Sechster Brief .
An meinen teuersten Meier in Halle Venedig , den 28 Oktober 1700 Ich halte mein Wort !
Mein erster Brief aus Italien ist für Sie !
Und gebe der Himmel , daß er Sie und Ihre beste Gattin und Mühmchen eben so gesund , heiter und glücklich antrifft , als ich , Gott sei Dank ! ihn schreibe .
Es ist nun erfüllt , was ich mir so feurig als Knabe bei Ihnen wünschte , aber nie zu hoffen wagte .
Reisen , reisen , war immer mein erster und letzter Gedanke , mit dem ich aufstand und schlafen ging !
Wie oft habe ich nicht die glücklichen Menschen beneidet , die nun so auf dem St. Markusplatz spazieren gehen oder auf einer Gondel herumfahren könnten !
Beide Glückseligkeiten sind mir nun gewährt , und außer ihnen viel andere weit größere und reellere , bei denen ich nichts weiter tun kann , als mein Auge still und gerührt gen Himmel zu heben und bei mir selbst auszurufen : Herr , ich bin nicht würdig ! --
Um Ihnen dies zu verständigen , muß ich meine Erzählung noch von Triest her anheben !
Es war den vierten dieses Monats , als ich an einem schönen Morgen , bei einem herrlichen Ostwinde , der ganz a propos kam , ein venezianisches Schiff bestieg , das mich , wenn Herr Aiolos derweil nicht etwan anders Sinnes wurde , Höchstens in 24 Stunden herüberbringen musste .
Nach meinem gewöhnlichen Grundsatze der Sparsamkeit , wollt ich mich anfangs beim Kapitän ganz demütig bloß in den Schiffsraum Eindingen und unter Matrosen und Handwerksburschen meinen Platz nehmen .
Allein mein guter Genius gab mir den Gedanken ein , mich die Zechine für die Kajüte nicht dauern zu lassen , weil ich dort vielleicht sehr gute und auf eine oder die andere Art nützliche Gesellschaft finden könnte .
Und so war es !
Unter den übrigen Passagieren befand sich ein Deutscher , Namens Schröder , mit dem ich , ohne noch seinen Stand und Charakter zu wissen , bloß auf sein ehrliches , kluges und heiteres Gesicht eine sehr schnelle und innige Bekanntschaft errichtete .
Je länger wir uns sprachen , desto mehr entwickelte sich die Harmonie unserer Temperamente und Neigungen , und so wuchsen wir wie Ephenud Weinstock in einander .
Schrötern war_es eine herzliche Freude , als er hörte , daß ich mich eine Zeitlang in Venedig aufhalten wollte , und mir war_es eine noch größere , als ich hörte , daß er gar in Venedig zu Hause wäre .
Er stand nämlich als Handlungsdiener bei dem sehr angesehenen Wagnischen Contor und genoß die Gunst seines Herrn in so hohem Grade , daß dieser ihn bei allen wichtigen Verschickungen brauchte , wie er denn eben jetzt erst einen sehr kritischen Handel in Triest ausgefochten , und seinem Herrn ein Kapitälchen von 100 Zechinen aus dem Feuer gerissen hatte .
Seine Freude darüber war so groß und noch größer , als hätte er das Geld für sich selbst erworben !
Auch ich musste Anteil daran nehmen , und auf Wohl des Wagnerschen Hauses eine Flasche Montepulciano ausstechen helfen .
Diese brachte unsere schon heiße Freundschaft vollends auf den Siedepunkt :
Wir tranken auf Du und Du und kriegten einander so herzlich bei den Köpfen , daß alle Zuschauer hätten schwören müssen , wir wären uralte vertraute Freunde , die jetzt das Fest des uns vermuteten Wiedersehens feierten .
Was nun unterwegs und bei der Ankunft sonst so vorfiel , wie ich die Augen aufriß , als ich den folgenden Morgen das schwimmende Venedig mir entgegen schimmern sah c. rc. alles das übergeh ich , weil die Beschreibung mehr Zeit auffressen würde , als die Sache wert ist !
Genug , nachdem Freund Schröder alle seine Geschäfte auf dem Zollhause expediert hatte , führte er mich auf einer Gondel gerade nach dem Wagnischen Hause , das nicht weit von dem sogenannten deutschen Hause legt , und präsentierte mich seinem Herrn , natürlich mit vieler Wärme der Freundschaft .
Wenn ich mir Herr Wagnern denke , so denke ich mir zugleich das Ideal eines Kaufmanns !
Man könnte ihn mit allem Rechte einen Philosophen nennen , denn er hat gewiß in seinem Leben mehr spekuliert , als manche zahlreiche Sekte .
Seine Korrespondenz reicht in alle vier Weltteile , und es laufen bei ihm zu gleicher Zeit Briefe aus Archangel , Philadelphia , Smyrna und vom Kap ein .
Welch eine Last und welchen Wirrwarr von Geschäften das geben muß , können Sie leicht ermessen !
Er aber , ganz kaltblütig und alles übersehend , sitzt bloß wie ein Monarch am Ruder der Regierung und ordnet das Ganze an .
Ein Verlust von 10000 Rthl . heute , kostet ihn nichts mehr als ein mitleidiges Achselzucken , und ein Gewinn von 20000 Rthl . morgen lockt ihm höchstens nur ein kleines vergnügtes Lächeln ab .
Jetzt steckt er tief in dem Russen- und Türkenkriege ; Aber doch nicht so tief , daß er auf mein kleines Individuum nicht ein aufmerksames und gütiges Auge hätte werfen sollen .
Er empfing mich als seinen Landsmann , überaus freundschaftlich , und nachdem er die Absicht meiner Reise vernommen , erbot er sich nicht nur , mir wo und wie ich ihn gebrauchen könnte , förderlich und dienstlich zu sein , sondern lud mich auch auf diesen Mittag bei sich zu Tische .
Hier machte ich denn gleich die Bekanntschaft seiner Frau und Tochter , beides geborener Italienerinnen , die auch nur sehr wenig deutsch sprechen konnten .
Die Mutter , eine große stattliche Frau , mit kohlpechschwarzen Augen und Haaren , ehemals eine unleugbare Schönheit , und auch jetzt noch an der Seite ihrer achtzehnjährigen Tochter nicht ausgestochen Übrigens von Charakter durchaus bigott , im besten Verstande nämlich ; Also nichts weniger als Heuchlerin , sondern ihrer Landesreligion mit aller Aufrichtigkeit und von ganzem Herzen ergeben , eine fleißige Kirchengängerin , tiefe Verehrerin der Geistlichkeit , und erklärte Feindin aller sündlichen Lustbarkeiten und Vergnügungen .
Es hatte sie viel Überwindung gekostet , einem lutherischen Ketzer der Herr Waner ist , ihre Hand zu geben , und sie hatte es nicht anders als auf die Bedingung getan , daß alle ihre Kinder von beiden Geschlechtern in der katholischen Lehre erzogen würden .
Herr Wagner hatte sich diesen Punkt gefallen lassen , und so war eine Heirat zu Stande gekommen , die unerachtet der Verschiedenheit der Grundsatze dennoch jetzt nach mehr als zwanzig Jahren noch immer voll wahrer Harmonie und Zärtlichkeit ist .
Von den Früchten dieser Ehe aber hatte der Tod keine übrig gelassen , als eben das achtzehnjahrige Töchterlein , Signorina Marin Franciska , die genau in die Fußstapfen ihrer Mutter trat , nur daß sie noch mehr jungfräuliche Schüchternheit und Zurückhaltung gegen mich beobachtete .
Sie sehen wohl , liebstes Vaterchen , daß ich hier in einer für mich ganz neuen Lage war !
Die glückliche Ungezwungenheit des Geistes und des Herzens , die ich mir in Ihrem Hause erlauben durfte , war hier Verbrechen gewesen !
Ich legte mir also gleich selbst den Zaum des Ernstes und der Zurückhaltung an , richtete mein Gespräch lediglich an Vater und Mutter , und blickte sehr selten , und nur verstohlen nachdem glänzenden Töchterlein .
Dies und meine Urteile und moralischen Grundsatze die ich zwischendurch einzustreuen Gelegenheit fand , gewannen mir nach und nach das Vertrauen der Mutter .
Kurz , Herr Wagner lud mich auf den folgenden Tag wieder zu Tische , und den folgenden Tag auch wieder , und seit der Zeit bin ich der tägliche Gast , und werde es auch wohl hoffentlich bleiben , so lang ich hier bin .
Bei Freund Schröder habe ich Wohnung und Lagerstatt , und um meine Glückseligkeit voll zu machen , hat Herr Wagner meine sämtlichen Kapitale , die ich ihn bloß in Depositum zu nehmen bat , in seine Handlung aufgenommen und läßt sie darin roulieren , bis ich meinen Wanderstab weiter setze .
Hätte ich mir wohl im Traume mehr Glück einbilden können , als mir der Himmel wachend beschert hat ?
Und wem habe ich es , nächst Gott , zu danken , als Ihnen ?
Sie , Sie sind es , der mich in der Tugend und Rechtschaffenheit fest gegründet hat , zu der Mutter Susanne bei mir den ersten Grund legte , und eben dies , daß man es mir so leicht ansieht und anhört , daß ich mit keinem Falsch und mit keiner Tücke schwanger gehe , daß ich nicht als Avanturier reise , sonder als einer , der gern klüger in sein Vaterland zurückkommen möchte , als er es verlassen hat , eben dies macht es , daß ich überall so leicht einen oder mehrere wahre und wirkliche Freunde finde .
Gleichwohl , Gott weiß , wie ? werde ich manchmal von traurigen Ahnungen und Bangigkeiten befallen !
Es ist mir zu Mute , als ob dies Glück , das mir jetzt so hold lächelt , mir über kurz oder lang den Rücken kehren würde .
Nicht etwan , als ob ich mich vor Banditen oder überhaupt vor der Rache und Mordsucht der Italiener furchtete !
Von den Venetianern hat mir Herr Wagner bereits das Gegenteil versichert , und Schröder hat mehr als einmal ganz Italien von einem Ende zum anderen durchkreuzt , oft mutterseelallein , bei Tag und bei Nacht , ohne daß ihm das geringste begegnet wäre .
Aber ich fürchte mich vor meiner eigenen Unerfahrenheit , und eine Menge Beispiele von Fremden , die durch kleine , beinahe unvermeidliche Fehltritte tief in Not und Elend geraten sind , schlagen mich äußerst danieder . .
Ich muß es abwarten !
Bricht Unglück herein , durch meine Schuld , so wird es mich ja hoffentlich fürs künftige klüger und weiser machen :
Geschieht es ohne meine Schuld , so werde ich es , Ihren Lehren getreu , als Schickung Gottes verehren und auch mitten in meinem Schmerze mir immer bewusst bleiben , daß es ganz gewiß und unfehlbar zu meinem Frieden diene . --
Ich habe meiner melancholischen Laune , die mich jetzt sehr zur Unzeit anwandelte , eine Diversion gemacht !
Da ich ganz nahe am Ponte Rialto wohne , ging ich einen Augenblick hin , um mich zu zerstreuen .
Der Streiche ist gelungen , und ich fühle mich nun aufgelegt , Ihnen , wie Sie es doch ohne Zweifel erwarten , von meinem hiesigen Tun und Beginnen Rede und Antwort zu geben .
Staunen und Verwunderung war natürlich mein erstes Gefühl in Venedig :
Wenn man auch noch so viel davon gelesen hat , kann man sich doch beim Selbstschauen dessen nicht entschlagen !
Eine Stadt im Meere , oder vielmehr zwei Städte , eine über die andere durch das Spiel der Lichtstrählen unter dem Wasser .
Stadt rollender Equipagen plätschernde Gondeln .
Stadt offener , vermummte Gesichter in Kappen und Masten versteckt . -
Stadt Orden und Stern , schwarze Männer in Priestertracht , mit ungeheuren Perücken , die den Staat regieren .
-- Kein Schatten von einem Soldaten , und doch mehr Stille und Ordnung , als nur eine Garnison von 10000 Mann erzwingen könnte .
Alles das erregt notwendig Staunen und Verwunderung !
Allmählich aber wird man mit diesen verschiedenen Gegenstanden aber bekannt , und dann lernt man auch die schlechte und unangenehme Seite kennen .
Eben die Stadt im Meere hat natürlich auch eine wasserige Atmosphäre , die unser einem , der eine trockene Luft gewohnt ist , leicht ein Fieber an den Hals werfen kann .
Eben die Stadt im Meere hat nichts von alle den Reizen der Natur , die eine Landstadt verschönern ; Kein Feld , keine mit Blumen gestickte Wiese , weder Berg noch Tal , weder Wald noch Strauchwerk , keine kühlende Promenade unter dem Schatten der Linden oder Kastanien , oder wenn_es auch nur Weiden wären !
Daß unser einem , der von Kindesbeinen an daran gewöhnt ist , das unsanft tut , ist nicht anders möglich :
Aber auch die Eingeborenen fühlen diesen großen Mangel , und diejenigen , die es nur irgend haben können , lassen den Sommer über Venedig im Rücken und gehen aufs feste Land .
An den Ufern der Brenta bis Padua hinauf liegt Landhaus an Landhaus ; Dort genießt man das , was hier um keinen Preis zu haben ist , und im Winter hält man sich denn wieder an die Lustbarkeiten der Stadt .
Eben so wird einem auch das liebe , so hochgerühmte Gondelfuhrwerk sehr bald zum Ekel .
Nicht um der einförmigen Trauerfarbe Willen , ( denn ich habe von Ihnen zu sehr gelernt , eine Anstalt im Staate hochzuachten , die der Üppigkeit und Verschwendung Grenzen setzt ) sondern weil man darin nicht frei stehen und gehen , sondern immer und ewig sitzen muß .
Ich würde bald kontrakt auf alle Glieder werden , wenn ich alle meine Wanderungen per Gondel machen wollte .
Lieber erwähl ich das andere Übel , mich auf den engen Gassen ( Straßen sind es nicht ) rechts und links schuppen zu lassen , und ) wieder rechts und links zu schuppen .
Das einzige , was mir noch die Gondel versüßt , sind die Gondelierer selbst !
Welch ein himmelweiter Unterschied ist doch zwischen unseren groben ungeschliffenen deutschen Fährleuten , Schiffern etc . und zwischen diesen munteren , lustigen , höflichen und musikalischen Geschöpfen !
Es kann nicht anders sein , als daß sie ihre verfeinerten Sitten dem hiesigen schonen Geschlecht zu verdanken haben , das beständig in der Gondel schwimmt , und sich nie in das widereinander laufende Getummel auf den Gassen wagt .
Den Schönen , zu Ehren haben sie vermutlich auch die vielen Gesänge aus dem Tasco und anderen Dichtern auswendig gelernt , und die vielerlei Bestellungen in Liebesangelegenheiten geben ebenfalls eine höhere Politur .
Wer um dieser Willen sich in Venedig aufhat , dem ist sicherlich auch die Maskenfreiheit sehr willkommen :
Ich für mein Teil aber ärgere mich gar sehr über diese weißen Wachsgesichter , die mir stündlich und fast augenblicklich aufstoßen .
In einem Zeitalter , wo die Furcht vor dem unsichtbaren Wesen , das alle unsere Tritte und Schritte bemerkt , so gering ist , sollte man , dächte ich , die Furcht vor Menschen , die bei manchen Seelen noch der einzige Damm gegen das grobe Laster ist , nicht so geradehin aufheben .
Hunderte und Tausende würden vieles mit offenem Gesicht nicht tun ; nicht in das oder jenes berichtige Haus gehen , was sie mit der Maske ohne Bedenken besuchen .
Genug , vor mir hat die Maske guten Frieden ; Was ich tue und wohin ich gehe , kann und soll jedermann sehen , wenn er sich die Mühe nehmen will .
Der einzige Fall , wo ich die Maske nehmen könnte , wäre das Schauspiel , welches übermorgen eröffnet werden wird .
Herr Wagner und Bruder Schröder setzen mir alle beide mächtig zu , ich müsste wenigstens eine ernsthafte und eine komische Oper , und ein Stück von Gozzi sehen , von dem hier jedermann ganz bezaubert ist : Allein noch kann ich meinen Stolz nicht überwinden , mich von den Nobilis , wie es hier die saubere Sitte ist , von den Logen herab bespucken , begießen oder mit Schalen bewerfen zu lassen .
Schröder mag mir noch so viel vorstellen , daßes nun leider einmal nicht anders ist daß die Nobilis selber , die aus Armut aufs Parterre gehen müssen , kein anderes Schicksal haben ; daß die paar Schalen ja doch kein Loch in den Kopf machen , und der Speichel nicht durch die Maste dringen kann :
Das alles kann mich nicht bewegen , mich mit einem Gebrauche auszusöhnen , der die Menschheit entehrt .
Ich war kaum in Venedig warm geworden , so kam schon ein Nobile maskiert zu mir , der so zerlumpt aussah , wie Signor Infortune auf dem Donauschiffe , aber sich dabei ein Ansehen zu geben wusste , trotz einem Sultan oder Schach !
Mit einem ganz impertinenten Aer schwätzte er mir einen Haufen Lügen vor von den großen Diensten , die er und seine Vorfahren , bis zu den Zeiten der Kreuzzüge hinauf , der Republik geleistet , und wie sie dabei ihr Vermögen zugesetzt hatten .
Ich war auf diesen Fall schon vorbereitet ; zog also 4 Lire hervor , entschuldigte mich gegen Ihre Exzellenz mit aller Untertänigkeit , daß meine Vorfahren einen sehr ähnlichen Fehler begangen , indem sie mir auch sehr wenig Vermögen hinterlassen , und bat , mein geringes Opfer in Gnaden anzunehmen , welche Bitte auch erfüllt wurde .
Nun sagen Sie mir , mein Bester , können Sie wohl den Gedanken ertragen , daß eben dieser Lumpenhund sich vielleicht den Tag , wenn ich ins Schauspiel gehe , in eine Loge einflickt , und mir für meine 4 Lire auf den Kopf und ins Gesicht speit ?
Doch alle diese kleinen und großen Unannehmlichkeiten werden bei weitem durch die wirklichen Annehmlichkeiten aller Art überwogen , die ich hier antreffe .
Noch habe ich keinen Augenblick Langeweile gehabt , denke sie auch zwischen hier und Himmelfahrt künftigen Jahres nicht zu haben :
Denn eher dürft ich meinen Fuß schwerlich weiter setzen .
großenteils habe ich dies meinem gütigen Herrn Wagner und seinen überall vollgültigen Empfehlungen zu danken !
Un meine Neigung zur Baukunst zu befriedigen , hat er mich mit Signor Temanza , Baumeister und Ingenieur der Republik bekannt gemacht .
Dieser treffliche Mann , der in der theoretischen und praktischen Baukunst , und überhaupt in der ganzen weiten Mathematik vollkommen zu Haus ist , dabei ein tüchtiger Physiker und selbst Schriftsteller , macht sich um mich auf eine so edle Art verdient , die ich nicht genug rühmen und preisen kann .
Wir Deutschen sind bei ihm hoch angeschrieben , und er korrespondiert . selbst mit Lambert in Berlin , vor den er eine ungemeßene Hochachtung trägt .
Dieses Mannes Bibliothek steht mir nicht nur zu jeder Zeit offen , sondern er zeichnet mir auch die einzelnen sehenswürdigen Gebäude aus , und geht sie vorher kritisch im Grundrisse mit mir durch ; Noch_mehr , er läßt sich bis zum eigentlichen Unterrichte mit mir ein , löst meine Zweifel und beantwortet meine Fragen .
Da er sehr oft im Arsenale Geschäfte hat , habe ich schon einigemal das Glück gehabt , ihn zu begleiten .
Mit so einem Manne an der Seite darf man es kühnlich wagen , zu reden und zu fragen , ohne zu befürchten , daß man die nächste Nacht über den Ponte de Sospiri ins Verhör wird wandern müssen .
Ausser der Zeit nun , die ich der Baukunst widme , wie könnte ich mir das Vergnügen versagen , manche liebe Stunde mit süßem Entzücken vor Titians , Tintorets etc .
Meisterstücken zu stehen ?
Ich wähle mir nur wenige aus , allein denen spreche ich auch desto öfter zu , wie ich denn in S. Giovanni e Paolo schon wenigstens zehnmal gewesen bin , um den Märtyrertod des Petrus Martyr von Tizian zu sehen .
Was werden Sie aber vollends zu dem Wunder sagen , das sich mit meinen unmusikalischen Ohren zugetragen hat ?
Alle Sonnabende und Sonntage Abends Lauf ich und renn ich , als wenn mir der Kopf brennte : Und wohin ?
Nach Piste oder Menci oder zu den lreai , um die berühmte Mädchensmusik zu hören .
Ich habe sie nicht bloß hinter dem Gitter , sondern vor meinen sichtigen Augen spielen hören , und da ich von meinem Vaterlande aus bloß gewohnt bin , das weibliche Geschlecht singen und auf dem Klaviere spielen zu hören , so musst es mir notwendig äußerst komisch vorkommen , diese langhosigten Geschöpfe den Bass streichen oder gar Waldhorn blasen zu hören .
Ich schreibe im Fluge , liebster Meier ; Ein junger Maler Antonelli , mit dem ich von ungefähr bekannt worden , hat mich zu sich bestellt , um mich mit seiner Schwester , einer Nonne in St. Gioseppe , bekannt zu machen .
Wenn das nur nicht etwan eine Liebesintrige gibt !
Mit Nonnen zu scharmieren , ist hier so was ungewöhnliches nicht .
Nun auf allen Fall muß ich jetzt ven Ihnen Abschied nehmen und mich Ihrer Liebe und Ihrem Andenken empfehlen c. Siebenter , Brief .
Venedig den 12 Januar 1771 .
Schrieb ich Ihnen nicht in meinem vorigen Briefe etwas von bangen Ahnungen , die mich mitten in meiner glücklichen Situation überfielen ?
Sie sind nicht falsch gewesen , diese bangen Ahnungen ; Bald , bald , mein bester Meier , war es um mich und um mein Leben geschehen , und nie hätten Sie es erfahren , was aus mir geworden wäre .
Ich fürchte den Tod nicht Aber Tod durch Meuchelmord , frühzeitiger Tod , den man sich durch ein einziges unvorsichtiges Wort zuzieht , wer schaudert nicht davor ?
Hier haben Sie die Geschichte , so wie sie diesen Augenblick erst von einem der drei furchtbaren Männer , die hier über Leben und Tod richten ist entschieden worden .
Vor drei Tagen schlug mich Schröder breit mit ihm zu einem dies Karneval hier angekommenen Taschenspieler und Tausendkünstler zu gehen . der sich den Prahlhaften Namen Theophasus Paracelsus Trismegisus gab .
Nun hege ich von Natur vor dergleichen Art Leute eine herzliche Ächtung und Geringschätzung , nicht bloß deswegen , weil sie ihre Kräfte und Geschicklichkeiten auf eine für den Staat ganz unnütze Art anwenden , sondem weil sie den Aberglauben und die Dummheit des Volks unterhalten .
Oder heißt das nicht die Dummheit unterhalten , wenn man eine Sache , die beim Lichte besehen , auf eine elende jämmerliche Schnurrpfeiferei herauskauft , einen solchen Anstrich gibt , als stecke dahinter ganz was außerordentliches und übernah türliches ?
Freilich trifft dieser Vorwurf auch das Volk der Zuschauer mit , daß sie ihre fünf Sinnen nicht besser zusammennehmen und mit ein wenig Nachdenken durch den Gaukelhaften Anstrich bis auf den wahren Grund der Sache hindurchdringen .
Dank sei es meinem Bißchen Mathematik und Physik , und den reinen und richtigen Begriffen , die uns damals Herr Eberhard in Halle von der natürlichen Zauberei mitteilte : Mir soll kein Gaukler blauen Dunst vormachen !
Ich getraue mir jedes seiner Kunststücke nicht nachzumachen , aber zu zeigen , wie es gemacht ist .
Bei diesem Glaubensbekenntnisse werden Sie leicht ermessen , daß ich bloß Schrötern zu gefallen mitgieng !
Wir kamen , und sanden ein vollgepfropftes Auditorium uon Herren und Damen :
Und Signor Trismegisto ?
Einen aufgeblähteren stolzeren Narren hat glaube ich , die Sonne , so lang sie ihr Licht leuchten läßt , noch nie beschienen .
Sein Blick schien allgemeine Achtung und Ehrerbietung zu fordern .
Es war als betrachtete er die zahlreiche Versammlung bloß als einen Teibut seiner großen Verdienste und als erzeigte er uns eine Wohltat , daß er für seine Gaukelpossen unser schweres , Geld einstrich .
Das machte mich ganz toll und wütend im Kopfe !
Ich fühlte einen ganz unwiderstehlichen Drang , den elenden Menschen von seinem Gaukeltische wegzustoßen und dem gesamten Auditorio zu sagen :
Meine Herren und Damen , ich bitte Sie um alles in der Welt , sein Sie doch nicht so entsetzlich gedankenlos !
Haben Sie denn nicht bemerkt , so , so , so machte er_es ?
In der Tat waren alles nichts als sehr gewöhnliche Schnörkel , die , glaube ich , jeder solcher Beutelschneider machen kann z.B. einen Ring mit einer Pistole zum Fenster heraus zu schießen und ihn hernach von einem abgerichteten Vogel wiederbringen zu lassen ; ein ne Charte in die Uhr eines von den Zuschauern zu praktizieren ; eine Charte in Gedanken nehmen zu lassen , die einer von seinen Leuten zur Tür herein rufen mußte etc .
Es wird mir übel , mehr von dem Zuge anzuführen !
Genug der Funke , der das glimmende Feuer bei mir entzündete , war dieser :
Der Gaukler forderte von mehreren Zuschauern Uhren zusammen , auch die meinige .
Die anderen gaben sie ihm , ich entschuldigte mich , und ich gestehe es , nicht auf die höflichste Art !
Monsieur wurde trotzig und brüste :
Ich rückte ihm mit aller Unerschrockenheit unter die Augen und sagte ihm , daß ich für mein Geld hierher gekommen wäre zu sehen , nicht Uhren zu lehnen ; und überhaupt hielte ich meine Uhr für zu gut zu dergleichen Taschenspielereien .
Das Wort war heraus , wozu Sie , wie ich gewiß weiß , sehr unzufrieden den Kopf schütteln werden !
Auch sei es fern von mir , mich rechtfertigen zu wollen !
Ich sehe jetzt recht gut ein , daß ich mich bei der ganzen Geschichte von Anfang an viel anders und besser hätte nehmen können .
Ich konnte entweder ganz wegbleiben ; oder mich in den Winkel setzen und ganz für mich allein murren und schelten , denn lachen war mir unmöglich ; oder ich konnte dem Narren nur die Uhr geben , wie die anderen es taten .
Aber alles das , liebster Meier , war bloß , wie Sie es ausdrücken würden , absolut möglich , hypothetisch aber war es ganz und gar unmöglich !
Bei der Stimmung der Seele , die ich nun einmal mitbrachte , bei meiner tiefen Verachtung gegen stolze und unnütze Leute , und bei der mir noch mangelnden Kunst , meine Leidenschaften zu verbergen , konnte es bis dahin nicht anders zu gehen , als es wirklich tat .
Aber das nun folgende hatte freilich anders sein können , war auch sicherlich in Deutschland anders gewesen , und hierin sitzt mein größter und unverzeihlichster Fehler , daß ich es in der Hitze so ganz vergaß , ich sei in Italien und nicht in meinem Vaterlande !
Signor Trismegisto also , auf die derbe Replik , die ich ihm gab , hielt sich für höchlich beschimpft und beleidiget , um so mehr , da ich die Verwegenheit gehabt hatte , seine edle Kunst selbst anzugreifen .
Er schnaubte Wut und Stolz und stand leibhaftig vor mir , wie Gellerts welscher Hahn , dem man was rotes zeiget !
Ich verstand lange nicht die Hälfte von alle dem , was er heraus polterte , aber das hört ich deutlich , daß er mich herausfoderte , nur eine einzige von seinen Künsten nachzumachen , so wollt er seine ganze Reputation verloren haben .
Den Augenblick wandte ich mich an die ganze Gesellschaft der Zuschauer , die schon mit gespitzten Ohren horchte , wo doch das Gezänk hinaus wollte .
Ich bat um Erlaubnis zu reden , erzählte in aller Kürze den Verlauf der Sache , sagte , daß hier zwei Reputationen auf dem Spiele stünden und ersuchte die Gesellschaft , Schiedsrichter zu sein .
Drauf nahm ich der Reihe nach ein Kunststück nach dem anderen vor , zeigte , wie und auf welche Art es notwendig gemacht werden müsse , und als ich mich nun nach meinem Herrn Urian umsah , sieh da war er in alle Welt gestoben und verflogen .
Das setzte natürlich ein gewaltiges Gelächter und Frohlocken ; Ein Teil der Chapeaure schlugen eine Wagenburg um mich , überhäuften mich mit beschämenden Lobsprüchen , und ich hatte Mühe , mich loszureissen und Schrötern , der mich Mal über das andere beim Rocke zupfte , zu folgen .
Kaum waren wir auf den Weg , so fing Schröder mit schwerem Herzen an sich zu verwünschen und zu verdammen , daß er den unglücklichen Gedanken gehabt hatte , mit mir hierher zu gehen .
" Was hast du getan , sagte er ?
Bruder , was hast du getan !
Wie oft habe ich dich nicht gewarnt , keinen Italiener bei seiner Ehre anzugreifen !
Mir zittern alle Glieder ; wenn es nur nicht ein Ende mit Schrecken nimmt ! , , So fürchterlich auch diese Worte klangen , so unbesorgt war ich .
Prahler sind gemeiniglich oder immer auch feige Memmen :
Darauf verließ ich mich und das antwortete ich auch Schrötern .
Eben das ist das Schlimme , versetzte er mir Selbst wird er sich nicht an dich , wagen , aber darauf will ich meinen Kopf verwetten , daß er den Schimpf nicht ungerochen einsteckt .
Ich wollte , du konntest jetzt den Augenblick auf Fausts Mantel nach Rom Neapel oder sonst wohin entfliehen , denn hier bist du um keinen Augenblick mehr sicher !
Das war arg , und ob ich gleich vor wie nach unerschrocken blieb , so sah ich doch jetzt mein ganzes Betragen aus einem anderen Gesichtspunkte an und machte mir bittere Vorwürfe , daß ich mich so schändlich hatte vergessen können .
Nach einer sehr unruhigen Nacht entwickelte sich_es gleich den folgenden Morgen früh , daß Schröder nicht falsch gemutmaßt hatte .
Unser gewöhnlicher Gondelierer Karolus Cicolo , ein ehrlich treues Blut , der mir schon oft durch seine Schwänke tausend Spaß gemacht hatte , kam zu mir halb außer Atem und erzählte mir , seine Kameraden hätten , ihm erzählt , daß Trismegisto gestern Abend beim Nachhausefahren gegen einen Sior Tedesco schreckliche Drohungen ausgestoßen , und der Sior Tedesco könne wohl kein anderer sein als ich :
Ich möchte mich also um Gottes Willen in Acht nehmen , denn er würde gewiß einen Bravo gedungen haben , der mir auf allen Tritten und Schritten nachgienge .
Ich fragte Cicolo , ob er nicht wüßte oder nicht erfahren könnte , ob Trismegisto noch hier in der Stadt wäre ?
Stadt der Antwort lief er spornstreichs fort , kam in einer guten Stunde wieder und versicherte mich , Trismegisto reiste jetzt eben ab , und das nach Triest , und wie gesagt , er würde sicherlich einen Bravo gedungen haben !
Nun konnte ich nicht anders , als es glauben , wiewohl es bloße Mutmassung war .
Was nun zu tun ?
Zittern und Beben , oder mich mit Voriwürfen Qualen , die jetzt zu spät kamen ?
Nein !
Schröder , von Cicolo unterstützt , legte mir ein Projekt vor , wie ich ganz heimlich , ohne daß es eine Christenseele erführe , bei Nacht aus Venedig entfliehen und meinen Bravo , wenn mich ja einer verfolgte , auf eine ganz falsche Spur leiten könnte .
Ich verwarf das Projekt und beschloß , weil ich allein meines Unglücks Schmied war , mir auch allein zu helfen .
Dem zu Folge verschloß ich mich in meine Stube , nahm alle meine Gedanken , Sinnen und alle das Italienische , was ich wußte , zusammen und schrieb einen langen Brief oder vielmehr Supplit an den Staalsinquisitor Rota .
Warum ich unter den drei gerade diesen wählte , tat ich teils deswegen , weil ich den Mann einmal auf dem Broglio gesehen und ich in ihm den leibhaften Minos oder Rhadamanthys zu erblicken glaubte , eben das furchtbare Aer , aber auch eben die feste und unwandelhafte Gerechtigkeit ; teils hatte mir Herr Wagner einige Geschichten von ihm erzählt , die mein physiognomisches Urteil vollkommen bestätigten .
Den Inhalt meiner Supplik nun erraten Sie schon von selbst .
Ich hatte sie nach der Regel abgefaßt , Ehrlich währt am längsten , und gestand frei heraus alles , was vorgefallen war .
Ich sehe meine Strafbarkeit vollkommen ein , sagt ich unter anderen ; Ich hätte einen Mann , dem die ehrwürdige Republik die Erlaubnis erteilt hat , seine Künste öffentlich sehen zu lassen , nicht in seinem Werke stören und unterbrechen sollen .
Auch unterwerfe ich mich gern und willig jeder Züchtigung , die ich durch dieses unüberlegte Betragen verdient habe : Zugleich aber werfe ich mich demütig Euer Exzellenz zu Füßen und flehe Sie an , mich vor der blutdürstigen Rache des Trismegisto zu schützen .
So wenig ich dieselbe verdient zu haben glaube , so wenig weiß ich , als ein Fremdling , und als ein Deutscher , der gewohnt ist , alle Rache seiner Obrigkeit zu überlassen , mich davor in Acht zu nehmen etc .
Diese Supplik schickte ich durch Cicolo , der sich anfangs davor kreuzigte und segnete , weil ich aber darauf bestand , mir dennoch den Willen tat , gerade in das Haus des Inquisitors .
Mittlerweile hielt ich mich einheimisch , studierte , sagte selbst Freund Schrötern kein Wort und wartete ruhig den Effekt oder Nichteffekt davon ab .
Heute früh , indem Schröder noch im Anzuge begriffen war , tritt ein Fante der Inquisition herein in die Stube und gebietet mir , ihm zu folgen .
Schröder wurde blaß wie der Kalk an der Wand und stellte sich Gott weiß was für Dinge vor :
Denn wenn sich hier zu Lande ein Diener der Inquisition ( nicht der geistlichen , sondern der weltlichen ) sehen laßt , so läuft jedem gleich die Gänsehaut über den ganzen Leib .
Ich sagte Schrötern bloß mit zwei Worten auf deutsch , welches der Fante sicherlich nicht verstand , er sollte ganz ruhig sein ; ich hätte die beste Hoffnung , daß mein Handel sich glücklich endigen würde , und so folgt ich dem Fante unerschrocken nach .
Er führte mich in das Haus des Rora , brachte mich in ein Zimmer und ließ mich allein .
Es verging eine gute Sunde , ehe ich Befehl erhielt , vor dem Inquisitor selbst zu erscheinen .
Endlich stand er vor mir , und ich vor ihm .
Diesen Auftritt werde ich nicht vergessen , so lang mir meine Augen offen stehen !
Das unwillkürliche Klopfen meines Herzens hatte durch das lange Warten so zugenommen , daß ich anfangs nicht im Stande gewesen wäre , eine einzige arme Silbe herauszubringen .
Ich machte bloß eine tiefe , tiefe Verbeugung , die mir mit einem kleinen , aber nicht zornigen und nicht verächtlichen Kopfnicken erwidert wurde .
Der erste Anblick des Kota auf dem Broglio hatte mir das Bild des Minos oder Rhadamanthys in die Gedanken gebracht :
Dieser gegenwärtige erinnerte mich an den Cato .
Eben der Ernst , eben die Stille der Leidenschaften , eben die Kälte des Alters !
Mit leiser , aber sehr vernehmlicher Stimme fragte er mich nach meinem Namen , nach meinen Eltern , nach meiner Erziehung , weswegen ich nach Italien gereist wäre , wie lang ich in Venedig wäre , wie ich in das Wagnersche Haus gekommen wäre , mit wem ich umgienge , ( ich nannte unter anderen den Signor Tananza , und ob er_es gleich schon zu wissen schien , daß dieser mich seines Umgangs würdigte , so fragte er mich doch ganz genau nach allem und jedem ) endlich wie ich mit dem Trismegisto in Verdruß geraten wäre , warum ich glaubte , daß er eine blutige Rache gegen mich im Schilde führe , und wie ich auf den Einfall gekommen wäre , an ihn zu schreiben , auch ob ich den Brief selbst gemacht hätte ?
Ich antwortete darauf ja , ich hätte ihn ganz allein geschrieben , wiewohl mit vieler Mühe , weil ich erst vor etwa vier Monaten in Wien hen Anfang mit dem Italienischen gemacht hätte .
Wer mich aber auf den kühnen Gedanken gebracht , mich unmittelbar an Euer Exzellenz zu verwenden , wäre bloß die feste Überzeugung von der Weisheit und Gerechtigkeitsliebe jedes hiesigen Mitglieds der Regierung .
Diese Überzeugung hätte ich bereits mit hierher gebracht , weil der venezianische Staat überall in meinem Vaterlande als ein Muster bekannt wäre und verehrt würde :
Und da ich mich nun , halb mit , halb ohne meine Schuld in einen kritischen Handel verwickelt , so hätte ich zu einem der Väter der Stadt meine Zuflucht nehmen wollen , und ich lebte des besten Vertrauens , Euer Exzellenz wurden als Vater mir einesteils meinen Fehltritt gnädigst verzeihen oder doch gelind bestrafen , andernteils aber mir Ihren Schutz angedeihen lassen .
Der Greis schwieg einen Augen Blick still ; drauf sagte er : Ihr habt sehr wohl getan , euch selbst bei mir anzuklagen ; .
Eine Stunde später , so hätte ich euch rufen lassen .
Ihr habt euch allerdings gegen Trismegisto vergangen !
Ob ihr ihm die Uhr geben wolltet oder nicht , stand bei euch : Allein wenn ihr sie ihm abschlugt , so mußtet ihr das nicht auf eine beleidigende Art , sondern mit Höflichkeit und guter Manier tun !
Alles übrige wurde dann nicht erfolgt sein .
Indes um eurer Jugend , um eues offenherzigen , Bekenntnisses und guten Zutrauens Willen sei euch hiermit verziehen !
In Zukunft seid vorsichtiger ; Ihr möchtet nicht überall den Schutz finden , den wir euch hier auf eure Bitte gewähren wollen !
Mit diesenWorten ergriff er eine Klingel schellte , und eben der Fante , der mich geholt hatge , trat herein , begleitet von einem Galeerensklaen , der fürchterlich mit seinen Ketten rasselte , Schrecken und Entsetzen fuhr mir durch alle Glieder .
Der Greis aber , ohne sich an mich zu kehren , wandte sich zum Sklaven und sprach mit einem Tone , der ein gut Teil rauher und fürchterlicher klang , indem er auf mich zeigte ; Kennst du diesen ?
Der Sklap sagte : Nein !
Wie heißt der Fremde , ( fuhr der Inquisitor fort ) den du auf Verleitung des Trismegisto umbringen solltest und wolltest ?
" Wilhelm Blumental heißt er .
Wie wird Ihnen , liebster Meier , indem Sie dieses lesen ?
Und wie mußte mir erst zu Mute sein , als ich es hörte , und ihn vor mir sah ? )
Wie viel hatte dir Trismegisto zur Belohnung versprochen ?
" Zwanzig Zechinen . .
Wenn solltest du ihn umbringen ?
" Ich sollt ihm nachreisen , wenn er von Venedig weggehen würde .
Der Greis winkte , und der Fante und der Sklave gingen wieder fort .
Ihr seht nun , sagte er jetzt zu mir , daß ihr euch in eurem Vertrauen nicht betrogen habt !
Dieser Bösewicht ist auf Zeitlebens zur Galeere verdammt und ihr seid vor Trismegistos Rache vollkommen gesichert .
Übrigens schweigt und macht kein Aufhebens von der Sache !
Unvermögend , rohr aller Bestürzung und vor Erstaunen meine Empfindungen auszudrücken , warf ich mich ihm zu Füßen , ergriff seine Hand und überhauste sie mit Küssen und Tränen .
Einen Augenblick litt er_es , dann zog er die Hand zurück und befahl mir aufzustehen .
Kann ich euch sonst noch worin nuzlich sein , fragte er ?
Ich dankte ihm , wischte mir die Augen , machte einen tiefen Bückling und ging .
Ich überlasse es Ihnen nun , liebster M. über den Text dieses Vorfalls tausend Betrachtungen und Überlegungen anzustellen .
Ich will jetzt nur eine einzige , gleichsam unter Ihren Augen machen und ich muß gestehen , es würde mich schmerzen , wenn Sie in diesem Stück anderer Meinung wären und ich Unrecht hätte .
Die Frage ist die : Soll ich mir Vorwürfe machen , daß ich die erste Veranlassung gewesen bin , einen Menschen auf die Galeeren zu bringen ?
Ich horche und horche auf den Ausspruch meines Herzens , aber es ist stille und bleibt ruhig .
In der Tat , wo habe ich denn auch , unerachtet meines Fehltritts , die Veranlassung zur Galeere gegeben ?
Die gab Trismegisto , nicht ich !
Was kann ich für seine rachsüchtige und niederträchtige Seele ?
Was kann ich für die feile Seele des anderen , der 20 Zechinen für eine hinlängliche Belohnung hält , um dafür einen Meuchelmord zu begehen ?
Ich denke mich einmal ganz aus dem Handel weg ; Es soll ein anderer sein , dessen Leben dadurch gerettet wurde , daß der gedungene Mörder vor Vollziehung der Tat ausgespäht und ewig auf die Galeeren verdammt wurde .
Werde ich als Unparteiischer nicht sagen müssen Dank der Vorsehung , daß sie diesen Rat der Bosheit nicht hat zur Reife kommen lassen !
Jener trägt seine Kette verdientermaßen ; Ein Mensch , der für Geld zu morden bereit ist , ist gewiß ein schädliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft , und es ist eine verdienstliche Handlung , ihm Zaum und Gehiße anzulegen !
So denke ich und damit beruhige ich mich :
Und wie gesagt , es wurde mich empfindlich schmerzen , wenn Sie anderer Meinung sein müssten !
Übrigens zieh ich mir denn aus dieser Fabel auch noch die Lehre :
Wenn dir ein stolzer , aufgeblasener Narr aufstoßt , so laß du ihn friedlich bei seiner Narrheit !
Niemand hat dich zum Censor über ihn bestellt !
Willst du , so lache oder ärgere dich über ihn , aber ganz insgeheim , daß er ja nichts davon inne werde !-- Das soll denn auch künftig unfehlbar geschehen , und ich werde es machen , wie es bei einem gewissen Volke in Asien Sitte ist , wo man die Narren und Verrückten als Heilige verehrt !
O wie tief will ich euch verehren , alle ihr Brüder und Verwandten des heiligen Theophrastus Paracelsus Trismegistus !
Aber ein seltsamer Handel wäre es bei alle dem , wann wir uns über kurz oder lang in dem weiten Europa einmal wieder zu Gesicht bekämen !
Doch wir werden ja nicht !
Und wenn !
Jede Obrigkeit ist dann gewiß auf meiner Seite : Und geschieht der Fall im Preußischen , so kostet mich ein Wort und jedes Regiment macht sich ein Vergnügen daraus , aus einem stolzen und unnützen Menschen , von sieben Zoll ungefähr , einen sehr demütigen und nützlichen Soldaten zu schaffen .
Genug für diehmal !
Verzeihen Sie , daß ich Ihnen , nichts tröstlicheres habe , schreiben können !
Aber , so Gott will , wird nicht immer so sein . e con questo le bacio reverentemente le mani . achter Brief .
Venedig , den 7. März 1771 .
Triumph , Triumph !
Ich habe meinen letzten dummen Streiche durch einen großen , kühnen und klugen wieder gut gemacht , und Trotz sei dem geboten , der mir noch die Geschichte mit Trismegisto vorrücken will .
So eben komme ich von einem kleinen , freundschaftlichen Schmause , der mir zu Ehren angestellt worden !
Die Flasche ist tüchtig Reihe herumgegangen und ich fahle meine Lebensgeister ebenfalls Reihe herum , nur manchmal ein wenig aus dem Gleise gehen .
Ich will also das Eisen schmieden , weil_es warm ist :
denn sonst , wenn erst er Vin greco und Montesiascone verraucht ist , könnte mich leicht meine Bescheidenheit anwandeln , und ch behielte wohl gar meine Heldentat in petto .
Ich besinge den deutschen Jüngling , den ein günstiges Schicksal nach Italien führte , um einen bekümmerten Vater aufzurichten , und einen Freund durch die Hand einer holden Schöne zu beglücken .
Schwer war der Kampf ; Lang und heftig stritt die Dame Aberglaube ; mit Waffen , die sie ihrer besseren Schwester der Religion abgeborgt hatte :
Aher der deutsche Jüngling zwang sie zu weichen und ihm ihre überwundenen Hände zu -- Doch ehe ich in meinem Heldengedicht weiter fortfahre , muß ich Sie erst fragen :
Haben Sie auch , indem Sie dieses lesen , ein halb Dutzend Gläser Vin greco und Montefiaccne , oder statt dessen Rheinwein und Burgunder getrunken ?
Ist das nicht , so sind Sie durchaus nicht im Stande , die Schönheiten meiner Muse zu empfinden !
Atqui nach Ihrer mir wohlbekannten philosophischen Diät dürften Sie wohl schwerlich , weder jetzt , noch vorher , noch nachher , einen anderen Rausch haben , als in Wasser :
Also muß ich nur auch schon zur Gesellschaft wieder nüchtern werden , und ich will Ihnen in simpler Prosa erzählen , wie sich die Sache zutrug !
Signorina Maria Franckiste ist , wie ich Ihnen schon gesagt habe , Herr Wagners einziges Kind .
Daß er sie ausserdentlich zärtlich liebt , versteht sich :
Aber die Art , wie er es tut , ist unvergleichlich !
Gleich entfernt von Affenliebe , und eben so sehr von der Art von stoischen Liebe die ich weiland sm Rosenschen Hause beobachtete , ( wo man den Grundsatz hatte , Christel müsse durchaus nichts von der Liebe seiner Elen merken , das werde ihn nur Verberben also von beiden gleich weit entfernt , trifft er ganzgenau die goldene Mittelstrasse !
Bis jetzt hat er auch noch nie Ursache gehabt , mir Franciska unzustieden zu sein :
Mit einemmal aber fällt es ihr ein , seinem Herzen einen äußerst empfindlichen Stoß zu geben !
Vor etwa fünf Wochen bin ich wie gewöhnlich den Mittag zu Tische und finde die Szene über alle Maßen verändert : Vater , Mutter , Tochter , jedes wie vor den Kopf geschlagen !
Keiner hat Appetit zum Essen , und noch weniger zum Reden ! .
In solchen Umständen ist gewöhnlich ein vierte Person lästig :
Ich schlang also nur geschwind ein paar Bissen herunter , gab vor , ich müßte dringender Geschäfte wegen mich sogleich auf den Weg machen und empfahl mich bis Wiedersehen .
Aber noch denselben Tag beschlich ich Herr Wagnern auf dem Contor , zog ihn bei Seite und drang mit freundschaftlichem Ungestüm in ihn , mir seinen Kummer zu entdecken , im Fall er von der Art wären daß ich ihn wissen könnte .
Herr Wagner nahm das sehr gut auf und bestellte mich den Abend nach Tische auf sein Zimmer .
Ich kam , wir waren mutterseelallein , und hier erfuhr ich denn zu meinem größten Erstaunen die Ursache seines Kummers .
Kurz , Franciska hatte ihm gestern ein für allemal mit fester Entschlossenheit erkärt , sie fühte einen göttlichen Beruf , ins Kloster zu gehen .
Sie können leicht denken , fuhr er fort , daß Tod und Kloster für mich völlig einerlei sind !
Ich fühle es sogar , daß ich ihren Tod mit weit gelassenerem Gemüt ertragen würde !
Alle meine Pläne in die Zukunft sind nun vereitelt !
Da mir der Himmel keinen Sohn beim Leben gelassen , wollt ich wenigstens die Freude haben , einen wackeren Schwiegersohn und Enkelkinder zu sehen ; Franciska sollte durchaus freie Wahl haben , und ich denke doch , ohne alle Eitelkeit , bei ihrer Person , bei ihrer Erziehung , und bei der Ausstattung , die ich ihr bestimmt habe , wäre sie keine verächtliche Partie :
Aber - Hier unterbrach Herr Wagner das Wort , und ich , ohne ihn mit leeren Mitleidsversicherungen noch mehr niederzuschlagen , fragte ihn bloß , ob er seine Einwilligung bereits gegeben ?
Das nicht , sagte er :
Aber wie kann ich sie vorenthalten ?
Meine Frau , nach ihren Grundsatzen , billigt den Entschluß ihrer Tochter höchlich ; Meine Tochter steht in dem Wahne , daß außer dem Kloster für sie keine Glückseligkeit und Freude auf der Welt ist : Soll ich mir nun den Vorwurf guf den Hals laden , daß ich mich dem Glücke meines einzigen Kindes widersetze und gewissermaßen Gott selbst entgegen strebe ?
Sehr brav gedacht , versetzt ich ; Aber doch ersuch ich Sie , halten Sie Ihre Einwilligung nur wenigstens noch vierzehn Tage zurück , und erlauben Sie mir , in einer so kitzlichen Angelegenheit wenigstens durch meinen guten Willen zu , zeigen , daß Undankbarkeit nicht mein Fehler ist .
Harr Wagner entließ mich , mit eine herzlichen Händedruck , und ich wälzte den Rest des Abends und die Nacht so viel Pläne in meinem Kopfe , als ich Haare darauf hatte .
Doch ehe ich Ihnen meinen eigentlichen Operationsplan mitteile , so wie er allmählich zur Reife kam , muß ich Ihnen zuerst den statuo controversiae noch näher entwickeln .
Sie wissen , daß die Venezianer , ob sie gleich für rechtgläubige katholische Christen passieren wollen , dennoch in manchen Stücken sehr ungläubige Ketzer sind .
Die Macht des Papsts ficht sie sehr wenig an , und eben so sind sie auch über die Vorurteile des Klosterlebens weit hinaus .
Keine Mannsperson darf vor 25 und kein Mädchen vor 21 Jahren das Gelübde ablegen , und wahrscheinlich würden sie es nicht übel nehmen , wenn alle Klöster allmählich ganz und gar eingingen .
Dawider wird nun kein Protestant leicht etwas einwenden :
Allein wenn das Zweck ist , so sollte , dünkt mich , auch vieles in Venedig wegfallen , was diesem Zwecke schnurgerade entgegen arbeitet .
Dahin rechne ich nun besonders die Einkleidungen der Nonnen , mit aller ihrer Pracht und Herrlichkeit !
Ich habe während meines hiestgen Aufenthalts eine gesehen , von der man mir sagte , sie wäre nur sehr mittelmässig , für mich aber war sie außerordentlich reizend , und ich begreife vollkommen , wie ein eitles und einfältiges Geschöpf von Mädchen bloß darum Nonne werden kann , um durch alle die blendenden Zeremonien der Einkleidung zu gehen .
Künstliche Überredung und Verführung kommt dann hinzu !
Hat ein Mädchen nur irgend eine Freundin im Kloster , es sei Nonne oder Novize , so wird diese es sich zum eigentlichen Geschäft machen , in ihr ebenfalls den Trieb zum Klosterleben anzuzünden .
Auf diese Weise hat eben Franciska ihren vermeintlichen göttlichen Beruf zum Kloster bekommen !
Sie hat eine Freundin , die sich voriges Jahr kurz vor memne- Ankunft einkleiden lassen .
Diese hat ihr so viel und so lange die Süßigkeiten des Klosterlebens eingeschwatzt , daß sie endlich den Gedanke , ihren Vater zu betrüben , unterdrückt und sich erklärt hat .
Wäre sie offenherzig gewesen und hätte ihrem Vater bei Zeiten entdeckt , daß man sie zur Nostrine zu machen suche , so wäre der Handel gleich vorbei gewesen , und Herr Wagner hätte ihr ein für allemal untersagt , nie wieder einen Tritt ins Kloster zu tun !
Das war nun zu spät ; Die Klostersucht hatte sich bereits fest eingewurzelt , und niemand hat es mehr erfahren als ich , wie schwer sie auszurotten war .
Meine erste Batterie richtete ich zunächst auf die Mutter und nahm der ersten der besten Gelegenheit wahr , sie allein zu sprechen .
Durch den langen und täglichen Umgang mit ihr hatte ich mir zwar einen großen Teil ihrer Gewogenheit und ihres Zutrauens gewonnen :
Allein bei der jetzigen Lage konnte ich darauf wenig oder gar nichts rechnen !
Als Protestant mußt ich ihr notwendig verdächtig sein , und sie konnte nicht anders , als glauben , ich sei blindlings auf der Seite ihres Mannes .
Um ihr nun diesen Gedanken zu benehmen , der alle meine Unterhandlangen vereitelt haben würde , nahm ich eine sehr heitere Miene an und fragte sie :
Ob ich ihr bald zu der Freude Glück wünschen sollte , ihre Tochter im Kloster zu sehen ?
Sie sah mich darauf mit einem zweifelhaften Blick an und schwieg .
Ich fuhr fort , sie zu versichern , daß ich im ganzen Ernste rede .
Sie kennen ja meine Gesinnungen , sagte ich , die ich so oft gegen Sie geäußert habes :
Wenn das bei den Protestanten ein Glaubensartikel ist , Klöster und Mönche und Nonnen so geradezu zu verwerfen und gering zu schätzen , so bin ich kein Protestant .
Gott ehre mir einen redlichen frommen Mönch und eine redliche exemplarische Nonne , und eine andere als solche wird Ihre beste Franciska nie werben , das weiß ich gewiß !
Wie sollte denn Ihnen dies nicht Freude sein ?
Und wie sollte ich , der ich Ihrem Hause so viel Verbindlichkeit schuldig bin , mich nicht mit darüber freuen ?
Dies Wort fand eine gute Stadt . , Signora dankte mir recht herzlich für meine freundschaftlichen Gesinnungen :
Aber , aber , setzte sie seufzend und mit gen Himmel geschlagenen Augen hinzu , mein Mann mein Mann !
Noch ist er ganz aufgebracht auf die arme Franciska und auf mich !
Und doch sagen Sie selbst , muß man nicht Gott mehr gehorchen als den Menschen ?
Allerdings , erwidert ich !
Sobald Gott gebietet , können wir nichts als schweigen und gehorchen .
Auch bin ich gewiß überzeugt , Ihr bester Gemahl ergibt sich den Agenblick , sobald nur erst die größte Hitze seines väterlichen Schmerzes vorüber ist und es - Voller , Freuden unterbrach sie mich .
Nein gewiß glauben Sie das ?
Halten Sie es für möglich ?
Ich halte es für unfehlbar gewiß , wenn es Ihnen nur gelingt , Ihren lieben Gemahl zu überzeugen , daß Franciskas Beruf zum Klosterleben ein wirklicher unmittelbarer himmlischer Beruf ist !
Aber ich bitte Sie wie können Sie oder wie kann mein Mann nur den mindesten Zweifel daran haben ?
Ein Beruf zum himmlischen Leben auf der Welt , wo kann denn der wohl sonst herkommen , als vom Himmel selbst ?
Meine Franciska , hat mir mehr als einmal erzählt , daß ihr die heilige Jungfrau im Traum erschienen ist und hat ihr mit dem reizendsten Lächeln ihre Arme entgegengestreckt und ihr liebreich zugerufen :
Sei meine Tochter !
Ist das nicht ein offenbarer Wink des Himmels ?
" Ich wende nichts dawider ein , für meine Person nämlich :
Allein wenn ich mich an die Stelle eines Vaters setze , der seine Tochter liebt , und ganz andere und ebenfalls gute Absichten mit ihr im Sinne hat , die sie ihm aber durch ihren Entschluß , Nonne zu werden , vereitelt , dann würde mir vielleicht meine Liebe allerhand Spitzfindigkeiten eingeben , um an dem himmlischen Berufe meiner Töchter zu zweifeln .
Deswegen Rat ich Ihnen , schicken Sie Ihren würdigen Beichtvater Montanaro zu Ihrem Gemahl und suchen Sie ihn durch die stärksten Gründe von dem himmlischen Beruf Ihrer Tchter zu überzeugen ; Gelingt das , so ist alles gelungen !
Signora ergriff diesen Rat mit beiden Händen , und indem eben Franciska ins Zimmer trat , verkündigte sie ihr mit vielen Freuden , daß ich auf ihrer Seite sei , und daß Papa seine Einwilligung gewiß geben werde .
Es war ein großes Glück , daß mir die beiden Damen nicht ins Herz sehen konnten .
Sie würden sonst mit Schrecken und Entsetzen das Kreuz vor mir geschlagen haben , ob ich gleich auf det Welt nichts Schlemmers im Sinns hatte , als sie zu Ihrem eigenen Besten ein klein wenig bei der Nase herumzuführen .
Nun ein Wort vom Pater Montanaro !
Das wäre ein Mann für Sie : Mit welchem philosophischen Scharfsinn würden sie in die Tiefen seines Charakters eindringen !
So weit ich ihn beurteilen kann , ist er ein kompletter Gelehrter in seinem Fache , der seinen Hieronymus und Augustinus und wie die Herren weiter heißen , vollkommen inne hat !
Dabei einer der feinsten Controvertisten ! . .
Ich wenigstens will mich wohl hüten , daß ich ihm je wieder komme !
Er nahm einmal meinen Doktor Luther in die Klemme , und ließ ihn so unbarmherzig durch alle Grade der Tortur gehen , daß , ob es mir gleich das Herz brach , ich ihn dennoch nicht retten konnte !
Da er hörte , ich hätte in Halle studiert , rückte er gleich mit seiner gelehrten Kenntnis von Halle hervor , sprach von Signor Tomasio , vom illustrissimo . Barone di Wolf kannte auch viele unserer Theologen , il Signor Gierusalemme , il Signor Moshemo , Spalding .
Kurz ich wollte wohl meinen Kopf drauf verwetten , daß er ganz insgeheim einige Meinungen hegt , die in keinem Kirchenvater stehen ; Aber er ist äußerst versteckt , und schlupft einem wie ein Aal aus der Hand , sobald man ihn festhalten will .
Eben so extrafein beträgt er sich in dem Wagnerschen Hause .
Bei Frau und Töchter ist er ganz Beichtvater ; Zwar nicht Lehrer und Nährer des Aberglaubens , aber doch Dulder desselben , um die schwachen Seelen nicht auch zugleich im wahren Glauben irre zu machen .
Gegen Herr Wagnern hingegen behauptet er bloß den Charakter eines aufgeklärten toleranten Katholiken , der das Gericht über die Ketzer Gott selbst anheimstellt ; Ganz von fern aber läßt er sich gegen Herr Wagners Talente und Verdienste eine völlig uneingeschränkte Hochachtung merken .
Nun war mein Projekt dies : Können wir den Pater Montanaro auf unsere Seite ziehen , so daß er seine geistlichen Waffen gegen Mutter und Tochter wendet , ihren vorgeblichen himmlischen Beruf seiner kritischen Prüfung unterwirft und in seiner Blösse darstellt , so ist das Feld unser !
Ich bereitete also Herr Wagnern auf seinen Besuch vor , der auch richtig gleich den nächsten Tag erfolgte .
Herr Wagner hat mir hinterher erzählt ( denn ich selbst konnte bei dieser Confexenz nicht wohl schicklich zugegen sein ) der Pater Montanaro habe seine Sache ganz unvergleichlich gemacht , und er hatte ihn selbst bewundern müssen , mit welcher hinreissenden Beredsamkeit , er das Lob des Klosterlebens gepriesen .
Es war keine Seite zu erdenken , sagte er mir , bei der er mich nicht faßte .
Er ließ meiner väterlichen Liebe alle Gerechtigteit widerfahren und wollte sie nur bloß , wie er sich ausdrückte , ins rechte Gleiß bringen !
Als ein kluger Kaufmann werde ich gewiß jedesmal das gewisse dem ungewissen , das sichre dem mißlichen vorziehen :
Warum ich denn als Vater anders handeln wolle ?
Das Glück , was ich meiner Tochter etwa durch eine Heirat zu verschaffen gedächte , wäre unsicher ; Ich könnt sie sehr leicht bei dem besten Willen in ein Labyrinth von Elend stürzen , und über wen würde sie hernach schreien als über mich allein ?
Ließe ich sie hingegen ihrer frommen Neigung folgen , so wäre ich auf mein ganzes Leben alles Kinderkummers quitt und hätte nichts zu tun , als den Segen einzuernten , den sie mir durch ihr eifriges Gebet vom Himmel erflehen würde .
Andere Väter freuten sich schon so sehr , und mit Recht , wenn ihre Kinder in irdischen Wissenschaften und Künsten Talente und Geschicklichkeit zeigten :
Wie unendlich großer erst meine Freude , sein Muße , eine Tochter zu haben , die in der höchsten aller Künste , in der Frömmigkeit und Gottesfurcht , Meisterin sei !
Ich ließ den Mann ganz ausreden , und bat ihn dann ebenfalls um geduldiges und unparteiisches Gehör .
Sie haben vortrefflich gezeigt , sagt ich , wie es in den Klöstern sein sollte :
Aber Sie haben den anderen Teil vergessen !
Nämlich , daß es auch wirklich so ist ?
Sind wirklich alle Mönche Heilige , und alle Nonnen Engel ?
Wenn das ist , kein Wort dagegen , so nehmen Sie meine Tochter hin , und ich will es von ganzem Herzen glauben , daß es nirgends besser für sie ist , als im Kloster .
Allein , so lange mir Vernunft und Erfahrung das Gegenteil sagen , so lang ich glauben muß , daß in den Klostermauern nicht so geradezu eine heiligmachende Kraft steckt , und daß auch außer derselben Frömmigkeit und Rechtschaffenheit und alte Tugenden vollkommen Stadt finden , so lange kann ich als Vater die Pflicht noch nicht einsehen , die ich haben soll , meine Einwilligung zu geben .
Sie machen mir bange vor einem Labyrinth von Elend , worein ich meine Tochter stürzen könnte , wenn ich sie verheiratete :
In eben dieses Labyrinth kann ich sie auch stürzen , wenn ich sie ins Kloster gehen lasse !
Wer ist mir Bürge , daß sie ihr Gelübde vielleicht nicht über kurz oder lang bereut ?
Und es muß sie gereuen , denn ich weiß ganz zuverlässig , daß sie sich das Klosterleben tausendmal reizender und entzückender vorstellet , als sie es hinterher finden wird .
Daran ist kein Mensch Schuld , als Schweter Antonia ; Die hat ihr so lange in den Ohren gelegen bis sie sie beschwätzt hat .
Der Beruf meiner Tochter kommt also keineswegs von Gott , sondern ganz simpel von Menschen ; Käme er von Gott , so bin ich als Protestant eben so bereit zu gehorchen , als der eifrigste Katholik in der ganzen weiten römischen Chistenheit Bei so bestallten Sachen erwarte ich von Ihnen , als Beichtvater meiner Frau und Tochter , daß Sie beiden die Augen öffnen , und daß Sie insbesondere meine Tochter auf das schärfste wegen ihres vorgeblichen göttlichen Berufs examinieren :
Dann werden Sie sehr bald auf den Grund der Sache kommen , und dann mache ich es Ihnen zur Pflicht , sie gemeinschaftlich von ihrer bloß eingeschwatzten , nicht natürlichen Neigung abbringen zu helfen .
Gelingt es Ihnen , wie ich bei Ihrer Klugheit . und Beredsamkeit keinen Augenblick zweifle , so habe ich bereits im Voraus ein Gelübde getan , welches ich aber vorizt noch bei mir behalten muß , damit es nicht das Ansehn gewinne , als wolle ich Sie durch Bestechung zu etwas antreiben , wozü , wie ich glaube , Sie Ihre Pflicht von selbst genug antreiben mird .
Das hieß : Sapienti satt ! und in der Tat versprach Pater Montanaro nicht bloß die große Streitfrage vom göttlichen Beruf aufzuklären , sondern verfügte sich auch sofort zu Franziska , und hielt mit ihr ein langes Tete a Tete .
Von welcher Wirkung dasselbe war , können Sie leicht daraus ermessen , daß nachdem Pater Montanaro sich auf Wiedersehen empfohlen , die Mutter sogleich zu mir schickte , und mich bitten ließ , ich möchte doch den Augenblick zu ihr kommen und ihre trostlose Tochter beruhigen helfen .
In der Tat fand ich auch beim Eintritt ins Zimmer Franziska ganz außer sich , weinend und schluchzend die Hände ringend , und kaum wurde sie meiner gewahr , so stürzte sie hastig ins Nebenzimmer , um meinem Anblick zu entfliehen .
Diese übermäßige Hitze der Leidenschaft machte mich anfangs in Gedanken ganz verwirrt .
Ich konnte nicht anders annehmen , als daß Montanaro ihr geradezu die Einwilligung ihres Vaters abgeschlagen , und ihr ein für allemal verboten , weiter ans Kloster zu denken :
Und doch schien mir dies der Charakter , des feinen ja extrafeinen Mannes gänzlich zu widersprechen !
Aus den Reden der Mutter aber buchstabierte ich mir sehr bald den wahren Inhalt des Gesprächs zusammen .
Montanaro hatte ihr keineswegs den Gedenken ans Kloster untersagt , aber er hatte es sehr schlau darauf anzulegen gewußt , daß sie sich ihn gar bald selbst , von freien Stücken und aus eigener Überegung unters mußte .
Franziska , ohne zu merken , wie verfänglich dies Bekenntnis war , hatte nichts Arges daraus gehabt , ganz offenherzig zu gestehen , daß freilich Schwester Antonia ihr zuerst den Gedanken ins Kloster zu gehen , in den Kopf gesetzt ; daß sie sich lange dagegen gesträubt , hauptsächlich um ihres Vaters Willen ; daß aber nun ihr Entschluß fest stehe .
Diesen Grund hatte Montanaro meisterlich untergraben ; hatte ihr theoretisch und mit einer Menge von Beispielen gezeigt , wie eigentlich der wahre innere Beruf zum Klosterleben beschaffen sein müsse , und nun sollte sie selbst überlegon , ob es sich mit ihr so verhielte .
Hinc illae lacrymae !
Die arme Franziska wurde nun von tausend Gedanken und Vorstellungen hin und her gezogen .
Auf der einen Seite glaubte sie sich so gut als durch ein Gelübde gebunden , weil sie nicht bloß der Antonia , sondern mehreren Schwestern und selbst der Mutter Äbtissin bereits ihr Wort gegeben :
Es wieder zurückzunehwen dünkte ihr eben so schimpflich als sündlich , Auf der anderen quälte sie der Gedanke , der notwendig aus des Pater Montanaro Reden entspringen mußte , daß da sie sich im Grunde bloß bereden lassen , sie Gott unmöglich ein angenehmes und wohlgefälliges Opfer sein könne !
Wie konnte sie bei einer solchen Gemütsverfassung anders als in der äußersten Unruhe sein ?
Ich überlegte daher auch gleich , daß jetzt mit Zureden und Vorstellungen bei ihr nichts auszurichten sei , und bat die Mutter , sie möchte sie nur lediglich sich selbst überlassen , und alles von der Wirkung der Zeit erwarten .
Den folgenden Tag bei guter Zeit war Montanaro wieder da ; da er aber von Franziskas heftiger Gemütsbewegung , von ihrer schlaflosen Nacht etc . hörte , wollt er ihre Wunden nicht von neuem aufreißen , sondern ließ ihr bloß durch die Mutter eine Menge verbindliches und angenehmes sagen , und sie auf das väterlichste ermahnen , ihre so wichtige Herzensangelegenheit mehr mit kaltem Blute zu überlegen .
Dies kalte Blut fand sich denn auch allmählich schon so weit ein , daß sie sich gegen ihre Mutter äußerte :
Wenn sie nur im geringsten absah , wie sie mit Ehren zurücktreten könnte , so sollt es ihr nicht so sauer ankommen !
Kaum hat ich dies Wort erfahren , so war ich den Augenblick hinterdrein , um diese Bedenklichkeit , wo nicht zu heben , doch wenigstens zu entkräften .
Wenn Sie wüßten , sagt ich , was Ihr Vater im Schilde führt !
Zwar ich weiß es selbst nicht recht , ich errate es nur so aus ein paar Worten , die er sich entfallen lassen , aber ich wollte alles drauf verwetten ! Sie Glaubens vielleicht , wenn Sie Ihren Entschluß ändern , so werden Sie sich dadurch bei dem Kloster einen bösen Namen machen :
Und ich stehe Ihnen umgekehrt davor , daß Ihr Name , solang Sie leben , und selbst nach Ihrem Tode , mit Ruhm und Dankbarkeit genannt werden wird !
Drauf sagt ich ihr , was ich bereits positiv wußte ) daß Herr Wagner dem Kloster eine sehr ansehnliches Legat zugedacht hätte , welches er in demselben Augenblicke auszählen würde , wenn sie dem Schleier entsagte .
Dieser unerwartete Träte von Großmut schlug sichtbarlich bei ihr an , und ich schöpfte gute Hoffnung , daß die Crisis nun bald vor sich gehen würde .
Aber bei einem Haars hätte der Guckuck ein garstiges Que darein gemacht , wenn ich nicht just zu rechter Zeit eine etwas dünne Nase gehabt hätte .
Ich gehe den folgenden Morgen wie gewöhnlich aus , und stoße an der Thur auf eine Weibsperson gemeinen Standes , deren scheinheilige und schleichende Miene mir auffällt .
Ich frage sie , zu wen sie will ?
Sie gibt mir eine unbestimmte Amwort .
Ich frage sie nochmals ob sie zum Herrn , zur Frau oder zur Tochter will ?
ich wollte sie zurecht weisen ?
Da kam es denn heraus , zur Tochter , sie hätte etwas bei ihr zu bestellen .
Hui , fiel mir ein , sollte die nicht etwan eine Ambassadrice vom Kloster sein , und von Schwester Antonia irgend etwas mündliches oder schriftliches zu bestellen haben ?
Stadt sie also zurecht zu weisen , ließ ich sie einen Augenblick warten , und lief schnurstracks zu Herr Wagnern , dem ich meinen Verdacht mitteilte .
Sogleich machte er sich selbst auf , und siehe da , lockte mit Gutem und Bösem einen Brief von ihr heraus , zwar ohne Aufschrift und Unterschrift , aber doch richtig von dem lieben Schwesterchen Antonia .
Dieser Brief war voll der zärtlichsten Klagelieder , daß Franzifka , seitdem sie verabredetermaßen ihren frommen Entschluß zum Klosterleben entdeckt , noch nicht eine Silbe weiter von sich hören lassen .
Sie würde doch nimmermehr so schwach sein , sich von ihrem Vater abhalten zu lassen !
Gott fordre mehr Gehorsam , als ein irdischer Vater , und ihr getanes Versprechen sei heilig und unverletzlich !
Wenn ja das Schlimmste zum Schlimmsten käme , brauchte sie ja nur ihr elterliches Haus zu verlassen , und wäre sie dann einmal in den Mauern des Klosters , dann würde man bald aufhören sich zu widersetzen ! etc .
Sie können leicht denken , mein Bester , daß dieser Brief , wenn er in richtige Hände wäre übergeben worden , unser ganzes bisheriges Gebäude glatt über den Haufen geworfen hätte .
Unser Coup war also äußerst a-promes , und unser beider Freude gleich groß .
Nur in einem Stücke , war Herr Wagner gescheuter und edeldenkender als , ohne Ruhm zu melden , Ihr Wilhelm Blumental .
Ich war schlechterdings der Meinung Antonia sowohl als die Äbtissin müßten für diesen wahrhaft aufrührerischen Brief etwas abhaben , und ich hätte gern dazu meine eigene Feder hergegeben : Herr , Wagner aber schüttelte den Kopf dazu und brachte mich bald dahin , ihn ebenfalls zu schütteln .
Genug der Brief blieb vorerst in unserem Arrest , und Franciska erfuhr nichts von der Sache .
Mittlerweile setzte Pater Montanaro seine Besuche tagtäglich fort , und war schon so weit gekommen , daß Franziska sich zum erstenmal , obwohl unter vielen Tränen und Seufzern erklärte , nun dann , weil es ihres Vaters Wille sei , so wolle sie auf das Kloster Verzicht tun .
Montanano aber war mit dieser Erklärung nicht zufrieden , sondern stellte ihr vor , daß ihr Vater kein Opfer von ihr verlange , das mit ihren Tränen benetzt sei ; sie möchte sich noch langer Bedenkzeit nehmen , und nicht um ihres Vaters , sondern um ihres eigenen Bestens Willen wählen und sich entschließen .
Zwischendurch mischte er denn einige sehr zweckmäßig , oder dem Scheine nach bloß zufällige Erzählungen und Betrachtungen ein , über das traurige Schicksal mancher Nonnen in den Klöstern , denen ihr Gelübde , das sie mit Jauchzen und Frohlocken getan , hinterher zu schwer geworden ; Wie andere den Verführungen des Fleisches und Blutes untergelegen , und zu erschrecklichen Strafen und Bußen verurteilt worden .
Dann handelte er wieder von der Würde des Ehestandes , von seinen Freuden und Leiden , von der Verpflichtung dazn ic .
Kurz , ich müßte statt eines Brie ses ein Buch schreiben , wenn ich alles detaillieren sollte , wie dieser feine und intrigante Mann in Zeit von acht Tagen die Franziska so ganz und gar herumlenkte und umbog , daß sie endlich in Gegenwart unser aller , mit dem heitersten Gesichte von der Welt , und mit einer wahrhaft zwanglosen Miene , dem Kloster feierlich entsagte .
Welch ein interessanter und für das Herz erquickender Auftritt das war !
Der Vater schloß die Tochter aufs feurigste in seine Arme ; Die Mutter weinte ; Ich mit !
Nachdem sich Herr Wagner losgerissen , schickte er sogleich ins Kloster und ließ sich bei der Äbtissin anmelden , um ihr das zugedachte Legat einzuhändigen , und das waren nicht weniger , als 600 Zechinen !
Dem Patet Montanaro hingegen sagte er : Für Sie habe ich ein kleines Buch beihanden , das in Ihrer Bibliothek besser aufgehoben sein wird , als in der meinigen !
( Es waren die Ata Sanctorum , ganz vollständig , allemal ihre 150 Zechinen wert ) .
Und zugleich , fuhr er fort , nehme ich die Vollendung von dem Baue Ihrer Kirche auf mich !
Das war mehr , als Montanaro erwartet hatte , und Freude und Dankbarkeit leuchteten ihm aus den Augen .
In der Tat mußt es auch wohl einem Katholiken das Herz rauben , einen Protestanten zu sehen , der zu einer Zeit , wo er Ursache gehabt hätte , auf seine Kirche , die ihm seine einzige Tochter rauben wollte , zu zürnen , sie dennoch mit Wohltaten überhäufte !
Dies würde auch vollends die Frau vom Hause mit ihrem Gatten ausgesöhnt haben , wenn sie vom Anfang der Geschichte an nur im mindesten beleidigt gewesen wäre : Allein , ihres warmen Eifers in der Religion ungeachtet , und ob sie gleich ihre Tochter lieber im Kloster , als irgendwo auf der Welt gesehen hatte , beurteilte sie dennoch das Betragen ihres Gatten aus dem rechten Gesichtspunkte , und ließ ihm alle Gerechtigkeit widerfahren ?
Hinterher , als Montanaro dazwischen kam , opferte sie die eingebildete Freude , ihre Tochter als Nonne zu sehen , ohne Schwierigkeit auf .
Montanaro aber , der Fuchs aller Füchse , ob er gleich offenbar die Haupttriebfeder der ganzen Revolution war , lehnte doch alles gänzlich von sich ab .
Seiner Versicherung nach hat er im geringsten kein Teil noch Erbe dran ; Franziska hatte alles selbst getan , und er als Beichtvater hatte bloß ihre Dunkelheit aufgeklärt , und ihre Zweifel aufgelöst .
-- Doch ich muß weiter eilen :
Es ist noch viel übrig !
Nach deutscher Sitte , der Herr Wagner noch nicht ganz untreu geworden ist , mußte eine so wichtige Familienbegebenheit notwendig beschmaust werden , und es wurde dazu der nächste Sonntag festgesetzt , auch viel Volks eingeladen .
Diesmal zapfte Herr Wagner seine geheimsten und seltensten Mutterfäßchen und Fläschchen an , und Lacryma Christi , Kir und Kapwein gaben dem Blute einen so lebhaften Umlauf , daß ich es jetzt für den rechten Zeitpunkt hielt , ein gewisses neues Eisen zu schmieden , Sie erinnern sich doch meines guten Bruders und Stubencompagnons Schröders ?
Lange schon war ich auf das vertraulichste mit ihm umgegangen , ehe ich hinter ein großes Geheimnis seines Herzens kam .
Er war nämlich eben so unaussprechlich , unbegreiflich , eben so sterblich oder , besser zu reden , unsterblich in Franziska verliebt , as dein Wilhelm Blumental in dich , du einzige , beste , Engeln nicht bloß gleiche sondern selbst Engel !. - Hoho , hohowerden Sie sagen :
Was ficht den Wilhelm mit einemmal an ?
Fieberschauer , oder Liebesschauer ? -- Unterbrechen Sie mich nicht , Bester :
Ich bleibe sonst rein in meiner Geschichte stecken !
Also Freund Schröder liebte Franziska bis zum Sterben , wagte es aber kaum , sich selbst , geschweige einem Wesen außer ihm , diese Liebe zu entdecken .
Der Abstand zwischen ihm , einem armen Schelmen , der nichts hatte als ein ehrliches Herz , ein gar nicht unebenes Gesicht guten Kopf und viel Fleiß , Geschick und Regsamkeit , und zwischen Franzisia , der einzigen Tochter und Erbin eines Mannes , der Tonnen Goldes zu kommandieren hatte , dieser Abstand schien ihm unermeßlich , und er gab alle Hoffnung auf -- oder vielmehr , er hatte sich nie die geringste Hoffnung gemacht .
Gleichwohl hegte er diese hoffnungslose Liebe in seinem Herzen , und bei dem täglich wieder erneuerten Anblicke der Franziska war alle Mühe , sie los zu werden , umsonst .
Schröder kannte mich zu gut , und liebte mich zu sehr , um nicht jedes Geheimnis frei in meinen Busen auszuschütten ; Er würde mir auch sicherlich sein Leid geklagt haben , wenn er mich nicht seiner Meinung nach auf dem Wege ertappt hätte , daß ich vor ihm Geheimnisse hegte .
Das kam nun bloß daher , weil ich seit einiger Zeit öfter als sonst in ein gewisses Nonnenkloster ging ; Da meinte er , es stecke wer weiß was dahinter , und weil ich nun nicht beichtete , war er auch stumm !
Allein bei der Gelegenheit , als Franziska ins Kloster zu gehen drohte , verriet sich seine Leidenschaft gar zu merklich , und ich , der ich bei ihm wohnte , hätte blind sein müssen , um sie nicht wahrzunehmen .
Seine nachmalige Freude , als Franziska sich anders entschloß , setzte es vollends außer Zweifel , und ich sah wohl ein , daß wer ihm behilflich wäre , Franziska zu besitzen , der würde ihm ein Engel vom Himmel sein .
An gutem Willen hierzu fehlte es mir keineswegs :
Allein wie das Ding anfangen ?
Herr Wagner war ein so einsichtsvoller und determinierter Mann , daß wenn es sein Plan war Schrötern zu seinem Schwiegersohne zu machen , so tat er_es de facto , ohne daß es weiter eines Freiwerbers oder Ratgebers oder Kupplers bedurfte ; War es hingegen sein Plan nicht ; so mußt er seine guten Grunde dazu haben , und alles Zureden war dann vergebens .
Und überdem , wie wenig schickte ich junger Gick in die Welt mich zu einem Ratgeber in so ernsthaften und wichtigen Angelegenheiten , als eine Heirat ist ?
Herr Wagner hätte mir sagen können : Junger Mann , du meinst es gut mit mir und mit deinem Freunde , alleinhier ist es um das Glück meiner Tochter zu tun , und da ist mehr zu überlegen .
Kurz , trotz aller meinen Freundschaft für Schrötern hatte ich es nicht gewagt , bei Herr Wagnern auch nur ein einziges Wort für ihn anzubringen , wenn es nicht die herrlichen , bereits mit Ruhm angeführten Mutterfäßchen und Fläschchen getan hätten .
Diese machten mich den Abend so feurig und kühn , daß Schröder mich sicher zum Doge hätte schicken können daß ich für ihn um seine Tochter werben sollte , ich hatte mir den Hut in die Augen gedrückt und wäre ohne alle Umstände gegangen .
So gar halsbrechend war es nun hier nicht , um so weniger , da Herr Wagner ebenfalls zur Ehre des Tages und aus purer lauterer väterlicher Freude über seine verlorene und wiedererlangte Tochter ein Gläschen mehr als gewöhnlich getrunken hatte .
Er war ganz Entzücken und Vergnügen , umarmte mich mehr als einmal aufs zärtlichste , und dankte mir für den treuen Beistand , den ich ihm bei der ganzen Sache geleistet hätte .
Ich antwortete ihm darauf , was Sie leicht erraten können ; Aber , mein würdigster Gastfreund setzte ich draufhin : zu nach der Freude , die ich heute mit Ihnen teile , wünschte ich nun noch eine !
Ihre Franziska an der Seite eines recht wackeren und braven Mannes !
. " Das wird sich hoffentlich finden , sagte er !
Ehen werden im Himmel geschlossen , und meine Tochter ist ein frommes Mädchen , sie wird also doch nicht leer ausgehen ! "- Das kann sie nie !
Aber darauf laß ich mein Leben , daß wenn ihr auch der Himmel den schönsten , reichsten , tugendhaftesten und zärtlichsten Mann beschert , so kann er sie unmöglich mehr und inniger lieben , als ein gewisser , den ich kenne , den Sie kennen , und der sie ohne alle Absicht und ohne alle Hoffnung liebt und immer lieben wird "Seltsam , seltsam !
Reden Sie im Ernste ?
Gibt es denn auf dieser Welt noch dergleichen Liebhaber , Gewiß wenig :
Aber für den einen stehe ich !
" Nun so nennen Sie mir doch das seltsame Wundertier , das Sie kennen , das ich kennen soll , und doch wahrlich nicht kenne !
Sie kennen ihn wahrlich :
Als Liebhaber Ihrer Tochter wohl nicht , denn als solchen ist es mir selbst schwer geworden , ihn auszuforschen .
Indem ging Schröder , der mit den Händen auf dem Rücken , ganz tiefsinnig und gedankenvoll auf und ab wandelte , bei mir vorbei .
Ich erwischte ihn , fiel ihm um den Hals und sagte zu ihm : Lieber , guter Junge , schon wieder traurig ?
Er riß sich los , seufzte und ging weiter .
Das fiel Herr Wagnern mächtig auf ; Schnell faßte er mich bei des Hand und zog mich in einen abgelegenen einsamen Winkel des Zimmers .
Kaum kann ich meinen Sinnen trauen , sagte er !
Ist_es Schröder ?
Schröder , der stille Schröder ?
Der bloß auf Arbeit und Geschäfte erpichte Schroten liebt meine Franzika ? , Stille Wasser haben tiefe Gründe , sagt das Sprichwort !
So habe ich in meinem Leben nicht lieben sehen , wie der liebt .
Aber sein Sie ruhig , besten Mann !
Er wird so wenig Sie als Ihre Tochter jemals durch ein Geständnis in Verlegenheit setzen .
Er weiß zu gut , was für eine Kluft das Glück zwischen Ihnen , und ihm befestiget hat , und daß Ihre Franziska auf ganz andere Aussichten Rechnung machen kann .
" Das ist nichts gesagt , mit Ihrer gütigen Erlaubnis !
Ich war auch arm , ehe ich reich wurde , und was die Ansichten anbetrifft , so halte ich mein Mädel für zu gescheit , als daß sie sich etwa einen Nobile in den Kopf setzen sollte !
In diesem Falle dürfte es mit meiner väterlichen Einwilligung nach windiger aussehen , als mit dem Kloster !
Aber das kann ich nur mit meinen Sinnen nicht begreifen , wie Schröder vor mir so heimlich sein kann , und kann mir nichts sagen , da er weiß , welche große Stücken ich auf ihn halte , und halten muß , weil er mir in meiner Handlung unentbehrlich ist !
Bester Mann , was verlangen Sie doch ?
Schröder soll Ihnen die Liebe zu Ihrer Tochter entdecken !
Das setzt ja voraus , daß Sie sie ihm geben könnten oder würden , und das glaubt er so wenig , wie ich .
" Gehen Sie !
Ich sehe , Sie haben mich die ganze lange Zeit her doch nur schlecht kennen lernen .
Also kurz von der Sache :
Wenn meine Franziska Schrötern haben will und sich getraut , mit ihm glücklich zu leben , wenn meine Frau nichts dawider hat , ins Herren Namen !
So mache ich ihn zu meinem Compagnon und die Sache ist abgetan !
Aber daran stößt sich_es eben , ich glaube nicht , daß meine Franziska Neigung zu ihm hat , und das sehen Sie wohl ein , Zwang mag ich ihr auch nicht antun , und wenn ich Schrötern und seinem Fleiße aller Welt Schätze zu verdanken hätte .
Indem wurde Herr Wagner gerufen und unser Gespräch brach ab :
Aber ich wusste nun bereits genug , um den Mann , den ich schon unendlich hochschätzte , noch tausendmal höher zu schätzen !
Und zugleich hatte ich mir von Schrötern ein tüchtiges Gotteslohn verdient , denn wenn ich nicht glücklicherweise den Mund geöffnet hätte , er hätte wohl auf immer geschwiegen !
Nunmehr richtete ich meine Aufmerksamkeit zunächst auf Franziska selbst :
Denn in der Tat hatte ich sie zeither so wenig von der Seite der Liebe beobachtet , daß ich gar nicht wußte , wie es in diesem Stücke mit ihr stand .
Daß sie keinen anderen liebte , davor war ich wohl sicher ; Auch das sah ich , daß sie Schrötern nicht Gram war : Allein der Schritt , von nicht Gram sein bis zum Verliebt sein , ist dünkt mich ein Riesenschritt ; wie fängt man es an , ein Madchen zu diesem Sprunge fortzureissen ?
Diese meine Selbstbetrachtungen wurden von Herr Wagnern unterbrochen , der mit der muntersten Laune von der Welt zu seiner Tochter sagte : , Nun , liebe Franziska , für diesmal habe ich dich dem Kloster glücklich entrissen !
Aber ich fürchte , ich fürchte , der Nonnenschwindel kommt dir über kurz oder lang von neuem an !
Ich befehle dir also , Kraft meiner väterlichen Gewalt , eile was du kannst , und nimm dir einen hübschen wackeren Mann , der wird dir das Kloster schon vertreiben !
Die ganze Gesellschaft nahm an diesem Scherze den lebhaftesten Anteil ; Alle Chapeaure stießen auf die Gesundheit des künftigen Bräutigams an ; Franziska wurde rot bis an die Fingerspitzen , ohne jedoch im mindesten eine alberne Miene anzunehmen ; Den armen Schröder aber fuhr ein tödlicher Pfeil durchs Herz , und er machte es auch nicht lange mehr , so schlich er sich heimlich aus der Gesellschaft davon .
Franziska bemerkte es und fragte mich , was denn in aller Welt Schrötern fehlte ?
Er wäre der einzige , der diesen Abend nicht vergnügt gewesen wäre !
Hier hätte ich nun gleich Gelegenheit gehabt , seine ganze Liebesnot zu entdecken : Allein ich hielt es jetzt nicht für den rechten Zeitpunkt , und wollte erst einen bequemeren abwarten . .
Mittlerweile geht die Gesellchaft auseinander ; Ich komme nach Hause , trete in die Schlafstube -- Gütiger Himmel , liegt der arme Schröder im Bette , kämpft mit abwechselndem Frost und Hitze , kurz hat das Fieber so komplett , als man es nur haben kann .
Das hatte ich nun nimmer gedacht , daß es so weit kommen sollte !
Und doch , alle Umstände zusammengenommen , war nichts natürlicher !
Der mehr als gewöhnliche Reiz , in dem Franziska den Tag vorher strahlte , die übermäßige Anstrengung , seine Leidenschaft vor einer Menge Augen zu verbergen , und das schreckliche Wort des Vaters , daß Franziska sich bald einen Mann aussuchen sollte , welches Schröder so nachteilig als möglich für sich auslegte , das alles zusammengenommen hatte seine Seele so heftig erschüttert , daß es der Körper mit entgelten mußte .
Ich wollte die Nacht noch nach einem Doktor laufen :
Aber er ließ mich schlechterdings nicht !
Das Wachen indessen konnte er mir nicht verwehren .
Den Morgen , auf die erste Nachricht , erschien gleich Herr Wagner selbst , um seinen Kranken zu besuchen .
Auch ein würdiger Sohn des Hippokras , Signoe Ortescht erschien :
Allein seine Kunst reichte nicht so weit dem mit Macht hervorbringenden Übel auf einmal den Kopf zu zertreten .
Vielmehr nahm die Hitze überhand , und Schröder fing an heftig zu phantaren .
Wäre es nun noch einen Augenblick zweifelhaft gewesen , was in seiner Seele vorging , so war es jetzt auf eine unleugbare Art an den Tag gekommen !
Franziska , Franziska , und aber Mal Franziska war sein erster und letzter Gedanke .
Bald malte sie ihm seine Phantasie im Kloster :
Er aber fuhr kühn mit einer Gondel vor das hohe Fenster ihrer Zelle , legte eine Leiter an die Mauer , brach mit einem Brecheisen das eiserne Gitter weg , rief dem Cicolo zu , er sollte die Leiter fest halten , und so entführte er seine Geliebte herüber nach Triest .
Ein andermal hielt er wieder herzbrechende Reden an Franziska ; bat sie um Vergebung , daß er sich erkühnt hätte seine , Augen zu ihr aufzuheben ; er wußte wohl , daß sie einen besseren Gatten verdiente , als ihn ; Auch wolle er ihren Verlust geduldig ertragen :
Nur flehte er sie inständig , daß er an ihrem , Hochzeitstage nicht zugegen sein dürfte , denn das würde ihm das Herz brechen !
Das Lustigste war , daß er in seinen Phantasien auch meiner zu erwähnen beliebte .
Wie glücklich , rief er einmal aus , bist du , Bruder Wilhelm !
Du fühlst das Feuer nicht , das mich verzehrt :
Aber gewiß , du würdest es auch fühlen , wenn deine OlympiaAntonelli nicht wäre !
Die , die allein macht es , daß du nicht mein Nebenbuhler bist .
Diese Phantasien nun , welche immer poetischer , rednerischer und wählerischer als andere , müßten denn notwendig auch der Franziska zu Ohren kommen .
Nun geht zwar die Methode , einem Mädchen seine Liebe zuerst mit hitzigen Fieber zu entdecken , sehr merklich von den gewöhnlichen ab :
Allein , wenn eine Desdemona sich aus purem hellen Mitleiden in einen schwarzen häßlichen Mohren verlieben kann ; wenn die tausenderlei Gefahren , die er nicht um ihretwillen ausgestanden , doch schon ihr Herz zu schmelzen vermögen , wie könnte ein weichgeschaffenes Mädchen ( und so ist Franziska in hohem Grade ) gegen einen Liebhaber unempfindlich bleiben , der offenbar , bloß um ihretwillen , aus keiner anderen Ursache , in Todesgefahr schwebt ?
Nunmehr bedurft es keiner weiteren künstlichen Triebfeder .
Die Natur spielte ihr Spiel von selbst !
Franziska schickte den Tag zwanzigmal , um sich nach Schröders Befinden zu erkundigen .
So oft sie mich sah , mußt ich ihr von allem und jedem Rechenschaft geben ; Sie band mir_es auf die Seele , es ja an nichts fehlen zu lassen ; kochte mit eigenen Händen was ihm der Arzt zu essen erlaubte , und diese zärtliche Teilnehmung , sobald er nur erst wieder so weit zur Vernunft kam , daß er sie fassen und begreifen konnte , war denn auch die stärkste und wirksamste Arznei !
Und nun wäre ich wohl ein schändlicher Zeitverschwender , wenn ich nach diesem ungeheuren langen Briefe noch einen neuen Bogen mit der Folge dieser Geschichte füllen wollte ! :
Ein Philosoph , wie Sie , zählt sich so was an den Fingern ab , und vor Ihnen hätte , ich mich überhaupt von Haus aus kürzer fassen können ; würde es auch sicher zu geliebter , Zeitersparung getan haben , wenn ich nicht , wie die Maler zu reden pflegen , diesmal con amore gemalt und geschrien hätte .
Nur noch zwei Worte :
Nachdem Schröder gänzlich außer dem Bette , aber doch noch im Stubenarreste war , schrieb er drei Briefe , an Vater , Mutter und Tochter , alle voll Verstand und , tiefer Empfindung , und erhielt darauf von allen drei die günstigen Antworten ; die er verdiente .
Bei seinem ersten Ausgange empfing ihn Franziska , wie eine Braut ihren Bräutigam empfängt , und ob zwar jetzt , und vielleicht noch in langer Zeit an keine Hochzeit gedacht wird , so ist doch alles vollkommen richtig .
Da ich nun hierbei , wie Aeneas seliger in der Stadt Troia , pars magna fui , so wird mir denn auch meine Nase , wie billig , mit dem süßen Geruche des Lobes parfümiert .
Schröder hat in der Giudecca , in einem Garten , mir zu Ehren ein kleines zierliches Schmäuslein gegeben :
Voll von diesem fing ich diesen meinen Brief an , aber frei von allen Dünsten des Monrepulciano und Vin greco schließe ich ihn jetzt mit der sehr ernstlichen Versicherung , daß ich diese ganze Geschichte bloß in Ihren vertraulichen Busen ausschütte , daß ich weit davon entfernt bin , mich da ruhmredig zu blähen , wo ich bloß der Dankbarkeit und Pflicht ein Opfer gebracht habe .
Nun leben Sie wohl , Sie , Ihre beste Gattin , Ihr bestes Mühmchen ; und wenn Sie wissen wollen , was ich Ihnen alles gutes wünsche , so kehren Sie nur den Fluch in Ihrem Tristram Shandy in Segen um. N. S.
Eine kleine Reise werden wir nächstens machen , nach Padua , Vincenza , Verona , und vielleicht durch einen großen Umweg über Mantua zurück !
Wir : Das heißt , ich und mein Freund Antonelli ( Etwa der Bruder der Olympia ?
Ganz recht , derselbe !
Gedulden Sie sich nur , bester Meier !
Die erste Liebe ist unglaublich verschwiegen ; Tue ich je über diesen Punkt meinen Mund auf , so ist es gegen Sie und gegen keinen Menschen sonst auf Erden ) Weiter also : Zwei Russen , die die Kaiserin auf ihre Kosten reisen läßt , Leute von barbarischen Namen , Przoluzki und Szuosky , aber herrliche Jungen , feurige Kopfe , wie ich sie nimmermehr unter dem eißkalten russischen Himmel gesucht hätte , und voll von Talent für die Kunst .
Dabei aber auch wild wie Sturmwind !
Wehe dessen Rippen , der ihnen was zu Leide tut !
Und das geht bei ihnen gar leicht an , weil sie das Italienische nur noch radebrechen , sonst aber sehr gut französisch sprechen , womit man aber in Italien nicht fortkommt !-- Ist dann diese Reise abgetan , so kommt inwischen Himmelfahrt und die Vermählung des Doge heran , die ich nun doch mit aller Gewalt sehen soll !
Alsdann lebe wohl , Venedig , lebe wohl , Olympia , sollte mir auch gleich der Abschied von dir das Herz durchbohren !
Neunter Brief .
An Herrn Wagner in Venedig . den ersten April .
Eine so tolle und närrische Reise , wie die unsrige , verdient durchaus an keinem anderen Tage geschrieben zu werden , als an demjenigen , der so viel ich , weiß überall in Europa ganz eigentlich der Narrheit gewidmet ist .
Machen Sie sich also nur gefaßt , die größten Ausgelassenheiten und Wildheiten zu hören , wie Sie sie von ein paar jungen wiehernden Füllen aus den russischen Wäldern erwarten können , die den Grundsatz haben , bloß ihre Kaiserin hätte ihnen zu befehlen , und hier in Italien sei ihre Kaiserin nicht !
Besonders aber rufen Sie sich das alte deutsche Sprichwort ins Gedachtniß .
Wer mit den Wölfen ist , muß mit den Wölfen heulen !
Wäre Antonelli noch auf meiner Seite gewesen , so wäre wohl ein und der andere tolle Streiche unterblieben , aber so sagte der immer B , wenn Pryoluzki oder Smysko kaum das A gesagt hatten .
Anfangs schien es , als sollte in unserem Treckschuyt * ) den ganzen langen Tag nichts anders getan , als gespielt werden .
Wenigstens hatten meine Herren Reisekompagnons eine * Der geneigte Leser verwundre sich ntcht , woher mit einemmal Treckschuyten nach Jalien kommen .
Die Burchielli , Barken , auf denen man gewöhnlich die Wasserreise von Venedig nach Padua macht , werden von zwei Pferden die ganze Brenta hinaufgezogen .
Menge Werkzeuge zu sich gesteckt , Lomberund Tarockcharten , Libretti zum Pharo , selbst einige Pasche Würfel , um sich unter einander das Geld abzunehmen !
An Selbstmitspielen war nun gar nicht zu gedenken , vollends bei der , bald hatte ich gesagt , göttlichen Aussicht , nach der Stadt sowohl , als an beiden Ufern der Brenta .
Allein , auch das Spielen meiner Reisegesellschafter konnte mir nicht ganz gleichgültig sein .
verlor einer oder der andere seine Barschaft ganz , so waren Verdruß und Handeleien unvermeidlich !
Ich setzte es also mir vieler Mühe durch , daß keiner mehr bar verlieren sollte , als eine Zechine ; Das übrige sollte auf Kreide gehen , und meinem Willen nach nie bezahlt werden .
Durch dieses Mittel schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe !
Die Spielgeister erschlafften , sobald ihnen die Aussichten zu gewinnen beschränkt waren , und in weniger als 2 Stunden lagen Charten und Würfel im Winkel .
Was nun anfangen ?
Ehe ich_es mich versah , schmissen die beiden Russen alle ihre Kleider von sich und Plump hinein in die Brenta .
Da sah ich denn , was ich bis jetzt noch nicht gewußt hatte , daß sie die edle Kunst des Schwimmens eben so gut und noch besser verstanden , wie meine Wenigkeit ; An Keckheit aber und Verwegenheit betrafen sie mich bei weitem , denn wenn unst nur eine Scylla und Charybdis aufgestoßen wäre , sie hatten sich sicher mit Gefahr ihres Lebens hineingewagt !
Beim bloßen Schwimmen nun könnt es nicht lange bewenden bleiben , sondern das Ding mußte notwendig n eine närrische Form gegossen werden , um recht zu gefallen !
Szuysky also brachte den Vorschlag auf das Tapet , er und sein Landsmann wollten zweien Tritonen , vorstellen , und Antonelli sollte Neptun sein .
Ein lautes Freudengeschrei empfing diesen Vorschlag , und Antonelli nahm sogleich in Ermangelung eines Dreizacks ein Ruder in die Hand und stellte sich damit ans Vorbetheil des Schiffs , das nun zum Wappen des Neptuns umgeschaffen war .
Allein die Russen waren damit nicht zufrieden , sondern bestanden schlechterdings auf einem ordentlichen Dreizack , und da wir eben bei einem Dorfe vorbeifuhren , drangen sie in mich , ich sollte aussteigen , und im ersten besten Bauerhofe eine Mistgabel kaufen oder stehlen .
Eine feine Kommission , in der Tat !
Indes , um nur Friede zu haben , mußt ich nolens volens wenigstens den honetteren Teil derselben erfüllen .
Ich stieg also aus , ging ins erste beste Bauerhaus , und kurz , kaufte nicht bloß eine Mistgabel sondern auch ein paar Kuhhörner , weil doch die Tritonen mehr als blasend vorgestellt werden .
Hätte ich Krösusschätze von meiner Expedition mit zurückgebracht , sie hätten nicht mehr Freude und Spektakel erregen können !
Nun ging_es ungeschumt ans Werk : Vorher aber banden noch die beiden Tritonen Stricke um den Leib und befestigten sie zu beiden Seiten des Schiffs , weil ihnen nun durch das Festhalten des Horns eine Hand zum Schwimmen geraubt wurde .
Allein welch Ariosst , Tasso , Tassoni , Mulci , Bofardo , Dante uc . ist im Stande , mit Worten zu beschreiben , was für abscheuliche , das Ohr tuchschneidende , höllische und Teufelstöne die beiden schwimmenden Ungeheuer aus ihren Hörnern hervorzwangen !
Die Dörfer Mira und Dolo werden , glaube ich , noch nach langen Jahren von uns zu erzählen wissen , denn jung und alt stürzte von Belten Seiten herzu und gab uns mit einem ununterbrochenen Hallo halbe Meilen weit das Geleit .
Um das Possenspiel ganz vollstandig zu machen , beschwatzte Antonelli noch ein altes Weib , die am Ufer nebenher schlenderte , daß sie für ein Trinkgeld ins Schiff stieg und an seiner Seite als seine Gemahlin Amphitrite Platz nahm .
Die komischen Liebkosungen nun , die er ihr machte , und der bloße simple Anlick dieses liebenswürdigen Paares machten ein so originales Schauspiel , als ich nie wieder sehen werde , so lange mir meine Augen offen stehen ! . ( Nachtrag * ) zur Reise hiß , Padua Aber bloß für Sie , bester Wagner :
Ums Himmels Willen nicht für Ihre Frau Gemahlin , noch Tochter .
Denn mit meinem Willen mag ich kein Ärgernis geben ! ) Nachdem dieser mythologische Spaß sein Anziehendes verloren , und das Kleeblatt der Spieler es satt hatte , länger auf dieselbe Art den Narren zu spielen , brachte Antonelli ein neues Projekt auf die Bahn .
Unsere allmähliche Herrannäherung an Padua erinnerte ihn an den heiligen Antonius von Padua , und da er vor allen Heiligen samt und besonders , und leider vor der ganzen Religion sehr wenig Ehrfurcht trägt so kam er auf den gottlosen Gedanken , er wollte statt des Neptuns den Antonius spielen , die beiden Russen sollten Fische vorstellen , und er wollte ihnen die berühmte Predigt des heiligen Mannes an die Fische halten .
Da half nun kein Vorstellens * )
Dieser Nachtrag stand auf einem besonderen Papiere . und Widerredens , weder von mir , noch von unserem Schiffer , einem aufrichtig katholischen Christen !
Diesem wurde mit einem Trinkgelde das Maul gestopft , und so trat Antonelli auf dem Hinterteile des Schiffes auf , die beiden Russen schwammen mit aufgerichteten Häuptern und gespitzten Ohren hinterdrein und die Predigt hob an !
Ihnen nun , liebster W. kann und darf ich es wohl ganz offenherzig gestehen , daß mir diese Predigt gewaltiges Vergnügen machte , und wahrlich ein Cato hatte sich beim Anblicke der bei den Fische des Lachens nicht enthalten können .
Antonelli wußte sie meist von Wort zu Wort auswendig , so wie sie in den gedruckten Lebensbeschreibungen des heiligen Antonius zu finden ist , und was er nicht wüßte ; setzte er aus dem Stegreif hinzu .
Wahrscheinlich haben Sie nie eine dergleichen Lebensbeschreibungen gelesen :
So lesen Sie Benne hier , was ich im Gedächtnis behalten habe , und bewundern Sie ein Meisterstück der frommen Einfalt !
Meine teuersten und geliebtesten Fische !
Die unendliche Macht und Vorsehung Gottes zeigt sich zwar in allen Werken der Schöpfung , im Himmel , an der Sonne , Mond und den Sternen , auf Erden an Menschen und an Tieren : Allein aus euch strahlt die göttliche Güte und Majestät ganz vorzüglich hervor .
Zwar seid ihr Mitteldinge zwischen Steinen und Tieren ; ihr seid in die tiefen Abgrunde der Gewässer eingeschlossen ; ihr seid taub zu hören , stumm zu reden und übel anzusehen :
Allein es liegen in euch die größten Geheimnisse der Gute Gottes , und in der heiligen Schrift wird nie von euch gesprochen , ohne daß jedesmal ein großes Sakrament verborgen war .
Glaubet ihr denn , meine geliebtesten Fische , es sei ohne eine geheime Bedeutung , daß ihr das erste Geschenk seid , was Gott den Menschen machte ?
Glaubt ihr , es steckt da kein Geheimnis dahinter , daß von allen Opfertieren ihr allein ausgenommen wurdet , und daß der Heiland den Tribut , den er dem Kaiser geben sollte , aus dem Munde eines Fisches nahm ?
Alles das sind hohe und erhabene Geheimnisse , die euch ganz vorzüglich zum Lobe und Preise des Schöpfers auffordern !
Bedenket ferner die großen und mannigfaltigen Wohltaten , die ihr genießet .
Ihr habet in eurem Elemente die prächtigsten Wohnungen , Höhlen , Grotten , trotz königlichen Sälen ; Weder die Kälte des Winters , noch die Hitze des Sommers fällt euch im mindesten zur Last ; Der Himmel mag heiter sein oder nicht , das ist euch völlig einerlei ; Eben so wenig rührt es euch , ob Überfluß oder Mangel und Not auf Erden ist ; Bei Donner und Regen , bei Blitz und Erdbeden lebet ihr in ununterbrochener Ruhe und Sicherheit !
Und welchen unendlichen Vorzug vor allen übrigen Geschöpfen genosset ihr nicht damals , als der Schopfe die allgemeine Sündflut einbrechen ließ ?
Alles starb , alles ging unter , was außer der Arche war : Ihr allein nahmt an der allgemeinen Verwüstung keinen Anteil !
Alles dieses fordert euch höchlich zur Dankbarkeit und zum Lob und Preise Gottes auf .
Weil aber eure Zunge nicht sprechen kann , weil eure Lippen von Natur stumm sind , so Gebet wenigstens irgend ein anderes Zeichen eurer Gesinnungen , was in eurem Vermögen steht !
Der Legende zu Folge , bückten die Fische nach dieser angehötten Anrede ihre Häupter sehr ehrfurchtsvoll , und statt daß wir anderen mit den Händen Beifall klatschen , klatschten sie ihn mit den Schwänzen .
Die beiden Russen machten das getreulich und in Karikatur nach , zu sichtbarem Verdrusse des Schiffers , der ihnen davor mit dem Zorn und der Rache des heiligen Antonius drohte !
Ein neues Trinkgeld aber , und die Versicherung , daß alles bloß purer lauterer Spaß sei , besänftigten ihn raliter qualiter wieder , und bis Pädua , hin fiel denn auch weiter nichts vor , was dem Schiffer oder dem Heiligen oder engend jemanden ein gegründetes Ärgernis hätte geben können .
Unter allen diesen und noch mehreren Possen und Poschen die wenigstens das Gute an sich hatten , daß uns die Zeit keinen Augenblick lang wurde , kamen wir gegen Abend in Padua an , und quartierten uns im Gasthofe al sole ein .
Es war schon zu spät , noch etwas ordentliches vorzunehmen :
Also las ich bloß noch ein paar Stunden in einer ulten descrizzione della chiefa di Sa. Giustitia Padova , die mir der Wirt lieh , und schlief dann flugs und fröhlich ein .
Einer meiner ersten Gänge den folgenden Morgen war denn natürlich in die Kirche des heiligen Antonius , oder des Santo schlichtweg , wie ich ihn hier überall nennen höre .
Ich konnte anfangs nicht begreifen , wie er vorzüglich zu diesem Ehrennamen käme : Allein die vielen Wunder , die man ihm beflegt , und die in einer Menge von Gemälden jedermann zur Schau da stehen , sind wohl vermutlich die Hauptursache davon .
Ich habe allein fünf Auferweckungen von den Toten gezählt , ohne die anderen Wunder zu rechnen :
Als z.B. einen Esel , der sich vor dem Heiligen auf die Knie niederwirft ; einen ungläubigen Ketzer , der ein Glas am einen Stein wirft , um des heiligen Anteius zu spotten :
Allein siehe da , der Stein zerspringt , und das Glas bleibt ganz !
Sonst hat das ganze Gebäude ungemein viel Ähnliches mit unserer Markuskirche : Allein der hiesige Hauptaltar übertrifft an Pracht und Kostbarkeit bei weitem den Markusaltar , und alle das Silber , Gold und die Juwelen die Arbeit eingeschlossen , durfte wohl nah an eine Million am Werte sein :
Ungleich reizende und modernen an Bauart ist der Dom und die Justinenkirche , in welchen beiden ich mehrere Stunden zubrachte .
Noch mehr aber setzte mich den große Gast auf dem Rathause in Erstaunen !
Mein Freund und Lehrer Temanza hatte mir ihn bereits als ein Meisterstück der Baukunst Gelobbriesen , und mir viel vom Ferracina erzählt , einem eben so großen Genie für die Mechanik , als unser deutscher Pfarrer Hahn in Schwabenland , der auch schon im achten Jahre Beobachtungen über den Lauf des Schattens anstellte , im dreizehnten Sonnenuhren machte , im siebzehnten Tubas , Microstope , Sprachröhre zc . , der so lange in Tübingen als Student Wasser und Brot aß , bis er sich so viel erspart hatte , um eine , Taschenuhr zu kaufen und ihren Bau zu studieren !
- Unglücklicherweise war Ferracina nicht am Orte , ob er gleich eigentlich in Papua zu Hause ist .
Dagegen hätte ich das Glück einen anderen , auch nicht wenig berühmten Mann inter den hiesigen Professoren kennen zu lernen , den Dottore Toaldo .
Dazu verhalf mir ein hiesiger Student , der , glaube ich , in seiner einzigen Person alle die ehemalige Unartigkeit und Wildheit wieder gut machen will , die die hiesigen Studenten sonst an sich hatten :
Denn er redete mich auf die höflichste Art von der Welt auf der Straße an , und bot mit von freien Stücken als einem Fremden seine Dienste an .
Ich nahm sie denn natürlich mit großem Danke an , und so führte er mich unter anderen , wie schön gesagt , zu Toaldo .
Wenn der Mann alle die großen und neuen Ideen , die er in seinem Kopfe brütet , ausführen kann , wenn Vorurteil , Kollegenneid und Verfolgung , und Undankbarkeit seines Zeitalters ihn nicht von seinen mühsamen Beobachtungen über die Witterungslehre abschrecken , so könnt es kommen , daß er in dieser dunklen Gegend der Physik als der Schöpfer eines neuen Lichts in das Buch der Unsterblichkeit eingezeichnet würde .
Auch für Sie , als Kaufmann , ist der Mann wichtig ; denn seine Projekte gehen stark mit auf Schiffahrt !
Mündlich ein mehreres , von seinen Gewitterableitern durch die er dem Blitz und Donner gebieten kann , gerade dahin zu schlagen , wo er es haben will !
Es ist nun Zeit , daß ich wieder einmal zu meinen Reisegefährten zurückkehre , deren ich in Padua noch mit keiner Silbe erwahnt habe .
Als ich des Morgens ausging , schliefen sie noch alle drei eisenfest , denn sie waren den Abend nach unserer Ankunft noch aufs Kaffeehaus gegangen , und sehr spät nach Hause gekommen .
Nachdem es schon hoch am Tage war , hatten sie den ersten Schritt getan , um einige Gemälde in den Kirchen und Klöstern zu besehen ; Auch trafen wir uns einmal , schieden uns aber gleich wieder .
Den Nachmittag waren sie ebenfalls , ich weiß nicht wo , herumgestrichen : Den Abend aber fanden sie sich bei guter Zeit in unserem Quartiere ein , um einen neuen erzkecken und verwegenen Streiche zu machen , der ihnen aber nach Verdienst belohnt wurde .
Einer von den Russen hatte von ungefähr ausgegattert , daß gerade unserem Quartier gegenüber ein junger Türk wohnte , der sich Studirenshalber auf der Universität aufhielt .
Sogleich wurde von dem ganzen Kleeblatte beschlossen , diesen Türken aufs äußerste zu verirren :
Denn unsere beiden Russen waren gegen die türkische Nation so abscheulich erbittert , daß ich noch nirgends den Nationalhaß so weit habe treiben sehen .
Sobald also der junge Türk von seinen Kollegen nach Hause gekehrt war , machten meine würdigen Herrn Reisegefährten alle Fenster auf und fingen an , aus vollem Halse ein Lied auf die Schlacht bei Tschrsme anzustemmen Dieganze Straße haleewieber don demoft überholten * Worte Tschesme und Turchi , und der Herr Nachbar gegen über hätte taub sein müssen , um durch dieses Geschrei nicht wenigstens ans Fenster gelockt zu werden .
Sobald er sich hier zeigte , sangen ihm die beiden Russen kühn gerade ins Gesicht ; Er , voll Zorn über diese Beleidigung , rief mehrere seiner Kommilitonen zusammen , und viele fanden sich auch sehr bald von selbst ein , so daß auf der Straße ein förmlicher Aufstand war .
Antonelli , nicht eben der herzhafteste , fing jetzt an , verzweifelt bange zu werden :
Den Russen aber war dieser Aufstand eben recht , und sie machten alle Präparatorin , wenn es zur Prügelei kommen sollte , sich ihrer Haut aufs tapferste zu wehren , riefen auch immer noch zum Fenster hinaus Tschesme und Russi bravissimi , Turchi Canaglie Se. Plötzlich aber wurde den beiden kriegenden Parteien ein mächtiges Silentium imponiert !
Die Herren Studiosi erhielten von ihrer Obrigkeit Befehl , ruhig und still nach Hause zu gehen , und im Gasthofe al sole erschien ein Gerichtsdiener des zeitigen Statthalters Vallaresse mit der donnerten Order , in Zeit von einer halben Stunde sollten die Tumulanten die Stadt räumen , oder widrigenfalls in Ketten und Banden ins Gesingniß geworfen werden !
Während alle dieses Lärms war ich auf einer ganz anderen Seite der Stadt gerade bei Evaldo und erfuhr nichts eher , als weil ich du von ihm nach Hause kam .
Da fand ich denn Antonelli der , just mit dem Wirte zusammenrechnete und ihn holterpolter bezahlte .
Bei einem Haare wäre es zwischen ihm und mir auch zu Händeln gekommen , denn der Narr behauptete schlechterdings , daß ich in der Order des Statthalters auch mit begriffen wäre , und ebenfalls die Stadt räumen müßte .
Wie und warum es aber ohne Händel abging , das lassen Sie sich nur Freund Schrötern detaillieren !
Der wußte ja während seiner Krankheit so viel von eine , gewissen Olympia Antonelli zu erzählen :
Ohne Zweifel also wird er mir jetzt wieder nachsagen , daß ich dem Bruder bloß um der Schwester Willen verziehen habe .
Aus eben dieser Quelle wird er es sicherlich auch herleiten wollen , daß nachdem ich Antonelli ein für allemal erklärt , daß ich diese Nacht hier in der Stadt bliebe , allein den folgenden Morgen möchten sie mir nur sagen lassen , wo ich sie in der Vorstadt träfe , so würde ich sicher zu ihnen kommen und die weitere Reise mitmachen - daß ich , sage ich , nach dieser Verabredung , mich sogleich geradeswegs zum Statthalter aufmachte , mich bei ihm melden ließ , und auch glücklicherweise angenommen wurde .
Da ich schon einmal vor einem noch höheren Nobile , als Ballaresso ist , blank gestanden habe , so schien ich mich nun ungleich weniger vor diesem .
Ich trug ihm den vorgefallenen Handel , der ihm ohnehin schon ausführlich bekannt sein mußte , kurz und erbaulich vor , bat ihn im Namen der beiden Russen um Verzeihung ihres unüberlegten und ausschweifenden Patriotismus , erwies meine gänzliche Unschuld an dem Handel , ich wollte mir alle Mühe geben , dem beleidigten Türken Satisfaktion zu verschaffen , und da meine Reisegefährten durch die bloße zugeschickte Order , die Stadt zu verlassen , bereits gedemütigt genug wären , Oh Ihre Exdellenz nicht die Gnade haben , und ihnen diesen heilsamen Schreck als Strafe anrechnen wollten ?
Ein , nicht trotziges , aber festes und standhaftes Nein war die Antwort , die ich erhielt .
Meine Reisegefährten erwiderte der Nobile , hätten aus einem blinden Nationalhaß und Stolz die öffentliche Sicherheit beleidiget , und dies erforderte öffentliche Strafe ; In Rücksicht auf ihre Jugend und auf ihre rohen Sitten habe er ihnen diese gelinde Züchtigung zuerkannt , ohne dieses würden sie so leicht nicht davon gekommen sein ; Daß ich an der Sache unschuldig sei , wisse er recht wohl , sonst würde ich unfehlbar mit in der Order begriffen sein ; Ich könnte für meine Person , so lang ich mich ruhig verhielte , in Padua leben und sterben , aber für meine Reisegefährten sei die Stadt auf immer verschlossen ; Übrigens könne er mir seine Verwunderung nicht bergen , daß ich , der ich dem äußern nach so gute Miene machte und nicht danach aussähe , als ob öffentliche Unruhe und Friedensstörung meine Sache wäre , eine so üble Wahl meiner Reisegesellschafter getan hätte .
Auf dieses gütige Kompliment war ich nicht im Stande , ganz rein und offenherzig zu antworten ; Ich dankte also Ihre Exzellenz bloß für Deren gütige Gesinnung , versicherte ihn , daß ich meine Reisegefährten nicht so eigentlich gewählt , sondern durch besondere Umstände mit einem von ihnen verflochten sei etc .
Er bedauerte mich , wünschte mir , daß ich dem Sprichworte zu Folge nicht etwa mit gefangen , mit gehangen werden möchte , und so schied ich , ohne etwas ausgerichtet zu haben .
Den folgenden Morgen bei guter Zeit ließen mir die drei Exulanten par Billet zu wissen tun sie erwarteten meiner vor der Porta Saracina in einem Gärtnerhause .
Ich ging sogleich hinaus zu ihnen , und nahm mir vor , ihnen ein wenig das Gewissen zu rühren : Aber rühren Sie einmal das Gewissen , wo keins ist ! zwar Antonelli war ganz mürbe gemacht , kam mir schon von weitem entgegen , umarmte mich , bat mich um Verzeihung , und daß ich ihn nur nicht verlassen möchte :
Die beiden Russen hingegen waren die alten ausgelassenen Menschen !
Der Schimpf , aus Padua relegiert zu sein , war ihnen ein äußerst lustiges Abenteuer , das sie um viel Geld nicht hätten missen wollen ; Sobald sie nach Venedig zurückkämen , wollten sie aus dieser Geschichte ein Gemälde zusammensetzen , und es an ihre Freunde nach Rußland schicken ; Alle Wände hatten sie mit russischen Inschriften geziert , die wahrscheinlich keine Lobreden auf den sehr wackeren Statthalter sein mochten .
Bei dieser Disposition der Gemüter wäre es wohl albern gewesen , nur eine einzige vernünftige Vorstellung vorzubringen :
Ich sagte ihnen also bloß ganz ernsthaft und trocken , wenn ihnen daran gelegen wäre , daß ich und Antonelli uns nicht auf der Stelle von ihnen trennten , so sollten sie mit Hand und Mund versprechen , keinen Hund , geschweige denn einen Menschen mehr vorsätzlich zu beleidigen .
Da sie uns nun nicht entbehren konnten , weil es um das Italienische noch gar zu windig aussah , so versprachen sie das ; bedungen sich aber dagegen aus , vor wie nach ihren unschuldigen Spaß , wie sie es nannten , treiben zu dürfen .
So gern ich mich nun noch einige Tage in Padua aufgehalten hätte , so mußt ich mir_es doch schon gefallen lassen , daß wenn wir noch diesen Tag ein Fuhrwerk nach Vicenza auftreiben könnten , wir unsere Reise weiter fortsetzten .
Mittag über Tische erhielt ich Nachricht , es hätte sich eine Gelegenheit gefunden :
Sonach bezahlte ich meine zeche , und damit hinaus vors Tor !
Sie können leicht denken , daß ich eben nicht sehr lustig und guter Dinge war : Allein hätte auch aller Welt Zorn und Unmut in meiner Seele gekocht , so hätte ich ihn den Augenblick weglachen müssen , solch einen originalen und tollen Schnörkel hatten die drei inkorrigiblen Wildfänge wieder ausgesonnen !
Es war den beiden Russen eingefallen , daß wir die kleinen 12 Meilen * ) bis Vicenza ganz füglich zu Fuße machen könnten :
Weil wir aber einige Bagage , obwohl wenige , bei uns hatten , so hatten sie - für 3 Zechinen - einen alten Maulesel gekauft , der eben noch so viel Kraft zu haben schien , das bißchen Last auf seinem Rücken bis Vicenza fortzuschleppen , und dann von dieser Welt Abschied zu nehmen .
Solch eine arme , magere , abgeprügelte und abgeschundene Bestie ist mir noch nie vor Augen gekommen !
Und nun , kein eigener Führer dazu , sondern die beiden Russen hatten es sich schon ein für allemal ausbedungen , sie allein , und weder ich noch Antonelli , sollten die Ehre haben , ihn zu führen .
Das kam denn auch richtig zu Stande :
Denn alle meine Einwendungen wurden damit entkräftet , daß dies bloß ein kontraktmäßiger unschuldiger Spaß wäre , der niemanden beleidigte .
Wie es nun mit dieser Eselsfahrt abgelaufen ist , wie wir die Nacht in einer Herberge zubrachten , die wo möglich noch tausendmal elender war , als der Esel , was meine Reisegefährten der ganz unglaublich leichtgläubigen und * ) Italienische nämlich , deren vier eine deutsche machen . einfältigen Wirtin für ein Märchen von diesem Esel aufhingen , wie Przyluski den Esel öffentlich auf dem Markte in Vicenza verkaufte etc .
Dies alles behalte ich mir vor , Ihnen mündlich zu erzählen , oder lieber nicht zu erzählen , wenn Sie sich nicht etwan einmal ganz absonderlich aufgelegt fühlen , über eine Kuppel Narren zu lachen !
Bald kehre ich nun zu Ihnen zurück , und wie ich hoffe , ganz und unversehrt .
Tausend Grüße etc . zehnter Brief .
Mein bester Meier !
Am Himmelfahrtsabende. 72 Der große festliche Tag , des ganz Venedig und viele tausend Fremde lange zuvor mit Ungeduld harren und lange hinterher mit Entzücken sich erinnern , ist nun vorbei .
Ich habe gesehen und gehört , was ich sonst bloß lesen konnte :
Das bloße Lesen riß mich hin , was hätte erst das Schauen tun müssen ?
Aber nein , liebster Meier !
So wenig Anteil an alle der vielen Pracht und Schönheit hat wohl kein einziger genommen , wie ich .
Wie ?
War sie vielleicht der Rede nicht wert ?
Haben die Reisebeschreiber etwa vergrößert ?
O nein , eher haben sie zu schwach gemalt , und welche Worte wären auch im Stande , das , was mir gerade noch am besten gefallen , das Wettrennen der Gondeln auszudrücken : Allein , müssen nicht alle , auch die schönsten Gegenstände weit umher schwarz und dunkel werden , sobald der Mond sein sanftes Licht hinter eine undurchdringliche Wolke verbirgt ?
Und wenn nun die Heiterkeit meiner Seele mit einer Wolke von Gram und Schwermut umhüllt ist , kann mir wohl irgend etwas schön und reizend sein ?
In wenig Tagen scheid ich von hier , und nie , nie - ach es zittert und schaudert mir durch alle meine Gebeine , und dieser Brief an Sie wird naß von meinen Tränen bei Ihnen ankommen - nie , nie sehe ich meine Olympia Antonelli wieder !
Es ist heraus , das lang bewahrte Geheimnis !
Es geschieht nicht freiwillig , daß ich es Ihnen jetzt entdecke :
Sondern nur Schmerz dringt mir_es ab !
Ich muß , ich muß einen Vertrauten haben , in dessen Busen ich die ganze Fülle meiner Empfindungen ausschütte :
Und der sollen und können nur Sie sein !
Aber fürchten Sie nichts , bester Lehrer !
Sie gaben mir einst schwere , fürchterliche Warnungen vor der außerehelichen Liebe !
Ich habe sie übertreten , und dennoch aufs heiligste beobachtet !
Ich habe geliebt - Nein , dies Wort ist zu schwach !
Wer liebt nicht ?
Wer glaubt nicht zu lieben ? -
Olympia Antonelli war und ist mir das auf Erden , was mir Gott im Himmel ist !
Schließt dieser Gedanke nicht schon alles Böse und Strafbare der Liebe aus ?
Also , mein Teurer , von dieser Seite sein Sie sicher , und rechnen Sie fest darauf , daß Olympias Bild auch noch ferner und immer mein Leitstern zur Tugend und Enthaltsamkeit sein wird .
Aber wo soll ich nun anfangen ?
Wo reden ? -
Doch still , welcher Anfang könnte natürlicher sein , als der : Sehen Sie hier dies Bild , was ich für Sie beilege ! zwar unendlich tief unter seinem Originale ; nur ein schwacher Schatten dieses himmlischen Gesichts : Allein ist nicht ihr erstes Urteil dies , hier ist mehr als gemeine Menschlichkeit !
Diese Augen haften nicht an den eitlen Vergänglichkeiten dieser Welt !
Die Heiterkeit , die auf dieser Stirn sitzt , kann nur in Religion und Tugend ihre Quelle haben !
Diese Lippen sind zu heilig , um von irdischem Munde geküßt zu werden !
Nur die stillen Mauern eines Klosters können für diesen Engel ein würdiger Aufenthalt sein :
Denn welcher Mann wäre vermessen genug , ihr seine Hand zu bieten ?
Sehen Sie , so müssen Sie urteilen , der Sie durch Philosophie und durch Ihr kälteres Alter jetzt der Schwärmereien der Jugend unfähig sind : Wie sollte mir nun erst zu Mute sein , als ich dieses Muster aller weiblichen Vollkommenheit vor mir sah , als ihr Auge , halb niedergeschlagen , halb mitleidig auf mich gerichtet , die Verwirrung bemerkte , die ihr unwiderstehlicher Reiz bei mir anrichtete !
Der acht und zwanzigste Oktober vorigen Jahres war der mir heilige und unvergeßliche Tag , da ich sie zuerst in ihrem Kloster erblickte .
Acht Tage vorher hatte ich zufälligerweise ihren Bruder kennen lernen , als ich in der Franziskanerkirche i Frari das Grabmal des großen Titians besuchte , und , wie sehr natürlich , mich einiger warmen und herzlichen Ausrasungen zu seinem Lobe nicht enthalten konnte .
Antonelli schloß daraus , ich sei Maler von Profession und zwar vorzüglich in Titians Geschmacke , in dem er ebenfalls arbeitete ; Er brachte sich mir also von freien Stücken , als einen Mitbruder in der Kunst dar , und ob ich ihn gleich über diesen Punkt aus seinem Irrtum reißen mußte , so blieb doch unsere Bekanntschaft .
Er kam sehr bald mich zu besuchen ; ich tat ein gleiches bei ihm , und ob ich gleich gegen seinen moralischen Charakter und gegen seine leichtsinnigen Äußerungen über Religion und Tugend viel einzuwenden hatte , so war er doch ein so geschickter junger Mann in seinem Fache , daß ich , um von dieser Seite zu profitieren , gegen die andere ein Auge zudrückte .
An diesem unvergeßlichen Tage nun , fiel es ihm ein , mich abzuholen , um seine Schwester kennen zu lernen , wie ich Ihnen , glaube ich , schon geschrieben habe .
Wo mir recht ist , scherzt ich auch damals gegen Sie , daß sich hier vielleicht eine Liebesintrige anspinnen könnte :
Aber , setzt ich hinzu , ich wollte mich davor schon hüten !
O du hast dich trefflich gehütet , stoischer Wilhelm Blumental !
Doch welch ein Herz müßte auch das deinige gewesen sein , wenn du gegen eine Olympia hättest unempfindlich bleiben können ?
Auf dem Hinwege zwar macht ich mir von ihr eine sehr schlechte Vorstellung :
Und wie konnte ich anders ?
Ein Bruder ist nie der Mann , von seiner Schwester eine richtige Idee zu geben , und Antonelli vollends hatte den Kopf von ganz anderen Bildern voll , als von Olympias Reizen zu reden .
Er unterhielt mich bloß von seiner Agnes , die in eben dem Kloster war ; versicherte mich , daß er mit ihr dicke dran wäre , und wenn nur die verdammten Gitter nicht wären .
- Hier konnte ich mich nicht enthalten , ihn ganz höhnisch zu fragen , ob seine Schwester auch der Meinung von den verdammten Gittern zugetan wäre ?
" Gott behüte , gab er mir zur Antwort !
Die ist mit Leib und Seele Nonne , und schlägt das Kreuz vor einem Liebhaber wie vor dem Teufel !
Wenn ich alle die Predigten wollte drucken lassen , die sie mir schon gehalten hat , dann könnte Pasquali was hübsches dran verdienen !
Nehmen Sie sich in Acht , sage ich Ihnen :
Da ist Hopfen und Malz verloren !
Wenn Sie sich sonst verlieben wollen , ich will schon Rat schaffen , im Kloster und außer dem Kloster :
Aber bei meiner Schwester , das ist glatt unmöglich !
" Dieser Tadel aus Antonellis Munde prägte mir zuerst Achtung für Olympiern ein , und schon bat ich ihr in Gedanken meine hämische Frage de- und wehmütig ab .
Allein ich sollte noch auf eine empfindlichere Art davor bestraft werden :
Denn als wir nun ins Sprachzimmer traten , als Olympia und Agnes erschienen , und Antonelli mich seiner Schwester vorstellte - Nein , kein Pinsel mahlt , keine Feder beschreibt , keine Zunge spricht , was ich da empfand !
Schon manchmal hatte ich vor einem reizenden weiblichen Gesichte von Raphael , Correggio , Tizian , Guido Reni , Albani , Tintoret .
Paul Veronese und anderen mit süßem Entzücken gestanden , und bei mir selbst gesagt :
Wenn dir je ein solches Gesicht in der Natur vorkäme ( aber es ist nicht , es kann nicht sein !
) dann , armer Wilhelm , wäre dein Herz in der äußersten Gefahr !
Nunmehr war diese vermeinte Unmöglichkeit möglich und wirklich geworden :
Olympia stand vor mir und mit ihr alle Tugend des Himmels , so weit sie nur irgend in dem Antlitz eines Sterblichen sichtbar sein kann ! -
Für so gar schwach , meiner Leidenschaft so gar wenig Herr , werden Sie mich nun wohl nicht halten , daß ich etwa gleich aufs erste Wort mit einem ungeschickten Liebesgeständnisse hätte losplatzen sollen !
Vielmehr nahm ich meine äußersten Kräfte zusammen , um meiner Sinne wieder mächtig zu werden , und mit Olympia ein kleines Gespräch zu unterhalten , wie es gewöhnlich zwischen ein paar steinfremden Menschen vorfällt .
Sie fragte mich nach meinem Vaterlande , nach meinen Eltern , nach meiner Religion , wie es mir in Venedig gefiele etc .
Sie erzählte mir , daß ihr Vater mehrmals in Deutschland gewesen wäre , und von unserer Nation viel Gutes gerühmt hätte ; Auch erinnerte sie sich , Signora Wagner und Franziska gesprochen zu haben , und wünschte mir Glück , in einem so guten Hause zu sein .
Der tragische Tod meiner Mutter , den ich ihr nicht ohne nasse Augen erzählen konnte , lockte auch in die ihrigen Tränen , und sie erzählte mir wiederum , daß sie ebenfalls eine Vater- und Mutterlose Weise wäre :
Aber , setzte sie hinzu , ich bin darum nicht verlassen ; Gott ist mein Vater , und die heilige Jungfrau meine Mutter !
Dies Sentiment , ohne alle Affektation von Scheinheiligkeit , aber mit Würde und inniger Überzeugung gesagt , hätte vollends die Niederlage meines Herzens beendiget , wann sie nicht bereits geschehen wäre !
Auch konnte ich mich nicht enthalten , ihr wenigstens beim Weggehen so viel zu sagen , daß ich sie , ganz von der reinsten Achtung und Ehrerbietung durchdrungen , verließe , und ich hoffte , sie würde dies Opfer deswegen nicht verschmähen , weil es aus dem Munde eines Protestanten käme , denn in der Verehrung und Ausübung der Tugend suchte ich aus allen Kräften einem jeden rechtgläubig katholischen Christen nachzustreben !
Ein unaussprechlich holdes Lächeln belohnte mich für diese Versicherung , sie dankte mir für meine nur zu gute und zu hohe Meinung , und bat mich , den Umgang mit ihrem ( etwas leichtsinnigen Bruder , sagte sie ganz leise ) ja fortzusetzen :
Denn er könnte ihm nicht anders als nützlich sein !
Von Stunde an widerfuhr mir , was Sie mir einmal , liebster Meier , wenn Sie sich noch erinnern , auf Ihrem Studierzimmer vorhersagten !
Wo ich ging und stand , las und schrieb , wachte und träumte , verfolgte mich - doch welch ein häßliches Wort Gebrauch ich da ? -
Ich wollte sagen , war das Bild meiner Olympia stets um mich !
Meine Augen waren auf das Buch , und mein Geist auf dies Wunder der Schönheit und Frömmigkeit gerichtet !
Bald fing ich an , deshalb mit mir selbst unzufrieden zu werden , und in einem Anfalle von Unmut stieß ich den Wunsch aus , daß ich diese unglückliche Bekanntschaft , die mir meine Ruhe raubte , nie gemacht haben möchte :
Aber auch eben so geschwind nahm ich diesen Wunsch zurück , und wer mir das Bild der Olympia aus meinem Herzen hätte rauben wollen , hätte sich erst mit mir bis aufs Blut schlagen müssen !
Die eine Nacht aber , wiewohl ich alle Nächte von ihr träumte , hatte ich eine fürchterliche Erscheinung .
Es kam mir vor , ich besuchte Olympiern , wie das erstemal .
Anstatt aber , daß sie hinter dem Gitter stand , sah ich sie auf dem Boden - tot ausgestreckt liegen .
Mit der Wut einer Löwin , der ihre Jungen geraubt sind , packte ich mit beiden Händen das Gitter , und riß und schüttelte so fürchterlich daran , um mir eine Öffnung zu machen , daß ich nicht bloß mit Schrecken und Entsetzen und mit kaltem Schweiße vor der Stirn aus dem Schlafe auffuhr , sondern auch durch mein ängstliches und durchdringendes Geschrei meinen Schlafkompagnon Schröder weckte .
Schröder nun ließ sich sehr bald durch meine Versicherung beruhigen , daß ich bloß einen schrecklichen Traum gehabt hätte - von meiner Mutter :
Aber ich selbst geriet dadurch auf die ernsthaftesten Überlegungen .
Nein , sagte ich zu mir selbst , das kann , das darf nicht länger so bestehen !
Eher will ich Venedig heute noch verlassen , als über dieser unglücklichen , obwohl auf den würdigsten Gegenstand gerichteten Leidenschaft den ganzen Endzweck meiner Reise aufgeben ! Vorher aber will ich alle Kräfte anstrengen , meiner Gedanken und Einbildungskraft wieder Herr zu werden : Übrigens , nie wieder einen Schritt ins Kloster !
Entschlüsse , die wirklich ernstlich gemeint sind , gehen unfehlbar von statten !
Das erfuhr ich jetzt .
Noch den nämlichen Tag gelang es mir schon ungleich besser , ununterbrochen meine Geschäfte zu verrichten .
Auch schlug ich es Antonellin das erstemal richtig ab , ihn zu seiner Schwester zu begleiten , indem ich einen notwendigen Gang zu Temanza vorgab .
Allein wenig Tage , so kam er wieder und überschüttete mich mit einer Menge von Windbeuteleien von seiner Schwester , die er aus einem ganz dünnen Faden der Wahrheit sehr breit und lang ausgesponnen hatte .
Wohl hundertmal , sagte er , hätte sie seit meinem ersten Besuche nach mir gefragt , was ich machte , wie ich mich befände , und ob ich krank oder gesund wäre , und daß das gar nicht galant wäre , sich ein einzigesmal sehen zu lassen , um nicht bald wiederzukommen :
Und das hätte er nimmermehr gedacht , daß es mir noch gelingen sollte , das Herz seiner prüden Schwester zu zähmen .
Für alle diesen Wischiwaschi hatte ich nun ganz und gar kein Ohr ; Da er mir aber bog mit vielen Schwüren beteuerte , sie hätte wahr und wahrhaftig , und das recht herzlich nach mir gefragt , so fragte ich ihn meinerseits wieder , ob er es wohl auf sich nehmen wollte , ihr meine schriftliche Antwort auf ihre gütige Nachfrage einzuhändigen , weil ich leider zum zweitenmal verhindert würde , ihr persönlich aufzuwarten ?
Er versprach mir das ehrlich , und so ließ ich ihn von mir , um alle meine Gedanken und Sinnen zusammenzufassen und - an Olympiern zu schreiben !
Lesen Sie hier die Kopie , aber vergessen Sie nicht , daß man dann gerade nicht am besten schreibt , wenn man am meisten an der Feder kaut , um es recht schön zu machen .
Würdigste Schwester Olympia Antonelli !
" Ihr Bruder hat mich mit der höchstangenehmen Nachricht erfreut , daß Sie sich meiner erinnert , und sich nach meinem Befinden erkundigt haben .
Wäre Ihr himmlischer Geist nicht zur Zeit noch mit einem irdischen Körper umgeben ; hätten Sie von dem Augenblicke an , da mich das Schicksal so hoch beseligte , Sie kennen zu lernen , nur ein einzigesmal unsichtbar um mich schweben und meine geheimsten Gedanken und Empfindungen beobachten können , so würden Sie alles das bereits wissen , was ich jetzt sehr verlegen bin Ihnen zu entdecken , aus Furcht , Sie auch nur auf die entfernteste Art zu beleidigen .
Und doch , was würden Sie von mir urteilen müssen , wenn ich nach dem einmal genossenen Glücke Ihrer Unterhaltung nicht mit der heißesten Begierde die Erlaubnis ergriffe , Sie noch ferner zu sehen und zu sprechen ?
Hören Sie also , und beben Sie nicht zurück vor einem Geständnisse , bei dem ich mir auf das lebhafteste Ihres heiligen Gelübdes und Ihres ganzen Wertes bewusst bin .
" Das , was ich noch nie empfunden habe , das , wovor mich der Lehrer und Bilder meiner Jugend auf das heiligste gewarnt hat , so lang ich nicht im Stande wäre , mit meinem Herzen meine Hand zu bieten :
Das hat mich Ihr erster Anblick empfinden gelehrt !
Die unaussprechlichste , feurigste , die ganze Seele füllende Liebe !
Unmöglich konnte meine Verwirrung Ihrer Aufmerksamkeit entgehen : Allein Ihr von aller irdischen Leidenschaft freies Herz schrieb sie ohne zweifel irgend einer anderen Ursache zu .
Sondern Sie indes , ich beschwöre Sie , von dieser Liebe alle niedrigen und ungeistigen Wünsche und Begierden ab :
Ihr himmlisches Auge , voll edler Scham und Keuschheit , würde glaube ich diese Begierden auch bei dem frechsten Wollüstlinge ersticken ; Mich aber hat meine Religion sehr früh gelehrt , sie durch den Gedanken an Gott , durch Arbeit , und durch Vermeidung der Gelegenheiten im Zaume zu halten .
Was ich gegen Sie fühle , ist nichts als die lauterste Hochachtung und Verehrung für die Vollkommenheiten Ihres Geistes und Herzens , die nur derjenige nicht auf den ersten Blick in Ihnen entdecken kann , der selbst ganz und gar keine besitzt .
Ihr Gesicht , obschon ein Raphael sich darum wieder lebendig wünschen möchte , um es zu malen , wirkt dennoch nicht weiter auf mich , als in sofern es der Spiegel Ihrer Seele ist !
Wären Sie auch die häßlichste Ihres Geschlechts , ich liebte Sie darum nicht minder , obwohl vielleicht später .
Und nun , wozu sage ich Ihnen doch wohl dies alles ?
Will ich vielleicht einen zwar unendlich schweren , aber doch nicht ganz unmöglichen Versuch wagen , Ihr Herz seinem feierlichen Gelübde der Keuschheit abtrünnig zu machen ?
Dann sei ich des Glückes nicht wert , Sie gesehen zu haben ; Mein Andenken sei aus Ihrer Seele verbannt , und kein tugendhaftes Mädchen würdige mich einst Ihrer Hand !
Nein , teuerste Olympia !
Selbst dann , wenn keine heilige Mauer Sie von der Welt trennte , würde ich Sie nicht eher um Gegenliebe flehn , bis ich durch Fleiß und Arbeit im Stande wäre , Sie auch äußerlich , wo nicht glücklich , doch zufrieden zu machen .
Ich will einzig und allein meinen Charakter und mein Verfahren bei Ihnen rein waschen ; und wenn das erstemal daß ich Sie sah , auch zugleich das letzte ist , so wissen Sie dann , daß bloß die überschwengliche Liebe der einzige Bewegungsgrund ist .
Ich fliehe Sie , um die Pflicht nicht zu verletzen , die ich auf mir habe , aus einem fleißigen Jünglinge ein brauchbarer Mann zu werden !
Wären meine Lebensgeister nicht so feurig , könnt ich Sie mit kälterem Blute sehen und sprechen , o wie wollt ich nach jedem Augenblicke geizen , mich mit Ihnen zu unterhalten !
Dennoch wird und soll Ihr Andenken und Ihr Bild nie aus meinem Herzen kommen , und wird irgend einmal ein Spötter Ihres Geschlechts gegen mich auftreten , und an der weiblichen Tugend zum Ritter werden wollen , dann werde ich ihm Ihren Namen nennen , und er wird beschämt schweigen müssen .
Mit diesen Gesinnungen , die ich nie ändern werde , empfehle ich Sie , teuerste Olympia , Gott und der heiligen Jungfrau etc .
Kaum hatte ich diesen Brief geschrieben und auch Antonelli selbst überbracht , als ich mich geschwind in eine Gondel warf und nach Murano in die Spiegelfabrik fuhr , um mir_es nur ganz aus dem Sinne zu schlagen , was Olympia bei Lesung meines Briefes denken mochte !
Allein nun stellen Sie sich meine Uebereäschung , meine Freude , mein Glück vor , da ich den nächsten Morgen folgende Antwort erhielt :
Liebenswürdiger Fremdling !
" Ob mir gleich Ihr Brief eine Schamröte über die andere abgenötigt hat , so ist doch mein Herz , ich weiß nicht , ob zu gut oder zu schwach gewesen , deshalb auf Sie zu zürnen .
Mit gleicher Aufrichtigkeit , wie Sie gegen mich beobachten , gestehe ich Ihnen ebenfalls , daß Ihr erster Anblick Ihnen meine ganze Freundschaft und Zuneigung erwarb .
Ich habe nach und nach viel männliche Gesichter vor dem Sprachgitter gesehen : Allein mein Bruder wird Ihnen bezeugen können , wie geschwind ich immer nach meiner stillen Zelle floh , und fliehen mußte , wenn ich mich nicht fremder Sünden teilhaftig machen wollte !
Sie aber , lieber Fremdling , benahmen mir zuerst den Gedanken zu fliehen ; Ihr sittsames Auge beleidigte mich nicht mit Blicken , die nur für Buhlschwestern gehören , und kein Wort Ihrer Lippen entfiel Ihnen , das nicht der Allgegenwärtige hätte hören können .
Und wenn Sie , wie Sie mir sagen , mich darum lieb gewonnen , weil Sie mich für eine gute , ihrem Gelübde treue Nonne hielten , wie hätte mir diese Ihre Denkungsart und Ihr Betragen nicht ebenfalls Achtung und Zuneigung einflössen sollen ?
Allerdings also hegt ich , als ich meinen Bruder nach Ihrem Befinden fragte , den Wunsch bei mir , Sie , so lange Sie hier wären , manchmal , und meinetwegen gar oft zu sehen und zu sprechen :
Und nun kommen Sie auf einmal und kündigen mir an , daß ich Sie nie , nie wider sehen und sprechen soll !
Aber glauben Sie mir , lieber Jüngling , Sie sind irrig !
Grade das , was Sie für gefährlich halten , ist das Mittel Sie zu heilen .
Ihr gutes Herz und Ihre lebhafte Phantasie leiht meinem Bilde eine Menge Reize , die nicht aus dem Originale genommen , sondern von Ihnen hineingetragen sind : Sobald Sie das Original näher kennen , werden alle diese Reize verschwinden , und das kältere Blut wird sich sogleich einsenden .
Doch fern sei es von mir , Sie zu irgend einer Abweichung von Ihrer Pflicht , die auch mir heilig ist , verleiten zu wollen !
Ihr Wille ist in diesem Stücke bloß der meinige , und soll ich Sie nicht wiedersehen , so schließe ich Sie von Stunde an in mein feuriges Gebet ein .
Nur diese einzige Bitte : Gönnen Sie meinem Bruder , so lang Sie hier sind , Ihren Umgang und Ihre Freundschaft - doch das ist zu viel gebeten !
Sie verstehen mich !
Ach , Sie sind gegen ihn betrachtet der Rechtgläubige , und er ist der Ketzer ! - Werden Sie aber von hier scheiden , dann möge die heilige Jungfrau , die Sie ja doch auch ehren , Ihre Führerin und Geleiterin sein , und gewiß , ein recht frommes , tugendhaftes und schönes Mädchen wird Sie einst glücklich machen ; Dies wünscht , dies glaubt Ihre aufrichtige Freundin etc .
Nicht wahr , ich sollte mich wohl billig bis an die Fingerspitzen schämen , daß ich irgend einer Christenseele auf der Welt einen solchen Brief zeige ?
Nun so glauben Sie mir denn auch , bester Meier , daß Sie unter allen Christenseelen die einzige sind und bleiben werden , der ich das tue !
Nicht nur bin ich bei Ihnen völlig vor dem Vorwurfe der Ruhmredigkeit sicher , sondern ich setze auch noch besonders als ein Postskriptum hinzu :
Diesen Brief , guter Wilhelm , hättest du nie bekommen , wenn der edle Meier nicht gewesen wäre !
Aber nun , wie sah es denn um meinen Entschluß aus , nie wieder einen Schritt ins Kloster ?
Es sah gerade so aus , wie es aussehen mußte :
In zwei Stunden war ich bei ihr , mochte meinetwegen das Blut kalt oder warm sein !
Es war denn nun von meiner Seite nur mehr als zu warm :
Aber mit welcher himmlischen Beredsamkeit besänftigte Olympia den Sturm meiner Leidenschaft !
Wie wußte sie , indem ich sie immer mehr zu lieben und zu verehren gezwungen wurde , diese Liebe in ein stilles , sanftes Gefühl umzuschaffen , das bloß die Seele füllte , und das Blut seinen gemäßigten gewohnten Gang fortsetzen ließ !
Von der Zeit an sah ich sie alle Wochen zwei : wenigstens einmal , außer wenn sie es sich oder mir als eine Art von Selbstprüfung und Enthaltsamkeit auflegte , uns nicht zu sehen .
Die Stunden unserer Unterredungen wurden zu Augenblicken , und um sie zu verlängern , nahmen wir das Schreiben zu Hilfe , und jedesmal , daß wir uns sahen , wurden auch gegenseitig lange Briefe ausgewechselt .
Alle unsere , auch die allerkleinsten Schicksale unseres Lebens tauschten wir gegen einander aus , und dies setzt mich in den Stand , Ihnen eine Geschichte zu erzählen , die ganz natürlich für mich eine der interessantesten ist , weil sie die Eltern meiner Olympia betrifft , die aber auch für Sie und für jedes empfindende Herz wegen ihrer Sonderbarkeit und wegen ihres tragischen Inhalts , unterhaltend sein muß .
Antonelli hat es nie für gut gefunden , ihrer zu erwähnen , vermutlich aus einer falschen Scham , über die Olympia weit erhaben ist .
Beiher wird Ihnen diese Geschichte den völligen Aufschluß geben , wie Olympia gerade so und nicht anders , ihr Bruder hingegen ganz das Gegenteil ist .
Franz Antonelli , Olympias Vater , war ein sehr geschickter Porträtmaler , aus Battonis Schule .
Ob er auch in Deutschland bekannt ist und in Füßlis Künstlerlexikon steht , weiß ich nicht :
Aber ich habe sein und seiner Gattin Bild von seinem Pinsel gesehen , und danach zu urteilen , machte er seinem Meister , so wie der Meister dem Schüler alle Ehre !
Es würde ihm sehr leicht gewesen sein , in Rom sein Brot zu finden : Allein sein unruhiger und feuriger Geist ließ ihn nicht an einem Orte rasten , und so durchstreifte er fast ganz Italien , auch einen Teil von Frankreich , der Schweiz und Deutschland , malte überall in den großen Städten , Klöstern , und wo man ihn hinrief , und nach der gewöhnlichen Sparsamkeit der Italiener spickte er seine Börse ganz artig mit Zechinen .
Nun weiß ich nicht mehr , in welchem Jahre es war , als er sich in Spoleto , unfern der neapolitanischen Grenze aufhielt !
Hier erhielt er von einem benachbarten neapolitanischen Kavalier eine Einladung , zu ihm zu kommen und seine Tochter zu malen .
Er kam , und was ich gleich voraussetzen muß , als ein junger feuriger Mann von 26 Jahren , schön , lebhaft , voll Witz und munterer Laune , und ebendrein verliebter Komplexion .
Man präsentiert ihm den Gegenstand seines Pinsels , Donna Celestina Dellenoci und sagt ihm , daß sie mit dem Marchese Manfredonia eine Braut sei , und daß die Hochzeit in wenig Wochen vor sich gehen solle .
Er macht sich ungesäumt an die Arbeit , findet aber , daß die Braut über alle maßen traurig und niedergeschlagen ist , und aller zwang , den sie sich antut , eine lächelnde Mine anzunehmen , ist umsonst und vergebens .
Nicht bloße Neugierde , sondern wirkliches Interesse des Herzens treibt ihn an , sich deshalb näher belehren zu lassen , und um Celestinen das Geständnis zu erleichtern , gibt er vor , er könne durchaus nichts kluges malen , ohne ganz allein zu sein und von keinem Besuche gestört zu werden .
Diese Forderung wird ohne Schwierigkeit und ohne Verdacht akkordiert , und nun , nachdem das Fräulein ihren Mann so weit ausgeforscht , um ihn zur Anvertrauung eines Geheimnisses für würdig zu halten , entdeckt sie ihm mit vielen Tränen und Seufzern , daß sie ein Opfer der väterlichen Tyrannei sei ; Sie solle und müsse ein Scheusal von einem Menschen heiraten , den nichts empföhle , als alter Adel und Reichtum , der aber übrigens eine Zusammensetzung von Abscheulichkeiten an Seele und Leib sei .
Vater Antonelli bezeigt darüber sein innigstes Mitleiden , und wünscht nichts mehr , als im Stande zu sein , helfen zu können .
Allmählich entspinnen sich in seinem Herzen ganz andere und kühnere Wünsche !
Obs gleich für einen Bürger nicht recht ist , gegen ein Fräulein Liebe zu fühlen , so kann er sich doch dieses hinreissenden Gefühls nicht erwehren .
Schon ist er im Begriff , sich wenigstens auf eine entfernte Art zu äußeren , als der würdige Herr Bräutigam in Person eintrifft , und auf einige Tage ein Intermezzo macht Antonelli findet ihn ganz so , wie ihn das Fräulein beschrieben , als einen von Unwissenheit und Stolz und Reichtum aufgeblähten Fratzen , den seine itzige Bestrebung , recht galant und verliebt zu tun , vollends gänzlich abgeschmackt und völlig unausstehlich macht .
Auch kommt es zwischen Braut und Bräutigam zu ziemlich lebhaften Zänkereien , die bloß der Machtspruch des Vaters auf der einen Seite , und auf der anderen der Trost , daß sich nach der Hochzeit die Liebe schon einfinden werde , im Stande ist beizulegen .
So bald denn der Herr Marchese nur den Rücken gewandt , und der liebende Maler wieder mit seinem Fräulein allein ist , ( daß die Arbeit , teils mit , teils ohne Vorsatz sehr langsam von statten gegangen , bedarf keiner Erwähnung ) bricht Celestine sogleich mit einem Strome von Tränen los : Retten Sie mich !
Retten Sie mich !
Sie haben nun selbst gesehen : Retten Sie mich !
Hier wagt es denn Antonio , mit allem Feuer eines Liebhabers seinen Antrag zu tun :
Für ihre Hand sei er bereit tausendmal sein Leben dran zu setzen !
Er wolle sie so sicher entführen , daß alles Nachsetzen vergeblich sein sollte , und wenn gleich der Sprung von Seiten des Standes und des Vermögens unermeßlich groß wäre , so hätte er doch ein Herz , das seine Glückseligkeit in nichts setzen würde , als in der Ihrigen .
Welche neue Verlegenheit für das arme Fräulein !
Ein junger , hübscher Mann , auf den man ein Pasquill machen würde , wenn man seine schlechteste Eigenschaft mit Manfredonias bester vergliche , bietet Hilfe und Rettung :
aber wie viel Abgründe und Gefahren von allen Seiten !
Wenn nun die Entführung misslänge !
Und wenn sie gelingt :
Ewig ausgeschlossen aus dem Schosse der Familie ; nicht bloß ausgeschlossen , auch verfolgt , oder Manfredonia müsste nicht er selbst sein !
Und wer steht für Antonellis Ehrlichkeit und Treue ?
Sein Gesicht ?
Seine Reden ?
Seine Schwüre ?
Tausend Mädchen sind dadurch hintergangen worden , und die traurigste Ehe wäre dann doch noch ein Himmelreich , gegen Entführung , Verführung und dann Verlassung !
- gesetzt aber , Antonelli meinte es ehrlich , wäre niedrig und arm bei ihm und mit ihm nicht unendlich besser , als vornehm und reich mit dem abscheulichen Manfredonia ?
Übel ist von allen Seiten :
Es fragt sich bloß um das Kleinere !
Während daß diese quälenden Überlegungen an dem Herzen der armen Celestina nagten , und Antonelli ihr , so oft er konnte , mit der siegenden Beredsamkeit der Liebe zuflüsterte , ein Herz zu fassen , seiner Ehrlichkeit zu trauen und sich doch bald , bald zu entschließen :
Während dessen fügte es sich , daß über Tische die Rede von ungefähr auf die berühmte Geschichte der Bianca Capello kam .
Die neapolitanischen Edelleute sind eben keine großen Historiker , und auch Celestina besaß mehr einen offenen gesunden natürlichen Verstand , als erworbene Bücherkenntnisse .
Vergleichungsweise also war Antonelli , der viel Welt und Leute gesehen , und aus Büchern und im Diskours eine Menge Sachen aufgelesen hatte , hier eine Art von Polyhistor , und als er sich erbot , diese romantische Begebenheit ganz ausführlich zu erzählen , klatschte man ihm schon im Voraus Beifall entgegen .
Nun erraten Sie leicht , daß Antonelli , wenn ihm der Kopf auf dem rechten Fleck saß , diese Geschichte ganz füglich als ein kräftiges Triebrad gebrauchen konnte , den schwankenden Entschluß seiner Schönen zu bestimmen !
Alles paßte auf das genaueste , Zug vor Zug !
Bianca steigt von einer fürstlichen Würde herab und gibt ihr Herz und ihre Hand - einem Kaufmannsdiener !
Sie verläßt ihr väterliches Haus , und folgt ihrem getreuen Bonaventuri , zwar durch tausend rauhe Pfade , aber die Entführung gelingt doch und die Liebe siegt zuletzt .
Kurz , diese Erzählung wirkte so sichtbar auf Celestinen , und sie nahm so herzinniglichen Anteil daran , daß Antonelli bereits im Herzen seines Sieges gewiß war .
Noch mehr , der alte Dellenoci musste selbst , ohne es zu wissen , sein Teil beitragen , seine Tochter zu bestimmen ; Denn so sehr er anfangs gegen Bianca eiferte , weil sie sich unter ihren Stand erniedrigte , so hoch kam sie hinterher bei ihm ans Brett , weil sie bis zur Großherzogin emporstieg .
Um diesen Preis verzieh er Entführung und alles , und zeigte überhaupt , daß seine väterliche Liebe seinem schiefen Ehrgeize tief untergeordnet sei , daraus denn die Tochter für sich die Lehre zog , es könne kein größeres Verbrechen sein , wenn sie ebenfalls die kindliche Liebe der Geschlechtsliebe unterordnete .
Kurz , bei dem ersten nächsten Tete a Tete warf sich Celestina ihrem Antonelli in die Arme , nachdem er ihr nochmals mit tausend Schwüren seine Treue versichern müssen .
Nun ging_es an ein Ausführen !
Weibliche List und männlicher Mut reichten einander die Hände , und von beiden Seiten wurde die tiefste Heimlichkeit beobachtet , sich auch nicht mit einer Miene , nicht mit einem Tritte zu verraten .
Antonelli , auf Celestinens Eingeben , verdarb vorsätzlich seine Farben , fing darüber einen großen Lärm an , und daß ihn das nötige , selbst in der Geschwindigkeit einen Ritt nach Spoleto zu tun , um den Schaden zu ersetzen .
Man gab ihm ein Pferd , und wie auf den Flügeln der Winde war er da . zum Scheine kaufte er frische Farben die Menge , heimlich aber schloß er mit einem Vettarine für schweres Geld einen zwiefachen Akkord , einmal , daß er in der und der bestimmten Nacht eine Viertelmeile vor Spoleto auf der Straße nach Perugia mit einer wohlbespannten Sedia warten sollte , und zweitens , daß er in derselben Nacht einen getreuen , des Wegs kundigen Kerl mit zwei tüchtigen Reitpferden , unter die Mauern des Schlosses Dellenoci schicken sollte .
Nach diesen festen Verabredungen kehrte Antonelli zurück ; Die bestimmte Nacht kam heran ; und so wie Thisbe , von der ich die paar Verse aus dem Ovid noch gar gut behalten habe : Callida per tenebras , verfato cardine , Thisbe Egreditur , fallitque suos - so schlich sich auch Celestine mit ihrem Pyramus glücklich davon , ohne daß einmal der Hofhund zu bellen anfing .
Die Pferde waren richtig an Ort und Stelle ; Antonelli nahm seine Geliebte vor sich , und ritt bei hellem Mondscheine seinem Führer in scharfem Trabe nach .
Nicht minder richtig stand der Vetturino auf seinem Posten , und da er mit allen Wegen und Stegen vollkommen bekannt war , so bog er gegen Anbruch des Tages von der Landstrasse aus , und brachte das liebe Paar durch das römische Gebiet glücklich nach Cortona .
Um nun die etwaigen Nachsetzenden gänzlich irre zu machen , mussten erstlich die beiden Reitpferde eine ganze Tour südlich ins Neapolitanische machen , um den Schein zu geben , als gehe die Flucht nach Neapel zu .
Andernteils verkleideten sich Antonelli und Celestina gänzlich in Cortona , so daß es dem Vater hätte schwer halten sollen , seine eigene Tochter zu erkennen .
In dieser Verkleidung machten sie die Reise bis Siena mit aller Gemächlichkeit zu Fuß , und hier erst wurde frisches Fuhrwerk genommen bis Florenz .
Allein Antonelli hielt sich nirgends für sicherer , als in Venedig ; Also tat er die Reise dahin durch viele Zickzacks , und so war bis jetzt die Entführung , so wie die priesterliche Verbindung glücklich vollzogen .
Auch die Ehe selbst , ob sie gleich sehr gegen die Regeln geschlossen war , ließ sich dennoch ganz unvergleichlich an !
Celestine hatte sich in ihrem Fräuleinstande nie so glücklich befunden , um es nur im geringsten zu bereuen , ihn aufgeopfert zu haben .
Ihr junger Ehegemahl schmolz vor Zärtlichkeit gegen sie , schaffte ihr von seinem zusammengesparten Fleisse eine kleine , aber sehr niedliche Wohnung , und ob gleich durch alle diese Ausgaben seine Sparbüchse ziemlich auf die Neige ging , so war er doch keinen Augenblick bange , neue Arbeit zu bekommen und neues Brot zu verdienen .
Dennoch nagte ein geheimer Wurm in seinem Herzen , mitten in diesem kleinen Himmel der Glückseligkeit :
Und das war die Furcht vor Manfredonia .
Celestine hielt sich nun von dieser Seite ganz sicher , bei der großen Entfernung von ihrem väterlichen Sitze , und bei den schlauen Pfiffen , die ihr Mann gebraucht hatte , seine Flucht zu verdecken !
Er aber kannte das Naturell seiner Landsleute zu gut , und wusste , daß Manfredonia nicht eher ruhen und rasten würde , bis er ihn entdeckt hätte , und sollten Jahre darüber vergehen , und sollt es ihm die Hälfte seines Vermögens kosten !
Wie richtig er hierin urteilte , erfuhr Celestine nach einem halben Jahre ihrer Flucht , als sie bereits mit Olympia schwanger ging , zu ihrem großen Schrecken .
Da erhielt sie von einem unbekannten Überbringer einen Brief , dessen Aufschrift sie sogleich für die Hand ihrer älteren Schwester erkannte .
Diese war wohl schon seit sechs Jahren , ebenfalls wider ihren Willen , an einen Mann verheiratet worden , mit dem sie den unglücklichsten Ehestand führte .
Weit entfernt also , ihrer Schwester wegen eines Schritts Vorwürfe zu machen , den sie selbst getan zu haben wünschte , wollte sie sie bloß wegen der ihr , oder vielmehr ihrem Manne bevorstehenden Gefahren warnen .
Sie schrieb ihr , Manfredonia wäre nun durch langes mühsames Nachforschen von dem Orte ihres Aufenthalts völlig unterrichtet und eben im Begriff , die Maßregeln seiner Rache zu entwerfen : Ihr Mann möchte also um Gotteswillen sich in Acht nehmen , und so bald als möglich , Venedig verlassen .
Ich übergehe die herzerschütternde Szene , die auf diesen Brief folgen musste !
Genug Antonelli , so unendlich schwer es ihm wurde , seine schwangere Gattin zu verlassen , machte sich dennoch so fort auf den Weg nach Deutschland .
Er blieb da ein gutes halbes Jahr , und kehrte mit seiner gewöhnlichen Vorsicht gegen die Zeit zurück , da er seine Gattin der Entbindung nahe glaubte .
Allein diese war bereits geschehen , und bei seiner Ankunft lächelte ihm schon der kleine holde Engel Olympia entgegen !
Dieses bestärkte ihn noch mehr in seinem bereits gefaßten Vorsatze , Italien mit seiner Gattin und mit seinem Töchterlein ganz zu verlassen , und sich bei irgend einem deutschen Hofe auf einen festen bleibenden Fuß zu engagieren .
Dieser Abschied also wurde ungleich leichter , weil er der letzte sein sollte , und weil Antonelli sich bloß noch einmal entfernen wollte , um dann auf immer bei seiner Familie zu sein und zu bleiben .
Ich nähere mich nun der letzten fürchterlichen Katastrophe !
Verdammt sei Manfredonia , und der Fluch der Hölle müsse auf ihm ruhn ! -
Antonelli , nachdem er in Dresden ein kleines Etablissement gefunden , und Olympia unterdessen ein allerliebstes Kind von drei Vierteljahren geworden war , schlich sich voll Verlangen und Sehnsucht abermals glücklich nach Venedig .
Die Reiseanstalten werden in der geheimsten Stille gemacht ; Der Zug geht vor sich , und schon haben sie die Grafschaft Görz im österreichischen Litorale erreicht , als plötzlich in einem Walde vier Mörder hervorbrachen , den unglücklichen Antonelli aus dem Wagen reißen , ihn mit tausend Stichen vor dem Angesichte seiner ohnmächtigen Gattin ermorden , und sich dann über Hals über Kopf davon machen .
Ich habe keine Worte , den Jammer und das Elend der noch weit unglücklicheren Celestine auszudrücken !
Ihr durchbohrendes Geschrei kämmt selbst bis vor die Ohren des Erzbischofs zu Görz , der teils aus edlem Unwillen , weil der Mord in seinem Kirchsprengel geschehen , teils aus wahrem menschlichen Mitleiden und Erbarmen , welches einen Priester Gottes so wohl kleidet , der trostlosen Witwe auf das großmütigste unter die Arme greift , und sie auf ihr Verlangen , mit einer reichlichen Summe Geldes beschenkt , wieder nach Venedig zurückliefert .
Hier wäre sie ohne zweifel sogleich ins Kloster gegangen , hätte sie nicht , obwohl mit mehr Schmerz als Freude , unter ihrem Herzen ein lebendiges Andenken ihres geliebten Gatten gefühlt .
Mein Antonelli also ist , wenn es hier der Ort wäre , Spaß zu treiben , ein eigentliches epus posbamum ?
Nachdem er zur Welt geboren war , wurde er in einem Waisenhause aufgenommen ; Olympia ader blieb bei ihrer Mutter , die sie von Kindesbeinen an zur Nonne bestimmte .
Wenn mir die Hand nicht schier unter der Last dieses Briefes erlahmte , wie unendlich viel hätte ich Ihnen nicht noch zu erzählen !
Jedes Gespräch mit Olympia ist reich für meinen Kopf und für mein Herz gewesen !
Lettres de Baber , Ninon !
Enclos und wie die berühmten Briefstellerinnen alle heißen , sind Tand gegen ihre Briefe , die ich stets als ein Heiligtum aufheben und nie anderswo , als im Busen bei mir tragen werde !
Nur einen noch , den letzten , den schweren Abschiedsdrief Teil ich Ihnen mit , dann nehme ich auch diesmal wieder von Ihnen Abschied !
" So lebe dann wohl , und die heilige Jungfrau sei mit dir , du reinste , zährlichste , treuste Schwesterseele !
So wie dich , habe ich nie ein irdisches Wesen geliebt , werde auch nie wieder eines lieben :
Und doch fühle ich mich bei deinem Abschiede über mich selbst erhaben !
Ich bin ganz Heiterkeit und stille Freude , und so sollst du auch sein , wenn du mich liebst !
Was ist aller Schmerz , Was sind alle Tränen des Abschieds ?
Schwäche !
Eitelkett ! zwar immer sehr verzeihliche , in unsere arme Menschheit verwebte Schwäche :
aber doch in einem Stücke nicht recht verzeihlich !
Denn siehst du , Bester !
Scheint nicht dieser Schmerz eine geheime Furcht anzudeuten , daß die Beraubung des sinnlichen Gegenstandes auch das süße Entzücken am geistigen Bilde mit sich fortreissen dürfe ?
Und das sollte je , so lange diese kurzen Augenblicke des Lebens dauern , bei dir , oder bei mir geschehen ?
Nein , mein Geliebtester !
Heute über zwanzig Jahr , wie jetzt ; In meiner Todesstunde , wie jetzt , stehst du vor mir , um keinen Zug verändert !
Wie angenehm will ich mich im Wachen und in Träumen mit dir unterhalten !
Nicht am Sprachgitter mehr , aber auf meiner einsamen Zelle !
Da will ich dir im Geiste auf deiner Reise nachschleichen ; will mir vorstellen , wie du an allen Orten , wohin du kommst , eine liebenswürdige Familie , wie die Wagnersche , antriffst !
Ich sehe dich von Zeit zu Zeit , von Jahr zu Jahr wachsen an Weisheit und Verstand , und endlich ruft dich die Vorsehung in einen Posten , worin du zum Besten des Vaterlands alle Kräfte deines Geistes anstrengst und überall dankbare Seelen machst !
Nun wirfst du dein Auge umher unter den Töchtern des Landes , suchest und findest die für dich geschaffene Begleiterin und Versüsserin deines Lebens !
An ihrer Seite tut sich dir ein neuer Himmel auf !
Holde Knaben und süße Mädchen spielen um dich her , und du siehst sie mit inniger Vaterfreude dein und deiner Gattin Ebenbild werden !
Unterdes schlummert deine Olympia schon längst im kühlen Grabe , hat ihre irdische Hülle abgeworfen , und ihr Geist schwebt unsichtbar um dich und dein Haus .
Siehst du dann einmal einen deiner mutigen Knaben aus Unvorsichkeit sein Leben in Gefahr setzen , siehst du ihn auf eine dir unbegreifliche Art , wie durch eine unsichtbare Hand gerettet , so denke nur , es war die Hand deiner Olympia !
Vielleicht raubt ein schmerzlicher Todesfall dir eins deiner geliebten Kinder :
Dann bin ich der Engel , der seine unschuldige Seele in Abrahams Schoß trägt !
Dann bin ich der Arzt , der Balsam in deine Wunden gießet , dem Schmerze nicht unterzuliegen !
Und wenn du dann selbst , ein ehrwürdiger , im Diensie des Staats graugewordener Greis , umringt von deiner Gattin , Kindern , Freunden und Hausgenossen , zwar mit himmlischer Heiterkeit auf deinem Sterbebette da liegst , aber dir doch das Weh- und Jammergeschrei aller das Herz durchbohrt , dann eile ich , von Gott gestärkt , mit Hilfe und Rat herbei !
Und die erste Seele , die dich an der Pforte des Himmels empfängt , und - was mir auf Erden versagt war - dich feurig in ihre verklärten Arme schließt , wer wäre die sonst , als deine treue , bis in den Tod treue Olympia Autonelli .
" Nachschrift .
Ob es gleich schier eine Sünde ist , nach einem solchen Briefe ( der mir eine Art von Stolz einflößt , der mich will_es Gott auf immer vor allen Ausschweifungen bewahren wird ) noch eine Zeile hinzuzusetzen , so kann ich doch nicht umhin , Pflicht und Dankbarkeit fordern mich dazu auf .
Schrieb ich Ihnen nicht gleich anfangs , daß Herr Wagner die Güte gehabt hätte , meine sämtliche Barschaft in seine Handlung aufzunehmen und derweil mit roulieren zu lassen ?
Damals sagte er mir scherzend , er hoffte , es sollten doch wenigstens bis zu meiner Abreise 3 pro Cent für mich abtriefen !
O der überschwenglich gütige Mann !
Er hat die pro Cent nur gar zu hoch steigen läsen , und ich habe nolens volens 100 Zechinen aus seinen milden Händen annehmen müssen !
Auf diese Weise scheide ich aus Venedig ungleich reicher , als ich ankam .
Der Himmel gelt es ihm an seinen Kindeskindern , deren Hoffnung sich nun immer mehr nähert !
Übermorgen , wenn_es dabei bleibt , geht mein Schiff von hier nach Ancona , und von Ancona reis ich nach dem heiligen Rom .
Wie unzählig oft werde ich da Gelegenheit haben , mich wieder an Sie zu erinnern :
Denn daß ich bei Ihnen , und selbst mit Ihnen eine Gedankenreise nach Rom anstellte das wird mich nun in den Stand setzen , in kürzerer Zeit vorwärts zu kommen , und aus dem Chaos sehenswürdiger Dinge das nutzbarste für mich zu wählen .
Tausend Lebewoyl etc .
Eilfter Brief .
Schröder an Wilhelm Blumental .
Nun ?
Was in aller Welt soll das bedeuten ? zwei Monat sind vorbei , und noch keine Silbe von dir ? Deinen auf Rom gestellten Wechsel verkaufst du in Ancona an Francis Trianfi , dem wir ihn bereits bezahlt haben ?
Da steht mir und dem ganzen Wagnerschen Hause der Verstand still :
Denn daß dir ein Unglück begegnet ist , wie es fast scheint das können und mögen wir bis zur nähern Gewißheit der Sache noch nicht glauben .
Bist du vielleicht krank ?
Nun so dächte ich , wenn du doch nur eine Hand rühren könntest , würdest du es uns schreiben :
denn dich mit Gewißheit krank zu wissen ( versteht sich , mit Hoffnung baldiger Besserung ) ist doch im mehr nicht so quälend , als dich in der Ungewißheit für gefangen , geplündert oder gar tot zu halten ; denn alle diese Grillen sind uns bereits im Kopfe herumgegangen .
Herr Wagners Meinung ist die , daß du das Unglück gehabt hast , in die Hände irgend eines listigen Betrügers zu fallen , der dich um alle dein Geld betrogen , und eben das , sagt er , müsse dich genötigt haben , den Wechsel in Ancona zu verkaufen .
Wenn_es weiter nichts ist als das , so habe ich hiermit gemessenen Auftrag von ihm , dir bei aller seiner Liebe und Freundschaft anzubefehlen , daß du nicht hinter dem Berge hältst , sondern rein heraus entdeckst , wie es mit dir steht .
Du sollst nur schreiben , und er will dir schicken , was du brauchst , so viel du haben willst !
Und ich setze nur noch besonders hinzu : Du , liebster Bruder , hast mich zum glücklichen Menschen gemacht , und daß ich nun bald Franciska als Gattin in meine Arme drücken werde , ist größtenteils dein Werk allein !
Dafür bin und bleibe ich zeitlebens dein Schuldner , und wenn ich dir mein halbes Vermögen abträte , wäre und bliebe ich es immer noch !
gesetzt also , Herr Wagner hat recht geraten ; so bitte und beschwöre ich dich bei allem , was dir teuer und wert ist , missgönne mir und uns allen nicht die Freude , dir , den wir so herzlich lieb haben , in der Not beizustehen .
Du bist der beste , vortrefflichste Junge der sich nur finden läßt , aber nimm mir_es nicht übel , in diesem Stücke besitzest du einen rechten garstigen Stolz , ( ja , ja , Stolz , ) daß du dir zwar andere gar zu gern verbindlich machst , aber ihnen durchaus keine Gegenverbindlichkeit schuldig sein willst . Weg damit !
Sei so , wie wir anderen , und wenn du gibst , so empfange auch :
Oder sei versichert , du kommst bei uns allen ins schwarze Register , und darin wirst du doch nicht gern stehen wollen !
Am Ende hilft dich auch alle dein Cachiren nichts , denn so weit reicht Gottlob unsere Korrespondenz in ganz Italien , daß wir dir zum Trotze alle deine wahren Umstände herausbringen , und finden wir denn , daß dir_es am Gelde fehlt , so schicken wir dir welches par Exekution ins Haus !
Also noch einmal , sei ein guter Junge und schreibe bald , bald !
Ich hätte dir allerhand zu erzählen , aber jetzt ist mir gar nichts anders gemütlich , als dir zu sagen , schreibe , schreibe !
Oder laß wenigstens schreiben , wenn du krank bist :
Hörst du ?
Sonst werden wir alle mit einander vor Kummer und Sorge um dich ebenfalls krank , und dann hast du eine Todsünde auf deinem Gewissen , wenn du mir meine Franciska krank machst !
Nun wir wollen alle noch das Beste hoffen , und bloß darauf rechnen , daß einem auf Reisen manchmal wunderseltsame zufälle begegnen , die einen vom Schreiben abhalten , ohne daß weiter etwas Gefährliches dahinter steckt .
Das gebe der liebe gütige Gott , dessem Schutze wir dich empfehlen , und dich tausendmal küssen etc . zwölfter Brief .
Rom , den 20. Jul. 1771 .
Teuerstes Wagnersges Haus , und guter Bruder Schröder ! 62 .
Diesen Brief diktiere ich einem gütigen Freunde in die Feder , weil meine Hand zu schwach ist , sie selbst zu führen .
Ja , ich bin krank , sehr krank , habe schon mit dem Tode gerungen , aber nun scheint es , als wolle mich der Allmächtige wieder zum Leben zurückbringen .
Wäre ich eitel , so würde ich jetzt gedemütigt werden , denn das Gesicht , was ich im Spiegel erblicke , sieht mehr einem Gespenste als einem Menschen gleich .
Leider habe ich mir diese Krankheit zum Teil selbst zugezogen , weil ich der Sommerhitze und der mal aria trotzen wollte .
Man warnte mich , ich hörte nicht , weil ich meinen Körper für eisen- und stahlfest hielt !
Nun weiß ich_es besser , und werde hinfür klüger sein .
Sonst geht mir auf der Welt nichts ab , und ich genieße alle Pflege und Wartung , die ich mir nur irgend wünschen kann .
Mit dem gerührtesten Herzen danke ich für alle die großmütigen Anerbietungen Ihrer Liebe und Freundschaft !
So bald ich im Stande sein werde , selbst zu schreiben , werde ich alles Versäumte nachholen , aber zur Zeit wird mir auch das bloße Diktieren schwer , weil mein armer Kopf mit dem Denken nicht fort kann .
Mein sehr geschickter Arzt verspricht mir , mich ganz vollkommen wieder herzustellen , nur sagt er , gehöre Zeit dazu .
Das ist mir freilich ein schreckliches Wort !
Schon über einen Monat bettlägerig , und ehe ich wieder auf die Beine komme , vergehen vielleicht noch zwei !
Doch wie Gott will :
Ich murre nicht , und jetzt um so weniger , da ich meiner Torheit Schuld trage !
Leben Sie wohl , Beste .
Mit kraftloser und zitternder Hand will ich Ihnen wenigstens mir meiner eigenen Namensunterschrift zeigen , daß ich noch lebe , und mit Leib und Seele bin Ihr jetzt kranker und schwacher , aber ewig ergebener Wilhelm Blumental .
Dreizehnter Brief .
Schröder an Wilhelm Blumental .
Ach der arme Schelm !
Der gute Wilhelm !
Wenn wir ihm doch nur helfen könnten !
Wir wollten gern seine Krankheit unter uns teilen !
Wäre es nur nicht so weit nach Rom , wir besuchten ihn gewiß !
Jammerschade um sein hübsches Gesicht :
Doch es wird schon wieder werden !
O gewiß er kommt wieder auf !
Hätte er nur geschrieben , wie sein Medikus hieße , damit man dem Manne ein kleines Aufmunterungsdouceur machen könnte , damit er ja allen Fleiß anwendete , daß auch der Stubenarrest nicht so gar lange dauert , und dem armen Jungen endlich die Geduld reißt ! - - Siehst du , liebster Bruder , so lautet jetzt bei uns allen !
Herr , Frau , Tochter , Knecht , Magd , was nur irgend zum Wagnerschen Hause gehört , und dich gekannt hat , fühlt inniges Mitleiden mit dir , und wünscht , mit Einem Munde , daß dich der liebe Gott , so bald als möglich , von deiner schweren Krankheit wieder herstellen mag !
Die gute Haut , den Cicolo , hättest du sehen sollen , wie ich_es ihm erzählte :
Er schmiß seinen Hut auf die Erde , fing an zu heulen , wie ein altes Weib , Und hat sich im Ernst vorgenommen , er will eine Messe für dich lesen lassen !
Aber nimm mir_es nicht übel , lieber Bruder , daß du es uns nicht gemeldet hast , worin eigentlich deine Krankheit bestehe , das ist nicht halb recht !
Ich fürchte , ich fürchte , es ist ein faules Fieber :
Wenigstens pflegt das immer der Lohn zu sein , wenn man sich in Rom in den heißen Sommermonaten nicht recht in Acht nimmt .
Wäre ich von der Art Leuten , die hinterher , wenn das Kind ersoffen ist , gern beim Brunnen stehen , und über die Notwendigkeit und den Nutzen , den Brunnen fein zuzudecken , lange und weise Reden halten , so hätte ich jetzt schöne Gelegenheit dazu . Hab ich dich nicht vorher gewarnt ?
Hab ich dich nicht , wenn du so auf unseren Mittagsschlaf schaltest , und uns Faulenzer hießest , trotz einem Philosophen und einem Doktor widerlegt ?
Sagt ich dir nicht ins besondere , daß die Luft in Rom äußerst tückisch wäre ?
Aber so machst du_es !
Du denkst gleich , wenn du nicht vom Morgen bis in die Nacht arbeitest , und immer sechsmal so viel tust , wie andere ehrliche Leute , so bist du ein Tagedieb und ein unnützer Mensch .
Siehst du , nun musst du werden wie unser einer , und gut nur , wenn du dies schwere Lehrgeld bloß einmal bezahlst !
Kommst du nach Neapel , dann musst du dich von vorn in Acht nehmen ! -
Doch Basta hiervon , ich habe der Sachen noch mehr zu erwähnen !
Du schreibst , dein armer Kopf könnte jetzt nicht fort mit Denken , und überhaupt verschiebst du eine ausführliche Erzählung deiner Reise bis auf deine völlige Genesung .
Dawider kann nun kein Mensch was einzuwenden haben , und wir wollen_es gern , ob wohl nicht mit Geduld , abwarten !
Allein , weil nun doch der Punkt wegen des Wechsels , den du in Ancona losgeschlagen , noch immer nicht aufgeklärt ist , so kann ich_es auch Herr Wagnern nicht aus dem Kopfe bringen , daß außer deiner Krankheit mit dir noch etwas anders passiert ist .
Ich soll dir daher alles das , was ich dir in meinem ersten Briefe bereits gesagt habe , nochmals auf deine Seele einschärfen , und das tue ich hiermit von ganzem Herzen ! zugleich erfolgen anbei zwei kleine Wechsel ; der eine für deinen Doktor , er mag heißen Hinz oder Kunz : Genug , er soll sich ihn wohl schmecken lassen , und dafür alle seine Weisheit zusammennehmen , um dir desto geschwinder wieder auf die Beine zu helfen !
Der andere ist - ebenfalls nicht für dich , denn dazu ist er zu klein , sondern für den oder die , die dein warten und pflegen , für Arznei , für roborantia etc .
Und nun , wenn du uns eine rechte große , gewaltige , überschwengliche Freude machen willst , so laß uns höchstens in 4 Wochen das Wort hören : Gottlob , ich bin wieder gesund !
So bald dies ist und sein wird , soll dir es in Rom in deinen Ohren klingen , wie wir hier in Venedig auf deine Gesundheit anstoßen !
Nicht zu vergessen , daß mir dein Beichtvater , und auch Montanaro ausdrücklich aufgetragen haben , sie dir zu empfehlen , und ihre herzliche Teilnehmung an deinem Unfall zu bezeigen .
Nun den besten Bissen zuletzt : Du erhältst da noch ein Brieflein , wohlverpicht und künstlich zusammengelegt , daß ja kein menschliches Auge hineinsehen kann .
Ich weiß nicht , von wem ist ; Es hat_es ein Mensch hergebracht , ich besinne mich ganz dunkel auf ihn , er ist seiner Profession ein Maler , und sein Name endigt sich so auf Elle , Elle , Antonelli , wo mir recht ist ! -
Doch halte , halte : Ehe du meinen Brief verächtlich in den Winkel wirfst , und mit tausend Küssen das Papier an deine Lippen drückst , das deine göttliche Olympia mit göttlicher Feder und Tinte , und mit noch göttlicheren Buchstaben bemalt hat , so laß dir erst noch etwas von mir erzählen !
Ob du gleich , das weiß der Himmel , in Punkto deiner Liebe gegen Olympiern ein stummer Fisch gegen mich gewesen bist , in Punkto meiner Liebe aber ein feiner Spürhund , dessen delikater Nase ich nicht entgehen konnte , so habe ich doch deswegen nie , auch nur einmal in Gedanken mit dir gezankt .
Ich konnte mir leicht zusammenbuchstabieren , daß eure Liebe hoch in den Wolken , über Mond und Sterne dahin wandelte , und daß es damit eben so wäre , wie mit dem Geheimnisse der Freimaurer , die immer sagen , wenn sie auch das Geheimnis entdecken könnten oder wollten , so hätte doch unser einer als Profan keinen Sinn dazu , um es zu fassen !
Ich ließ also in aller Ehrfurcht meine Nase davon : Weil ich aber doch deinen traurigen Brief erhielt , fiel mir_es ein , ob es nicht wohl getan sein würde , diese Nachricht Olympiern mitzuteilen , um von ihr ein Trostschreiben für dich zu erhalten , das allenfalls im Stande wäre , dich wieder aus dem Rachen des Todes zu reißen , und wenn er dich schon bis halb in den Magen herunter geschluckt hätte !
Das tat ich denn , ließ mich bei ihr melden , und hatte das Glück , angenommen zu werden .
O wenn du das hättest sehen sollen , wie ihr die Tränen an beiden Wangen herab : rollten , als ich ihr deinen Brief zu lesen gab !
Und dennoch , so gerührt auf der einen Seite , so gefaßt auf der anderen !
Es schien , als ob ihr Krankheit und Tod gar nichts schreckliches sei , und daraus läßt sich freilich auf keinen gemeinen weiblichen Charakter schließen !
Nun , ich habe allen Respekt vor ihr , das ist alles , was du fordern kannst , und aus eben diesem Respekt halte ich dich auch keinen Augenblick länger von ihrem Briefe ab .
Gott befohlen !
Dein treuer Bruder etc .
Vierzehnter Brief .
Olympia Antonelli an Wilhelm Blumental .
Meine Ahnungen , meine Träume haben mir es längst gesagt , was mich dein Freund Schröder so eben lesen lassen .
Bleich und entstellt sah ich dich auf deinem Lager , und neben dir auf einem Tischchen ein Buch und eine bittere Flasche Arznei .
Da konnte ich mich nicht halten , stürzte hastig an dein Bette , und drückte meine tränende Wange an die deinige .
Matt und mühsam wandtest du dich nach mir :
Denn du wußtest nicht , wer die kühne Umarmerin war !
Als du aber deine Olympia erkanntest , als mein liebender , gerührter Blick dir ins Herz drang , ha welche neue Rosen des Lebens und der Gesundheit sproßten plötzlich auf deinem blassen Gesichte hervor !
Da sah ich_es , da fühlt ich_es , daß meine Gewalt über dich der deinigen über mich vollkommen gleich sei :
Denn auch du , mein Teuerster , wenn mein Auge schon im Sterben bräche , wenn schon von allem Irdischen losgerissen mein Geist zum Himmel empor flöge , auch du würdest meine fliegende Seele noch einmal zurück rufen ; meine schon sprachlosen Lippen würden noch einmal Kraft schöpfen , dich zu segnen !
Doch - das alles war bloß Traum , und alle meine zärtliche Sorgfalt , die ich träumend an dir beweise , kann dir wachend nichts nützen .
Aber was dir gewiß helfen wird , das ist mein feuriges Gebet , mein strenges Fasten , und mein Gelübde , das ich der hochgebenedeiten Jungfrau um deinetwillen getan habe !
Doch ich rede zu viel !
Mein Gebet um dich ist der reine Ausbruch meines Herzens , und wird , das weiß ich , dem höchsten Wesen kein unangenehmes Opfer sein :
Aber auch ohne meine Bitte würde dich Gott von deinem Lager wieder aufheben .
Es trifft nicht immer ein , ( und wie gut , daß es nicht immer eintrifft !
) was unser göttlicher Petrarca sagt : - morte fura Prima i migtiori , clascia Star i rei ; An dir wird dieser Ausspruch vornehmlich zu Schanden werden !
Du bist zu gut , hast zu sehr die Anlage , auch unter den Bösen gut zu bleiben , und in einem zeitalter der Tugend treu zu sein , wo sich das Laster so gar erfrecht , in unsere heiligen Klostermauern einzuschleichen !
An mir aber , wenn ich mich anders mit Recht unter die Guten zählen darf , wiewohl ich es auch dann mit der tiefsten Demut tue - an mir wird wohl Petrarca zum Propheten werden !
Ich fühle es , und Freude schaudert durch alle meine Glieder , ich fühle es , ich werde nicht lange mehr leben !
Vielleicht einzelne Jahre noch , aber gewiß kein Jahrzehnt !
Freue dich mit mir , du , der du über die gewöhnlichen Vorurteile der Menschheit weit erhaben bist , und den Tod für das kennst , was er ist !
Auch halte ich dir gewiß mein Wort , das ich dir so teuer versprochen :
Wo du auch seist , soll dich mein letzter Brief treffen , den ich dir von meinem Sterbelager aus schreibe !
Und du bist auch noch immer entschlossen , dein Gelübde zu halten ?
Wahrlich , du zwingst mich , mitten in dieser so ernsten Materie zu lächeln !
Wenn du nur schon eine liebenswürdige Gattin hättest , und so , wie ich sie mir denke , stolz auf deinen Besitz und äußerst eifersüchtig , auch nicht den kleinsten Teil deines Herzens zu missen ; und du erführest jetzt , ich sei heimgegangen ( o ich habe ihn noch nicht vergessen , diesen herrlichen herrnhutischen Ausdruck , den du mich gelehrt hast ; ) und du legtest nun mit einemmal Trauer an :
Ich bitte dich , was würde sie sagen , wenn sie hörte , es sei um eine Nonne in Italien ?
Welch ein Bild würde sie sich von mir machen ?
Kokette wäre wohl das wenigste ! -
Doch was sage ich ?
Wie arg widerspreche ich mir selbst !
Deine Gattin könnte dich je im Verdacht haben , daß du eine Kokettegeliebt hättest ?
Unmöglich !
Oder sie wäre nicht wert , deine Gattin zu sein !
Doch still einmal vom Künftigen :
Ans Gegenwärtige laß uns denken !
Dein armer Kopf ist schwach , schreibst du : o um desto mehr musst du ihn schonen , ich bitte dich , ich beschwöre dich !
Sei einmal ein Held im Nichtdenken :
Das wird kräftiger auf deine Genesung wirken , als alle Arznei .
Um deswillen musst du auch gegenwärtigen Brief ja nicht mehr lesen , als zweimal , und eben um deswillen ist es auch hohe Zeit , ihn hier abzubrechen .
Gottes Gnade sei mit dir !
Lebe wohl , tausendmal wohl !
Und erfreue mich bald , bald mit der süßen Nachricht deiner völligen Genesung !
Fünfzehnter Brief .
Rom , den 15. Sept. 1771 .
An das geliebte Wagnersche Haus in Venedig . r1 Das für ein unaussprechlich angenehmes Gefühl ist es doch , das Gefühl der verlorenen und wieder erlangten Gesundheit !
Dem Allmächtigen sei es Dank , ich bin nun wieder , der ich sonst war ! zwar nach der Aussage meines Spiegels stehen meine Backenknochen noch ein gut Teil vor , und mein ganzes Ansehn ist das Ansehn eines geizigen Hungerleiders : Allein , wie wäre es auch anders möglich , da ich seit beinahe zehn Wochen nicht gewusst habe , wie feste und nahrhafte Kost schmeckt ?
Dagegen habe ich desto mehr gepraßt und geschlemmt in Pulvern , Pillen , Tränken , Latwergen , Vomitiven und etc . so , daß mir die Zähne knirschen , wenn ich nur dran denke !
Das hat nun , dem Himmel sei Dank , ein Ende !
Der Hungerleider hat sich jetzt in einen heißhungrigen Wolf verwandelt , und ich fürchte , ganz Italien wird nicht reich genug sein , mich zu füllen .
Was ich mir wünschte , wäre ein tüchtiges Stück Hamburger Rindfleisch , ein westfälischer roher Schinken , eine pommersche Spickgans , und eine Schüssel voll Klump dazu !
Aber leider ist so was im ganzen Lande für keinen Preis zu haben .
Ich werde also wohl bei alle den Macaronis und Vermicelles und Fruttis , und bei alle den Hühnchen und Vögelchen und Kälbchen ein Magrer Hering bleiben , bis ich wieder in mein geliebtes , sattmachendes Vaterland komme , oder bis ich mich in England mit Rostbeef und Pudding vollstopfe .
Nun so gehe ich denn hiermit auf die Beschreibung und Erzählung meiner betrübten und fröhlichen , in Verzweiflung stürzenden und wiederum das Herz mit Wonne füllenden Abenteuer los !
Sie werden hören , was Sie sich nimmer hätten träumen lassen , und obgleich Sie , mein bester Herr Wagner , sehr scharfsichtig einen Umstand meines Schicksals erraten haben , so können Sie doch schwerlich darauf fallen , wie eben mein Unglück eine neue Grundlage zu meinem Glück geworden ist .
Doch zur Sache !
Meine Reise bis Ancona war überaus angenehm und vergnügt .
Ich machte sie in der Gesellschaft zweier Engländer , eines Mylord Dygby , ( so nennt er sich ; mag wohl übrigens mit der eigentlichen Lordschaft nichts zu tun haben , ob er gleich sonst Geld hat wie Heu ) und eines Sir Warton .
Mylord ist ein junger , nervichter , großer , schmucker Jüngling , trotzig und kühn auf seine Guineen , anfangs brüsk gegen einen Fremden , den er nicht kennt , allmählich aber wird er kirr und geschmeidig , und was man den Engländern überhaupt nachrühmt , daß sie gegen Elend und Unglück sehr teilnehmend und mitleidig sind , das habe ich nachher ebenfalls an ihm erfahren .
Wäre er aber auch die Freundlichkeit und Gesprächigkeit selbst gewesen , so hätte mir das nichts helfen können ; denn er sprach weder italienisch , noch französisch , noch deutsch , sondern bloß sein Englisch , welches ich wieder nicht verstand .
Damit war er nun schlechterdings nicht im Stande , in Italien fortzukommen , ohne verraten und verkauft zu werden , wenn er nicht seinen wackeren Warton bei sich hätte !
In dessem Kopfe sieht es denn freilich ein gut Teil heller aus .
Das ist schon das drittemal , daß er den grand tour durch Europa macht !
Er spricht nicht etwan bloß die paar genannten , sondern alle Courante europäische Sprachen , und hat sich auf seinen Reisen einen gewissen Ton des Betragens angenommen , der aufs erstemal Liebe und Achtung einflößt .
An ihn attachierte ich mich gar bald und gar sehr , und die drei Tage unsre Reise verstrichen unter den angenehmsten und lehrreichsten Plaudereien wie Augenblicke .
Bald gingen wir auf das Verdeck , und guckten durch einen sehr schönen dollandschen Tubus auf die beiderseitigen Küsten des adriatischen Meeres .
Das große Amphitheater in Pola , das noch besser erhalten sein soll , wie das zu Verona , Konen wir deutlich liegen sehen , so wie auf der anderen Seite die Türme von Ravenna , Rimini etc .
Waren wir das satt , so erzählte er mir entweder von seinen Reisen , oder er lehrte mich Englisch .
Nur eines anzuführen :
Ich bat ihn , mir doch einen deutlichen Begriff von dem auch in Deutschland so berühmten englischen Humor zu geben ?
" Den sollen Sie haben , sagte er , oder vielmehr setzen Sie sich ihn selbst aus folgendem Beispiele zusammen .
Die Reise zu Schiffe , die wir jetzt machen , ist ein wahrer humoristischer Streiche von meinem Digby .
Einige Tage vor unserer Abreise von Venedig war die Rede davon , welches der kürzeste und beste Weg nach Rom sei ?
Ich detailliere einen nach dem anderen , und gebe dem über Bologna und Florenz den Vorzug .
Mit einemmal fragte mich mein Digby :
Aber welches wäre denn nun wohl der weiteste Weg ?
In bloßem Scherze sage ich ihm , gerade nicht der allerweiteste , aber doch ein rechter braver Umweg wäre der , wenn wir zu Schiffe gingen , das ganze adriatische Meer hinab , um Italien und Sizilien herum , und so recta in die Mündung der Tiber .
Mein Digby springt auf , klatscht voller Freuden in die Hände und schwört , das wäre der beste Weg , und den wollten wir gehen !
Nun , Sie sehen , wir gehen ihn wirklich , und wenn ihm in Ancona nicht vielleicht ein anderer Humor einkommt , so bleibt_es dabei , ohne Widerrede !
" Mit aller Freundlichkeit , so daß Warton unmöglich böse darüber werden konnte , nahm ich mir die Freiheit , ihm zu sagen :
Auf diese Weise scheint ja kein so gar großer Unterschied zu sein , zwischen Humor und Narrheit ?
" Bravo , bravo , versetzte er :
Das ist das rechte Synonym für Englischen Humor !
Und darauf sind wir stolz , müssen Sie wissen , obgleich das Wort Narrheit eben nicht fein klingt :
Denn alle unsere Narrenstreiche haben das echte Gepräge republikanischer Freiheit ; Ihr anderen Sklaven , die ihr unter dem monarchischen oder despotischen Joche seufzt , ihr schwingt euch kaum , kaum einmal bis zu Närrchen . . - Kurz es war eine herrliche Lust , mit dem Manne zu kurzweilen und ernstlich zu reden , und er hat mir durch sein patriotisches Feuer eine solche Begierde eingeflößt , England zu sehen , die ich gewiß zu seiner Zeit stillen werde .
Aber wie das Sprichwort sagt :
Auf Lust folgt Unlust !
Auf Sonnenschein Regen !
Und welch eine entsetzliche Unlust , welch ein fürchterlicher Platzregen mit Sturm und Ungewitter das war ! -
Wir kamen in Ancona glücklich an , und trennten uns auch sogleich :
Denn die Engländer wollten auf der Post logieren , ich aber in dem Wirtshause zu den drei Mohren vor dem Tore , wo du , lieber Bruder Schröder , auch logiert hast .
Natürlich macht ich mich den Tag noch auf die Beine , um die Merkwürdigkeiten der Stadt zu sehen , und ich muß sagen , der Anblick des Hafens , des Molo's , des alten ehrwürdigen Triumphbogens zu Ehren des großen Trajans , des neueren Triumphbogens von Vanvitelli und des herrlichen Lazaretts von eben demselben nebst dem Getümmel und Gewimmel des kaufenden und verkaufenden Volks , das alles machte mir unendliches Vergnügen .
Mittlerweile entspann sich diese schöne , unvergleichliche , stets unvergeßliche Bekanntschaft mit - Doch ehe ich seinen Namen nenne , will ich Ihnen erst sein Bild geben ; will es , wie Apelles weiland in Ägypten , geschwind aus dem Gedächtnisse hincroquiren .
Doch Sie wissen vielleicht die Geschichte von Apelles nicht ?
Also mit zwei Worten : Apelles , der griechische Tizian , wurde von irgend einem Hofschranzen , der sich über ihn lustig machen wollte , an die Tafel des Königs gebeten .
Er , sich keines Betrugs befürchtend , und längst gewohnt , von Königen und Fürsten geehrt und Gelobbriesen zu werden , erscheint .
Man macht große Augen , mokiert sich und fragt , was er wolle ?
Er : er sei eingeladen , mit dem König zu speisen .
Sie : Lachend und spottend , das könne nicht sein , wer ihn denn gebeten habe ?
Er , voll edlen Unmuts ergreift eine Kohle , und im Huy steht der Schurke , der sein spotten wollte , wie er leibt und lebt an der Wand , daß alles mit Fingern auf ihn zeigt , die Geschichte vor den König kommt , und Apelles nun in allem Ernste eingeladen wird .
Denken Sie sich von dieser Geschichte weg , was nicht auf mich paßt , und behalten Sie nichts davon als dieses :
Der , dessen Bruststück Sie hier sehen , ist der Schurke , der mein gespottet hat !
Und nun , meine Herrn und Damen , nehmen Sie alle Ihre physiognomische Kenntnisse zusammen , und urteilen Sie : Sieht dies Gesicht so aus , daß Sie ihm die abgefeimteste Canaillerie zutrauen werden ?
Der Himmel ist mein zeuge , wie weit ich von dem Stolze mancher Leute entfernt bin , die lieber aus der Haut fahren möchten , wenn sie sich einmal auf einem rechten derben Irrtum ertappt sehen .
Irre ich , nun gut ; so habe ich hiermit ein Zeugnis von mir gestellt , daß ich ein wahrer , echter Mensch bin , weiter nichts !
Aber auf der anderen Seite wäre ich auch wohl des Stocks wert , wenn ich mich in einer Sache irren wollte , worin kein anderer vernünftiger Mensch sich irren würde .
Mag sein , daß dieser oder der große Physiognom , dieser oder der große und vieljährige Welt- und Menschenkenner es dem würdigen Herrn Cbauson ( so beliebte er sich für diesmal zu nennen ) gleich an der Nase angesehen hätte , wessen Geistes Kind er wäre : Genug Sie alle_zusammen und viel Hunderte mit Ihnen hätten_es nicht ; hätten ihn , wie ich , für einen kreuzehrlichen und aufrichtigen Mann gehalten , und das ist für mich Satisfaktion genug !
Also Herr Chausson und ich wohnten zufälligerweise dicht neben einander in den drei Mohren .
Diese Nachbarschaft machte , daß wir einander oft in den Wurf kamen , und er begegnete mir jedesmal mit aller Artigkeit und Höflichkeit , die ich unmöglich unerwidert lassen konnte .
Einen Abend kam er sans fagon zu mir , sagte mir eine Menge Verbindliches , daß er meine nähere Bekanntschaft suchte , daß er mein Landsmann sei , ( wirklich sprach er sehr fertig deutsch , und noch bis diese Stunde weiß ich_es nicht , hat Deutschland oder Frankreich oder Italien diesen Gauner gezeugt , ) daß es ihm schiene , wir reisten alle beide aus einerlei Absicht , Menschen und Dinge kennen zu lernen , und es sollte ihn freuen , wenn wir ein Stück Weges zusammen machen könnten .
Was konnte ich auf alles dies antworren , als daß es mir lieb sei , einen Mann von der Art kennen zu lernen !
Nun erzählte er mir auch einen ganzen langen Roman von seiner Geburt und Erziehung , von einem reichen Onkel , der vor einigen Jahren gestorben wäre , und ihm ein zwar nur mittelmässiges , aber doch hinlängliches Kapital hinterlassen hätte , um erst ein halb Dutzend Jahre zu reisen , ehe er sich dem Dienste des Staats widmete .
Bei diesem Romane war überall die Regel vollkommen beobachtet :
Ein Lügner muß ein gut Gedächtnis haben !
Hätte er sich nur einmal widersprochen , so würde ich gleich Schwansfedern gekriegt haben :
Aber wie gesagt , er war von den Abgefeimten , und verstand sein Handwerk aus dem Grunde !
Den nächsten Abend , nachdem er mich besucht , lud er mich ein , ihn auch zu besuchen .
Hier hätte ich , wenn ich ein Argus gewesen wäre , Gelegenheit gehabt , aus einem Umstande Verdacht zu schöpfen .
Nachdem wir eine Weile geplaudert , und ich ihm ohne die mindeste Besorgnis den ganzen Etat meines Schatzes , den ich im Koffer führte , entdeckt , fragte er ganz verloren , ob wir nicht zur Abwechslung eins spielen wollten ?
Ich schlug es ihm rund ab , und sagte , daß ich gar nicht spiele .
" Bravo , bravo , versetzte er mir !
Das machen Sie ungemein klug , klüger wie ich ! zwar auch ich spiele nicht aus Leidenschaft , das wäre wahrlich sehr klein !
Aber doch habe ich in den vielen Gesellschaften , in die man denn so auf Reisen verwickelt wird , den Charten nicht ganz entgehen können :
Und leider zu meinem Schaden , denn das Unglück verfolgt mich auf eine unbarmherzige Art !
Allein ich habe nun einmal die Schwachheit , daß ich nicht gut abschlagen kann ! "
Auf diese Weise wurden mir abermals die Augen verkleistert , um nicht zu sehen , daß diese Aufforderung zum Spiele ein bloßer Schlag auf den Strauch war , ob ich etwa Lust hätte , mein Bißchen Geld lieber auf diese , als auf eine andere Manier herzugeben !
Noch ein Umstand hätte mir nicht bloß bedenklich sein können , sondern war es auch wirklich .
Chausson hatte einen Kerl zum Bedienten , dem der leibhaftige Teufel zu den Augen heraussah .
Nicht eine Minute hätte ich mit ihm allein sein mögen , aus Furcht , er möge den Dolch oder das Pistole auf mich zucken !
Auch konnte ich mich nicht enthalten , ihm deshalb meine Befremdung zu erkennen zu geben , und ihm unmaßgeblich zu raten , den Kerl so bald als möglich von sich zu schaffen .
Aber mein Chausson lachte bloß dazu und fragte mich : Ob ich Minna von Barnheim gelesen hätte , und den Packknecht Just kennte ?
" Hier sehen Sie den leibhaftigen Just vor sich .
Er hat wirklich als Packknecht im siebenjährigen Kriege gedient , und freilich mag ich die Sünden nicht auf mich nehmen , die er da in Feindes Land ausgeübt .
Aber übrigens ist er ein ehrliches und treues Blut , der im Fall der Not das Leben für mich wagt , auch es wirklich schon einmal gewagt hat .
" Abermals glücklich widerlegt !
Und so hätte ich tausenderlei Verdacht schöpfen können , immer würde der pfiffige Gaudieb die gleißendsten Ausflüchte ersonnen haben , jeden derselben zu entkräften .
Nun zur endlichen Katastrophe , zur Reise nach Rom !
So wie ich Chausson nur zum erstenmal erwähnte , daß mein Weg nach Rom gehe , rief er gleich sehr enthusiastisch aus :
O Schade , jammerschade , daß ich schon da gewesen bin !
Wie gern hätte ich diese Reise mit Ihnen machen mögen !
Doch still -
Ich habe Rom nur den Winter gesehen , den Sommer nicht !
Und überdem , wenn sieht man Rom je ganz !
Sie brauchen mir nicht viel zuzureden , so bin ich da !
In 24 Stunden sollen Sie ja oder nein hören ! -
Die 24 Stunden waren kaum um , so sprach er richtig Ja , und bestärkte es mit noch mehreren scheinbaren Gründen , so daß er vollkommen um sein selbst Willen , und nicht um meinetwillen diesen Entschluß zu fassen schien .
Nun war bloß noch die Frage von der Art des Transports !
Da die Post im Kirchenstaate lange nicht so teuer ist , als bei Ihnen , so votierte ich ohne Bedenken für die Post .
Er aber wusste mir es sehr künstlich auszureden , und schützte besonders die große Hitze vor , die uns ganz schachmatt machen würde , wenn wir so schnell in einem Strich fortreisten .
überlassen Sie nur das mir , sagte er !
Mein Kerl wird uns schon einen Vetturino auftreiben , der uns für einen billigen Preis , und nach den Regeln der Gesundheit fährt , so daß wir bei großer Hitze den Tag stille liegen , und des Nachts fahren !
Das versteht sich überdem von selbst , daß ich zwei Drittel der Reisekosten trage , und Sie nur ein Drittel !
Das ließ ich mir denn gefallen und bekümmerte mich weiter um gar nichts , sondern ging vor wie nach den Merkwürdigkeiten der Stadt nach , bis endlich das Wort erschallte :
Heute Abend geht_es fort !
Meine Einwendungen gegen das Nachtreisen waren sehr bald in die Pfanne gehauen ; Chausson versicherte mir , der Fuhrmann wisse alle Wege und Stege aufs genaueste , und wir könnten ohne die mindeste Furcht vor Umwerfen im Wagen schlafen wie die Ratzen ; Die Gespenster würden uns ja ebenfalls ungeneckt lassen , und vor Spitzbuben würde uns sein Just schon schützen .
So setzten wen uns denn ein , nachdem wir vorher ein kleines Fläschchen gegen die Kühle der Nachtlust zu uns genommen , und fuhren mit Sonnenuntergang davon .
Kaum war ich fünf Minuten im Wagen , so fühlt ich eine ganz unüberwindliche Schläfrigkeit !
Ich wollte mich mit Gewalt wach erhalten !
Umsonst , das Wort erstarb mir im Munde , und ich fing an zu nicken . - -
Nunmehr lassen Sie mich erst einmal recht tief Atem holen ; erst ein paarmal im zimmer auf und abgehen , bis sich mein tobendes Blut ein wenig stillt , und ich die Feder ohne zittern zu halten vermag !
Allsehender Gott , du weist es , daß in meinem Herzen keine menschenfeindliche Ader ist .
Ich kann Beleidigungen ertragen und verzeihen , und noch jetzt , wenn mir dieser Bösewicht wieder vor Augen käme , und ich sähe ihn in Not und Elend , ich wollte meinen letzten Bissen mit ihm teilen , und nicht gedenken dessen , was er an mir verübt hat !
Aber vergib mir , wenn bei dem bloßen Gedanken an ihn mein Blut kocht !
Es ist nicht Rachsucht !
Fern sei es von mir , daß ich blutdürstig danach lechzen und schmachten sollte , ihn für sein Bubenstück , deren er gewiß noch weit mehrere auf der Seele haben muß , an der Karre oder am Galgen leiden zu sehen !
Aber auch , welcher fühlende Mensch hat es wohl in der Bezwingung seiner Leidenschaft so weit gebracht , daß er sich an einen für ihn völlig unschätzbaren und ganz und gar nicht zu ersetzenden Verlust mit kaltem Blute erinnern könne ?
Oder gibt es dergleichen Menschen , nun so verzeihe mir , allgütiges Wesen , daß ich zu dieser hohen Tugend noch nicht stark genug bin .
Allmählich wird die Zeit meinen unwillkürlichen Zorn abkühlen , und ich werde in Jahr und Tag dahin kommen , daß ich den Namen Chausson lächelnd und ohne alle Bitterkeit werde aussprechen können .
Stets aber und so lang ich lebe , werde ich es diesem Namen zu verdanken haben , daß mir jedes andere Unglück , was mir hinfort begegnet , ein bloßes Spielwerk ist . zur Geschichte !
Den folgenden Morgen nach dieser unglücklichen Nacht wachte ich , ich weiß selbst nicht um wie viel Uhr , aber am hellen Tage auf .
Natürlich war meine erste Bewegung nach der rechten Seite , wo ich meinen Reisegefährten zuletzt im Wagen gelassen hatte :
Aber da war kein Reisegefährte , kein Wagen , kein Just , kein Vetturino , keine Pferde , nichts , nichts , nichts zu sehen !
Bäume hingegen wohl , rechte schöne große Bäume , unter deren einem ich ganz saust auf dem Moose lag ; und ein Heer von Vögeln , die munter und fröhlich ihr Morgenlied sangen , und mich aufzufordern schienen , ein gleiches zu tun !
Sagen Sie sich_es selbst , wie mir in diesem Augenblicke zu Mute war :
Denn daß ich es Ihnen beschreiben könnte , ist nicht denkbar !
Nur das erinnere ich mich , und dafür dank ich meinem Gott , daß , als ich nun den ganzen Rat der Bosheit , der über mich ergangen war , völlig mit Händen griff , kein unheiliger Fluch meinen Lippen entfuhr , und ich bloß in einen Strom von Tränen ausbrach .
Schon fließen sie wieder auf dies Papier , und werden noch lange , lange fließen !
Möchten meinetwegen die 1000 Rthl . die ich im Koffer hatte , ob sie gleich mein einziger Reichtum waren , die einzige Stütze meiner Reise , möchten sie doch meinetwegen im Abgrunde des Meeres sein !
Aber nun tun Sie einmal einen Blick auf das Ganze meines Verlustes : Mein gutes Kleid , meine ganze Wäsche , meine Bücher , mein herrliches Reißzeug , alle meine Exzerpte , die ich mir seit zehn Jahren im Schweiße meines Angesichts aus mehreren hundert Reisebeschreibungen gemacht hatte , alle meine Zeichnungen , die saure Frucht von eben so viel Jahren , oder vielmehr nur die Quintessenz davon , worauf ich selbst einen Wert legte , und womit ich vor einem Kenner bestehen konnte , allerlei seltene und kostbare Naturalien , die ich nach und nach durch Schenkung und Kauf zusammen gebracht , eine Menge anderer Dinge zu geschweigen !
Das alles war im Koffer .
Ausser demselben aber hat mir der Strassenräuber auch noch meine goldene Uhr geraubt , mir mehr wert als tausend Taler , weil sie das Geschenk einer jungen liebenswürdigen Frau war , die ich bis ins Grab hochschätzen muß .
So auch meine Börse , mit allem noch übrigen baren Gelde !
Das einzige , was er mir nicht genommen hat , vermutlich , weil er nicht auf die Stelle riet , wo ich es stecken hatte , waren die Briefe meiner O**** und Ihr auf Rom gestellter Wechsel von 100 Zechinen .
Beide hatte ich wohl verwahrt im Busen auf meine bloße Brust gebunden , und da saßen sie noch richtig und unversehrt !
Auch besann ich mich allmählich , daß ich in meinem Gurt einen doppelten Friedrichsdor eingenäht bei mir hätte , ebenfalls ein altes Pretium Affectionis meiner ehemaligen unsterblich um mich verdienten Pflegemutter Susanne .
Das wäre nun wohl Torheit gewesen , mir jetzt oder nachher den Kopf lange darüber zu zerbrechen , wie und auf welche Art Chausson seinen Streiche an mir vollzogen haben mochte .
Ob der Wein ( mich dünkt , es war Madeira ) bloß seine natürliche Wirkung auf mich getan , und mich in einen so eisenfesten Schlaf versetzt , oder ob irgend ein Opiat darunter gemischt war , ich weiß es nicht , Gott weiß es !
Ob ferner der Fuhrmann mit Chausson unter einer Decke gesteckt oder nicht :
Ob er mich selbst oder sein Just ( ja wohl , sein Just , der , wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt , für seinen Herrn betteln und stehlen kann ) ob er , sage ich , oder Just , oder beide , mich aus dem Wagen gehoben , und mich eine Ecke von der Straße weg in den Wald getragen , das ist Gott bekannt , nicht mir !
Eben so wenig werden Sie wohl von mir fordern , daß ich in aller Eile hätte Anstalt machen sollen , ihm nachzusetzen .
Wo war er hin ?
Nach welcher Himmelsgegend ?
Und wo war ich ?
Das wusste ich eben so wenig !
Hätte ich aber auch beides gewusst , wer würde einem steinfremden Menschen aufs bloße Wort getraut haben , um einem angeblichen Spitzbuben Steckbriefe nachzuschicken !
Auch weiß ich nicht einmal , ob die Einrichtung mit den Steckbriefen im römischen Gebiete so im Gange ist , wie bei Ihnen im Venezianischen : Und auf allen Fall hätte doch wohl dazu wenigstens einiges Geld gehört , wo hatte ich aber auch nur einen einzigen blutigen Heller ?
Sonach blieb mir nichts übrig , als nur fürs erste den Weg aus dem Walde zu suchen , um nur wieder unter Menschen zu kommen .
Ich hatte mich rechtschaffen satt geweint , und dies war für meinen Schmerz eine große Linderung !
Der noch immer forttönende Gesang der Vögel erinnerte mich , daß eben der Gott , dem zu Ehren sie sangen , auch mein Unglück kenne , und gewiß bloß zu meinem Besten , zur Läuterung meines Herzens und meiner Gesinnungen zugelassen habe .
Dieser Gedanke trocknete allmählich meine Tränen ganz ab , und so brach ich mir einen zweig von einem Baume , der mir zum Parasol und zugleich zum Fächer dienen sollte , und damit frisch und fröhlich der Landstrasse nach .
In einer guten halben Stunde erreichte ich ein Dorf , und fragte den ersten besten Bauer , wie weit es bis Ancona wäre ?
Neun Meilen * ) , sagte er mir !
Das war weiter , als ich geglaubt hätte :
Aber Chausson hatte ganz recht !
Er musste mich eine tüchtige Ecke von Ancona wegbringen , damit , wenn ich ja etwan sehr früh erwachte , ich nicht gleich in der Stadt sein und Lärm schlagen könnte , um ihm nachzusetzen .
* ) Italienische nämlich , alse zwei und ein Viertel deutsche Meilen .
So kraftlos ich war , teils vor Alteration des Gemüts , teils vor Hunger , beschloß ich gleichwohl , mich stehendes Fußes nach Ancona zurück zu begeben , und bat den Bauer nur , mir einen Wegweiser dahin zu verschaffen .
Um ihn hierzu zu bewegen , erlöste ich meinen doppelten Friedrichsdor aus seinem langwierigen Gefängnisse , und blitzte ihm damit in die Augen .
Der arme Schelm musste wohl noch ein gut Teil ärmer sein , wie ich , denn seine Miene bei Erblickung dieses Goldstücks besagte ganz deutlich :
Ach wer so viel hätte , dem wäre auf Jahr und Tag geholfen !
Auch ließ er das kleine Prositchen in keine fremden Hände kommen , sondern holte bloß Hut und Stock , und damit voran .
Unterwegs hatte ich denn Musse genug , mit mir selbst zu Rate zu gehen , was ich bei so bewandten Umständen anfangen wollte !
Und hier erblickte ich nur zwei Wege .
Der eine : Den von Ihnen in Händen habenden Wechsel in Ancona , wo möglich , loszuschlagen .
Der andere : Wäre das nicht gegangen , an Sie zu schreiben , und mich mit alle meinem Unglück in Ihre Arme zu werfen . zürnen Sie nicht , mein bester , teuerster Herr Wagner , daß ich diesen letzteren Weg bloß als den äußersten Notweg betrachtete :
Und du , garstiger Schröder , schweige mir mit deinen Vorwürfen von Stolz !
Meine Theorie steht nun einmal unumstößlich fest : Alles , was der Bettelei auch nur auf die entfernteste Art ähnlich sieht , ist schimpflich und erniedrigend !
Hier ist also gar nichts zu stolzen , sondern es ist die Rede von wahrer Ehre , und wer die nicht besitzt , was ist er wohl wert ?
In diesem Stücke bin ich so gesinnt , daß wenn ich auch schon 48 Stunden gehungert hätte , so bettelt ich doch nicht , sondern ginge zum ersten zum besten und spräche : Lieber Mann , mich hungert entsetzlich ; Tut die Menschlichkeit an mir , und gebt mir ein Stück Brot , ich will euch davor einen anderen Gefallen tun , das und das kann ich , was könnt ihr davon gebrauchen ?
Sie wissen , ich habe in Deutschland auch noch Freunde , und warme Freunde ; Es kostete mich einen Brief , und mein Geldverlust würde sehr bald ersetzt sein .
Aber eher wird aller Tage Abend werden , ehe ich diesen Brief schreibe !
Genug hiervon !
* ) * )
Wer das Ekle der Bettelei in seiner ganzen Schimpflichkeit und Niedrigkeit fühlen will , der lese wundershalber Emanuel Hartensteins ( eigentlich Christian Wilhelm Kindlebeno ) Reise von Berlin über Rostock nach Dresden , Halle , 1780 .
Ein wahres Brechpulver für jede ehrliebende Seele !
Der Verfasser , ein junges , von Ich kam denn richtig wieder in den drei Mohren zu Ancona an , und was ich sonst nie Eigendünkel aufgeblähtes Pfäfflein , wie er sich auf jeder Seite seines Buches selbst zu Tage legt , wird zur wohlverdienten Strafe seiner Sünden von seinem geistlichen Amte abgesetzt .
An statt nun durch diesen Schlag im allermindesten zur Selbsterkenntnis und Demütigung vor Gott und Menschen gebracht zu werden , beschließt er , in die große Welt zu gehen , und mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen auswärtig zu wuchern :
" Und dies Gehen in die große Welt läuft am Ende auf ein förmliches Landstreichen hinaus !
Mit einer ganz unglaublichen Unverschämtheit schnurrt er sich von Stadt zu Stadt , und von Dorf zu Dorf : Und möchte er doch das immerhin noch , so verlöre er sich unter dem gemeinen Haufen alter abgesetzter Kandidaten der Theologie , die ihr erbetteltes Almosen in die nächste Schenke tragen , und wenn sie das Maß haben , von der Polizei aufgegriffen und unter die Soldaten gesteckt werden .
Aber nein !
Er , mit einer bisher beispiellosen Frechheit , läßt seine sogenannten Reisen obendrein drucken , und macht das ganze deutsche Publikum auf das genaueste mit jedem Frühstück , Mittag- und Abendessen bekannt , womit es ihm gelungen , seinen bellenden Magen zu stillen .
" In Neustadteberswalde genoß er ein nicht undienliches Frühstück , welches zuerst in drei Tassen Kaffee , und bernach in einem tüchtigen Schnaps und einem Butterbrot bestand .
In zehdenik speiste er zu Abend getan habe , nahm einmal zur Vorsicht ein niederschlagendes Pulver .
Dies , und die magere ein Gericht Fische , und in langer Zeit hatte ihm ein Gericht oder ein Abendessen nicht so gut geschmeckt .
In Gerbendorf wurde das Mittagsmahl bei dem Prediger G** eingenommen , welches in einem Gericht Erbsen und Pökelfleisch bestand .
In Klosterzinne tischte ihm die Frau Pastorin ein Butterbrot auf ; er konnte aber nicht essen , weil er erst vor zwei Stunden zu Mittag gegessen hatte .
Sie wollte ihn überreden , es einzustecken , er verbat aber , und sagte : wo ich hinkomme , da sind ich auch was zu essen .
In Großbären aber ging_es ihm sehr betrübt .
Da musste er mit einem dürftigen Strohlager in der Gesellschaft schnarchender Kutscher und ihren Blähungen freien Lauf lassender Dirnen fürlieb nehmen .
Warum grüßte er aber das Handwerk nicht ?
Antwort : weil es schon spät war , und er hörte , daß die Geistlichkeit bereits in den Federn saß .
Doch in Mariendorf erfreute ihn der Himmel wieder mit einem Gericht Erbsen und Speck .
" Pfui des elenden Menschen !
Hat er , der sich für einen reisenden Apostel ausgibt , ( O des feinen Apostels , der sich in zossen ein paar Schuh anmessen läßt , auf deren Abholung der Schuhmacher , wenn er anders noch lebt , bis diese Stunde noch wartet :
So erzählt er selbst mit einer recht spitzbübischen guten Laune ) -
Hat er , der überall eine vermutlich auch sehr apostolische Predigt aus dem Ärmel schüttelt , hat er denn nicht in seinem Moses Diät , desgleichen eine kleine Schwimmpromenade im Hasen , und endlich ein fast zwölfstündiger Schlaf auf alle diese Abmergelungen des Leibes und der Seele , waren vermutlich die Retter , daß mich nicht schon in Ancona dieselbe Krankheit packte , die ich hier in Rom ausgestanden habe .
Meinen doppelten Friedrich_d'or wurde ich durch Vermittlung meines Wirts sehr bald bei einem deutschen Schiffer im Hafen mit 30 pro Cent Verlust los , und nun lag ich ihm auch an , mir einen Bankier nachzuweisen , der mir meinen Wechsel abkaufte .
Er führte mich zu einem Marquis Trionfi , und hier sah ich denn , mein bester Herr Wagner , in was für einem Ansehn Ihr bloßer Name nicht bloß hier , sondern überall stehen muß .
Kaum erblickte dieser Mann Ihre eigenhändige Unterschrift , gelesen :
Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen ?
Und wenn nun alle sein Schriftstellerschweiß nicht hinreichen will . ihm satt Brot zu verschaffen ; wenn niemand ihn haben will , noch haben mag , weil er , wie der würdige Probst Teller ihm auf den Kopf zu sagt , ein Mensch ist , dem ganz und gar nicht zu helfen steht :
Warum ergreift er nicht lieber die Holzart oder die Trommelstöcke , als sich in tiefem Schlamme von Niederträchtigkeit umherzuwälzen ?
Doch ich habe es satt , auch nur einmal länger auf ihn zu schelten ! gleich war der Handel richtig ; Er zahlte mir das ganze Geld bar und richtig aus , und nahm nicht mehr als 2 pro Cent Provision .
Was nun für Not !
Derjenige , dem sein Haus mit allem , was darin ist , über dem Kopfe abbrennt , wie sollte er nicht vor Freuden springen , wenn er nur aus den Trümmern so viel rettet , daß er vor der Hand in Jahr und Tag keine Not befürchten darf !
Nun gingen auch meine Projekte gleich weiter .
Da mich meine Bagage ( Dank sei es Herr Chausson ) nicht im geringsten weiter inkommodierte , warum sollt ich die Reise nach Rom nicht mit aller Gemächlichkeit zu Fuße tun ?
Das wäre auch sicherlich geschehen , wenn mir der Himmel nicht noch auf eine andere Art hätte zeigen wollen , daß er meiner keineswegs vergessen hätte .
Eben wollt ich mich von Ancona beurlauben , und meinen Wanderstab nach Loretto fortsetzen , als es mir einfiel , daß wenn ich eine Spezialcharte vom Kirchenstaate bei mir hätte , ich mir viel verdrußliches und aufhaltendes Nachfragen unterwegs ersparen würde .
Ich ging also danach aus , und sieh da , stoße glücklicherweise auf Herr Warton .
Sehr freundschaftlich hielt er mich auf der Straße an und bezeigte mir seine Verwunderung , mich noch hier zu sehen ; er hätte geglaubt , ich wäre schon in Rom , oder doch nicht mehr weit davon !
Ein trauriges Achselzucken und ein nasses gen Himmel gerichtetes Auge war meine Antwort .
Mitleiden und Teilnehmung fuhr ihm sogleich ins Herz , und er drang mit freundschaftlichem Ungestüm in mich , ihm mein Unglück zu entdecken .
Ich tat es mit zwei Worten , und sagte ihm zugleich , daß ungeachtet dieses garstigen Intermezzos in dem Wesentlichen meines Plans nichts geändert sei ; Noch heute träte ich die Reise nach Rom an , nur würde ich bloß statt päpstlicher Post , meine eigene Fußpost nehmen , und statt in drei Tagen , etwa in drei oder vier Wochen in Rom sein .
Der gütige Warton bedachte sich einen kleinen Augenblick , dann sagte er zu mir : Freund , tun Sie mir den Gefallen , und bleiben heute noch hier ; Mein Digby ist ausgegangen , und kommt vor Abend nicht nach Hause ; Morgen ganz früh kommen Sie zu uns auf die Post , dann werden Sie weiter hören !
Ich versprach das , und so trennten wir uns , weil Warton ebenfalls Verrichtungen hatte .
Den Morgen stellt ich mich , meinem Versprechen gemäß , ein , und Warton empfing mich mit einer sehr freudigen Miene !
" Sie fahren mit uns , sagte er , und zwar nicht zu Schiffe , sondern zu Lande .
Es ist schon alles richtig !
Ich habe meinem Digby gesagt , daß Sie ein so wackerer Zeichner sind , und Sie sollen uns unterwegs , wenn wir den Apennin passieren , einige der schönsten Aussichten und Prospekte aufnehmen , die wir mit nach England nehmen können .
" Das war ein Vorschlag , der Hände und Füße hatte !
So vergnügt war ich vorher nicht einmal , als ich noch im völligen Besitz und Genuß meines Koffers war !
Ich sprach darauf den jungen Lord selbst , und machte ihn herzlich zu lachen , als ich auf Englisch zu ihm sagte : I Tank vou heartily , Mylord , for your generosity - and i will - Hier verließ mich meine Sprachkenntnis !
Ich wollt ihm sagen , daß ich alle meine Zeichenkunde zusammennehmen wollte , um ihm Vergnügen zu machen :
Aber ich wusste nicht , was zeichnen auf Englisch hieße ; Also drückt ich mich durch Pantomime aus , die der Lord recht wohl verstand , und mir sagte , ich sei ihm willkommen !
Von dem Augenblicke an musst ich auch gleich hier bleiben , und da es schien , als ob es mit der Abreise eben keine Eile hätte , sann ich drauf , wie ich Mylord mit irgend einer kleinen Galanterie von meiner Kunst überraschen wollte .
Dazu gatterte ich sehr bald eine Gelegenheit aus !
Ich merkte , daß Mylord sehr fleißig durchs Fenster nach einer gegen über wohnenden Dame guckte , und daß er ihr , so wie überhaupt schönen Damen , wohl nicht Gram sein mochte .
Auch sie schien es nicht übel zu deuten , daß ein junger , reicher Engländer ein wenig oft und viel nach ihr sah , und lies sich Stundenlang geduldig an item Fenster blicken .
Diese faßte ich denn ein wenig scharf ins Auge , und zeichnete sie ganz nach dem Leben !
Ich brachte den ganzen Tag damit zu , und als Mylord den Abend nach Hause kam , fand er das Porträt auf seinem Tische .
Seine Freude darüber war über alle Beschreibung ; Er konnte sich gar nicht satt sehen , umarmte mich aufs feurigste , und ließ mir durch seinen Dragoman * ) sagen , ich sollte dafür fordern , was ich wollte , wie viel ich wollte !
Himmel , was doch die Engländer für Leute sind !
Kein Wunder , wenn man sie in allen Ländern so gerne hat , da sie gewissermaßen geborene Verschwender sind !
Ich für mein Teil war nun weit entfernt , von Mylords Großmut Missbrauch zu machen , sondern ließ ihm bloß durch * ) Dragomänner sind Dolmetscher bei der türkischen Pforte .
Hier wird Herr Warton so genannt , weil der bei Mylord Dolmetscherdienste verrichten mußte .
Übrigens war das Wort Dragoman Herr Wagnern gewiß bekannt .
Warton wieder sagen : Ich wäre für mein Bißchen Mühe hinlänglich belohnt , wenn ich ihm nur Vergnügen gemacht hätte ; Wollt er indes seine milde Hand gegen mich auftun , so möchte er mir nur - ein Hemde und etwa ein Schnupftuch geben , denn Herr Chausson hätte es für gut gefunden , mir nicht mehr zu lassen , als das Hemde und das Schnupftuch , was ich auf dem Leibe und in der Tasche trüge .
Den Augenblick bekam Warton Auftrag , mich mit frischer Wäsche zu versehen , und dabei blieb es nicht , sondern der Lord schenkte mir auch eins seiner Kleider , womit er mich eben so unverhofft überraschte , wie ich ihn .
Er Maß sich mit mir , und ob wir schon offenbar von einerlei Größe und Statur waren , so stellte er sich doch zweifelhaft , ob mir eins von seinen Kleidern passen würde !
Warton behauptete das Gegenteil , und der Lord setzte gleich das Kleid selbst auf die Wette .
Ich zog es an , und es paßte mir über alle Massen !
Nun gab der Lord die Wette verloren , und ich mußt es nolens volens behalten , und dagegen nur versprechen , daß ich noch einige schöne Gesichter in der Stadt abstehlen wollte .
Das tat ich denn , und so gingen noch 5 Tage hin , ehe wir uns auf den Weg nach Rom machten .
Unsere erste Ausflucht war denn natürlich nach Loretto , und hier fühlte ich zum erstenmal die kaum ein wenig verharschte Wunde meines Unglücks wieder bluten .
Ich hatte mir unter anderen auch eine sehr vollständige Beschreibung vom heiligen Hause gesammelt , hatte es mir aus einem großen Kupferstichwerke nachgezeichnet , kurz , ich war mit Hilfe meiner Manuskripte in Loretto schon halb zu Hause , ohne es noch gesehen zu haben .
Und nun , wo waren sie , meine lieben , mir so unentbehrlichen Manuskripte und Zeichnungen ?
Vielleicht hatte sie der elende Chausson schon als unnützen Ballast weggeworfen , oder seinem edlen Just zu Haarwickeln gegeben , oder für einen Dudeldey an irgend einen Bilderhändler verkauft , der sie nun einzeln vermöbelte .
Ein zweiter niederschlagender Gedanke war der : Mylord hatte mir schon versprochen , ich sollte in Rom bei ihm wohnen , und alle Merkwürdigkeiten in seiner und Wartons Gesellschaft sehen , ohne daß es mich einen Heller kostete .
Das schien alles Dankes und Lobes wert zu sein , und gleichwohl verging mir jetzt aller Appetit dazu !
Einesteils waren zwang und Zeitverlust unvermeidlich :
Und denn war Mylord einer von den gewöhnlichen Reisenden , die , weil es ihnen an Kenntnissen und Geschmack fehlt , die Merkwürdigkeiten eines Orts nicht so eigentlich besehen , sondern bloß drüber wegsehen .
Auch Warton konnte mir hier nichts helfen , denn ob er gleich Kenntnisse und Geschmack genug besaß , so fiel bei ihm der Reiz der Neuheit weg , und überall , wo wir hinkamen , war er schon ein oder gar mehrmals gewesen .
Auf diese Weise lernte ich Loretto nur sehr schlecht kennen , und dies machte mich sehr missmutig und verdrießlich :
Aber hinter Loretto wurde_es besser !
Mylord , der über die schönsten Gemälde , Statuen , Basreliefs etc . sehr kaltblütig wegsah , war nicht eben so stumpf gegen die Schönheiten der Natur .
Mit wahrem Entzücken verweilte er sich bei den vielen vortrefflichen Aussichten , die uns auf der Tour über den Apennin , zwischen Tolentino und Folingo aufstießen , und ich hatte alle Hände vollauf mit zeichnen zu tun .
Auch nahmen wir nicht bloß , was uns auf der Heerstraße aufstieß , sondern machten Seitenwege , kletterten die steilsten Gipfel hinan , lagerten uns , wo wir eine recht schöne Gegend fanden , ins Grüne , aßen und tranken , und taten selbst manchmal ein Mittagsschläfchen unter freiem Himmel .
Die Postillions ließen sich für die schweren Trinkgelder , die sie bekamen , alles gefallen , und jagten hernach wieder , wo es sich nur irgend tun ließ , vor toll und vor blind .
Stadt einer matten kraftlosen Erzählung leg ich Ihnen hier ein halb Dutzend meiner Originalzeichnungen bei , die ich an Ort und Stelle aufgenommen , und nachher hier in Rom für Mylord kopiert habe .
Die erste stellt die Grotte bei Castro Pales vor ; Die zweite ist die weltberühmte Kirche Portiunkula , die ich besonders Ihrer gütigen Gattin bestimmt habe ; Die dritte und vierte ist der herrliche Wasserfall des Velino bei Terni , der in Europa gewiß seines gleichen sucht ; Die fünfte das Städtlein Cesi nebst seinem benachbarten drohenden Felsen .
Endlich die sechste und letzte , die ich nun wohl nicht auf Ort und Stelle aufnehmen können , stellt vor Ihren armen , bekümmerten und tränenvollen Wilhelm Blumental , wie er nach der unglücklichen Nacht , nachdem er seinen ganzen Verlust überdacht und gefühlt , sich endlich im Vertrauen auf Gott aufrafft , einen zweig vom Baume bricht , und damit den Weg aus dem Walde sucht .
Geben Sie dem armen Schelm einen Rahmen , und hängen ihn unter Ihre eigenen Familienporträts :
Denn dahin gehört er von Gott und Rechts wegen .
Ich komme nun auf Rom selbst , wo abermals Glück und Unglück , Leid und Freude so schön bei mir abgewechselt haben , daß trotz dem , was die Schrift sagt , mein Herz wohl schwerlich je , weder ein trotziges noch ein verzagtes Ding werden wird .
Ich stieg mit Mylord im Gasthofe al Londere ab , suchte mir aber sehr bald ein eigenes Quartier in der Nachbarschaft bei einem Goldschmiede , einem geborenen Augsburger und ehrlichen Schwaben ; bei Mylord aber behielt ich mir den Mittagtisch vor .
Mit welchem grimmigen Heißhunger ich nun über die ersten und weltberühmten Merkwürdigkeiten Roms herfuhr , können Sie leicht ermessen !
Den Mittagsschlaf einbedungen , schlief ich doch in 24 Stunden nicht länger , als höchstens 5 Stunden .
Morgens früh und Abends spät arbeitete ich für Mylord , und ob ich gleich für meine Mühe schon im Voraus bezahlt war , mußt ich doch noch für jedes Blatt eine Zechine annehmen , und der Blätter waren über zwanzig !
Die meiste übrige Zeit widmete ich dem höchsten Muster und Wunder menschlicher Kunst , ich meine der Peterskirche O gern , gern will ich Rom nun verlassen , da es mein Schicksal so gebietet !
Gern will ich es darauf wagen , vielleicht nie wieder hierher zurück zu kommen und alle die übrigen unzählbaren Merkwürdigkeiten und Schönheiten zu entbehren , die Rom immer noch zur ersten Stadt der Welt machen würden , wenn es auch keine Peterskirche hätte !
Drei ganzen Wochen brachte ich damit zu , und gewiß , wenn es nicht so in der Ordnung der Natur wäre , daß der Körper stärker auf die Seele wirkt , als die Seele auf den Körper , so würde mein Entzücken über Michael Angelos göttliches Genie den schon von Ancona her in mir glimmenden Funken der Krankheit rein ausgelöscht haben .
Aber leider griff eben dieses Entzücken und die damit verbundene Anstrengung der ganzen Seele meine schon so stark erschütterte Nerven nur noch mehr an , und mit dem Anfange der vierten Woche fing meine Seelen- und Leibeskraft an mir zu gebrechen .
Ein Kind hätte mich mit dem kleinen Finger umstoßen können , so matt war ich !
Kopf und Beine wurden mir Centnerschwer !
Aller Appetit war hin , und was ich zu kosten versuchte , schmeckte bitter wie Wermut !
Noch immer wollt ich den schrecklichen Gedanken nicht an mich kommen lassen , an einem steinfremden Orte krank zu werden :
Noch immer hoffte ich , durch das strengste Fasten das Übel in der Geburt zu ersticken !
Vergebens !
Stadt Besserung zu verspüren , wurde_es schlimmer !
Fieberfrost und Fieberhitze ergriffen mich wechselsweise , und kaum konnte ich mich mehr außer dem Bette halten .
In dieser neuen kummervollen Lage gab mir mein Wirt einen sehr wohlgemeinten und vernünftigen Rat , wofür ich ihm stets dankbar sein muß .
Lieber Herr Landsmann , sagte er zu mir , mit Ihnen siehts schlimm aus , und ohne daß ich ein Doktor bin , will ich es Ihnen nun wohl prophezeien , daß Sie diesmal ohne eine schwere und harte Krankheit nicht davon kommen werden .
Nun will ich Sie von Herzen gern bei mir behalten , wenn Sie wollen ; ich will für alles sorgen helfen und selber überall zum Rechten sehen :
Allein wozu wollen Sie so viel Geld zum Fenster heraus werfen ?
Einmal geplündert , ist , dächte ich , schon genug !
Und wozu wären denn hier die herrlichen Krankenanstalten , wenn sie nicht sollten gebraucht werden ?
Also , was meinen Sie , wenn ich eine Sänfte holen ließe und brächte Sie nach dem Hospital des heiligen Geistes ?
Ob Sie gleich kein Katholik sind , sollen Sie doch , dafür stehe ich Ihnen , vollkommen so gut aufgenommen werden , als ob Sie einer wären !
Und was die Pflege und Wartung anbetrifft , die kann ich Ihnen für keinen Preis so gut schaffen , als Sie sie dort um Gottes Willen erhalten !
Schon hörte ich alles das nur mit halbem Ohr , und da mich mein Wirt nicht mehr im Stande sah zu wählen , so wählte er selbst für mich , ließ die Sänfte holen , packte mich ein , und so kam ich ins Hospital , ohne selbst zu wissen wie .
Es war die höchste Zeit , daß ich kam !
Vier und zwanzig Stunden später wäre alle medizinische Hilfe verloren gewesen :
So gefährlich ist es , eine Krankheit im Anfange auf die leichte Achsel zu nehmen und sich immer noch mit leerer Hoffnung zu speisen , es wird wohl vorübergehen !
Es war denn ein recht echtes und äußerst hartnäckiges Gallenfieber , das ich am Halse hatte :
Und die Ursache ?
Wohl keine andere , als hauptsächlich Herr Chausson . zwar das bin ich mir bewußt , daß ich bei meinem großen Verlust nicht die Empfindung hatte , die man ärgern heißt ; auch wäre sie wohl sehr am unrechten Orte gewesen , denn das ärgern , so viel ich weiß , gehört nur für Kleinigkeiten : allein eben über Kleinigkeiten lief mir , ich muß es gestehen , meine Galle oft über , so unphilosophisch es auch war !
Alles , alles ging mir langsamer und mühsamer von Statten , da meine Manuskripte und Zeichnungen weg waren ; Oft fehlte es mir an einem Namen , an einem kleinen unbedeutenden Umstande , den ich sonst in einem Augenblicke herausgehabt hätte , und jetzt mußt ich wie ein Narr danach fragen , und fragte obendrein meist vergebens !
Das mochte mir wohl vornehmlich den Rest geben , und auf diese Weise brachte sich Meister Chausson um das Lob , das ich ihm , unerachtet unserer kleinen Zwistigkeit , dennoch immer erteilt .
Er ist doch bei alle dem ein sehr artiger und galanter , und selbst christlicher Spitzbube , sagt ich sonst !
Das sechste Gebot ist ihm heilig !
Noch mehr , er erschreckt einen nicht einmal durch Drohung oder Vorhaltung eines Pistole , sondern tut die Sache auf die sanfteste Art von der Welt im Schlafe ab .
So sagt ich sonst :
Aber ich muß nun mein Wort zurücknehmen ; denn statt einer Pistolenkugel hatte mir Chausson einen eben so tödlichen Ärger in den Leib gejagt , der mir ohne göttliche und menschliche Hilfe gewiß das Leben gekostet hätte .
Billig verschone ich Sie ( und mich ) mit der ausführlichen Erzählung meiner Krankheits- und Genesungsgeschichte !
Nur einiges : Den achtzehnten Jun. lag ich im Sterben , aber ohne es zu wissen , denn meine Sinnen waren gänzlich verwirrt !
Nachdem ich diese Krisis überstanden und schon ziemlich wieder hergestellt war , bekam ich plötzlich ein neues Rezidiv , und kurz , von meinem Eintritt ins Hospital bis zum Austritt sind volle zehn Wochen vergangen .
Eine lange Zeit , und doch ohne die vortreffliche Pflege und Wartung , und ohne die Geduld , die mir der Himmel schenkte , wäre ich so geschwind nicht davon gekommen !
Der wirklich zärtliche und mitleidige Warton besuchte mich einigemal , und eben er war es , dem ich meinen Brief an Sie in die Feder diktierte !
Aber gerade den Tag , da ich das Rezidiv bekam , wollte er von mir Abschied nehmen , weil es dem Lord beliebte , nach Neapel zu gehen ; allein der Arzt ließ ihn nicht vor , und so haben wir uns seitdem nicht wieder gesehen , werden uns auch wohl nicht eher wiedersehen , als vielleicht in England .
Nun weg über Bord , mit allem , was noch nach Betrübnis und Traurigkeit schmeckt !
Oder vielmehr , Betrübnis ist nicht mehr Betrübnis , Traurigkeit nicht mehr Traurigkeit !
Daß ich auf der Straße beraubt wurde , daß ich zehn Wochen krank war , gehörte ganz notwendig in den Plan meiner Glückseligkeit :
Wie könnt ich künftig je bei einem Unglück verzweifeln ; je es vergessen , daß Gottes Züchtigungen Wohltaten sind , und weit süßere noch , als die , die mit keinem Schmerz verbunden sind !
Mein erster Ausgang war in die Peterskirche ; diesmal nicht aus Liebhaberei zur Kunst , sondern um dem Allgütigen das Opfer meines heißen und gerührten Dankes zu bringen .
In einem entfernten einsamen Winkel , wo niemand mich störte , warf ich mich auf meine Knie und überließ mich ganz meinen Empfindungen und meinen Tränen .
Nachdem ich mein Herz vor Gott ausgeschüttet und mich mit neuer Kraft gestärkt fühlte , stand ich auf und wollte nun wieder versuchen , ob ich auch noch Augen und Gefühl für die Kunst hätte , als sich unter dem in der Kirche anwesenden Volke mit einemmal ein Geräusch und ein Gezischel erhob .
Ich näherte mich zu sehen , was da wäre , und wie groß war meine Freude , wie innig mein Entzücken , es war Ganganelli , er selbst , der mit Ablegung alles päpstlichen Pomps , bloß von einem einzigen Franziskaner , seinem Freunde , Bontempi begleitet , in die Kirche gekommen war , um vor seiner Abreise nach Castelgandolfo seine Andacht zu verrichten und der Statue des heiligen Petrus die Füße zu küssen .
Eben hatte auch er seine Andacht vollendet und alles Volk drängte sich zu , um seinen Segen zu empfangen :
Wie hätte ich der Versuchung widerstehen können , mich ebenfalls vor ihm auf die Knie zu werfen !
Der Papst , der vom wahren Geiste Christi beseelt , es nicht über sein zärtliches und menschenliebendes Herz bringen kann , die schreckliche Bulle in coendomini länger vorzulesen ; Der Papst , der das Verdammungs- und Verfluchungsurteil über uns Lutheraner und andere Kezer nicht mehr aussprechen mag , wie es seine Vorfahren bis jetzt getan haben , wahrlich der verdient von unserer Seite die aufrichtigste Verehrung , die ich ihm denn für mein Teil von ganzem Herzen zu beweisen suchte .
Aber wie hätte ich mir in aller Welt träumen lassen , daß dieser freiwillige und völlig uneigennützige Fußfall von der Vorsehung dahin gelenkt werden sollte , daß er ein Schritt zu meinem Glück würde ?
Und so war es !
Der vortreffliche , liebreiche Ganganelli , dessen Auge es einem jeden sagen muß , wie gern er die ganze Welt fromm und glücklich machen möchte , warf , indem er die Hand aufhob , mich zu segnen , einen sehr scharfen und spähenden Blick auf mich .
Ich will nicht so stolz sein , zu glauben , daß meine Physiognomie seine Aufmerksamkeit fesselte :
Es war wohl einzig und allein das Gemisch von Freude und Traurigkeit auf meinem Gesichte !
Meine Augen mußten noch von Tränen rot sein , und die Spuren meiner ausgestandenen schweren Krankheit waren nicht zu verkennen !
Genug für den edlen Mann , um mich mit einer mitleidsvollen Stimme zu fragen :
Was fehlt dir , mein Sohn ?
Voll Feuer und Munterkeit antwortete ich ihm :
Nun nichts mehr , heiliger Vater !
Ich habe viel ausgestanden ; bin fast ein Vierteljahr krank gewesen , aber so eben habe ich dem Höchsten mein erstes Opfer des Dankes und Lobes dargebracht .
Mit einer noch heitereren Miene wie zuvor befahl mir der heilige Vater , ihm in seinen Pallast zu folgen , und fuhr dann fort , von beiden Seiten seinen Segen auszuteilen .
Fast hätte ich meinen Ohren nicht getraut !
Und doch , welcher Grad der zuvorkommenden Güte und Herablassung läßt sich nicht von einem Ganganelli erwarten ?
Ich wagte es also kühn und folgte der ganz langsam fahrenden Kutsche bis Monte Cavallo nach .
Kaum war der Papst abgestiegen und die Treppe hinauf , so näherte sich ein Schweizer , führte mich in den Garten und sagte mir , etwa in einer Viertelstunde würde der heilige Vater selbst in den Garten kommen und in ein kleines Haus , das er mir zeigte , gehen .
So geschah es auch , und als ich ihn von fern kommen sah , warf ich mich einige Schritt von ihm nieder , erhielt aber sogleich einen Wink , aufzustehen und ihm in das Gartenkabinett zu folgen .
Nun möchten Sie , und noch mehr Ihre beste Gattin wohl gern das ganze Gespräch Wort für Wort lesen !
Allein einmal ist es zu lang , und ich muß endlich einmal diesen Brief zur Post erpediren : Und dann , wie könnt ich durch den toten und stummen Buchstaben den großen Mann , der sich so zu mir herabließ , in aller seiner Güte und Milde darstellen !
Also nur bloß das Wesentliche !
Nach den gewöhnlichen Fragen , was für ein Landsmann , wie ich heiße , wer meine Eltern wären , kam die Rede gleich auf meine Krankheit , und ich sagte , daß ich , nächst Gott , Ihre Heiligkeit meine Wiedergenesung zu danken hätte .
Ich rühmte die vortreffliche Pflege und Wartung , die ich auf eine so großmütige Weise als ein Fremdling zu San Spirito genossen !
" Es ist immer ein schweres Unglück , sagt ich , auf Reisen krank zu werden :
Allein für mich , der ich kurz vorher in Ancona einen anderen nicht minder schweren Unfall erlitten hatte - "
Hier unterbrach mich Ihre Heiligkeit !
Der Name Ancona machte ihn doppelt aufmerksam .
Nachdem ich nun mein Abenteuer mit Chausson so kurz als möglich zusammengedrängt , brach der heilige Vater mit sichtbarem edlem Unwillen in diese Worte aus :
So muß ich denn noch immer , unerachtet aller meiner Bemühungen und Anstalten , von Dieben und Strassenraub hören !
Doch , wie die Schrift sagt :
Die Kinder dieser Welt sind schlauer , als die Kinder des Lichts ! -
Ich werde dafür sorgen , mein Sohn , daß du nicht mit Seufzen daran denken sollst , meine Länder betreten zu haben !
Drauf fragte er mich nach dem Endzwecke und der Absicht meiner Reise ?
Ich sagte ihm , daß ich dabei Cicero's Regel vor Augen hätte , in omnibus artibus peregrinandum , in una habitandum , man müsse in allen Künsten umherreisen , aber nur in Einer festen Wohnsitz aufschlagen .
Malerei , Bildhauerei , Altertümer , Schönheiten der Natur , Fabriken und Manufakturen , alles das schlüge in meinen Horizont :
Aber die Baukunst sei mein eigentliches Studium !
Der heilige Vater billigte das sehr und legte mir immer mehr Fragen vor :
Was ich für theoretische Schriften von der Architektur gelesen ?
was ich in Ancona für mein Fach merkwürdiges beobachtet ? ob ich Vanvitelli kenne und was ich von ihm halte ?
Alle diese Fragen waren von der Art , daß wenn ich mich etwa erfrecht hätte , Ihre Heiligkeit etwas Vorzuwendbeuteln , so mußte ich durch meine Antworten sogleich in aller meiner Blöße und Schande dastehen .
Ich beantwortete sie denn nun nach meinem besten Wissen und Gewissen , führte von theoretischen Schriftstellern , die ich gelesen , den ehrwürdigen Altvater Vitruv und von neueren den Palladio an , sagte , daß ich nach meiner geringen Einsicht Vanvitelli für einen der größten Meister dieses Jahrhunderts halten müsse , bloß nach den drei Werken zu schließen , die ich von ihm in Ancona gesehen , nämlich dem Molo , dem Arco Clementino und dem Lazarett .
Bei einem jeden ließ ich mich in ein kleines Detail ein :
Der heilige Vater hörte mir mit großer Geduld zu , und ich konnte leicht abnehmen , daß es ihm keineswegs an den allgemeinen Kenntnissen der Baukunst fehle !
Endlich gelangte denn die unschäzbare Frage an mich :
Ob ich Lust habe , Vanvitellis Schüler zu werden ?
Und wäre ich sterblich in ein Mädchen verliebt gewesen , ohne Hoffnung , sie zu besitzen , und ihr Vater fragte mich jetzt auf einmal , ob ich Lust hätte , sein Schwiegersohn zu werden , wahrlich mein Entzücken hätte nicht größer sein können !
Ich tat von neuem einen Fußfall und sagte , daß ich Ihre Heiligkeit ewig dankbar sein würde , wenn Sie mir diese Wohltat erweisen wollten .
Sie sei dir gewährt , versetzte er :
Wer mit so viel Feuer für eine Kunst eingenommen ist , verspricht darin etwas Vorzügliches zu leisten !
Du kannst dich unverzüglich auf den Weg nach Caserta machen :
Und sobald ich gute Nachrichten von dir höre , werde ich weiter väterlich an dich denken !
Indem trat Bontempi ins zimmer , und der heilige Vater gab ihm sogleich Order , meinetwegen an Vanvitelli zu schreiben .
Dies Intermezzo erinnerte mich an einen Punkt , den ich vielleicht außerdem könnte aus der Acht gelassen haben .
Unter allen den Fragen , die mir der heilige Vater vorgelegt hatte , war die nicht , ob ich Katholik oder Protestant wäre ?
Unerachtet sich nun von einem Ganganelli alle nur mögliche Toleranz erwarten ließ , so konnte es doch auch dem Oberhaupte der gesamten katholischen Kirche nicht gleichgültig sein , ob ich in oder außer den Schoß derselben gehöre .
War nun die Frage nicht aus Gleichgültigkeit unterblieben , so mußt es notwendig aus der Voraussetzung geschehen sein , ich sei nichts anders , als Katholik , und zu diesem Irrtume gab ich den natürlichsten Anlaß , weil ich mich in der Peterskirche unter alle die übrigen Katholiken mischte und eben das tat , was sie taten .
Würde ich mich aber nicht auf der Stelle der angebotenen großen Wohltat unwürdig gemacht haben , wenn ich meinen Wohltäter vorsätzlich in einem nicht ganz gleichgültigen Irrtume hätte sicken lassen ?
Es mußte also heraus , es mochte auch kosten , was es wollte !
Heiliger Vater , sagte ich , indem er sich wieder zu mir wandte , für eine so große Wohltat wäre aller mündliche Dank viel zu schwach !
Aber ich eile mit der nächsten Post nach Caserta , und wenn Vanvitelli mir nicht in sehr kurzer Zeit das Zeugnis gibt , daß ich alle Kräfte meiner Seele anstrenge , um , wenn es möglich wäre , selbst einmal ein Vanvitelli zu werden , so sei ich des Glücks nicht wert , dessen ich heute gewürdigt worden bin , vor Euer Heiligkeit zu stehen !
Aber ich habe , noch eins auf dem Herzen , das mich die Ehrfurcht vor Deren Charakter und meine eigene Wahrheitsliebe zu bekennen antreiben :
Ich bin ein Protestant !
Ein Protestant , rief Ganganelli voll Verwunderung ?
Aber doch gewiß einer von denen , die sich in den Schoß der rechtgläubigen Kirche begeben wollen :
Denn sonst ist es eure Sache wohl eben nicht , die Knie vor demjenigen zu beugen , den eure Lehrer den Antichrist nennen !
Ha , rief ich aus , wie müßte es wohl in dem Kopfe und Herzen desjenigen aussehn , der diesen so oft gemisbrauchten Namen auf einen Ganganelli anwenden wollte ?
Erlauben mir Euer Heiligkeit ein recht dreistes Wort : Hätten Sie damals auf Leo es des zehnten Stuhle gesessen , so getraute ich mir wohl zu behaupten , daß der Name Lutheraner und Protestanten nie in der christlichen Welt wäre erhört worden !
Bei diesen Worten konnte sich Ganganelli des Lächelns nicht enthalten und warf einen Blick auf Bontempi , gleich als wollt er ihn fragen :
Was dünkt dir von diesem Menschen ?
Ich höre es nun wohl , fuhr er gegen mich fort , daß du ein echter Protestant bist !
Aber weißt du denn auch , was die Kirche lehrt , Kezern muß man keinen Glauben halten ?
Das war eine verfängliche Frage !
Ernst konnte sie unmöglich sein , das merkt ich wohl : Und doch war wirklich einmal eine Zeit , wo die Kirche so etwas lehrte !
Ein Schelm , der sich aus einer Schlinge besser wickelt , als er kann !
Heiliger Vater , gab ich zur Antwort , ich bin kein Theologe und weiß sehr wenig von den Lehrsätzen der Kirche :
Aber das getraue ich mir zu behaupten , daß wenn jemals die Kirche von dem Befehle des Heilandes : Eure Rede sei Ja , Ja , Nein , Nein , eine Ausnahme gemacht hat , so meinte sie mit dem Worte Kezer sicherlich schlimmere und gefährlichere Leute als ich bin .
Ich verehre mit der ganzen rechtgläubigkatholischen Kirche ein göttliches Wesen und einen Heiland ; Ich bestrebe mich , durch Fleiß und Tugend brauchbar für die Welt und für den Himmel zu werden , und glaube , daß jeder Christ , der Gott fürchtet und recht tut , im Himmel angenehm ist , er mag übrigens das Abendmahl in einerlei oder zweierlei Gestalt genießen .
Bei solchen Gesinnungen Gehör ich , deuk ich , nicht zu denen Leuten , von denen die Schrift sagt :
Einen Kezer meide !
Ein neues Lächeln der Zufriedenheit verbreitete sich über des heiligen Mannes Gesicht !
Er gab mir seinen Segen , und verbot mir nur , von der Sache nicht viel Aufhebens zu machen , sonst würde ihn Pasquino sehr bald il Fapa Protestante schelten !
Noch mußte ich dem Pater Bontempi meine Wohnung anzeigen , um mich zu finden , und so schied ich , mit einem von Empfindungen und Gedanken so vollem Kopfe und Herzen , daß ich mich unterwegs verirrte und erst nach vielen Umschweifen meine Wohnung fand .
Den folgenden Morgen bei guter Zeit kam ein .
Schweizer zu mir , sagte mir , daß Ihre Heiligkeit sitzt eben nach Castelgandolfo abgegangen zwären , und überreichte mir drei Stücke , einen Brief an Vanvitelli , einen anderen offenen zettel , den ich bloß auf dem Postamte vorzuzeigen brauchte , so würde man mich frei bis Caserta schaffen , und endlich ein versiegeltes Päckchen mit Geld zu den nötigen Ausgaben unterwegs .
Mit dem letzten machte ich sofort dem Schweizer und seinem Kameraden ein Präsent , und nun blieb mir nichts weiter übrig , als nur vorher noch an Sie und an Olympia zu schreiben .
Das ist nun , dem Himmel sei Dank , geschehen , und so schreit ich hiermit zur Versiegelung , trage dann den Brief selbst zur Post , und setze mich auch sogleich auf , um Rom zu verlassen .
Ihre guten Wünsche zu meiner Reise will ich mir nur immerhin pränumerieren , denn nachkommen werden sie doch !
Viel tausend Glück , Segen und Wohlergehen Ihnen und Ihrem ganzen Hause .
Ich bin immer und ewig etc .
Sechzehnter Brief .
Herr Wagner in Venedig an Wilhelm Blumental .
Lieber Landsmann , Freund Sohn und alles zusammen !
Ihren Brief mit allen Ihren seltsamen Schicksalen haben wir vor nunmehr vierzehn Tagen richtig erhalten , und bloß Ehehaften sind Schuld , daß wir ihn so spät beantworten .
Welchen großen Anteil wir daran genommen , versteht sich von selbst :
Aber der Anteil hat sich noch ungleich weiter ausgebreitet , als bloß auf uns .
Ich las den Brief gleich nach seiner Ankunft einigen vertrauten Freunden vor !
Diese plauderten davon , und nun wurde ich um eine Abschrift angegangen .
Was konnte ich tun ?
Ich mußte sie nur geben , und nun höre ich gar , daß sich jemand daran gemacht hat , ihn ins Italienische zu übersetzen .
Wenn_es Glück gut ist , kommt er vielleicht gar gedruckt heraus !
Doch mit meinem Willen soll das nicht geschehen , denn ich stelle mir vor , es würde Ihnen nicht lieb sein .
Daß Sie sich in Ihre Chaussonsche Geschichte so christlich und philosophisch gefunden haben , macht Ihnen Ehre !
Mir fiel dabei eine andere ähnliche , aber noch ein gut Teil ärgere Geschichte ein , die mir ein schlesischer Kaufmann erzählt hat .
Ein Schwede , seinen Namen weiß ich nicht , der außer seiner Muttersprache nichts kann , als lateinisch und französich , will durch Deutschland nach Holland reisen , um dort als Offizier in Dienste zu gehen .
Er nimmt in Goßlar Extrapost , und da es Winter und entsetzliches Wetter ist , hält der Postillion unterwegs in einem Jägerhause an .
Hier trifft er einen Mann an , der so halb und halb auch das Ansehn eines Offiziers hat !
Beide machen Bekanntschaft , und der Schwede sagt , daß er nach Holland unter das Löwenhaupttische Regiment als Offizier gehe .
Darüber stellt sich der andere vor Freuden außer sich , umarmt und küßt den Schweden als seinen wertesten Kameraden , und versichert ihn , er gehe unter dasselbe Regiment .
Die Vertraulichkeit zwischen beiden wird immer größer .
Der Fremde stellt dem Schweden vor , wozu er sich weiter mit der teuren Extrapost schleppen wolle ?
Er sollte in Gottes Namen den Postillion gehen lassen , und bei ihm in der Schese Platz nehmen ; Er habe eigene Pferde etc .
Der Schwede , so wie Sie in der guten Meinung , welch einen braven Reisegefährten ihm der Himmel beschert hat , nimmt dieses Anerbieten mit Dank an , und beide machen sich auf den Weg .
Allein der Fremde , an statt nach Holland zu fahren , lenkt gerade ins Preussische !
In der ersten Garnison hält der Fremde unter dem Tore an , macht dem Schweden weiß , dies sei schon die erste holländische Stadt und Miliz , er habe mit dem Kommendanten etwas zu sprechen , werde sogleich wieder da sein , bis dahin möchte er nur bei dem wachhabenden Offizier abtreten .
Der ehrliche Schwede tut das , ohne die mindeste Besorgnis ; Der Fremde fährt mit dem Wagen davon , und soll noch bis diese Stunde wiederkommen .
Nach mehreren Stunden vergeblichen Wartens wird endlich auch dem Schweden bange , und er will sehen , wo sein Kamerad bleibt !
Der wachhabende Offizier aber befiehlt ihm mit einer donnernden Stimme , da zu bleiben .
Der Schwede ist außer sich vor Erstaunen :
Aber sein Unglück ist unvermeidlich ; Man bringt ihn aufs Ordonnanzhaus , und er wird als Rekrut auf den nächsten Transport in eine entferntere Garnison geliefert .
Vergleichen Sie nun einmal Ihr Unglück mit dem Schicksale dieses Schweden !
Alle seine Sachen , alle sein Geld verlor er ebenfalls : Obendrein aber mußte erstatte des Spontons die Kolbe ergreifen !
Doch dergleichen Unglück begegnet einem Menschen wohl nie mehr als einmal , und wenn ihm die Vorsehung eine so günstige Wendung zu geben weiß , wie es mit Ihnen geschehen ist , so kann man_es kaum einmal mehr ein Unglück nennen .
Er soll Dank haben , auch in meinem und meines ganzen Hauses Namen , der vortreffliche , liebe Papst , dem ich während des Konklave vor zwei Jahren schon im Voraus meine Stimme gab !
Nun getraue ich mir auch ziemlich , Ihnen auf ein halb Dutzend Jahre die Nativität zu stellen .
Wenn Sie bei Vanvitelli , und das wird gewiß in nicht langer Zeit geschehen , sich zum vollkommenen Baumeister qualifiziert haben werden , dann wird der Papst Sie nach Rom zu sich in Dienste nehmen .
Stirbt er , dann gehen Sie zurück ins Vaterland , und wie sich_es versteht , über Venedig !
Unter der Zeit haben mir Schröder und meine Franziska gewiß schon ein halb Dutzend Enkel und Enkelinnen ins Haus gesetzt :
Die sollen Ihnen denn schon den Kopf warm machen !
Nun wäre es Zeit , Ihnen auch etwas von den hochzeitlichen Freuden zu vermelden , die dieser Tage über in meinem Hause erschollen sind .
Ich dachte auch wirklich nicht , daß sich Schröder so lange aus den Armen meines Mädels abmüßigen würde , um ein paar Worte an Sie beizusetzen :
Aber er kommt doch richtig , und verlangt von mir die Feder , um weiter zu schreiben .
Ein Beweis , wie unglaublich hoch Sie bei ihm angeschrieben stehen !
Ich breche also ab , küsse Sie tausendmal in Gedanken , und erwarte baldige Nachricht von Ihnen , wie Sie es in Caserta gefunden , und ob es Ihnen recht wohl gefällt !
Fortsetzung von Schlöder zu jeder anderen Zeit , liebster Bruder , bin ich von ganzer Seele bereit , an deinen Freuden und Leiden recht warmen , herzinniglichen Anteil zu nehmen :
Allein jetzt , ganz trunken und taumelnd von meinem Glück , kann ich an nichts denken , als an mich selbst und an mein liebstes , bestes , zärtlichstes , süßestes Weib !
Seit drei Tagen ist sie mein , ganz mein .
Montanaro hat uns getraut , und mit seiner Beredsamkeit , die du kennst , hielt er eine ganz vortreffliche Rede über unsere wechselseitigen Pflichten , und über die Kunst , unsee Liebe immer neu und frisch zu erhalten .
O gewiß , wir wollen sie bis auf den letzten Hauch des Lebens erhalten !
Ich mag , verlange , wünsche und begehre gar keine andere Glückseligkeit , als in den Armen meiner Franziska den ganzen Himmel der Liebe zu genießen !
Wenn du sie nur jetzt wieder einmal sehen solltest !
Ihr ganzes Wesen ist umgeschmolzen , so wie das meinige !
Wahrlich , du solltest schwören , die Franziska , die du kanntest , die so fest und hartnäckig drauf bestand , daß sie ins Kloster wollte , und die nunmehrige Schrötern , die mit so heißer Liebe an mir hängt , die mir mit tausend Küssen schwört , daß sie sich in meinem Besitz glücklicher schätzt , als im Besitz der ganzen Welt , diese Franziska und diese Schrötern wären zwei ganz verschiedene Personen !
Eine eben solche totale Veränderung ist mit mir vorgegangen , und ich muß deshalb von meinem besten , drolligen Schwiegervater brav leiden !
Was war ich sonst nicht für ein arbeitsamer Kerl , wie erpicht auf mein Kontor , und ohne Ruhm zu melden , wie akkurat in allen meinen Geschäften !
Jetzt bin ich ein Konfusionaries , und wäre im Stande , eine ganze Handvoll zahlen zu viel oder zu wenig zu schreiben !
Deshalb hat mir auch mein grundgütiger Schwiegervater eine Frist von 14 Tagen gesetzt , in der ich ihm durchaus gar nicht aufs Kontor kommen soll :
Hernach aber will er sich eine Rute binden lassen , und mir für jede Ziffer , die ich falsch schreibe , eins über die Hand geben !
Allein meine eben so kluge als schöne Franziska wird es dazu nicht kommen lassen .
Heute , sagt sie mir , soll ich noch Flittertag haben , aber morgen muß ich an die Arbeit , wenigstens den halben Tag !
Nun sollt ich mich zwar billig schämen , daß Franziska solider denken will , als ich : Allein auch selbst ihr zu Ehren auf eine Zeitlang auszuschweifen , ist Ruhm !
Geduld nur , hinterher werde ich von selbst schon wieder gescheut werden , und das Fass meiner Liebe wird wenigstens nicht mehr überlaufen , aber voll bleiben wird es immer , immer und ewig !
Daß übrigens halb Venedig der Verstand dabei still steht , wie ein so reicher Mann , wie Herr Wagner , seine einzige Tochter und künftige Universalerbin einem so armen Schlucker , wie ich bin , hat geben können , versteht sich von selbst , weil die Leute immer das am schwersten begreifen , was doch das Natürlichste von der Welt ist !
Die Augen , mit denen ich deshalb überall angeguckt worden bin , haben mich manchmal weidlich divertiert !
Meine männlichen Bekannten warfen mir einmal über das andere mein Glück an den Hals .
Das ist ein glücklicher Mensch , hieß es !
Ja , ja , wem das Glück nur wohl will , der hat gut lachen .
Im Grunde finde ich das sehr dumm gesagt , wenn damit das sogenannte blinde Glück gemeint ist .
Herr Wagner hat Gottlob beide Augen im Kopfe , um Schwarz und Weiß zu unterscheiden :
Und hätte ich mir nicht seit so vielen Jahren durch manchen sauren Schweißtropfen seine Liebe erworben , so würde er_es haben bleiben lassen , mich zu seinem Schwiegersohn zu machen !
Auf der anderen Seite , hätte nicht der Himmel zwischen mir und Franziska diese Harmonie der Seelen gelegt , die nun unseren Ehestand zum Himmel machen wird , hätte mich Franziska nicht für wert gesunden , mir ihre Hand zu geben , so mochte ich noch so viel kaufmännische Verdienste haben , und erhielt doch das Körbchen !
Dies und noch mehr könnt ich meinem Geschlecht antworten , wenn ich wollte :
Aber wie sich mein süßes Weib gegen ihr Geschlecht aus der Affäre ziehen könnte , das weiß ich denn nun freilich nicht !
Die Damen , besonders die jungen , die selbst ein Bißchen Geld haben , Maßen mich haarscharf vom Kopf bis auf die Füße , und da sie fanden , daß ich ein ordinärer gemeiner Sterblicher war , mit einer Nase in die Länge und einem Munde in die Breite , und obendrein mit Pockengruben und einigen Sommersprossen bezeichnet , so mußte denn freilich das Urteil über Franziskas Wahl sehr nachteilig ausfallen !
Aber was fragt wohl der Glückliche nach dem Urteile derer , die ihn für minder glücklich halten ?
Höher ist nicht der Mond über der Erde , als wir über dergleichen Schwachheiten und Torheiten erhoben !
Mit eben den Gesinnungen haben wir uns auch über die gewöhnliche Sitte des Heiratens hinausgesetzt .
Unser hochzeitlicher Pomp ist sehr klein gewesen , und wohl selten sind Vater und Mutter und Tochter und Schwiegersohn über diesen Punkt so vollkommen eins gewesen :
Aber dagegen hat mein bester Schwiegervater seine milde Hand gegen Kirche und Kirchendiener und arme Notleidende desto weiter aufgetan , und ich mag wohl sagen mit beinahe fürstlicher Freigebigkeit unter sie ausgeteilt .
Ja , und nun - da stehen die Ochsen am Berge !
Wäre irgend jemand auf der Welt , den ich so recht inniglich in meine Hochzeitfreude verwickeln möchte , so wärst du es !
Wärst du z. E. noch krank , und hättest Appetit auf eine Frucht aus dem tiefsten Ostindien , sie müßte mir herbei , es möchte auch kosten was es wollte !
Oder hätte mir Chausson nur den einzigen Gefallen getan , dich ganz rein bis auf den allerletzten Heller auszuplündern , und du wärest statt in Rom in Ancona krank geworden , o wie hätte ich auf die kleinste Nachricht mit der schnellsten Post zu dir fliegen , dir alle deinen Verlust ersetzen , und dir an deinem Krankenbette eben die Freundesdienste und Pflichten leisten wollen , die du mir geleistet hast !
Aber nein ; Deine Freunde sollen nun einmal das Vergnügen nicht haben , dir in deinen Nöten beizustehen .
Nun muß gar der Papst dazwischen kommen , und uns in tiefster Ehrerbietung von dir zurückscheuchen !
Aber nein , ich will mich dadurch nicht verblüffen lassen , und habe an den Hofbanquier Sersale in Navel Ordre gestellt , dir - einen Teller voll Konfekt von meiner Hochzeit zuzustellen .
Laß ihn dir so wohl schmecken , als es dir gern gegeben ist , und behalte mich und uns alle so lieb , wie wir dich etc .
Siebzehnter Brief .
Wilhelm Blumental an das Wagnersche Haus in Venedig .
Caserta , den 11. Nov. 71. Ja , wer doch nun einmal mit Ariosts oder auch Gozzis Geist dichten könnte !
Das sollte gehen : cuore und amore und dolce doloie und Fiore und höre , etwa so : son pur momenti l' höre nel braccio del amore che m'ha toccato il cuore -
Von mure müßte denn wohl billig auch etwas gemunkelt werden !
Aber ist irgend jemand vom Dichter weit entfernt , so bin ich_es , Empfinden , Gottlob , kann ich , und ich denke nicht schwach , außer wenn ich aus Grundsätzen meine Empfindungen an Ketten legen muß : Allein meine Empfindungen aufzustützen und auszustaffieren , das ist mir nicht gegeben !
Welch einherzinnigliche Freude macht mir nicht eure Hochzeit , ihr liebsten Leutchen !
Da habt ihr mein ganzes Hochzeitgedicht , ich müßte denn etwan noch die Kinder wie die Oelzweige hinzusetzen , die sich aber schon von selbst finden werden .
Übrigens , liebster Schröder , hättest du es hübsch sollen bleiben lassen , mir einen solchen enthustastischen Brief von deinem funkelneuen ehelichen Glücke zu schreiben , worin Plato und Epikur , Geistigkeit und Sinnlichkeit so allerliebst gepaart sind !
Glaubst du denn , daß unser einer nicht auch von Fleisch und Bein ist , wie du ?
Und bleibt nicht die Sinnlichkeit bei einem jungen Patrone , wie ich bin , wenn man sie auch noch so sehr durch Grundsätze und Selbstkampf unterdrückt , immer nur ein Funke unter der Asche , den der geringste Hauch zur hellen unauslöschlichen Flamme anblasen kann ?
Doch ich will dir das Gewissen nicht schwer machen , lieber , guter Junge , und bezeuge hiermit , daß alles bei mir ohne Schaden abgelaufen ist , und daß dein Liebesfeuer in meinem Gehege nicht gezündet hat .
Einmal bin ich immer noch meinem Plato treu wie Gold !
Jeder neue Brief von meiner Olympia ist mir so viel wert , als ein paarmal hunderttausend Küsse und Umarmungen von - Nenne , welche du willst ; meinetwegen gar die drei Göttinnen , die sich dadurch als echte Närrinnen zeigten , daß sie sich um den Vorzug der Schönheit stritten !
Ferner : Eben so treu , wie ich meinem Plato bin , bin ich auch meinem Ovid .
" Wie , dem Ovid , doch nimmermehr dem Naso , der drei Bücher amorum , und drei andere von der Kunst zu lieben geschrieben hat ?
" Nicht anders , eben demselben !
Wie oft liegen nicht in der Natur Gift und Gegengift dicht bei einander , und so ist es auch hier .
Denn eben der wollüstige , ausschweifende Ovidius Naso hat auch ein Buch von den Mitteln wider die Liebe geschrieben , und trotz sei dem geboten , der vernünftigere und praktischere Regeln über diese Materie aufweisen kann .
Ich möchte es jedem Jünglinge mit goldenen Buchstaben an alle Wände malen :
- Venus otia amat .
Qui finem quaeris amoris ( Ceditamor rebus ) res age : tutus eris . -
Quacritis Aegysthus auare sit factus adulter .
In promtu causla ast :
desidiosus erat. Laß dir das von Montanaro übersetzen , wenn du nicht mehr so viel lateinisch kannst !
Und nun die Applikation auf mich :
Meine itzige neue Situation gibt mir so viel Beschäftigung , daß ich keinen Augenblick Zeit übrig behalte , mit Sir Amor zu dahlen , oder , auf eine andere Manier zu reden , ich bin in eine gewisse Dame Architettura die ich seit vielen Jahren her schon gewaltig hoch schätzte , nunmehr so sterblich verliebt woroen , daß ich an kein anderes weibliches Geschöpf weiter denken kann .
Kein Wort von meiner Reise von Rom bis hierher !
Sie war pfeilschnell und ohne alle Merkwürdigkeit .
Hier aber ist wieder eine solche Welt von Merkwürdigkeiten beisammen , von der sich Folianten schreiben ließen !
Ich kann nur ein paar Zeilen jetzt davon schreiben .
Vanvitelli , der Vater , ist gegenwärtig ein Greis von 70 Jahren , aber immer noch von vieler Munterkeit und Feuer .
Vor meiner Ankunft hatte er bereits ein Schreiben vom heiligen Vater erhalten , und da ich mich ihm nun persönlich darstellte , und auch meinen Brief überreichte , nahm er mich gar sehr gütig und freundschaftlich auf .
Aber , setzte er gleich hinzu , Sie kommen zu spät , mein Sohn .
Ich stehe jetzt schon mit einem Fuße im Grabe , und bin nicht mehr , der ich sonst war .
Indes , da Sie , wie mir der heilige Vater schreibt , schon einen guten Grund in der Kunst gelegt haben , so werden Sie sich schon von selbst fort helfen , und was meine Zeichnungen , Manuskripte und Bücher anbetrifft , die stehen Ihnen alle von Herzen zu Diensten .
Das Übrige überlaße ich meinem Sohne , der jetzt in Neapel ist , aber bald wieder eintreffen wird !
Dieser zweite Vanvitelli , der Sohn , von dem ich bis jetzt nichts gehört hatte , erschien denn , und ich fand ihn als einen würdigen Sohn seines Vaters , so wohl in der Kunst als im Betragen .
Ein Logis bei einer alten guten Frau wurde bald für mich besorgt ( von der hernach !
) und bei den Vanvitellis speis ich .
Das erste war denn wohl natürlich , mich mit dem Schlosse und der berühmten Wasserleitung bekannt zu machen , wovon ich schon längst so viel Großes und Schönes gehört hatte .
Aber hier verliert alle Beschreibung ihre Kraft !
Man muß sie sehen , um sich von dem kühnen Geiste des Mannes einen Begriff zu machen , der das Wasser in einer Höhe von 180 Fuß von einem Berge zum anderen über 1600 Schritt weit zu leiten weiß .
Das Schloß ist noch nicht ganz fertig , und das ist mir eben recht :
Denn dadurch bekomme ich Gelegenheit , so gleich Hand ans Werk zu legen .
Doch wie wenig kann Sie das alles interessieren !
Merken Sie sich also nur dies :
Ich bin jetzt in der vorteilhaftesten Lage von der Welt , in meiner Kunst Meister zu werden , und ich werde alle Kräfte meiner Seele anstrengen , und alles andere beiseite setzen , um nach drei , vier Jahren sagen zu können :
Anch' io sono Architetto !
Und nun eine schnurrige Geschichte , die Sie sich auch wohl nicht träumen ließen !
Können Sie sich vorstellen , daß ich mich in dieser kurzen Zeit bereits bei einem großen Teile der Einwohner in die Reputation eines Zauberers und respektive Hexenmeisters gesetzt habe ?
Nicht anders , und ein paar Jahrhunderte zurück könnt ich vielleicht zu der Ehre kommen , einen Scheiterhaufen zu zieren .
Der Handel spann sich ursprünglich durch meine Wirtin an , eine gute Haut vom Weibe , aber in einem ganz unglaublichen Grade leicht : und abergläubig !
Sie sitzt durchaus voll von Wundergeschichten , Gespenstrund Hexengeschichten , verwandelten Menschen und Tieren , guten und bösen Geistern etc .
So sehr es nun auch meinen Grundsätzen zuwider ist , der gutherzigen Einfalt irgend eines Menschen zu spotten , so ist es doch manchmal schlechterdings unmöglich , sich des Lachens zu erwehren .
So begegnete mir_es , als sie im Flusse ihrer Beredsamkeit von ungefähr auf den Vesuv stieß !
Ich war im Voraus neugierig , was sie von seinen Ausbrüchen für eine herrliche , physikalische Erklärung machen würde :
Die erhielt ich denn zu meinem großen Erstaunen also und folgendermaßen :
Es war einmal ein Riese , vor vielen hundert Jahren , noch zu der Heidenzeit , ein ganz gottloser und verruchter Bösewicht , der den Leuten die Kinder stahl , und sie hernach in Öl sott und auffraß .
Wo er ein hübsches Mädchen erblickte , zwang er sie , ihm zu Willen zu sein , und wenn sie sich widersetzte , riß er ihr den Kopf ab , und schmauste sie ebenfalls .
Der König von Neapel gab sich alle mögliche Mühe , das Untier auszurotten .
Er ließ ein Gebot ausgehen , wer den Riesen erlegte , sollte die Prinzessin , seine Tochter , zur Gemahlin haben , und nach ihm König sein .
Viele junge Herren ließen sich gelüsten , deshalb mit dem Riesen anzubinden , aber sie kamen alle schlecht weg ; entweder blieben sie tot im Gefechte , oder der Riese erwischte sie lebendig und fraß sie mit Haut und Haar auf .
Endlich kam ein heiliger Mann ins Land , der ging an den königlichen Hof und sagte :
Wenn der König dem Gözendienste entsagen , und ein Christ werden wollte , so sollt es mit dem Riesen bald ein Ende mit Schrecken nehmen !
Der König ließ sich dazu bewegen , nahm die christliche Religion an , empfing die Taufe aus den Händen des Heiligen , und das ganze Land folgte seinem Beispiele nach .
Nachdem dies geschehen war , erinnerte der König den heiligen Mann , er möchte nun auch sein Wort halten , und ihm und seinen Untertanen den Riesen vom Halse schaffen !
Der heilige Mann sagte Ja , und gebot dem Könige , er sollte den und den einen allgemeinen Buß- und Bettag im ganzen Lande ausschreiben .
Das geschah !
Der Tag brach an !
Jedermann tat Buße im Sack und in der Asche , und bat Gott um Erlösung von diesem menschenfressenden Ungeheuer .
Mit einemmalo umzieht sich der Himmel ringsherum mit pechschwarzen Wölken :
Es fängt an zu donnern und zu blitzen , so entsetzlich , daß als Leute glauben , der jüngste Tag ist vor der Tür .
Der Riese aber ist immer noch bei guter Laune , und treibt nur seinen Spott mit alle dem Donner und Bllz !
Endlich und endlich tut es denn einen Schlag , den keine Worte aussprechen , und keine Zunge beschreiben kann !
Hundert tausend Kanonen sind nichts dagegen , und mit diesem Schlage liegt denn der Riese da , zwar immer noch nicht ganz tot , aber doch tief in den Erdboden hereingeschlagen , und ein ganzer Berg über ihm !
Nun rüttelt und schüttelt er sich noch immer , und möchte gern den Berg von sich abwälzen , aber der liebe Gott läßt das nicht zu :
Es bleibt also bloß beim simpeln Erdbeben !
Und weil nun zugleich dem Riesen ein ganzes Gewitter mit Donner und Blitz im Halse steckt , was Wunder , wenn er zuweilen Feuer speit ?
Was dünkt Ihnen zu dieser ungeheuren Fratze , von deren Wahrheit das gute alte Weib so steif und fest überzeugt war , als wäre_es ein Evangelium ?
Ich teilte sie denn meinen Vanvitellis über Tische mit ; Ein Wort gab das andere und ich sagte von ungefähr , daß nichts Leichters sei , als einen Vesuv im Kleinen nachzuahmen .
Das erregte große Verwunderung , und man war sehr begierig , das Experiment zu sehen .
Ich erwiderte , daß dazu nichts gehörte , als ein kleiner wüster Fleck Landes , etwa zehn Pfund Schwefel und eben so viel Pfund Eisenfeilspäne , nebst ein wenig Wasser .
Vanvitelli , der Sohn , dessen Wißbegierde sich auch außer sein Fach erstreckt , nahm es auf sich , mir alles dies zu verschaffen .
Er wies mir in seinem Garten ein Fleckchen Erdreich an ; Ich bekam die nötigen Ingredienzien und fing nun an , sie unter einander in einen Teig zu kneten .
Unterdes hatte ich mit meiner Wirtin tausend Spaß !
Ich sagte ihr , der große Riese , von dem sie mir erzählt , hätte noch einen kleinen Buben hinterlassen , der Nächstetages in Vanvitellis Garten auch ansangen würde , Feuer zu speien .
Heilige Mutter , rief sie aus , indem sie die Hände über dem Kopfe zusammenschlug , so sind wir verloren !
Einen kleinen Augenblick ließ ich sie bei diesen ängstlichen Grillen , bis mir endlich das Lachen ausriß und ich ihr sagte :
Der kleine Riese wäre ich , ich wollte bloß zum Spaß einen kleinen feuerspeienden Berg anlegen , es würden mehrere vornehme Personen in der Stadt hinkommen , ihn zu sehen , und sie könnte ganz ruhig sein , ich würde nicht den geringsten Schaden anrichten .
Nun stellen Sie sich die liebe Einfalt vor !
Weil ich vom kleinen Riesen anfing , glaubte sie mir aufs erste Wort , und wäre auf der Stelle davon gelaufen , wenn ich sie nicht gehalten hätte .
Nunmehr aber , da ich von mir selbst sprach und die Sache als ganz natürlich und leicht vorstellte , war sie ungläubiger wie Thomas !
Sie blieb schlechterdings dabei , das wäre nicht möglich und ich macht ihr bloß was weiß !
Und denn hielte sie mich auch für einen viel zu guten Menschen !
Wer solche Künste könnte , der müßte notwendig mit dem Teufel ein Bündnis haben , und das würde sie mir ja nimmermehr nachsagen lassen etc .
" Dabei blieb denn , bis mein Experiment glücklich zu Stande kam , und nachdem der sulphurische Teig 12 Stunden unter der Erde gegoren hatte , das kleine Feuerwerk richtig losgieng .
Alles , was nur von beau Monde im ganzen Städtchen war , lief zusammen ; Selbst unser Herr Gouverneur Neroni . ein trefflicher Mann , der selbst physikalische Kenntnisse besitzt , tat mir die Ehre , dies kleine Spielwerk mit anzusehen , und ich gewann dadurch seine Bekanntschaft und seinen Umgang .
Und nun hätten Sie das Gesicht sehen sollen , was mir meine Wirtin machte , als ich nach Hause kam , und Fama ihr vorher schon , obwohl sehr konfus und verworren , verkündigt hatte , was vorgefallen war !
Ihrer Theorie nach konnte sie mich nicht anders , als für ein Kind des Teufels halten , und doch sah ich vollkommen eben so aus , wie zuvor ; Noch mehr , alle Welt war von der kleinen Schnurre sehr erbaut , und der Herr Gonverneur war selbst mit dabei gewesen , ja sogar einige Geistliche !
Da konnte doch auch wieder nichts vorfallen was Gott sei bei uns ins Teufels Küche gehörte !
Und also stand ihr denn der Verstand rein stille !
Mit vieler Mühe habe ich ihn allmählich wieder so weit in Bewegung gebracht , daß sie mich vom Bunde mit dem Teufel absolviert hat , aber dagegen hat sie mich recht mütterlich ermahnt und fast mit Tränen gebeten , ich möchte doch ja dergleichen lose Künste künftig unterlassen , es wäre doch allemal eine Versuchung Gottes , und Gott könnte leicht ein Strafgericht über die ganze Stadt ergehen lassen , wenn ich ihn so mutwillig reizte .
Das habe ich ihr denn auch mit Hand und Mund versprochen und dadurch ihre ganze Liebe wieder gewonnen !
Der übrige Pöbel aber schlägt immer noch das Kreuz vor mir , als vor einem , der mehr kann als Brot essen , und den man sich sehr in Acht nehmen muß zu beleidigen , sonst wäre er im Stande , einen krumm und lahm zu hexen !
Hier muß ich Geschäfte halber abbrechen , ob ich gleich noch so manches erzählen wolle .
Tausend Lebewohl Ihnen allen , und Gott geltes Ihnen an Kindern und Kindeskindern , was Sie an mir tun !
Welch ein allgewaltiger Teller von Konfekt das ist , den du mir dazuschickst , liebster Schröder !
Wie soll ich den bezwingen !
Doch es geschehe - auf deines erstgeborenen Sohnes Wohl !
Adieu !
Acht und dreißigstes Kapitel .
Endlich trete ich auch wieder einmal auf den Platz , ich der Herausgeber und Erzähler dieser Geschichte !
Bis jetzt habe ich die Korrespondenz meines Wilhelms ihren Gang gehen lassen :
Allmählich aber fängt diese Korrespondenz an ganz sachte auszugehen !
Und wie hätte das anders sein können ?
Einmal war er in seinem Caserta mit Leib und Seele Architekt und fühlte es je länger je mehr , daß ein ausgebreiteter freundschaftlicher Briefwechsel eine ganze Menge Zeit raubte , die viel nützlicher angewandt werden könnte .
Da nun überdem seine itzige Lebensart so einförmig und simpel und ohne alle Abenteuer war , so machte er mit allen seinen Freunden in Deutschland und Oberitalien den Akkord , daß sie ihm sein Stillschweigen nicht als einen Mangel von Freundschaft auslegen sollten , sondern bloß als einen Beweis , daß noch alles beim Alten stünde !
Auf diese Weise werde ich auch seine Geschichte vom iztlaufenden Jahre 1771 bis 74 sehr kurz zusammenfassen können .
Der edle Ganganelli , sobald er von den beiden Vanvitellis ein sehr vorteilhaftes Zeugnis von Wilhelm erhalten , setzte ihm nicht nur sogleich eine kleine jährliche Pension aus , sondern versprach ihm auch , ihn in Jahr und Tag in seine Dienste zu nehmen .
Das würde ohne zweifel auch geschehen sein , hätte nicht Ganganelli im Jahre 1773 den weltbekannten Schritt getan , den berühmten und berüchtigten Jesuiterorden aufzuheben .
Dies verwickelte ihn in so viel Sorgen und Geschäfte , daß ein kleines unbedentendes Individuum darüber notwendig vergessen werden mußte !
Auch fingen die Klügeren der Nation bereits an , für Ganganellis Leben bange zu werden .
Die Jesuiten , oder vielmehr nur der schlechtere Teil von ihnen ( denn wer wollte allen Schuld geben , was einzelne verbrochen ) hatten bereits bei mehreren Gelegenheiten Proben gegeben , daß sie eine ihnen zugefügte Beleidigung mit der unerbittlichsten und unbarmherzigsten Strenge rächten :
Und nun vollends diese Beleidigung , die gänzliche Aufhebung ihres Ordens !
Diese Besorgnis traf nur zu bald ein ; Ganganelli starb 1774 , und in ganz Rom zweifelte niemand , außer die Jesuiten und ihre Anhänger , daß der große Mann durch Gift hingerichtet worden sei .
Mit seinem Tode war nun auch Wilhelms Hoffnung zu Wasser geworden : Indes , so schmerzlich ihm Ganganellis Tod war , weil er ihn mehr als irgend einen Sterblichen liebte und ehrte , so war ihm die Vereitelung dieser Hoffnung eher lieb , als unlieb .
Schon seit dem Jahre 1772 hatte er angefangen , sich auf eine Reise nach England recht ernsthaft anzuschicken .
Der schon angeführte Gouverneur Neroni verschaffte ihm einige englische Bücher , und ein sehr geschickter englischer Schlösser , der im Pallast arbeitete , brachte ihn in Jahresfrist so weit , daß er schon dafür passieren konnte , ziemlich gut Englisch zu sprechen .
So oft denn englische Reisende hierher kamen , um die Wunder von Caserta zu sehen , war er ihr Cicerone , und schon 1773 wollte ihn ein englischer Lord mit in sein Vaterland nehmen .
Aber noch fühlte er sich in seiner Kunst nicht ganz fest , und schlug es also aus , um wenigstens noch ein Jahr bei Vanvitelli , dem Sohne , zu bleiben , denn der Vater war im März eben dieses Jahres entschlafen .
Als aber das Jahr um war , und nun auch die Nachricht von Ganganellis Tode einlief , beschloß unser Wilhelm , Italien Lebewohl zu sagen , und als junger Meister zuerst in dem Lande aufzutreten . wo unter allen am wenigsten Gefahr ist , mit aller erworbenen Kunst und Wissenschaft Hungers zu sterben !
Er verließ also Caserta im Oktober 1774 , ging nach Neapel , und fand da bald ein segelfertiges Schiff , das nach London bestimmt war .
Den 20. bestieg er es , und nach einer Fahrt von 5 Wochen langte er glücklich auf der alten Mutter Themse an .
" Nun das heißt doch im Galopp erzählt , wird hier gewiß ein Teil meiner Leser ausrufen !
Wie ausführlich war nicht die erste Hälfte dieser Geschichte ; Ein Bogen enthielt oft nicht mehr , als die Geschichte eines Tages : Und jetzt werden 3 Jahre auf ein paar kleine Seiten zusammen geworfen !
" Die Tatsache ist richtig , lieber Leser , und doch glaube ich im Stande zu sein , das Schriftstellerischstrafbare , was dieser Vorwurf in sich schließt , vollkommen von mir abzulehnen .
Allerdings habe ich die Kind - und Jugendgeschichte meines Helden sehr ausführlich behandelt .
Ob auch gut ? -
Meine Absicht war es !
Allein daß das Ausführliche in diesem Falle gewiß kein Fehler ist , davon bin ich fest überzeugt .
Erziehung , Erziehung macht den Jüngling und den Mann , und solche , oder eine andere Erziehung bildet solchen oder einen anderen Jüngling und Mann .
Nun ist Wilhelms ganze Erziehung offenbar auf den Zweck gerichtet , sich nach Maßgabe seiner Talente und Neigungen durch vielen Fleiß und Studium zum brauchbaren Manne für den Staat zu bilden !
Diesen Fleiß bewies er zwar immer , aber doch vorzüglich bei den Vanvitellis , wo er alles andere beiseite setzte , und sich höchstens alle halbe Jahre eine kleine Erholungsreise nach Neapel , oder auf den Vesuv , oder nach Herculaneum etc . erlaubte .
Wenn ich also mit zwei Worten sage :
Drei Jahre lang arbeitete er unablässig , um in seiner Kunst Meister zu werden , so habe ich wirklich die vollständige Geschichte dieser drei Jahre geschrieben .
Das besondere Detail gehört für Baumeister von Profession , nicht für ein vermischtes Publikum von Lesern und Leserinnen , die von Säulenordnungen , Fassaden , Portalen , Balustraden etc . nichts gebrauchen können .
Freilich hätte sich von kleinen angenehmen und unangenehmen Zwischenfällen , von neuen gemachten Bekanntschaften etc . allerlei interessantes erzählen lassen !
Allein da alles dies in Wilhelms Charakter keinen weiteren Einfluß hat , so kann es auch eben so gut wegbleiben :
Und du siehst wohl , lieber Leser , da ich meinem Versprechen zuwider mit diesem kleinen Büchlein eine ganze Messe zurückgeblieben bin , daß ich nicht zu den schreibseligen Herren gehöre , deren Tintenfaß ein nie versiegendes Oelkrüglein ist , sondern , daß , wenn es sich nur irgend will tun lassen , ich lieber abkürze , als dehne .
Schicke dich nur also schon in meine Weise , und tue mit mir einen Sprung nach dem lieben England , wo du sehen und hören wirst , ob Wilhelm besser daran tat , sich_es die ganze Zeit seines Lebens her rechtschaffen sauer werden zu lassen , und , ungestört von Liebespein , im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten , als wenn er einer von den müßigen , nichtsnutzigen Pflastertretern gewesen wäre , die uns unsere Romanschreiber noch immerfort von Messe zu Messe als Muster aller menschlichen Vollkommenheit aufstellen .
Neun und dreissigstes Kapitel .
Wilhelm trat nun wieder in eine für ihn ganz neue Welt , die gegen die vorige gehalten in vielen Stücken verlor , aber auch in einigen wiederum merklich gewann .
Der erste Anblick von London , das jetzt im Dezember in dicke , ungesunde , zum Strick einladende Nebel gehüllt war , mußte sich denn freilich gegen den unaussprechlich reizenden Anblick von Neapel gänzlich verkriechen !
Auch selbst die so gerühmten Ufer der Themse vermochten in Wilhelms Seele nicht gegen die Pracht des neavolitanischen Meerbusens zu bestehen !
Und nun vollends die Wunder der Natur um Neapel her : der schrecklich schöne Vesuv ; die pausilippische Grotte , von der man es leicht glauben könnte , daß sie durch Zauberei entstanden wäre ; die immer rauchende Solfatara ; die Grotte . die schon so vielen tausend Hunden das Leben gekostet hat ; die Stadt , die man auch am hellen Tage nicht ohne Fackel in der Hand besucht etc . alles das ist einzig , und weder London noch irgend eine Stadt in der Welt kann etwas dem gleiches aufweisen .
Von Seiten der leblosen Natur also offenbarer Verlust !
Allein von Seiten des Menschengeschlechts hatte Wilhelm während seines dreijährigen Aufenthalts im Neapolitanischen so manche Bemerkung gemacht , die für sein Herz eben nicht sehr erfreulich sein konnte .
Unwissenheit und Aberglaube gehen hier viel weiter , als im ganzen übrigen Italien , aus Ursachen , welche zu entwickeln hier zu weitläufig fallen würde !
Anfangs lockte diese Unwissenheit und dieser Aberglaube Wilhelm manches Lächeln ab , allein nach und nach wurden sie ihm zum Ärger und Verdruß , und das um so mehr , je deutlicher er die schädlichen Folgen davon einsah .
Einmal geriet er sogar in die äußerste Gefahr , diesen blinden Aberglauben mit seinem Leben zu büßen !
Er hatte eine Reise nach Neapel gemacht , um das weltberühmte Wunder mit dem Blute des heiligen Januarius zu sehen .
Das Gedränge des Volks war außerordentlich , und noch außerordentlicher die inbrünstige Andacht desselben .
Vornehm und Gering , hoher und niederer Pöbel schlug und stieß sich wütend an die Brust : Allein der heilige Gennaro verzog diesmal ungewöhnlich lange , sein Blut in Fluß zu bringen .
In solchem Falle pflegt der neapolitanische Pöbel gern die Ursache dieses Unglücks auf die anwesenden Kezer zu schieben , die durch ihre Gegenwarr das Heiligtum entweihen , und wehe ihnen dann , wenn er sie ins Gesicht bekommt , und seine Wut an ihnen auslassen kann !
Nun hatte zwar Wilheim seiner Meinung nach alles getan , um sich nicht als Kezer zu verraten ; Das Kreuzschlagen und Besprengen mit Weihwasser war ihm völlig mechanisch geworden , und er hatte es auch diesmal beim Eintritt in die Kirche nicht unterlassen ; Auch war seine Miene ganz Ernst und Andacht , und nicht die kleinste Spur von Spott darin zu lesen :
Gleichwohl schöpften seine nächsten Nachbaren Verdacht , weil er das Wunder bloß mit aller Gelassenheit abzuwarten schien , und nicht so wie sie von dem Heiligen zu ertrotzen und zu Epochen suchte .
Auf einmal erscholl eine Stimme : Ecco un eretico , un luterano !
Und in demselben Augenblicke schlug auch eine geballte Faust den armen Wilhelm ins Gesicht , daß ihm das Feuer aus den Augen Sprung .
Unfehlbar wäre er hier verloren gewesen , und im Getümmel erdrückt und erschlagen worden , hätte nicht der Himmel einen Zisterzienser erweckt , der von Mitleid und Erbarmen ergriffen sich schnell herbeidrang und ausrief : Ihr irrt euch , Kinder !
Ich bitte euch um Gottes Willen , ich kenne ihn , er ist kein Kezer , er gehört dem Könige an , wollt ihr euch am Könige vergreifen ?
Kommen Sie zu mir , und ihr , schaut auf den Heiligen , sogleich wird sein Blut fließen !
Dieser glückliche Träte von Gegenwart des Geistes ( denn der Pater hatte Wilhelm in seinem Leben nicht mit Augen gesehen ) war der Retter ; Der Pöbel ließ von Wilhelm ab , und der mitleidige Mönch führte ihn mehr tot als lebendig zum Tempel hinaus .
Ein solcher Auftritt hätte leicht jeden anderen bewegen können , sofort aufzupacken , und ein Land zu verlassen , wo man auch bei der größtmöglichsten Behutsamkeit , den Aberglauben nicht in Harnisch zu bringen , dennoch in seine wütigen Klauen geraten ran :
Allein Wilhelm dachte viel zu billig , um eine ganze Nation dasjenige entgelten zu lassen , was der Auswurf der niedrigsten Kanaille getan hatte .
Überdem war ja der edle und wackere Zisterzienser auch ein Neapolitaner , und so lag Gutes und Böses , Ruhm und Schande auf einer Waagschale !
Gleichwohl , wer wird nicht im Ganzen einem Lande den Vorzug geben , in dem auch die allerniedrigste Pöbelkanaille schlechterdings zu einer Gewalttätigkeit von der Art unfähig ist ?
Dieser Vorstellung zufolge betrat Wilhelm England mit ganz leichtem und fröhlichem Herzen , fest überzeugt , daß sein Hals nirgends vor der Wut des Aberglaubens sicherer sei als hier .
Daß er das Englische schon in Caserta gelernt , habe ich bereits angeführt :
Unterwegs aber auf dem Schiffe setzt er sich noch mehr darin fest .
Nicht bloß der Kapitän , der Steuermann und die Passagiers , sondern selbst die Matrosen mußten ihm darin zu Lehrmeistern dienen !
Er erkundigte sich fleißig nach den Englischen Sitten und Gebräuchen in hohen und niedrigen Ständen , um so viel wie möglich gegen keinen derselben zu verstoßen .
Er gewöhnte sich allmählich an die gröbere Englische Kost , und lernte das Fleisch essen , was noch halb in seinem Blute schwimmt !
Alle diese Bemühungen , sich der Englischen Nation gefällig zu machen , wurden ihm hinterner tausendfältig vergolten .
Er hatte nicht Ursache , über die Kälte und Frostigkeit der Engländer Klage zu führen , wie es so viele deutsche Reisende tun !
Gegen ihn wurden sie sehr bald vertraulich und kirr , weil er den Pfiff verstand , sie bei ihrer empfindlichsten Seite , dem Nationalstolz zu kitzeln .
Diese Einleitung vorausgeschickt , teile ich sogleich ein paar Briefe mit , die er im Januar und Februar 1775 an das Wagnersche Haus in Venedig abgehen ließ , worin der geneigte Leser hoffentlich nicht ohne Vergnügen seine ersten Abenteuer auf Englischem Grund und Boden lesen wird .
Achtzehnter Brief .
Liebsten Freunde und Freundinnen !
In der langen Zwischenzeit , seit wir uns von einander getrennt haben , hat sich zwar mit uns allen gar viel geändert : Allein die größte Veränderung mit meiner Wenigkeit ist in der kurzen Zeit vorgegangen , seit ich hier in London bin ; die Herreise dazugerechnet , denn da war ich auch schon unter lauter Engländern !
O Freiheit , Freiheit , wer kann deinem hinreissenden Zauber widerstehen ! zwar ich bin nur ein Gast an der Tafel der Freiheit , und genieße bloß aus Gnaden , worauf die Eingeborenen ein festes und ewiges Recht haben :
Aber auch der Brosamen , die für mich abfallen , sind so viele , daß ich mehr als die Hälfte ungenossen muß umkommen lassen , aus Furcht , daß wenn mich die Vorsehung etwan in mein Vaterland zurückführte , ich an der Tafel desselben , wo es ein klein wenig genierter zugeht , eine sehr üble Figur machen dürfte !
Mein Wirt - Doch wer ist mein Wirt , wollen Sie wohl vor allen Dingen wissen ?
Ihr und mein Landsmann , ein ehrlicher Deutscher , Namens König , aus dem Halbestädtischen gebürtig , der als Buchbindergeselle hierher wanderte , bei Meister Portage Arbeit nahm , und das Glück hatte , seine einzige Tochter und Erbin zu heiraten .
Nunmehr ist er in aller Arsicht ein gemachter Mann ; Vor ein paar Jahren hat ihm das Parlament das Bürgerrecht bewilligt , und seit der Zeit ist er mit Leib und Seele Engländer !
Sein Metier bringt ihm reichliches Brot , und er hat dabei weiter keine Mühe , als es mit seiner Frau und Kindern nach Bequemlichkeit zu verzehren , denn das Arbeiten verrichten seine Gesellen , deren er mehr als ein Dutzend hält !
Sein ältester Bube , Richard , von 7 bis 8 Jahren , ist zur Zeit mein Lehrer in der Englischen Staatskunde : Sollten Sie das für möglich halten ?
Und es ist nicht anders !
Denn hier zu Lande atmet der Geist der Freiheit sogar in den niedrigsten Klippschulen für kleine Kinder .
Schelmerei und Bosheit werden hier nicht so de facto vom Schulmeister mit Rute und Stock bestraft , wie anderwärts :
Sondern das muß nach Urteil und Recht und nach der hergebrachten Weise des Vaterlands durch zwölf Geschworene geschehen .
Erst vorgestern ist mein kleiner Richard einer von den Jurns gewesen , und hat über einen älteren Knaben von 10 Jahren , der mit einem anderen mutwillig Händel angefangen , das schreckliche Wort schuldig ! ausgesprochen .
Vater und Mutter haben denn natürlich darüber ihre große Freude , und ich muß selbst gestehen , daß mir diese Methode überaus wohl gefällt , die nicht nur den Patriotismus sehr früh in die junge Seele des Kindes einpflanzen , sondern auch der frühen Entwicklung des gesunden Menschenverstandes sehr günstig sein muß .
Auf der anderen Seite aber hat mein armer König ein gewaltiges Kreuz an seinem Schwiegervater , den er bei seiner Heirat angeloben müssen , zu Tode zu füttern .
Das tut er nun zwar gern , und er müßte auch wahrlich kein Deutscher sein , wenn er es nicht gern täte , da er eben diesem Manne sein ganzes Glück zu danken hat : Allein wenn auch Meister Portage mein eigener Schwiegervater wäre , so könnt ich nicht umhin , ihn für einen Narren vom allerersten Range zu erklären .
Er ist - ich weiß nicht , ob Sie diese Klasse von Leuten kennen ; mir ist sie wenigstens in Italien nicht vorgekommen - ein Geisterseher .
Ein gewisser Doktor der Medizin Portage , mit dem verwandt zu sein sich unser Meister Portage eine große Ehre macht , hat ein großes dickes Buch geschrieben , unter dem Titel : göttliche Metaphysik .
Dies Buch wimmelt ganz von Engeln und von Teufeln , die der seltsame Kauz von Doktor so Special gekannt haben will , wie seine Frau oder seine Magd .
Die Engel , sagt er , haben Leiber aus lauter Licht gewebt :
Der Teufel ihre hingegen sind aus ägyptischer Finsternis gemacht .
Das allermeiste an diesen Leibern ist eben so wie bei menschlichen ; Bloß Gedärme fehlen ihnen , vermutlich , weil sie nicht essen noch trinken .
Jeder dichtere Körper geht ungehindert mitten durch einen solchen Engels- oder Teufelskörper , aber das schadet ihm im geringsten nicht ; So bald der Durchzug geschehen ist , fügen sich alle Glieder wieder gehörig zusammen etc .
Aus diesem sauberen Werke hat Meister Portage zuerst seine überirdischen Gesichte geschöpft und die eben so einsichtsvollen Werke des noch lebenden berufenen Schwedenborgs haben das Weitere getan .
Vor vier Jahren hat Meister Portage sogar eine eigene Reise nach Amsterdam gemacht , um die persönkiche Bekanntschaft dieses großen Propheten zu erlangen .
Seit der Zeit , sagt mir sein Schwiegersohn , ist sein Kopf vollends verrückt worden , und ich fühle es nur leider mehr als zu sehr .
Da ich mit ihm in einem Stockwerk wohne , kommt er wenigstens alle Tage einmal vor meine Tür , um mich von seinen Geistern zu unterhalten , und wenn ich mich auch zweimal vor ihm verschließe , so muß ich ihn denn doch wenigstens das drittemal einlassen !
In dergleichen Lage , wenn ich notgedrungen den Umgang eines Narren dulden muß , ist mein Grundsatz immer der , daß ich seiner Narrheit irgend eine interessante und für mich unterhaltende Wendung zu geben suche : Und das ist mir mit Portagen über alle Maßen gelungen .
Da er sich nicht bloß rühmt , daß er die Geister der Verstorbenen zitieren und sich über jede verlangte Materie mit ihnen unterhalten kann , sondern auch die Spiritus familiares abwesender lebender Personen ; so habe ich mir den Spaß mit ihm gemacht , daß er mir von allen meinen entfernten Freunden in Deutschland und Italien durch seine unsichtbare Geisterpost Nachricht geben muß .
Nun ich sage Ihnen , krank lachen möchte ich mich manchmal über die ungeheuren Lügen , die dieser Holzkopf von Prophet mit einer so zuversichtlichen Miene vorbringe , als ob es Evangelia wären !
Einmal sagt er mir , Sie , liebster Wagner , wären so eben in der Kutsche * ) ausgefahren :
Ein andermal * )
In ganz Venedig ist keine Kutsche und kann keine Kutsche sein . sieht er Sie wieder in der Messe * ) :
Dann erzählt er mir wieder als eine sehr interessante Neuigkeit , Ihre Franciska würde nächstens in den Stand der heiligen Ehe treten !
Und mit wem ?
Mit einem Italienischen Lord , einem sehr angesehenen , aber schon etwas ältlichen Manne , mit dem sie von ungefähr auf einer Promenade in einem Park bekannt worden !
Armer Schröder , wie wird es dir ergehen !
So mit einemmal um Frau und Kinder zu kommen , es ist wirklich hart !
Eben solche ungeheure Pudel macht auch Meister Portage , wenn ich ihn auf meine Freunde in Deutschland bringe :
Denn er ist in einem Lande so unwissend wie im anderen , und stellt sich vor , es sei überall so , wie in seinem England !
Meinen ehemaligen Vormund , den Apotheker Herrn Hennig , läßt er fleißig Kranke besuchen , so wie es hier die Apotheker tun dürfen etc .
Doch weg , weg mit dem Narren !
Die Zeit ist edel !
Der sehr kluge und gescheute Schwiegersohn dieses sehr närrischen Schwiegervaters ist es eigentlich , mit dem ich zu tun habe .
* ) Herr Wagner war Protestant , und die Protestanten haben in Venedig ihren eigenen Prediger .
Aufangs , ich muß es gestehen , war mir denn doch nicht wenig bange , wie ich als ein Steinfremder , ohne alle Empfehlung an irgend eine angesehene Familie , meine mit so vielem Schweiß und Mühe erlernte Kunst an den Mann bringen wollte .
Und hätte ich es auch wirklich mit allen hiesigen Baumeistern aufnehmen können , wiewohl ich von diesem stolzen Gedanken weit entfernt bin , wie sollt ich dem Publikum eine günstige Idee von mir beibringen ?
Sollt ich etwa mein Lob selbst ausposaunen ?
Lieber erhungern !
Oder hätte ich auch so klein denken wollen , hätte auch das Englische Publikum mein Selbstlob für Wahrheit nehmen wollen , wo war für mich eine Kanzel , von welcher ich so laut und vernehmlich sprechen konnte , daß jedermann mich hörte ?
In dieser Verlegenheit geriet ich auf den Entschluß , mich an einen oder den anderen der hiesigen vorzüglichen Meister der Kunst anzuschließen , und unter ihm als Subaltern zu dienen .
Mein wackerer Wirt aber widerriet mir diesen Gedanken aus allen Kräften , und sagte mir Dinge vor , die leider wohl wahr sein mögen , aber desto schlimmer , wenn sie es sind !
Freund , sagte er zu mir , ich sehe , Sie sind noch ganz unbekannt mit der Welt !
Wenn Sie wirklich , wie ich nicht zweifle , vorzügliche Kenntnisse aus Italien mitbringen , und sie assoziieren sich mit unseren hiesigen Baumeistern , so wett ich hundert gegen eins , daß man sie hier zu Lande sicherlich nicht aufkommen läßt !
Der vermaledeite Brotneid und die leidige Künstlereifersucht wird schon Mittel und Wege finden , Sie gänzlich zurückzusetzen :
Das werden Sie zu Ihrem Verdruß erfahren , wenn Sie mir nicht glauben wollen !
Wollen Sie mit aber glauben , so sein Sie Meister auf Ihre eigene Hand , und werfen Sie sich nicht als Geselle weg !
Machen Sie einen ganz kurzen , simpeln Aufsatz , und lassen Sie den in einige Zeitungen rücken !
Ich pariere , so viel Sie wollen , einer oder der andere Lord oder Skweir . beißt gewiß an , und ist nur erst einmal der Anfang gemacht , dann wird die Güte ihrer Arbeit allein Sie schon weiter empfehlen .
Ich folgte diesem wohlgemeinten und an sich vernünftigen Rate , und machte also einen doppelten Aufsatz , oder vielmehr nur einen Aufsatz , ber in doppelter Sprache , Englisch und Italienisch , und ließ ihn in den Daily Advertiser , in das St. James Chronicle und in die London Gazette setzen .
Fern von aller Prahlerei sagt ich darin bloß , was die pure lautere Wahrheit war .
Ein junger Architekt aus Deutschland , der bei dem Königlichneapolitanischen Baumeister Vanvitelli seinen Cursus gemacht , gedenkt sich ein oder ein paar Jahre in England aufzuhalten und bietet einem geehrten Publikum seine Dienste an .
Seine Wohnung ist in Woodstreet , Nummer die und die etc .
So viel wußte ich nun wohl , daß mein Aviso von viel tausend Personen gelesen werden würde :
Denn schwerlich gibt es in irgend einer Stadt mehr Zeitungen wie hier , ( wenigstens 20 ) und mehr eifrige und ganz darauf erpichte Zeitungsleser !
Aber bei den jetzigen immer kritischer werdenden Unruhen in Amerika , die die Köpfe des ganzen Vaterlandes , und ich mag wohl sagen , der ganzen Nation anfüllen , zweifelte ich sehr , daß die Ankunft eines so unbedeutenden Individuums , wie das meinige , eine Sensation machen würde !
Aber nein ; Mein Wirt behielt recht , denn kaum waren 48 Stunden um , so erhielt ich schon eine Ambassade vom Lord Cadogan , ich möchte zu ihm kommen .
So wie mein Wirt den Namen dieses Lords hörte , brach er in ein gewaltiges Gelächter aus , und sagte mir , der Himmel schiene es recht darauf anzulegen , daß ich sehr frühzeitig bei meinem hiesigen Aufenthalte eine Kuppel rechter Originalnarren kennen lernen sollte , denn dieser Lord wäre auch der einer , wie ich schon daraus schließen könnte , daß sein Schwiegervater das Glück hätte , gar sehr bei ihm in Gnaden zu stehen :
Übrigens stünde er in dem Rufe eines großmütigen und wackeren Mannes , und in Absicht der Belohnung für meine Dienste würde ich gewiß bei ihm nicht schlecht fahren !
Aus alle dem folgte , daß ich nur um so mehr eilte , die Bekanntschaft dieses vorgeblichen Originals zu machen , und zu vernehmen , was Deren Lordship zu befehlen hätten .
Aber diesmal wurde meine Erwartung sehr getäuscht ; An statt einen Narren an ihm zu finden , wie mir König gesagt hatte , traf ich an ihm den herablassendsten , gesprächigsten und vernünftigsten Mann von der Welt .
Mir für mein Teil fiel an ihm nicht das Geringste auf :
Aber wohl ihm an mir , und das war meine Jugend !
Ich konnte es ihm an der Nase ansehen , daß er meine 25 Jahre ( und er taxierte mich vielleicht noch jünger ) mit meiner Wissenschaft in der Baukunst nicht recht zusammenreimen konnte !
Ich gab ihm denn darüber das nötige Licht , sagte ihm , daß ich mich keineswegs für einen allgemeinen Baumeister ausgäbe , sondern daß bloß Civilbaukunst im edlen Stile meine Sache sei , daß mein Lehrer Vanvitelli mir keinen Vorteil und Kunstgriff derselben verhält hätte etc .
Dies und dergleichen erweckte allmählich in ihm volles Vertrauen , ( dessen anfänglichen Mangel ich ihm keineswegs verdenken konnte ) und so rückte er denn mit seinem Anliegen hervor , welches darin betand :
Er wollte seinen Park zu Caversham in Orfordshire mit einem neuen Gartenpaläs zieren , wozu er 3000 Guineen destiniert hätte ; Dazu sollt ich ihm den Riß und den Anschlag machen .
Das erste übernahm ich sogleich ; Wegen des zweiten Punkts aber erbat ich mir einige Frist , bis ich mich erst näher nach den hiesigen Preisen des Arbeitslohns und der Baumaterialien erkundigt hätte .
Alles das , sagte er , können Sie von mir selbsterfahren !
Es ist nicht das erstemal , daß ich baue .
Das war nun um desto besser !
Ich zog also fix meine Schreibtafel , und quästionierte meinen Lord wenigstens gute zwei Stunden , und so sehr ich auch ins Detail ging , wußte er doch überall Bescheid , so wie er mich auch von der Lokalität vollkommen unterrichtete , daß es so gut war , als wäre ich selbst in Caversham gewesen .
Nachdem wir mittlerweile auch einer Bouteille Burgunder den Grund abgewonnen , schieden wir sehr freundschaftlich von einander ; ich , mich sofort an den Riß zu machen , und er , voll Verlangen , ihn so bald als möglich vollendet zu sehen .
Bei meiner Nachhausekunft fuhr ich denn sogleich meinem Wirte in die Haare , daß er mir meinen Lord Cadogan zu einem Tollhäusler gemacht , der doch allen meinen fünf Sinnen nach ein vollkommen gescheuter und verständiger Mann wäre .
Das setzte Königen in gewaltige Verwunderung , und er blieb dabei , es wäre schlechterdings mit dem Lord nicht recht richtig ; Er müßte bloß die paar Stunden mit mir einmal einen vernünftigen Zeitpunkt gehabt haben !
Übrigens wisse es das ganze Viertel , daß er tagtäglich eine Robinhudsgesellschaft hielte , die aus lauter ausgemachten Narren zusammengesetzt sei , und sein Schwiegervater , Meister Portage , wäre eben da auch von der Partie !
Dieser Punkt ist mir nun bis jetzt noch zweifelhaft , und ich kann mir vor der Hand den Knoten nicht anders auflösen , als mit der Stelle in der Schrift : Ihr vertraget die Narren , dieweil ihr klug seid !
Doch dem sei wie ihm wolle , wenn nur erst mein Riß zu Stande ist !
Wohl zu merken , es ist der erste in meinem Leben , den ich ganz allein ohne fremde Beihilfe mache !
Natürlich rafft man sich da zusammen , so wie ein junger Doktor , der zum erstenmal öffentlich sine präfite disputiert !
Auch stehle ich mir nur manchmal eine kleine Zeit davon ab , um mich durch einen Gang oder durch einen freundschaftlichen Brief zu erheitern , wie ich es denn jetzt getan habe , Sie allesamt der göttlichen Obhut und mich Ihrer Freundschaft empfehlend etc .
Neunzehnter Brief .
Ich muß meinem erschütterten Zwerchfelle Gesellschaft verschaffen , und wieder an Sie schreiben .
Wie hieß doch der Prinz , liebster Schröder , in einem Stück von Gozzt , das wir beiden einmal besuchten , der so unendlich schwer zum Lachen zu bringen war ?
Nun er mag heißen Hinz oder Kunz , laß ihn und noch hundert solche Sauertöpfe in Lord Cadogans Originalsociety kommen , sie sollen lachen , oder ich will nicht Blumental heißen .
Das Rätsel ist nun aufgelöst , ob ich oder König Recht hatte , ob Lord Cadogan ein Weiser oder ein Narr ist ?
Er ist , wie Sie wollen , beides , ein sehr weiser Narr , oder auch ein sehr närrischer Weiser ; auf die Art , wie Vater Hagedorn es haben will : - und rasen mit Vernunft !
Doch die Sache verdient vom Anfange erzählt zu werden !
Nachdem ich den ersten Brouillon von meinem Riß entworfen hatte , begab ich mich damit zu Lord Cadogan , um sein Gutachten darüber einzuholen , und nach Befinden zu ändern und zu besseren .
Er behielt ihn bei sich , unter dem Vorwande , er wäre jetzt nicht recht aufgelegt :
Eigentlich aber , wie ich hinterher erfuhr , um ihn einem anderen Kunstverständigen zu zeigen , und sein Urteil darüber einzuholen .
Gleichwohl aber ließ er mich nicht so geschwind von sich , sondern plauderte mit mir ein Langes und ein Breites !
Da nahm ich denn der Gelegenheit wahr , und spielte die Rede auf Meister Portagen und seine Geisterseherei .
Er ließ sich sogleich merken , daß er den Mann auch kennte , und fragte mich um meine Meinung von ihm ?
Ich sagte sie ihm ohne allen Rückhalt , erzählte aber dabei , wie ich es angefangen hätte , seiner Narrheit eine für mich überaus lustige und unterhaltende Wendung zu geben .
Darüber sprang der Lord hoch auf , klatschte vor Freuden in die Hände , und rief aus : Herr , Sie sind mein Mann !
Also Sie finden auch Vergnügen an einem rechten stattlichen Narren ?
" Allerdings , sagte ich , wenn er in seiner Art eben so einzeln oder doch selten ist , wie die Homers und Ossians in der Poesie , oder die Michel Angelos und Vanvitellis in der Baukunst !
" Bravo , bravo , rief er wieder !
Dafür will ich Sie auch mit meiner Original-Society bewirten , und Sie sollen eine Lust haben , die in keinem anderen Lande für keine Schätze der Erden feil ist !
Jetzt sage ich Ihnen nichts , aber morgen Abend Glocke sechs kommen Sie in Lombartstreet , Nummer 679 : Mein Kerl wird Ihrer an der Tür warten !
Wäre ich von der neugierigen Art gewesen , so dürft ich vielleicht die Nacht einen sehr unruhigen Schlaf gehabt haben :
So aber wartete ich es ganz gelassen ab , um so mehr , da ich mir nun das Ganze schon so ziemlich zusammenbuchstabieren konnte !
Der Lord nämlich , ein heller , aufgeweckter , und dabei satirischer Kopf , fand so sein eigenes Vergnügen , sich an den Ausschweifungen des menschlichen Verstandes zu weiden , und hatte zu dem Ende eine ganze große Gesellschaft von Narren zusammengebracht , die freilich nur hier , im Lande der Freiheit , zu einer solchen Größe wachsen und gedeihen können .
In einem monarchischen Staate herrscht einmal eine allgemeine Schüchternheit und Niedergeschlagenheit ; nicht bloß vor dem Monarchen , sondern auch vor seinen Ministern , Räten und so herunter bis auf die niedrigste Magistratsperson !
Bei einem verdorbenen Geschlecht von Geschöpfen , wie das unsrige , mag diese Furcht immerhin ein sehr heilsamer und nötigen Zaum sein , tausenderlei Ausschweifungen zu verhüten , und in der Geburt zu ersticken , aber daß diese Schüchternheit auch die Originalcharaktere , gute sowohl als böse , erstickt , ist auch wohl keinen Augenblick zweifelhaft !
Hier hingegen ist alle Menschenfurcht tief in den Abgrund des Meeres verbannt .
Der König - Gütiger Gott , was gilt doch hier ein König !
Sie würden erschrecken , so wie ich zuerst erschrocken bin , wenn Sie lesen sollten , in welchem Tone manchmal in den öffentlichen Zeitungen vom Könige und überhaupt von der königlichen Würde gesprochen wird !
Nur eins ?
Dieser Tage stand in einem Chronikel , ( ich habe mit meinen Augen gelesen ) es wäre aus einem Hause in der und der Straße ein Kanarienvogel davongeflogen , hätte seinen Weg über Charingkroß genommen , und ( mit Respekt zu melden ) Karls des zweiten Statue ein Häuschen auf den Kopf gesetzt !
In unserem Deutschland , Gott behüte , wenn da einem Bürgermeister im kleinsten Städtlein solch ein Affront an seiner Ehre wiederführe , was für einen Lärm würde der anfangen ?
Wird nun der König nicht geschont , so können Sie leicht denken , wie es erst über seine Minister und Räte hergeht !
Diese werden nicht wer in öffentlichen Schriften auf das abscheulichste lästert , sondern die Schauspieler bringen sie auch , wie sie leiben und leben , auf das Theater , ahmen ihre Kleidung , ihren Gang , Sprache , Gestus etc . nach , so daß der Pöbel mit Fingern auf den Akteur weist , und laut ruft : das ist der Lord , der und der !
Bei so gestallten Sachen , da man bloß die Gesetze und nicht den Menschen fürchtet , fällt auch der liebe Bewegungsgrund zu tun und zu lassen gänzlich weg , den ich in meinem Vaterlande so oft gehört habe ; Der nämlich :
Was werden die Leute sagen ?
Danach fragt man hier gar nicht , sondern jedermann überläßt sich seinen Tugenden und Lastern , Launen und Fantasien , Weisheit oder Torheit , ohne Furcht und Zurückhaltung !
Auf diese Weise , um nun wieder auf mein Propos zurückzukommen , konnte es , Lord Cadogan hier in London ziemlich leicht ausführen , sein philosophischsatirisches Lüstchen zu stillen , und ich muß sagen , die Auswahl , die er getroffen , macht ihm alle mögliche Ehre !
Auch mag ihn der Spaß manche schöne Guinee kosten , denn er hält sich nicht nur seine Spürhunde , die ihm überall närrische Originalcharaktere auftreiben und zuführen müssen , sondern macht auch allemal als Präsident und Wirt der Gesellschaft die Honneurs , gibt bisweilen Schmäuse etc .
Nun werden Sie es aber auch begreiflich finden , wie König so hartnäckig drauf bestehen konnte , mir meinen Lord mit aller Gewalt ebenfalls zum Narren zu machen !
Dieser philosophischsatirische Kizel , der ihn an den Umgang mit Narren fesselt , ist eine zu feine Idee , als daß sie das Publikum erreichen könnte ; Dieses richtet ihn also nach dem gemeinen Sprüchworte : Gleich und gleich gesellt sich gern , oder wie man in Italien spricht , Dimmi con chi tu Fei , e sapero quel che fai .
Nun zur Sache !
Den folgenden Abend auf den Glockenschlag erschien ich auf meinem Rendezvous , und einer von des Lords Bedienten führte mich auch sogleich in den Versammlungssaal .
Im Augenblick kam mir der Lord entgegen , und präsentierte mich der Gesellschaft mit einem sehr feierlichen Anstande und Chapeaubass .
Meine Herren , sagte er , ich habe die Ehre , Ihnen hier einen jungen Deutschen vorzustellen , dem unser ganzes Korps die größte Verbindlichkeit schuldig ist .
Der Ruf unserer Kompanie ist bis nach Neapel erschollen , wo unser Fremder sich eine Zeitlang aufgehalten hat .
Voll edler Wißbegierde hat er sich sogleich zu Schiffe gesetzt , und ist hierher geeilt , um unsere persönliche Bekanntschaft zu machen .
Noch zur Zeit ist er der Sprache nicht genug mächtig , aber er wird sich alle Mühe geben , darin schnell vorwärts zu kommen .
Bis dahin bittet er um , die Erlaubnis , ein stiller Zuhörer und Bewunderer der sämtlichen Mitglieder sein zu dürfen , die diese Gesellschaft zieren !
Ein allgemeines betäubendes Geräusch von Krazfüssen und Komplimenten erhob sich jetzt , die ich mit tiefen Bücklingen nach allen Seiten erwiderte : Allein so sauer ist mir_es in meinem Leben nicht geworden , das Lachen zu verbeissen , wie jetzt , und der schelmische Lord , der mich nicht aus den Augen ließ , hatte darüber heimlich seit ne innigie Schadenfreude !
Noch ehe der Lord seinen Sermon anfing , fiel mir schon von ferne Meister Portage in die Augen , und das allein hätte mich zum Lachen reizen können : Allein der kleinere Reiz zum Lachen mußte hier dem größeren weichen :
Denn dicht neben mir zur Rechten bemerkt ich einen Mann , von mittleren Jahren , sehr reich gekleidet , an dessen Kopfe ich schlechterdings nicht mehr als ein Ohr entdecken konnte ; Das linke war weg und blieb weg . zur Linken stand ein Kriegsmann , der einen noch stärkeren Abgang an Gliedmaßen hatte , denn dem fehlte das rechte Bein und der linke Arm ; dem ungeachtet sah er lustig und guter Dinge aus , und war einer von denen , die mich am meisten bekomplimentierten , aber in einem Dialekt , den ich zur Zeit noch nicht verstand ; es war der Irrländische !
Weiter erblickt ich einen Bedienten in Livree , der nicht etwan bloß Aufwaren wegen , sondern als wirkliches Mitglied in der Gesellschaft war .
Ein paar andere hatten mehr das Ansehn von Strassenbettlern , als von Leuten comme il faut , kurz , es war eine so kunterbunte Mischkelanz von Leuten , die es verdiente , daß sich ein Maler dran machte , sie in eine Gruppe zu bringen .
Bis jetzt hatte ich nur bloß noch die Aussenseite der Original-Society gesehen :
Aber der Lord zog mich sehr bald in eine Ecke , und lehrte mich auch die innere Seite kennen !
Schier hätte ich ihn in Verdacht gezogen , er wolle mir Märchen aufheften ; so gar seltsam und unerhört waren die Charaktere , die er mir zeichnete :
Aber hinterher überzeugt ich mich bei mehreren , daß er sie auch nicht um einen Zug übertrieben hatte !
Da haben Sie eine Handvoll , urteilen Sie selbst !
Der Herr ohne Ohr ist ein reicher Skweir , Namens Kraftsman , der mehr als fünf und zwanzig Jahre lang ( von seiner Geburt an zu rechnen ) mit seinem Vaterlande und auch mit der Hauptstadt desselben vollkommen zufrieden gewesen ist ; Auf einmal aber wandelt ihn eine gewaltige Unzufriedenheit an , die so weit nicht ganz ungegründet ist !
Die Unbeständigkeit des hiesigen Klimas nämlich reizt seine Galle !
Es ärgert ihn , länger in einem Lande zu leben , wo man manchmal in einem Tage Frühling und Sommer und Herbst und Winter schnell hintereinander ausstehen muß , und kurzum , er will und muß unter einen anderen und beständigeren Himmelsstrich !
Dazu wählt er denn Rußland , geht nach Petersburg , und ist anfangs ganz entzückt über die Festigkeit und Dauer der hiesigen Witterung !
Hier , sagt er , weiß man doch , wie man dran ist : Sieben bis acht Monat Winter , ordentlich hintereinander weg ; dann Sommer !
Aber die Lust wird ihm durch einen verzweifelten Zufall bitterlich versalzen !
Gleich den ersten Winter seines hiesigen Aufenthalts geht er im Januar bei einer ganz enormen Kälte aus ; steckt zwar in einem tüchtigen Zobelpelze eingehüllt , und Gesicht und Nase bedeckt er mit dem Muff : Unglücklicherweise aber vergißt er die Ohren , und so geht wirklich eins derselben ganz verloren , und das andere wird nur mit Mühe gerettet !
Auf vieles Bitten läßt er sich nun bewegen , wieder nach England zurückzukehren ; ist aber noch immer unendlich vom Petersburgischen Klima eingenommen und das Lob desselben ist einer seiner Lieblingsdiskurse .
Der Irrländer , der dato nur einen Arm und ein Bein zählt , ist ein Seelieutenant , Namens Dingle , ein braver Kerl , der was ehrliches auf dem Meere herumgeschwommen ist , und den ganzen 56ger Krieg mitgemacht hat .
Bei der Eroberung von Havanna 1762 hat er das Unglück gehabt , so verstümmelt zu werden , und nun hätte es bei ihm gestanden , sich in Greenwichhospital zur Ruhe zu setzen :
Aber nein !
Er zieht seinen Gnadenhalt , und so viel ich erraten kann , auch eine Zulage vom Lord Cadogan , und lebt für sich seit nunmehr zwölf Jahren in London , in der Hoffnung - Nun die Hoffnung sollten Sie mir wohl so bald nicht erraten !
Diese allein macht ihn zum würdigen Mitgliede der Original- Society , da er sonst wegen seiner rühmlichen Wunden fürs Vaterland eine sehr respektable Person wäre !
Also - seine Hoffnung ist die , noch durch eine reiche Partie sein Glück zu machen !
Was dünkt Ihnen dazu , meine beiden Signoras ?
Nicht wahr , Sie lachen um die Wette ?
Das können Sie in Venedig immerhin tun :
Aber hier wollt ich_es Ihnen nicht raten , daß es der Irrländer hörte !
In Punkto der Ehre ist er überaus kiezlich , und sein einzelner rechter Arm ist immer noch bereit zur Pistole und zum Degen !
Den Korb können Sie ihm geben , den nimmt er ohne Murren hin , nur muß es auf die gehörige Art geschehen , und Sie müssen Gründe hören lassen !
Sagen Sie ihm , ich habe noch nicht Lust zu heiraten , oder ich bin schon versprochen , oder ich will überhaupt keinen Soldaten zum Manne haben , sondern einen Bürger oder dergleichen , so wird er in aller Ehrfurcht die Segel vor Ihnen streichen und abfahren !
Aber lassen Sie sich_es ums Himmels Willen nicht merken , daß Sie einen Mann mit zwei Armen und zwei Beinen für vorzüglicher halten , wie ihn , sonst haben Sie ihn auf dem Halse !
Das Bewundernswürdigste dabei ist seine ausdauernde und nicht zu ermüdende Geduld !
Hundert Körbe reichen nicht , die er sich seit dem Jahre 1763 geholt :
Dennoch ist seine Hoffnung immer so frisch und grün , wie weiland , und er geht eben so keck und kühn auf jeden neuen Gegenstand los , wie er damals in den Hafen von Havanna einlief .
Ein Pendant zum Irrländer ist ein Franzos Baron :
Denn wie wäre es möglich , daß der Spaß eines Engländers ganz komplett sein könnte , ohne daß es dabei über einen Franzosen hergienge !
Nicht nur prostituieren sie sich einander wechselsweise auf dem Theater ; In London spielt man eine Farce :
Der Franzos in London , und in Paris macht man das Paroli , und spielt den Engländer in Paris , beide bis zur äußersten Karikatur übertrieben !
Noch mehr , es gibt hier eine eigene AntigallikanSociety , die aus viel hundert Mitgliedern besteht , und keinen anderen Endzweck hat , als Frankreich auf alle mögliche Art ein Bein unterzuschlagen !
Wer zu diesem Klub gehört , darf vom Kopf bis auf die Füße nicht das Geringste an sich haben , was Frankreich hervorgebracht , oder ein Franzos gemacht hat , und wenn_es ein Zahnstocher wäre !
Eben so wenig ist es ihm erlaubt , seinen Englischen Gaumen mit französischen Leckereien zu laben .
Alle Weine , Liköre , Früchte , Öl , Tabak , kurz alles , alles ist kontreband !
Mein Lord Cadogan ist nun zwar kein Mitglied dieser Gesellschaft , vormuthlich weil er dem französischen Weine nicht entsagen kann , übrigens aber hat er seine reichliche Dosis Nationalhaß gegen die Franzosen , und Monsieur Baron ist zur Zeit die Scheibe , an der er seine Pfeile verschießt . zum Glück sind sie nicht tödlich , nicht einmal schmerzlich , sondern das Ganze läuft auf eine bloße Narretei hinaus !
Baron ist eitel und verliebt , wie es so viele von seiner , auch von anderen Nationen sind .
Bei dieser Schwäche hat ihn der Lord gefaßt , und ihm durch ein altes Weib ein Billet doux zustecken lassen , als käme es von Lady Abington , die für eine der größten Schönheiten im Königreiche gilt .
Der Franzos hat richtig angebissen , und voll verliebten Feuers geantwortet .
Allmählich ist man bis zu Rendezvous gekommen , und Lady ( oder vielmehr der schelmische Cadogan ) hat ihren Liebhaber bald nach Vaurhall , bald nach Coventgarden , bald wieder nach Kensington bestellt , so daß sich der arme Schelm , der nicht im Stande ist , eine Lehnkutsche zu bezahlen , schier die Hacken abgelaufen hat .
Aber , wie Sie leicht denken können , immer vergebens !
Gleichwohl ist der Franzos den Betrug zur Zeit noch nicht inne geworden , weil allemal nach einem vereitelten Rendezvous ein sehr schmeichelhaftes Entschuldigungsschreiben eingelaufen ist , das alles wieder gut gemacht hat .
Doch alles das ist nichts , in Vergleichung mit folgender Szene !
Der Lord fragt mich , ob ich kleine Münze , Schillinge bei mir hätte ?
Ich sagte Ja .
Gut , versetzte er , so müssen Sie schon einmal einen dran spendieren !
Damit rief er einen aus der Gesellschaft , ein kleines , schon vor Alter zitterndes und gebücktes Männchen herbei .
Er klopfte ihn ganz freundschaftlich auf die Schultern , und sagte zu ihm :
Ich habe ein gutes Wort für Sie eingelegt !
Dieser Herr hier wird Ihnen ein kleines Almosen geben .
Sogleich zog ich - nicht einen Schilling , der schien mir für diesen alten Silberweissen Mann zu wenig , sondern eine Krone aus meiner Börse und reichte sie dem Alten , der darüber vor Freuden ganz außer sich war , und zu meiner großen Beschämung meine Hand ergriff , und sie mir wider Willen küßte .
Im Augenblick ergriff er auch Hut und Stock , und damit fort !
Ich , der ich die Sache nicht besser wußte , stellte mir in aller Einfalt vor , der alte Mann wolle mit dieser Krone irgend ein dringendes Bedürfnis befriedigen , und wünschte ihm viel Glück auf den Weg :
Aber der Lord verscheuchte mir mit einem gewaltigen Gelächter alle meine Empfindungen !
Beim heiligen Patrick , rief er aus , da haben Sie einmal einen rechten Irrländischen Streiche gemacht !
Schmeissen da dem alten Gauner eine Krone in den Rachen !
Auch den Schilling war er nicht wert , er sollte bloß ein Behelf sein , Ihnen dies feine Original vorzuführen !
Sehen Sie , Herr , das ist ein Kerl , der seine 80000 Pf. Sterl kommandiert , nicht Frau , nicht Kind , nicht Bruder , nicht Schwester hat , und doch , wie Sie erfahren haben , nach einem Almosen alle Finger leckt !
Eben dadurch habe ich ihn in meine Gesellschaft gezogen , daß ich ihm sagen ließ , weil ich seine dürftigen Umstände erfahren hätte , wollt ich zuweilen eine Kollekte für ihn sammeln !
Setzen Sie ihn nur einmal auf die Probe , und verlangen Sie bei ihm gegen tüchtiges Pfand ein , zwei , drei , 10000 Pf. er wird sich zwar anstellen , als hätte er nicht einen Penny , allein meinen Hals zu Pfande , er verschafft Ihnen das Geld , so etwan gegen 15 bis 20 Prozent !
God dam him , fuhr er fort !
Der Schurke sollte eigentlich schon längst in Tyburn gebummelt haben !
Das war schrecklich anzuhören , und doch wahr ! Erst ganz kürzlich bin ich hier über Youngs Nachtgedanken geraten , die ich zwar schon in Deutschland immer habe rühmen hören , aber damals waren sie für mich zu hoch !
Nunmehr werde ich sie gewiß ganz durchlesen , denn gleich auf den ersten paar Seiten hat mir der Mann unendlich tiefen Respekt eingeflößt , durch seine herrlichen Betrachtungen über die Stärke und Schwäche , Höhe und Tiefe der menschlichen Natur , so wohl des Verstandes als Willens !
So ein alter Harpax , wie dieser , gehört , dünkt mich , vorzüglich mit zu den Beispielen , in welchen Abgrund der Torheit und des Lasters der Mensch sinken kann !
Doch es ist jetzt nicht Zeit zu Betrachtungen !
Muß ich doch selbst von den Charaktern , die ich hier habe kennen lernen , ( und ich habe die Gesellschaft noch bei weitem nicht vollzählig getroffen ) viele über Bord werfen , um Ihnen auch noch etwas von mir selbst zu melden .
Also nur noch ein Pärchen !
Gleich anfangs erwähnt ich eines Bedienten , der bei der Original .
Society wirkliches Mitglied , mit Sitz und Stimme ist !
Schon das ist auffallend genug ; wenigstens außer England , wo über den Unterschied der Stände viel steifer gehalten wird , als hier , wo sich wohl schon eher Lord und Kutscher zusammen gebakst haben :
Aber was werden Sie dann erst sagen , wenn ich Ihnen vermelde , daß dieser Bedienter der ordentliche Prediger der Gesellschaft ist , und regelmäßig den Sonntag seinen Sermon hält ?
Kennen Sie vielleicht eine der hiesigen vielen Religionssekten , die sich Methodisten nennt ?
Es ist eine Art von geistlichen Kopfhängern , die aus Einfalt und übelverstandenem Eifer das Christentum , das seiner Natur nach zwar ernsthaft , aber nichts weniger als traurig ist , in eine krübsinnige und weinerliche Schwärmerei umschaffen .
Bei ihnen hört man ohne Unterlaß vom Schlamm der Sünden , vom Sündenmeer , von geistlicher Verzweifelung etc . sprechen .
Selten erscheint Gott bei diesen Leuten von der liebenswürdigen Seite eines Vaters gegen seine Kinder , von der er sich doch so oft selbst in der Schrift zeichnet .
Außerdem gehen diese Leute noch den gefährlichen Irrweg , daß sie außer der ein für allemal geschehenen Offenbarung der Schrift noch ein besonderes inneres Licht annehmen , und als eine vorzügliche Gnade Gottes für sich erwarten .
Deswegen haben sie auch in ihren Versammlungen keine ordentliche , berufene und studierte Priester , sondern jedermann tritt bei ihnen als geistlicher Redner auf , dem der Geist eingibt ; Und da ihnen nun der Geist ganz gewiß nichts eingibt , so können Sie sich leicht vorstellen , wie solche Predigten beschaffen sein mögen .
Alles das möchte immer noch hingehen ; Wenn Irrtümer des Verstandes nur das Herz nicht vom Wege des Guten ablenken , so übersieht und verzeiht sie Gott gewiß :
Allein sollte das wahr sein , wie mich der Lord versichern will , daß diese Methodisten mehr als alle anderen Sekten die Kunst verstehen , ihre Kopfhängerei und das Laster in einen freundschaftlichen Bund zu bringen , und durch eine frömmelnde Sprache die Vorwürfe des Gewissens stumm zu machen , dann ist mir diese Sekte abscheulich !
Der Lord erbot sich gegen mich , er wollte auf der Stelle mit diesem Bedienten und respektiven Prediger eine Probe machen , da sollte ich selbst sehen etc .
Aber ich dankte davor !
Dergleichen Auftritte sind für mich zu angreifend !
Noch sagte mir der Lord , daß er dieses Original vom frommen Laster und andächtiger Büberei nicht so eigentlich für sich selbst angeschafft hätte , sondern mehr für seinen Freund und Bruder Foot :
Der hätte nicht nur diesen , sondern die gute Hälfte der Gesellschaft studiert , und nach und nach aufs Theater gebracht .
Nun also zu guter letzt noch ein Wort von diesem Foot !
Garriks Ruhm ist gewiß nach Venedig erschollen ; Auch ist er selbst einmal da gewesen ; Aber dieser Foot hat als Schauspieler , Schauspieldichter , und vornehmlich als Gesellschafter hier einen noch viel allgemeineren Ruf und Beifall , als Garrick !
Tausend Pfund , sagt der Lord , wollte er auf der Stelle darum geben , wenn er Voten wieder gesund machen könnte , denn jetzt ist er vom Schlage gerührt und völlig invalid !
Solch einen unerschöpflichen Reichtum an Witz und guter Laune soll noch nie ein Sterblicher besessen haben , wie er !
Und diesen Witz hat er nicht bloß dazu gebraucht , das Publikum und seine Freunde zu belustigen , sondern auch vom Theater herab die Torheiten und Laster der Zeit zu Boden zu schmettern , so daß jeder Nichswürdige mit zittern und Beben in Footens Schauspiel gegangen , und nicht selten mit Scham und Verwirrung heraus gekommen ist .
Nun Basta hiervon !
Und noch ein kleines Wort von mir selbst .
Dieser Tage hatte ich eine der angenehmsten Überraschungen von der Welt !
Ein Kavalier vom Lande schreibt an mich einen überaus schmeichelhaften und artigen italienischen Brief , und ladet mich ein , das Frühjahr zu ihm nach Wotton in Bedfordshire zu kommen , und daselbst einen neuen Bau zu übernehmen .
" Ich kenne Sie schon , schreibt er mir , ohne daß Sie es wissen .
Erinnern Sie sich eines gewissen Herrn Warton , mit dem Sie die Schiffsreise von Venedig bis Ancona , und auch nachher die Reise zu Lande bis Rom gemacht haben ?
Dieser hat mich vor einem Jahre besucht , und von Ihnen mit der größten Wärme der Freundschaft gesprochen !
Da ich nun in Ihrem Zeitungsavertissement den Namen Blumental las , erinnerte ich mich alles des wieder , und kurz , ich erwarte Sie , ohne Sie noch gesehen zu haben , wie man einen Freund erwartet !
Ich bin in meinen jüngern Jahren auch lange Zeit in Italien gewesen , und hege noch das zärtlichste Andenken für dieses göttliche und einzige Land !
Wir werden was ehrliches mit einander zu plaudern finden etc .
" Nicht wahr , liebsten Freunde , wie doch der Himmel alles so sonderbar und so glücklich zu fügen weiß !
Auch die zufällige Bekanntschaft mit dem braven Warton muß mir nützlich werden !
Er soll Dank haben , der liebe Mann !
Auch ich habe nie anders von ihm gesprochen , als mit der größten Wärme der Freundschaft .
Jetzt habe ich also nichts angelegentlicheres zu tun , als die Risse und Anschläge für Lord Eadogan zu expedieren !
Die Ausführung mag ein anderer übernehmen , und er wird deren genug finden !
Alsdann eile ich zu Baronet Philipp Monnoux ( so heißt der artige Ritter ) und genieße die Schönheit des Frühlings auf dem Lande .
Wenn Sie dann auch einen kleinen Ausflug herüber aufs feste Land machen , um einmal andere als wäßrige Luft einzuatmen , so erinnern Sie sich an Ihren abwesenden , aber Ihnen ewig ergebenen etc . zwanzigster Brief .
Gütiger Himmel !
Bald werde ich mit Gellerken beten mögen :
Bewahre mich , o Gott , von dem ich alles habe , Vor Stolz und Übermut !
Doch nein !
So lang ich nur die Worte nicht aus den Augen setze , von dem ich alles habe , bin ich wohl vor Stolz und Übermut vollkommen gesichert :
Und wie könnt ich je so sinnlos oder so undankbar sein , die zu vergessen !
Was mich zu diesem Prolog veranlaßt , ist dies :
Ich sagte Ihnen doch in meinem letzten Schreiben , ich hätte dem Lord Cadogan den ersten Brouillon von meinem Risse gebracht , und er hätte ihn bei sich behalten , vermutlich , um ihn anderen Kunstverständigen zu zeigen .
In ein paar Tagen ließ er mich wieder rufen , gab mir den Riß zurück , und bezeigte mit allem und jedem die vollkommenste Zufriedenheit .
Das war gut !
Ich mache mich also nun dran , alles ins Reine zu bringen , und da ich eben an einem Vormittage in voller Arbeit Sitze , höre ich jemand an meine Tür klopfen .
Ich mache auf , siehe da , tritt ein junger Engländer herein , den ich mich in meinem Leben nicht gesehen zu haben erinnere , geht auf mich zu , und fällt mir recht herzlich und brüderlich um den Hals .
Ich wußte erst auf der Welt nicht , was ich aus diesem Auftritte machen sollte :
Aber bald entwickelte es sich !
Kurz es war ein junger Baumeister von hier , Namens Dennison , der meinen Riß gesehen , und sich daraus einen nur zu vorteilhaften Begriff von meinen Kenntnissen gemacht hatte .
Dieser bat mich , ihm so lang ich hier wäre , meinen Umgang und meine Freundschaft zu gönnen , und ihm meine aus Italien mitgebrachten Schätze mitzuteilen .
Wie hätte ich einer so schmeichelhaften Bitte widerstehen können !
Ich gab also alles her , was ich hatte , und der liebe Dennison weiß vor lauter Erkenntlichkeit nicht , was er mir für diesen kleinen Dienst , der mich gar nichts kostet , für Gegengefälligkeiten erzeigen will !
Mittlerweile wurde mein neues Gartenpaläs völlig fertig , und ich legte nun dem Lord Grundriß , Prospekte und Anschläge vor .
Bis jetzt hatte er nur noch mit Anderer Augen gesehen , und seine Einbildungskraft hatte nicht so weit gereicht , sich aus dem trockenen Grundrisse die Wirkung des Ganzen vorzustellen :
Als er aber die Prospekte erblickte , schlug er vor Freuden in die Hände , umarmte mich in der ersten Hitze , und drang nun in mich , ich sollte noch diese Woche nach Caversham , um den Bau selbst anzufangen , und fortgesetzt zu dirigieren !
Das war aber ganz wider meinen Plan ; Ich schlug es also Rotunde aus , sagte dem Lord , ich wäre bereits anderweitig engagiert , empfahl ihm aber an meiner Stelle Dennison , und versicherte ihn , daß der meinen Plan auf das allergenaueste ausführen würde .
Nur mit vieler Mühe besänftigte ich ihn darüber , denn er hatte schlechterdings auf mich gerechnet , und schalt mich kurz und lang , daß ich ihm untreu werden wollte !
Indessen tat das seiner Generosite nicht den mindesten Eintrag :
Denn als nun die Rede auf das Bezahlen kam , und ich mich durchaus zu federn weigerte , gab er mir eine Banknote und fragte mich :
Ob ich damit zufrieden wäre ?
Ich sah sie an , und las zu meinem großen Erstaunen , hundert Pf. Sterl .
Nein , Mylord , sagte ich , damit bin ich nicht zufrieden ; Die Hälfte , das Drittteil ist übrig genug !
Ich will nicht deswegen nach England gekommen sein , um die Börse großmütiger Lords zu plündern !
Ha , versetzte der Lord , was seid ihr Deutschen doch für Leute !
Seid ihr denn alle so ?
Unsere Englischen Künstler , Herr , verstehen das Ding besser !
Nun , wenn_es denn so sein soll , geben Sie her , ich will Ihnen eine andere Note geben !
Er tat es , ich las , und war ich vorher erstaunt , so hatte ich jetzt noch mehr Ursache dazu :
Stadt 100 Pf. gab er mir nun 120 , und als ich mich noch mehr widersetzen wollte , sagte er zu mir : Herr Deutscher , Sie sagten vorhin , Sie wollten nicht deswegen nach England gekommen sein , um die Beutel großmütiger Lords zu plündern !
Beim heiligen Patrick , Herr , noch viel weniger sollen Sie deswegen hierher gekommen sein , um uns Lords zu Lumpenhunden zu machen , daß es hernach in fremden Ländern von uns hieße , wir missbrauchten gutherzige Eigennützigkeit !
Wie gefällt Ihnen ein Mann von dem Schlage ?
Mich dünkt , liebster Wagner , Sie werden mit ihm eine gewisse geheime Sympathie fühlen :
Der Himmel weiß , wie sehr Sie auf die Kunst ausgelernt haben , nicht bloß wohlzutun , sondern auf eine gewisse unwiderstehliche , das Herz bezwingende Art wohlzutun !
Da dies nun der letzte Brief ist , den ich von London aus an Sie schreibe , ( denn in höchstens 14 Tagen geht_es fort nach Wotton , von woher ich bereits einen zweiten Brief gehabt habe ) so muß ich hier die gräßliche Geschichte anhängen , von der ich Augenzeuge gewesen bin , und deren bloßes Andenken mir noch jetzt alle Haare zu Berge sträubt .
Auch Sie werden sie nicht ohne Schauer und Entsetzen lesen :
Ich bitte Sie daher , beste Schrötern , wenn Sie vielleicht - Sie verstehen mich - und mein Brief wird etwa laut vorgelesen , so entfernen Sie sich lieber !
Der Eindruck möchte bei Ihrer lebhaften Fantasie zu heftig sein , und Ihr lieber Mann mir deshalb einen Prozeß an den Hals werfen !
Der Name Chausson ist Ihnen allen hoffentlich in frischem Andenken !
Es war eine Zeit , wo es mir Gott gewiß verziehen haben würde , wenn ich ihm in dem ersten Anfalle des Schmerzes geflucht hätte : Allein ich tat es nicht , und da ich sehr bald einsehen lernte , daß meine Geschichte mit ihm einer von jenen dunklen Wegen der Vorsehung sei , die zum Lichte führen , so segnete ich ihn sogar !
Allein es gehört auch mit zu den Wegen der Vorsehung , daß der feine Bösewicht , der Schlauheit genug zu besitzen glaubt , allen weltlichen Strafen zu entgehen , endlich einmal von dem Arm des Richters auf eine Art ertappt wird , die er mit aller seiner Schlauheit weder vorher sehen , noch verhüten können !
Kurz , vernehmen Sie auf einmal das schreckliche Wort : Chausson ist gehangen ! in Tyburn gehangen !
Ich habe ihn selbst hängen sehen , habe ihn zu seinem Tode begleitet , habe ihn im Gefängnisse besucht , und tausend Tränen mit ihm geweint , war in der Oldbailey gegenwärtig , als ihm das Todesurteil verlesen wurde , sonst würde ich ihn auch schwerlich wieder erkannt haben , so sehr hatte die Gefangenschaft und die Furcht vor seinem Schicksale seine Physiognomie verändert !
Gott , Gott , welch eine Szene war das , als wir uns wieder erkannten !
Ganz zerknirscht von Reue wollt er sich mir zu Füßen werfen , und mir die Beleidigung abbitten , die er an mir begangen !
Und hätte er meinen leiblichen Bruder umgebracht , ich hätte ihm verziehen , so sehr jammerte mich des Unglücklichen !
Er wollte mir alle Schicksale seines Lebens erzählen und mir zeigen , durch welche Grade und Stufen er nach und nach von einem Spieler von Profession zum falschen Spieler , und vom falschen Spieler zum Beutelschneider und Strassenräuber herabgesunken wäre .
Auch hätte ich diese Geschichte gern gehört , um sie zu einer Warnung für andere zu gebrauchen , allein die Zeit war zu kurz und zu edel !
Ich ermahnte ihn also , bloß an die Rettung seiner Seele zu denken , und wenn der barmherzige und grundgütige Gott einen Sünder nicht verschmäht , der freilich viel zu spät , aber doch aufrichtig und mit dem gerührtesten Herzen seine Schuld bereut , so hoffe ich , er wird noch Gnade erlangt haben !
Schon den Tag vor seiner Hinrichtung hatte ihn die Todesfurcht bereits so überwältigt , daß es fast völlig einerlei war , ob man einen Eisklumpen oder seine Hände anfühlte .
Als er aber gar die unglückliche Karre selbst bestieg , und sich neben seinen Kameraden des Todes , einen rohen abscheulichen Kerl von Matrosen , gesetzt hatte , da mußte ihn der Henker fest halten , damit er nicht vor Kraftlosigkeit herabstürzte .
Doch wie gut war es , daß ihn seine Furcht aller Sinne beraubte , denn hätte er es gehört , was der Matrose alles für Reden führte , das würde ihm die letzten ohnehin Wermutbittern Augenblicke seines Lebens noch mehr verbittert haben !
Gott , Gott , ist es möglich , daß es solche Menschen auf der Welt gibt !
Das begreife ich recht gut , wie ein Wohlvorbereiteter ruhig und unerschrocken und selbst mit guter Laune zum Tode gehen kann , wie es z. E. Thomas Morus tat ; Auch das begreife ich allenfalls , wie ein überzeugter Freigeist durch den Gedanken von der Notwendigkeit des Schicksals es wenigstens dahin bringen kann , daß er bonne mine à mauvais jeu macht :
Aber wie ein Mörder ( und das war der Matrose :
Gegen ihn zu rechnen , war Chausson unschuldig , denn nie hatte er seine Hände in Menschenblut getaucht ) wie ein Mörder , sage ich , der es selbst bekennt , daß er des Teufels ist und sein muß , den ganzen Hinweg zum Galgen in eins weg schäkern und lachen und schimpfen und fluchen kann , das geht über meinen Horizont , habe ich wenigstens hier zum erstenmal gesehen !
Doch der Kerl war ja ein Matrose ; Diese Nation macht in mehr als einer Absicht eine Ausnahme von der gewöhnlichen Menschlichkeit !
Das wilde Element des Meers , das ihr Leben in jedem Augenblick in Gefahr setzt , macht ihnen den Gedanken an den Tod so gleichgültig , als wäre er eine Prise Tabak !
Fluchen und Schwören ist von Kindesbeinen an ihre gewöhnliche Sprache , und richtige Begriffe und Empfindungen von Religion sind ihnen in der Regel völlig fremd !
Von solchen Bäumen können wohl keine andere als solche Früchte kommen !
Übrigens mag ich weder meine Feder so entweihen , noch Ihre Ohren so beleidigen , um die abscheulichen Reden dieses Unmenschen aufzuzeichnen !
Nur ein paar der erträglichsten !
Er versicherte mit Fluchen und Schwüren , daß er sich nicht den D aus dem Galgen mache ; aber darüber möchte er vor Ärger krepieren , daß er mit so einem french dog , mit so einem rascal etc . hängen sollte !
Das wäre eine Schande für die ganze Nation !
Liebe wäre_es ihm indessen nur , daß er zuerst an die Reihe käme , und daß er nicht das Herzeleid haben dürfte , so einen Hundsfott sterben zu sehen !
Hangman , rief er , mache mir die Arme los , damit ich dem Schurken ein paar Nasenstüber geben kann etc .
Von dem allen vernahm Chausson sicherlich nichts , der , ich möchte sagen , schon vorher tot war , ehe er starb !
Doch der Matrose war es nicht allein , der seiner spottete :
Mein Wirt und diesmaliger Begleiter König machte mich auf einen kleinen Trupp Reuter aufmerksam , die in einiger Entfernung hielten , und während daß Chausson's ganzer Leib die letzten Konvulsionen des Todes erlitt , durch Mienen und Zeichen ihre innigste Zufriedenheit zu erkennen gaben !
Alle diese waren auch Strassenräuber , oder wie sie hier heißen , Herren von der hohen Landstrasse , und eben ihnen hatte Chausson sein Schicksal zu danken , eben ihnen , die über kurz oder lang auch den Galgen zieren werden !
Wie das gekommen ist ?
Sehr sonderbar !
Chausson , der , wie ich nun vernommen habe , an mir nicht die erste Probe gemacht hat , seinen Mann erst durch einen gemischten Wein einzuschläfern , ihn dann auszuplündern , und unter freiem Himmel liegen zu lassen , hatte in Winchester ein Gleiches mit einem jungen reichen Engländer vorgehabt .
Akkurat so wie mit mir , fährt er mit ihm des Nachts weg , und nachdem er eingeschlummert , setzt er ihn aus , und will nun mit seinen Banknoten und anderen Kostbarkeiten auf und davon : Unglücklicherweise aber haben ihn drei Haywaymen schon in Winchester selbst auf das Korn genommen !
Diese reiten der Kutsche ganz still und unbemerkt in einiger Entfernung nach :
Ehe sie aber zum Stop * ) kommen können , finden sie den einen von den beiden hart am Wege unbeweglich und wie tot liegen !
Anfangs stellen sie sich vor , es sei gar ein Mord vorgegangen :
Da sie indes sehr bald gewahr werden , daß es bloß Plünderung gewesen ist , so fallen sie sehr leicht darauf , daß Chausson ein ausländischer Spitzbube ist . der sich unterstehen will , ihnen in ihrem eigenen Lande und recht vor der Nase ins Handwerk zu fallen !
Natürlich also wird sein Untergang beschlossen .
Einer von ihnen ladet den schlafenden Engländer aufs Pferd , und so folgen sie Chaussons Spur , erwischen ihn , bringen ihn nach London , der Geplünderte stellt sich als Kläger , sie schwören als zeugen , Chausson * ) Stop , so viel als Halt !
Der gewöhnliche Zuruf der Englischen Strassenräude . kann und mag nicht leugnen , und so konnte es unmöglich anders kommen , als es gekommen ist .
Ich schließe diese für mich ewig rührende und schauderhafte Geschichte mit den Worten des Richters in Oldbailey , die er zu dem armen Chausson sagte :
Gott erbarme sich deiner Seele ! etc .
Nachschrift .
Nein !
Unmöglich kann ich diesen Brief so abgehen lassen , ohne den ängstlichen Eindruck dieser Geschichte erst wieder ein wenig zu zerstören , damit Sie nur die Nacht ruhig schlafen können !
Was meinen Sie , sollte es wohl möglich sein , daß ich Sie aus Ihrem itzigen Gefühle unmittelbar zum hellen lauten Lachen fortreissen könnte ?
Es kommt auf eine Probe an , und zwar soll der Gegenstand des Lachens wieder eben dieses Matrosenvolk sein , von dem ich so viel Böses gesagt habe !
Neulich war ich in Greenwich , um das weltberühmte Seehospital zu sehen , wo ihrer wenigstens ein paar Tausend beisammen sind , und für ihre dem Vaterlande erwiesene Dienste zu Tode gefüttert werden .
Nun kennen Sie doch ebenfalls die so berüchtigte Wettsucht der Engländer !
Auch hier ist dieser alte Adam zu Hause , und obgleich die beliebten Landeslustbarkeiten des Pferderennens , Hahnenfechtens , Wettlaufens ic . hier nicht statt finden , und auch die Hospitalliten keine Guineen noch Pf. Sterlinge zu verwetten haben , so hat doch die Erfindsamkeit des menschlichen Geistes ein ganz originales Spiel ausgedacht , das die liebe Wettsucht vollkommen befriedigt .
Sie kennen doch eine gewisse Gattung von Insekten , die an Keckheit und Unverschämtheit es noch weiter treiben , als die Fliegen !
Diese setzen sich zuweilen ungescheut auf eines Kaisers Nase :
Jene schlagen wohl gar mitten auf dem edlen Haupte einer Majestät ihre Residenz auf !
Nun diese Tierchen , von denen man in meinem Vaterlande nicht anders reden darf , als mit Respekt zu melden , sind hier in Greenwich die Wettrenner , auf deren Schnellfüssigkeit die Wetten entriert werden , und zwar auf folgende Manier :
Es wird ein Haar auf den Tisch gelegt , und in einiger Entfernung von dem Haare werden die Wettrenner losgelassen !
Nun geht es an ein Schreien und Lärmen , welches von den allerliebsten Tierchen zuerst das Haar passieren wird :
Einen Schilling gegen einen Penny auf diese hier !
Einen halben Schilling auf diese ! etc .
In Ermangelung des baren Geldes werden auch Naturalien verwettet : Tabak z. E. Hemdknöpfe , Schuhschnallen !
Kurz , sein Sie betrübt , melancholisch bis zum Sterben , und sehen Sie nur dies Läuserennen , ich stehe Ihnen davor , Sie sollen im Augenblick kuriert werden !
Vierzigstes und letztes Kapitel .
Ich komme nun zu den letzten und entscheidenden Schicksalen meines Wilhelms , die ich in ein einziges , möglichst kurzes und dennoch langes Kapitel zusammenfassen , und dann von dir , lieber Leser , Abschied nehmen will !
Erst mit Anfang des Mays kam Wilhelm zu Wotton in Bedfordshire an , und so ein liebenswürdiges Bild er sich auch im Voraus vom Ritter Monnoux entwarf , nach seinen Briefen zu schließen , so fand er dieses Bild nicht nur vollkommen erreicht , sondern selbst übertroffen .
Die ganze Familie bestand nur aus drei Personen , Vater , Tochter und Gouvernante , aber diese drei machten einen so seltenen und vortrefflichen zirkel von Menschen aus , daß man notwendig viel Kopf und Herz haben mußte , um als vierter Mann darin aufgenommen zu werden .
Der Vater Philipp Monnoux war der einzige Sohn und Erbe seiner Eltern .
Diese hatten nicht nur alles dran gewagt , ihm die möglichstbeste Erziehung zu geben , sondern das Glück war ihnen auch so günstig gewesen , daß sie für ihr Geld einen wahren echten Mentor aufgetrieben hatten , von dem der Baronet jetzt noch nach so vielen Jahren nie anders sprach , als mit Tränen der Dankbarkeit im Auge .
Dieser Mentor war ein Schweizer aus der bekannten Orellschen Familie , ein Mann , von dem Basedow und alle die Herren Theoristen der öffentlichen und Privaterziehung noch so manches hätten lernen können . zu welcher Fakultät er sich bekennte , konnte man so eigentlich gar nicht sagen , oder wenn er ja zu einer gehörte , so war es die Hallesche Fakultät , wenn ich so sagen darf ; denn bei Hallern , wie Björnstähl versichert , konnte man nimmer auf den Grund seines Wissens und seiner Kenntnisse kommen , man mochte auch von noch so vielen Seiten auf den Strauch schlagen !
Auf einen ähnlichen Fuß war Orell erstlich ein tüchtiger Theologe , denn er hielt es nach seinen Begriffen einem denkenden Manne für höchst unanständig , in der Religion den sogenannten Köhlerglauben zu haben !
Er war ferner Jurist , und kannte die Gesetze nicht nur seines Vaterlandes , sondern fast aller alten und neuen Staaten .
Von der Medizin wußte er so viel , um sich die Ärzte jederzeit hundert Schritt vom Leibe zu halten .
Physik , Mathematik , Philosophie , Naturgeschichte , Menschengeschichte , Geographie , schöne Wissenschaften und Künste , nichts war ihm fremd ; Ohne sie erschöpft zu haben , sprach er dennoch von keiner , was man kavalierement nennt , sondern mit Einsicht und reifer Beurteilung .
Von diesem Manne , der mit allen diesen Kenntnissen den rechtschaffensten Charakter und große Weltkenntnis vereinte , war Baronet Philipp Monnoux von seinem zwölften bis ins zwei und zwanzigste Jahr gebildet worden , und die letzten 4 Jahre waren auf Reisen in Frankreich , Deutschland , der Schweiz , vornehmlich aber in Italien verstrichen .
Nach seiner Zurückkunft spürte ihn König George der zweite aus , zog ihn an den Hof , und gab ihn seinem Enkel , dem itzigen dritten George zum Gesellschaftskavalier .
Ob nun gleich der Prinz in Emilia Galotti den Ausspruch tut , Fürsten haben keinen Freund , können keinen Freund haben , und dieser Ausspruch leider mehrenteils wahr ist , so machten doch George der dritte und Baronet Monnour eine Ausnahme von dieser Regel .
Sie waren wirklich Freunde , im strengsten Verstande des Worts , und was noch mehr ist , blieben es auch nach der Thronbesteigung Georgs im Jahre 1760 .
Ohne zweifel würde auch der Baronet noch bis diese Stunde am Hofe sein wenn ihn nicht das Podagra aus der Stadt verscheucht , und auf seinen Landsitz zu fliehen genötigt hätte .
Dies hob nun zwar den persönlichen Umgang mit dem Könige auf , aber statt dessen begann eine sehr fleißige Korrespondenz , an der sich der Baronet keineswegs durch sein Podagra hindern ließ , welches er überhaupt mit wahrer stoischer Gelassen ; heit ertrug .
Auf diese Weise blieb er nicht nur in ununterbrochener Bekanntschaft mit dem politischen Systeme seines Vaterlands , sondern hatte selbst in aller Stille einen nicht geringen Einfluß darauf , indem sein königlicher Freund ihn über jede wichtige Sache zu Rate zog , und sehr oft seine Anschläge befolgte .
Von der Zeit an , da er sich aufs Land begeben , genoß er auch das Vergnügen , seine beiden Kinder unter seinen Augen wachsen und gedeihen zu sehen :
Doch vorher ein Wort von der Mutter , ehe ich zu den Kindern komme !
War je eine Ehe aus lauterer und reiner gegenseitiger Liebe und Zuneigung , ohne alle Nebenabsichten geschlossen worden , so war es gewiß die Ehe unseres Baronets .
Bei seinem Aufenthalte in Bern mit seinem Mentor Orell lernte er ein armes Mädchen , von niedrigem , aber keineswegs verächtlichem Stande kennen , deren Schönheit und Tugend das erste Feuer der Liebe in seinem jungen Herzen anzündete .
Orell , der die Folgen dieser Liebe gleich vorher sah , wollte den Handel kurz abbrechen , und mit seinem Eleven auf der Stelle davon eilen :
Aber hier fand er ihn zum erstenmal unbiegsam und widerspenstig !
Er erklärte ein für allemal , er würde nicht von dannen weichen , bis er die Hand und das Herz seiner Schöne erobert .
Vergebens stellte ihm Orell mit der stärksten Beredsamkeit vor , welche Kränkung er dadurch seinen Eltern zufügen würde , die gewiß ganz andere Absichten mit ihm hätten ; daß er keineswegs die Schönheit und Tugend der jungen Schweizerin verkennen wolle , allein England habe auch schöne und tugendhafte Mädchen , trotz dieser ; daß die bloße Möglichkeit , sich in solche Umstände verwickelt zu sehen , wo er auch bei dem besten Willen dem Mädchen sein gegebenes Wort nicht halten könne , ( und diese Möglichkeit müsse er schlechterdings einräumen ) daß dieses , sage ich , ihn allein schon von einem solchen Schritte zurückhalten sollte !
Alles das war in den Wind gesprochen .
Der Baronet hatte auch reden gelernt , und schlug diesmal Orelln mit seinen eigenen Waffen .
Kurz er setzte sein Vorhaben richtig ins Werk , vollzog die Verlobung mit seiner geliebten Schweizerin mündlich , schriftlich und in Gegenwart von zeugen , und verließ dann Bern mit wirklich fröhlichem und leichtem Herzen .
Jahre verstrichen unterdes , bis der Baronet von seinen Reisen ins Vaterland zurückkehrte !
Seine Eltern , von Orelln benachrichtiget , setzten ihm aufs dringendste zu , die Schweizerin fahren zu lassen , und sein Herz einer von ihnen selbst vorgeschlagenen sehr würdigen Person zu schenken : Allein das letztere konnten sie durchaus nicht von ihm erhalten ; Dagegen versprach er ihnen auf das feierlichste , er würde sie , so lang sie lebten , nie mit einer Heirat kränken , die ihnen missfiele .
Mittlerweile wurde er an den Hof gerufen , und kaum war ein Vierteljahr um , kaum hatte er die nötigen Anstalten getroffen , so ließ er in der geheimsten Stille seine Braut nach London holen , ein guter ehrlicher und verschwiegener Pfarrer knüpfte das Band der Liebe unauflöslich , und so glaubte der Baronet , sich und seinen Eltern Genüge zu tun , nach dem Sprichwort , was man nicht weiß , macht einen nicht heiß ! zugleich aber faßte der Baronet den Vorsatz , so bald seine Gattin ihn mit einem Sohne und respektive Enkel beschenkte , wollte er den Schleier von seinem Geheimnisse hinwegtun , und seine Eltern auf eine Art überraschen , die statt Kränkung nichts als Freude und Entzücken gemacht haben würde .
Allein das Schicksal wollte es anders !
Die erste Frucht dieser Liebe war eine Tochter , und so willkommen dieselbe auch dem Vater und der Mutter war , so sollte es doch nun einmal ein Sohn und künftiger Stammhalter sein , der den Großeltern das Geheimnis kund täte .
Man wartete also ein zweites Wochenbette ab ; Der eheliche Segen blieb auch nicht aus : Allein es war wiederum eine Tochter !
Endlich zum dritten erschien denn ein längst gewünschter Sohn , aber er erschien bloß , um sogleich wieder zu verschwinden , und was noch trauriger war , er zog seine Mutter mit sich ins Grab !
Der Baronet war darüber untröstlich , und die Zeit , die sonst allen Schmerz zu heilen pflegt , heilte den seinigen nie so weit , daß er sich hätte entschließen können , einer zweiten Gattin die Hand und seinen beiden Töchtern eine Stiefmutter zu geben .
Die beiden Enkelinnen wurden nun auch ihren Großeltern vorgestellt , die es jetzt unendlich bereuten , daß sie sich um das Vergnügen gebracht hatten , ihre liebenswürdige Schwiegertochter zu kennen .
Die Freude an diesen Kindern war die letzte , die sie auf dieser Welt genossen ; Sie starben kurz nach einander , und der Baronet , als nunmehriger Universalerbe , brachte seine ökonomischen Angelegenheiten so weit in Ordnung , daß sie auch in seiner Abwesenheit ihren richtigen Gang fortgiengen .
Noch mehr aber lag ihm die Erziehung seiner Töchter am Herzen !
Sie hatten bis jetzt eine Gouvernante gehabt , die das Talent in sehr hohem Grade besaß , kleine Kinder zu erziehen :
Allein Livy und Liddy ( so hießen die beiden Ehezweige ) wuchsen allmählich heran , und ihre Gouvernante schien ihnen nachgerade nicht mehr gewachsen zu sein !
Der Baronet sah sich also genötigt , eine Änderung zu treffen , und er war so glücklich , eine neue Gouvernante auszufinden , die ganz seiner Idee entsprach .
Sie war aus Genf gebürtig , einer Stadt , wo bekanntlich gute Sitten und feiner Ton zu Hause sind !
Dies , und zugleich , daß sie eine Schweizerin und Republikanerin war , empfahl sie schon allein dem Baronet vorzüglich : Ihr großer Verstand aber und ihr gesetzter Charakter bezauberten ihn vollends , und so setzte er sie mit einem Gehalt von 100 Guineen und mit unumschränkter Vollmacht in ihren Posten ein , und kehrte dann an den Hof zurück .
Was ihn davon vertrieb , habe ich bereits angeführt !
Also nur noch dies : Livy und Liddy , die nun ihr 17tes und 15tes Jahr erreicht hatten , zogen durch ihre von der Mutter angestammte Schönheit , und durch die vortreffliche Bildung der Madame Bertrand ( so hieß die Genferin ) sehr frühzeitig die Augen der jungen Herren auf sich .
So wie nun der Baronet selbst die Einwilligung seiner Eltern zu seiner Ehe für entbehrlich gehalten hatte , so war es auch wohl nicht mehr als billig , daß er seinen Töchtern in diesem Punkte ebenfalls keinen zwang anlegte !
Das tat er auch wirklich , und ließ es gern geschehen , daß Livy einem jungen reichen Squire Darby aus Vorkshire die Hand gab- Seine Liddy hingegen von sich zu lassen , war ein Gedanke , an welchen er mit ungleich schwererem Herzen ging !
Einmal war sie von Kindesbeinen an sein Augapfel gewesen , teils weil sie das lebendige Ebenbild ihrer Mutter war , teils , weil sie , alle ihre übrigen Tugenden ungerechnet , für ein Muster von kindlicher Liebe und Zärtlichkeit gelten konnte .
Die etwas flatterhafte und allerhand kleinen weiblichen Eitelkeiten ergebene Livy konnte es schon eher über das Herz bringen , ihren Vater , wenn ihn sein Podagra quälte , allein zu lassen :
Liddy aber vergaß dann alles um und neben sich , und hatte keinen anderen Sinn , als dem leidenden Vater seine Schmerzen zu stillen .
Sie war seine Vorleserin , sie sang und spielte ihm auf dem Klaviere , sie gab ihm Arznei ein , kam allen seinen Wünschen und Winken zuvor !
Solch eine Tochter verlieren hieß freilich einen unersetzlichen Verlust leiden , und so gern ihr auch der Baronet den besten Mann von der Welt gegönnt hätte , so wünschte er doch , daß sie so spät als möglich einen wählen möchte .
Glücklicherweise stimmten diesmal Vater und Tochter in ihren Wünschen und Absichten vollkommen überein !
Es war gewiß ein seltener Fall , ein Mädchen zu finden , das durchaus zur Liebe geschaffen war , das von Zärtlichkeit gegen ihren Vater und gegen Madame Bertrand überfloß , und dadurch Hoffnung gab , daß sie einen Liebhaber noch unendlich zärtlicher lieben würde , und die dennoch in allem Ernste eine Feindin des männlichen Geschlechts war .
Welch ein Rätsel , lieber Leser !
Nicht wahr , solch ein Mädchen ist dir in lieber langer Zeit nicht in unseren neusten Romanen nach der Mode vorgekommen ?
Das sind alles hübsche , zahme , kirre Lämmchen , hübsche sanfte Täubchen , die sich zum Schnäbeln nicht lange nötigen lassen ?
Es tut mir leid um die gute Liddy : Indes was kann das arme Mädchen davor , daß ihre Madame Bertrand sie gerade so und nicht anders gebildet hat , und daß ihre ganze Natur nun gerade zu dieser und keiner anderen Bildung paßte !
Die Hauptschuld fällt also auf die Bertrand zurück , und da vorhin von dem großen Verstande und dem gesetzten Charakter derselben gerühmt worden , so fürchte ich sehr , ich werde widerrufen müssen !
Nun ich setze dich hiermit selbst zum Richter , und erzähle dir ganz kurz und erbaulich die Geschichte der armen Bertrand .
Madame Bertrand - war nicht Madame Bertrand :
Und da sie sich gleichwohl selbst so hieß , so sagte sie damit eine kleine Unwahrheit , aber auch gewiß die einzige , die je über ihren Mund gekommen ist !
Schon um deswillen wäre diese kleine , und überdem völlig unschädliche Unwahrheit verzeihlich : Allein da Meißner in seinen Skizzen durch ein äußerst frappantes Beispiel dargetan hat , daß selbst großes Verbrechen , die die Obrigkeit mit dem Schwede bestrafen muß , in einem solchen Falle aus sehr edlen Bewegungsgründen herrühren können * ) , so könnte ja auch wohl diese Unwahrheit einen sehr respektablen Bewegungsgrund zur Quelle * ) S. die schauderhafte Erzählung Blutschänder , Mordbrenner und Mörder zugleich , den Gesetzen nach , und doch ein Jüngling von edler Seele , in dem ersten Teile der Skizzen . haben !
Genug , unsere Bertrand war die Tochter eines sehr wackeren Predigers aus Genf , der , wie es so häufig das Los dieses Standes ist , bei seinem frühzeitigen Sterben nichts hinterließ , als Bücher , Kinder , Schulden und eine trostlose und dabei immer kränkelnde Witwe .
Die Bücher reichten so eben hin , die Schulden zu bezahlen .
Die Söhne waren alle außer der Schweiz , zwar jeder im Stande , sich selbst zu ernähren , aber noch nicht vermögend , Mutter und Schwester kräftig unter die Arme zu greifen .
Der Unterhalt dieser beiden beruhte also auf einer kleinen Witwenpension , und auf der Handarbeit der Tochter , die sehr künstlich zu nähen und zu sticken wußte .
Wenn es für Herr Wertern traurigen Andenkens schon ein so interessanter Anblick war , Loten zu sehen , wie sie unter ihre Geschwister Brotschnitten austeilte , so war es hoffentlich ein noch anziehenderer , unsere Bertrand zu sehen , wie sie zu gleicher Zeit ihre weibliche Arbeit verrichtete , daneben Racine , Bonnet , Sauren , Pope , Poung , Haller etc . las , und endlich auch ihrer kränklichen Mutter pflegte und wartete .
So blühend und kraftvoll konnte sie in dieser Situation freilich nicht aussehen , wie Lotte :
Aber wer weiß , ob nicht ihr melancholischer und in sich gekehrter Blick , ihr schmachtendes Auge , ihr zwar schlechter , aber sehr niedlicher und geschmackvoller Anzug in den Männerherzen ungleich mehr Unfug angerichtet hätte , als jenes !
Doch dazu hätte notwendig gehört , daß sie sich in Gesellschaft produzierte :
Das aber fiel gänzlich weg .
Sie führte ein völlig einsiedlerisches Leben , und aus dem Hause in die Kirche , und wieder aus der Kirche nach Hause , das waren ihre Gänge alle !
Ob nicht zuweilen in dem Herzen unserer Bertrand gewisse Neigungen und Wünsche aufstiegen , das mögen meine Leser erraten :
Aber diese Wünsche wurden eben so bald , wie sie aufstiegen , durch einen Seufzer unterdrückt .
So standen die Sachen , als plötzlich die Bertrand durch ihr Mädchen einen Brief von unbekannter Hand erhielt .
Sie las ihn , und warum hätte sie es nicht tun sollen ?
Lange hinterher zeigte sich_es freilich , daß sie besser getan haben würde , diesen Brief mit Füßen zu treten : Allein , wenn es ein Verbrechen sein soll , nicht in die entfernte dunkle Zukunft mit Falkenaugen hinauszuschauen , so sei der Himmel uns Menschenkindern allesamt gnädig !
Kurz der Brief war - nicht eine Liebeserklärung - oder , wenn man will , ja , so war er eine , aber so ganz im echten Stile der Unschuld und Tugend , daß ihn jedes gute Mädchen , zwar mit Erröten , aber auch mit unwiderstehlicher Teilnehmung lesen mußte .
Der Unbekannte sagte darin , daß da er nun bald , bald frei sei , sich eine liebenswürdige Gattin zu erkiesen , so habe er sich_es angelegen sein lassen , ein würdiges Mädchen auszuforschen , die seine Geleiterin durch dieses Leben sei .
Alle Nebenabsichten fielen bei ihm gänzlich weg ; er sähe bloß auf Geist und Tugend , und setze darin eine Art von Stolz , die Mädchen , die sich bloß mit Reichtum und vornehmer Geburt brüsteten , ihr Nichts fühlen zu lassen .
Er bäte sie also um ihre Bekanntschaft und um die Erlaubnis , ihr und ihrer Mutter aufwarten zu dürfen .
Vorher aber wolle er sich ihr persönlich zeigen , und wenn sie um die und die Stunde etwa von ungefähr ans Fenster käme , würde sie vorläufig aus der Physiognomie beurteilen können , ob sie es mit einem Verführer oder mit einem ehrlichen jungen Manne zu tun hätte .
Welche süße Bangigkeit , welche unruhige Freude mußte nicht ein solcher Brief in dem Herzen unserer Bertrand anrichten !
Und bis zu welchem Gipfel mußten nicht diese Leidenschaften erst steigen , als sie den Unbekannten zum erstenmal durchs Fenster erblickte .
Es war ein junger , schöner , auf Reisen gebildeter und zugleich vornehmer Mann , dessen Vater einen sehr ansehnlichen Posten in der Stadt bekleidete , wodurch der Sohn allerdings ein Recht bekam , sich in den besten Familien eine Gattin auszuwählen .
Die gute Bertrand erlag schier unter dem Gedanken dieses übermäßigen Glücks , doch weit entfernt , sich dadurch aufblähen zu lassen , reizte sie bloß die Vorstellung , diesen edlen Jüngling für seine Großmut zu belohnen und ihn durch ihre Hand und ihr Herz glücklich zu machen , als irgend eine ihres Geschlechts .
Die gesuchte Erlaubnis wurde also natürlich zugestanden , und da die Sache noch in weitem Felde , auch die Mutter wegen ihrer Kränklichkeit und damit verknüpften verdrießlichen Laune jetzt nicht in der Verfassung war , einen Heiratsantrag gehörig zu überlegen , so behielt die Tochter zur Zeit noch ihr Glück für sich , und gab dem jungen Liebhaber ein Tete a Tete , bei dem sie um so weniger Gefahr zu laufen glaubte , weil er nach seinem Briefe die Mutter gar nicht scheute , ein sicheres Merkmal seiner ehrlichen Absichten !
Eine prosaische Feder ist zu schwach , die Empfindungen der Bertrand nach diesem ersten Tete a Tete zu beschreiben !
Bloß das vortreffliche feurige Gedicht von Randchen , nach dem ersten nächtlichen Besuche kann als ein Kommentar zu diesen Empfindungen gebraucht werden :
Bin ich nüchtern , bin ich trunken ?
Wach ich , oder Traum ich Narr ?
Bin ich aus der Welt gesunken ?
Bin ich anderer Natur ?
Fühlte ein Mädchen schon so was ?
Wie begreife ich alles das ?
Bloß die Küsse weggerechnet , zu denen es jetzt noch zu früh war , paßt alles übrige auf das genaueste !
Die arme Bertrand war wie bezaubert , so vortrefflich wußte der abgefeimte Bube den Keuschen und Sittsamen zu spielen .
Der geneigte Leser male sich das nun alles weiter aus :
Denn meine Erzählung geht mit Riesenschritten !
In wenig Rendezvous waren die Präliminarien so weit in Richtigkeit , daß die Bertrand ihrem L das vertrauliche Geständnis ihrer Liebe tat , und nun wurden die Küsse nicht mehr weggerechnet , sondern jetzt galt das folgende auch : Worte , wie sie abgerissen Kaum ein Seufzer von ihm stieß .
Höre ich wieder , fühle ihn küssen :
Welche Sprache sagt , wie süß ?
Sehe ein Tränchen - Komme herab Meine Lippe küßt dich ab !
Dabei blieb es auch anfänglich , und wenn ja der Liebhaber eine kleine Freiheit sich mehr heraus nahm , so bestrafte er sich auch gleich selbst dafür , entschuldigte sich mit der allgewaltigen Macht der Liebe , und versprach , ins künftige besser auf seiner Hut zu sein , daß ihn die Sinnlichkeit nicht überraschen sollte .
Gleichwohl wiederholte er dieselben Versuche immer wieder , ermüdete endlich die arme Bertrand , erschlich sich durch Künste , welche zu verschweigen Pflicht ist , eine Freiheit nach der anderen , und schon lag ihre jungfräuliche Keuschheit in den letzten Zügen .
Doch hier ermannte sie sich wieder , aber leider konnte dies Ermannen weiter nichts helfen , als daß der in der Verführungskunst vollendete L auch seine äußersten Kräfte aufbot , seinen Endzweck zu erhalten !
Und es gelang ihm - sie wurde schwanger - und er verließ sie !
Keine Sprache reicht hier zu , den Jammer und das Elend dieser Unglücklichen zu beschreiben ! Zorn und Wut gegen den abscheulichen Verführer ihrer Unschuld , Verzweiflung über den Verlust ihrer Ehre waren noch das Geringste , gegen den schrecklichen Gedanken an ihre Mutter !
Erfuhr diese es , und sie mußte es ja erfahren , so stürzte der Gram sie gewiß und unfehlbar ins Grab !
Welche Ströme von Tränen kostete diese schauderhafte Vorstellung die arme Bertrand !
Und noch dazu konnte sie sie bloß des Nachts auf ihr Lager hinweinen , denn am Tage mußte sie sich notwendig verstellen !
Allein die gütige Vorsehung , die nicht wollte , daß die Unglückliche ganz zu Boden gedrückt würde , nahm die Mutter durch einen natürlichen Tod zu sich , ohne daß sich die Tochter vorwerfen durfte , däzu beigetragen zu haben .
Sogleich machte die Bertrand ihre kleine Erbschaft zu Gelde , fand sich mit ihren Brüdern ab , und verließ das ihr ewig verhaßte Genf .
Sie ging gerade nach Paris , wo es ihr durch ihre weiblichen Geschicklichkeiten weniger als irgendwo fehlen konnte , sich und ihr Kind zu ernähren .
Die Zeit ihrer Niederkunft rückte heran , allein ohne ein kleines Wunderwerk konnte sie nach alle dem inneren Grame und Kummer wohl nimmer ein lebendes Kind zur Welt gebären !
Auch brachte sie wirklich ein totes , und dankte Gott auf den Knien für diese Wohltat .
Nachdem die tiefsten Wunden ihres Unglücks verharscht waren , und sie wieder zu einiger Ruhe und Heiterkeit der Seele gelangt war , entschloß sie sich , Nadel und Stickrahmen wegzuwerfen , und sich dem Erziehungsgeschäfte zu widmen .
Nicht lange , so erwarb sie sich in diesem ihr zwar ungewohnten , aber ihren Talenten und Kenntnissen vollkommen angemessenen Geschäfte eine so große Reputation , daß sie der Englische Gesandte in Paris für Baronet Philipp Monneux , oder vielmehr für seine Töchter verschrieb , wie bereits angeführt worden . zweierlei ergibt sich nun von selbst aus dem Vorigen .
Einmal , daß die Bertrand nach ihrer unglücklichen Katastrophe eine förmliche erklärte Feindin des männlichen Geschlechts wurde !
Ich für mein Teil , der ich es so gut als irgend einer weiß , wie unlogikalisch dieser Schluß von einem auf alle ist , bin dennoch weit entfernt , deshalb den Stein auf sie zu werfen !
Einer der größten Männer unseres Jahrhunderts - vielleicht im Ganzen betrachtet geradehin der Größte - ist ein erklärter Menschenfeind .
Wie das ?
Er wurde mehr als einmal , vielleicht hundertmal , von denjenigen auf das schändlichste und himmelschreiendste betrogen , auf die er sein ganzes Vertrauen gesetzt , die er mit Wohltaten überhäuft hatte .
Ein tugendhaftes und mit den Ränken der Männer unerfahrenes Mädchen kann nur einmal um ihre Ehre betrogen werden , und ist der Betrüger ein L der die Maste der Tugend so täuschend aufzukleben weiß , daß selbst ein Sokrates sich dadurch könnte irre machen lassen , was bleiben dann für Merkmale übrig , den Guten vom Schurken zu unterscheiden ?
Sind aber keine solche Merkmale da , so muß das Misstrauen und der Unwille notwendig den Schuldigen wie den Unschuldigen treffen !
Die zweite Folge war , daß die Bertrand ihre strengen Lehren gegen das männliche Geschlecht auch in ihren Unterricht bei den zwei Schwestern einfließen Lees , und sie nach ihrer Hand zu bilden suchte .
Bei der ältesten nun war dieser Unterricht verloren ; Liddy hatte zu viel Fleisch und Blut , und ließ sich_es nicht ausreden , daß alle hübschen Männer auch gute Männer wären .
Es war ein Glück , daß sie bei Zeiten unter die Haube kam , sie hätte sonst leicht ihrem Vater einen Bastard ins Haus setzen können , ohne deshalb eine Männerfeindin zu werden .
Desto besser hingegen schlug Liddy der Bertrand ein , und es herrschte zwischen beiden die innigste Zärtlichkeit und Vertraulichkeit !
Das Glaubensbekenntnis der Liddy lief kürzlich darauf hinaus :
Es gibt der guten , tugendhaften , keuschen Jünglinge , mit denen sich eine glückliche Ehe schließen läßt , überall sehr wenig auf der Welt ; Einen von diesen wenigen herauszufinden , und keine Niete zu ergreifen , ist ein unendlich schweres Geschäft ; Auch der vollkommenste Schein kann trügen ; Folglich lieber als Jungfer gelebt und gestorben , als von einem Liebhaber oder Manne betrogen !
Daß du dir nur , lieber Leser , unter der guten , sanften Liddy ja keine Gozzische Turandot vorstellst , auch eine Männerfeindin , aber eine tolle und närrische , die vor Weisheit , oder eigentlich zu reden , vor Stolz platzt , und die , meiner Meinung nach , mit allem Respekt vor Gozzi sei es gesprochen , mit samt ihren drei Rätseln ins Tollhaus gehört !
Und so auch der Schwachmatiker von Prinz , der sich in diesen Drachen verlieben konnte !
So waren die drei Personen beschaffen , in deren zirkel jetzt unser Wilhelm Blumental eintrat .
Der erste Empfang war natürlich , dem Interesse einer jeden gemäß , kälter oder wärmer !
Für die Bertrand war es genug , zu wissen , daß Wilhelm schon seit mehreren Jahren auf Reisen wäre , um von ihm das Schlimmste zu vermuten , denn ihr ehemaliger L ** hatte auch seine Verführungskunst von Reisen , namentlich von Paris mitgebracht .
Liddy hegte auf den ersten Blick ein günstigeres Vorurteil für ihn , doch ohne weitere Empfindungen !
Der Baronet aber , der noch von alten Zeiten her ein enthusiasmierter Italiener war , freute sich unendlich , wieder einmal einen gescheuten Menschen zu finden , mit dem er von Italien italienisch sprechen konnte .
Das ging denn also an ein heftiges Fragen und Erzählen vom Morgen bis in die Nacht , und die ersten paar Tage wurde mit keiner Silbe an den eigentlichen Endzweck gedacht , weswegen Wilhelm hergekommen war .
Endlich kam denn dieser zur Sprache !
Wilhelm sollte das vor einiger Zeit im Feuer aufgegangene Wohnhaus des Baronets ( sie wohnten jetzt in einem Nebengebäude ) von Grund aus neu aufführen .
Er machte sich also ans Werk , welches ihm aber hier viel langsamer von statten ging , als in London .
Der Morgen bis Mittag war ganz sein , da konnte er ruhig und ungestört arbeiten , und das tat er auch von Tagesanbruch an ; Allein der Überrest des Tages ging rein mit Essen , Trinken , Plaudern , Spielen , Spaziergängen und Fahren hin .
Mit jedem Tage , daß der Baronet Wilhelm näher kennen lernte , warf er auch , mehr Liebe und Zuneigung auf ihn ; sagte ihm auch gleich , er ließe ihn nicht wieder aus England weg , er müßte sich hier etablieren , wogegen aber Wilhelm zur Zeit noch viel einzuwenden hatte , denn jetzt stak ihm noch das Vaterland im Kopfe .
Die Damen ihrerseits begannen auch allmählich etwas mehr Respekt gegen Wilhelm zu bekommen .
Vieles dazu half schon dies , daß er sich mit einer jeden in ihrer Landessprache unterhalten konnte !
Was ihnen aber so recht eigentlich eine herzliche Delice machte , das war seine große Fertigkeit und Geschicklichkeit im zeichnen .
Mit dem ersten dem Besten , was eben bei der Hand war , Kreide , Bleistift , Feder , Kohle , zeichnete er ihnen in der größten Geschwindigkeit hin , was sie wollten :
Und alles lebte unter seinen Händen !
Liddy fand daran so viel Geschmack , daß Wilhelm sie zu seiner Schülerin annehmen , und ihr täglich eine Stunde geben mußte .
Alles sein anderweitiges Tun und Lassen , das von den Damen fleißig aufs Korn genommen wurde - seine Arbeitsamkeit , Mäßigkeit im Essen und Trinken , seine männliche Unerschrockenheit , ohne doch eine Fliege zu beleidigen , sein weiches Herz , das sich bei jeder rührenden Geschichte durch helle Tränen im Auge zeigte , sein immer heiteres und doch nie ausgelassenes Wesen , die Ehrfurcht , mit der er von Gott und Religion sprach , ohne die mindeste Bigotterie , die milde Art , mit der er die Fehler und Schwachheiten der Menschen beurteilte , seine Bescheidenheit , mit der er ein ihm erteiltes Lob immer einem anderen zuzuschieben wußte , Gott oder seinen Lehrern oder seinem Fleisse , den er als eine bloße Pflicht betrachtete - Alles das und noch mehr wäre zwar für eine Turandot so gut als nichts zur Empfehlung gewesen !
Aber Liddy wußte alle diese Tugenden vollkommen zu schätzen , und wenn sich in ihrem Herzen nicht bereits etwas für Wilhelm regte , so war niemand Schuld daran , als die Bertrand , die nach ihrer Schwergläubigkeit es immer noch für einen sehr möglichen Fall hielt , daß Wilhelm trotz alle dem doch ein Schurke wäre .
Sehr oft , wenn er schon im Bette lag und fest schlief , um den Morgen mit dem Hahnenschrei aufzustehen , war er noch der Inhalt des Gesprächs zwischen Bertrand und Liddy :
Diese nahm sich seiner an , jene suchte ihn in die Pfanne zu hauen .
Nicht wahr , meine Beste , sagte die Bertrand einst , Sie halten mich wohl für recht hartnäckig , und wohl gar für ein wenig ungerecht ?
Aber glauben Sie mir , eben so würden Sie auch sein , wenn Sie meine Erfahrung gemacht hätten :
Das gehört mit zu den Sünden der Männer , nachdem sie uns unglücklich gemacht haben , uns auch diejenigen verhaßt zu machen , die vielleicht dazu geschaffen sind , jener ihr Unheil zu reparieren !
Es ist wahr , der junge Deutsche macht so gute Miene , ohne nepeut pas mieux :
Und doch - ich mag ihn nicht auf die Probe setzen !
Liddy .
Und ich wäre sehr begierig , ihn darauf zu sehen !
Bertrand .
Sie wünschen es ?
Wohl , ich will ihm eine Falle legen - nur eine ganz kleine - doch auch wieder nicht zu klein , denn sonst entscheide sie nichts !
Fängt er sich , nun dann sind wir wieder in unserem System , wo wir erst waren !
Liddy .
Aber , wenn er sich nun , nicht fängt ?
Bertrand .
Tant pis pour moi :
Doch ich glaube immer noch , das tant Pis wird am Ende Sie treffen !
Wollen sehen !
Dieser Verabredung zu Folge machte die Bertrand wirklich Anstalt zu einem geheimen Angriffe auf Wilhelms Herz , dem sicherlich hundert und abermals hundert junge Mannspersonen untergelegen haben würden .
Der Baronet hatte noch aus Italien her den Geschmack mitgebracht , daß er gern schöne Leute um sich sah , und wer zu ihm in Dienste wollte , männlichen oder weiblichen Geschlechts , mußte durchaus dies Requisitum haben .
Insbesondere zeichnete sich der Liddy Kammermädchen aus , ein ganz allerliebstes kleines niedliches Geschöpf , die , wenn sie als Lady geboren worden wäre , am Hofe und in der Stadt unzählige Eroberungen gemacht haben würde !
Diese wurde jetzt ganz fein und um merklich Wilhelm zur Bedienung untergeschoben , da er sonst männliche Bedienung gehabt hatte .
Sie machte sich also ein Gewerbe übers andere , kam den Tag wohl sechsmal auf sein zimmer , und auch den Abend ganz spät , hatte immer was zu plaudern , und sie plauderte so gut ; daß Wilhelm viel Spaß mit ihr trieb , und ihr Scherz mit Scherz vergalt !
Übrigens aber war er taub und blind , zu hören und zu sehen , was die schelmische Betty eigentlich im Schilde führte .
Einmal forderte sie seine Hand , um ihm die garstigen Tintenflecke abzuwaschen , Er gab sie ihr ohne Bedenken hin !
Ei , fing die kleine Spizbübin an , das ist ja eine allerliebste weiche Patschhand , und dabei drückte sie sie so sanft , wie Pflaum !
Laß gut sein , Kleine , erwidert ihr Wilhelm : Dein künftiger Mann wird eine noch viel weichere haben !
Ein andermal stellte sie sich , als ob ihr etwas ins Auge gesprungen wäre , und bat Wilhelm , ihr doch den Splitter herauszunehmen .
Sie war noch ganz im Negligé , und das dünne seidene Tuch bedeckte den Busen sehr nachlässig !
Wilhelm untersuchte das Auge , und versicherte ihr , daß kein Splitter da wäre ; Alsdann aber zog er ihr das Busentuch zurechte , und sagte zu ihr : Hier , hier ist der Splitter , Betty !
Wenn du ein gutes Mädchen sein willst , mußt du kein Ärgernis geben !
Auf diese Weise schlug Wilhelm alle diese kleinen Angriffe der Betty glücklich ab !
Niemand aber kam dabei schlechter weg , wie sie selbst :
Denn da sie dem gemachten Plane gemäß bloß die Verliebte spielen sollte , wurde sie über alle dem Spasse recht ernstlich und gar nicht spielend verliebt !
Das Schäkern verging ihr ganz und gar , dagegen aber focht sie jetzt mit Blicken , die durch die Seele drangen , mit Tränen , die ihr mitten im Gespräch mit Wilhelm in die Augen traten , mit schweren und tiefen Seufzern , die Wilhelm unmöglich ohne Rührung anhören konnte .
Er suchte alle ersinnliche Beredsamkeit hervor , sie wieder zufrieden zu stellen , und , wahrhaftig mehr vom Mitleid als von etwas anderem hingerissen , drückt er ihr manchen Kuß auf ihre Augen , Mund und Wangen , ohne daß sie das Geringste davon verriet .
Auch brachte sie das vollkommen wieder zurechte ; Sie bekam ihre muntere Laune wieder , und um den angeglommenen Funken , wie sie meinte , nicht wieder verlöschen zu lassen , schickte sie sich zu einem Generalsturme auf Wilhelms Herz !
Dies geschah nicht ohne Mitwissen der beiden Ladies !
Diese brachten über Tische den Diskurs auf das Kapitel von männlicher Unerschrockenheit , und Wilhelm wurde gefragt , ob er sich wohl vor einem Spucke fürchten würde ?
Er sagte , einen wahren Spuk gäbe es nicht , wenigstens nicht in den preußischen Ländern , wo Friedrich und seine Soldaten längst alle Gespenster und Nachtgeister vertrieben hätten , und er hoffte ja , es würde hier zu Lande nicht schlimmer sein !
Vor einem falschen Spucke aber würde er sich nie fürchten , sondern ihm , wenn er auch noch so fürchterlich und gräßlich aussähe , dreist zu Leibe gehen , und da stünde er vor seine Kontenance .
Liddy antwortete ihm lächelnd , er sollte sich nicht zu viel vermessen , sonst könnte sie leicht in Versuchung geraten , auf eine oder die andere Art seinen Mut auf die Probe zu setzen .
Wilhelm versetzte , er würde es erwarten ; bedauerte aber im Voraus , daß Lady gegen ihn Unrecht behalten würde .
Nach diesem Gespräche bergigen drei , vier Tage , ohne daß das Mindeste geschah .
Die nächste Nacht aber , just zur Stunde : der Gespenster , wachte Wilhelm von einem Geräusche seines Vorhangs auf .
Er sah sich um , sieh da , stand eine Schneeweisse Gestalt vor ihm , starr und unbeweglich !
Wer da , rief er , ohne sich im Mindesten zu Entsetzen ?
Die weiße Gestalt antwortete nicht , trat aber noch einen Schritt näher , dicht ans Bette .
Antworte , rief er nochmals :
Wer bist du ?
Stadt der Antwort warf Betty ( denn wer sonst hätte es sein sollen ) den Schleier vom Gesicht , schlug ihren Arm um Wilhelm , und drückte ihn heiß und glühend an ihr Gesicht und an ihre Brust .
Halb unwillig , aber doch keineswegs rauh und hart sagte er zu ihr : Betty .
Betty , was machst du ?
Willst du mich zwingen , daß ich dich verachten soll ?
Laß mich !
Aber Betty , die einmal ins Feuer geraten war , kehrte sich an nichts , fuhr fort , ihn mit Liebkosungen zu überhäufen , und wisperte ihm ins Ohr , er sollte sich doch nicht fürchten , sie schwüre es ihm aufs heiligste zu , keine lebendige Seele sollte etwas erfahren !
Nunmehr riß sich Wilhelm völlig von ihr los , und sagte zu ihr :
Also du fürchtest dich bloß vor Menschen ?
Ich nicht :
Aber es ist einer im Himmel , vor dem ich mich mein Lebelang gefürchtet habe und noch fürchte .
Und vor dem fürchtest du dich nicht ?
Auf diese Frage fing Betty bitterlich an zu weinen , und setzte sich auf den Rand des Bettes .
Liebe Betty , fuhr Wilhelm fort , indem er sie nun ganz freundlich bei der Hand faßte , du hast eine so treffliche Anlage , ein gutes Mädchen zu sein !
Sei es doch , und sei es ganz !
Laß dich nicht von deinen Empfindungen hinreissen , sondern spare sie alle auf , bis dir der Himmel einen wackeren Mann beschert !
Ich kann dein Mann nicht sein : Und dein Galan , dazu habe ich dich und mich zu lieb !
Ich müßte vor Verzweifelung sterben , wenn ich den Vorwurf auf meiner Seele hätte , daß ich ein so liebes Kind , wie dich , ins Verderben gestürzt hätte :
Und wie leicht könnte das nicht geschehen !
Glaube mir , unter den viel tausend Strassennymphen in London , die jetzt der Abschaum deines Geschlechts sind , finden sich gewiß mehrere , die einmal vor alten Zeiten eben so hübsch und liebenswürdig waren , wie du : Allein in einer unglücklichen Stunde ließen sie sich von Fleisch und Blut hinreissen , und nun - krepieren sie vielleicht auf dem Misthaufen !
Dieser starke Ausdruck , über den manche delikate Leser und Leserinnen das Pfui ausrufen werden , tat vor diesmal auf Bettys Herz eine ganz außerordentliche Wirkung , die schwerlich irgend eine andere Vorstellung gehabt hätte !
Sie fühlte bis ins Innerste die schreckliche Wahrheit dieser Worte , und Schauder und Entsetzen fuhr ihr durch Mark und Bein !
Voll wahrer Reue fiel sie Wilhelm um den Hals , bat ihn um Verzeihung , schwor ihm auf das heiligste zu , daß sie seine Lehren und Warnungen nie vergessen , und ihn künftig mit ganz anderen Augen , nämlich als ihren Wohltäter und Erretter betrachten wollte . zuletzt küßte sie ihm die Hand noch recht zärtlich , wie eine Tochter ihrem liebreichen Vater , und - weg war der Geist !
Wie und auf was Weise Betty , und auch Wilhelm , nach diesem Auftritte den übrigen Teil der Nacht zubrachten , ob wachend oder schlafend oder träumend oder phantasierend etc . das lassen wir an seinen Ort dahin gestellt sein , und schreiten dafür zu dem großen Haupt- und Staatsverhöre , in welches sich Betty den Morgen darauf bei ihren beiden Gebieterinnen stellen mußte .
Madame Bertrand , ihrem alten Unglauben an männliche Tugend getreu , hoffte nichts weniger , als daß Wilhelm nunmehr schlechterdings auf dem fahlen Pferde erscheinen müsse !
Ihrer Rechnung nach sollte Betty erst seine Sinnlichkeit in Bewegung setzen , und ihn dann mit Spott und Verachtung von sich stoßen :
Das wäre denn ein neuer Triumph für ihr männerfeindliches System gewesen , und sie würde diese Instanz meisterlich gebraucht haben , um Liddys Herz gegen alle Pfeile der Liebe schußfest zu machen !
Allein wie groß war ihre Überraschung , die nahe an Verwirrung grenzte , und wie groß Liddys heimliche Freude , als Betty ihr freies und unverhohlenes Geständnis anhob .
Sie erzählte ( bie auf ein paar Küsse und Umarmungen ) alles haarklein , was zwischen ihr und Wilheim vorgefallen war , erhob ihn mit dem heißesten Feuer bis in den Himmel , schwor , daß er der edeldenkendste und bravste Jüngling wäre , den je die Sonne beschienen hätte , gestand , daß sie ihn , nicht etwan bloß aus Verstellung , sondern von ganzem Herzen geliebt hätte , und wenn er ihren Lockungen gefolgt wäre , so würde sie ihn nie , nie mit einer Silbe verraten haben , allein er dächte viel zu gut und zu christlich dazu , und so hätte ihr in ihrem Leben kein Prediger das Herz gerührt , wie er !
Ihn zum Manne zu haben , fuhr sie fort , das müßte der Himmel auf Erden sein , allein er wäre sicherlich für eine bessere aufgehoben , wie sie , indes würde sie ihm zeitlebens gut bleiben , und wollte , wenn er in Rot wäre , ihr Läden für ihn wagen !
Ich mag die Konfusion nicht beschreiben , in welche Madame Bertrand durch die Sprache gesetzt wurde , die so unverkennbar das Siegel der Aufrichtigkeit und Wahrheit führte !
Ganz anders verhielt sich die Sache mit Liddy !
Ihr Busen schwoll , ihr Herz schlug , ihre Wange glühte vor Freude , sympathetischem Gefühle , und der Himmel weiß , was es sonst war , doch auf allen Fall nichts , als die unschuldigsten und sanftesten Empfindungen !
Sie brannte vor Begierde , es Wilhelm zu sagen , daß sie ihn um seiner Tugend Willen hochschätze und verehre :
Aber kaum war die Bertrand wieder zu sich selbst gekommen , kaum hatte sich ihr zu Boden geworfener Unglaube wieder aufgerafft , als sie von neuem mit wenigstens 199 Gründen gegen ihn zu Felde zog .
Sie stellte sich , als ob sie keineswegs sein lobenswürdiges Verhalten gegen Betty verkennen wolle ; " Hunderte an seiner Stelle , sagte sie , würden gewiß in die Schlinge gegangen sein :
Allein daraus folgt nur so viel , daß ich vor diesmal seine schwache Seite noch nicht getroffen habe !
Ich denke , ich denke , daß ich mich in seinem Charakter nicht irre !
Der junge Fremde , obgleich in einer niederen Hütte geboren , trägt dennoch eine hohe Seele .
Edler Stolz und Ehrgeiz , sich in der Welt zu poussieren , sind seine Leidenschaften , und dann ist es wohl natürlich , daß er hoch auf ein schlechtes Kammermädchen herab sieht , das nichts weiter hat , als ein hübsches Gesicht .
Aber könnten wir nur einmal Betty zur Lady machen , und ihn mit ihr in eine Liebesintrige verwickeln , das wollt ich denn eine große Versuchung nennen !
Überstünde er die , das würde ihn bei mir , ich gestehe es , in die höchste Achtung setzen !
" Von allen diesen und ähnlichen Räsonnements , Beschuldigungen und Entschuldigungen , die sehr häufig hinter seinem Rücken vorfielen , wußte und erfuhr dieser kein Wort .
Blieb ihm doch selbst die auf ihn angelegte Kabale mit Betty lange liebe Zeit ein völliges Geheimnis :
Und wie hätte das anders sein können ?
Betty , so lange sie noch in dem Interesse ihrer Gebieterinnen war , schwieg um derentwillen :
So bald sie hingegen in ihrem eigenen Interesse war , wollte sie die Schande nicht haben , daß sie heimtückische Absichten gegen Wilhelm im Schilde geführt hätte , und so schwieg sie jetzt noch mehr .
Überdem , so unendlich schwer und beinahe unmöglich es war , Wilhelm zu hintergehen , wenn er auf seiner Hut stand , so leicht war es hingegen , wenn er nicht darauf stand .
Auf diese Weise also ging Wilhelm seinen alten Gang unverändert fort ; das heißt , er baute fleißig , lehrte Liddy brav italienisch , attachierte sich mit jedem Tage mehr an sie , ohne sie jedoch zu lieben ( im streuen Verstande des Worts ) und unterhielt sich täglich mit dem alten Baronet , der sein Podagra beinahe gänzlich wegplauderte .
Der anfängliche Gegenstand der Unterhaltung , Italien nämlich , wurde endlich erschöpft , und nun trat ein anderer an die Reihe , der eigentlich des Baronets großes Steckenpferd war , England und seine Staatsverfassung .
So ein großer Kenner er hierin war , solch ein inniges Vergnügen fand er auch daran , seine Kenntnisse mitzuteilen , und besonders einen jungen fähigen Kopf zum echten Politiker auszubilden .
Wilhelm , ob er gleich seiner Meinung nach schlechterdings nicht absah , wozu ihm bei seinem Metier auch die tiefste englische Staatskunde nutzen könne , gab dennoch den Unterweisungen des Baronets ein sehr aufmerksames Gehör , und tat in nicht langer Zeit solche starke Fortschritte , daß der Baronet ihm aufs dringendste anlag , er sollte seine Kunst ganz aufgeben , und sich lediglich dem Staate widmen .
Allein , aller Versprechungen unerachtet ( und der Baronet konnte schon etwas der Rede Werts versprechen , da er die Freundschaft seines Königes nach wie vor besaß ) hatte dennoch Wilhelm keine Ohren , sich dem unruhigen und stürmischen Meere des Staats anzuvertrauen , und er sagte dem Baronet frei heraus , daß er zum praktischen Politiker von Haus aus verdorben wäre , denn er wäre dazu viel zu ehrlich und aufrichtig !
Der Baronet stellte ihm zwar vor , daß die englische Politik keine französische sei , aus der freilich Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit so sehr verbannt wären , daß er für sein Teil lieber mit einem englischen Haywayman , als mit einem französischen Envoyé negoziieren wolle : Allein Wilhelm , ob er gleich dies nicht in Abrede war , schlug ihn gleichwohl mit seinen eigenen Waffen , und zeigte ihm , daß die englische Politik doch auch nicht so ganz ihre Hände in Unschuld waschen könne , und also blieben diese politischen Unterredungen immer nur noch eine Art von Zeitvertreib bei müßigen Stunden .
Unterdes bekam der kleine zirkel von Gesellschaftern in Wotton ganz unverhofft einen sehr lebhaften Zuwachs durch Livy und ihren Begleiter , einen jungen Engländer von gutem Hause , Namens Chandler .
Livy war , weil ihr Mann eine kleine Reise nach Schottland gemacht hatte , vorizt eine Strohwitwe , und ob er sie gleich eingeladen hatte , die Reise mit ihm zu tun , so wollte sie doch lieber in der Zwischenzeit einmal ihren Vater und ihre Schwester besuchen , und brachte zugleich den jungen Chandler , einen Freund ihres Mannes mit , der die geheime Absicht hegte , das Herz der Liddy ein wenig zu rekognoszieren , ob es ihm etwa gelingen möchte , es mit Kapitulation einznnehmen .
Ich habe bereits oben im Vorbeigehen von Livys Charakter das Notdürftige gesagt :
Hier setz ich nur noch dies hinzu , daß sie seit ihrer Verheiratung an Schönheit merklich gewonnen hatte . zugleich aber hatte sie auch das stille und eingezogene Wesen , was noch nach der Gouvernante schmeckt , und ihr von Haus aus nie natürlich gewesen war , vollends gänzlich ausgezogen .
Rauschendes Vergnügen war ihr Element , und ein Tag , der ohne eine Partie de Pläsier hingieng , war für sie verloren .
Ranelagh , Vauxhall , St. James Park , Drurylane , Haimarkt , Madame Cornelys etc . das waren die liebsten Gegenstände ihrer Unterhaltung .
Das Pferderennen in Newmarket war für sie ein Fest , ob gleich ihr Mann das letztemal mit ihr eine schöne Summe durch Wetten hatte sitzen lassen .
Auch liebte sie die Jagd , und saß sehr gut zu Pferde .
Wenn denn nun aber einmal durch den Zorn des Himmels alle diese Vergnügungen und Zeitvertreibe fehlschlugen , und sie fand nur irgend ein hübsches Mannsgeschöpf , mit dem sie ein kleines verliebtes Abenteuer spielen konnte , so behalf sie sich auch gern damit .
Wie gut oder schlecht sich dabei die Stirn ihres Mannes befunden , das ist eine sehr delikate Untersuchung !
Doch ich denke ja , recht gut : Denn einmal war dessen seine Leidenschaft das Spiel , worauf er so erpicht war , daß es ein Liebhaber vor seinen sichtigen Augen sehr grob hätte machen müssen , wenn er sich einmal vor Schmerz hätte nach der Stirn fahren sollen :
Und dann beging auch Lady nach der gemeinen Denkungsart des großen Haufens nie an ihrem Manne eine eigentliche grobe Untreue , sondern es blieb bei der Oberfläche , ob ich gleich nicht davor stehen mag , daß es gar bald bis zum äußersten hätte kommen können , wenn Zeit und Umstände es so recht danach gefügt hätten .
Nach dieser Einleitung wird es dem geneigten Leser gar nicht auffallend sein , wenn ich ihm sage , daß Livy nach wenig Stunden ihrer Ankunft unseren Wilhelm Blumental aufs Korn zu nehmen beliebte , und so kam die Versuchung , die die Bertrand ihrem Sinne nach für so groß und entscheidend hielt , von selbst und ohne alles zutun zu Stande .
Der Baronet trug hierzu nicht wenig bei : Denn da ihn sein Podagra verhinderte , seiner unruhigen , merkurialeschen und aufs Spazieranrennen , Fahren und Reiten erpichten Frau Tochter Gesellschaft zu leisten , Chandler hingegen der Liddy seine Cour machen wollte , so blieb für Livy niemand übrig , als Wilhelm , und wäre er auch nur das Viertel von dem gewesen , was er war , so würde ihn dennoch Livy mit beiden Händen genommen haben .
Der Baronet setzte ihn also förmlich zu ihrem Ciciebeo ein , und trug ihm auf , für ihr Vergnügen und für ihre Unterhaltung aufs möglichste zu sorgen .
Nun hatte Wilhelm in seinem Leben doch schon mit manchem Frauenzimmer Umgang gehabt , und war selbst mit einigen in sehr delikaten Verhältnissen gewesen , ohne sich sehr in Verlegenheit zu fühlen :
Aber dies Cicisbeat , das er doch nun schlechterdings nicht ablehnen konnte , machte ihm sein Herz enger und beklemmter , als je etwas !
Einmal merkte er , daß Liddys Miene , die sonst immer so liebreich und gütig gegen ihn gewesen war , jetzt mit einemmal anfing trüber zu werden , und daß ihr Auge sich vor ihm zurückzog .
Bei einem kleinen Nachdenken hierüber stieß er auf eine Ursache , bei deren bloßem Gedanken ihm das Herz doppelt stärker klopfte .
" Gütiger Gott , wäre es möglich , daß Liddy , dieser unschuldige , holde Engel mich liebte ?
Doch nein , nein , es ist nicht , und ich bin ein stolzer Narr , so etwas nur zu träumen .
Auch die besten Schwestern sind oft auf einander eifersüchtig , ohne daß Liebe sich darein mischt :
Und kann nicht Liddys Verdruß bloß daher rühren , daß sie meine Gesellschaft doch immer erträglicher finden würde , als Chandlers seine , der allem Ansehen nach wohl nie das Glück haben wird , ihre Hand davon zu tragen ?
" Dies Letztere war nur mehr als zu richtig !
Unerachtet aller Höflichkeit und Artigkeit , mit der Liddy Chandlern begegnete , brauchte man eben nicht scharfsichtig zu sein , um zu sehen , daß aus den Beiden nie ein Paar werden würde .
Der gute Tropf hatte , ohne es zu wissen , indem er sein eigen Glück zu machen gedachte , zu dem Glück eines anderen den Grund gelegt :
So eine gefährliche Sache ist es um das Ding , was die Philosophen und schönen Geister den Kontrast nennen !
Chandler , für sich allein betrachtet , war immer ein junger Mensch , den sich ein Mädchen , auch ein recht gutes Mädchen , schon hätte entschließen können zu lieben : Allein so bald er mit Wilhelm zusammen stand , o wie unendlich verlor er da in Liddys Augen !
Das Gold , von dem er strotzte , der Brillant , der an seinem Finger spielte , die Steine , die an seinen Schnallen blitzten , alles das dünkte ihr Tand und Torheit gegen den simpeln , aber reinlichen Rock , den Wilhelm trug und den er sich im Schweiße seines Angesichts verdient hatte , da jener bloß von dem Fette seiner Väter und Großväter glänzte !
Selbst Betty dachte in diesem Stücke völlig so wie ihre Gebieterin .
Chandler hatte ihr sechs Guineen gegeben , um sie auf seine Seite zu ziehen .
Hastig lief sie damit zur Liddy : " O geschwind , geschwind , rief sie , muß ich Ihnen eine ganz allerliebste Geschichte erzählen !
Sehen Sie , da sind 6 Guineen , die mir Chandler gegeben hat , Sie können leicht denken , warum und weswegen ?
Von ungefähr kommt mir William denselben Augenblick in den Wurf .
Ich zeige sie ihm , aber da kam ich schön an !
In aller Freundlichkeit , denn das tut er nie anders , sagte er zumir : Fi , Betty , das ist nicht hübsch von dir , du hättest kein Geld nehmen sollen !
Deine Liddy ist allein so einsichtsvoll und verständig , daß sie sich deinen Rat nicht wird leiten lassen , wenn sie einem Manne ihre Hand geben will : Und also ist es nicht viel besser , als hättest du Chandlern das Geld gestohlen !
Dawider verteidigte ich mich denn aus Leibeskräften , und sagte William , wie es denn auch die Wahrheit ist , daß ich mich erst lange gegen Chandlern weigerte , ehe ich das Geld nahm , und daß ich_es ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab - denn ganz frei heraus zu sprechen , das hätte sich ja nicht geschickt !
Aber genug , er blieb dabei , ich sollte und müßte das Geld nehmen , es wäre ja nur ein großes Bagatelle zu Stecknadeln : Und also , was wollte ich denn machen ?
Nun , das war denn gut :
Aber weiter auf William zu kommen , da sagte er drauf zu mir : Höre nur , Betty , ich merke , du willst mir auf eine versteckte Weise zu verstehen geben , daß ich nun schon so lange hier im Hause bin und habe dir noch kein einziges Präsent gemacht !
Nun weist du wohl , ich bin ein armer Schelm und mit den Guineen siehts bei mir sehr windig aus :
Aber doch , um dir meinen guten Willen zu zeigen , gedulde dich ein kleines Augenblickchen und du sollst ein Präsent von mir haben .
Damit ging er fort und ließ mich mit meiner Neugierde zappeln .
Aber bald , bald kam er wieder und brachte mir , sehen Sie hier , diese Rose , o das machte er ganz allerliebst , zwanzig Guineen wären mir nicht so lieb . und dabei sang er mir ein deutsches Liedchen von Unschuld und Tugend , das sich immer endigte : Weg ist die Rose , weg ist die Rose !
Das vergeße ich Zeit meines Lebens nicht !
" * )
Ich habe mich diese Plauderei der Betty zu lange aufhalten * )
Die allermeisten meiner Leser und Leserinnen kennen gewiß das Lied aus dem Rosenfeste , wovon hier die Rede ist : Ihr Mädchen , wollt ihr , wenn ihr freit etc .
Wilhelm hatte diese Operette in Wien aufführen gehört und dies Lied daraus behalten . lassen und übergehe also die weitere Parallel zwischen Chandler und Wilhelm , so wie Liddy sie in dem geheimsten Kämmerlein ihres Herzens anstellte ; Genug , jetzt fühlte sie zum erstenmal , daß ihr Herz Wilhelm nicht bloß Chandlern , sondern hundert , tausend anderen Mannspersonen vorzöge , daß diese ihr gegen ihn verglichen , fade und abgeschmackt vorkämen :
Allein eben dieses neue Gefühl wurde auch gleich von trüben Wolken umhüllt , die ihr so wohl ihre Schwester , als Wilhelm selbst verursachten .
Dieser nahm sich , wie er immer pflegte , wenn man ihm etwas auftrug , seines zeitigen Cicisbeats aufs eifrigste an ; Er hing so zu sagen nur von Livys Winken , und ihre Wünsche wurden beinahe in demselben Augenblicke erfüllt , als sie sie tat .
Liddy für sich allein hätte gleichwohl nach der großen Güte ihres Herzens keine schlimme Auslegung hiervon gemacht , sondern alles auf die Rechnung ihres Vaters geschrieben , der ein für allemal Wilhelm in diesen Posten eingesetzt , dem er nun nach seinen Grundsätzen , nichts schlecht zu machen , auch recht treulich vorstehen wollte :
Aber die Bertrand , die Bertrand !
Die , die war die Ohrenbläserin , die der guten Liddy Wilhelms Diensteifer äußerst verdächtig zu machen wußte .
" Hab ich_es doch gedacht , sagte sie , habe ich_es doch vorher gesagt , daß eine Lady bei diesem jungen , stolzen Deutschen ganz anders anschlagen würde , als ein gemeines , niedriges Kammermädchen !
Ist es nicht wahrhaftig , als ob das Männchen mit einemmal Flügel bekommen hätte ?
Nun , nun Livy wird auch gewiß nicht so grausam sein , und ihm den Minnesold vorenthalten .
Ich muß sagen , daß sie in der kurzen Zeit ihres Ehestandes unvergleichlich profitiert hat !
Doch ernstlich gesprochen , ich würde vor Scham und Verdruß in die Erde sinken , daß ich allen meinen Unterricht so ganz und gar verloren und verschwendet sehen , daß ich in meiner ehemaligen Livy eine Kokette erblicken muß , wenn ich_es nicht gleich vom Anfang gewußt und gesagt hätte , aus Livy wird nichts , ewig nichts , und wenn ich nicht dafür alle meine Sorgfalt und Zärtlichkeit auf dich , meine beste , meine goldene Liddy gerichtet hätte .
Nicht wahr , mein liebstes Kind , du wirst mir nie das Herzeleid machen , dein edles Herz so schändlich an Männer wegzuwerfen ?
Da hast du nun wieder eine neue Probe !
Ließ sich nicht der Deutsche so unvergleichlich an ?
Machte er nicht so gute Miene , daß man den Kopf auf ihn hätte verwetten können ?
Und nun ?
" Wie wäre es möglich gewesen , daß nicht diese und dergleichen Reden auf Liddys unerfahrenes und weiches Herz hätten Eindruck machen müssen !
Und so hatte sie eine Reihe sehr trüber und trauriger Tage , gerade zu einer Zeit , wenn den meisten anderen Mädchen der Himmel voll Geigen hängt , weil ein junger und reicher Freier ihnen auf jedem Tritte und Schritte etwas vorschmeichelt .
Allein nicht um ein Haar besser und vergnügter brachte Wilhelm seine Zeit zu !
Außerdem daß ihm Liddys minder freundliche Begegnung schwer auf dem Herzen lag , drückte ihn Livys gar zu große , nicht gesuchte und nicht erwartete Freundlichkeit und Vertraulichkeit vollends zu Boden .
Es ist , wie bei allen Dingen , so auch bei der Koketterie ein gewaltiger Unterschied .
Deutsche Koketten sind in regula Stümperinnen in der Kunst , und bloß junge Laffen und Schlecker lassen sich in sie verliebt machen .
Die französischen Koketten ( und darunter rechne ich auch eine Menge geborener deutscher Schönen ) verstehen das Ding schon ungleich besser , nur ihre Minauderie , ( das Wort ist unübersezlich ) wovon schwerlich eine ganz frei ist , will nicht jedem behagen .
Eine englische Kokette hingegen , vollends wenn sie eine verheiratete Frau ist , ist eine äußerst gefährliche und verführerische Kreatur !
Ein genaues Detail , worin eigentlich dieses Gefährliche und Verführerische sitzt , würde selbst schon gefährlich und verführerisch sein :
Also weg damit , und nur dies , daß Livy in sehr hohem Grade diese Eigenschaft besaß !
Dem armen Wilhelm blieb kein einziges Mittel übrig , als alle Segel anzuspannen , um nur nie allein mit ihr zu sein . zu dem Ende war er so viel möglich immer auf den Beinen , und bestellte alles in eigener Person , was sich sehr leicht durch andere hätte verrichten lassen , und dann suchte er , auf Promenaden z. E. , die Gesellschaft immer beisammen zu halten , wozu Liddy das Ihrige eben als beitrug , die eben so sorgfältig einem Tete a Tete mit Chandlern auswich , wie Wilhelm mit Livy .
Dem unerachtet belauerte ihn diese einmal , ehe er sich_es im Geringsten versah !
An einem Morgen sehr früh wurde eine Spazierfahrt und Reiterei nach einem 4 englische Meilen entfernten Dorfe vorgenommen , um dort im Wirtshause das Frühstück zu genießen : Liddy , die Bertrand und Chandler saßen zu Wagen , Livy und Wilhelm ritten .
Nun ging der Wagen zwar immer im scharfen Trabe fort , aber für Livy war das dennoch viel zu langsam .
Sie gab also ihrem Pferde den Sporn , und rief Wilhelm zu : Allons , Herr Ciciobeo , wer ist am ersten an Ort und Stelle ? Hin flog sie mit verhängtem zügel , und Wilhelm ihr nach , mehr um bei einem etwaigen Unglücke bei der Hand zu sein , als um der Aufforderung Willen .
Doch Livy saß zu gut zu Pferde , und der Weg war auch zu eben , als daß ein Sturz hätte geschehen können :
Das Unglück bestand also bloß darin , daß der Wagen um eine gute-Viertelstunde zurückblieb , und folglich ein Tete a Tete im Wirtshause unvermeidlich war .
Kaum waren sie beide abgestiegen , kaum hatten sie ihr zimmer betreten , so warf sich die reizend gekleidete Amazone in einer sehr nachlässigen Stellung hin auf ein Kanapee , schmiß Wilhelm ein seidenes Tuch hin , und sagte zu ihm :
Da , verwalten Sie Ihr Amt !
Wilhelm ergriff geschwind das Tuch , trocknete ihr ganz sanft und sauber den Schweiß von Stirn und Wangen , und blieb dann stehen , ihre weiteren Befehle zu vernehmen .
O Sie sind ein ganz allerliebster Cicisbeo , sagte sie :
Einen artigeren und flinkern werde ich nie wieder haben !
Kommen Sie her , setzen Sie sich zu mir !
Wilhelm tat es .
Jetzt wandte sich Livy ein wenig zur Seite , um Wilhelm mehr gegenüber zu haben , und schoß dann einen langen , anhaltenden und wie das Crescendo in der Musik immer mehr steigenden und schwellenden Blick nach ihm , den er Anfangs mit seinem gewöhnlichen heiteren Auge auffing , aber ihn bald so stark fand , daß er mit heftiger klopfendem Herzen und mit errötenden Wangen sein Auge niederschlug .
Diese Wirkung war für Livy eine neue Erscheinung !
Daß Wilhelm nicht ohne Gefühl war , das sah sie wohl , nur äußerte es sich nicht so , wie sie wünschte :
Denn auf diesen Blick mußte sonst jeder Liebhaber , der nicht von Stein war , ihr halb außer sich in die Arme sinken .
Nach einem kleinen Augenblicke nahm sie seine Hand , und drückte sie in eben dem Crescendo so sanft , so zärtlich , daß Wilhelm mit einem tiefen Seufzer sein Auge wieder erhob , aber es auch gleich wieder sinken ließ .
Nach diesem stummen Prolog mußte es notwendig zum Gespräch kommen , und so geschah !
Ist es möglich , hob Livy mit ganz leiser Stimme an :
So jung , so wohlgebildet , so lebhaft , so viel in der Welt gereist , und doch so blöde !
Mylady , versetzte Wilhelm in einem Tone , der durchaus nicht beleidigen konnte , ich verdiene weder Ihr Lob , noch Ihren Tadel .
Nicht Blödigkeit , bloß tiefes Gefühl dessen , was ich bin , heißt mich so und nicht anders handeln .
Wie könnt ich , wie dürft ich doch es wagen , mein Auge bis zu Ihnen zu erheben !
Livy . Weg , weg , weg mit dieser übertriebenen Bescheidenheit !
Hier ist gar nichts zu erheben und zu erniedrigen !
Kurz und gut , denn über die kleinen weiblichen Eitelkeiten und Ängstlichkeiten bin ich weit hinaus : Du bist ein schmucker Junge , und du gefällst mir !
Ein Vogelscheu bin ich hoffentlich auch nicht , wenn mein Spiegel recht hat !
Also laß uns die kurze Zeit , die wir hier beisammen sind , genießen !
Komme , kleiner Deutscher : Du weißt wohl noch nicht einmal , wie sich eine englische Lady küßt !
Aus welchem Stoffe hätte wohl Wilhelms Herz gemacht sein müssen , um einer solchen Sirene gänzlich zu widerstehen !
Genug , ohne daß er selbst wußte wie ? fand er sich in ihren Armen verflochten :
Und wer ihm aus dieser Umarmung ein Verbrechen machen , und sie nicht unter den simpeln menschlichen Schwachheiten passieren lassen will , der tue es meinetwegen immerhin ; nur lasse er sich ja nichts Ähnliches , viel minder etwas noch Ärgeres zu Schulden kommen .
Nun , kleiner Blöder , rief Livy drauf ; Hat_es sehr geschmerzt ?
Wilhelm .
Ich wollte , es hätte !
Und das recht sehr !
Livy .
Wie ?
Was ?
Kann ein Mensch irgend so was wünschen ?
Wilhelm. O wenn alle Freuden , die sich nicht mit Unschuld und Tugend vertragen , mit rechtem bitterem Schmerze verknüpft wären , um wie viel besser würde es in der Welt stehen !
Mit diesen Worten gab Wilhelm den Ton an , in dem er sich auch bis zur Nachkunft des Wagens standhaft zu erhalten wußte .
Diese war denn doch immer zu rasch , als daß Livy schon hätte verzweifeln sollen , mit einem so spröden und ernsthaften Geschöpfe doch noch am Ende fertig zu werden , oder doch wenigstens bei ihm auf den rechten Grund zu kommen ; denn daß es ihm mit seiner Tugend Ernst sei , das wollte ihr schlechterdings nicht in den Kopf .
Es hieß also hier bloß :
Die Fortsetzung künftig ; Übrigens war Livy bei der Erscheinung der anderen Gesellschaft völlig wieder in ihrer guten Laune , Wilhelm hingegen merkte man gar leicht ein wenig Verstörung an , welches die Neugier der Bertrand nicht wenig auf die Folter spannte ; Liddy hingegen flammte bei dem Anblick derselben vor Freude und Vergnügen :
Wie und warum ?
Das mögen die Kenner und Kennerinnen des menschlichen Herzens unter meinen Lesern erraten .
Den folgenden Morgen , als die Glocke kaum fünf geschlagen und die Herrschaften im Hause noch im tiefen Schlafe lagen , sieh da , schon wieder ein neues Tete a Tete !
Livy zwar schon heraus aus den Federn , war schon fix und fertig angezogen , und da sie sich den Umstand sehr bald bekannt gemacht , daß Wilhelm und die aufgehende Sonne einander im Sommer jeden Morgen begrüßten , so schickte sie jetzt auf sein zimmer und ließ ihn zu einer Promenade im Garten einladen .
Eine abschlägliche Antwort ließ sich ohne die höchste Impolitesse nicht denken :
Also Wilheim kam !
Nun ging denn der Kampf von neuem los , zwischen strengen und festen Grundsätzen der Tugend einerseits , und zwischen feinen Sophistereien , wie sie der böse Adam eingibt , auf der anderen .
Livy , ob sie sich gleich gestern erklärt , daß sie über die weiblichen Ängstlichkeiten weit hinaus sei , fand es denn doch für nötig , eine Avologie ihres Charakters zu führen .
" Liebster William , sagte sie , ich fürchte , du machst dir von mir eine ganz falsche Vorstellung !
Wenn das Glück gut ist , hältst du mich wohl gar für ein luderliches Weib , die ihrem Manne das Geweih aufsetzt ?
Aber sieh , hier hebe ich meine Finger auf und schwöre , an dieser Seite hat noch niemand gelegen als mein Mann .
Hierin habe ich so strenge Grundsätze , als irgend eine meines Geschlechts !
Aber auch auf der anderen Seite , was Bagatelle ist , das traktier ich auch als Bagatelle .
Schäkern und Küssen und Dahlen , was will denn das nun mehr sagen ?
Und daß du mir nicht etwan mit meinem Manne kommst , denn der ist mehr an meiner kleinen Ausgelassenheit Schuld , wie ich selbst .
Ich kann nicht nur vor seinen sichtigen Augen einen hübschen Jungen in den Arm nehmen , wenn ich sonst will , sondern wenn der hübsche Junge sein Freund ist , so muß ich es auf seine Order tun .
Das ist nun freilich kein italienischer Charakter , vielleicht auch kein deutscher , aber kurzum , es ist meines Mannes Charakter , der den meinigen nun auch so gebildet hat , wie ich jetzt bin etc .
" Dies zur Probe aus Livys Diskurs !
Wilhelm , der nichts von demjenigen wiederholen mochte , was er schon einmal gesagt , blieb vornehmlich dabei stehen : daß wenn er auch alles andere vergessen und bloß an die betaumelnde Wonne denken wollte , die in ihren Armen und auf ihren Lippen läge , so müßte eben diese ihn von dem Genuß abschrecken .
Er für seine Person sei zu keiner passageren , sondern lediglich zu einer dauernden Liebe fähig :
Mit einer so reizenden Dame ein Attachement des Herzens anzufangen , um es in wenig Tagen wieder zerreißen zu müssen und sie dann nie wieder zu sehen , das würde für ihn eine Marter von Jahren sein !
Ich übergehe das weitere Replizieren und Duplizieren und vermelde bloß das Ende vom Liede , welches darauf hinaus lief , daß - noch an kein Ende zu denken war , sondern daß - vielmehr Livy Wilhelm auf morgen um eben die Zeit auf das nämliche Rendezvous bestellte .
In dieser peinlichen Lage wußte sich der arme Schelm nicht besser zu helfen , als daß er Betty ankriegte und sie himmelhoch bat , sie möchte doch Liddy , die Bertrand und Chandlern dahin bewegen , daß sie sich morgen früh um fünf ebenfalls im Garten einstellten .
Betty , die für Wilhelm durchs Feuer gelaufen wäre , versprach es nicht nur , sondern wirkte es auch glücklich , obwohl mit vieler Mühe und durch saures Betteln , aus .
Mit dem Glockenschlage war die Gesellschaft parat und der Zug ging in Begleitung des Thees und Frühstücks nach dem Garten :
Aber wer ausblieb , das war Livy !
Man schickte auf ihr Schlafzimmer , und sie lag noch und schlief !
Man weckte sie , und sie gab zur Antwort , sie hätte noch nicht ausgeschlafen , wäre noch müde von gestern und man könnte nicht alle Tage so früh aufstehen !
Dabei hatte es denn sein Bewenden und man rechnete nun nicht weiter auf sie :
Aber kaum war eine Stunde vorbei , sieh da , kam sie ganz leicht und munter dachergeschlendert , hatte nicht nur vollkommen ausgeschlafen , sondern sah sogar viel schelmischer und leichtfertiger aus wie gewöhnlich .
Nachdem sie ein paar Tassen Tee getrunken , spazierte sie im Garten auf und ab und blieb wie von ungefähr vor einem Baume stehen .
Ach , sagte sie , wer doch ein Federmesser hier hätte , ich möchte gern einen Namen in diesen Baum einschneiden .
Was war natürlicher , als daß Wilhelm mehr flog als lief , um sein eigenes Federmesser vom zimmer zu holen !
Aber wie groß war sein Erstaunen , wie stumm und sprachlos und blaß stand er da , als er um eben dieses Federmesser , das ganz richtig an Ort und Stelle lag , einen mit Bleistift geschriebenen zettel gewickelt Sand , der also und folgendermaßen lautete : " Ha , ha , Herr Patron ! sind wir nun auf den eigentlichen Grund Ihres Herzens gekommen ?
Haben wir_es nun erwischt , wo Ihnen Ihre ganz unglaubliche Keuschheit und Sittsamkeit eigentlich herkommt ?
Ich Närrin , daß ich das nicht gleich erriet :
Es ist ja eine ewige Regel , daß die jüngern Schwestern die älteren ausstechen müssen !
Und vollends eine Liddy , gegen die mich die weise Bertrand von Kindesbeinen an immer verachtet und gering geschätzt hat !
Nun , nun , ich bin weder neidisch noch böse , und hier , mein lieber Freund , soll es Ihnen gleich zu Statten kommen , daß ich Bagatelle als Bagatelle traktiere .
Aber das , was ich nicht so ganz für Bagatelle halte , wollt ich Ihnen hiermit nur ganz freundschaftlich zu vernehmen geben :
Von Tugend sprechen , heilig versichern , daß man dies und das aus Tugend tue oder unterlasse , und doch mit all der Tugend im Grunde nichts mehr und nichts weniger meinen , als eine Schürze , das heiß ich in meiner Sprache der Tugend spotten ! und NB . zugleich ein ehrliches Weib , die kein Arges hat , bei der Nase herumführen !
Denn , Herr , hätten Sie mir das gleich aufs erste Wort aufrichtig gesagt , ich bin in Liddys Fesseln , ich darf nicht , sie ist eifersüchtig , Gott behüte , wie würde mir_es ergehen , wenn sie etwas erführe ?
Gut , dann wäre ich immer wenigstens hundert Schritt von Ihnen geblieben !
Aber so - nun es mag darum sein ; ich lasse in einem Augenblicke über so was Gras wachsen !
Marsch , fort , bringen Sie das Federmesser , ich will auch dafür Ihren und Liddys Namen in den Baum einschneiden .
Es gibt Leute , die ein dergleichen Billet , verdient oder unverdient , mit ziemlich kaltem Blute lesen würden :
Aber Wilhelm gehörte nicht unter diese Zahl !
Stadt aller Beweise einen : Obgleich das letzte Wort des Billetts das Federmesser war , so ging er doch wieder herunter zur Gesellschaft , ohne das Federmesser mitzubringen .
Dies , und noch mehr die Bestürzung , die ihm auf dem Gesichte saß , die Mühe , die er sich gab , sie zu verbergen , die Zerstreuungen , in die er fiel , der ängstliche und recht bange Anteil , den Livy nahm , ( denn jetzt gereute sie ihr Billet höchlich , da es eine weit stärkere Wirkung getan hatte , als sie nach ihrem Leichtsinn vorausgesetzt ) das alles erregte in der Gesellschaft große Augen ; Auch konnte es Wilhelm keine Viertelstunde in der Lage aushalten , sondern schlich sich ganz sachte auf sein zimmer und ließ sagen , ihm sei nicht wohl !
Aber bei verschlossenen Türen überlegte er jetzt , was ben so gestallten Sachen zu tun wäre !
Sich gegen Livy auf Rechtfertigungen , Zurechtweisungen einzulassen , dazu war er einmal zu aufgebracht , und dann würde schwerlich alles zurechtweisen was geholfen und Livy doch bei ihrem einmal gefaßten Vorurteile geblieben sein .
Nach einigem Hin- und Hersinnen geriet er denn auf ein Expediens , das kühn und rasch , aber seiner Meinung nach entscheidend sein mußte !
Er nahm von Livys Billet eine Kopie , um ein immerwährendes Andenken davon zu haben , packte dann das Original in ein Kuvert , ohne eine einzige Zeile Antwort beizulegen , und schickte es Livy mit einem tiefen Komplimente durch ihren Bedienten zurück .
Das hieß dem Fasse den Boden ausschlagen .
Livy , die leichtsinnige Livy , wurde bei Erbrechung und Erblickung ihres eigenen Billetts bald blaß , bald rot , bald rot , bald wieder blaß , und als Wilhelm nun gar mir nichts dir nichts wieder bei der Gesellschaft erschien , hätte ihr vollends das Herz zerspringen mögen !
Jetzt war er mit einemmal seines Cicisbeats quitt ; Livy wandte ihre Augen gänzlich von ihm ab und zog Chandlern bei Seite .
Es zeigte sich bald , daß sie in aller Kürze sehr wichtige Dinge abgehandelt haben mußten , denn auf einmal wurde von morgender Abreise gesprochen und von eingelaufenen Briefen , die dieselbe veranlaßten ; Und dann veränderte auch Chandler seinen Ton gänzlich gegen Liddy , und noch mehr gegen Wilhelm .
Diesen sah er jetzt mit solchen Augen an , als wollt er ihn fressen , und gegen jene machte er die Miene , die vermutlich auch der Fuchs in der Fabel machte , als er die Trauben , die er nicht erreichen konnte , verschmähte .
Kurz , die ganze Gesellschaft war nun völlig verstimmt und es war die höchste Zeit , daß sie sich trennte !
Aber ehe es dazu kam , gerieten erst Chandler und Wilhelm noch so heftig an einander , daß der Auftritt auf eine oder die andere Art hätte tragisch ablaufen können , wenn Chandler entweder mehr , oder Wilhelm weniger Courage gehabt hätte .
Es geschah nicht auf Livys Antrieb , daß Chandler anfing , Wilhelm zu höhnen !
Diese hatte ihm nichts weiter gesagt , als : Herr , packt auf , eure Mühe bei Liddy ist umsonst , ein anderer ist schon Hahn im Korbe !
Es war lediglich sein eigen Werk , nach der gewöhnlichen Weise verschmähter Liebhaber , die immer die Ursache außer sich , und nicht in sich suchen .
Nun divertierten anfangs Wilhelm diese drohenden und furchtbar sein sollenden Gesichter :
Aber kaum steckte ihm Betty heimlich , daß Chandler hinter seinem Rücken sehr harte und plumpe Reden und Schimpfworte gegen ihn ausstoße , ha da schwoll ihm die Ader , die quer die Stirn herabläuft , bis zum zerspringen .
Im Augenblick ließ er Chandlern sagen , er möchte sich doch auf ein paar Minuten herunter in den Garten bemühen , es wollte ihn jemand auf ein paar Worte sprechen .
Chandler kam , und zwar mit dem Degen an der Seite :
Wilhelm hingegen hatte keinen .
Aber mit einem furchtbareren Aer , als wäre er vom Kopf bis auf die Füße bewaffnet , trat er Chandlern unter die Augen . -
Herr , fuhr er ihn an , über die Blicke , die sie mir seit heute früh zugeworfen haben , habe ich gelacht : Allein ich höre , daß Sie sich unterstehen , durch niederträchtige Reden meine Ehre hinter meinem Rücken anzugreifen .
Hier , mein Herr , fordere ich Sie heraus , wiederholen Sie mir ins Angesicht , was Sie von mir zu sagen wissen und ich werde Ihnen meine Antwort geben !
Chandler , obwohl ein wenig , aber doch nicht ganz verblüfft , drückte seinen Hut in die Augen und zog den Degen halb aus der Scheide :
Hier , sagte er , ist meine Antwort , an der Spitze meines Degens !
Gehen Sie herauf und holen den Ihrigen !
O , versetzte Wilhelm , es braucht dieser Weitläufigkeit gar nicht , der erste beste Stock tut bei mir dieselben Dienste , ( und damit lief er hastig ins Gartenhaus wo er wußte , daß er seinen Stock hatte stehen lassen ) hier , sagte er , ist mein Degen ; Den rechten , den ich oben habe , will ich für Sie aufheben , damit , wenn ich Sie desarmiert und ihren Degen in Stücken zertreten habe , Sie doch unterwegs etwas anzustecken haben !
Nun wußte Chandler beinahe nicht mehr , ob er mit einem Menschen oder mit dem leibhaftigen Gottseibeiuns zu tun hätte !
Für bloße Rodomontade konnte er es unmöglich halten :
Denn wie würde ein Mensch , der seiner Sache nicht gewiß wäre , sich so exponieren !
Auch war es keineswegs Rodomontade , sondern Wilhelm hatte in Italien wirklich von einem Piemonteser das Kunststück gelernt , jeden mittelmäßigen Fechter mit dem ersten besten Stück Holz , wenn es nur nicht unter den Händen brach , zu entwaffnen :
Und so war es freilich am besten , daß Chandler seinen halb herausgezogenen Degen nur immer wieder heimschickte .
Um nun nicht ganz als feige Memme dazustehn , sagte er , er hätte sich besonnen , daß hier in dem Hause eines Fremden kein schicklicher Ort sei , sich zu schlagen ; er wollte es also aufschieben , bis auf Wiedersehen .
Wilhelm erwiderte ihm , daß er sich nur auch hübsch hätte besinnen sollen , daß in dem Hause eines Fremden ebenfalls kein schicklicher Ort sei , Leute zu brüskieren , die das Glück haben , bei dem Herrn vom Hause und bei seiner Familie in Gunst zu stehen ; Übrigens stünde er zu aller Zeit zu Dienste , ihm zu einem neuen Degen zu verhelfen .
So endigte sich dieser Auftritt , sehr kurz und nervös !
Ungleich langsamer endigte sich der noch übrige Teil des Tages und die Nacht wurde mit manchem schweren Seufzer herbeigerufen .
Sie kam denn endlich von selbst , so wie auch der Morgen des Abschieds !
Wie herzrührend er gewesen sein mag , überlaße ich dem geneigten Leser zu denken .
Betty , sobald sie den Wagen eine Ecke fortgerollt sah , schlug ihm das Kreuz nach und rief mit einer komisch- andächtigen Miene aus : Erlös uns von dem Übel !
Liddy atmete nun auch wieder leicht und ihre alte Heiterkeit kehrte zurück :
Nur die Bertrand laborierte noch an schwerem Kopfzerbrechen , gleich als wollte sie Hieroglyphen enträtseln !
Im Ganzen ließ sie wohl endlich Wilhelm Gerechtigkeit widerfahren , daß er den Versuchungen der Livy glücklich und tapfer widerstanden :
Aber aller Anstrengung unerachtet konnte sie das Wie ? der Sache nicht zusammenbuchstabieren .
Vergebens klopfte Betty deshalb bei Wilhelm auf der Strauch : Der war stumm wie ein Fisch und gab nicht einen Laut von sich !
In dieser Not der Neugier mußte sie das Werk selbst angreifen , sie lud also Wilhelm zu sich auf ihr zimmer , und mit mehr Vertraulichkeit , als er je von ihr gewohnt war , sagte sie zu ihm :
Nun , und Sie haben sich zu guter letzt mit Livy so sehr zürnt , und mit Chandlern wäre es , wie ich gehört habe , bald gar zum Schlagen gekommen ?
Ums Himmels Willen , wie ist das zugegangen ? will .
Madame , ich habe die glückliche Gabe , daß ich Auftritte , die mir unangenehm sind , sehr bald vergessen kann .
Diese sind bereits glücklich ins Meer der Vergessenheit hinabgesenkt .
Bertr. O das nenne ich eine sehr unglückliche Gabe !
Verlangen Sie denn , daß sich unser eine vor Neugier zu Tode quälen soll ?
will .
Ich würde Sie zu beleidigen glauben , Madame , wenn ich Ihnen eine solche Schwachheit zutraute .
Bertr .
Nein , nein , ich habe diese Schwachheit , und ich denke , es könnte sie selbst ein Mann haben , wenn er gesehen hätte , wie dick Sie anfangs mit Livy daran waren , und nun mit einemmal Flamme über und über !
will .
Der erste Ausdruck ist etwas stark !
Livy ist Liddys Schwester , und Liddys Vater , für den ich unendliche Hochachtung hege , trug mir auf , ihr Cicisbeo zu sein :
Genug für mich , mich in meinem Amte nicht säumig finden zu lassen .
Bertr. O Sie hätten auch wohl hinzusetzen können , daß Livy , auch ohne diese Verwandtschaften , eine sehr reizende Dame ist .
Wilh. Allerdings !
Nur gar zu reizend !
Bertr .
Ja ?
Wirklich ?
Aber nun , um desto größer ist das Rätsel !
Wilh. ( mit Achsetzucken ) Das tut mir leid !
Bertr .
O Sie sind ein garstiger zurückhaltender Mensch !
Wodurch habe ich Ihnen Veranlassung gegeben , gegen mich so misstrauisch zu sein ! will .
Madame , man kann sehr gute Gründe haben , gewisse Dinge zu verschweigen , die gerade nicht auf Misstrauen hinaus laufen .
Aber gesetzt einmal , ich wäre misstrauisch , und insbesondere gegen Sie , die Hand aufs Herz !
Täte ich wohl damit etwas mehr , als was Sie gegen mich und gegen mein ganzes Geschlecht tun ?
Bertr .
Das war hart !
Willy .
Mag wohl sein !
Wahrheit ist manchmal hart !
Aber erlauben Sie mir , in einem etwas weicheren Tone hinzuzusetzen , daß ich deshalb doch nie in meinem Herzen mit Ihnen gezürnt habe .
Sie mögen vielleicht irgend einmal eine sehr schwere und traurige Erfahrung mit einem von unserem Geschlecht gemacht haben !
( Das hieß im Finsteren den Nagel auf den Kopf treffen , auch stieg eine glühende Röte in der Bertrand Gesicht !
) Daher denn Ihr Misstrauen .
Wohl , kein Wort dagegen , aber , Madame , wenn ich gegen Ihre Grundsätze tolerant bin , so haben Sie auch die Güte , es gegen die meinigen zu sein .
Genug , was zwischen Livy und mir vorgefallen , das bleibt ewig bei mir vergraben .
Nur eine einzige Person lebt auf der Welt , der ich es entdecken könnte :
Aber eben diese ist mir auch zu teuer , als daß ich nur einen einzigen kränkenden Gedanken bei ihr veranlassen könnte .
Hiermit empfehle ich mich Ihnen , Madame , und wünsche Ihnen von ganzem Herzen meine Gabe der Vergessenheit .
Dies Gespräch bewirkte in dem Kopfe der Madame Bertrand eine gewaltige Revolution !
Sie fing an vor Wilhelm sich ganz ins Kleine zusammen zu ziehen , und von der Zeit an lauteten auch ihre Gespräche mit Liddy ganz anders .
Gleichwohl blieb noch alles beim Alten !
Der Baronet und Wilhelm trieben jeden Tag richtig ihre Politik und Statistik ; Liddy und Wilhelm begegneten sich mit der äußersten und delikatesten Achtung , und , wenn man will : Freundschaft :
Aber auch nicht eine einzige Silbe mehr , als dies !
Unterdessen ereignete sich ein neues Intermezzo .
Wilhelm erschien mit einemmal in Trauer , und nicht bloß die Farbe seines Kleides war schwarz , sondern seine Seele war auch wirklich betrübt .
Man fragte ihn , wen er denn von seiner Familie verloren hätte ?
Er antwortete , eine sehr nahe Anverwandte in Deutschland , die er sehr geschätzt und geliebt hätte .
Er empfing darüber sehr warme Kondolenzen , und ohne einen kleinen Umstand wäre gewiß das ganze Haus auf immer in dem zwar falschen , aber auch ganz unschädlichen Wahne einer in Deutschland verstorbenen Freundin geblieben .
Aber von ungefähr mußte es sich fügen , daß Wilhelm mit Liddy ein italienisches Buch las , in dem der Name der berühmten Olympia Fulvia Morata vorkam .
Mehr brauchte es nicht , als den Namen O'ympia , um ihm die hellen Tränen in die Augen zu jagen !
Liddy merkte es , und fragte ihn , ob etwa seine verstorbene Freundin so geheißen habe ?
Wilhelm bejahte es !
Ein schöner Name , fuhr Liddy drauf fort !
Nur dünkt mich , müßt er in Deutschland sehr selten sein !
Wilhelm. O meine Freundin war auch keine Deutsche , sie war eine Italienerin .
Liddy .
Wie ?
Eine Italienerin ?
Sie sagten doch - Wilhelm .
Was ich jetzt gegen Sie wiederrufe !
Ich bitte Sie , würde man mich nicht für einen Toren halten , wenn ich öffentlich sagte , daß ich um eine Nonne in Italien trauerte ?
Und doch ist es so , und ich weiß , Sie , sanfteste Liddy , würden mit mir trauern , wenn Sie meine nun ganz himmlische Olympia Antonelli kennen sollten .
Liddy. O lehren Sie mich sie kennen , schon umarm ich sie im Geiste !
Wilhelm .
Und ich mit Ihnen :
Denn körperlich haben wir uns nie umarmen können !
Ich bringe Ihnen sogleich ihre Briefe ; nur bitte ich Sie , sehen Sie bloß auf ihren Geist und auf ihr Herz , nicht auf das , was sie von mir sagt , oder rechnen Sie wenigstens darauf , daß jede wahre und warme Freundschaft immer etwas von Abgötterei mit sich führt .
Nun ging es also an ein Lesen ; zuerst der letzte rührende Abschiedsbrief , den Olympia kurz vor ihrem Tode schrieb , und der nach ihrem Tode durch das Wagnersche Haus nach England überschickt wurde .
Dann ging Wilhelm bis auf den ersten Ursprung seiner Bekanntschaft zurück , und erzählte , was der geneigte Leser bereits weiß .
Die Bertrand , ob sie gleich seit so langer Zeit ziemlich wieder verlernt hatte , was Liebe sei , nahm dennoch ganz außerordentlichen Anteil an Olympiern , und tat nun so gar öffentlich das Geständnis :
Daß es doch noch unter dem männlichen Geschlecht Tugend gäbe !
Liddy hingegen , wenn sie manchmal bei stiller Mitternacht auf ihrem Lager des süßen Schlafs harrte , dachte bei sich selbst :
So warm , so feurig , so hinreissend schrieb er an Olympiern !
Und mir hat er noch nie ein stummes Wort von Liebe gesagt ?
Sollt er gar nichts für mich fühlen , er , der so voll von Gefühl ist ?
Wie unglücklich würde ich dann sein , die ich nur ihn , nur ihn , oder keinen zu wünschen habe !
Unter allen diesen Geschichten , groß und klein , vergnügt und traurig , war ein volles halbes Jahr verstrichen , ohne daß eine von den vier Personen den Verfließen der Zeit bemerkt hätte .
An Trennung wurde gar nicht gedacht , oder wenn ja Wilhelm und Liddy einmal dran dachten , so geschah es nur mit Schrecken .
Gleichwohl näherte sich jetzt eine Trennung , und zwar von einer Seite her , wo sie am wenigsten zu vermuten stand !
Der Baronet erhielt eines Tages einen Brief vom Könige , der mit folgender Nachschrift begleitet war :
Ich brauche sehr nötig ein tüchtiges Subjekt zu einer geheimen Expedition in Frankreich .
Ein solcher müßte vor allen Dingen den Kopf auf dem rechten Fleck haben , treu und ehrlich , verschwiegen , klug , einschmeichelnd , tätig sein , doch Sie verstehen mich schon !
Können Sie mir vielleicht damit aushelfen ?
Sie haben mich einmal so gut versorgt , daß Sie sich_es selbst zuzuschreiben haben , wenn ich des Weges wiederkomme .
Wenn das Hüpfen und Springen beim Podagra nicht so seine eigenen Unbequemlichkeiten hätte , so würde ohne zweifel der Baronet über dieses Postscript einen eben so stattlichen Freuden- und Ehrensprung getan haben , wie Sieur Asmus geliebten Andenkens jedesmal zu tun pflegte , wenn ihm ein frisches Kind geboren wurde .
Ein größeres und innigeres Vergnügen kannte er gar nicht , als seinem Vaterlande , und dem Vater desselben , dem Könige , irgend einen großen oder kleinen Dienst zu leisten , und diesmal glaubte er dies Vergnügen schon so gut als in der Tasche zu haben ?
Wilhelm , Wilhelm und kein anderer war es , den er im ersten Augenblicke zu dieser geheimen Expedition nach Frankreich bestimmte .
Nicht nur war er fest überzeugt , daß Wilhelm in aller Absicht diesem Geschäfte gewachsen sei , wenn es auch noch so intrikat wäre , sondern er rechnete füglich darauf , daß dies das Mittel sein würde , Wilhelm in England fest zu halten , und ihm auf eine oder die andere Art ein honorables Etablissement zu verschaffen .
Sonach schritt er ungesäumt zur Sache , und tat seinen Vorschlag mit solcher Wärme und Teilnehmung , hob Wilhelms zweifel und Bedenklichkeiten und Besorgnisse so gründlich und überzeugend , daß dieser schon auf die erste Konferenz zu wanken anfing , und sich bloß 24 Stunden Bedenkzeit ausbat . zu jeder anderen Zeit würde er sich vielleicht auf der Stelle entschlossen haben !
Die Ehre , einem Könige zu dienen , für den ihm der Baronet nach und nach unendlich viel Hochachtung und Liebe eingeflößt hatte , war schon ein nicht geringer Bewegungsgrund .
Das Vergnügen , Frankreich zu sehen , hatte nicht minder sein Anziehendes !
Und dann war auf der einen Seite viel zu gewinnen , und auf der anderen wenig oder nichts zu verlieren :
Denn gesetzt auch , Wilhelm hätte den Endzweck nicht erreichen können , weswegen man ihn nach Frankreich geschickt , so lag die Schuld gewiß weder am Mangel von Kopf , noch am Mangel von Tätigkeit , und er war dann weder mehr noch weniger strafbar , als jeder andere Ambassadeur .
Envoyé oder Negoziant , dem sein Auftrag fehlschlägt !
Allein alle diese Magnete verloren jetzt ihre Kraft gegen einen viel stärkeren , der Wilhelms Herz an sich zog .
Liddy , Liddy war es , in der sich jetzt alle seine Neigungen und Empfindungen konzentrierten !
Lange genug hatte dies Feuer unter der Asche um endlich einmal in volle Flammen auszubrechen .
Lange genug hatte allen Beiden das Wort auf der Zunge geschwebt , um sich wechselseitig ihre Liebe zu entdecken , und immer war es durch edlen Stolz auf der einen und durch Scham auf der anderen erstickt worden :
Allein jetzt oder nie mußt es zur Sprache kommen !
Wilhelm ganz voll von Gedanken und Empfindungen , suchte sich am Abende der ausbedungenen 24 Stunden die einsamste Laube des Gartens aus , um dort beiden ungestört nachzuhängen .
Liddy , die von nichts wußte , aber einen gleich schweren Stein auf dem Herzen hatte , hoffte ebenfalls im Garten leichter Luft zu schöpfen .
Da führte sie die mitleidige , holde Liebe einander entgegen ; Tränen zitterten in Beider Augen ; Bebend ergriff Wilhelm Liddys Hand , und zog sie sanft neben sich auf eine Rasenbank .
Beste , teuerste Liddy , sagte er - haben Sie Mitleid mit mir !
Ausser dem Schmerze des Abschieds , fühlt mein Herz einen noch weit größeren !
Ich sehe es vorher , ich werde Sie beleidigen - und doch - Liddy .
Sie mich beleidigen ?
Nein , das können Sie nie !
Wilhelm .
Ach wenn Sie wüßten ! -
Es ist zu viel , zu groß -
Liddy ! -
Theuerste Liddy ! -
Lieben Sie mich ? -
Könnte diese unschuldige , reine , englische Hand je die meinige werden ?
Liddy .
( mit einem tiefen Seufzer , mit einem herzinniglichen Blicke , dem bald ein Strom von Tränen nachfolgte )
Die Ihrige - oder keines anderen !
Es war gesagt , und jene unsichtbaren Geister , die um uns schweben , sich unserer guten Handlungen freuen , und sich über unsere bösen betrüben , zerflossen in teilnehmendem Entzücken :
Denn nie hatten sie eine keuschere und feurigere Umarmung gesehen , als die zwischen Liddy und Wilhelm .
Gottlob , Gottlob , rief dieser endlich , nachdem er sich von dem Übermasse seiner Empfindung erholt :
Ich bin der Glücklichste unter den Sterblichen !
Liddy ist mein !
Ha nun fliege ich zu meiner Reise nach Frankreich , spanne alle Kräfte meiner Seele an , um mir die Gnade des Königs zu erwerben , und gelingt es mir , dann kehre ich zurück , und wir umarmen gemeinschaftlich die Knie des besten Vaters - Das Übrige bis zur Abreise ergibt sich nun schon von selbst !
Wilhelm erklärte dem Baronet seine Bereitschaft :
Dieser voller Freude schrieb gleich Briefe nach London , und gab zugleich Ordre , seinen Jagdwagen zu schmieren , um Wilhelm bis auf die erste Post zu bringen .
Wilhelm packte über Hals über Kopf ein , um noch einige Augenblicke für seine Liddy zu gewinnen ; Sie schworen sich von neuem ewige und unverletzliche Treue , versprachen sich die fleißigste Korrespondenz ; und trösteten sich , daß der Himmel sie bald , bald wieder zusammenbringen würde ! Hin flog der Wagen , und Betty , die vormals bei Livys und Chandlers Abfahrt so ein böses Maul gehabt hatte , war jetzt aufs äußerste betrübt , und heulte und schluchzte , trotz Rosen in der Jagd .
Wilhelm , seiner Freunde nie vergessend , trat in London bei seinem alten Wirte König ab , der sich seiner herzlich erfreute , aber vergebens die Ursache seiner Anherokunft zu erfahren versuchte .
Sodann eilte er zum Lord Nord , an den er vom Baronet einen Brief hatte , und von welchem er überhaupt die nähere und ganz umständliche Instruktion bekommen sollte .
Fast muß ich befürchten , daß manche meiner politischen Leser sehr mitleidig die Achseln zucken werden , Wilhelm in so schlechte als des Lord Nords Hände fallen zu sehen : Wenigstens habe ich schon so viele meiner Landsleute in einem so heftigen Tone des Unwillens und Abscheu's gegen ihn losziehen hören , als hätte er ihnen selbst ihre Freiheit , und was ihnen sonst das Liebste ist , geraubt !
Allein das ist bloß gutherzige Schwäche , die sich durch das gefährliche , und in allen deutschen Zeitungen wiederhallende Geschrei der Oppositionspartei verführen läßt , und wann hätte die wohl je die reine Wahrheit getroffen oder treffen wollen ?
Genug , Lord Nord ist keineswegs dieser auf den Untergang der Englischen Freiheit stets dichtende und trachtende Tyrann , sondern ein richtiger , gescheuter und höchst arbeitsamer Minister , der leicht einmal falsche Maßregeln ergriffen haben kann , ohne darum gleich , wie die Opponenten Schreien , auf den Block zu gehören !
Es kann eine Zeit kommen , wo der jetzt so sehr gelästerte und bepasquillirte Nord bis in den Himmel erhoben werden wird , wenn die ungehorsame und widerspenstige Tochter Amerika freiwillig oder gezwungen zu den Füßen ihrer Mutter zurückkehren , und die Aufhetzer und Ernährer ihres Trotzes den verdienten Lohn empfangen werden !
Doch zur Sache !
Gleich auf den ersten Blick faßte der Lord für Wilhelm gutes zutrauen , und auf die Versicherung des Baronets , der für seine Verschwiegenheit und Ehrlichkeit seinen Kopf zu Pfande setzte , rückte er sofort schriftlich und mündlich mit seinen Geheimnissen an den Tag .
Wilhelm nahm alle Aufmerksamkeit zusammen , fand , daß es mit seinem Auftrage zwar kein Spielwerk sei , aber daß er sich dennoch , ein wenig aufs Glück gerechnet , ausführen lasse !
Wohlan dann , sagte er , in Gottes Namen mache ich mich ans Werk :
Aber vorher noch eine kleine Bedingung !
Ich möchte gern so viel Bewegungsgründe als möglich haben , meinen Auftrag gut auszurichten , und es würde für mich ein sehr großer sein , wenn Eure Herrlichkeit mir im Namen Ihre Majestät des Königs eine förmliche Bestallung , als Deren Diener ausfertigten !
Nennen Sie mich Schreiber , oder Kopist , wie Sie wollen , gleich viel :
Wenn ich nur Diener des Königs bin !
Denn dadurch wird es mir zur Gewissenspflicht , den Feinden Ihre Majestät so großen Abbruch als möglich zu tun , und ihre schädlichen Absichten aus allen Kräften zu hintertreiben !
Sogleich nach meiner Zurückkunft hört diese Bestallung auf , und es erfolgt eine neue , oder keine !
Der Lord fand dies sehr vernünftig gesprochen , und in wenig Stunden überreichte er Wilhelm eine Bestallung , als königlicher Sekretär für die deutsche Korrespondenz . zugleich gab er ihm in Wechseln und Banknoten eine nicht geringere Summe als 2000 Pf. Sterl . und ermahnte ihn , ja das Geld nicht zu schonen , und ohne Umstände mehr zu fordern , wenn er damit nur zum Zweck käme !
Wir eilen nun mit drei Sprüngen von London bis Dover , von Dover nach Caläs , und von Caläs nach Paris , woselbst unser Wilhelm in der Mitte des Dezembers 1775 mit dem besten und treusten Bedienten des Baronets , den dieser ihm auf die Reise mitgegeben , glücklich und wohlbehalten im Hotel de Rome ankam .
Kaum waren 48 Stunden um , so hatte sich Wilhelm vom Kopf bis auf die Füße so ganz und gar Metamorphoflett , daß selbst Liddy ihn zuverlässig auf den ersten Blick nicht gekannt haben sollte .
Der Deutsche und Engländer waren völlig ausgezogen , und dagegen der Franzos angezogen !
An die Stelle der ehemaligen Simplizität im Essen , Trinken , Kleidung , Wohnung etc . trat jetzt großer Luxus , und es ging , wie beim reichen Manne im Evangelio , herrlich und in Freuden .
Ein Bedienter war sonst für Wilhelm viel zu viel gewesen :
Jetzt schaffte er sich außer dem mitgebrachten Englischen noch zwei an , einen Franzosen und einen Italiener , die er so modisch und reich ausstaffieren ließ , daß kein Pair du Royaume sich ihrer hätte schämen dürfen .
Das Fußgehen wurde nun auch dem Pöbel überlassen :
Dagegen rollte Wilhelm stolz in einer eigenen kostbaren Equipage Strass auf Strass ab , fuhr fleißig in Opern , Komödien , Konzerts , auf Bälle , Assambleen , Supes sens , kurz überall hin , wo man ihn sonst mit keinen 8 Pferden hingezogen hätte !
Sich für etwas mehr auszugeben , als er wirklich war , hielt er sonst für einen Greuel :
Jetzt schuf er sich ohne Scham und Erröten zu einem italienischen Kavalier , nennte sich Signor Fiaravalle , seinen Vater , den weiland versoffenen Kantor machte er zum korsischen Offizier , der Anno 69 im Kriege gegen den Grafen de Vaux geblieben ; Seit der Zeit habe er durch eine Erbschaft von einer reichen Tante sein Glück gemacht , befinde sich jetzt auf Reisen , werde sich aber wohl in Frankreich niederlassen , das er jetzt nach der Eroberung von Korsika als sein Vaterland betrachte .
Wahrlich es sollte mich herzlich zu lachen machen , wenn einer von meinen Lesern durch diese Schilderung auf den Gedanken verleitet würde , als ob Wilhelm nun mit einemmal den Eingebungen des Satans Gehör gebe , und aus einem ehrlichen Jungen , der er bis jetzt immer war , zum Schelmen und Spitzbuben zwerde :
Denn das würde voraus setzen , daß ich die Kunst der Täuschung doch ein wenig in meiner Gewalt haben müsse !
Allein ich werde diesen Triumph wohl nicht genießen , und meine Leser werden gewiß sogleich erraten , daß diese ganze Metamorphose bloß Maske ist , die auf eine oder die andere Art in den Tanz der geheimen Expedition gehört !
" Und worin besteht denn nun diese geheime Expedition ?
" Ja , das ist eine küzliche Frage !
Geheimnisse muß man heilig halten , am allermeisten Geheimnisse des Staats !
Manche unserer deutschen Staaten würden denjenigen zeitlebens einkerkern , der sich unterfangen wollte , die Volksmenge , oder die Anzahl der Feuerstäte , oder den Betrag des Handels und Gewerbes , oder den Belauf der Staatseinkünfte und Ausgaben zu verraten !
Nun habe ich nicht bloß , nach dem allgemeinen Schlendrian , meinen Hals und meine Freiheit lieb , sondern ich habe auch überdem Weib und Kind .
Soll ich diese und mich zugleich in Gefahr setzen ?
Doch eben fällt mir_es ein , daß diese Geschichte , aller ihrer Zuverlässigkeit unerachtet , dennoch von dem ungläubigen deutschen Publikum für einen Roman gescholten werden wird , und daß folglich auch diese geheime Expedition in die Reihe der Fiktionen kommen wird .
Also immerhin , dann ziehe ich den Vorhang auf , mag meinetwegen daraus werden , was will !
Ein Jahr vorher , den 10ten Mai , war bekanntlich das seufzende und unglückliche Frankreich von seinem vielgeliebten Ludewig und zu gleicher Zeit auch von der noch vielgeliebteren Madame du Barry erlöst worden .
Wie bei einem Friedensfeste , wenn Mars sein blutiges Schwert in die Scheide steckt und Konkordiens erheitertes Antlitz wieder lächelt , so jauchzte jetzt alles Volk bei Ludewigs des sechzehnten Thronbesteigung !
Auch zeigte dieser gar bald , daß es ihm ein Ernst sei , die tiefen Wunden , welche die vorige Regierung geschlagen hatte , zu heilen .
Das Scheusal Terray wurde gestürzt , und an seine Stelle kam Turgot , der dem äußerst zerrütteten Finanzetat neue Kraft und Leben einzublasen suchte .
Auf der anderen Seite stand der edle und brave St. Germain an der Spitze der Armee und hatte kein geringeres Projekt , als die Truppenanzahl noch einmal so stark zu machen , ohne daß es dem König einen Heller mehr kosten sollte .
Notwendig mußte dadurch Englands Eifersucht , zumal bei der jetzigen amerikanischen Krisis , rege werden !
Diese Eifersucht stieg noch höher , als man merkte , daß Frankreich unter der Hand das amerikanische Feuer nur noch heftiger anzublasen suchte , und auch selbst in England mit der Oppositionspartei unter einer Decke läge !
Wilhelms Instruktion ging also vornehmlich dahin , dies Geheimnis der Finsternis wo möglich ans Licht zu ziehen , damit man ihm von Englischer Seite auf das nachdrücklichste entgegen arbeiten könnte . zugleich sollte er die gesamte Stärke und Schwäche des Staats , die Gesinnungen der Minister etc . auszuforschen suchen , und wo er nur irgend dem antienglischen Frankreich ein Bein unterschlagen könnte , sollte er nicht ermangeln , es zu tun !
Diesem Plane zufolge konnte Wilhelm jetzt bei keinem Buchbinder sein Logis nehmen , noch demütig und ehrbar zu Fuße einhergehen :
Er mußte sich notwendig einen Stand geben und durch äußeren Pomp glänzen , um die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen und in großen Familien Eintritt zu finden .
Dies gelang ihm nicht nur sehr bald , sondern Signor Fioravalle wurde selbst distinguiert , machte sich durch seine Artigkeit , Freigebigkeit , durch seinen vorgeblichen französischen Patriotismus und noch mehr durch seine Kenntnis von Englischen Staatssachen , von der er so viel verriet , als ihm zu seinem Zweck nützlich dünkte , viele Vertraute und Freunde .
Der liebenswürdige Weiße hätte hier sehr leicht zu einem zweiten Lustspiele List über List Stoff finden kennen :
Denn indem Wilhelm sich das Ansehn gab , als brennte er vor Begierde , England und Amerika noch mehr zu verwirren , brachte er gerade das Geheimnis heraus , was Frankreich bis zur Zeit zu dieser Verwirrung beigetragen .
Ohne zweifel würde Wilhelm diese List über List sehr übel bekommen sein , wenn man sie entdeckt hätte : Bastille oder Fort !' Eveque wären wohl dafür das Geringste gewesen !
Allein die Entdeckung war beinahe unmöglich , oder sie hätte von England aus geschehen müssen , und da wußte niemand darum als der König , der Lord und das Haus des Baronets .
Übrigens spielte er seine Rolle so vollkommen und war auf allen Seiten so sehr auf seiner Hut , daß durchaus kein Verdacht rege werden konnte .
Verdächtige Leute sucht man nur an verdächtigen Orten , und da ließ Wilhelm sich nie mit einem Fuße sehen !
In seine Papiere durfte ihm kaum eine Fliege , geschweige denn ein Mensch gucken !
Briefe von erheblichem Inhalt schrieb er jedesmal in unauflöslichen Chiffren und gab sie unter ganz gleichgültigen Adressen durch die zweite , dritte Hand auf die Post .
Auch war er nicht immer in Paris , sondern tat einmal eine Reise nach Brest , und würde auch Toulon besucht haben , wenn er nicht ohnedem den Zustand der dortigen Marine auf das genaueste erfahren hätte .
Nach vier Monaten endlich , die er dem Scheine nach in lauter Wohlleben , der Wahrheit nach aber mit schwerem Kopfbrechen und überlegen zugebracht , kehrte er über Holland nach England zurück , und man kann leicht denken , ob ihn der Lord mit einem freundlichen oder unfreundlichen Gesichte empfangen , als er ihm seine Papiere überreichte , von denen ich nur folgende anführe : Erstlich , ein genaues und nicht kleines Verzeichnis der Herren im Unterhause , die sich durch französische Louisdors und Laubtaler zu feurigen Patrioten und Freunden der Amerikaner hatten bilden lassen ; zweitens , ein dito , aber etwas kleiner von den Herren im Oberhause , die gerade nicht durch Geld , aber durch andere eben so kräftige Mittel auf die Seite der Oppositionspartei gebracht worden waren ; Drittens , genauer Finanz- und Militäretät von Frankreich , woraus erhellte , daß Frankreich weder jetzt noch in langer Zeit , wenn es sich auch nebst Spanien auf die Seite der Amerikaner schlage , im Stande sei , England Furcht und Schrecken einzujagen ; Viertens , ein besonderes Memoire raisonne über Turgot und St. Germän , worin beider Fall vorherverkündigt wurde , ob sie gleich um diese Zeit noch Beide hoch am Brette waren .
Was Turgot insbesondere anbetrifft , so hatte Wilhelm Gelegenheit gefunden , ihm auf eine sehr empfindliche Art ein Bein unterzuschlagen .
Da seine Finanzoperationen alle ins Kolossalische und in die entfernte Zukunft gingen , zugleich aber auch eine starke bare Auslage verlangten , wollte er in Venedig , Genua , Livorno etc . eine Anleihe von 10 Millionen Livre . unter sehr vorteilhaften Bedingungen machen .
Wilhelm erfuhr es ; Im Augenblick war er dahinter her , schrieb an seinen alten Freund Wagner in Venedig und bewog ihn sehr leicht , daß die Sache in Venedig völlig zurückging ; Genua aber und Livorno , sobald sie sahen , daß die Venezianer nicht anbissen , wurden ebenfalls mißtrauisch , und so kamen nicht 10 Livre . geschweige denn 10 Millionen zu Stande .
Endlich überreichte Wilhelm auch eine Rechnung von den ihm mitgegebenen 2000 Pf. St. und gab die übergebliebenen 236 Pf. und 10 Schill . bar und richtig zurück .
Auch nicht eine Faser von dem in Paris angeschafften Prunk und Staate hatte er für sich behalten , sondern in Holland alles wieder zu Gelde gemacht und in Einnahme gebracht .
Mit alle diesen Nachrichten eilte der Lord nicht nur sogleich selbst nach St. James zum König , sondern nahm auch Wilhelm mit , um ihm denselben vorzustellen .
So heftig ihm das Herz schlug , als er in das zimmer trat und den Monarchen von fern erblickte , in so sanfte Wallungen ging es über , da der Monarch mit einer ganz bezaubernden Leutseligkeit das Gespräch anfing , ihn seiner ganzen Gunst und Gnade versicherte und ihm sagte , er sollte sich nur gegen Lord Nord erklären , wie und in welcher Art er employiert zu sein wünschte , sogleich sollte die Ausfertigung geschehen !
Auch für das ehrgeizigste und stolzeste Herz hätte diese große Milde und Gnade befriedigend sein müssen !
Auch gewährte sie Wilhelm eine Freude , dergleichen er sich in seinem Leben wenig gefühlt zu haben erinnerte :
Nicht als ob ihm eine Erhebung des Standes um ihrer selbst Willen viel wehrt gewesen wäre , aber sie war es ihm um der Liddy Willen , um des Baronets Willen , um der ganzen Familie Willen !
Deswegen erklärte er sich auch vorizt noch nicht gegen den Lord Nord , sondern sagte bloß , nachdem er von ihm ebenfalls einen Brief an den Baronet erhalten :
In wenig Tagen werde ich Euer Herrlichkeit Nachricht geben , ob ich des Glücks teilhaftig werden kann , dem besten Könige und dem besten Lande zu dienen !
An mir soll_es nicht liegen .
Damit empfahl er sich zu Gnaden , nahm Extrapost und wie auf den Flügeln des Sturmes getragen war er wieder da in Wotton .
Wie natürlich , war er Tag und Nacht gegangen und langte des Morgens sehr früh an , als noch fast alles in den Federn lag .
Bloß Betty hatte sich bereits erhoben , tat bei Williams Anblick einen lauten Schrei , und da es jetzt niemand sah , fiel sie ihm gar herzlich um den Hals und hing ihm einen Haufen Küsse an .
Aber er riß sich geschwind los und mit der heißesten Ungeduld fragte er nach seines Liddy ?
J da will ich Sie gleich hinführen , sagte sie ; Kommen Sie , nur ganz leise , ganz leise !
Kurz , sie zerrte ihn ohne Umstände in Liddys Schlafzimmer , die aber gleich beim ersten Geräusch aufwachte , den Vorhang aufzog und - was sie empfand , als Wilhelm neben ihr Bette auf die Knie fiel , ihre holde , sanfte , so lang entbehrte Hand ergriff und ihr dann in die Arme fiel , das mögen die Amarante und Nantchen beschreiben , ich nicht !
Mittlerweile war auch schon der alte Herr erwacht und schickte bereits nach Wilhelm .
Der Empfang war in einer anderen Art nicht minder zärtlich und feurig ; Der Baronet glaubte schon im voraus nicht anders , als daß die Ambassade aufs beste abgelaufen wäre und des Lords Brief überzeugte ihn vollends davon .
Nun habe ich meinen Endzweck erreicht , rief er ganz freudig aus ; Sie bleiben in England !
Noch nicht , mein bester Herr , versetzte Wilhelm ! zwar es steht in Ihrer Gewalt - Baronet .
Nun eben deswegen ; ich will hier nun einmal meine Gewalt sehen lassen ! will .
Aber wie würde es Ihnen gefallen , wenn ich Ihnen gehorchte , und zugleich die Ruhe und Glückseligkeit meines ganzen Lebens aufopferte ?
Baronet .
Freund - das ist französisch , das verstehe ich nicht !
Wilh. O ich will bald Englisch sprechen !
Damit ging er weg , um Liddy zu holen .
Er führte sie an der Hand und Beide warfen sich vor des Baronets Bette nieder . zürnen Sie nicht , sagte er ; Hier ist der Preis , um den allein ich in England bleiben kann ; Hier ist der Preis , um den allein ich die Reise nach Frankreich tat .
Ich weiß , daß ich unter denen , die Liddys Hand verdienen , der geringste bin ; Aber statt daß mich dies niederschlagen sollte , macht es mich vielmehr so kühn , daß ich dem Manne Trotz biete , der Liddy glücklicher machen soll , wie ich !
Und eben so stolz biet ich demjenigen Trotz , der gegen Sie , würdigster , gütigster Baronet , ein ehrerbietigerer , treuerer und gehorsamerer Schwiegersohn sein soll , wie ich !
Nun - sprechen Sie das Wort der Wonne aus !
Oder aber , haben Sie ein anders beschlossen , auch dann verehr ich Ihren Willen und werde meinen Schmerz zu tragen wissen , ohne daß je über meine Lippen ein Wort komme , das nicht lauter Achtung und Dankbarkeit für Sie spreche .
Reichliche Tränen stürzten nun aus Wilhelms Augen , die er nur mühsam bis jetzt zurückgehalten hatte , denn aus Liddys Augen flossen sie gleich anfangs !
Der Baronet , von gleich starkem Gefühle hingerissen , konnte erst vor aller Bestürzung und Freude nicht zum Worte kommen ; Endlich streckte er seine Arme nach allen beiden aus und sagte : Liebsten Kinder - von ganzem Herzen gebe ich euch meinen Segen ! -
Ihr seid mir zuvorgekommen - aber um desto besser ! -
Sei glücklich , meine teuerste Liddy , mein einziger Augapfel - und du , lieber Sohn , sei der Stecken und Stab meines immer mehr herannahenden Alters !
Ich lohne dir_es mit meiner Tochter - und Gott wird dir_es noch mehr lohnen !
Solche Tränen der Freude , der Rührung und der Zärtlichkeit müssen die über das verderbte Menschengeschlecht zürnende Gottheit wieder versöhnen !
Aber kaum waren sie gestillt , so ertönte durch das ganze Haus ein allgemeiner Jubelton :
Liddy und William sind ein Paar !
Der Himmel segne ihre Ehe ! zugleich flogen auch nach London und an alle Freunde Briefe mit dieser angenehmen Botschaft .
Livy , vielleicht unter allen die einzige , empfand darüber , zwar sehr viel , nur nicht das , was sich für eine Schwester eigentlich gebührte ; Auch erklärte sie bereits im voraus , daß sie um die Zeit der Hochzeit sehr wichtige Hindernisse haben und wohl nicht würde kommen können .
Der Baronet drang nun selbst darauf , daß die eheliche Verbindung so bald als möglich vollzogen würde :
Denn , sagte er , der Dienst des Vaterlandes muß nicht unter dem Weiberdienste leiden !
Gleichwohl gingen noch reine sechs Wochen in , ehe der glückliche Tag erschien , da der Prieter das auch äußerlich unzertrennliche Band zweigen den Beiden knüpfte , das eine geheime Liebe längst innerlich geknüpft hatte .
Die Hochzeitgesellschaft war nicht sehr zahlreich , aber auserlesen ; der Anblick eines so schönen , blühenden , seine Glückseligkeit kaum fassenden Paars , und wiederum der Anblick eines Vaters , den das Glück seiner Kinder von neuem zum Jünglinge machte , verbreiteten eine so allgemeine und herzliche Fröhlichkeit , die beinahe keines Zusatzes fähig schien .
Und doch kam mit einemmal , auf die überraschendste Art , ein ganz allgewaltiger Zusatz !
Triefend von Schweiß und mit Staub bedeckt trat ein Kurier in den Hochzeitsaal und überbrachte dem Baronet ein ziemlich starkes Paket vom König .
Er erbrach es , eine freudige Unruhe trat in seine Miene , feurig blickte er nach Wilhelm , rief , liebster Sohn !
Dann wieder in die Schriften , dann nach Liddy , rief , o liebste Tochter !
Da , läßt , läßt , und fallt auf eure Knie , und dankt dem besten Könige !
Der Inhalt dieses Pakets war denn natürlich von keiner geringen Erheblichkeit .
Der König , selbst Muster eines zärtlichen Vaters , wollte dem Vater Philip Monnoux vor heute seine Freude noch mehr würzen .
Durch die erste Schrift erhielt Wilhelm das Englische Bürgerrecht ; In der zweiten wurde ihm der Deutsche Adel konferiert ; In der dritten wurde ihm die Wahl gelassen , königlicher Rat im Departement der auswärtigen Affären , oder königlicher Baumeister zu werden .
Indem Wilhelm und Liddy noch stumm da saßen und bloß durch gedankenvolle Blicke und Liebkosungen das Lob des Königs priesen , erscholl schon von allen Enden unter dem Klange der Gläser :
God save the King !
God save the King !
Eine sehr liebenswürdige Dame in der Gesellschaft , die ein wenig von Wilhelms Geschichte wußte , setzte die Gesundheit fort : Gott erhalte diejenigen , die sich durch Tugend und Fleiß der Belohnungen eines guten Königes würdig machen !
Ende des zweiten und letzten Teils .
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Schummel, Johann Gottlieb. Wilhelm von Blumenthal: Band 2. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0kv.0