens dem lautesten Spötter ein hervorguckendes Blatt aus der Kutte und las dessen Überschrift : " Christliche Wochenbötin , ein konservatives Volksblättlein . "
Der Spott entlud sich nun auf den Überraschten , dessen schwache Seite sein Konservatismus war , den er weder genügsam zu erklären noch zu verteidigen vermochte .
Diese Benennung war erst seit einiger Zeit im Umlauf und fing einige Leute , welche vorher im Nebelhaften geschwebt .
Der Kahle forderte den Konservativen auf , er solle einmal sagen , was er sich eigentlich darunter denke , wenn er behaupte , konservativ zu sein .
Dieser wollte tun , als ob er hierin keinen Spaß verstehe , und wünschte mit wichtigem Gesicht , nicht zu politisieren !
Doch ein anderer rief : " Die Erklärung ist schon im Paradies zu suchen !
Als Adam den Tieren ihren Namen gab , war eines darunter , das wedelte gar bedächtig mit den Ohren und sagte , es sei konservativ ; es konnte aber keinen Grund hierfür angeben , und Adam sagt : » Du sollst Esel heißen ! « " Erbost rückte dieser nun mit seinem innersten und eigentlichen Grunde , der seine fixe Idee war , heraus und warf dem Radikalismus vor , daß er den Wein säuert und verteuert hätte .
Wenn man noch ein süßes und billiges Glas trinken wolle , so sei dieses einzig in den abgelegenen altväterischen Wirtschaften zu finden , wo die alten Zöpfe hinkröchen , sich vor der Welt zu verbergen .
" Sauft " , schrie er , " den radikalen Rachenputzer eurer berühmten politischen Wirte !
Ich halte es mit den Zöpfen ! "
Da allerdings etwas Wahres in diesem Vorwurfe lag , so entbrannten die drei übrigen ihrerseits im Zorne , schalten den Konservativen einen Verleumder und suchten ihm zu beweisen , daß er ohne den Radikalismus gar keinen Wein zu riechen bekäme , weder guten noch schlechten ; daß er selbst als konservativer Parteibedienter völlig überflüssig wäre und von seinen Zöpfen den Schuh unter den Rücken erhielte statt des stärkenden Weinchens der Proselytenbelohnung .
Dies führte zu einem hitzigen Gefechte , worin die Herren gegenseitig ihre Grundsätze , Tatsachen und Parteifahrer heruntermachten , und das in Ausdrücken , Vergleichungen und Wendungen , Schlag auf Schlag , wie sie kein dramatischer Dichter für seine Volksszenen treffender und eigentümlicher erfinden könnte ; nicht einmal nachzuschreiben wären sie , so leicht und blitzähnlich entsprangen die Witze aus den Voraussetzungen , welche bald wahr und richtig , bald böslich ersonnen , doch immer sich auf die Verhältnisse und Personen gründeten .
Ein Leitartikel oder eine Rede wäre zwar aus diesem Turnier nicht zu schöpfen gewesen ; doch konnte man sehen , welch eine ganz vertrackte Kritik das Volk auf seine Weise führt und wie sehr sich derjenige trügt , welcher , von der Tribüne herunter zu zweifelhaften Zwecken das " biedere , gute Volk " anrufend , ein allzu wohlwollendes und naives Pathos voraussetzt .
Selbst Äußerlichkeiten , Angewöhnungen und körperliche Gebrechen , wurden in einen solchen Zusammenhäng mit den Worten und Handlungen hervorragender Männer gebracht , daß die letzten nur eine notwendige Folge der ersten zu sein schienen und man glaubte , in den ungelehrten , aber phantasiereichen Volksleuten die doktrinärsten Physiognomisten vor sich zu sehen .
Mancher angesehene Mann wurde hier zu einem lächerlichen oder unheimlichen Popanz umgeschaffen , daß er leibhaft zu sehen war , und selbst die Verteidigung desselben hätte etwas Demütigendes für ihn gehabt , wenn er sie gehört hätte .
Wie in einer ganz anderen Welt war ich hier als bei dem Schulmeister ; und doch fühlte ich mich gleich zu Hause und schlürfte die starken und rücksichtslosen Redensarten , die spöttischen und wilden Einfälle ebenso andächtig ein wie die gewählten ruhigen Worte von Annas Vater .
Ich schien mir dort ein anderer und hier ein anderer und doch immer der gleiche zu sein .
Ich freute mich , daß mein Leben eine Seite um die andere vor mir auftat , und war stolz darauf , indem ich mir einbildete , daß diese lustigen Männer mich ihrer Gesellschaft würdig achteten und ihre Witze vor mir nicht zurückhielten .
Mit Vergnügen dachte ich an den Schulmeister und wie ich fürder ernsthaft und anständig mit ihm disputieren wolle , während ich doch noch von was anderem wüßte ; denn es schien mir nun darauf anzukommen , nirgends ausgeschlossen zu sein und alles zu übersehen .
Achtzehntes Kapitel Judith Die barmherzigen Brüder waren durch die Politik wieder rüstig und munter geworden und hatten die Flaschen neu füllen lassen , obgleich Mitternacht lange vorüber , als Judith plötzlich aufbrach und sagte : " Frauen und junge Knaben gehören nun nach Hause !
Wollt Ihr nicht mitkommen , Vetter , da wir den gleichen Weg haben ? "
Ich sagte ja , doch müßte ich erst nach meinen Verwandten sehen , welche wahrscheinlich auch mitkommen würden .
" Die werden wohl schon fort sein " , erwiderte sie , " denn es ist spät ; wenn ich nicht darauf gerechnet hätte , daß ich mit Euch gehen könnte , so wäre ich auch längst fort . "
- " Oho ! " riefen die Zecher , " als ob wir nicht auch da wären !
Wir alle begleiten Euch !
Das soll nicht gesagt sein , daß die Judith nicht Begleiter zur Auswahl habe ! "
Sie erhoben sich und sorgten , noch den frischen Wein unterzubringen , während Judith mir winkte und , auf dem Flur angekommen , sagte :
" Diese vier Heiden wollen wir schön anführen ! "
Auf der Straße sah ich , daß der Saal , wo meine Vettern und Basen sich aufgehalten , schon dunkel war , und mehrere Leute bestätigten ihre Heimkehr .
So mußte ich der Judith folgen , als sie mich durch ein dunkles Seitengäßchen ins Freie und durch einige Feldwege auf die Landstraße führte , daß wir einen Vorsprung gewannen und die vier Männer hinter uns rufen hörten .
Indem wir eilend weiterschritten , gingen wir um einige Spannen entfernt nebeneinander her ; ich hielt mich spröde zurück , während mein Ohr keinen Ton ihres festen und doch leichten Schrittes verlor und begierig das leise Rauschen ihres Kleides vernahm .
Die Nacht war dunkel , aber das Frauenhafte , Sichere und die Fülle ihres Wesens wirkte aus allen Umrissen ihrer Gestalt wie berauschend auf mich , daß ich alle Augenblicke hinüberschielen mußte , gleich einem angstvollen Wanderer , dem ein Feldgespenst zur Seite geht .
Und wie der Wanderer mitten in seiner Angst sein christliches Bewußtsein wachruft zum Schutze gegen den unheimlichen Begleiter , trug ich während des verlockenden Ganges einen geistlichen Hochmut der Sprödigkeit und der Unfehlbarkeit in mir .
Judith sprach von den Männern und lachte über sie , erzählte mir unbefangen die Dummheiten , die der eine ihr gemacht , und fragte mich , ob Luna nicht eine alte Mondgöttin wäre ?
Wenigstens habe sie das immer vermutet , wenn sie jenes Lied in einem Buche gelesen ; es habe auch gut für den Schlingel gepaßt .
Dann fragte sie mich plötzlich , warum ich so stolz geworden sei und sie so lange nie mehr angesehen , viel weniger besucht habe ?
Ich wollte mich damit entschuldigen , daß sie keinen Verkehr mit dem Hause meines Oheims pflege und ich daher schicklicherweise auch nicht veranlaßt sei , sie zu sehen .
" Ach was ! " sagte sie , " Ihr seid ja ebensogut mein Vetter und könnt mich von Rechts wegen wohl heimsuchen , wenn Ihr wollt !
Damals , wo Ihr so jung gewesen , habt Ihr mich so gern gehabt , und Ihr seid mir immer ein wenig lieb ; aber jetzt habt Ihr ein Schätzchen , in welches Ihr verliebt seid , und meint , keine andere Frau mehr ansehen zu dürfen ! "
" Ich ein Schätzchen ? " erwiderte ich , und als sie diese Behauptung wiederholte und Anna nannte , leugnete ich die Sache auf das bestimmteste .
Wir waren unversehens beim Dorfe angekommen , in welchem noch viele Stimmen laut wurden und die jungen Leute über die Gasse gingen ; Judith wünschte ihnen aus dem Wege zu gehen , und obgleich ich nun füglich meine Straße hätte ziehen können , leistete ich doch keinen Widerstand und folgte ihr unwillkürlich , als sie mich bei der Hand nahm und zwischen Hecken und Mauern durch ein dunkles Wirrsal führte , um ungesehen in ihr Haus zu gelangen .
Sie hatte ihre Äcker verkauft und nur einen schönen Baumgarten nächst dem Hause behalten , in welchem sie ganz allein wohnte .
Der genossene Wein erhöhte die Aufregung , in welcher ich mich befand , wie wir so durch die engen Wege hinschlüpften , und als , bei dem Hause angekommen , Judith sagte :
" Kommt herein , ich will noch einen Kaffee kochen ! " und ich hineinging und sie die Haustüre fest hinter uns verriegelte , da klopfte mir das Herz mit ungewisser Furcht , während ich mich übermütig des Abenteuers freute und mich vermaß , dasselbe zu meiner Ehre , aber verwegen zu bestehen .
An Anna dachte ich gar nicht , mein wallendes Blut verfinsterte ihr Bild und ließ nur den Stern meiner Eitelkeit durchschimmern ; denn , genau erwogen , wollte ich nur um meiner selbst Willen meine Standhaftigkeit erproben .
Doch darf ich mir gestehen , daß es im Grunde eine Art romantischen Pflichtgefühls war , welches mich antrieb , keiner merkwürdigen Erfahrung auszuweichen .
Auch verlor sich die unheimliche Aufregung , sobald Judith Licht angezündet und ein helles Feuer entflammt hatte .
Ich saß auf dem Herde und plauderte ganz vergnüglich mit ihr , und indem ich fortwährend in ihr vom Feuer beglänztes Gesicht sah , glaubte ich stolz mit der Gefahr spielen zu können und träumte mich in die Lage der Dinge zurück , wie ich vor zwei Jahren noch ihr Haar auf- und zugeflochten hatte .
Während der Kaffee singend kochte , ging sie in die Stube , um ihr Halstuch abzulegen und ihr Sonntagskleid auszuziehen , und kam im weißen Untergewande zurück , mit bloßen Armen , und aus der schneeweißen Leinwand enthüllten sich mit blendender Schönheit ihre Schultern .
Sogleich wurde ich wieder verwirrt , und erst allmählich , indem ich unverwandt sie anschaute , entwirrte sich mein flimmernder Blick an der ruhigen Klarheit dieser Formen .
Ich hatte sie schon als Knabe ein- oder zweimal so gesehen , wenn sie beim Ankleiden nicht sehr auf mich achtete , und obgleich ich jetzt anders sah als damals , schien doch die gleiche Vorwurfslosigkeit auf diesem Schnee zu ruhen ; auch bewegte sich Judith so sicher und frei , daß diese Sicherheit auch auf mich überging .
Sie trug den fertigen Kaffee in die Stube , setzte sich neben mich , und indem sie das herbeigeholte Kirchenbuch aufschlug , sagte sie :
" Seht , ich habe alle die Bildchen noch , die Ihr mir gezeichnet habt ! "
Wir betrachteten die kindischen Dinger , eins ums andere , und die unsicheren Striche von damals kamen mir höchst seltsam vor , wie vergessene Zeichen einer unabsehbar entschwundenen Zeit .
Ich erstaunte vor diesen Abgründen der Vergessenheit , die zwischen den kurzen Jugendjahren liegen , und betrachtete die Blättchen sehr nachdenklich ; auch die Handschrift , womit ich die Sprüche hineingeschrieben , war eine ganz andere und noch diejenige aus der Schule .
Die ängstlichen Züge sahen mich traurig an ; Judith sah auch eine Zeitlang still auf das gleiche Bildchen mit mir , dann sah sie mir plötzlich dicht in die Augen , indem sie ihre Arme um meinen Hals legte , und sagte : " Du bist immer noch der gleiche !
An was denkst du jetzt ? "
- " Ich weiß nicht ! " erwiderte ich .
- " Weißt du " , fuhr sie fort , " daß ich dich gleich fressen möchte , wenn du so studierst , ins Blaue hinaus ! " und sie drückte mich enger an sich , während ich sagte : " Warum denn ? "
- " Ich weiß selbst nicht recht ; aber es ist so langweilig unter den Leuten , daß man oft froh ist , wenn man an etwas anderes denken kann ; ich möchte dies auch gern , aber ich weiß nicht viel und denke immer das gleiche , obschon mir etwas Unbekanntes im Kopfe herumgeht ; wenn ich dich nun so staunen sehe , so ist es mir , als ob du gerade an das denkst , woran ich auch gern sinnen möchte ; ich meine immer , es müßte einem so wohl sein , wenn man mit deinen geheimen Gedanken in die Weite spazieren könnte ! "
So etwas hatte ich noch niemals zu hören bekommen ; obgleich ich wohl einsah , daß die Judith sich allzusehr zu meinen Gunsten täuschte , was meine inneren Gedanken betraf , und ich tief beschämt errötete , daß ich glaubte , die Röte meiner brennenden Wange müsse ihre weiße Schulter anglühen , an welcher sie lag so sog ich doch Wort für Wort dieser süßesten Schmeichelei begierig ein , und meine Augen ruhten dabei auf der Höhe der Brust , welche still und rein aus dem frischen Linnen emporstieg und in unmittelbarster Nähe vor meinem Blicke glänzte wie die ewige Heimat des Glückes .
Judith wußte nicht , oder wenigstens nicht recht , daß es jetzt an ihrer eigenen Brust still und klug , traurig und doch glückselig zu sein war .
Ich fühlte mich ganz außer der Zeit ; wir waren gleich alt oder gleich jung in diesem Augenblicke , und mir ging es durch das Herz , als ob ich jetzt die Ruhe vorausnähme für alles Leid und alle Mühe , die noch kommen sollten .
Ja , dieser Augenblick schien so sehr seine Rechtfertigung in sich selbst zu tragen , daß ich nicht einmal aufschreckte , als Judith , in dem Gesangbuch blätternd , ein zusammengefaltetes Blatt hervorzog , es aufmachte , mir vorhielt und ich nach langem Sinnen jenes beschriebene und an Anna gerichtete Liebesbriefchen erkannte , das ich vor Jahren einst den Wellen übergeben hatte .
" Leugnest du noch , daß dies gute Kind dein Schätzchen sei ? " sagte sie , und ich leugnete es aus Mutwillen zum zweiten Male , das Blatt als eine vergessene Kinderei erklärend .
In diesem Augenblicke riefen Stimmen vor dem Hause , welche wir als diejenigen der vier Männer erkannten .
Sogleich löschte sie das Licht aus , daß wir im Dunklen saßen ; doch die unten begehrten nichtsdestominder Einlaß , indem sie riefen : " So macht doch auf , schöne Judith , und wartet uns mit einer Tasse heißen Kaffees auf !
Wir wollen uns ehrbar benehmen und noch ein vernünftiges Wort sprechen !
Aber macht auf , zum Lohn dafür , daß Ihr uns so an geführt habt ; es ist Fastnacht , und Ihr dürft ohne Gefährde einmal die vier ruhmwürdigsten Kumpane des Landes bewirten ! "
Wir hielten uns aber ganz still ; schwere Regentropfen schlugen an die Scheiben , es wetterleuchtete sogar , und in der Ferne donnerte es , daß es klang , als wäre es Mai oder Juni .
Um Judith kirre zu machen , sangen die Männer mit heuchlerischer Sorgfalt ein vierstimmiges Lied , so schön sie konnten , und ihr überwachter Zustand gab ihren Stimmen wirklich etwas gerührt Vibrierendes .
Als dies alles nichts half , fingen sie an zu fluchen , und einer kletterte am Spalier zum Fenster empor , um in die dunkle Stube zu sehen .
Wir bemerkten wohl seine spitzige Kapuze , die er über den Kopf gezogen hatte ; da erhellte mit einem Mal ein Blitz die Stube , und der Späher konnte Judith ihres weißen Zeuges wegen erkennen .
" Die verwünschte Hexe sitzt ganz aufrecht und munter am Tisch ! " rief er gedämpft hinunter ; ein anderer sagte : " Laß mich einmal sehen ! "
Doch während sie sich ablösten und die Stube wieder finster war , huschte Judith schnell zu ihrem Bett , nahm die weiße Decke desselben und warf sie über den Stuhl , worauf sie mich leis nach dem Bett hinzog , welches man vom Fenster aus nicht sehen konnte .
Als jetzt ein zweiter , noch stärkerer Blitz die Stube ganz klar machte , sagte der Mann , welcher die Augen wie eine Doppelbüchse auf den Stuhl gerichtet hatte :
" Sie ist es nicht , es ist nur ein weißes Tuch ; das Kaffeegeschirr steht auf dem Tisch , und das Kirchenbuch liegt dabei .
Der Himmelteufel ist am Ende frommer , als man glaubt ! "
Judith aber flüsterte mir ins Ohr : " Der Schelm hätte dich jetzt ganz gewiß erblickt , wenn wir sitzen geblieben wären ! "
Doch die gewaltigen Regengüsse , Blitz und Donner , die nun hereinbrachen , vertrieben den Späher vom Fenster ; wir hörten , wie sie ihre Kutten schüttelten und aufeinandersprangen , um im Dorfe ein Unterkommen zu suchen , da sie alle weit von Hause waren .
Als wir nichts mehr von ihnen hörten , saßen wir noch eine Weile ganz still auf dem Bette und lauschten auf das Gewitter , welches das Häuschen erzittern machte , so daß ich mein eigenes leises Zittern nicht recht davon unterscheiden konnte .
Ich umfaßte Judith , um nur dies beklemmende Zittern zu unterbrechen , und küßte sie auf den Mund ; sie küßte mich wieder , fest und warm ; doch dann löste sie meine Arme von ihrem Hals und sagte : " Glück ist Glück , und es gibt nur ein Glück ; aber ich kann dich nicht länger hierbehalten , wenn du mir nicht gestehen willst , daß du und des Schulmeisters Tochter einander gern habt !
Denn nur das Lügen macht alles schlimm ! "
Ohne Rückhalt begann ich nun , ihr die ganze Geschichte zu erzählen von Anfang bis zu Ende , alles , was je zwischen Anna und mir vorgefallen , und verband die beredte Schilderung ihres Wesens mit derjenigen der Gefühle , die ich für sie empfand .
Ich erzählte auch genau die Geschichte des heutigen Tages und klagte der Judith meine Pein in Betreff der Sprödigkeit und Scheue , welche immer wieder zwischen uns traten .
Nachdem ich lange so erzählt und geklagt , antwortete sie auf meine Klagen nicht , sondern fragte mich :
" Und was denkst du dir jetzt eigentlich darunter , daß du bei mir bist ? "
Ganz verwirrt und beschämt schwieg ich und suchte ein Wort ; dann sagte ich endlich zaghaft :
" Du hast mich ja mitgenommen ! "
- " Ja " , erwiderte sie , " aber wärest du mit jeder anderen hübschen Frau ebenso gegangen , die dich gelockt hätte ?
Besinne dich einmal hierauf ! "
Ich besann mich in der Tat und sagte dann ganz entschieden :
" Nein , mit gar keiner ! "
- " Also bist du mir auch ein bißchen gut ? " fuhr sie fort .
Jetzt geriet ich in die größte Verlegenheit ; denn die Frage zu bejahen , fühlte ich nun deutlich , würde die erste eigentliche Untreue gewesen sein , und doch , als ich versuchte ehrlich nachzudenken , vermochte ich noch weniger ein Nein hervorzubringen .
Endlich konnte ich doch nicht anders und sagte : " Ja - aber doch nicht so wie der Anna ! "
- " Wie denn ? "
Ich umschlang sie ungestüm , und indem ich sie streichelte und ihr auf alle Weise schmeichelte , fuhr ich fort : " Siehst du ! für die Anna möchte ich alles mögliche ertragen und jedem Winke gehorchen ; ich möchte für sie ein braver und ehrenhafter Mann werden , an welchem alles durch und durch rein und klar ist , daß sie mich durchschauen dürfte wie einen Kristall ; nichts tun , ohne ihrer zu gedenken , und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben , auch wenn ich von heute an sie nicht mehr sehen würde !
Dies alles könnte ich für dich nicht tun !
Und doch liebe ich dich von ganzem Herzen , und wenn du zum Beweis dafür verlangtest , ich sollte mir von dir ein Messer in die Brust stoßen lassen , so würde ich in diesem Augenblicke ganz still dazu halten und mein Blut ruhig auf deinen Schoß fließen lassen ! "
Ich erschrak sogleich über diese Worte und entdeckte zugleich , daß sie nichts weniger als übertrieben , sondern ganz der Empfindung gemäß waren , die ich von jeher für Judith unbewußt getragen .
Mit meinen Liebkosungen plötzlich innehaltend , ließ ich die Hand auf ihrer Wange liegen , und in diesem Augenblicke fühlte ich eine Träne darauf fallen .
Zugleich seufzte sie und sagte : " Was tue ich mit deinem Blute ! -
Oh ! nie hat ein Mann gewünscht , brav , klar und lauter vor mir zu erscheinen , und doch liebe ich die Wahrheit wie mich selbst ! "
Betrübt sagte ich :
" Aber ich könnte doch nicht dein ernsthafter Liebhaber oder gar dein Mann sein ? "
- " Oh , das weiß ich wohl und fällt mir auch gar nicht ein ! " erwiderte sie , " ich will dir auch sagen , was du von mir zu denken hast !
Ich habe dich zu mir gelockt , erstens , weil ich wieder einmal ein wenig küssen wollte , was ich auch gleich hernach tun will , du bist mir dazu gerade recht !
Zweitens wollte ich dich als ein hochmütiges Bürschchen ein wenig in die Schule nehmen , und drittens macht es mir Vergnügen , in Ermangelung eines anderen , den Mann zu lieben , der noch in dir verborgen ist , wie ich dich schon als Kind gern gesehen habe . "
Mit diesen Worten packte sie mich und fing an , mich zu küssen , daß es mir glutheiß wurde und ich , nur um die Glut zu kühlen , ihre feuchten Lippen festhalten und wiederküssen mußte .
Als ich Anna geküßt , war es gewesen , als ob mein Mund eine wirkliche Rose berührt hätte ; jetzt aber küßte ich eben einen heißen , leibhaften Mund , und der geheimnisvolle balsamische Atem aus dem Inneren eines schönen und starken Weibes strömte in vollen Zügen in mich über .
Dieser Unterschied war so spürbar , daß mitten im heftigen Küssen Annas Stern aufging , eben als Judith mehr wie für sich flüsterte :
" Denkst du nun auch an dein Schätzchen ? "
- " Ja " , erwiderte ich , " und ich gehe nun ! " und wollte mich losmachen .
" So gehe ! " sagte sie lächelnd , doch löste sie ihre weichen bloßen Arme auf eine so sonderbare Weise auseinander , daß es mir schneidend weh tat , mich frei zu fühlen , und eben wieder im Begriffe war , in dieselben zu sinken , als sie aufsprang , mich noch einmal küßte und dann von sich stieß , indem sie leise sagte :
" Nun pack dich , es ist jetzt Zeit , daß du heimkommst ! "
Beschämt suchte ich meinen Hut und eilte davon , daß sie laut lachte und mir kaum nachkommen konnte , um mir die Haustüre auf zumachen .
" Halt " , flüsterte sie , als ich davonlaufen wollte , " gehe da oben durch den Baumgarten hinaus und ein wenig ums Dorf herum ! " und sie kam mit mir durch den Garten in ihrem leichten Gewande , obgleich es regnete und stürmte , was vom Himmel heruntermochte .
Am Gatter stand sie still und sagte : " Höre einmal !
ich sehe nie einen Mann in meinem Hause , und du bist der erste , den ich seit langer Zeit geküßt !
Ich habe Lust , dir nun erst recht treu zu bleiben , frage mich nicht warum , ich muß etwas probieren für die lange Zeit , und es macht mir Spaß .
Dafür verlange ich aber , daß du jedesmal zu mir kommst , wenn du im Dorfe bist , in der Nacht und heimlich ; am Tage und vor den Leuten wollen wir tun , als ob wir uns kaum ansehen möchten .
Ich verspreche dir , daß es dich nie gereuen soll .
Es wird in der Welt nicht so gehen , wie du es denkst , und vielleicht auch mit Anna nicht ; das alles wirst du schon sehen ; ich sage dir nur , daß du später froh sein sollst , wenn du zu mir gekommen bist ! "
- " Nie komme ich wieder ! " rief ich etwas heftig .
- " Bst ! nicht so laut " , sagte sie ; dann sah sie mir ernsthaft in die Augen , daß ich trotz Sturm und Dunkelheit die ihrigen glänzen sah , und fuhr fort :
" Wenn du mir nicht heilig und auf deine Ehre versprichst , daß du wiederkommen willst , so nehme ich dich sogleich wieder mit , nehme dich zu mir ins Bett , und du mußt bei mir schlafen !
Das schwöre ich bei Gott ! "
Es kam mir gar nicht in den Sinn , über diese Drohung zu lachen oder dieselbe zu verachten ; vielmehr versprach ich , so schnell ich konnte , in Judiths Hand , daß ich wiederkommen wollte , und eilte davon .
Ich lief zu , ohne zu wissen wohin ; denn der strömende Regen tat mir wohl ; so war ich bald aus dem Dorfe und auf eine Höhe gekommen , auf welcher ich weiterging .
Der Morgen graute und warf ein schwaches Licht in das Unwetter ; ich machte mir die bittersten Vorwürfe und fühlte mich ganz zerknirscht , und als ich plötzlich zu meinen Füßen den kleinen See und des Schulmeisters Haus erblickte , kaum erkennbar durch den grauen Schleier des Regens und der Dämmerung , da sank ich erschöpft auf den Boden und brach gar jämmerlich in Tränen aus .
Es regnete immerfort auf mich nieder , die Windstöße fuhren und pfiffen durch die Luft und heulten erbärmlich in den Bäumen , ich weinte dazu wie ein Kind ; gehörigerweise machte ich niemandem Vorwürfe als mir selbst und dachte nicht daran , der Judith irgendeine Schuld beizumessen .
Ich fühlte mein Wesen in zwei Teile gespalten und hätte mich vor Anna bei der Judith und vor Judith bei der Anna verbergen mögen .
Aber ich gelobte , nie wieder zu jener zu gehen und mein Gelöbnis zu brechen ; denn ich empfand ein grenzenloses Mitleid mit Anna , die ich in der grauen feuchten Tiefe zu meinen Füßen jetzt so still schlafend wußte .
Endlich raffte ich mich auf und stieg wieder ins Dorf hinunter ; der Rauch stieg aus den Schornsteinen und kroch in wunderlichen Fetzen durch den Regen ; etwas gefaßter sann ich darüber nach , was ich im Hause des Oheims über mein nächtliches Ausbleiben vorgeben wolle , etwa , ich hätte mich verirrt und sei die ganze Nacht umhergestreift .
Dies war seit den kritischen Kinderjahren das erste Mal , wo ich zu einem Zwecke wieder lügen mußte ; mehrere Jahre hindurch hatte ich nicht mehr gewußt , was lügen sei , und diese Entdeckung machte mir vollends zu Mute , als ob ich aus einem schönen Garten hinaus gestoßen würde , in welchem ich eine Zeitlang zu Gast gewesen .
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- TextGrid Repository (2025). Keller, Gottfried. Der grüne Heinrich: Teil 2. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0q6.0