An meine Kinder Für Euch , meine Kinder , entriß ich diese Blätter dem Strome der Vergangenheit !
Ich habe die Blütenzeit meines Lebens noch einmal durchlebt , während ich sie schrieb .
Die Natur gab mir jenen wohltätigen Schleier , der den Bildern der Vergangenheit ihren lebendigen Zauber bewahrt , und mit ihm tausendfachen Genuß und reicheres Leben .
Die klare Ansicht einer fremden Existenz ist nie ganz ohne Wirkung 3 auf unsere eigene .
Was ich bin , oder was ich zu sein wähne , und unter welchem freundlichen Einfluß des Schicksals ich es wurde , - sollen Euch diese Blätter zeigen .
Alle Kunstforderungen müßt Ihr hier aufgeben .
Nur die Erinnerung bewegte meinen bildenden Sinn , und die Geister der Vergangenheit erschienen wie Ossians Geister auf flüchtigen Wolkengestalten .
Wie sanft ist der Übergang aus der jugendlichen Täuschung zur Wahrheit des Lebens , wenn selbst der Besitz des höchsten Gutes , welches wir wünschten , uns in den Kreis der Wirklichkeit zurückführt !
Es bleibt nichts unbefriedigtes in unserer Seele , und das stille Geschäft einer höheren 4 Bildung nimmt seinen ununterbrochenen Fortgang , ohne von den beunruhigenden Träumen eines ungestillten Verlangens gestört zu werden .
Die Verbindung zweier liebenden Seelen löst das sonderbare Rätsel unserer Existenz , im Gefühl einer ewigen Befriedigung und eines ewigen Strebens nach etwas Unerreichbarem . Euer holdes Dasein gab unserem Leben die schönste würdigste Bedeutung .
Eure klaren Augen , in denen die Welt sich von so einfachen Seiten spiegelte , Euer kindisches Begehren und Streben - führte uns sanft in die Unschuldswelt zurück , erhielt den zartesten Bildern unseres Gemüts ihre frischen Farben , und klärte die Quellen des heiligsten inneren Lebens auf .
5 Als Ihr denken und wollen lerntet , sah ich mit Entzücken , daß das schöne Verhältnis der Gemütskräfte Euch wie die Gestalt Eures Vaters angebildet wurde .
Den Kreis von Freunden , der sich um uns versammelte , vermochte keine Laune des Schicksals zu zerstreuen .
Im Drang der Verhältnisse hatten sich die edlen Naturen erprobt und bewährt erfunden .
Kindliches Vertrauen verband alle Herzen , Mut und Weisheit vereinte sie zu edlem Wirken , Geist und Grazie webte das Band des Umgangs .
Eure verehrten Großeltern lebten ein glückliches Alter. 6 Mein Pflegevater wiegte Euch noch auf seinen Knien .
Mit freudestrahlendem Blick sah er in meinem ältesten Sohn den künftigen Herrn seines geliebten Dörfchens .
Die stille Wirkung dieses edlen Geistes blieb unter uns ewig lebendig , sein Glaube glühte in unserem Herzen .
Die Obergewalt der Güte in der Natur zu fühlen , wie er , das war die Quelle und die Wirkung unseres Glücks .
Die Ruhe , die sich unter die blinde Notwendigkeit beugt , tötet die schönsten Blüten unseres Wesens , sie erzeugt nur das kräftige Selbstgefühl eines Athleten ; - aber die Stille der Seele , die ihr eigenes Glück wieder in der Natur auszuatmen strebt , die liebliche Fülle der Freiheit und 7 Schönheit , die Wohltätigkeit des ganzen Daseins , bildet sich nur in einem Gemüt , dem die Notwendigkeit als höchste Güte erscheint . Über der Wiege meines ersten Kindes gelobte mir Julius auch Vater zu werden , und in dem ersten reinsten Naturverhältnis alles liebende Vermögen seines reichen Herzens zu beschäftigen .
Bettina hatte sich schön ausgebildet unter den Augen der Gräfin und ihres Vaters .
Ihr Geist , ihr Talent war bezaubernd .
Sie scherzte selbst mit mir in Nordheims Gegenwart über ihren ersten Jugendtraum ; ich hielt sie für ganz geheilt .
8 Bald fühlte ich , daß sie Julius in einem neuen Lichte wahrnahm .
Leidenschaftliche Liebe , Neigung ohne Grenzen war die Natur des Mädchens , und Julius nahm sie mit dem zartesten Herzen auf .
Er selbst schien sich mehr hinzugeben , als sie lebhaft zu ergreifen , aber es war im höchsten feinsten Sinn ; sie wurden ein glückliches Paar .
Die Gestalt des alternden Mütterchens macht einen sonderbaren Kontrast mit der glühenden Leidenschaft die in diesen Blättern atmet .
Die Zeit macht von selbst unser Leben zu einem vollendeten Gemälde , in dem jede Farbe der allgemeinen Harmonie untergeordnet ist .
Nur wenn 9 ein irrer Wille dem stillen Naturgang widerstrebt , entstehen grelle Töne . Euer Vater lächelte bei manchem Zug dieser Geschichte , und freute sich unter dem ergrauenden Scheitel , das freundliche Leben der Jugend noch einmal aufglühen zu sehen .
Wir freuten uns dessen , was wir gewesen sind und noch sind .
Die Form ist unverändert geblieben .
Wir gehen dann in den großen Saal , und sehen unsere Bilder an .
Die Vergangenheit umleuchtet uns als ein freundlicher Strahl , und wenn wir uns die Hände drücken , die sich durch eine Reihe von Jahren zu mildem Wirken vereinten , - dann fühlen wir nicht , daß uns die Jugend entflohen ist , sondern daß eine neue Jugend in uns aufblüht .
Erster Teil Ich wurde in dem Hause des Pfarrers zu Hohenfels , als seines Bruders Tochter erzogen .
Sobald ich es verstehen konnte , sagte mir der Pfarrer , meine Eltern wären während meiner ersten Kindheit gestorben , aber ich sollte ihn als meinen Vater ansehen .
Ich erfüllte dieses Verlangen in seinem vollen Sinn , denn ich fühlte nie , daß meine Eltern mir fehlten .
Er war ein seltener Mann , und ich werde in der Geschichte meiner Erziehung aus 3 führlicher sein , als ich vielleicht sollte , weil sich sein Charakter in derselben am besten darstellt .
Sein Gemüt war eine reine Harmonie , der sich jeder mit Vergnügen näherte , und ohne es zu suchen , wirkte er auf einen großen Zirkel .
Er ließ sich gern und leicht in ein Gespräch ein , und wußte das gemeinste an die wichtigsten Gegenstände so natürlich und leicht anzuknüpfen , daß er das innere Wesen der Menschen aufschloß .
Als mein Verstand reif genug war , um die Menschen gegen einander zu vergleichen , sagte ich oft meinem Vater , wie hoch über alle andere erhaben Er mir erschiene .
Mit einem milden Ernst in seinem Blick erwie 4 derte er dann :
Wenige zwang das Schicksal mit so freundlicher Gewalt auf der Bahn des Rechten zu bleiben , als mich .
Manche Kraft wird zerstört , ehe sie ihre wahre Richtung empfängt .
Ich hatte hohen Genuß und tiefes Leiden , aber die Flamme der reinen Liebe erhielt mein besseres Leben .
Eine Welt von Erinnerungen schien sich bei solchen Äußerungen in seinem Inneren zu entwickeln ; sein Auge war gesenkt , er war in sich selbst versunken , aber schnell , als von einem neuen Feuer belebt , kehrten sich dann seine Blicke nach mir ; er sagte mir ein freundliches Wort , gab mir einen kleinen Auftrag , welchen ich vorzüglich gern befolgte ; ich fühlte , daß irgend ein Gefühl seinen Busen drängte , welchem er Gewalt 5 antat , und es war mir als schwebte auf seinen Lippen :
" Du bist doch mein Liebstes in der Welt ! "
Über meine Erziehung wachte er mit der Sorgfalt , mit der er jede einmal übernommene Pflicht beobachtete .
Er beschäftigte sich mit mir in seinen ernsten Stunden , aber ich war auch sein liebstes Spiel in den wenig geschäftlosen Augenblicken , die er sich vergönnte .
Ich entsinne mich , daß er mich früh gewöhnte , die Begriffe der Arbeit und Ordnung mit meinen Spielen zu verbinden ; das geringste , einmal angefangene Geschäft mußte ich vollenden .
Ich war weich und liebend gebildet , und konnte auch keine leise Äußerung der Unzufrieden 6 heit von meinem Vater ertragen .
Am tiefsten schmerzte mich , wenn er nach einer begangenen Unart mich wenige Stunden von sich entfernte .
Das Einkommen , von welchem das Hauswesen bestritten wurde , war sehr mäßig , aber eine weise Einrichtung verbannte , mit aller unnützen Verschwendung auf der einen Seite , auch allen Geiz auf der anderen .
Nichts ging verloren , also war genug da , um ein reines ordentliches Leben zu führen , und meine Jugend war reich an allen kleinen Freuden , die der Wohlstand erzeugt .
Diese einfachen Verhältnisse , durch die Kunst meines Vaters geleitet , dienten mir zur Schule des Betragens für das künftige Leben .
" Du sollst herrschen und dienen lernen , mein liebes Kind , " sagte er mir zuweilen : 7 " wenn man beides mit Einsicht und mit Achtung für sich selbst zu tun versteht , so ist eins so leicht als das andere ; aber sicher ist es Quelle mannigfaltiger Schiefheit und Verworrenheit in vielen Verhältnissen , wenn unsere Fähigkeit ausschließend für das eine oder für das andere entwickelt wurde .
Die Ungeschicklichkeit , sich in irgend einer Lage zu betragen , zieht ein Heer kleiner Übel um uns her , die endlich den Blick in die äußere Welt und in unser Inneres umdämmern .
Darum übe dich in allen Formen des Umgangs , und lerne jeden Menschen nach seinem individuellsten Dasein behandeln , und dich selbst in jedem Verhältnis 8 auf die freiste und für andere am wenigsten drückende Art stellen . "
Sein Beispiel , sein stillwirkendes Leben erklärte mir den tiefen Sinn dieser Rede .
Wenn mich nicht häusliche Geschäfte abriefen , war ich größtenteils in einem Kabinett , welches an meines Vaters Zimmer stieß .
Ich fühlte mich in voller Freiheit , und , war doch in immerwährender Aufsicht .
Da mein Vater selbst nie in eine gewisse Leere und Unbedeutendheit des Daseins versank , so lernte ich sie auch nicht kennen ; ich lebte in einem Zirkel stiller Geschäftigkeit , und mein jugendlicher Frohsinn entwickelte sich mit einigen Gespielen meines Alters .
Die Kinder unserer Gutsherr-9 schafft und ein paar Bauerkinder aus der Nachbarschaft lockten mich zu allen kindischen Spielen , und mein Vater sah es gern , wenn ich in körperlicher Behendigkeit die anderen übertraf ; selbst Rosine durfte kein schiefes Gesicht machen , wenn ich mit zerrissener Schürze und Halstuch zurückkam , aber ich selbst mußte auch alles wieder in guten Stand bringen , und wenn sie dazu helfen wollte , so war es nur Gefälligkeit .
Ich hatte einige Lehrstunden , um mich an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen ; aber mir damals unbemerkbar war mein Vater , während dem ganzen Lauf des Tages , mit meiner Bildung beschäftigt .
Wir lebten in einer lieblichen Gegend , und die mannigfaltigen und 10 großen Naturgestalten um mich her nährten meinen Schönheitssinn .
Das geheimnisvolle Leben der Natur ergriff mich früh , und die sanften Schauer der Bewunderung dehnten meinen Busen in erhabenen Gefühlen aus .
Freundlich gesinnte Geister , schien mir_es , wandelten im wechselnden Spiel des Lichtes um die Häupter der Berge , und in den buschigen Ufern des Flusses ; ich empfand jenen namenlosen Zauber , in den der Genuß der Schönheit uns wiegt , in vollem Maße .
Mein Vater ergriff diese reinsten aller Lebensmomente , um mein tiefstes Dasein mit dem Gefühl Gottes 11 und der Unsterblichkeit zu beleben .
Die christliche Religion lehrte mich mein Vater in ihrem wahren Sinn , kindlich und einfach , als das Resultat der reinsten menschlichen Natur , der wir streben müssen uns zu nähern , und sie in unserem inneren und äußeren Leben herzustellen .
Mein glückliches Gedächtnis und mein leiser Sinn für die Schönheit brachte meinen Vater auf den Gedanken , mich die alten Sprachen zu lehren , die er enthusiastisch liebte .
Die langen Winterabende hinter den Spinnrocken oder am Strickzeug vergingen uns so , daß er mir Stellen aus den Alten vorsagte , die ich auswendig lernen und übersetzen mußte .
Die 12 Kunstgestalten der alten Welt sollten meine Einbildungskraft zum Schönen und Edlen stimmen , und mich lehren , meine Sinne für den Eindruck des Gemeinen und Unwürdigen zu verwahren .
Durch den Reiz der Neuheit dringt oft ein gemeiner Gegenstand an unser Gemüt , und aus Mangel an schöneren Bildern , die ihn verdrängen könnten , umfangen wir ihn mit leidenschaftlichem Begehren .
Ich war immer beschäftigt , und durch einen wichtigen Gegenstand in tressiert .
Dieses erhielt meinem Vater die Zügel meiner Einbildungskraft in Händen .
Freie Luft und Bewegung stärkten meinen Körper .
Ich lernte den Feldbau in allen Details kennen , legte im Obst- und Küchengarten 13 wohl selbst Hand an .
Mein Sprachstudium , Übungen des Stils im Deutschen und Französischen , Geographie , Naturlehre füllten die Morgenstun den , die von häuslichen Geschäften übrig blieben .
Des Nachmittags lehrte er mich Klavierspielen , und ließ mich nach einer Sammlung guter Kupferstiche und Gipsabgüsse , die er besaß , zeichnen , um meiner Hand einige Fertigkeit zu geben , und mein Auge in der Richtigkeit der Verhältnisse zu üben .
Sorglos und unbefangen flossen meine Tage dahin , die Liebe meines Vaters erfüllte sie mit fröhlichem Wechsel .
Jede ländliche Beschäftigung 14 war uns ein kleines Fest , welches die gewohnte Lebensweise unterbrach , und der Fleiß wurde mir wieder zum Genuß , wenn ich meines Vaters Freude an meinen Fortschritten wahrnahm .
Mein Vater lebte größtenteils einsam , und hatte von mancherlei Verbindungen in der Nachbarschaft nur einen alten Arzt auch als Freund des Hauses beibehalten .
Es war ein Mann von ernsten strengen Sitten , und höchst bestimmten Begriffen .
Ich fürchtete ihn als Kind , aber jemehr ich heranwuchs , lernte ich ihn achten und beinahe seinen Umgang lieben , da er mir immer etwas Neues aus der Natur und Menschenwelt zu lehren wußte , und eine Freude an meiner schnellen Fassungskraft bezeigte .
Herzlich bedauerte ich seinen Tod .
Mit diesem Freund verlor mein Vater 15 den einzigen Umgang , der ihm zu einem Gedankenwechsel Anlaß gab , und ich die Freude manches unterrichtenden Gesprächs .
Die Gesellschaft der Salmschen Familie , unserer Gutsherrschaft , wurde mir uninteressanter , jemehr sich mein Geschmack bildete .
Aber mein Vater hieß mich oft sie besuchen , damit ich meine Eigenheiten der Gesellschaft anschmiegen lernte , und von der Äußerung einer gewissen Sonderbarkeit befreit bliebe , die man leicht in der Einsamkeit gewinnt .
Durch natürliche Gutmütigkeit , die gern jeden glücklich und frei in seiner eigenen Sphäre sich bewegen sieht , lernte ich leicht den Ton der Unterhaltung treffen , der für die Familie passend war , und diejenigen Seiten meines 16 Wesens verbergen , die sie nicht fassen mochte .
Die Fräulein liebten meinen Umgang , weil ich weder in Kleiderpracht noch in sogenannten feinen Manieren mit ihnen rivalisierte , und wenn mein natürlicher Anstand und mein reinliches einfaches Hauskleid ein Lob von ihren Eltern , oder einem Fremden , welcher zum Besuch bei ihnen war , erhielt , so waren die Eigenschaften einer Pfarrerstochter doch so ganz unter der Sphäre ihrer Ansprüche , daß keine Aufwallung des Neides ihr Wohlwollen gegen mich unterbrach .
Ich fühlte mich , unerachtet ihres guten Betragens gegen mich , dennoch fremd in ihrem Hause , und wenn ich dann mit dem 17 Ausdruck herzlicher Sehnsucht wieder zu meinem Vater kam , sagte er mir mit einem tiefsinnigen Blicke : Mädchen , Mädchen !
Du gewöhnst dich so ganz nur in Odem der Liebe zu leben ; ich fürchte , du wirst sonst nirgends zu Hause sein .
So erreichte ich mein achtzehntes Jahr .
Es war einer der ersten schaurigen Herbstabende .
Ein dichter Nebel lag in den Tälern , der Wind trieb stürmisch graue Wolken über den östlichen Himmel , und der West flammte in tiefem Purpurrot .
Gelbe Blätter flogen aus den schon halbnackten Wipfeln der Bäume , und flatterten an den Fenstern vorbei .
Das Knistern des Feuers im Kamin versamm-18 lete den ganzen kleinen Haushalt .
Alle Bilder des herannahenden Winters spielten in der ersten erwärmenden Flamme empor , und jedes Mitglied der Familie durchflog in Gedanken den Kreis seiner Geschäfte , die Freuden und Leiden , denen es in diesem Zeitraum entgegen sah .
Mein Vater saß mit jener weisen Ruhe , die des Wechsels gewohnt ist , und Jahre wie Tage gleichmütig vor sich hinziehen sieht , in seinem Lehnstuhl .
Er legte den Plutarch aufgeschlagen aus der Hand , weil es finster wurde , und nahm die großgedruckte Bibel vor sich , um einen Text 19 für die nächste Sonntagspredigt zu wählen .
Rosine ging im Zimmer auf und ab , das blank gescheuerte Geräte aus der Küche herbeizuholen , welches ich mit zierlicher Ordnung in den Wandschrank im Hintergrunde des Zimmers aufstellte .
Man zog die Türschelle , und mein Vater rief : Agnes , mein Kind !
Schon war ich an der Haustür .
Es war halbfinster , doch konnte ich noch bemerken , daß eine fremde Gestalt hereintrat .
Was wünschen Sie , mein Herr ? fragte ich ; und er erwiderte :
" Ich bin ein Reisender und sehr ermüdet , man kann mich im Gasthof nicht aufnehmen ; darf ich hoffen , daß der Herr Pfarrer es verzeihen wird , wenn ich ihn um 20 ein Nachtlager bitte ? "
Die Stimme war einnehmend , und erregte einen sonderbaren Anteil in meinem Herzen , so daß ich die gewohnte Gastfreiheit meines Vaters , mit lebhafterem Ausdruck als gewöhnlich verkündigte .
Das wird Ihnen mein Vater mit Vergnügen geben , sagte ich , treten Sie herein .
Er trug seine Bitte meinem Vater nochmals vor ; dieser hieß ihn freundlich willkommen , und setzte sich wieder an seinen Tisch bei dem Fenster , um einige Gedanken aufzuzeichnen , die ihm für seine Predigt eingefallen waren .
Der Fremde war ein großer schöner Mann , seine Kleidung war sehr einfach , und deutete weder Armut noch Reichtum an .
Ich trug 21 ihm einen Stuhl zum Kamin , und setzte mich mit meinem Strickzeug ihm gegenüber .
Die Flamme im Kamin warf einen hellen Schimmer auf sein Gesicht ; und ich nahm feste und anmutige Züge wahr , aus denen nicht mehr die erste Fülle der Jugend leuchtete .
Rosine hatte unterdessen Licht herbeigeholt , mein Vater schrieb fort , und alles war still .
Ich suchte vergebens nach ein paar Worten , um eine Unterhaltung anzuknüpfen , aber nichts war mir gut genug von allem , was mir einfiel , und nie scheute ich mich mehr , etwas Unbedeutendes zu sagen , als in diesem Augenblick .
Die Furcht , er möchte mein Schweigen für Unaufmerksamkeit oder für 22 Mangel an feiner Sitte halten , machte mir es gleichwohl peinlich .
Er schien keinen Anspruch auf Unterhaltung zu machen , und sah still nach dem Feuer .
Zuweilen streifte sein Blick im Zimmer umher , und nur einmal ruhte er auf mir .
Es war etwas unaussprechlich anziehendes in seinem dunkelbraunen Auge ; mild und still faßte es die Gegenstände , aber zugleich so tiefeindringend , als möchte es das verborgenste im Herzen erspähen .
Mein Strickgarn fiel zu Boden , er hob es auf , und gab es mir mit gerader gutmütiger Höflichkeit .
Der Faden hatte sich um seine Hand geschlungen , sie ruhte einige Sekunden in der meinen , und ein Ring fiel von seinem Finger .
Während ich den Ring aus dem Faden loswickelte , hatte ich Zeit , 23 auf der blauen Emaille den Namen Amalie zu lesen .
Der Fremde nahm ihn mit einem flüchtigen Erröten zurück .
Ob seine gebückte Stellung , oder die Nähe des Feuers es verursacht hatten ? oder ob der Ring lebhaftere Gefühle in ihm erregte ? oder ob er den Namen seiner Schwester , seiner Freundin , oder seiner Frau am Finger trug ?
Diese Fragen kreuzten sich in meinem Kopf , und neben dem bemerkte ich die feingeformte Hand , die so eben in der meinen gelegen hatte .
Nun legte mein Vater ein Zeichen in seine Bibel , und nahte sich dem Kamin .
Freundlich zog er mit der linken Hand sein ledernes Käppchen vom 24 Haupt , reichte die rechte dem Fremden , und hieß ihn nochmals willkommen .
Sie rauchen vielleicht eine Pfeife Tabak in der kalten Herbstluft ? fragte mein Vater .
Der Fremde winkte Beifall .
Ich trug nun auch den Teetisch zum Feuer , so kam alles in Ordnung , und der kleine Zirkel näherte sich einander vertraulicher , als der blaue Dampf in leichten Gewölk umherzog , und der gute Tee balsamisch duftete .
Nach echt griechischer Sitte schritt man erst zum Gespräch , nachdem der Gast gespeist worden war .
Wahrscheinlich kommen Sie heute von A. ? sagte mein Vater .
Sie hatten dann eine schlimme Tagreise , es ist eine von unseren schlechtesten Straßen 25 im Lande .
- " So unwegsam und holperig die Straße ist , " erwiderte der Fremde , " so mild und freundlich scheinen mir die Menschen , die daran wohnen , und mit dem Tausche wäre man wohl gern zufrieden , wenn man es überall so haben könnte . "
Mein Vater .
Ja brave gute Leute gibt es hier , und gibt_es überall , hoffe ich .
Seit fünf und zwanzig Jahren liegt meine Welt in dem engen Zirkel von wenigen Stunden beschränkt , und wenn es mir in diesem dunkel und verwirrt scheint , so habe ich doch immer ein sicheres Mittel , wieder ins Klare zu kommen .
Der Fremde .
Und welches ?
Mein Vater .
Ich suche mir die individuellsten Verhältnisse des Men-26 schen , der mir grundschief und verdorben scheint , ganz bekannt zu machen .
Sein Alter , Stand , Erziehung , Temperament , Vermögen , Freundschaften u. s.w .
Dann greife ich in meinen eigenen Busen , und fürwahr violes , vieles in seiner Handlungsweise wird mir da leichter erklärlich , was mir außer jenen Beziehungen ungeheuer dünkte .
Der Fremde .
Glauben Sie an den Samen des Bösen in der Menschennatur ?
Mein Vater ( lächelnd ) .
Nicht in dem Sinn , wie Sie vielleicht meinen , 27 mein Herr ; aber ich glaube , und fühle den Samen der Schwachheit in jeder menschlichen Brust ; - glaube , daß nicht jeder sich halten kann , in der schönen Freiheit des Herzens , daß er oft das begehrt , was er nicht sollte , und dadurch zum Sklaven wird , weil er aus dem Gleichgewicht seines inneren Wesens heraustritt , wo er König und Herr sein könnte .
Der Fremde .
So sind wir eins !
O wie freut , es mich , wenn ich ein Gemüt finde , das seine Einheit bewahrte , das seine Wahrheit und Liebe lebendig erhielt !
Wer in diesem schönen Kreise der Menschheit zu bleiben strebt , kann nicht irren , denn Wahrheit und Liebe sind das Wesen der 28 Religion und Philosophie , und erhalten die Gesundheit und Grazie der Empfindung .
Ihr seid nun einmal die privilegierten Seelenärzte - fuhr er freundlich lächelnd fort - und mich dünkt , ich sei bei einem der bescheidensten , mithin der erfahrensten .
Wie bewahrt sich die Seele am freisten im Kampf mit den widerstrebenden Eindrücken von außen , und der Verdorbenheit um sich her ?
Mein Vater .
Freund , vor allem möchte ich Ihnen sagen : Alle gute Gabe kommt von oben herab , vom Vater des Lichts !
Der Fremde .
Und wenn es Seelen gibt , die nur die Richtung gegen das Licht kennen ?
Es windet sich die eingeschlossene Blume nach der Seite , 29 wo ihr der Lichtstrahl entgegendringt , aber die dunklen Schranken weichen nicht , und ihre Farben bleiben matt und bleich .
Was sollen diese tun ?
Mein Vater .
Sich des geahnten Lichtes freuen , bis das Schicksal , oder eine bis jetzt ungeahnte neue Kraft in ihrem Gemüt die Schranken zerbricht .
Jedes wahre innige Verlangen deutet auf die anziehende Kraft eines fernen Gegenstandes .
Der Fremde stand lebhaft von seinem Sitze auf , stellte sich dicht vor meinen Vater , sah ihm fest , aber freundlich , ins Auge .
Über meine Wangen flog eine glühende Röte .
Du wahrer Jünger Deines Herrn , sagte er mit 30 sanftgehobener Stimme , indem er meines Vaters beide Hände faßte ; Du besitzest seine Milde und seinen großen Sinn ; wie lange suchte ich vergebens eine Seele , wie die Deine ?
Mein Vater sah innig zufrieden aus , und es war seit diesem Augenblick ein herzlicheres Verständnis zwischen uns drei .
Welcher feinfühlende Mensch hatte nicht solche Momente , in welchen die Seele gleichsam als in ein feineres Element versetzt , zartere , innigere Beziehungen wahrnimmt , und sich leichter und fester an eine andere anzuschließen vermag , deren Schönheit sie im reineren , erhöhteren Licht erblickt !
Rosine hatte den Tisch gedeckt , und das Abendbrot aufgetragen , welches aus unseren gewöhnlichen zwei Schüsseln bestand , und wegen des , 31 Gastes nur mit einem kleinen Nachtisch vermehrt wurde .
Mein Vater hatte die Gewohnheit in seinem Hause , daß immer ein kleiner Vorrat vorhanden sein mußte , um einen guten Freund bewirten zu können .
Traktiert wurde nie , und kein Fremder konnte an einem ungewöhnlichen Treiben und Lärmen in Küche und Keller wahrnehmen , daß er Ungelegenheit verursachte .
Ich bat mit der geringen Bewirtung vorlieb zu nehmen , und der Fremde erwiderte freundlich , es sei nichts gering , was mit solcher Güte und Anmut gereicht werde , er habe nie einen besseren Reisbrei gegessen , und wirklich ließ er sich ihn trefflich schmecken . 32 Das Einfache , Edle in seinem Betragen rührte mich sonderbar , und ich hatte es an keinem anderen Manne meiner Bekanntschaft noch bemerkt .
Sein Schweigen gegen mich gefiel mir vorzüglich ; mir schien es , als läge eine Art von Achtung darinnen , und als hielte er mich für eine gewöhnliche unbedeutende Unterhaltung zu gut .
Oft fand ich seine Augen auf mich gerichtet , und der stille Anteil , den ich an seiner Unterhaltung mit meinem Vater nahm , schien ihm nicht zu entgehen .
Das Gespräch begann sich wieder anzuknüpfen , als der junge Herr von Salm , der Sohn unseres Gutsherrn , hereintrat .
Er war eben von der Univer-33 sität gekommen , um seine Eltern während der Ferien zu besuchen .
So vorlaut der junge Herr auch sonst sein mochte , so still war er in der Gesellschaft meines Vaters , der keine Plattheit , welche sich mit Anmaßung äußerte , ungerügt hingehen ließ .
Er sah den Fremden aufmerksam an , der ihm ungeachtet seines einfachen Anzugs zu imponieren schien .
Lange trug er sich mit einer Frage , die er endlich bei einem Stillstand des Gesprächs herauspolterte ; denn wenn er nicht ungestraft vorlaut sein durfte , so war er schüchtern .
Auch wollte er nicht gern Fremden eine geringe Meinung von sich geben , und hob darum immer mit etwas Gelehrtem 34 an .
Darf ich fragen , mein Herr , ob Sie gute Lateiner in Ihrer Stadt an der Schule haben ?
Für diesmal war ich mit seiner Frage sehr wohl zufrie den , denn ich hoffte etwas von unseres Gastes Wohnort durch sie zu erfahren .
Die Antwort befriedigte mich nur halb .
Ich war seit drei Jahren außer Deutschland auf Reisen , Herr von Salm , und kenne also den gegenwärtigen Zustand der Schulen nicht .
Er sprach nach diesem mit meinem Vater über den Nutzen , die alten Sprachen gründlich in der Jugend erlernt zu haben , und endlich kamen sie auf ihre Lieblingsschriftsteller .
Es freute 35 mich wahrzunehmen , wie sehr mein Vater das Urteil des Fremden ehrte , und die mannigfaltige Schönheit und Anmut zu bemerken , die sich bei regerem Interesse des Geistes in seinen Zügen entfaltete .
Herr von Salm , halb verlegen und halb unmutig , keinen Anteil an der Unterredung zu haben , sagte mir halbleise , er ginge , um seine Schwester zu mir abzuholen .
Wie gern hätte ich für diesen Abend ihre Gesellschaft entbehrt !
Der Fremde wandte sich gegen mich , als uns Herr von Salm verlassen hatte , und fragte mich , ob diese Familie meine einzige Gesellschaft sei , und ob ich vergnügt in dieser Einsamkeit lebte ?
Ich er 36 widerte , daß es mir nur sehr selten einfiele , mannigfaltigeren Umgang zu wünschen , und daß ich mich nie entschließen könnte , ihn zu suchen , wenn ich die Gesellschaft meines Vaters dadurch verlieren müßte .
Es kamen mir leicht Tränen ins Auge , wenn ich an die Trennung von meinem Vater dachte , weil er selbst oft mit Rührung von der unfehlbaren Trennung sprach , die uns früh oder spät , doch so sicher , drohte .
Ich war diesen Abend , seit der Erscheinung unseres Gastes so sonderbar gespannt , daß ich mich vergebens bemühte , meine hervorquellenden Tränen zurückzuhalten .
" Gutes Kind , " sagte der Fremde lebhaft , und sah mir freundlich teilnehmend ins Auge : " halten Sie diese schönen Tränen nicht zurück . -
37 Nichts bürgt so sicher für die Weisheit der Eltern , und die Güte der Kinder , als wenn diese das väterliche Haus lieben . "
Mein Herz schlug heftig , und ich fühlte einen noch nie empfundenen süßen Schauer durch meine Nerven zittern ; wir schwiegen alle einige Minuten , der Fremde sah starr , doch lieblich vor sich hin ; endlich wandte er sich zu meinem Vater und sagte mit gemilderter Stimme :
Wie glücklich sind Sie durch Ihre Tochter !
" Ja ich bin es so sehr durch sie , als wäre sie es durch die Natur . "
- Der Fremde sah den Pfarrer hier fragend an , und ich selbst fühlte zum erstenmal etwas Geheimnisvolles mit meiner Existenz verbunden .
Als 38 mein Vater die Augen niederschlug , und schwieg , schlossen sich die schon zu einer Frage geöffneten Lippen des Fremden .
ernten Sie auch sichtbar Segen an Ihrer Gemeinde ? sagte er nach einigen Momenten des Nachdenkens . -
Ja , Gott sei Dank , antwortete mein Vater , mein Bemühen bleibt nicht fruchtlos .
Es war ein wildes Völkchen , als ich herkam .
Eigennützig und diebisch aus Faulheit und Ungeschicklichkeit , und voller Streitsucht aus Unwissenheit und Mißtrauen .
Aber jetzt fängt es an , sich in die Ordnung zu fügen .
Der Fremde .
Welcher Mittel bedienten Sie sich ?
Mein Vater .
Mein Herr , ich fing es von der umgekehrten Seite an , als 39 man es gewöhnlich treibt .
Mir scheint es ein Irrtum , wenn man wähnt , man müsse alle Kultur sogleich beim Geistigen anfangen ; - ich meine , man kommt immer zu früh daran , ehe das Leibliche in Ordnung ist , und sogenannte aufgeklärte Gesinnungen seien nur taube Blüten , wenn sie nicht aus dem gesunden Stamme eines ordentlichen reinlichen Lebens Nahrungssaft einsaugen .
Wenn das Volk durch Arbeitsamkeit sicheren Unterhalt findet , so kommt Ordnung und Sitte von selbst .
Wirkliche Not hebt alle moralische Bande auf ; der Mensch , den sie drückt , ist im Zustande des Kriegs gegen die Gesellschaft .
Wenn die physischen Bedürfnisse mäßig befriedigt sind , sproßt die Seele aus eigener Kraft in Gedanken auf , 40 und die Gefühle des Rechten und Guten , des Glaubens und der Hoffnung entkeimen ihrem mütterlichen Boden , als starke , gesunde Gewächse .
Die Erfahrungen , die ich in meinem kleinen Kreise machte , scheinen mir beweisend .
Ich war so glücklich , durch die Hilfe meiner vorigen Gutsherrschaft vieles für den Wohlstand dieses Dörfchens tun zu können .
Unser voriger Herr war nicht allein ein vortrefflicher Landwirt , er kannte auch alle Produkte und Bedürfnisse der umliegenden Gegend auf das genaueste , verstand in hohem Grad die Kunst , die Menschen zu behandeln , und sie zu seinen guten Zwecken zu lenken .
Er richtete den Feldbau und alle 41 Arbeiten seiner Untertanen nach den Bedürfnissen der benachbarten Orte ein , so sehr es die Eigentümlichkeiten des Bodens gestatteten .
Da er das Zutrauen aller besaß , so verband sein Geist das Ganze , und jeder Einzelne fand irgend einen Vorteil in seiner Haushaltung dadurch .Überall wußte unser Herr Zugang zur vorteilhaftesten Absetzung der überflüssigen Produkte , und so entstand nach und nach durch die Sicherheit des Erwerbs der Geist der Arbeitsamkeit und stillen Ordnung .
Wenig Müßiggänger blieben in der Gemeinde , und die Gemüter bildeten sich gesund und sittlich .
Im Anfang wurde der Geldbeutel ihres Herrn mehr 42 in Anspruch genommen , als meine Seelenarzneien .
Jetzt , bei einem ruhigen und arbeitsamen Leben , und nach den Eindrücken , die die Jugend , mit welcher ich mich gleich anfänglich beschäftigte , empfing - jetzt nahet sich mir der größte Teil meiner Gemeinde im echten Gefühl edlerer Bedürfnisse .
Die Jugend wünscht Aufklärung über manche Gegenstände des Denkens , und oft Regeln für das Leben von mir , und das Alter spricht gern von seinen Hoffnungen nach dem Tode .
O warum mußte uns unser trefflicher Herr so bald entrissen werden ! 43 Seit wann ist er gestorben ? fragte der Fremde mit sichtbarer Bewegung .
Ich habe nicht einmal den Trost , erwiderte mein Vater , zu wissen , daß seine Seele in ein besseres Leben hinübergegangen ist ; - er lebt vielleicht noch im Elend , in trauriger Gemütsverwirrung , in Gefangenschaft ; nur Gewalt kann ihn von uns trennen , wenn er noch am Leben ist , und dieses bange Schweigen des Todes gegen Herzen , die ihn so innig liebten , verursachen .
Er lebte so mit seinem ganzen Herzen in diesem Dörfchen , dem Kreise seiner Wohltätigkeit ; - willig hat er es nicht verlassen , es liegt eine uns undurchdringliche Nacht auf seinem Schicksal ! 44 Die Gemütsbewegung des Fremden stieg immer höher , und er fragte mit zitternder Stimme :
Auf welche Art verschwand er ?
Es sind achtzehn Jahr , als unser Herr eines Morgens befahl , sein schnellstes Pferd zu satteln ; er zog seine Jagdkleidung an , ritt an meinem Hause vorbei , und rief mir zu , an die Gartentür , die etwas entfernter von der Straße ist , zu kommen .
Er reichte mir einen Beutel , und sagte :
Hier haben Sie einen kleinen Fond zu unseren Einrichtungen für meine Untertanen .
Es möchten vielleicht Hindernisse für unsere Plane in den nächsten Zeiten entstehen ; diese Summe , denke ich , soll hinreichen , sie fürs erste sicher zu stellen .
- Leben Sie wohl , mein bester Freund . -
Er 45 wandte das Gesicht von mir ab , aber ich hatte eine ungewöhnliche Spannung in seinem Wesen wahrgenommen , seine Hand schien zu zittern , als er mir den Beutel reichte .
Die Ahnung eines Unglücks flog durch meine Seele , und als ich meine Arme nach ihm erhob , um seine Hand zu drücken , und noch ein Wort von ihm zu vernehmen , gab er dem Pferde die Sporen , und war mir pfeilschnell aus den Augen .
Noch einmal sah er sich nach mir um , und seitdem sah ich ihn nie wieder .
Es sind achtzehn Jahr verstrichen , aber noch liegt jener Augenblick als gegenwärtig in meiner Seele , und nie sehe ich den kleinen Fußsteig , der 46 in den Wald führt , ohne daß alle Schrecken seines Abschieds mich überfallen .
Dort ritt er hin , und warf den letzten , gewiß schmerzlichen Blick auf sein Eigentum .
Alle Herzen waren sein , und er in dem blühenden Mannsalter von dreißig Jahren , mit einer Fülle der Taten im Busen , mußte das alles verlassen !
Die Unruhe jener ersten bangen Tage seines Verschwindens ist unaussprechlich .
Ich fand die Summe von zweitausend Talern in dem Beutel , und dieses vermehrte meine Besorgnisse , als seien sie ein Vermächtnis , wenigstens deuteten sie eine lange Abwesenheit an .
Ich kannte seine Vermögensumstände , seine Güter waren nicht schuldenfrei , und nur durch eine sehr strenge Ökonomie in allen Ausgaben für 47 seine Person gewann er den Überschuß , den er zum Besten seiner Untertanen verwendete .
Seit fünf Jahren , die er hier verlebte , sah ich ihn immer nach dem festen Plan handeln , seine Güter von Schulden zu befreien , und sich durch kluge Wirtschaft eines unabhängigen Einkommens zu versichern .
Die Summe von zweitausend Talern konnte er nicht erübrigt haben , und es mußte eine fremde gewaltsame Lage ihn nötigen , von seinem Plan abzugehen .
Oft hatte er mir gesagt , wie glücklich er durch das Gefühl sei , frei und unabhängig auf seinen Gütern zu leben , und wie kein anderes Verhältnis ihn anziehen könnte , weil ihm keines so natürlich 48 und ehrwürdig schiene .
Die Untertanen , welche gewohnt waren , ihren Herrn alle Sonntage bei ihren Vergnügungen zu sehen , bestürmten mich mit Fragen nach ihm , und ich mußte suchen , meine quälende Unruhe zu verbergen . Seinem Jäger und Verwalter hatte er , gleichsam im Scherz , weil er eben überflüssig Geld habe , ihren Lohn auf drei Jahre vorausbezahlt .
Ich schickte sie und einige meiner zuverlässigsten Bauern in der Gegend umher , aber keiner konnte eine Spur von dieses geliebten Herrn Aufenthalt entdecken .
So vergingen mehrere Wochen , die Bauern wurden immer unruhiger und drangen mit Fragen in mich .
Als ich endlich sagen mußte , ich wisse eben 49 so wenig als sie , und teile ihre Besorgnisse , entstand ein allgemeiner Jammer .
Sie liefen stürmend im ganzen Schlosse umher , und am selbigen Abend durchsuchten sie das ganze Jagdrevier und alle Wälder der Gegend mit Fackeln , und behaupteten , man habe ihren geliebten Herrn ermordet , und sie müßten die Mörder ausfindig machen .
Keiner wollte an seine Arbeit , bis sie ihn gefunden hätten ; es war in der Erntezeit , aber sie liefen lieber Gefahr ihren Unterhalt für das ganze Jahr zu verlieren , ehe sie sich vorwerfen wollten , nicht alles für ihren Herrn getan zu haben .
Nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen hörten sie endlich auf meine Ermah-50 nun , ihr Schmerz wurde stiller , und sie gingen wieder an ihre gewohnte Arbeit .
Die Hoffnung , welche ich ihnen machte , daß die Entfernung ihres Herrn von kurzer Dauer und freiwillig sei , weil er für sie bei seiner Abreise gesorgt habe , stellte am besten Ruhe und Ordnung wieder her .
Ich selbst nährte diese süße Täuschung , bis ich eine Reise nach S. unternahm , wo ein vertrauter Freund meines Herrn sich aufhielt .
Dieser bat mich , alle Nachforschungen einzustellen ; er schien mit dem traurigen Geheimnis seiner Flucht bekannt zu sein .
" Sehen Sie unseren Freund als einen Toten 51 an , er kann uns nur durch ein Wunder wiedergegeben werden , meine Pflicht erlaubt mir nicht Ihnen mehr zu sagen . "
Diese Worte schlugen alle meine Hoffnungen danieder .
Der Herr von Salm wußte es bei der Ritterschaft durchzusetzen , daß er , als Mitbelehnter , auch die Administration des Gutes erhielt ; er zog nach einem Jahre ein ; man fand alles im besten Stand , und keine neue Schuld im Verzeichnis angezeigt .
Den Schreibtisch in unseres Herrn Kabinett fand man ganz leer , und der Jäger sagte :
er habe in den letzten Tagen viele Papiere verbrannt .
Nirgends konnte ich seitdem eine Spur seines Aufenthalts entdecken .
Vor zwei Jahren starb sein Freund in S. , und mit ihm 52 ist meine letzte Hoffnung verschwunden .
Der Fremde wurde immer bewegter , und drückte meinem Vater mit feuchten Augen die Hand , sah dann lange stumm vor sich hin , und als die Tränen von neuem seine Augen schwellten , verbarg er das Gesicht in seinen gefalteten Händen .
So oft ich diese Geschichte auch schon gehört hatte , so hörte ich sie doch immer mit gleichem Interesse , und von Kindheit an war es meine liebste Unterhaltung gewesen , meinen Vater von seinem verschwundenenFreund erzählen zu hören .
Wenn die Ältesten des Dorfes an schönen Sommerabenden unter den Linden versammelt waren , und ich mit meinem 53 Vater vom Spaziergang zurückkommend bei ihnen ausruhte , kam wohl einer , legte ihm traulich die Hand auf den Arm , und flüsterte ihm ins Ohr :
Ja unser Herr sollte wiederkommen !
Mehrere kamen herbei , und man sprach von seiner Regierung und sehnte sich nach ihr zurück , wie nach der goldenen Zeit .
Der lebhafte Eindruck , den diese Geschichte auf unseren Gast machte , freute mich innig .
Mir war es , als machte ihn dieser Anteil an einen so oft wiederkehrenden Gegenstand unserer Gespräche noch heimischer in der Familie ; auch ergriff mich eine dunkle Ahnung , er sei in das geheimnisvolle Schicksal jenes so geliebten Mannes enger verflochten , als er es 54 äußere .
Es war ein bedeutendes Schweigen in dem kleinen Zirkel ; unsere Herzen näherten sich einander ohne Worte ; die junge Familie von Salm unterbrach es zu meinem Verdruß .
Die Fräulein hatten ihren Sonntagsstaat angelegt , da sie von einem Fremden gehört hatten , und kamen mit zierlichen Verbeugungen und einer französischen Exklamation zur Türe herein .
Nachdem sie den Fremden steif und vornehm gegrüßt hatten , musterten sie ihn von Kopf zu Fuß mit neugierigen Augen , und flüsterten dann zusammen : obgleich seine Kleidung nicht nach dem neuesten Schnitt sei , so habe er doch einen vornehmen Anstand .
Er hatte für die Verbeugung höflich gedankt , und nach einigen flüchtigen Blicken auf die Damen , zog er sich mit meinem 55 Vater in ein Fenster zurück .
Die Fräulein sprachen viel über ihre Reise nach S. , von den vornehmen Familien , mit denen sie dort Bekanntschaft zu machen dächten , und von ihrer Verwandtschaft mit ihnen .
Sie sprachen von diesem allen mit ungewöhnlich lauter Stimme , aber da alle Versuche , die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zu ziehen , fehlschlugen , flüsterten sie wieder heimlich zusammen : es sei schwerlich ein Mann von Stande , da er keine der guten Familien dieser Gegend zu kennen schiene .
Das Geflüster , welches sich die jungen Damen oft bis zu einer beleidigenden Art über einen dritten erlaubten , den sie für unbedeutend hielten , 56 war mir unerträglich ; ich schlug ein Spiel vor .
Die Fräulein , die nun einmal die Hoffnung aufgegeben hatten , durch ihre glänzende Unterhaltung die Aufmerksamkeit unseres Gastes zu fesseln , überließen sich nunmehr auch ganz ihrer ungebundensten Laune , und wählten die blinde Kuh .
Das nächste Zimmer wurde geöffnet , und der junge Salm mußte sich die Augen verbinden .
Er tat es nur nach wiederholten Neckereien seiner Schwestern , da er noch immer eine hohe Meinung von dem Fremden hegte , und noch hoffte , seine Gelehrsamkeit in einer Lücke des Gesprächs einzuschieben .
Endlich kam das Spiel in Gang , und ob ich gleich immer mit 57 der halben Seele bei meinem Vater und dem Fremden war , so konnte ich doch nur abgetrennte Worte vornehmen .
Ich hörte meinen Namen wiederholt nennen , sie sprachen eifrig , die Augen des Fremden suchten mich oft , und leuchteten mir wie ein Blitz in die Seele ; bei jedem Stillstand des Gesprächs nahte er sich unserem Spiel immer mehr , und schien es mit Anteil anzusehen .
Die Fräulein blieben mit ihren hohen Absätzen und langen Schleppen überall hängen , und liefen so ungeschickt , daß sie oft hinfielen , während ich in meinem leichten Hausanzuge und platten Schuhen leicht forthüpfte .
Es freute mich nicht wenig , zu fühlen , daß die 58 Augen unseres Gastes nur mir folgten , und zum erstenmal bemerkte ich mit Vergnügen , wenn unsere Schatten auf der weißen Wand durch einan der hüpften , daß ich eine schlankere Gestalt hatte , als meine Gespielinnen .
Endlich kam die Reihe an mich , die Augen zu verbinden .
Ich lief ein paar Minuten im Zimmer umher , dann nach der Tür , wo mein Vater und der Fremde standen , und faßte den Letzten beim Arm , um ihn in unser Spiel zu ziehen .
Ich tat dieses in einem Ausbruch fröhlicher Jugendlaune , die mich leicht bei solchen Spielen ergreift ; selbst meinen Vater neckte 59 ich oft so .
Als ich schon des Fremden Arm gefaßt hatte , fiel mir erst ein , mich zu fragen , ob ich dieses auch hatte tun sollen ?
Und mein unbefangenes Gemüt wunderte sich wieder über diese Frage , da es ihren geheimnisvollen Sinn noch nicht verstand .
In dieser Verwirrung hielt ich immer den Arm fest , bis er sich von meiner Hand losmachte , und meinen Leib umfaßte .
Süßer Moment des Lebens , wo Sinn und Geist zuerst in der holden himmelanstrebenden Flamme emporfliegen , wie allgegenwärtig bleibst du einem zartfühlenden Gemüt !
Ich war anständig erzogen , in der höchsten Reinheit und Keuschheit des Sinns und der Einbildung ; dies war der erste 60 Mann , gegen den ich meine volle Weiblichkeit empfand .
Ich fühlte mich seit seiner Gegenwart von jenem magischen Gewebe umsponnen , das die Blicke der Liebe zu erzeugen scheinen , und in dem all unser Tun zarter , feiner und bedeutender wird .
Bei seiner Berührung bebten meine Nerven , und eine hohe Heiligkeit schwebte um sein Wesen , die schauernd meinen Busen beklemmte .
In diesem Namenlosen süßen Gemisch der ersten Regungen des Herzens stand ich sprachlos , und versuchte nicht der süßen Gewalt , die mich umwand , zu entfliehen .
Fallen Sie nicht , liebes Kind , sagte er sanft , als ich endlich seinen Arm leise wegrückte , und umfaßte mich von neuem .
Ich suchte meine tiefe Bewegung durch einen Scherz 61 zu verbergen , und verlangte , er sollte an meiner Stelle ins Spiel .
Er löste mir das Tuch um die Augen ab .
Als ich ihn ansah , waren seine Blicke fest auf mich gerichtet , und eine unaussprechliche Lieblichkeit milderte ihren Ernst .
Sie haben mich also gefangen , Liebe ; wollen Sie mich auch fest halten ? sagte er mit dem zartesten , doch halb ernsten Ton , der in der Modulation seiner klangvollen Stimme meine tiefste Seele ergriff .
Er mischte sich nun auf eine leichte , fröhliche Art für einige Momente in unser Spiel ; seine schöne Gestalt und die große Leichtigkeit und Grazie seiner Bewegungen entfaltete sich in vollem Reiz .
Als er sich zurückzog , 62 gab er mir die Binde zurück , und sagte :
ich hätte ihn um zwanzig Jahre verjüngt ; eigentlich dürfe man Amors Binde im vierzigsten nicht mehr tragen .
Er sah mich bei den letzten Worten scharf an ; mir war , als suchte er eine Widerlegung in meinen Blicken .
Bald hernach bat er meinen Vater um die Erlaubnis , sich zur Ruhe zu legen , indem er sehr ermüdet sei , und morgen eine starke Tagreise vor sich habe .
Er ging sachte aus dem Zimmer , ohne weder mich noch die andere Gesellschaft zu grüßen .
Mein Vater folgte ihm .
Als er zur Tür hinaus war , ergossen sich die Fräulein mit ihrem Bruder in tausend Vermutungen und Fragen über die Erscheinung dieses 63 Fremden .
Nicht weniger drangen sie in mich , alle kleinen Umstände seiner Ankunft zu erzählen .
Die Gegenwart meines Vaters machte sie etwas zurückhaltender .
Er hatte einen edlen Ton in seinem Hause eingeführt , und alles unnötige leere Geschwätz wurde soviel als möglich verbannt , weil es nur aus kleinen Gesinnungen entsteht , und sie auch wieder nährt .
Der junge Salm , der doch den Wert des Geistes und der Kultur genug erkennen konnte , um große Achtung dafür zu äußeren , ergoß sich in Lobeserhebungen über den Fremden .
Ein vortrefflicher Mann ! rief er mit jenem affektierten Enthusiasmus , in den Seelen von geringen Fähigkeiten leicht verfallen : in Wahrheit ein vortrefflicher Mann ! begann er von neuem , wie 64 er schön und bieder spricht , welch ein Feuer in seinem Auge , und wie etwas Großes und Vornehmes in seinem ganzen Benehmen liegt , als stehe ihm alles an , was er zu tun gedenkt , und als sei er überall der Herr .
Und durch Simplizität und Verstand Herr , sagte mein Vater , welches die beste Herrschaft ist .
Die Fräulein fielen auch ein , und fanden , er habe gute Fassons ; einen Tadel , der schon auf den Lippen schwebte , schienen sie nur aus Furcht vor meinem Vater zu unterdrücken Im Ganzen schien es ihnen doch aufgefallen zu sein , daß die wenige Aufmerksamkeit , die er der ganzen jungen Gesellschaft bezeigt hatte , nur einzig auf mich ge-65 richtet war .
Wie froh war ich , als die Gesellschaft endlich Abschied nahm , und mich meinem Herzen überließ !
Mein Vater gab mir sogleich gute Nacht , und hieß mich das Frühstück gegen sieben Uhr bereiten .
Selbst meinen Vater verließ ich gern , zum erstenmal in meinem Leben .
Ich ordnete das nötigste für den morgenden Tag , und ging in mein Zimmer .
Ich sank auf einen Stuhl neben dem Bette , und überließ mich den lieblichen Bildern , die allgewaltig auf meine Seele eindrangen .
Nur der vergangene Abend lag mir vor den Sinnen , aber in welchen 66 Zauberfarben , die mein ganzes Dasein überglänzten , wie eine neu hervorbrechende Sonne !
Mein Wesen ging mir in einer nie empfundenen erhöhten Kraft auf , eine Welt süßer Ahnungen umfaßte mich , und statt in flacher Dämmerung lag das Leben mit seinen Höhen und Tiefen klar vor meinem geistigen Auge .
Immer fühlte ich den Druck seiner Hand aufs neue wieder , kindisch legte ich die meine auf die Gegend des Armes , die er berührt hatte , um gleichsam den Eindruck fest zu halten , und ihn in allen meinen Nerven wiedertönen zu lassen .
Holdes Zaubergefühl der Liebe , wo Sinn und Geist sich in einem allge 67 waldigen Klang vermählen !
Ich genoß diese einzigen Momente , voll und rein , in allem Reiz der süßen mystischen Dämmerung , die die Freuden der Liebe im Busen eines sittsam erzogenen Mädchens umschleiert .
Mich hinzugeben dem unaussprechlichen , hohen und schönen , der mir als eine Göttergestalt erschien ; in ihm , durch ihn nur zu leben , zu empfinden , - alles dieses ging mir in der Seele auf , und mein Inneres zerfloß in der Gewalt und im Wechsel dieser seligen Bilder .
Die Stunde der Mitternacht ging so vorüber , und vergebens legte ich mich zum Schlummer , nachdem ich mir ein nettes , weißes Morgenkleid zurecht gelegt hatte .
Holde Träume 68 umfingen mich , und der Geliebte erschien mir in tausend Gestalten und unter tausend verschiedenen Situationen .
Der Morgen begann . -
In wenigen Stunden wirst du ihn sehen , sagte ich mir - und die sonderbare Furcht , mit welcher der Mensch allem hoch und heilig geachteten begegnet , ergriff mich .
Die schlaflose Nacht bewirkte auch noch physische Ermattung ; mit zitternder Hand kleidete ich mich an , und schlich leise durch Rosinen Zimmer , um sie noch eine Stunde Schlaf genießen zu lassen .
Kaum wagte ich zu atmen , als ich auf dem Vorsaal an der Tür des Geliebten vorbei kam .
Aufs neue ergriff mich 69 das Bild des vergangenen Abends , als ich in das Wohnzimmer trat ; die Magd war noch nicht aufgestanden , es zu reinigen , und es lag und stand noch alles umher , wie ich es am Abend verlassen hatte .
Ich setzte mich auf den Stuhl , wo der geliebte Mann gestern gesessen hatte .
Das Morgenrot flammte in Osten , die Häupter der Berge waren verklärt , und bald von Strahlen übergoldet .
Die ferne Gebirgkette , und die niederen Hügel , die unser Tal einschlossen , schwammen im blauen Dufte des Herbstes , und das harmoniereichste Farbenspiel belebte die liebliche Landschaft .
Silbern glänzte der Fluß aus den Schatten des Ufers , die sich allgemach 70 verloren .
Wie neu erschien mir diese liebe , so bekannt gewordene Gegend .
- Sein Bild war gemischt mit allem was mir erschien , und alles Schöne schien mir nur ein Teil seines Wesens .
Die Magd trat herein , um das Zimmer zu reinigen , und nur um die Sonderbarkeit meines früheren Erwachens zu entschuldigen , berief ich sie über ihr spätes Aufstehen .
Es ist so spät noch nicht , erwiderte sie , und der Fremde wird auch gerne ausruhen wollen .
Diese Worte , die ersten die ich an diesem Tage vernahm , - sie trennten mich auf einmal von meiner inneren Welt freundlicher Bilder , wie die feindliche Schere der Parzen das Leben von dem goldenen Lichte des Tages .
Der Fremde ! wiederholte ich bei mir selbst ; das ist er , und wird 71 es vielleicht immer für dich bleiben , und du räumtest ihm dein ganzes Herz so leicht ein .
Die Tränen stürzten aus meinen Augen , und ich eilte ins Kabinett meines Vaters , welches ich alle Morgen selbst mit leisen Schritten aufräumte , um durch kein unzeitiges Geräusch seinen Morgenschlummer zu unterbrechen .
Der Vorhang innerhalb der Glastür war verschoben , und ich sah sein Gesicht gegen die Tür gewendet .
Welche Würde und heitere Stille schwebte über der reinen Stirn , deren Falten nur ruhiges Denken gezeichnet hatte ! - welche Lieblichkeit atmete der sanft geöffnete Mund , um welchen Anteil , Mitleid und sorgliche Liebe sanfte Linien gezogen !
Die 72 milde segnende Hand lag auf der Decke , und drückte sanft auf die leis atmende Brust .
Diese Stille umfing mich , und mein Busen wallte leichter und stiller .
Ach für diese Beiden zu leben ! sagte ich bei mir selbst ; keiner ohne den anderen kann mich ganz glücklich machen !
Ich vollführte mein gewöhnliches Geschäft , und ging dann in die Küche , um das Frühstück anzuordnen .
Nachdem alle häuslichen Geschäfte geordnet waren , setzte ich mich an das Pianoforte , um das Erwachen meines Vaters zu erwarten .
Kaum hatte ich Naumanns Kora aufgeschlagen , und ein paar herzerhebende Akkorde 73 aus dem schönen Chor :
Geist aller Welten etc. gegriffen , so hörte ich die Tür sich hinter mir öffnen .
Mein Herz schlug hoch , und die Noten verwirrten sich vor meinen Augen .
Es war der geliebte Mann , und aller Zauber meiner Träume schwebte um seine Gestalt .
Die Furcht , meine Empfindungen möchten auf meinem Gesicht ausgedrückt sein , brachte mich in beinahe schmerzliche Verwirrung .
Er grüßte mich sanft , seine Stimme schien mir noch rührender , als am vergangenen Abend .
Er ließ mich nicht vom Klavier ausstehen , und begleitete meine zitternden Noten mit dem reinsten vollkommensten Gesang .
Ruhe durchströmte mich , die Morgenröte flammte um uns her , und der erhabene Sinn dieser Musik 74 füllte meine Seele ; ich konnte ihn bald mit meiner Stimme begleiten , und unser Gesang floß so rein in einander , wie der Odem der Liebe .
Mein Vater kam noch während des Gesangs aus seinem Kabinett , und blieb still hinter uns stehen .
Als ich ausgespielt hatte , ging der Fremde freundlich auf meinen Vater zu , und faßte seine Hände .
" Wir hielten unser Morgengebet ; lieber Vater , möchte ich jeden Tag mit so reiner Andacht beginnen !
Der stille Geist Eures Hauses hat mich ergriffen , Ihr seid glücklich , Euch fehlt nichts , mir fehlt auch nur eines - und vielleicht können Sie mir_es 75 geben . "
- Er drückte hier des Alten Hände heftiger an seine Brust , und seine Augen fielen auf mich ; ich stand bebend auf , den Stuhl ans Klavier gelehnt .
Mein Vater sah ihm heiter ins Auge , und als er seine Hände nicht los ließ , sagte er sanft : " Gern , gern , wenn ich_es kann ! "
- Ich konnte mich nicht länger halten , schlich mich an dem Fremden vorbei , und eilte an ein Fenster auf den Vorplatz ; die Tränen stürzten aus meinen Augen .
Als ich mit dem Frühstück zurück kam , schien mir es als hätte ich die Unterredung gestört ; mein Vater schien sehr ernsthaft , der Fremde bewegt , und es schien eine Wolke vor seiner Stirn zu liegen .
Der Ring 76 blickte mir wieder ins Auge , indem er nachdenklich seine Tasse Kaffee ausleerte , und der Nahme zog wie eine Last mein Herz aus der goldenen Zauberwelt zurück .
Der Nahme ist nicht unbedeutend , sagte ich bei mir selbst ; ein so feinsinniger Mann trägt kein Zeichen des Andenkens , als wenn es ihm herzlich wert ist .
Ob er nur eine Schwester hat ?
Als er bei einer kleinen Abwesenheit meines Vaters sich mir näherte , sanft die Locken berührte , die über meine Schultern wallten , und dann mit bewegter , leiser Stimme sprach : Gutes , liebes Kind , o möchte ich etwas für Ihre Glückseligkeit tun können !
dann schwoll mein Herz wieder in freundli 77 chen Hoffnungen , und der Nahme war vergessen .
Er machte sich reisefertig , ein Schauer faßte mich , als er Hut und Stock ergriff : - vielleicht sehe ich ihn zum letztenmal , sagte mir eine Unglück weissagende Stimme in meinem Inneren , denn er hatte nichts geäußert über seinen Aufenthalt , noch seine übrigen Verhältnisse .
Bebend stand ich , und hielt mich am Fenstergesims , denn meine Knie fingen an zu wanken , während er von meinem Vater mit einer treuherzigen Umarmung Abschied nahm .
Nun nahte er sich mir , schlang sanft den einen Arm um meinen Leib , und drückte seine Lippen auf meine glühende Wange . -
Vergessen Sie mich nicht , - sprach er mit holder Stimme , und kaum konnte ich die hervor 78 stürzenden Tränen zurückhalten .
Schon war er an der Tür , und sah noch einmal auf mich zurück , als wir das Rollen eines ankommenden Wagens vernahmen .
Er warf einen Blick aus dem Fenster , und befahl dem Kutscher zu halten :
er würde augenblicklich einsteigen ; aber eine Dame rief ihm aus dem Kutschenfenster zu , sie wünsche hier eine halbe Stunde auszuruhn .
Er erwiderte , sie hätten wenig Zeit zu verlieren ; aber sie war schon beim Aussteigen , ehe sie seine Antwort ganz vernommen hatte , und mein Vater war an die Tür geeilt , sie zu empfangen .
Der Empfang der Dame ließ mir keine Zeit , mich meinen Empfindun 79 gen zu überlassen ; aber ich war in der düsharmonischsten Stimmung .
Freude über die aufgeschobene Abreise , und diese neue Erscheinung , die sich so schnell zwischen meinen Freund und mich drängte , kämpften in meinem Busen .
Sein Betragen schien mir gezwungener , seitdem sie unter uns war , und drückte doch Achtung und Neigung für sie aus .
Ihre Züge waren schön , aber sie versprachen mehr Verstand , als Gefühl .
Der Firnis der feinen Welt , der über ihr Betragen gezogen war , entfernte mich , ohne mir zu missfallen .
Sie begegnete mir auch nur mit jener , Menschen von feinen Sitten mechanisch gewordenen Gefälligkeit .
Ihre Entfernung , mein liebster Freund , hat mir Sorgen gemacht , sagte 80 sie halb laut in französischer Sprache ; ich fürchtete , es wäre Ihnen ein Unfall begegnet .
Er dankte mit einer Beugung des Kopfes für ihre Teilnahme , und wandte sich dann gegen uns . -
Ich habe in dieser liebenswürdigen Gesellschaft einen der glücklichsten Abende meines Lebens zugebracht , und wünschte , Sie hätten ihn mit mir genossen .
Die Dame sah mich scharf an , und zeigte mir nach dieser Äußerung mehr Aufmerksamkeit .
Nicht ein Wort entfiel , aus welchem mir ihr gegenseitiges Verhältnis hätte klar werden können .
Es schien mir große Vertraulichkeit zwischen ihnen zu herrschen ; vergebens wünschte ich den Namen Schwester zu 81 hören , und ich wagte es nicht , auszudenken , daß sie vielleicht verheiratet sein könnten .
Als ich nach einem kleinen Geschäft ins Zimmer zurückkam , fühlte ich , daß man von mir gesprochen hatte .
Die Dame bat mich , neben ihr zu sitzen , nahm meine Hand , freute sich , mich so unvermutet kennen zu lernen , und hoffte , wir würden uns bald und öfters wiedersehen , um uns näher zu kennen .
Sein Auge war mit innigem Wohlgefallen auf uns geheftet .
Ich fing an , die Dame als ein Band zwischen ihm und mir anzusehen ; dieses gab vielleicht meinem Betragen gegen sie die Farbe der Neigung .
Ach , ihn zu sehen , in seinem Kreise zu atmen , wie viel schien 82 mir dieses in dem Augenblicke der Trennung !
Die Dame sprach viel und scharfsinnig mit meinem Vater über Literatur , fremde Länder und Sitten .
Wie interessant könnte mir ihr Umgang sein , wenn sie die Schwester des geliebten Mannes wäre !
Zum zweitenmal kam der Moment des Abschiedes , aber die Lage war verändert .
Die Reinheit der ersten ungemischten Empfindung war durch die Dazwischenkunft der Dame mit mehreren kleinen Leidenschaften gefärbt .
Am mächtigsten wirkte der Stolz , die tiefen Bewegungen meines Herzens den Augen eines scharfbeobachtenden Weibes verbergen zu 83 wollen .
Ich folgte der Gesellschaft mit einer sonderbaren Dumpfheit des Sinnes an den Wagen .
Wir werden uns wieder sehen , mein bestes Kind , sagte die Dame , als sie mich beim Abschied umarmte ; Ihr guter Vater hat es mir zugesagt .
Der Geliebte drückte noch einmal schweigend meine Hand an seine Lippen ; er sagte kein Wort , das Hoffnung des nahen Wiedersehens zeigte .
Lieber Vater , sagte er noch mit einem Blick stiller Liebe zu uns , man steigt vom Himmel auf die Erde , wenn man von Ihnen scheidet ; geben Sie mir Ihren Segen !
Aber wie schmerzlich bebte mein Busen , als er sich gegen die Dame mit den Worten wendete : " Liebe 84 Amalie , nicht wahr , Sie fühlen es mit mir , daß man dieses gastfreundliche Haus nur ungern verlassen kann ? "
Das ist also diese Amalie , sagte ich bei mir selbst .
Ach ein glückliches , glückliches Weib , so an der Seite des liebenswürdigsten Mannes durch die offene schöne Welt zu fliegen !
Süßes Geschäft , für ihn zu sorgen , und wieder die zarte Sorge seiner Liebe zu sein !
Mein Vater blieb gedankenvoll neben mir stehen , bis das Rasseln des Wagens in der weiten Ferne verstummte , faßte dann meine Hand , und hieß mich einige Stunden ruhen .
Ich zitterte bei seiner Berührung .
Der Gedanke , mit ihm allein zu sein , mit ihm , in dessen Gegenwart kein 85 Geheimnis in meiner Seele bleiben konnte , ergriff mich , und in schmerzlicher Bewegung sank ich weinend an seine Brust .
Mein gutes , gutes Kind , sagte er mit tröstender , weicher Stimme , Du bedarfst der Ruhe sehr , suche einige Stunden Schlummer zu finden , Deine Nerven sind verspannt ; Du findest mich im Garten .
Vergebens suchte ich dem Rat meines Vaters zu folgen ; der Schlaf floh mein bewegtes Gemüt .
Ich ging an meine Hausgeschäfte , und das liebste war mir , das Zimmer des Fremden wieder in Ordnung zu bringen .
Mein Vater war still und nachdenkend beim Mittagsessen , aber voll zarter 86 Teilnahme gegen mich .
Als ich mich nach Tische wieder entfernen wollte , hieß er mich ihn in den Garten begleiten .
Wir saßen an einem kleinen Hügel , von dem wir die freie Aussicht in ein enges Tal hatten , wo zwischen dunklen Fichten ein Waldstrom hinbrauste .
Er zog seinen Homer aus der Tasche , und las die rührende Klage Andromache's .
Das Gefühl meines eigenen Leidens floh , mein ganzes Wesen war von Andromache's Schmerz durchwühlt , und als der Zauber der hohen Dichtung von mir wich , war meine Seele wie rein gebadet durch einen Strom des erhöhten Lebens .
Ich liebte , aber ich liebte reiner ; meine Sehnsucht war still und lieblich . 87 Das Bild des Geliebten lag in meiner ruhigen Brust in alle seiner Schönheit , einfach und groß , wie der Mond auf der Fläche des ruhigen Sees .
So hörte die Liebe auf , eine Krankheit für mich zu sein .
Die Tage der Woche gingen in dem gewohnten Zirkel einfacher Beschäftigungen hin .
Alles hatte seine Zeit , aber alles war so weise verteilt , daß jedes pedantisch lästige Ansehn dabei vermieden war .
Wer die Wohltat des einförmigen Lebens nie empfunden hat , der sieht nur Langeweile dabei ; aber wer es gekannt hat , wie die Seele nach Zerstreuungen und Weltgewühl ihr besseres Ich in einer tätigen Einsamkeit wieder findet , wie sie sich endlich der äußeren Stille und Ordnung anschmiegt , und sie in sich einsaugt , der 88 wird vielleicht diese Lebensweise die glücklichste nennen .
So verwebte sich das Bild meines Freundes mit allen meinen Beschäftigungen , aber sanft waren die Wallungen des Verlangens in meinem Busen , und zart die Sehnsucht .
Mein Vater war noch sorgsamer und zärtlicher gegen mich als gewöhnlich ; wenigstens schien seine Aufmerksamkeit noch ununterbrochener auf mich gerichtet zu sein .
Rührend war mir sein Schweigen über die neuen Bewegungen meines Herzens .
Er fühlte sie tief , aber mit zarter Schonung vermied er jedes Wort , das eine Erklärung hätte herbeiführen können .
Solche Momente des Schweigens erzeugen 89 Jahre der Freundschaft ; die Seelen scheinen sich inniger zu nähern , als bedürften sie schon der Worte nicht mehr .
Aber dieses Schweigen , mir so wert und meinem wunden Gemüt so wohltätig , dünkte mir auch ein Beweis zu sehen , daß meine Liebe hoffnungslos sei .
Ach diese Amalie ist sein Weib ! sagte mir oft eine Stimme im Inneren , aber eine andere widerlegte die erste .
Nein , er würde sich nicht erlaubt haben , dir mit solcher Herzlichkeit zu begegnen .
Lag nicht in seiner Rede der ganze Sinn , daß er mich zu besitzen wünsche ?
So gern gab mein hoffendes Herz der zweiten Stimme Gehör ! 90 In Rosinen Betragen war eine sonderbare Feierlichkeit .
Nach meines Vaters Beispiel war auch zwischen ihr und mir alles unnütze Geschwätz verbannt , und wir respektierten uns gegenseitig zu sehr , daß wir nicht hätten wünschen sollen , uns immer nur etwas Passendes und Vernünftiges zu sagen .
Rosine , die noch mit der alten Gewohnheit der Schwatzhaftigkeit zu kämpfen hatte , und die sich überdem bei mir , ihrem Zögling , der dankbarsten Achtung so gewiß hielt , überließ sich doch zuweilen in der Abwesenheit meines Vaters ihrer geschwätzigen Laune .
Jetzt wartete ich seit mehreren Tagen vergebens auf ein Wort über die neue Begebenheit , die in einem so einförmigen Leben notwendig Eindruck auf sie gemacht 91 haben mußte .
So gern hätte ich den geliebten Namen von irgend einem lebendigen Wesen aussprechen hören .
Es wäre mir ein Zeugnis der Wirklichkeit für die ganze Szene gewesen , die oft als ein leichter Traum aus meiner Seele zu entfliehen drohte .
Mehrere Tage verstrichen ohne Nachricht von dem Fremden .
Mit neugieriger Eile nahm ich alle ankommenden Briefe in Empfang , und besah alle Aufschriften und Siegel genau , denn ich kannte den großen Korrespondentenzirkel meines Vaters .
Am fünften Posttage endlich erschi 92 en ein Brief mit großem unbekannten Siegel ; mit zitternder Hand reichte ich ihn meinem Vater beim Aufstehen , und vergaß vor glühender Ungeduld das Frühstück herbeizuholen .
Der Alte besah Aufschrift und Siegel , legte den Brief langsam auseinander , und setzte sich zum ruhigen Lesen .
Ich kannte alle feinen Falten auf dem stillen Gesicht meines Vaters ; mit Zittern nahm ich die Wirkung wahr , welche der Inhalt dieser Zeilen auf ihn machte , ein gewisses Staunen , in dem noch etwas Freudiges lag , das aber bald in eine Wolke des Schmerzens vor seiner Stirn verschwand .
Meine Unruhe wuchs , als er den Brief hastig einsteckte , und mit einer 93 ruhig sein sollenden Miene nach dem Frühstück fragte .
Der Tag verstrich , als wenn eine gewitterschwüle Luft den Atem preßt ; die gewohnten Geschäfte wurden getan , aber die gedankenschwere Stirn des Hausvaters verbreitete Düsterheit über alles .
Nach einem einsamen Spaziergang fand mich mein Vater bei seiner Zurückkunft allein im Zimmer ; ich fühlte mich gedrückt , da er den ganzen Tag vermieden hatte , mit mir allein zu sein , und hielt schon die Türklinke in der Hand , mich zu entfernen .
Bleibe , mein Kind ! rief er mir zu , ich habe dir sehr wichtige Dinge zu sagen , die mir das Herz pressen - und 94 die ich nur mit Geduld und Glauben an die ewige Güte mit Ruhe ertragen werde ; - die Zeit ist gekommen , wir müssen uns trennen .
Ich flog mit einem lauten Schrei an seinen Hals , seine Tränen träufelten auf meine Wangen , und wir hielten uns sprachlos umschlossen .
Nachdem unser Schmerz sich gemildert hatte , fuhr er mit zitternder Stimme fort :
Die Vorsicht hat mir deine Bildung anvertraut , mein bestes einziges Kind , und ich fand das süßeste Geschäft meines Lebens darinnen .
Gott hat mich nicht reich gemacht , aber ich machte mir es zur Pflicht , von meinem kleinen Einkommen jährlich so viel zurückzulegen , daß du nach meinem Tod für Mangel und Abhängigkeit sicher sein könntest .
Meine einzige 95 Sorge war , wo du leben würdest ?
Unter dem Zirkel unserer bisherigen Bekannten war niemand , dem ich dich mit ruhigem Gemüt hätte anvertrauen können .
Meine Freunde sind zu weit entfernt , und alle in Familienverhältnissen , die für dich nicht taugen .
Wir müssen uns nach einem Zufluchtsort für dich nach meinem Tode umsehen .
- Stille deine Tränen ; - einem siebenzigjährigen Mann muß der Tod so bekannt sein , als der Schlaf , und wir finden uns ja wieder beim Erwachen !
Ein heiterer Strahl fiel aus seinem Auge in meine Seele , und das Leben schwand vor mir hin als eine Wolke , mit seinen Freuden und seiner Not ; ich blickte gelassen zu meinem Vater und zum Himmel auf .
96 So sehr ich durch deine Entfernung leiden werde , mein bestes Kind , fuhr mein Vater fort , so danke ich doch der Vorsicht für den Wink zu einem künftigen Aufenthalt für dich , bei Menschen , die meine Achtung verdienen , und die durch Geisteskultur und feine Sitten dein Leben anmutig und glücklich machen können .
Die Dame , welche jüngst bei uns war , ist die Gräfin von Wildenfels .
Ihr Äußeres verspricht Feinheit und Bildung , aber ich kenne auch ihren Charakter durch einen meiner vertrauten Freunde , und ich kann dich ohne Sorge ihrer Führung anvertrauen .
Sie wünscht dich für den nächsten Winter zu ihrer Gesellschafterin , und will aus besonderem Anteil , welchen sie an dir nimmt , noch einige kleine 97 Talente dir erwerben helfen , die du in unserem einsamen Aufenthalt entbehren würdest .
Bist du mit der Gräfin und der neuen Lebensart zufrieden , so wird sie dich gern immer um sich haben .
Sie wohnt für jetzt in D .
" Ich werde ihn wiedersehen ! " war mein erstes Gefühl bei den Worten meines Vaters , aber die lieblichen Hoffnungen , welche bei diesem Gedanken meinen Busen füllten , wurden bald von dem schmerzlichen Gefühl der Trennung verscheucht .
" Du versuchst die neue Lage für ein halbes Jahr , " sagte mir mein Vater , als er meinen tiefen Schmerz wahrnahm ; " mißfällt sie dir ganz , so kehrst du zu mir zurück , schließest meine Augen , 98 und ich empfehle dich unserem himmlischen Vater .
Aber ich kann nicht wünschen , den Sonnenschein weniger Tage für mich durch den Frieden deines künftigen Lebens zu erkaufen .
Wende alles an , um dein Gemüt zu der neuen Welt gefällig zu stimmen , in welche du eintreten wirst . "
Schon in drei Tagen wollte mich die Gräfin durch ihre Kammerfrau abholen lassen .
Meine Seele zerfloß in schmerzlichen Gefühlen .
Alle Freuden einer glücklichen Kindheit , alle einsam genossene Stunden der erwachenden Jugendfantasie gingen in den Tagen der Trennung wieder auf , und drängten sich fester an mein Gemüt .
Ich ging durch das Dorf , 99 und empfing mit gerührtem Herzen den treugemeinten Segenswunsch der guten Landleute ; mein Vater , welcher den Verständigsten unter seiner Gemeinde gern Rechenschaft von seinem Tun und Lassen gab , hatte auch über meine Reise mit ihnen gesprochen , und ihnen gesagt , daß er sich um einen Aufenthalt für mich nach seinem Tode umsehen müßte .
Einige der Wohlhabendsten drangen mit Bitten in ihn , für die Zukunft nicht zu sorgen , und wollten mich durchaus zwingen , Geschenke anzunehmen , die für ihre Umstände ansehnlich waren .
In jedem Abschied , den ich nehmen mußte , fühlte ich schon den allerschmerzlichsten , den 100 von meinem Vater .
Die Salmische Familie empfing meinen Abschiedsbesuch mit ungewöhnlicher Feierlichkeit .
Ich umarme Sie vielleicht als eine große Dame , wenn wir uns wiedersehen , sagte mir die älteste Fräulein beim Abschied .
Ich achtete nicht mehr auf ihre Rede , als wie auf einen gewöhnlichen Mädchenscherz , und erzählte sie in diesem Tone Rosinen .
Die gute Alte sah mich einige Minuten lang forschend an , führte mich mit geheimnisvollem Schweigen in ihr Kabinett , und verschloß die Türe hinter uns .
Sie drückte mich an ihre Brust , bedeckte mein Gesicht mit Küssen und Tränen , und rief aus :
" Du bist unschuldig , bestes Kind , Gott sei Dank , 101 du bist unschuldig ! -
Ach ich war so traurig ; ich wähnte , du wüßtest um den Heiratsantrag des Fremden , und fürchtete deine Liebe und dein Vertrauen verloren zu haben , weil du mir nicht ein Wort darüber sagtest .
Jetzt sehe ich , daß ich dir Unrecht tat .
Schweigen konntest du gegen mich , aber dich verstellen und die Unwissende spielen , das kann mein aufrichtiges gutes Mädchen nicht . "
Von was schwatzest du , Mütterchen ? erwiderte ich , indem ich sie mit großen Augen anstarrte .
Liebes Kind , du sollst alles wissen , aber schweigen mußt du , selbst gegen deinen Vater , so hart es dir auch ankommen mag .
Nein , ich begreife deinen Vater nicht , 102 so sehr ich auch sonst alles recht getan finde , was er tut : - mir mag er es verzeihen , daß ich meiner Agnes alles entdecke .
Entsinnest du dich jenes Morgens , Liebe , als jener fremde schöne Mann bei uns war ?
Du verließest einmal schnell das Zimmer , und er blieb allein mit deinem Vater ; da war ich in dem Seitenkabinett .
Du weißt , es ist nur durch eine Bretterwand von dem großen Zimmer geschieden , und ich verstand alle Worte , die gesprochen wurden .
Da die Rede von dir war , half mein Herz meinem Gedächtnis , mir entfiel nicht eine Silbe der Un terredung .
Liebliches Geschöpf ! rief der Fremde aus , als du die Tür ge 103 schlossen hattest . -
O daß diese Wahrheit und Reinheit in deinem Wesen nie verfälscht werden möchte , ich wäre dann der glücklichste Mann , dich gefunden zu haben !
Mein Vater , unsere Gemüter sind eins in der Liebe der Wahrheit , unter uns braucht es keine Umschweife , Sie sollen mich ganz kennen , ich will Ihre Tochter ganz kennen , und ist alles , wie ich mir_es denke , wie Sie es wünschen , dann bitte ich aus voller Seele :
Vater gib sie mir zum Weibe ! und ich gelobe es Ihnen , sie soll ein glückliches Weib werden .
Sie kann sich nur selbst geben , sagte der Pfarrer .
Du seiest seine Tochter nicht .
Wessen Tochter sie ist , gilt mir gleich , erwiderte der Fremde .
Ich besitze die Eigenschaften , die die Väter meist bei einer 104 Heirat für ihre Töchter suchen , ich bin reich , und von hoher Geburt .
Aber wenn der Vater ihres Geistes mich wert findet , durch das holde Wesen glücklich zu werden , dann werde ich dreifach glücklich sein .
Ich frage nach nichts was ihr äußeres Verhältnis betrifft , weil ich unabhängig bin , aber Sie werden einen sonderbaren Mann finden , der Ihnen seine Seele öffnen wird ; - ich schreibe Ihnen .
Meine Adresse ist : Baron von Nordheim in D .
Über die äußere Existenz des lieben Kindes haben Sie keine Sorge von heute an .
Kann sie mein Weib nicht werden , so schenke ich ihr ein Vermögen , das sie unabhängig macht ; aber sie muß kein Wort von meinem Plane wissen .
Ihre Güte rührt mich tief , sagte mein Vater .
105 Tröstend wäre es mir , meine Agnes als Weib eines edlen Mannes auf der Welt zurück zu lassen ; ihre Geburt ist mir selbst noch ein unergründliches Geheimnis , und selbst meine Ahnungen darüber muß ich in meinen Busen verschließen .
Alles was ich sagen kann , ist - "
Du tratest wieder herein , mein Kind .
- Wunderbar , klar und leicht wurde mir bei dieser Erzählung .
Sein Weib , des liebenswürdigen Mannes nächstes innigstes Verhältnis !
ich dachte es mit stillem Entzücken .
Doch schämte ich mich beinahe , meinem Vater gegenüber , etwas gegen seinen Willen erfahren zu haben ; und die peinliche 106 Empfindung , ihm etwas verbergen zu müssen , ließ mich mit mehrerer Ruhe an die Trennung von ihm denken .
Der Tag des Abschieds brach an , alle namenlose Liebe , die ich empfangen hatte , füllte einzig meine Seele ; sprachlos lag ich zu den Füßen meines Vaters , als der Wagen vorfuhr .
Er wollte mich trösten , aber Tränen erstickten seine Worte :
Gott segne dich in Zeit und Ewigkeit , meine Tochter ! rief er mit zitternder Stimme .
Endlich schieden wir beide in jener stillen Erhebung der Seele , welche nur der tieferen Empfindung eigen ist .
Meine Begleiterin war ein gutes harmloses Geschöpf , das mir meine 107 neue Lage mit den glänzendsten Farben vorzumalen strebte .
Zum erstenmal dachte ich jetzt über meine Geburt und den Stand meiner Eltern nach .
Ich fand mich fremd und allein in der Welt , da ich aus den Augen meines Vaters war .
Das Gefühl war mir schmerzlich , und ich ermunterte mein Gemüt nur durch das Bestreben , sich selbst gleich zu bleiben , und keiner äußeren Lage Gewalt über mich einzuräumen .
Ernstlich nahm ich mir vor , meinen ganzen Sinn nur auf die Ausbildung der Talente zu richten , die ich jetzt erwerben konnte , und die meine Einsamkeit beschäftigen , und meine Unabhängigkeit in jeder Periode des Lebens mir versi 108 Kern sollten .
Reizend dachte ich mir es , durch eine feine Malerei eine Summe zu erwerben , und dann meinen Vater unvermutet mit einem Buche , welches er sich längst gewünscht hatte , zu überraschen .
Ach ich wußte , daß er sich manches versagte , um mir irgend ein kleines Geschenk zu machen !
Die Neigung , welche mein Herz füllte , war zu rein , als daß ich sie mit einer Aussicht auf äußeres Glück hätte verknüpfen sollen .
Wenn ich den geliebten Mann dachte , lagen alle Verhältnisse unter mir , so wie einer gläubigen Seele in dem Gedanken des Himmels alles irdische entschwindet . 109 Den zweiten Tag meiner Reise hielt ich Mittag in N** .
Die Kälte nötigte uns in der Wirtsstube zu bleiben , bis ein besonders Zimmer erwärmt wurde .
Mehrere Reisende befanden sich darinnen .
Außer den gewöhnlichen Fragen und Gesprächen , nahm niemand aus der Gesellschaft besondern Anteil an mir .
Ein Mann saß nachdenklich am Feuer ; als er mich erblickte , stand er auf und sah mich einige Minuten hindurch scharf an .
Wohin geht Ihre Reise , mein schönes Kind ? redete er mich an ; und als ich erwiderte : " nach D . " schüttelte er den Kopf einigemal bedeutend , und murmelte : so jung , so schön ! zwischen den Zähnen .
Er war ein Mann von mehr als mittlerer Größe , er trug einen dunkelblauen abgetragenen 110 Überrock , seine schwarzen Haare hingen zerstreut ums Haupt , und seine düstern Augen blickten scharf unter der hochgewölbten Stirn hervor .
Seine Wäsche war sehr fein und reinlich .
Er zog eine Schreibtafel hervor , bat mich um meinen Namen und um den Ort meines Aufenthalts .
Dann bat er mich , mich in ein günstiges Licht zu setzen , weil er mein Porträt zu zeichnen wünsche .
Sein Benehmen dünkte mir sonderbar , aber es war von solch einer Unbefangenheit begleitet , daß man ihm seine Bitten nicht wohl versagen konnte .
Sie sind unter einem glücklichen Zeichen geboren , rief er aus , 111 nachdem er einige Linien gezogen hatte .
Es ist nichts Streitendes in deinen Zügen , holdes Geschöpf !
O ermüde nicht , diese holde Einheit durch das innigste Streben deines Gemütes zu erhalten !
Deine ganze Tugend ist , das zu bleiben , wozu die Natur dich machte .
Dieses klare , blaue Auge vermag die Wahrheit vom Irrtum zu scheiden , und unter dem freien Gewölbe dieser Stirn entwickeln sich die Gedanken rein und zart .
Wie fein ründet sich das Näschen , noch schwankend , ob es sich mehr zur Vorsichtigkeit und Klugheit , oder zur gutmütigen , beinahe leichtsinnigen Hingebung formen wird .
Aber den Übergang von der Nase zur Lippe , den hat ein guter Engel mit dem Finger der Liebe gezeichnet .
Der Mund ist fest und unverstellt ; er sprach nur Wahrheit und Liebe .
Gutes Mädchen , 112 o laß deine unentweihte Lippen nie etwas anders reden !
Gott gebe dir eine glückliche Liebe , und du kannst ein vollkommenes Weib werden .
Er arbeitete während dieser Rede , die er ganz als einen Monolog zu betrachten schien , an seiner Zeichnung fort .
Als er die Hauptzüge entworfen hatte , hielt er mir das Blatt vor die Augen , und sagte mit einem feierlichen Ton : " So sind Sie jetzt ; die Fülle der Jugend muß von der Zeit verweht werden , aber möge nach dreißig Jahren derselbe reine Geist diese Formen durchatmen !
Sähe ich Sie wieder , und zum gemeinen Weibe gesunken , dann soll dieses Blatt Ihr strafender Richter sein .
Sollte 113 in diesen geradblickenden treuen Augen je Koketterie spielen , der liebeatmende Mund sich flach und falsch hin und her ziehen -
O ich sah schon mehr solche gefallene Engel !
Wie ein armer Landmann auf einem vom Hagel zerschlagenen Acker , den vor wenig Stunden noch eine blühende Saat schmückte , so ging ich oft unter den Ruinen der Menschheit .
Mädchen , rief er aus , indem er mir freundlich die Hand bot , mache mir die Freude , ein reines einfaches Weib zu bleiben , dem Wahrheit und Liebe über alles geht .
Das ganz eigene Wesen dieses Mannes hatte mich bewegt .
Es war eine solche Wahrheit in seinem Ton und seiner Miene , daß alles Karrikatur-114 mäßige aus seinem sonderbaren Benehmen verschwand .
Werde ich Sie bald wieder sehen ? fragte ich mit einem herzlichen Anteil , der seinem Auge nicht entging .
Gutes Kind , ich weiß selten , was ich tun werde .
Meine Zeit ist nicht mein , und mein Wirken folgt dem großen Laufe der Begebenheiten , deren tausendfache Räder auch mein Individuum forttreiben .
Ich beobachte Sie vielleicht im Stillen und Ihnen unsichtbar , dann , wann Sie es am wenigsten vermuten .
Vielleicht auch verlange ich einmal als Maler Zutritt bei Ihnen .
Sie sind der Kunst hold , üben Sie sie fleißig ; gleich der Stimme eines treuen weisen Freundes bringt sie Klarheit und 115 Frieden in die Seele .
Er führte mich an den Wagen , und legte ein aufgerolltes Gemälde mir gegenüber .
" Nehmen Sie dieses als ein kleines Andenken .
Es sei ein Talisman , sagte er lächelnd , den Sie in Stunden der Liebe vor Augen haben ; dann denken Sie noch , liebes Mädchen , daß Sie eine glückliche Mutter werden wollen . "
Ohne meinen Dank anzuhören , war er mir aus den Augen , und ich erstaunte , als ich die Leinwand aufrollte , eine treffliche Kopie von Raffaels Madonna della Sedia zu finden .
Den nächsten Tag kam ich in D an .
Es war Abend , als ich bei dem 116 Hause der Gräfin vorfuhr .
Eine lange Reihe von Zimmern war erleuchtet , man sagte mir , eine große Gesellschaft sei bei ihr versammelt , und sie habe befohlen , mich in ihr Kabinett zu führen .
Nach wenigen Momenten erschien sie selbst , in einem sehr glänzenden Putz , der meinem Willkommen etwas Feierlicheres gab , als ich wollte ; da ich mich in die Stimmung , ihr mit Liebe und Offenheit zu begegnen , versetzt hatte .
" Ich fühle , wie viel Sie mir durch die Trennung von Ihrem Vater aufopfern , mein bestes Kind , " redete sie mich nach einer Umarmung an .
" Ich werde alles anwen den Ihren Verlust erträglicher zu machen ; wenn Sie mich zufrieden mit 117 sich sehen wollen , so sagen Sie mir mit der Offenherzigkeit einer Freundin alle Ihre Wünsche .
Ich muß Sie jetzt für ein paar Stunden verlassen , ich konnte die Gesellschaft heute nicht los werden .
Sehen Sie sich in meinen Zimmern , unter meinen Büchern und Kupferstichen um , wenn es Ihnen Freude macht ; hernach wird meine Kammerfrau Sie ankleiden , und ich hohle Sie zum Nachtessen ab .
Sie verzeihen , daß ich mir die Freude mache , Sie diesen Abend nach meinem Geschmack geputzt zu sehen .
Ich hatte es schon bemerkt bei unserer ersten momentanen Bekanntschaft , daß Sie von meiner Taille sind , und ließ Ihnen ein Kleid nach dem neuesten 118 Schnitt machen .
Wir müssen es mit den alten Kindern , die man in den größeren Zirkeln so häufig antrifft , nicht verderben , " setzte sie lächelnd hinzu , und verließ mich .
Ich ging in den Zimmern umher , und die geschmackvolle Pracht , die ich überall erblickte , machte einen gefälligen Eindruck auf mich .
Meine Fantasie wurde reger , und ich dachte mich in den mannigfaltigen Situationen , die mich vielleicht in diesem Hause erwarteten .
Das Schlafzimmer der Gräfin war am meisten nach meinem Geschmack .
Alle Formen waren angenehm beruhigend , und die hellgrüne Seide der Vorhänge flog als ein leichtes Gewölk in den malerischsten Falten um das Ruhebette und die 119 Fenster .
Eine schöne antike Lampe war in der Mitte des Plattfonds durch goldene Ketten befestigt , und goß ein mildes Licht auf alle Gegenstände umher .
Zwischen den Fenstern , gerade dem Ruhebette gegenüber , wallte ein seidener Vorhang herab über ein Gemälde .
Ich hob ihn auf , und fand - das Bild Nordheims in schöner geistvoller Wahrheit .
Ach es schien mir jetzt nur ein Augenblick , seit er mich verließ !
Der holde Zauber seiner Gegenwart bebte durch meine Sinne , gleich der wiederkehrenden Frühlingssonne durch die Nerven eines Kranken .
Alle Nebel waren verschwun den ; er war wieder mein , und Sonnenschein und freundliches Dasein umglänzten mich .
Bald schwand die liebliche Magie ; ich betrachtete das 120 Bild .
Er war in Lebensgröße gemalt , vor einer Herme stehend , welche die Büste der Gräfin vorstellte ; die eine Hand ruhte auf dem Marmor , und das Haupt war etwas gesenkt , gleich als wäre er in Betrachtung verloren .
Welch ein inniges Verhältnis muß er zu dieser Amalie haben ?
Kein anderes Porträt ist in diesem Zimmer , gleich als sei es ein Heiligtum der Liebe , nur für diesen Einen bereitet !
Die Gräfin stand neben mir , ohne daß ich sie wahrgenommen hatte .
Ihre großen forschenden Augen waren fest auf mich gerichtet .
Sie schien meine Verlegenheit nicht bemerken zu wollen , und sagte mit einem leichten Ton : " Sie werden das Bild 121 vortrefflich gemalt und getroffen finden !
Ich pflege es sonst immer so für den Staub zu bewahren " - Sie drückte an einer Feder , und ein Feld der Tapete bedeckte das Gemälde .
Sie schob ein kleines Ruhebette unter die Vorhänge , und führte mich aus dem Zimmer .
Eine Wolke schien mir vor ihrer Stirn zu schweben , und ihr Betragen etwas minder herzlich zu sein , doch sagte sie freundlich :
" Ich werde Sie nun in die , für Sie bereiteten , Zimmer führen ; Sie bewohnen sie , so lang es Ihnen gefällt ; ich werde meine liebe kleine Gesellschafterin immer zu früh verlieren , und alle Künste anwenden , um sie zu fesseln .
Vielleicht hilft mir ein gewisser Geist , 122 den magischen Kreis um sie zu ziehen . "
Ich hatte ein Besuchzimmer , ein Schlafzimmer und ein Ankleidezimmer ; alle drei waren anmutig geschmückt , und mit allen Bequemlichkeiten versehen .
Ich mußte mich ungeachtet alles Widerstrebens , von der Kammerfrau ankleiden lassen , und als ich fertig war , führte mich die Gräfin zur Gesellschaft .
" Sie waren vielleicht noch nie in so einem großen Zirkel , als der ist , in den ich Sie heute einführe , " sagte sie mir , während wir über die lange Galerie gingen .
" Ihr feiner Sinn wird Sie in jeder Lage ein passendes schönes Betragen finden lassen .
Die Kunst der großen Zirkel , liebes Kind , ist übrigens die der Unbedeutendheit . " 123 Die Gesellschaft saß größtenteils beim Spiel , die Gräfin präsentierte mich an einigen Tischen unter dem Namen der Fräulein von Lilien. Lilien war der Nahme meines Vaters , nach welchem ich mich immer mit Freude und Stolz nennen hörte ; aber die Fräulein fiel mir auf ; es war mir widrig , mich mit fremden Federn zu schmücken , und mein Stolz konnte sich zu keinem Schein bequemen .
Für jetzt mußte ich es schon schweigend hingehen lassen .
Man tat ein paar leere Fragen an mich , auf die ich eben so flache Antworten gab .
Die Gräfin hieß mich zu ihrer Partie hinsitzen , 124 und begegnete mir mit der gefälligsten Achtung , die bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich zog .
Nach geendigtem Spiel glaubte mir jeder etwas sagen zu müssen , und Fragen nach meinem vorhergehenden Aufenthalt , nach meiner Reise , wechselten mit Schmeicheleien ab .
Die Gräfin wußte auf eine geschickte Art alle Fragen nach meinen vorigen Verhältnissen abzuschneiden , welches mir , da seit Rosinen Entdeckungen das Gefühl einer sonderbaren geheimnisvollen Existenz drückend auf meinem Herzen lag , zum erstenmal eine dankbare , zarte Neigung für sie einflößte . 125 Bei der Abendtafel , wo der größere Teil der Gesellschaft sich entfernt hatte , wurde die Unterhaltung zusammenhängender , und ich konnte mir den Umriß von einigen Charaktern entwerfen .
Ich kannte noch wenig vom konventionellen Leben und der Sprache der Weltleute .
Meine einfachen Grundsätze fanden so manches paradox , womit der durch Gewohnheit geschmeidige Sinn sich ohne Mühe aussöhnet .
Es war mir so natürlich , als daß die Nacht auf den Tag folgt , den Betrogenen zu beklagen und den Betrüger zu hassen , die Tugend der Ehre , und die Ehre dem eigenen Vorteil vorzuziehen .
In den Urteilen dieser Gesellschaft sah ich alle diese Begriffe umgestoßen ; selbst die Leidenschaften , die eine ungewöhn126 liche Kraft des Gemüts erfordern , als die Liebe und der Ehrgeiz , dienten vielen Personen aus derselben zum Spott .
Mir schien diese Höhe , von der sie auf alle echten Verhältnisse unseres Daseins herabblickten , eine schauervolle Öde zu sein ; nur Dornen und Disteln wachsen auf dem Felsengrunde des Egoismus .
Die Gräfin gab kein Zeichen weder des Tadels noch der Billigung .
Ihr Charakter blieb fleckenlos für mich ; aber warum sind diese Menschen ihre Gesellschaft ?
Noch eine junge weibliche Gestalt , und zwei junge Männer , die ihr zur Seite saßen , zogen mich durch ein liebenswürdiges einfaches Betragen an .
Einer der Männer warf oft betrach 127 tende Blicke um sich , wenn eine gemeine , niedrige Gesinnung sich äußerte , oder zeigte durch feinen Spott die Nichtigkeit des Gesagten .
Die Dame war mir als Fräulein von R** vorgestellt worden , und ich fühlte , daß sie und ihre beiden Nachbarn mich genau beobachteten .
Die Gräfin brachte gewöhnlich einige Abende jeder Woche in der Gesellschaft des Fürsten zu , und ich mußte sie begleiten .
Der Fürst war zwischen sechzig und siebzig Jahren , und belästigte sich und andere noch mit der steifen , altfranzösischen Etikette , die die deutschen Fürstensöhne am Hofe der französischen Könige erlernt , und auf ihren Boden , freilich in etwas verminderten Dimensionen verpflanzt hatten .
Der Fürst 128 hatte durch Alter und Gewohnheit sich beinahe natürlich unter dieser schweren Rüstung des Zeremoniells bewegen lernen .
Gegen die Frauen beobachtete er die feine hochgespannte Höflichkeit der alten Ritterzeit , so daß sein Äußeres für diese nicht ungefällig war ; aber außer der Sphäre der feinen Manieren durfte er keinen Moment geraten , um erträglich zu sein .
Seine Kinder suchten so viel wie möglich entfernt von ihm zu leben , weil sie nur den Despoten in dem Vater fanden .
Der Sohn blieb auf Reisen , so lange es der Anstand erlaubte , und machte nur seltene Besuche bei seinem Vater ; die Prinzessin , von der man als einer der besten 129 sanftesten Seelen sprach , lebte unter dem Vorwand ihrer Gesundheit bei ihrer verheirateten Schwester .
Die Karikaturen unter den Hofleuten schienen mir bald lächerlich , bald Beweinenswert .
Die Ehrfurcht , die sie sogleich bei der Erscheinung ihres Herrn aus ihren Herzen in ihre Hände und Füße rufen konnten ; ein gnädiger oder zorniger Blick , der wie ein elektrischer Schlag durch ihren Körper fuhr , und seine natürlichen Bewegungen veränderte ; das augenblickliche Beugen ihrer Meinung nach der letzten Äußerung der fürstlichen Lippen , - dieses alles war mir unbegreiflich ; ich stand wie vor einem Puppenkasten , so wenig Menschliches , Wahres sprach an mein 130 Herz .
Der Fürst bezeigte mir viel Aufmerksamkeit , als mich die Gräfin vorstellte , und meine natürliche Unbefangenheit schien ihm , als eine ungewöhnliche Erscheinung , keinen unangenehmen Eindruck zu machen .
Die Gräfin verstand es vortrefflich mit dem Fürsten umzugehen , und diese schwere Maße alter verrosteter Gefühle und Vorstellungen oft in ein gefälliges Spiel zu setzen .
Ich schloß daraus , daß die Geistesarmut der Hofleute vielleicht selbst den Fürsten bewog , ihnen nur als Maschinen zu begegnen .
Fräulein Re , die beiden Herren von Alban , und der Arzt des Fürsten , der sich als eine unentbehrliche Person fühlte , diese blieben 131 in ihrem natürlichen Wesen .
Nach der Tafel kam Fräulein Re auf mich zu , und stellte mir die beiden Albans vor .
Sie hatten Langeweile während der Tafel , sagte mir Fräulein Re , aber wir genossen nicht wenig Vergnügen , indem wir Sie beobachteten .
Natur und Grazie sind uns hier eine seltene Erscheinung .
Ich hoffe , Sie halten sich künftig zu uns .
Wie Sie uns hier sehen , fuhr sie lächelnd fort , machen wir drei , die beiden Herren von Alban und ich , einen kleinen Staat im großen Staat der Gesellschaft aus .
Herr von Alban der jüngere 132 behauptet aus Ihrer Physiognomie zu sehen , daß Sie zu uns gehören müssen , und ich fühle es .
Wenn Sie in Ihren Staat nur stille friedliche Bürger aufnehmen , erwiderte ich , so denke ich Ihr Vertrauen zu verdienen .
Zu großen Geschäften und Negoziationen hoffe ich , werden Sie ohnedem ein Landmädchen , das die Welt noch so wenig kennt , nicht brauchen wollen .
Wen die Natur so reich machte , fiel der jüngere Alban ein , den kann die Kunst wenig lehren .
- Übergeben Sie sich uns nur ohne Bedingungen , lassen Sie mich nur Fräulein Lilien mit unserer Verfassung bekannt machen , rief Fräulein Re und führte mich in ein Fenster .
Die zwei Herren und ich , fuhr sie 133 fort , sind von Kindheit an zusammen aufgewachsen .
Ein guter Genius bewahrte uns vor einigen Torheiten der Welt um uns her .
Wir haben vielleicht andere dafür , aber wir bleiben dabei doch froh und unschädlich .
Wir hassen die Falschheit , wir verachten die Kleinheit , die nur den Schein sucht , fliehen die Leerheit , und suchen uns selbst dafür zu bewahren .
Da wir nicht alt und vornehm genug sind , um den Ton anzugeben , so helfen wir uns mit dem pythagoräischen Schweigen so gut durch , als wir können .
Wir sind durch unsere Verhältnisse verbunden , einen großen Teil unseres 134 Lebens in den großen Zirkeln zu verlieren , wo die Mittelmäßigkeit das Regiment führt , aber wir streben , unser eigenes Selbst unverdorben durch den Strom der Gesellschaft hindurch zu treiben .
Aber Sie müssen unsere Art zu sein erst beobachten und prüfen .
Ich danke , fuhr sie fort , der Existenz dieser kleinen Gesellschaft vieles von meiner moralischen Bildung .
Viele gute Menschen haben stillschweigend unter sich dasselbe Bündnis , aber es schleicht sich nach und nach eine Art von Trägheit unter ihnen ein , die unter dem Namen der Toleranz am Ende alles , und sich selbst mit allem Anderen hingehen läßt , wie es kann oder will .
Wir vermeiden dieses durch ein Gesetz , uns alle acht Tage Rechenschaft von unseren Be 135 Achtungen zu geben .
Die Mitteilung unserer Gedanken zwingt uns , unsere Wahrnehmungen aufzuklären .
Wir leben glücklich durch diese Verbindung unter den heterogenen Menschen , die uns umgeben .
Ich fand auch das Glück meines Herzens in unserem kleinen Zirkel .
Der ältere Alban wird mein Gemahl werden , sobald unsere Familienverhältnisse es erlauben .
Mein künftiger Schwager ist eigentlich die Seele des ganzen Verhältnisses durch die große Lebhaftigkeit seines Verstandes und seiner Einbildungskraft .
Der ruhigere , aber nicht weniger tiefe Blick meines Albans macht einen angenehmen Kontrast mit der glühenden Fantasie seines Bruders .
Oft belehrt uns die Erfahrung , daß Julius , dieses ist der Nahme meines 136 Schwagers , durch seine Fantasie uns und sich selber getäuscht hat .
Wir lachen ihn aus , und glauben ihm doch das nächste Mal wieder .
Teilen Sie uns Ihre Bemerkungen und Ihre Erfahrungen , wenn Sie wollen , mit , nehmen Sie dagegen das Gelübde der Aufrichtigkeit und Freundschaft von uns an .
Julius von Alban trat zu uns , und sagte halb feierlich : Nehmen Sie die Gelübde dreier Menschen an , die nach dem hohen Sinn der Schönheit streben .
Noch rein von jedem verfinsterten Hauche der Weltlust wird uns die himmlische Klarheit Ihrer Seele die Gegenstände im treuesten Spiegel 137 wiederstrahlen .
Mit Vergnügen , liebe Fräulein Re , antwortete ich , werde ich meine besten Gedanken vor Ihnen und Ihren Freunden darlegen , weil ich Belehrung von Ihnen erwarte .
Julius schien mehr Wärme von mir zu erwarten , aber es lag von jeher in meinem Wesen , daß ein exaltierter Ausdruck meine eigenen Empfindungen herabstimmte .
Mein Vater hatte mich immer gelehrt , große Worte nur für wirklich große Dinge zu brauchen .
Ich verlebte alle Abende in derselben Gesellschaft in verschiedenen Häusern .
Fräulein Re und die beiden Albans waren geistvoll und liebenswürdig .
Mein Herz öffnete sich gegen sie ; vorzüglich zog mich ihre zarte 138 Neigung für ihren Bräutigam an ; der Odem der Liebe ist einer sehnsuchtsvollen Seele so erquickend .
Die Gräfin war sehr gefällig gegen mich , aber die glatten Weltsitten , vielleicht noch mehr meine Zweifel über ihr Verhältnis zu meinem Freund , hielten jedes vertrauliche Wort in meinem Busen zurück .
Sie schien auch nur auf mein Äußeres wirken zu wollen , und sagte mir nach den ersten Tagen :
" Ich bin zufrieden mit Ihrem gesellschaftlichen Betragen , und bewundere , wie Ihr Vater auch hier nur die freie schöne Natur in Ihnen entfaltet hat .
Sie besitzen die Elemente der feinen Lebensart , sanfte bescheidene Gefälligkeit , und einen heiteren 139 Geist , der immer die momentane Lage richtig faßt , und das passendste , was in ihr zu tun ist , findet . "
Wir sahen uns übrigens sehr selten allein , und ich konnte nicht begreifen , wie die Gräfin mit so viel Geist und Geschmack , und in solch einer freien Lage , den größten Teil ihrer Zeit in leeren , geistlosen Zirkeln verlor .
Ich bewunderte ihr Talent , mit dem großen Haufen zu leben , ohne dabei von ihrer feineren Individualität etwas einzubüßen .
Sie wußte die gehörige Entfernung der feinen Lebensart vortrefflich zu benutzen , um ihr Verhältnis zu fremdartigen Menschen auf die leichteste , beste Art zu 140 stellen , und sich selbst die Außerung jeder gemeinen Empfindungsart zu ersparen .
Da sie selbst bei den Zwisten der kleinen armseligen Eitelkeit immer von Leidenschaft frei blieb , so wurde sie die Vertraute jeder Partei .
Nur selten zeigte sich ein Funke ihres überlegenen Verstandes , vor welchem der Kurzsinn und die elende Egoisterei , gleich den lichtscheuen Vögeln , in ihre Dunkelheit zurückflohen .
In kleineren gewählteren Zirkeln schien sie mir oft eine Schülerin der Aspasia .
Jedes geringe Talent fühlte sich in ihrer Gegenwart erhöht , und jedes edle wahrhaft menschliche Gefühl stärkte sich .
Die Unterhaltung war meist nur durch ihren Geist 141 interessant , aber er wirkte in so leisen flüchtigen Zügen , daß man seine Wirksamkeit , wie das Element welches uns immer umgibt , nur genoß , nicht bemerkte .
Ich achtete diese Talente , aber in einem gewissen Alter erwirbt sich Einseitigkeit eher Vertrauen und Liebe , als Vielseitigkeit .
Der teure Nahme wurde nicht genannt , und meine bebenden Lippen wagten keine Frage .
Hat er nicht befohlen , seine Briefe nach D zu addressiren ?
Warum wird eines so vorzüglichen Mannes nirgends gedacht ?
Und vor allen , warum spricht die Gräfin nicht ein Wort von ihm , da sie doch mein Herz bei seinem Bilde überraschte ?
Das erste leidenschaftliche 142 Begehren weckt in dem jungen Gemüt alle Kräfte zur Tugend und zum Laster .
Ein quälender Argwohn füllte meine Seele , die Gräfin habe mich in ihr Haus genommen , um mich von meinem Geliebten zu entfernen , und seine vielleicht flüchtige Neigung für mich durch die Abwesenheit zu unterdrücken .
Vielleicht sucht er mich eben jetzt bei meinem Vater auf , findet mich nicht , und das höchste Glück des Lebens , seine Liebe , geht mir für immer verloren .
Diese ganze Lage , nebst der Sehnsucht nach meinem Vater , zog eine schwarze Wolke vor mein Gemüt , die meine neuen Freunde mit Anteil bemerkten , und durch eine verdoppelte Gefälligkeit zu zerstreuen suchten . 143 Der Umgang mit den beiden Albans wurde mir immer interessanter , vorzüglich durch die Kenntnis von der politischen Welt , die sie mir mitteilten .
Sie hatten beide in den wichtigsten Geschäften gearbeitet , und kannten die Menschen , welche die Staatsmaschine dirigierten .
Ich las die neueren Geschichten der europäischen Staaten , und lernte die Begebenheiten an einander reihen , aus denen das Gemälde der gegenwärtigen Welt entstand .
Die beiden Brüder freuten sich meines lebhaften Sinnes und Verstandes für diese Verhältnisse , aber mit wundem Herzen fühlte ich , daß Fräulein Re sich von mir entfernte , jemehr sich die Brüder mir näherten ; ihre Augen ruhten mit Sorge und Unruhe auf mir , wenn ich mit 144 ihrem Bräutigam sprach , und sie war nie ganz frei und heiter , als wenn sie mich mit Julius allein beschäftigt sah .
Julius heftete sich jeden Tag inniger an mich ; meine Liebhabereien wurden die seinen ; er bildete sich mit dem zartesten Sinn nach meinem Geschmack , sein Ausdruck wurde einfacher , da sein Gefühl tiefer wurde , und mein Herz konnte ihm eine zarte Neigung nicht versagen .
Da mich Fräulein Re Stimmung nötigte , seinen Umgang ausschließend zu suchen , so überließ er sich ganz der Hoffnung , geliebt zu werden .
Aus Schonung für Elise von Re konnte ich ihm den Grund meines Betragens nicht entdecken , und ich litt durch die Täuschung , in die ich ihn vielleicht 145 über mein Herz setzte .
Julius war ein schöner junger Mann , ein vollkommenes Ebenmaß war in seiner Gestalt und seinen Gesichtszügen , aber es fehlte dem Ganzen jener Ausdruck von Kraft , von ruhigem Bestand auf sich selbst , an den ein weibliches Herz sich gern anschmiegt .
Er hatte poetisches Talent , und war oft versunken in seine Dichterwelt , wenn es darauf ankam , Würde und Kraft in der Wirklichkeit zu zeigen .
Nur dem echten Himmelssohn Genie gebührt es , aus der Klarheit seiner inneren Welt als ein Fremdling auf die Erde zu schauen .
Mein Geschmack war durch die Lektüre der Alten zu sehr gebildet , um Julius Gedichte reizend 146 zu finden .
Aber ich selbst war meist der Gegenstand seiner Lieder , und sie sprachen nicht selten an mein Herz , da er sie mit so reiner Gutmütigkeit und Anspruchlosigkeit überreichte .
Elisa sagte mir mit klaren Worten , daß sie mich gern als ihre künftige Schwägerin ansähe , und in den bunten Lebensansichten und Planen , in denen wir mit leichter , fröhlicher Jugendfantasie umherschwärmten , war immer ein ununterbrochenes Zusammenleben vorausgesetzt .
Ich sehnte mich nach einer unabhängigen Existenz .
Die glückliche Unkenntnis der Verhältnisse des Eigentums war für mich entflohen .
147 Stolz , und eine beinahe kranke Empfindlichkeit trat an die Stelle der Sorglosigkeit ; ich empfing das kleinste Geschenk mit einem unaussprechlichen Widerstreben .
Nur von meinem Vater empfing ich ohne Widerwillen , aber seine eingeschränkten Umstände schufen mir Leiden einer anderen Art .
Es ist ein unaussprechlicher , zwischen Wonne und Schmerz schwebender Zustand des Herzens , mit dem wir ein Geschenk von einem armen Freund empfangen .
Als ich meinen Koffer in D auspackte , fand ich ein Paket mit fünfzig Louis_d'ors , von meines Vaters Hand überschrieben : " Empfange und ver 148 brauche es ohne Sorgen , ich genieße meine beste Freude in dir . "
Ich nahm es mit dem Gelübde der größten Sparsamkeit , und , um auch den Geschenken der Gräfin auszuweichen , nahm ich die größte Simplizität in der Kleidung an .
Es kostete mich nicht wenig Erfindungskunst , immer gut und der Mode gemäß gekleidet zu sein , um die Gräfin nicht aufmerksam zu machen ; sonst wurde ich gezwungen , ein neues Kleidungsstück anzunehmen .
Die Furcht , meinem Vater , selbst bei den eingeschränktesten Bedürfnissen , zur Last zu fallen , umzog mir oft die Aussicht in die Zukunft mit Sorge .
Ich übte mein Talent für die Malerei , und , nicht ganz nach 149 meiner Neigung , ausschließend die Portraitmalerei ; diese sah ich als ein Mittel an , die Unabhängigkeit meiner Existenz zu erhalten , und meinem Vater ein gemächlicheres Alter zu verschaffen , indem ich ihn von aller Sorge für mich befreite .
Je mehr wahre treue Neigung ich bei Julius fand , je fester war ich entschlossen , ihm meine Hand zu versagen , da ich mein Herz nicht ihm allein geben konnte .
Er war zufrieden in meinem Kreise zu leben , meiner Freundschaft gewiß zu sein ; das Bekenntnis meiner lebhafteren Neigung , welches ich ihm fest versagte , erwartete er von der Zeit und der stillen Kraft seiner treuen Liebe .
Der ernstliche Wunsch unseres ganzen kleinen Zirkels , mich in ihre Familie aufzunehmen , rührte 150 mich um so mehr , da ihnen meine Lage ganz unbekannt war .
Nie erlaubten sich meine Freunde eine Frage über meine Verhältnisse ; nur im Allgemeinen schienen sie zu wissen , daß sie von Seiten des Vermögens nicht glücklich wären .
Aus ihrem völligen Schweigen über mein vergangenes Leben konnte ich sogar schließen , daß sie das Geheimnis meiner Geburt ahndeten .
Ich schwieg ganz darüber , weil mir die Dunkelheit über meine Existenz immer schmerzlicher wurde ; nur in dem Fall , daß Julius dringen der mit seinen Anträgen würde , nahm ich mir vor , ihm durch ein offenherziges Geständnis meiner ganzen Situation , die Schwierigkeit einer 151 Verbindung mit mir vorzustellen .
Es war ein heiterer Morgen .
Ich genoß mit Elise auf einem der öffentlichen Spaziergänge die lang entbehrten freundlichen Sonnenstrahlen .
Unter mehreren bekannten und unbekannten Gestalten , die an unserer Seite vorübergingen , erblickte ich den Maler , dem ich auf meiner Reise begegnet war .
Er ging ein paar Mal an uns vorbei , ohne zu grüßen , blieb aber an den Schranken der Allee stehen , wo wir notwendig vorbei mußten .
Ich war im Begriff , ihn als einen Bekannten anzureden , und ihm für sein Gemälde zu danken ; aber er fiel mir ins Wort , und überreichte mir ein kleines zierliches Portefeuille , mit den Worten :
Ich bin ein reisender Künstler , liebes Fräulein .
Sehen Sie diese Blätter durch , Sie haben die 152 Güte , mir sie morgen um dieselbe Stunde auf diesen Platz wieder zu schicken ; meine Adresse ist Johannes Charles .
Er war uns aus den Augen , ehe ich ihm antworten konnte , und das Portefeuille blieb in meinen Händen .
Wir sahen es auf einer Bank in der Promenade durch ; es enthielt einige fein ausgeführte Landschaften und viele Skizzen , meistens Schwei Aussichten .
Unter diesen fand ich einen Brief an Agnes Lilien überschrieben , mit Bitte , ihn allein zu eröffnen .
Elise scherzte über diesen Vorfall , und verlangte den Brief zu sehen .
Ich will keines Menschen Vertrauen beleidigen , sagte ich halb ernsthaft , und steckte ihn ein , in der 153 Vermutung , daß er vielleicht ein aufrichtiges Geständnis seiner Bedürfnisse enthielte , welches er mir lieber abzulegen wage , als einer ganz Unbekannten .
Ich eilte in mein Zimmer , das Blatt zu eröffnen .
Es enthielt folgende Zeilen von einer kleinen , weiblich zarten Handschrift :
" Meine teure Agnes , deine Mutter schreibt diese Worte ; ach schwere Verhältnisse hielten mich bis jetzt gebunden ! -
Ich konnte mich dieses Namens nicht wert machen - noch immer liegen sie auf mir , und nur unter der Decke des tiefsten Geheimnisses kann ich das Glück genießen , das , was mir auf der Welt am teuersten ist , zu sehen .
Johannes Charles 154 wird dich morgen Abend gegen sechs Uhr zu mir bringen .
Niemand darf um diese Zeilen und deinen Besuch wissen ; suche einen Vorwand , um dich zu entfernen .
Ist es dir für morgen unmöglich einen zu finden , so komme einen anderen Abend .
Aber eile , ich bin krank , schmachte nach deinem Blick , und darf mich auch nur kurze Zeit an dem Ort , wo ich dich sehen kann , aufhalten .
Auf Johannes Charles kannst du dich ganz verlassen , er ist mein Freund . "
Meine Mutter - meine Mutter ! rief ich aus , und die Gewalt des neuen süßen Gefühls machte sich durch einen Tränenstrom Luft .
Ich werde das heiligste Band der Natur kennen lernen ! rief ich aus ; werde kein ver-155 laßnes Geschöpf mehr sein , auf das man immer , selbst in den sanften Ergüssen der Freundschaft , mit einem gewissen Mitleiden hinblickt !
Aber wie konnte mich mein Vater in Hohenfels täuschen ?
Warum konnte er nicht mein Herz wenigstens mit einer leisen Ahnung meines Glücks beleben ?
Ich verlor mich in diesen Gedanken .
Meine innige Verehrung für meinen Vater litt keinen Schatten der Schuld auf seinem heiligen Bilde .
Er wollte dich nicht täuschen , sondern wurde selbst getäuscht , sagte ich 156 mir endlich .
Aus sanfter Schonung wollte er mich nicht mit der Ansicht ungewisser Verhältnisse quälen .
War ich nicht reich genug in seiner Liebe ?
Ich entsann mich jetzt auf alles dessen , was mir Rosine von meines Vaters Gespräch mit Nordheim gesagt , und jeder Zweifel über das Betragen meines Vaters verschwand .
Mit glühender Ungeduld erwartete ich den anderen Morgen , um Charles zu sprechen .
Die Winterlustbarkeiten waren ihrem Ende nahe , und wurden darum noch eifriger besucht .
Den nächsten Morgen war Maskenball , und dieser erleichterte den Plan zu meinem Verschwinden im Hause .
Ich legte in Charles Portefeuille , aus Vorsicht , im Fall ich ihn nicht unbeob 157 achtet sprechen könnte , ein Billet mit den Worten :
" Ich komme zur bestimmten Stunde , hohlen Sie mich um neun Uhr an der Gartentür ab ; ich bin bereit Ihnen überall zu folgen . "
Zum erstenmal mußte ich Umwege brauchen , um mir den einsamen Morgenspaziergang zu verschaffen .
Meine Lage , und das Vertrauen meines Vaters hatten mich vor allen kleinen Unwahrheiten , zu denen die Tyrannei des Scheins zwingt , bewahrt ; mit widerstrebendem Herzen nahm ich meine Zuflucht zur List .
Eine widrige Empfindung zieht meistens Reflexionen nach sich .
Wie wäre es , raunte mir ein böser Dämon ins Ohr , als ich , statt zu Elise zu gehen , 158 wie ich gesagt hatte , die Straße nach der Promenade einschlug , wie wäre es , wenn man sich deiner Unerfahrenheit bediente , um dir Fallstricke zu legen ?
Ist es nicht eine Unbesonnenheit zu kommen ?
Aber der teure , teure Nahme , - und sie ist krank !
Ehe ich mich bei meinem Vater in Hohenfels Rats erholen kann , müßte ich sie in der Ungewißheit lassen , könnte sie vielleicht verlieren , - sie niemals sehen .
Charles stand vor mir .
Ich komme , ja ich komme , sagte ich bei mir selbst , mein Herz fordert es , mag mich die Welt auch verkennen .
Charles gerades , edles Gesicht gab mir meine Ruhe wieder .
So erscheint oft im 159 Moment der Not ein Genius , wie mir Treue und Wahrheit jetzt in seinen Zügen aufging , und allen Schatten von Betrug verbannte .
Er war sauber gekleidet , seine braunen , sonst wildfliegenden Haare lagen natürlich , doch wohl geordnet um Stirn und Wangen , und in seinem Benehmen war etwas feierlich stilles .
" Sie finden meine Antwort in dem Portefeuille .
Wie geht es meiner teuren Mutter ? " flüsterte ich ihm ins Ohr , indem ich ihm das Portefeuille übergab , denn mehrere meiner Bekannten näherten sich mir .
" Ihre Mutter ist glücklich in der Hoffnung , ihr geliebtes Kind zu sehen , erwiderte er ; ich hoffe , ihre Unpäßlichkeit entstand nur durch die weite und schnelle Reise .
Sie kommen heute , ich lese es in Ihren Mienen . "
Ich 160 winkte Ja , und entfernte mich schnell .
Die Gräfin fuhr um fünf Uhr in eine Assemblee , von der sie dann gleich auf den Ball gehen wollte .
Unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit erhielt ich , wiewohl ungern , die Erlaubnis zu Hause zu bleiben .
Um allen Nachforschungen und allem Geschwätz der Bedienten auszuweichen , kleidete ich mich an , als wollte ich heimlich auf den Ball gehen , um die Gräfin und meine Bekannten zu überraschen .
Die Gräfin liebte solche Auftritte , höchstens konnte sie diesen Schritt nur jugendlich unbesonnen , und bei meinem Mangel an Weltkenntnis natürlich und verzeihlich finden .
In einer weißen griechischen Kleidung , umhüllt mit einem langen 161 Schleier , eilte ich um sechs Uhr in den Garten , und verbat alle Begleitung , weil Niemand außer meinem Kammermädchen wissen sollte , wie ich angekleidet sei .
Charles erwartete mich schon , und führte mich schweigend durch die am wenigsten besuchten Straßen der Stadt , bis zu einem Tore , wo ein Wagen unser wartete .
Er half mir einsteigen , und setzte sich neben mich .
Die Nacht war sehr finster , und ich konnte weder Weg noch Gegend erkennen .
Ich mußte ihm sagen , welche Maßregeln ich im Hause der Gräfin über meine Entfernung genommen hatte .
Er lobte meine Vorsicht , und sagte :
Nun so mögen die Schellen der Torheit auch einmal den 162 echten Gefühlen der Natur dienen , die sie sonst mit ihrem Geklingel so oft übertäuben helfen !
Er war sonst still und in sich gekehrt , seine Stimme war sanfter , als suchte er meine bewegte Seele in Gleichmut zu wiegen Wir waren , so dünkte es mir , schon eine Stunde weit gefahren , und ein ängstigender Zweifel flog durch meine Brust .
Charles schien ihn im Augenblick zu ahnden .
Liebes , liebes Mädchen , haben Sie keine Angst , wir sind bald an dem Ort unserer Bestimmung .
Ach könnte ich jeden Zweifel ... er stockte , seine Stimme bebte , er nahm meine Hand zwischen seine beiden Hände , drückte sie an seine Lippen ; ich fühlte daß er weinte .
Sein Schmerz 163 lag mit solcher Gewalt auf meinem Herzen , als wäre ich die Ursache desselben .
Die Zukunft erklärte mir diese sonderbare Ahnung nur allzu gut .
Ein großes erleuchtetes Haus glänzte mir aus der finsteren Nacht entgegen , es lag einsam und war nur von einigen Nebengebäuden umgeben .
Hier werden Sie Ihre Mutter sehen , sagte mir Charles .
Wir fuhren an einer langen Gartenmauer hin , und der Wagen hielt an einer kleinen Türe .
Ein Schauer faßte mich beim Aussteigen .
Die Nähe eines unaussprechlichen Glücks , - die Furcht vor einem unbekannten Übel , preßten meine 164 Brust bis zum Ersticken .
Meine Unschuld und Unerfahrenheit über die Sitten in D.. verbargen mir was ich hätte fürchten können .
Jetzt erhielt mich die Notwendigkeit , weiter zu gehen , bei klaren Sinnen , und mein Herz sammelte seine Kräfte , um jeder Begebenheit zu begegnen .
Die kleine Türe führte zu einem langen schmalen Gang , den eine Lampe nur sparsam erleuchtete .
Charles öffnete eine Seitentüre , und hieß mich hineingehen .
Ich trat in ein dunkles Zimmer , Charles schloß die Türe hinter mir ab , und befahl mir auf dieser Stelle zu warten .
Nach wenigen Augenblicken öffnete sich eine Türe mir gegenüber , aus welcher ein 165 mattes Licht drang , und eine sanfte Stimme rief :
- " Komme herein , meine Agnes , deine Mutter erwartet dich mit Ungeduld . "
Ich folgte dem Ton dieser Stimme , und bei dem trüben Schimmer einer einzigen Wachskerze , die im Hintergrunde des Zimmers brannte , erblickte ich eine Gestalt in einem weißen Gewand , die auf einem Sofa lag , und ihre Arme nach mir ausstreckte . O mein Kind ! mein Kind ! rief sie aus , endlich mein nach so langer Sehnsucht !
Sie drückte mich fest an ihre Brust , und die sanftesten Wallungen der Natur und Liebe bewegten mein Innerstes .
Meine Mutter weinte heftig . -
Ach daß ich dich so lang entbehren mußte , daß alle 166 meine Liebe für dich sich nur in fruchtlosen Seufzern der Sehnsucht aushauchen konnte ! -
Aber Gott sei Dank !
jetzt habe ich dich ! -
Sie sank ermattet auf den Sofa zurück , ihre Augen schlossen sich , und wenn sie zuweilen sich gegen mich öffneten , brannte das feinste Feuer eines lieben den Geistes in ihnen , der gleichsam seine ganze Kraft durch sie auszudrücken strebte , da seine übrigen Organe durch die Gewalt der Krankheit gebunden waren .
Ich suchte auf einem Nachttisch , der vor uns stand , krampfstillende Essenzen , und wollte das Licht aus dem Hintergrunde des Zimmers herbei holen . -
Um Gottes Willen rühre das Licht nicht an , rief meine Mutter mit Heftigkeit , wir sehen uns nie wieder !
Diese sonder 167 baren Worte füllten mich mit Schrecken , ob sie gleich nur einen unverständlichen Sinn für mich enthielten .
Ich reichte ihr die Arzneigläser , um sie nach dem Gefühl wählen zu lassen .
Ich mußte ihr einige Tropfen eingeben .
Nun setzte ich mich zu ihren Füßen , und versuchte durch ein stilleres Gespräch ihr Gemüt zu beruhigen .
Wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig , meine teure Mutter , für die Erziehung , die Sie mir durch den ehrwürdigen Pfarrer von Hohenfels geben ließen !
Mit der väterlichsten Zärtlichkeit pflegte er meiner Kindheit .
Ich weiß es , meine Agnes , unterbrach sie mich .
Wie freut es mich , diesen 168 Gleichmut in deinem Wesen wahrzunehmen , diese Mäßigkeit in deinem Empfinden , die deiner Mutter zu ihrem Unglück fehlten .
Mein teures Kind , mein Leben war ein Gewebe von Leiden , meine Gesundheit ist zerrüttet , und ich bin erst in meinem vierzigsten Jahre , könnte mich noch lange mit dir des irdischen Daseins erfreuen .
Mein tiefstes Leiden ist , daß ich den Zeitpunkt noch nicht bestimmen kann , in dem ich offen und frei vor den Augen der Welt dich als Tochter anerkennen werde .
Bist du recht vorsichtig und verschwiegen , so können wir öfters in geheim zusammen kommen ; aber die geringste Unvorsichtigkeit , - und dieses Glück wäre für immer verloren .
Deine Geburt ist rechtmäßig , du bist von einem 169 vornehmen Geschlecht .
Wenn es dir nötig ist , will ich dich in Stand setzen , es zu beweisen ; nach meinem Tode wirst du die Papiere , die dazu dienen , erhalten .
Du wirst einmal meine Geschichte erfahren , und wirst mit mir die unglückliche Stellung der Umstände beweinen , die mich des süßesten Glückes beraubte , die Sorge für deine Erziehung selbst zu übernehmen .
In diesem Portefeuille sind zwanzigtausend Taler in Banknoten enthalten , die dir eine unabhängige Existenz versichern , wenn du mit einer mäßigen Einrichtung zufrieden sein kannst .
Ich hoffe dieses von deiner Erziehung .
Da ich nicht wußte , ob ich dir so viel Vermögen hinterlassen könnte , so ließ ich diese so einfach und sparsam als möglich einrichten ; 170 dein Vater in Hohenfels selbst soll erst jetzt erfahren , daß du ein anständiges Einkommen besitzest .
Auf die Frage , ob ich letzterem das Glück schreiben dürfte , sie gefunden zu haben ? sagte sie : Nein , er soll es nächstens durch eine sichere Gelegenheit erfahren .
Sie sprach noch manches über meine Bildung , und schien sehr zufrieden mit dem Gang der Erziehung , welchen mein Vater eingeschlagen hatte .
Beinahe , sagte sie mit einem munteren Tone , möchte ich der Vorsicht danken , daß sie mich zwang , dich von dem Kreise entfernt zu halten , in welchem ich unglücklich wurde .
Eine ernste , feste Bildung des Geistes ist 171 selten im Zirkel der großen Welt möglich .
Du wärest vielleicht ein Püppchen geworden , das am Seile der Meinung hin und her getanzt hätte , - und so bist du ein selbstständiges Wesen , das in der Flut des Lebens sein besseres Selbst bewahren kann .
Wie freue ich mich der Zeit , wenn du als Freundin mit mir leben kannst .
Tausendmal muß ich mir es sagen , daß ich um deines eigenen Besten Willen dieses Glück noch entbehren muß . -
Meine teure Mutter ! rief ich aus , mein größtes Glück wäre mit Ihnen zu leben , ach und zumal jetzt , da ich hoffen könnte , Ihnen durch meine Pflege einige Erleichterung zu verschaffen .
Welches Auge kann treuer wachen , als das Ihrer Agnes !
Und glauben Sie , daß ich ruhig sein 172 kann , wenn ich entfernt von Ihnen in Ungewißheit über Ihre Gesundheit bleiben muß ?
Was nennen Sie mein Bestes , wenn es nicht die Befreiung aus diesem angstvollen Zustand ist ? -
Stille ! verführerisches Mädchen , sagte sie , und legte ihren Finger auf meinen Mund , stille !
Du mußt dich den Maßregeln , die ich jetzt für uns beide nehmen muß , unterwerfen . -
Ja wenn es für Sie ist , rief ich schmerzlich aus ! -
Du wirst täglich Nachricht von mir erhalten , mein bestes Kind ! sagte meine Mutter sanft ; sie hatte eine der reinen sonoren Stimmen , die immer zum Herzen sprechen , und 173 sie wußte ihr die mannichfaltigsten Beugungen zu geben ; für jeden Affektder Seele hatte sie einen Ton .
Überhaupt schien sie mir eines der zartesten , feinsinnigsten Geschöpfe , bei denen jedes Wort , jede leise Bewegung bedeutungsvoll ist , als Teil eines harmoniereichen Ganzen .
Ihre Füße ruhten unter einer Decke , ihr Nachtgewand war dicht und voller Falten , aber da es von einem weißen Zeuge war , erblickte ich bei dem Schimmer des trüben Lichtes doch die schönen Umrisse und das richtige Verhältnis ihrer Gestalt .
Die Hände waren zart , und hatten die feinsten Formen .
Eine tiefe Haube bedeckte ihr Gesicht .
Stirn , Wangen und Kinn waren ganz 174 versteckt , und von den übrigen Zügen konnte ich in dem düstern Zimmer nur einen höchst schwankenden Umriß wahrnehmen .
Nur an der lieben sanften Stimme dünkte mir , würde ich meine Mutter unter tausend fremden Gestalten erkennen können .
Sobald ich bemerkte , daß sie vermied , von mir gesehen zu werden , mußte ich meiner Neugier Gewalt antun , und wagte nur flüchtige Blicke auf sie .
Unter tausend zärtlichen Äußerungen , unter den gefälligsten Hoffnungen für die Zukunft , sagte meine Mutter kein Wort über ihre äußere Verhältnisse ; erst da ich wieder von ihr entfernt war , dachte ich darüber nach .
Sie empfahl mir mehrmals dringend die größte Vorsich 175 tigkeit .
Verbirg auch , sagte sie , dein Vermögen .
Charles wird dir die Einnahme der Zinsen besorgen , und bald werde ich eine Zusammenkunft mit deinem Vater von Hohenfels veranstalten , in welcher du dich mit ihm verabreden kannst , wie dein Kapital auf eine vorteilhafte Art anzulegen ist .
Dein Aufenthalt bei der Gräfin ist für jetzt unseren Zusammenkünften dienlich .
Eine Wanduhr schlug Neun .
Meine Agnes , ach , da schlägt die Glocke des Abschieds !
Diese Stunde des Genusses war die Frucht tränenvoller Jahre , aber ich habe sie nun auch rein genossen , rein wie den Sterblichen ein Genuß vergönnt ist !
So ein liebes Geschöpf in 176 der Blüte seiner Schönheit und Unschuld vor sich zu erblicken , und der Natur danken zu können , daß ich das innigste zarteste Verhältnis zu ihm habe .
- Ich hoffe , meine Agnes soll ein glückliches Geschöpf werden ; ein ruhiges , weises Gemüt , das das Leben mit freier Kraft ergreift , statt sich von dem schnellen Strom fortreißen zu lassen - möge es dein Los sein !
Möge dich eine glückliche Natur in früher Jugend schon lehren , was wir in dieser Welt sind und können .
Mich lehrten es schmerzliche Erfahrungen !
Sage mir , Liebe , hat dein Herz schon eine heftige Neigung ... Charles erschien unter der Türe , wo ich hereingekommen war .
Ach es ist Zeit ! rief meine Mutter , und die Wallungen , die bei ihrer Frage 177 mein Herz bewegten , vereinigten sich mit den Tränen des Abschieds .
Ihre Arme hielten mich fest umschlossen , und mit lautem Weinen und Stöhnen ließ sie mich los .
Charles riß mich mit Gewalt von ihrem Bette , und als ich laut über Grausamkeit klagte , meine Mutter in diesem Zustand zu verlassen , rief sie mir selbst noch zu : Gehe , gehe mein Kind ! eile !
Charles zog die Schelle , ehe wir das Zimmer verließen , und sprach mir zu , ruhig zu sein , meine Mutter sei jetzt in den Händen ihrer Kammerfrauen , die ihr innigst ergeben seien , und von welchen sie mit der zärtlichsten Sorgfalt behandelt werde .
Wir verabredeten während unserer Rückfahrt noch die Art , wie wir uns 178 künftig sehen wollten , und wie ich alle Tage Nachricht von meiner Mutter empfangen könnte .
Charles sollte als Zeichenmeister im Hause erscheinen , und so auf die natürlichste Art die Gelegenheit gewinnen , jeden Tag eine Stunde um mich zu sein .
Mein Herz war voll überwallender Freude , mich in so glücklichen Verhältnissen zu befinden .
Vermögen , Stand , eine liebende Mutter , Unabhängigkeit , und die Hoffnung meinem Vater in Hohenfels ein sorgenfreies Alter zu verschaffen !
Wie viel reines Glück schenkst du mir , ewige Vorsicht ! rief ich aus , und faßte Charles Hand , um dem nächsten vernünftigen Geschöpf mein frohes Dasein mitzuteilen .
179 Charles drückte meine Hand , und sagte :
Welcher Genuß ist es , eine freudenwallende Seele zu sehen , die in der Fülle ihres Herzens sich zu dem ewigen Lebendigen über den Wolken kehrt !
Dank war gewiß das erste Opfer , welches ein edles Gemüt den Unsterblichen brachte .
Die Bitte ist ein Zeichen der Schwachheit , das gepreßte Herz seufzet nach Hilfe .
Ich ehre den , der im Unglück sich auf seine eigene Kraft zurückstemmt , und keinen Laut des Schmerzens zum Himmel schickt ; aber ein Gemüt , dem die irdischen Bande der Sorge gelöst sind , in dem das Leben rein und frei auf und ab flutet , muß sich in Dank und Liebe der Gottheit verwandt fühlen . 180 Die Wolken hatten sich zerstreut , und die Sterne glänzten hell .
Charles fuhr fort : Sieh wie der Himmel seine tausend Augen öffnet , um in dein freudiges Herz zu blicken , und ihm eine ewig fröhliche Zukunft zuzulächeln !
Das Glück der Menschen ist wie eine hochgetriebene Woge , die notwendig wieder zur Tiefe muß ; aber die Erinnerung der Herzensfülle bleibt dem , der es als eine Erscheinung einer besseren Welt aufnahm , undsich durch keinen Genuß zum Übermut versuchen ließ .
Am Komödienhause mußten wir uns trennen , so gern ich auch Charles länger angehört hätte .
Seine sinnvollen Reden brachten Licht in meine 181 Seele ; gleichwie eine schöne Dichtung der Musik dunkle Empfindungen entwickelt .
Mein Inneres wurde klarer , Entschlüsse und Regeln für mein künftiges Leben reihten sich in dieser Stimmung an einander .
Ich suchte die Türe des Ballsaals , um mich unter dem Gewühl der Masken unbemerkt mit einzudrängen , aber aus Versehen geriet ich in ein Nebenzimmer , welches noch durch einige andere Zimmer vom Saale getrennt war .
Neben der Seitentüre , durch welche ich eintrat , befand sich ein Alkoven mit einem Vorhang drapiert ; dieser war halb heruntergezogen .
Ich hörte ein paar leise flüsternde Stimmen hinter dem Vorhange .
182 Ich glaubte den Ton der Gräfin zu vernehmen , und wollte deutlicher hören , ob ich nicht irre , und sie dann , nach meinem Plan , durch meine Erscheinung überraschen .
Ich hoffte so jede Spur meiner Entfernung aus dem Hause zu vertilgen .
Ich blieb einige Momente in der Ecke des Zimmers stehen ; die Stimmen sprachen immer leiser .
Schon näherte ich mich der Türe , welche ins Nebenzimmer führte , als meine Augen auf einen Spiegel fielen , in dem ich die verborgenen Gestalten des Alkovens erblickte .
Ich erkannte die Gräfin im vertraulichen Gespräch mit einem Manne .
Sie hielt seine Hände zwischen den beiden ihrigen , und beugte ihren 183 Kopf an seine Brust .
Das Gesicht des Mannes war abgewendet , aber die große edle Gestalt erinnerte mich sogleich an das geliebte Bild , welches so klar in meiner Seele lag .
Er ist hier , und nicht für mich ! fühlte ich schmerzlich ; nicht einmal eine Frage nach mir ... .
Von bangem Zweifel ergriffen , blieb ich wie an den Boden gekettet stehen .
Jetzt richtete sich die Gestalt auf , und ich erkannte wirklich die Gesichtszüge meines Geliebten .
Lassen Sie uns jetzt gehen , Liebe , sprach er , und beide näherten sich der Tür .
Sehen wir uns morgen ? sagte sie zärtlich ; - ich konnte seine Antwort nicht verstehen .
Betäubt floh ich in den Saal , und sank auf einen Stuhl .
Mein Herz ar 184 beitäte in gewaltigen Schlägen gegen meine Brust , und meine Sinne drohten zu erlöschen .
Die Gräfin ging , auf den Arm meines Freundes gestützt , dicht an mir vorbei .
Ich hatte weder Bewegung noch Stimme , und zitterte vor Furcht , daß sie mich erkennen möchte .
In diesem Zustande war ich unfähig , das Anschauen des geliebten Mannes zu ertragen , auch wollte ich vor ihm nicht jugendlich unbesonnen erscheinen .
Diese ängstigenden Vorstellungen vermehrten mein Übelsein .
Ich war nahe an der Ohnmacht , und da ich keine bekannte Gestalt in meiner Nähe erblickte , blieb ich starr und fühllos auf meinen Stuhl gelehnt , in der Furcht , jeden Moment herabzusinken .
Julius erschien mir als ein guter 185 Genius .
Er hatte mich erkannt , und kam auf mich zu ; ich bat ihn , mich sogleich in ein anderes Zimmer zu führen , wo ich freie Luft schöpfen könnte .
Die Entfernung von der betäubenden Musik und einige Erfrischungen brachten mich wieder zu mir selbst , doch fühlte ich mich unfähig länger in dem Getümmel zu bleiben , und am unfähigsten , Nordheim mit der Fassung und Würde zu begegnen , wie ich wünschte .
Ich bat Julius , mir einen Wagen , in dem ich nach Hause fahren könnte , zu verschaffen .
Er drang in mich , noch wenige Momente auszuruhen .
Seine zarte Sorge , in der der Anteil des Herzens so unverkennbar war , rührte mich innig ; 186 dankbar drückte ich seine Hand .
Meine teure Agnes , ich bin neu beseelt ! rief er aus .
Mir dieses Glück !
Es war das erste sinnliche Zeichen einer zarten Neigung , welches er von mir empfing ; ich hatte es ihm mit dem unbefangensten Herzen gegeben ; nur als ich fühlte , wie hoch er es empfand , bereute ich , es getan zu haben .
Er eilte auf meine wiederholte Bitte nach einem Wagen .
Mit der Unbedachtsamkeit , die einem reinen Herzen und ländlich einfachen Sitten so natürlich ist , verschloß ich die Türen des Zimmers , um nicht weiter gesehen zu werden .
Ein Fenster ging auf den Vorplatz , und hinter diesem wartete ich Julius Zurückkunft ab .
Man machte ver-187 schieden Versuche , die Türen , welche in die Nebenzimmer führten , zu öffnen , und eine Gesellschaft entfernte sich nach ihrer fehlgeschlagenen Mühe mit einem unbescheidenen Gelächter .
Julius kam bald zurück , und führte mich zum Wagen ; er war etwas verlegen , als er die verschlossene Tür wahrnahm , und meine Erzählung über die Versuche , sie zu öffnen , hörte .
Ich bat ihn , der Gräfin zu sagen , daß ich auf dem Ball gewesen sei , aber daß mich ein schneller Anfall von Übelsein gezwungen hätte , sogleich wieder nach Hause zu gehen .
Kaum waren wir zur Türe hinaus , und auf einer engen Galerie , als 188 uns Nordheim entgegen kam .
Es war unmöglich , ihm auszuweichen , ich hatte unterlassen meine Maske wieder vorzunehmen , weil mir Julius gesagt , daß er mich eine Seitentreppe hinunter führen würde , wo uns niemand begegnen werde .
Ich hielt mich mit Mühe an Julius Arme aufrecht , so gewaltig wirkte jene geliebte Erscheinung auf mich .
Wir standen unter einem Wandleuchter , und Nordheims Gesicht war im vollen Licht .
Wie finde ich Sie hier wieder ? sagte er mit sanfter Stimme , indem sein scharfer Blick Julius Maß .
Meine Stimme zitterte , ich stammelte einige verwirrte 189 Laute : Ich wollte die Gräfin überraschen ...
Ich wurde nicht wohl ... Herr von Alban will die Güte haben , mich nach Hause zu begleiten .
Ein Blick auf Julius machte meinen Zustand noch schmerzlicher .
Eine glühende Röte flammte über seine Wangen , er wagte nicht die Augen aufzuschlagen , und ich fühlte , daß er meine Verwirrung teilte .
Ich will Sie hier nicht länger aufhalten , sagte Nordheim , und verließ uns nach einer steifen Verbeugung .
Ich Unbedachtsamer , was habe ich getan ! rief Julius , als wir wieder allein waren .
Erst nach mehreren Wochen erfuhr ich durch Elise bei einer anderen Veranlassung den Grund dieses sonderbaren Ausrufes , über 190 den mir Julius keine Erklärung geben wollte .Julius hatte mich , in der dringenden Verlegenheit über mein Übelbefinden , unachtsamer Weise in ein Zimmer geführt , welches die jungen Herren einer gewissen Klasse in üblen Ruf gesetzt hatten .
In Nordheims schwankendem Betragen und forschendem Blick nahm er zuerst seinen ganzen Irrtum wahr , und meine kindische Unbedachtsamkeit die Türen zu verschließen , machte den Vorfall noch zweideutiger .
Er wollte mir diese unangenehme Entdeckung ersparen , und behielt sich vor , Nordheim , dessen nähere Bekanntschaft er zu suchen gedachte , die nötige Aufklärung über diesen Zufall zu geben .
Wie viel mußte ich durch diese in Julius 191 Lage so natürliche Delikatesse leiden !
Julius verließ mich , auf mein dringendes Bitten , am Wagen .
Mein Gemüt war verwirrt durch die Gewalt der süßen und schmerzlichen Eindrücke , die ich in dieser Nacht empfangen hatte .
Mein Schlaf war nur eine fieberhafte Ermattung , und meine Träume wiederholten die empfundenen Szenen in den sonderbarsten Zusammenstellungen .
Mit den Morgenstrahlen ging mir die Wirklichkeit in ihrem lieblichen Schimmer auf ; der Gedanke an meine Mutter , der Blick auf meine so glücklich verwandelte Lage , die Ahnung einer schöneren Zukunft beruhigten mein Herz über den Verlust des Geliebten .
Aber was soll ich hier , hier in diesem 192 Hause , wenn mich seine Liebe nicht hierher rief ?
Warum traute ich auch Rosinen Geschwätz , und nahm das bedeutungsvolle Schweigen meines Vaters nicht einzig zum Leitstern meiner Gefühle ?
Er liebt ja diese Amalie ... warum hörte ich nicht auf den Namen , der mir in der ersten Viertelstunde warnend von seinem Ringe entgegen rief ? der sich als ein unglückweissagender Dämon zwischen die ersten Wallungen meines Herzens für ihn drängte ?
Die Gräfin kam in einer ungewöhnlich zierlichen Morgenkleidung , mich zu besuchen .
Ein freundlicher Schimmer ergoß sich um ihre ganze Gestalt , ihre Bewegungen waren leichter und der Ton ihrer Stimme sanfter .
Seine Küsse schienen mir von ihren Lippen entgegen zu schweben .
Nach 193 zärtlichen Fragen über mein Übelbefinden , von welchem sie durch Julius unterrichtet war , fragte sie , ob sie das Frühstück in mein Zimmer dürfe bringen lassen ?
Aber Sie müssen sich etwas ankleiden ! rief sie mir zu , als sie schon halb zur Türe hinaus war , denn ich bringe noch einen Fremden mit .
Ich darf doch ? -
Sie eilte hinweg , ohne meine Antwort abzuwarten .
Ihr Betragen schien mir Spott in meinen Verhältnissen ; ich war schmerzlich bewegt , aber seit ich aus meines Vaters Hause war , hatte ich die so nötige Kunst , Meister meiner äußeren Bewegungen zu werden , genügsam erlernt .
194 Ich will mich nicht ankleiden , beschloß ich in einem Ausbruch kranker Empfindlichkeit ; ich will Amalie zeigen , daß ich nicht mit ihr über die Vorzüge der Gestalt und des Schmuckes wetteifere !
Ein blau seidenes Tuch war nachlässig um meine Haare geknüpft , und über mein alltägliches weißes Morgengewand warf ich nur ein Schal um ; wahr ist_es , ich legte es so , daß es den Leib eng umschloß , und die Brust und Arme nur leicht und in malerischen Falten drapierte .
Du willst kalt und zurückhaltend sein , nahm ich mir vor , aber kaum war der geliebte Mann zum Zimmer hereingetreten , und hatte mich sanft und freundschaftlich gegrüßt , so sagte ich mir : Nein , du willst wahr und einfach sein !
Eine herzliche Frage 195 nach dem Befinden meines Vaters verbannte bald allen Zwang .
Bei diesem teuren Namen verschwand alle Verwirrung , und ich fühlte mich in der fröhlichen Unbefangenheit meiner ersten Jugend .
Sonderbar dünkte es mir , daß er es ganz vergessen zu haben schien , wie wir uns gestern gesehen hatten .
Ich mußte viel sprechen , und die Gräfin spielte ganz die Rolle einer gefälligen Freundin ; sie gab mir Anlaß , meine Ideen auf die beste Art zu entwickeln , und wußte den Faden der Unterhaltung so kunstreich fortzuspinnen , daß sich meine geringe Kenntnisse auf die natürlichste Art einflechten mußten .
196 Wissen Sie wohl , Nordheim , sagte sie bei einem Stillstand des Gesprächs , daß die liebe Kleine und ich uns noch sehr wenig kennen ?
Wir waren vielleicht nicht zwei ruhige Stunden ununterbrochen beisammen .
Auch sehne ich mich aus dem Kreis der Karten und Würfel so herzlich hinaus , wie ein Kind aus der engen dumpfigen Schule sich nach der freien Himmelsluft sehnen mag .
Wäre es nicht für Sie gewesen , so hätte ich es schwerlich so lange aushalten können .
" Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundschaftliche Aufopferung , meine beste Freundin , erwiderte Nordheim .
Durch Ihre Bemerkungen bin ich kein Fremdling mehr auf 197 dem Boden , den ich anbauen soll .
Mein Hauptzweck , dem künftigen Fürsten seine Residenz angenehmer zu machen , wird sicher durch Ihr Bemühen erreicht .
Der durch Sie umgestimmte Ton gibt der Maße der Gesellschaft einen modernen Anstrich , und der Prinz wird sie der Bischen , die ihn bisher so sehr anzog , weniger unähnlich finden .
Ich wünschte , gefällige Eindrücke fesselten seine Neigung an sein Land .
Ich habe das Vertrauen des Prinzen nicht gesucht ; aber da ich es gewonnen habe , so will ich es ehren , und keine Aufopferung schonen , um ein edles Gemüt , durch erfüllte Pflicht , im Frieden mit sich selbst zu erhalten . " 198 " Ihre Bemerkungen über die Menschen in D.. sind so fein , so treffend , so im einfachen Sinn der Wahrheit dargestellt , daß ich sie unserer Agnes einmal als ein Muster in dieser Art vorlesen werde .
Entfernt von der Sucht zu spotten , die lieber das Böse wahrnimmt , weil Witz und Laune besser damit spielen können , und gleichweit entfernt von der schwachsinnigen Gutmütigkeit , die nicht durch den äußeren Firnis eines Charakters hindurchzuschauen vermag , erscheint Ihrem reinen , festen Blick immer die Linie der Wahrheit .
In ihrem gesellschaftlichen Benehmen , in ihren Erholungsstunden entschleiern die Menschen ihre Individualität am 199 leichtesten , und am allerwichtigsten ist es , den Grundton eines Jeden zu kennen , ob Liebe , ob Egoismus das Übergewicht in seinem Handeln hat !
Es freut mich , daß Sie einige Menschen von Gehalt unter den Geschäftsleuten fanden , auf die ich bei meiner Prüfung doppelt aufmerksam sein werde . "
" Die beiden Albans nennen Sie mir ? -
Es scheinen mir Menschen von vorzüglichem Wert zu sein , erwiderte die Gräfin .
Unsere Agnes ist zu meinem Vergnügen sehr genau mit ihnen bekannt geworden , ich freute mich schweigend dieser verständigen Wahl .
Was denken Sie von ihnen , beste Agnes , und da Sie sie noch genauer als ich kennen , welchem geben 200 Sie den Vorzug unter den beiden Brüdern ? "
Ich erwiderte : dem Charakter nach wären sie beide gleich achtungswürdig .
Beide hätten den reinsten Willen .
Über ihre Talente wage ich nicht zu entscheiden .
Mir schiene der älteste einen sichereren Blick , der jüngste hingegen einen schnelleren zu haben .
Er übersähe immer ein weiteres Feld als fein Bruder .
Der älteste kombiniere in seinem engeren Zirkel meist immer richtig ; der zweite in seinem weiteren freilich manchmal falsch , aber er ehre die Wahrheit über alles , und sei immer geneigt , jede fremde Meinung gegen die seine zu prüfen .
Übrigens könne ich nicht ganz richtig urteilen , weil ich mit Julius näher bekannt sei , als mit seinem Bruder .
201 Ich hatte dieses mit der größten Unbefangenheit gesagt , aber ein schlauer Blick der Gräfin brachte mich bei Julius Lobe außer Fassung , und beinahe geriet ich ins Stocken , weil mir die Folgerungen durch den Sinn flogen , die Nordheim über ein zärtliches Verhältnis unter uns daraus ziehen könnte .
Ich schämte mich dieser egoistischen Ansicht , und nahm mir vor , da , wo es den Vorteil eines Freundes gälte , alle Launen der Liebe außer Spiel zu setzen .
Mit glühenden Wangen und bebender Stimme fuhr ich fort :
Julius schiene mir ganz gemacht , durch die rastlose Tätigkeit seines Geistes und edle Wärme seines Herzens , einen großen Kreis der Wirksamkeit würdig zu durchlaufen .
202 Nordheim saß mit niedergeschlagenen Augen , und nur dann und wann traf mich ein Blick von ihm .
Er antwortete nicht auf meine Äußerungen , sprach wieder von mir , sah meine Malereien durch , und wunderte sich , daß ich die Portraitmalerei nur allein übe , und die Landschaft ganz vernachlässige .
Ich sagte ihm offenherzig meine Gedanken dabei , daß ich diesen Zweig der Kunst nur in Rücksicht auf meine und meines Vaters in Hohenfels ökonomische Lage erwählt hätte .
O liebe Seele ! ... sagte er , und legte seine Hand sanft auf meinen Arm .
Ich fühlte , daß er ein großmütiges Anerbieten aus Feinheit zurückhielt .
Ich war bewegt , und faßte den Augenblick , um auch der Gräfin in seinen Augen über ihr Benehmen 203 gegen mich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen .
Ich fühle es , sagte ich , an der großmütigen Sorgfalt , mit welcher man in diesem Hause allen meinen Wünschen zuvorkommt , daß ich auch der Sorge für die Zukunft überhoben sein könnte ; aber ich leugne nicht , es schiene mir Pflicht , und meinem innigsten Empfinden angemessener , mich durch eigenen Fleiß zu erhalten , und die Wohltaten gutmütiger Menschen Unbemittelten zu überlassen , die sich durch kein Talent forthelfen können .
Liebes Kind , o schweige mir davon ! rief die Gräfin , und schloß mich in ihre Arme .
Es war der erste Ausdruck einer lebhafteren Empfindung , den ich an ihr 204 wahrnahm ; sie erschien mir in erhöhter Liebenswürdigkeit .
Tränen glänzten in ihren Augen , als sich ihr Haupt aus meiner Umarmung wieder erhob , und mit einer ganz eigenen Grazie lächelte sie unter den Tränen hervor .
Die Kleine ist fürwahr recht eigensinnig , Nordheim , sagte sie ; meinen Sie , daß sie mir erlaubte , mich nur im geringsten in ihre Garde robe zu mischen !
Ich spreche von den ersten Kleinigkeiten .
Schmälen Sie mit ihr !
Lieber verdirbt sie ihre schöne kostbare Zeit damit , einer alten Haube eine neue Form zu geben , einen verwaschenen Zeug aufzufärben , 205 ehe sie mir erlaubte , ihr für ein paar Dukaten solchen Plunder zu kaufen .
Wir haben schon manchen Streit darüber gehabt .
Nordheim sah uns mit stillem Wohlgefallen zu , ging in meinem Zimmer auf und ab , und verweilte vorzüglich bei meinem Bücherschrank .
Er nahm meinen griechischen Homer , in welchem einige Blätter von meinen Übersetzungen lagen . -
Darf ich , liebe Agnes ? fragte er , indem er eines derselben herauszog .
- Ich antwortete etwas verwirrt , es sei eine Arbeit , die ich noch bei meinem Vater in Hohenfels , und mit seiner Hilfe unternommen hätte .
Es freut mich , liebes Mädchen , erwiderte Nordheim , daß 206 Sie die griechische Sprache treiben ; ich hoffe nicht , daß Sie mich für einen der Männer ansehen , die die Krücken der weiblichen Unwissenheit gern zu ihrem eigenen Fortkommen brauchen .
Schon längst hielt ich es für ein schädliches Vorurteil , daß man den Weibern in unseren höheren Ständen nicht durch eine sorgfältigere Erziehung die Bekanntschaft mit der alten Literatur erleichtere , die die Blüte echter Kultur für Geist und Herz so glücklich entfaltet .
Die Gräfin bat mich , Nordheimen ihr von mir angefangenes Porträt zu zeigen ; ich holte es aus dem Nebenzimmer , und als ich an der Türe war , hörte ich Nordheimen folgende Worte ausspre 207 chen :
- Nein , es ist unmöglich bei solcher Wahrheit und solchem Geist !
Sie waren mir rätselhaft , und nur durch Elisens Entdeckung über das unglückliche Zimmer im Komödienhause wurden sie mir in der Folge verständlich .
Elise kam , sich nach meiner Gesundheit zu erkundigen , und sprach mit der natürlichsten Unbefangenheit von meinem Übelbefinden auf dem Ball .
Nordheims ganze Aufmerksamkeit war bei unserem Gespräch , ob er gleich nur mit meinem Gemälde beschäftigt zu sein schien .
Aber nicht wahr , Fräulein R. ... , sagte die Gräfin scherzhaft , die Kleine soll uns nicht mehr aus den Augen !
Scheues Vögelchen , wo in aller Welt 208 hast du nur das Herz hergenommen , dich unter solch einem Gewühl von Menschen allein zu verlieren ?
Schon schwebte mir eine feine Antwort auf den Lippen , die mich durch einen Scherz aus der Schlinge gezogen hätte , als Nordheims Blick fest und fragend auf mich fiel .
Meine Kraft versagte mir ; diesem gegenüber etwas Unwahres zu sagen , dünkte mir unmöglich .
Mein Atem war gepreßt , meine Stimme erlosch , und die glühende Verlegenheit preßte Tränen aus meinen Augen .
Elise , welche glaubte , ich fände eine Art Vorwurf in den Worten der Gräfin , suchte mich aus der Verlegenheit zu reißen .
Machen Sie mich zur Hofmeisterin unserer Agnes , gnädige Frau , sagte 209 sie zur Gräfin , über alles was die Etikette betrifft .
Ich werde stolz sein , sie auch nur von dieser armseligen Seite zu übertreffen , da es mir auf jeder anderen doch mißglücken müßte .
Ich konnte die Augen wieder aufschlagen .
Nordheim stand mir sehr ernsthaft gegenüber .
Ich fürchte , meine Freundin , sagte ich Elise , Sie würden eine zu ungelehrige Schülerin an mir finden .
Ich fühle zu sehr , daß ich nicht fürs höhere Leben gemacht bin , und die süße Freiheit meiner Kindheit in Hohenfels wird es mir immer schwer machen , mich mit Leichtigkeit in die künstlichen Schranken der Gesellschaft zu fügen .
210 Sie sind zu ernsthaft , liebste Agnes , sagte die Gräfin .
Wollen Sie nicht eine Spazierfahrt machen ? sagte Nordheim .
Freie Luft und Bewegung ist die beste Arznei für unsere Freundin .
Elise war zugesagt zum Mittagsessen , und konnte nicht mit von der Gesellschaft sein .
Die Gräfin und ich nahmen den Vorschlag mit Vergnügen an .
Wir fuhren in der Mittagsstunde weg , Nordheim war uns zu Pferde vorausgeeilt .
Die ganze Gegend glänzte im Sonnenlicht , und mein Auge spähte sehnsuchtsvoll in der weiten Fläche umher , um nur eine Spur des Hauses wieder zu finden , in dem ich gestern das reinste Glück genossen hatte .
Mein Bemühen blieb fruchtlos , die Gegend war mit Dörfern und 211 Landhäusern so reichlich übersäet , und von so vielen Straßen durchschnitten , daß es mir unmöglich war , den Weg , welchen ich gemacht hatte , wieder zu erkennen .
In einem alten , majestätischen Tannenwald , durch welchen die Straße führte , fanden wir Nordheim wieder .
Er ritt ein wildes mutiges Pferd mit großer Geschicklichkeit , oft warf er einen freundlichen Blick in den Wagen .
Sahen Sie je einen schöneren Mann , liebe Agnes ? sagte mir die Gräfin ; je einen , dessen ganzes Wesen solchen Adel , solche Grazie zeigt ?
Und welch eine himmlische Einheit ist in seinem ganzen 212 Wirken und Leben !
Schweigend stimmte mein Herz in ihre Gefühle ein ; sie verstand es , und schaute gedankenvoll vor sich hin .
Jetzt öffnete sich der dicht verwachsene Wald , und die reizendste Landschaft lag vor uns .
Gegen Osten ergoß sich ein breiter Fluß durch eine unabsehbare Fläche , und gegen Westen drängten sich seine Ufer durch zwei Gebirgketten , die die sonderbarsten Formen bildeten .
Drohende Felsen neigten sich über den Spiegel des Flusses , wechselnd mit freundlichen Wiesenflächen , an denen einfache , doch reinliche Häuser regellos hingestreut waren .
Auf einem dieser Felsen lag ein Schloß , dessen graue 213 Mauern im ernsten Charakter der Festigkeit emporragten .
Wo führen Sie uns hin , Nordheim ? rief die Gräfin ; ist das nicht Ihr Landgut ?
Ja , erwiderte er , und ich hoffe , Sie nehmen mit der geringen Bewirtung vorlieb , die ich Ihnen für heute anbieten kann .
Der Wald war durch ein liebliches Wiesenthal mit den Felsen , auf welchen das Schloß lag , verbunden ; wir wünschten dieses ganz zu genießen , und beschlossen , es zu Fuße zu durchwandern .
Der junge Rasen unter unseren Füßen war von klaren Bächen durchschnitten , die sich aus den Felsen ergossen , und mit frischem Grün umkränzt , in sanften Linien durch das Tal rieselten .
Die Pappeln und anderes 214 Gesträuche trugen schon zarte Blätter , und der Hagedorn stand in voller Blüte .
Nur an den reinlich gehaltenen Wegen bemerkte man die Hand der Kultur in diesem Tal , in dem sonst die liebliche Freiheit der Natur herrschte .
Unser Weg führte uns an einigen zierlichen Häusern vorbei , wo Obst-und Gemüsepflanzungen angelegt waren .
Ein alter Mann von ehrwürdigem Ansehen war in dem einen Garten beschäftigt , die Rebengeländer zu ordnen .
Sorgfältigere Kultur rief hier die Erscheinungen eines milderen Himmelsstriches hervor .
Die Weinranken wanden sich von Baum zu Baum , und bildeten zierliche Bogen .
Der Alte grüßte uns schweigend , 215 und fuhr in seiner Arbeit fort .
Aus dem zweiten Hause kam ein Mädchen und ein Knabe herausgesprungen , der Größe nach schienen sie beide zwischen vierzehn und sechzehn Jahren .
Beide waren von schöner Bildung .
Ihre lebhaften schwarzen Augen und dunklen Haare , das warme Kolorit ihrer Gesichtsfarbe und ihre sprechenden Gebärden gaben ihnen einen unter unserem Himmel fremden Anstrich .
Warten Sie ein wenig ! rief der Knabe Nordheimen auf italienisch zu , meine Schwester bringt Ihnen Veilchen .
Das Mädchen nahte sich bescheiden , und die zurückgehaltene Lebhaftigkeit gab ihrem ganzen Wesen ein reizendes Spiel .
Mit einer angenehmen Verbeugung gab sie Nordheimen einen Veilchenstrauß , 216 und sprang schnell wieder fort .
Während dem Laufen rief sie uns zu :
sie eile , um den Damen auch Blumen zu hohlen .
Nein , das will ich tun ! rief der Bube , und sprang ihr nach .
Auf halbem Weg wendete er wieder um , und fragte Nordheimen : ob er seine Flöte mitbringen dürfe und seiner Schwester Gitarre , um den Damen eine Musik zu machen ?
Das bitten wir uns einmal in meinem Hause aus , Battista , die Damen sind jetzt ermüdet ; erwiderte Nordheim , unerachtet die Gräfin bat , den Kindern die Freude nicht zu verderben .
Als sich der Kleine entfernt hatte , sagte uns Nordheim :
er habe Battista's 217 Gesuch aus Schonung für die Mutter abgewiesen , die durch sonderbare Schicksale verstimmt , das Anschauen jedes Fremden fliehe , oder nur zuweilen , aus Gefälligkeit , mit schmerzlichem inneren Kampf aushalte .
Die Schwester eilte mit ihren Veilchen herbei , Battista nahm ihr den einen Strauß ab , und überreichte ihn mir mit einer natürlichen Feinheit , während seine Schwester den ihrigen der Gräfin gab .
Nordheim reichte ihr seine Hand zum Abschied , die sie mit Heftigkeit an ihre Lippen drückte .
Die Mutter sahen wir nur auf einen Blick durchs Fenster , ein edler ausdruckvoller Kopf einer hinwelkenden Schönheit .
Sie bevölkern Ihren englischen Garten mit lebendigen Bewohnern , sagte die Gräfin , und das ist freilich 218 interessanter , als die ausgestopften Einsiedler , welche man jetzt überall findet , und die leeren Bauernhäuser , die ein wohlwollendes Herz nur mit dem Gedanken ansehen kann :
Hier sollten glückliche Menschen wohnen !
Es ist vielleicht mehr Zufall als Plan in diesen Anlagen , erwiderte Nordheim lächelnd .
Wenn es unser Genius gut mit uns meint , so hält er uns eine Pflicht vor , indem wir eben eine Torheit begehen wollten .
Sie haben es erraten , der Plan war schon gemacht , dieses Tal zum Park umzuschaffen ; das eine Haus sollte eine gotische Kapelle , und das andere ein griechischer Tempel werden .
Ein Freund , mit dem ich seit vielen 219 Jahren in inniger Vertraulichkeit lebte , empfahl mir auf seinem Sterbebette eine Sängerin , die er unterhalten hatte , und die bei der Geburt seines zweiten Kindes durch eine heftige Krankheit ihre sehr schöne Stimme verloren hatte .
Sie und ihre Kinder wurden hülflos durch den Tod meines Freundes ; und ich ließ meine gotische Kapelle zum einfachen Wohnhause für sie einrichten .
Die Kinder wuchsen heran , verrieten Talent , und ich war eben um ihre Erziehung verlegen , da ich sie ungern von der Mutter trennen wollte , als eines Morgens ein alter Hofmeister von mir ankam , der mir in meiner Jugend einen wichtigen Dienst geleistet hatte , und sich 220 jetzt , nach vielen vergeblichen Kämpfen mit dem Schicksal , nach einem Zufluchtsort umsah .
Er besitzt mannigfaltige und gründliche Kenntnisse und eine gute Art sie mitzuteilen .
Er soll deinen griechischen Tempel bewohnen , dachte ich , bot ihm einen kleinen Jahrgehalt an , den er mit Vergnügen annahm , und von dem er , bei seiner echt philosophischen Simplizität und in der größten Unabhängigkeit , sehr glücklich lebt .
Die Kinder sind ihm lieb geworden , und er verwendet sich mit Treue und Fleiß auf ihre Bildung .
Mir ist wohl , auf dem kleinen Plätzchen einen 221 Zirkel ruhig lebender Menschen vereint zu sehen ; wenn ich hier bin , verlebe ich manchen vergnügten Abend unter ihnen .
Ein bequemer Weg , mit Bäumen besetzt , führte von der einen Seite über den Felsenrücken bis an eine Zugbrücke .
Mannichfache anmutige Anlagen schmückten den Fels , und nur von einer Seite war er ganz unangebaut , und neigte seine formlosen Massen , zwischen denen wildes Gesträuch hervorwuchs , drohend über den Fluß .
Wir gingen über die Zugbrücke in den geräumigen Hof , um das Innere des Gebäudes zu sehen .
Die Tore waren mit zwei Wappen geschmückt , und alle Verzierungen waren im alten Geschmack in Stein , rein gezeichnet und gearbeitet , und 222 auf das beste unterhalten .
Ich habe mich sehr gehütet , sagte Nordheim , den alten Charakter dieses Gebäudes durch modernes Flickwerk zu verfälschen .
Mir dünket oft , die Sprache der alten Zeit in diesen festgewolbten Hallen zu vernehmen .
Aus der glatten , neueren Welt flüchte ich mich gern in diese rauhen Mauern , wo lauter feste und starke , wenn gleich etwas grelle Formen mich umgeben .
Wir gingen durch einen großen Saal , dessen Hauptverzierung aus Familienportraits in Lebensgröße bestand , von denen die meisten durch gute Künstler gemalt waren .
Es war eine Reihe fester biederer Gesichter , in denen die Stärke der hervorstechendste Ausdruck war .
Wappen und 223 Titel standen zu ihren Füßen , und die meisten hatten in den ersten Fürstenhäusern Deutschlands ansehnliche Ämter bekleidet , bis auf Nordheims Vater und Großvater , die gar keine Titel hatten .
Die Gräfin bemerkte es , und Nordheim sagte lächelnd :
Die Talente zum Hofglück verloschen hier in unserer Familie , oder die Verfassungen änderten sich , und foderten andere Talente , als die wir von unseren redlichen Vorfahren ererben konnten .
Was sollten die stolzen ehrlichen Ritter bei den französischen Kabinettskünsten ? und die braven und geistvollen verachteten den müßigen Hofdienst .
Mein Großvater merkte , wo der 224 Wind der Zeit herwehte , und zog sich auf seine Güter zurück , nachdem er die Welt durch Reisen hatte kennen lernen .
Er kaufte diese zwei Dörfer , die Sie hier längs des Flusses sehen , wieder an sich .
Seit langen Jahren hatten sie der Familie zugehört , und nur unter den letzten Besitzern gingen sie verloren , weil diese lieber den großen Diener in der Stadt spielten , als den Herrn in ihrem Hause .
Mein Großvater war ein verständiger Landwirt und ein sorgsamer Vater seiner Untertanen .
Ununterbrochen arbeitete er daran , seinen Nachkommen ein unabhängiges Vermögen zu verschaffen , und da seine Vorfahren oft wenig an die Nachkommen gedacht hatten , so mußte er oft zu seiner Unbequemlichkeit 225 an sie denken .
Er hatte große Neigung zur Pracht , sein Geschmack hatte sich in den Hauptstädten Europas ausgebildet , aber er ordnete alle Liebhabereien den Grundsätzen einer weisen Sparsamkeit unter .
Er lebte bequem , aber sehr einfach , und verbannte allen Luxus , der nur der Meinung frönt , ohne einen reellen Lebensgenuß zu verschaffen .
Seine Freunde waren ihm alle Tage an seiner Tafel willkommen , aber nie Würdediese mit Überfluß besetzt .
Jedem Fremden war wohl in seinem Hause .
Weil er allen Zwang des eitlen Scheins abgeworfen hatte , störte selten etwas seine gute Laune , und ich entsinne mich noch , daß ich mich als 226 Kind immer in des Großvaters Hause frei fühlte , wie ein Vogel , den man des Käfigs entlassen hat .
Mein Vater lebte auch in demselben Sinne wie mein Großvater , und hielt sich nur oft in S** auf , weil er mit dem Fürsten in freundschaftlichen Verhältnissen stand .
Und sollte ein so biederes blühendes Geschlecht verlöschen , liebster Freund ! sagte die Gräfin , indem sie ihre Hand auf Nordheims Arm legte .
Möchte ein edler Sohn , fuhr sie fort - aber ihre Stimme bebte und erlosch , eine sonderbare Bewegung war in ihrem ganzen Wesen sichtbar , ihre Wangen glühten , und in ihren Augen zitterten Tränen .
Nordheims Blicke fielen auf mich , wie in jenem Moment in 227 Hohenfels , als er meinem Vater sagte : Mir fehlt auch nur eines , und Sie könnten mir es vielleicht geben !
Er nahm die Hand der Gräfin und diemeine zusammen , und sagte : Überlassen wir das der Zukunft , meine Besten !
Die Bewegung der Gräfin stieg immer höher , und Nordheim führte mich gegen die andere Seite des Saals , als wollte er ihr Zeit lassen sich zu sammeln .
Unsere Agnes muß auch meine Eltermütter kennen lernen , sagte er .
Scheinen sie nicht sanfte stilltätige Seelen gewesen zu sein , deren Blick , gewohnt sich in einem engen Zirkel zu beschränken , tief und scharf auf das ihnen Nächstliegende sieht ?
Das Blumenesträuschen in ihrer 228 Hand , oder der goldene Trauring an ihrem Finger , scheint ihre Gedanken zu beschäftigen , und eine süße Erinnerung ihres Brauttages vor ihrer reinen Fantasie zu schweben .
Die Großmutter blickt schon freier um sich her , aber ein edles Selbstgefühl thronet auf der offenen Stirn .
Auch war sie ein braves , kluges Weib , das während der Abwesenheit meines Vaters die Güter beinahe ohne männliche Beihilfe einige Jahre hindurch ganz nach dem Sinne ihres Mannes verwaltete .
Alles hatte Gedeihen und glücklichen Fortgang unter ihrer Aufsicht .
229 Meine Mutter fehlt hier , Sie werden sie in meinem Zimmer sehen , ich bin gerne unter ihren Augen .
Auch sie hatte , wie wir es unbilligerweise ausdrücken , einen männlichen Geist .
Die schöne Fähigkeit des weiblichen Gemüts in einer neuen fremden Lage , gleichsam in seinem Inneren ein neues Ressort aufzufinden , sollte von uns mehr als eine dem Geschlecht innewohnende Kraft angesehen werden , anstatt daß wir sie nur für eine Ausnahme anerkennen wollen .
Wir sind um so unbilliger in diesem Urteil , da wir positive Vorteile gegen die Frauen haben , und mit manchen Federn geschmückt sind , die wir am Ende doch nur unseren stärkeren Klauen verdanken .
Die Vorteile einer früheren wissenschaftlichen Bildung 230 und mannigfacher Lebensverhältnisse mußten für Kraft des Charakters , für Besonnenheit in schweren Lagen auf unserer Seite entscheidend sein , wenn nicht wirklich zuweilen ein innerer Reichtum der Natur die Weiber entschädigte .
Aber nicht alle hat die Natur so begünstigt ; wenige nur widerstehen durch eine glückliche Anlage der Gewalt , welche eine falsche Erziehung , schon von der frühesten Jugend , an ihnen ausübt .
Die Unwissenheit und Charakterlosigkeit , zu denen sie meistens ihre Verhältnisse verdammen , tragen die bittersten Früchte für ihr ganzes Leben , und wer hat diese zu genießen , als wir selbst ?
Der Ruin vieler Familien entsteht 231 größtenteils aus Schwachheit und Kurzsichtigkeit der Weiber .
Störriger Eigensinn ist die Folge eines beschränkten Geistes , und existiert meist neben kindischer Furchtsamkeit .
Die unterdrückte Natur rächt sich ; wir sind die Betrogenen , weil wir es sein wollen .
Weil die meisten unter uns Stärke an den Weibern nicht zu tragen und nicht zu lieben vermögen , so suchen sie nur die über alles gepriesene Sanftheit , und nehmen sie ohne Untersuchung hin .
O wie ist die echte Sanftmut , die das Leben jedesdauernden Verhältnisses ist , so unverkennbar in der Grazie ihrer Äußerungen !
Glücklich , wer sie besitzt und wer sie genießt .
Nur von solchen 232 Gemütern haben wir Schonung zu erwarten , wenn sich die Erbsünde des Übermuts in uns regt ; ungebildete Seelen brauchen die rohen Naturwaffen gegen uns , Verschlagenheit und List .
Die Gräfin näherte sich uns , sie wünschte noch einen Gang durch die übrigen Zimmer zu machen .
An beiden Seiten des Saals waren zwei runde Türme durch wenige Verzierungen in sehr freundliche Zimmer verwandelt .
Das eine diente zum Gesellschaftssaal , das andere zur Bibliothek .
Aus der Bibliothek ging man in eine Reihe zierlich eingerichteter Zimmer , deren einige treffliche Kupferstichsammlungen , und wenige , aber vorzügliche Gemälde enthielten .
Zuletzt sah man sich in einer kleinen Rotunde , die das Licht von oben empfing , und worin Abgüsse der vorzüglichsten 233 Antiken aufgestellt waren .
Zum erstenmal sah ich in solcher Vollkommenheit diese unsterblichen Werke , in denen der reinste Geist der Kunst ewig fortlebt .
Fräulein Re mit ihrer alten Tante und die beiden Albans kamen gegen Abend .
Nordheim hatte sie eingeladen .
Julius begrüßte mich mit seiner gewohnten Unbefangenheit , aber ein Blick Nordheims , der auf uns fiel , ließ mich in seinem Benehmen gegen mich etwas zu Freies finden .
Aus Dankbarkeit für die zarte Sorgfalt , mit der er mich gestern gepflegt hatte , zwang ich mich alle Zurückhaltung gegen ihn aus meinem Betragen zu verbannen .
Mit Schmerz bemerkte ich , daß Nordheim mich und Julius 234 bei allen Gelegenheiten zusammen zu bringen suchte , wie zwei Liebende , deren zärtliches Verhältnis allgemein anerkannt ist .
Er sprach viel mit Julius , bezeugte Gefallen an seinen Kenntnissen und an dem geistvollen Ausdruck , den er seinen sehr eigentümlichen Vorstellungsarten zu geben wußte .
Wir brachten den größten Teil des Abends bei der Antikensammlung zu , und das Anschauen der schönen Gestalten versetzte uns in eine erhöhtere Stimmung .
Sinn und Verstand waren bei Nordheim gleich lebendig bewegt , und seine Bemerkungen gaben mir neue Begriffe und reineren Genuß .
235 Wie jeder Genuß sich in Sehnsucht auflöst , so schloß sich auch unser Gespräch mit der Betrachtung , daß das erste , fröhliche , schöne Jugendalter der Kunst nie in seinem vollen Glanze wiederkehren werde .
Nordheim führte mich in mein Zimmer .
Die Glorie des Geistes schien mir um seine ganze Gestalt zu leuchten , und eine sonderbare heilige Stille war in seinem Wesen .
Wie glücklich sind wir , sagte er , wenn uns eine liebliche Gestalt begegnet , die uns in ihrer holden Einheit ein Ahnden jenes Grenzenlosen zuführt , das in den Kunstgestalten der Alten atmet !
Die Reinheit des Sinnes findet keine Schranken , und wandelt mit himmlischer Freiheit durch das 236 Leben .
Welche Gestalt auch das Schicksal unserem Verhältnis geben mag , sagte er , indem er meine Hand faßte , so danke ich Deinem Anschauen , holdes Wesen , ein süßeres Leben !
Ich hatte keine Worte , mein Inneres war in der reinsten Liebe aufgelöst .
Wir waren an der Tür des Zimmers , Elise stand bei mir , und er gab uns gute Nacht .
Welch ein schönes Leben erwartet uns , beste Agnes ! sagte Elise , als wir uns auf unserem Zimmer allein befanden .
Mehr als jemals hoffe ich mit meiner Agnes eine Familie , ein Haus auszumachen .
Julius ist hoffnungsvoller seit gestern ; seine Liebe ist treu und zart .
Sie werden glücklich mit 237 ihm sein , so wie er und wir alle es unaussprechlich durch Sie sein werden .
Wenn ich könnte , Elise , wenn ich Julius lieben könnte , wie er es verdient ! erwiderte ich . -
Wir sprachen oft darüber , sagte Elise nach einigem Nachdenken .
Ihre Kälte bei allem was auf Liebe deutet , schien uns ein Phänomen in einem so weichen liebenden Herzen .
Julius behauptet , Sie wären von zu reicher hoher Natur , um eine Leidenschaft zu haben , und diese Stille des Gemüts , die nicht aus Mangel an Kraft , sondern aus hoher Richtung derselben entstünde , würde sein Glück eher vermehren als ver minderen .
Ich glaube dennoch , fuhr sie lächelnd fort , der Drache der Ei 238 versucht würde diese goldenen Früchte der Weisheit mit immer offenen Augen bewachen .
Ich verstehe Sie nicht , Elise , versetzte ich etwas empfindlich .
Ich kenne das heilige Herz meiner Agnes , sagte Elise , und weiß , daß es unfähig ist , Vertrauen und Liebe zu beleidigen .
Ich wäre der Glückseligkeit unseres Julius an Ihrer Seite gewiß .
Es war ein Scherz unter uns , der zu dem Gesagten Anlaß gab .
Julius war diesen ganzen Abend hindurch sehr gespannt auf die Aufmerksamkeit und Achtung , die Nordheim für Sie bezeugte .
Als Alban und ich es ihm im Scherz vorwarfen , sagte er : 239 Dieser wäre ein gefährlicher Nebenbuhler , oder vielmehr gegen einen Mann von solchen Vorzügen finde gar keine Rivalität statt .
Alban tröstete Julius mit dem allgemein bekannten Verhältnis Nordheims mit der Gräfin .
Und welches ? fragte ich mit erzwungener Kälte .
Die Welt sagt , sie seien heimlich verheiratet .
Die Welt sagt freilich viel Falsches , aber da die Gräfin schon seit zehn Jahren Witwe ist , und während dieser Zeit mit Nordheim in der größten Vertraulichkeit lebt , auch seit dem Tode ihres Gemahls keinen anderen Liebhaber hatte , so ist freilich hinlänglicher Grund zu dergleichen Vermutungen vorhanden . - 240 Sie sind nicht wohl , liebes Mädchen , rief Elise lebhaft aus ; Ihre Gesichtsfarbe wechselt so schnell !
Oder hätte ich Sie durch meine Äußerungen über die Gräfin beleidigt ?
Verzeihen Sie , aber Ihre Kälte gegen diese Dame , die mir oft auffiel , da sie wirklich sehr liebenswürdig ist , diese verleitete mich jetzt , so treuherzig alles über sie herauszusagen .
Meine wechselnde Farbe hatte einen tieferen Grund , als meine gute Elise wähnte .
Ich beruhigte sie , und sie überließ mich bald der Einsamkeit und meinen Betrachtungen .
Alle jene freundlichen Zauberfarben , mit denen die Liebe uns die Zukunft erhellt , verloschen durch den Zweifel an Nordheims Neigung .
Ich sah nur eine licht- und formlose Dämmerung vor mir , und die Mühe , 241 mich hindurch zu arbeiten , war das einzige was ich bestimmt erkannte .
Das nötigste für den Moment war mir , Julius aus seiner Täuschung zu reißen .
Ich will ihm meine Liebe und meinen Schmerz gestehen , und eine beinahe gleiche Lage wird uns in fester Freundschaft verbinden .
Julius selbst , vielleicht durch seinen Zweifel über Nordheim angetrieben , bot mir den nächsten Morgen die Gelegenheit dazu .
Nach eingenommenem Frühstück zerstreute sich die Gesellschaft .
Die Gräfin ging auf ihr Zimmer , Nordheim in sein Kabinett , Elise ging mit ihrem Freunde in dem großen Saal auf und ab , und ich blieb allein beim 242 Klavier mit Julius .
Er spielte mit großer Fertigkeit einige meiner Lieblingssonaten , und sprach dann von seiner Liebe und seinen Wünschen , für immer mit mir vereinigt zu sein .
Sein Gesicht war so rein , so gut , so bescheiden hoffend , daß ich ihm meine Hand , die er zwischen den seinigen hielt , nicht entziehen konnte . -
Ach , wenn Sie in meine Wünsche einstimmen könnten , beste Agnes , rief er aus , welche glückliche Familie würden wir ausmachen !
Mein Bruder und Elise , unsere besten nächsten Freunde , die so harmonisch mit uns denken und empfinden , würden vereint mit uns leben .
Auch Ihr Vater würde mit uns leben , nicht wahr ?
Alles Leere und Unbedeutende würden 243 Sie aus meinem Leben verbannen .
Ihr großer Sinn würde mich in allem meinem Wirken zum Schönsten und Edelsten leiten .
Sie selbst sollten so frei , so sorgenlos leben , ganz nach der Wahrheit Ihrer schönen Natur .
Könnten Sie nicht auch glücklich sein , wenn wir alle es durch Sie sind ?
Ach Sie müßten es sein !
Sprechen Sie , bestes Mädchen .
Das redliche Bemühen der gutmütigen feinen Seele rührte mich innig , aber je zarter ich diese Seele empfand , je mehr fühlte ich , daß ich ihr nicht alles geben könnte , und nichts halbes geben dürfe .
244 O beste Agnes , Sie sind bewegt , rief Julius .
Reden Sie ! -
Aber Sie schweigen ; o ich verstand Sie Unrecht , ich habe Sie beleidigt ! rief er schmerzlich aus , und verbarg sein Gesicht in seinen Händen .
- Nein , beste Seele , sagte ich , nein , wie wäre es möglich ! -
Julius -
wenn ich könnte - ach wenn ich Sie so über alles lieben könnte , wie Sie es verdienen !
Über alles ? meine Agnes , wie könnte ich das verlangen !
Täuschen wir uns nicht , meine Beste ; ein Herz wie das Ihrige , in dem sich so mannigfache Kräfte früh entwickelten , dieses kann keinen Mann über alles lieben .
245 Sein Sie mir nur gut ; lassen Sie mich Sie so glücklich machen , als ich kann .
Ihr Gutsein ist tausendmal mehr , ist inniger , zarter , als das was andere Frauen Liebe nennen .
Es war ein entscheidender Augenblick ; das schwankende , vielleicht nur in meiner Einbildung gewebte Verhältnis mit Nordheim , schwebte mir vor , Julius reine zarte Liebe drang zu meinem Herzen ; ich drückte seine Hand fester , und mein tränenschweres Auge verbarg sich an seinem Arm .
Ein Geräusch unterbrach uns , ich erhob meine Augen Nordheim stand unter der Türe , zog sich aber augenblicklich zurück .
Werde ich nicht das Bild dieses einzig Liebenswürdigen immer mit verlangender 246 Sehnsucht umfassen , selbst an Julius treuem Herzen ?
Diese Frage bewegte meine ganze Seele .
Meine Lippen zitterten , und ich hatte keine Worte , so wie keine klare Empfindung .
Julius saß mit dem Rücken gegen die Türe , und hatte Nordheim nicht gesehen , er wähnte , Liebe für ihn bewege mein Herz so heftig .
O beste Agnes , fuhr er fort , nur ein holdes Wort von Ihren Lippen , welches die süßen Ahnungen , die ich aus diesem Schweigen nehme , zur Hoffnung erhebt !
Nie sah ich Sie so bewegt : - ist_es für mich ? -
Ja , es ist ein sanftes Neigen Ihrer Seele gegen die meine .
247 Der Wahn , in dem Julius meine verwirrte Empfindungen zu seinem Vorteil auslegte , war mir innig schmerzlich .
Ich fühlte , daß ich ihm ganz wahr sein , ihm mit Aufopferung aller Weiblichkeit den Zustand meines Gemüts rein darlegen müsse .
Er hielt noch immer meine Hand , und sagte sanft : Warum wenden Sie Ihr liebes Auge von mir ?
O Agnes , können Sie mich lieben ? -
Liebte ich nicht schon , so könnte ich_es , erwiderte ich mit weggewendetem Gesicht , während meine Hand die seine drückte .
Ach Gott ! rief er mit einem Ton des tiefsten Schmerzens .
Nicht für mich !
Nach einigen Momenten der lebhaftesten Bewegung , wo seine Brust einen tiefen Kummer zu verarbeiten schien , und sein Auge mit hervorstürzenden 248 Tränen kämpfte , wendete er sich wieder gegen mich , indem er ausrief :
Und doch für mich !
Wer kann mir die zarte Neigung rauben , die mich belebt ?
Wer die innige treue Sorge , die mit meinem ganzen Dasein verwebt ist ?
Fühlte ich nicht erst die ganze Tiefe meines Wesens , seit die Gewalt dieser Liebe deiner albesiegenden Schönheit alle Kräfte in mir aufregte !
Ja , für dich will ich leben , du sollst meine zarteste Sorge sein , wie du meine süßeste Freude hättest werden können .
Sie sollen alles wissen , mein werter Freund , sagte ich ihm , meine Liebe , meinen Schmerz .
Ach Julius !
Warum mußte ein früherer Eindruck mein Herz für Ihre Neigung verschließen ! - ein Eindruck , der mich 249 schwerlich zur Glückseligkeit leiten wird .
Als mich Julius entschlossen sah , ihn zum Vertrauten zu machen , half er mir mit jener schonenden Feinheit , ihm mein Geständnis abzulegen , welche die Gedanken errät , bevor sie sich noch Worte gebildet haben .
Da ich endlich Nordheims Namen aussprechen mußte , erschrak er , als hätte er etwas ganz Unerwartetes vernommen .
Ihre Liebe , meine Agnes , wird mit Leiden verbunden sein , sagte er .
Die Hilfe der Freundschaft kann vielleicht den Kummer Ihres Herzens erleichtern .
Heilig gelobe ich , Ihr Freund , und nur Ihr Freund zu sein .
250 Ich verspreche nicht wenig , aber ich will und werde es halten .
Wie wert war mir Julius in diesem Moment !
Ich gelobte mir selbst im Stillen sein Glück an meinem Herzen zu tragen , und ihm immer mit unverbrüchlicher Treue und Wahrheit zu begegnen .
Wir müssen jetzt zur Gesellschaft , sagte Julius ; ich sehe , man versammelt sich im Garten .
Wenn Sie nicht mein werden können , beste Agnes , so muß ich künftig vorsichtiger in meinem Betragen sein , um die Welt in keiner Täuschung über unser Verhältnis zu lassen .
Verzeihen Sie , daß ich meine Empfindungen bis jetzt zu laut sprechen ließ ; es soll nicht mehr geschehen .
Nur wenn wir allein sind , werden Sie immer mein offenes , 251 ganz von Ihnen erfülltes Herz auf meinen Lippen finden .
Die Gesellschaft war in einem kleinen Pavillon versammelt .
Nordheim sah mich nur flüchtig an , als ich mich ihm näherte , gleich als wollte er meiner Verlegenheit schonen .
Er begegnete mir mit derselben feinen Achtung als zuvor , aber doch hatte sich eine gewisse kalte Höflichkeit als eine fremde Farbe in sein Betragen gemischt , und die sanfte Vertraulichkeit war verschwunden .
Mein Herz war gepreßt .
Er schien mir unaussprechlich liebenswürdig .
Selbst die Entfernung , welche er gegen mich beobachtete , deutete auf einen zarteren Anteil seines Herzens an mir , der durch die 252 Situation , in welcher er mich mit Julius gefunden , notwendig beleidigt werden mußte .
Wie gern hätte ich meine ganze Seele offen vor ihm dargelegt !
Battista und seine Schwester waren eingeladen , uns mit ihrer versprochenen Musik zu ergötzen .
Beide waren zierlich gekleidet , und die blühenden Gestalten voll jugendlichen Lebens , die unter einem Blütenbaume saßen , und den Zauber ihrer einfachen herzlichen Melodien um sich her verbreiteten , teilten uns allen eine beinahe idealische Stimmung mit .
Die Kinder spielten ein welsches Liedchen , und das Mädchen legte 253 den ganzen Sinn hinschmelzender Zärtlichkeit in die süße Melodie .
Unter dem Schatten der breiten Augenlider und der langen Wimpern blitzte zuweilen ein feuriger Blick hervor ; immer traf er auf denselben Gegenstand , auf Nordheim .
Bravo , Bettina ! sagte Nordheim , indem er die Kleine bei der Hand faßte , und die schwarzen Locken zurückschlug , die in der Glut des Gesangs über ihre Stirn herabgefallen waren .
Seit wann lehrte dich deine Mutter dies Liedchen ?
Auf meine Bitte , erwiderte Bettina , lehrte Sie mich_es vor einigen Tagen , da wir hörten , daß Sie zurückkommen würden .
254 Ich danke dir , mein Kind ! sagte Nordheim freundlich .
Bettina drückte seine Hand an ihre Lippen , und eilte hinweg .
Arme Bettina ! rief die Gräfin aus , indem sie ihr mit einem traurigen Blick nachsah .
Warum beklagen Sie Bettina , liebe Gräfin ? fragte Nordheim .
Ich rechne selbst auf Ihre Güte , um dem anmutsvollen kleinen Geschöpf ein glückliches Schicksal zu bereiten .
Ich dachte nicht an Bettina's äußere Lage , als ich sie beklagte , sagte die Gräfin .
Aber wohl schmerzte es mich , das junge Gemüt schon in der vollen Glut der Leidenschaft auflodern zu sehen , die sie mit so rührender Wahrheit in ihrem Gesang aushauchte .
Nordheim erwiderte : Sollen wir 255 den großen Anlagen der Natur mißtrauen , meine Freundin ?
An der Glut der Leidenschaften reift das Edelste in uns .
Gewiß , mein Freund , sagte die Gräfin .
Aber wenn ein hoher stolzer Baum vom Blitz zerschmettert vor unseren Augen hinstürzt , oder ein holdes Gemüt der Gewalt einer Leidenschaft unterliegend , in seinen besten Lebenskräften dahin stirbt , fühlt sich unser Herz nicht von allen Schmerzen der Zerstörung ergriffen ?
Zumal , setzte sie hinzu , wenn ein eigenes schmerzliches Schicksal uns das innere Gefühl des Wesens in seiner geheimsten Tiefe erkennen lehrt ?
Die Damen gingen nach ihrem Zimmer , um sich anzukleiden ; ich nahm 256 Bettina mit mir .
Das holde Geschöpf , voll Jugend und Leben , zog mich an sich , und die innigen wahren Laute der Natur in ihrer Neigung zu Nordheim trugen vielleicht nicht wenig bei , den Reiz zu vermehren , welchen ihr ganzes Wesen für mich hatte .
Anfänglich war sie still und verlegen , aber als sie fühlte , daß ich es wohl und treu mit ihr meinte , schwatzte sie lieblich und unbefangen über ihr häusliches Leben , ihre Beschäftigungen und Verhältnisse .
Meine Mutter , sagte sie unter anderen , spricht davon , mich in der Stadt in einem guten Hause unterzubringen , wo ich dann vielleicht mit der Zeit einen braven Mann fände , und so unserem Wohltäter die Sorge für uns erleichtert 257 würde .
Es sei unbescheiden , sagt sie , ihn mit unserer ganzen Existenz zu belästigen .
Ich fühle , daß sie Recht hat , aber ...
Die arme Kleine brach in einen Strom von Tränen aus .
Ich sprach ihr zu , ruhig zu sein , Nordheim sei zu gütig , um sie zu irgend einem Schritt zu nötigen , welcher nicht mit ihrer Neigung geschähe ; er selbst würde es nicht zugeben , daß ihre Mutter sich der Freude , sie zu sehen , beraubte .
Ach welchen Trost Sie mir geben ! rief sie lebhaft aus ; ihr schönes schwarzes Auge kehrte sich gen Himmel , sie legte ihre Arme übers Kreuz und drückte sie fest an ihre Brust .
Mein ganzes Leben soll im Gebet für das Glück des edelsten liebenswürdigsten 258 Mannes hinfließen , fuhr sie fort , o ihm verdanke ich ja alles !
was kann ich sonst für ihn tun !
Wäre ich wie mein Bruder , hätte ich Stärke in meinen Armen , um ein Roß zu bändigen , könnte ich schießen und mit Waffen umgehen , dann wiche ich nie von seiner Seite , ich folgte ihm auf Reisen als Knappe , in allen Gefahren blieb ich bei ihm , und kein Unfall sollte ihm nahen ; würde ' er verwundet oder krank , dann wollte ich nicht von seinem Bett gehen : meine Mutter lehrte mich Wunden verbinden und Kranke pflegen .
Ach und wie vorsichtig wollte ich sein !
Niemand als ich sollte ihn anrühren , und niemand sonst an seinem Bette wachen , damit der Schlaf durch keine unvorsichtige Bewegung von den lieben 259 Augenlidern verscheucht würde .
Eine glühende Röte überzog ihr Gesicht ; sie fühlte erst jetzt , daß sie mir ihr innerstes Dasein enthüllt hatte .
Die schönen Anlagen eines starker tiefer Eindrücke fähigen Gemüts , die sich so lieblich in ihrer Rede entfalteten , flößten mir herzliche Zuneigung ein .
Ich versprach ihr Liebe und Sorge für ihr künftiges Leben , und sie freute sich der Hoffnung , mir oft schreiben zu dürfen .
Durch einen Boten aus der Stadt empfing ich folgenden Brief :
Eine Ihnen sehr werte Person wünscht einige Zeilen von Ihrer Hand ; vorzüg 260 lich wünscht sie eine Antwort auf die letzte Frage , die sie an Sie getan , ehe die Glocke des Abschieds schlug .
In der Stunde der Mitternacht werden Sie einen treuen Boten bereit finden .
Gerade der kleinen Pforte , die in den Garten führt , gegenüber , wird er Sie an der Gartenhecke , so lange Sie noch in diesem Aufenthalt sind , alle Nächte hindurch erwarten .
Warten Sie Zeit und Umstände wohl ab , bis sich der günstigste Augenblick zeigt .
Johannes Ch .
Ich eilte sogleich meiner Mutter zu schreiben , und benutzte jeden Moment des Tages dazu , wo ich mich unbemerkt von der Gesellschaft 261 hinwegstehlen konnte .
Auf die Frage : ob ich schon eine lebhaftere Neigung für irgend einen Mann empfunden ? sagte ich ihr : An eine geliebte Gestalt ist die Freude und die Hoffnung meines Lebens in der Liebe geheftet ; und trennt mich das Schicksal von dieser , so wünsche ich unverheiratet einzig für meine teure Mutter und meinen Vater in Hohenfels zu leben .
Nordheim erhielt einen unerwarteten Besuch des Prinzen , welcher sich wegen einer Zusammenkunft mit seiner Schwester , für einige Tage auf einem Lustschloß in der Gegend aufhielt .
Der Prinz verband eine schöne Gestalt mit einem einnehmenden Betra 262 gen .
Durch seinen langen Aufenthalt in fremden Ländern hatten sich die scharfen Ecken abgeschliffen , welche Gewalt und Schmeichelei notwendig in einem Charakter erzeugen .
Sein Betragen war einfach und fein , doch zeigte es sich bei manchen kleinen Veranlassungen nur als erworbene Manier .
Man näherte sich ihm , ohne jenes Vertrauen zu empfinden , welches nur eine schöne Natur , nur eine wohlwollende Seele einzuflößen im Stand ist .
Die Neigung des Prinzen für Nordheim äußerte sich lebhaft ; man fühlte , wie er nach seiner Achtung rang , und Beifall oder Tadel in seinen Augen zu lesen strebte .
263 Während die Herren sich in den entfernteren Gartenanlagen umsahen , ging die Gräfin auf ihr Zimmer , und bat mich , sie zu begleiten .
Sobald wir allein waren , sagte sie : Liebes Mädchen , unter Menschen , die sich nicht fremdartig , vielmehr durch gleiche Liebe zum Schönen und Guten mit einander verschwistert sind , kommt früh oder spät ein Moment der innigeren Annäherung , wenn sich nicht feindselige Verhältnisse dazwischen legen .
Ich wollte jenen Moment unter uns erwarten , denn es ist mit der Neigung wie mit gewissen Früchten , die , wenn sie auf den rechten Punkt der Reise gekommen sind , uns von selbst am schönsten zufallen .
Das Gewebe sonderbarer Mißverständnisse , welches zwischen uns zu entstehen droht , änderte meinen Entschluß .
Ich fühle es , bestes Kind , 264 meine geübtere Hand muß diese verworrenen Fäden trennen , und unseren Gemütern die schöne Lauterkeit und Klarheit erhalten , für die wir beide geboren sind .
O Agnes , das Leben ist kurz , und wir verlieren den größten Teil desselben durch Mißverständnisse .
Nicht nur wünschte ich mir , jeden Vorwurf über dein Schicksal zu ersparen , holdes Kind , sondern vielmehr die süße Beruhigung in der Seele zu tragen , daß ich ein liebenswürdiges Gemüt vor dem Unfrieden mit sich selbst bewahrte .
Ich forsche nicht nach den Geheimnissen des Herzens , aber von mir nimm die Versicherung , daß ich Nordheim nie besitzen kann .
265 In ungünstigen Verhältnissen verblühte die Jugend meines Lebens - meines Herzens ; ich rettete nur Trümmer , und diese können das volle Glück eines Mannes nicht machen , der selbst die schöne Grazie eines jugendlichen Empfindens bewahrte .
Ich leugne es nicht , ich halte es für ein beneidenswertes Los , in der innigsten ruhigsten Verbindung mit dem liebenswürdigsten Manne zu leben ; -
aber die Offenherzigkeit dieses Geständnisses kann dir auch , wenn du und ich anders dessen bedürfen sollten , die Wahrheit meiner Zusicherung verbürgen .
Liebe Seele , sagte sie sanft , und zog mich an ihre Brust , bleibe dir selbst klar , du hast ihn geliebt ; und wenn man ihn einmal geliebt hat , - kann man sein Herz 266 von ihm wieder losreißen ?
Meine Lage war unglücklich und sonderbar , und meine Gemütsstimmung wurde es auch .
Der freie schöne Blick ins Leben ging früh für mich verloren ; ich habe meinem eigenen Herzen Schulden abzubüßen , und nur in strenger Wachsamkeit auf mich selbst bewahre ich meinen inneren Frieden .
Mein Dasein ist Kampf und Arbeit .
Jetzt genug , Liebe , verlaß mich , und glaube sicher , daß ich deinem Glücke nicht im Wege stehe .
Ich sank stumm in Amalies Arme ; ihre Worte hatten mein Inneres ergriffen , und Achtung und Mitleid füllten meine Brust .
267 Mehr noch als ihre Worte , hatte ein unaussprechlicher Ausdruck des tiefen Leidens , der mir in ihren Zügen zum erstenmal erschien , meine Seele in inniger Neigung gegen sie eröffnet .
Unter der Herrschaft der Weltsitte hatte sie sich gewöhnt , einen Schleier des leichten Mutes um ihren Gram zu ziehen , der ihr in diesem Augenblick der herzlichen Vertraulichkeit entfiel .
Arme Amalia ! sagte ich in dem tiefsten Herzen , aus welcher schmerzlichen Verwirrung sich unser Schicksal lösen soll , fasse ich noch nicht !
Die Herren kamen bald von ihrem Spaziergang zurück , und die Gesell 268 schafft versammelte sich zum Tee .
Der Prinz sprach mit Offenheit über seine gegenwärtigen und künftigen Verhältnisse .
Ich hoffe , sagte er , in solch einem geistvollen Zirkel ein guter Mensch zu bleiben , und Erholung und Lebensgenuß nach erfülltem Beruf unter Ihnen zu finden .
Ich hoffe , fuhr er fort , auch meine Schwester wird von Ihnen wert gefunden werden , das Vergnügen Ihrer Gesellschaft zu teilen .
Sie ist ein gutes liebenswürdiges Geschöpf , und mein Hof wird , durch die Grazie ihres Umgangs belebt , eine lieblichere Gestalt gewinnen .
Er zeigte der Gräfin ein Porträt der Prinzessin , und hernach auch Elise und mir .
Mit welcher Gewalt ergriffen mich diese Züge !
Eine dunkle Rückerinnerung an die Gestalt 269 meiner Mutter erwachte in meiner Seele ; - ich bebte , errötete , und verbarg meine Bewegung nur mit der größten Anstrengung vor den Augen der Gesellschaft .
Der Prinz , welcher mir am nächsten stand , suchte mich mit seinem forschenden Blick zu durchschauen .
Solche sanfte liebliche Formen , wie auf diesem Bildnis der Prinzessin , dichtete sich meine Fantasie zu dem zarten feurigen Blick meiner Mutter , der mir immer vor der Seele schwebte , so wie die reinen Verhältnisse ihrer Gestalt .
Nordheim gab bei seiner jedesmaligen Ankunft den Landleuten ein kleines Fest .
Dieser Abend war dazu bestimmt , und der Prinz wünschte 270 ein Zuschauer zu sein .
In der Mitte des Dorfes war ein Rasenplatz für die Tänzer , hohe Linden überschatteten ihn , an beiden Seiten waren Tische mit Speisen und Getränke bereitet , und rings herum Bänke für die Zuschauer .
Die fröhlichen selbstgenügsamen Gesichter der Eltern , und die starke markige Jugend , die sich gleichsam der Fülle ihrer Kräfte im raschen Tanz entlastete ; alles zeugte von einem sicheren ruhigen Wohlstand .
Das bescheidene Betragen des größeren Teils und seine Mäßigkeit in der Freude bewies , daß diese Göttin hier keine seltene Erscheinung sei .
Wir mischten uns in den kunstlosen Tanz .
Nordheim bot mir die Hand .
In 271 welchen süßen einzigen Klang der Liebe löste sich gleichsam mein ganzes Wesen auf , als ich von seinen Armen umschlossen , unter dem klaren weiten Himmel dahin flog .
Als der Schwindel des Tanzes meine Sinnen ergriff , und Bäume und Menschen um mich her anfingen sich zu drehen und zu schwanken , dann war mir_es nicht anders , als trügen uns die lauen lieblichen Frühlingslüfte empor ins grenzenlose Blau des Himmels , wo irgend eine schöne Insel sich niedersenken und uns aufnehmen werde .
Ich bebte als wir aufhörten zu drehen ; er setzte sich neben mich ; Himmel , Luft und Menschen , alles war so heilig und liebevoll um mich her , und sein Blick so voll göttlicher Reinheit auf mich gerichtet .
272 Julius näherte sich uns , und er stieg auf , um ihm Platz zu machen .
Ein Schatten der Trauer schien über das himmlische Bild zu schweben , während sein Blick mit einem Ausdruck süßer Neigung sich von mir losriß , als wollte er mir sagen : " Und du willst nicht die Freude deines Lebens an meinem Herzen suchen ? "
Mir dünkte , ich könne dem Drang meines Herzens nicht mehr widerstehen , müßte dem Geliebten nacheilen , und ihm sagen : " Du bist meine süßeste heiligste Liebe ! "
Als ich mich durch Scham und Anstand gebunden fühlte , zuckte ein verwundender Schmerz gleich einem schneidenden Stahl durch meinen Busen .
Ich mußte mit dem Prinzen walzen , und es war mir erwünscht , meine 273 Gefühle im Tanz zu zerstreuen , wenigstens zu verbergen .
Ich geriet in eine andere Verlegenheit .
Als wir einigemal rasch um die Linden herum geflogen waren , und in dem Zirkel der Tänzer nun langsam mit fortgingen , faßte der Prinz meine Hand , die in der seinen lag , fester , und sagte : Darf ich eine Frage an Sie tun , liebes Mädchen ?
Woher entstand die sonderbare Bewegung , mit welcher Sie heute das Porträt meiner Schwester betrachteten ?
Ich war in quälender Verlegenheit , und suchte vergebens nach einer passenden Antwort .
Der Prinz fühlte es , und fuhr fort : Ich schweige , meine Beste ; ich habe 274 Ihr Vertrauen noch nicht verdient , und war unbescheiden mit meiner Zudringlichkeit .
Verzeihen Sie , ich hoffe wir lernen uns besser kennen .
In Wahrheit , gnädigster Herr , sagte ich etwas gefaßt , es gibt so manche Dinge , die wichtig für ein Mädchen wie mich sind , und die nur Kleinigkeiten für Sie sein könnten , daß ich mich schämen würde , Sie damit zu belästigen .
Alles , was in so einem holden guten Herzen vorgeht , wird nie unbedeutend für mich sein , sagte der Prinz lebhaft .
Glücklich wäre der Bruder , wenn der zarte Anteil , welchen Sie der Schwester schenkten , auch auf 275 eine günstige Stimmung für ihn deutete !
Wir wurden aufs neue in den Wirbel des Tanzes mit fortgerissen , und ich konnte nichts antworten .
Ich fühlte , daß er meine Bewegung beim Anblick des Bildes für sich auslegte .
Durch meine einfache Erziehung , und durch frühe ernste Geistesbeschäftigungen war ich beinahe ganz unbekannt mit dem System der weiblichen Eroberungssucht geblieben , und der Ausdruck des Wohlwollens für Männer und Weiber hatte bei mir dieselbe Farbe , um so mehr seit meine zärtliche Neigung ausschließend für einen Einzigen sprach .
276 Ich dachte mir also keinen anderen Sinn in den Worten des Prinzen , als daß er mir wohlwolle , und meine Freundschaft wünsche .
Während des Tanzes fiel mir die große Ähnlichkeit seiner eigenen Züge mit dem Bildnisse seiner Schwester erst recht auf , und das Andenken meiner geliebten Mutter , welches sich auf eine sonderbare geheimnisvolle Art mit jenem Bildnis verwebt hatte , gab meinem ganzen Wesen eine Stimmung zur Zärtlichkeit , welche den Prinzen in seinem Irrtum unterhielt .
Er schloß mich während des Tanzes fest an seine Brust , seine Augen und sein ganzes Betragen verrieten eine Glut der aufgeregten Sinne , die mich scheu und verschlossen machte , und mein Gemüt endlich in 277 Widerwillen von ihm abwendete .
Das Nachtessen wurde in einer Laube von frischen Tannenzweigen aufgetragen , welche zierlich erleuchtet war .
Die Tafel war mit den schönsten Blumen des Frühjahrs geschmückt .
Der Abend war lieblich .
In dem ganzen Ton des kleinen Festes herrschte eine schöne Einfalt .
Die ländliche Musik , oft von den frohen Jubeltönen kunstloser Freude begleitet , stimmte das Herz zu reiner Fröhlichkeit , weil es rings um sich her mitgenießend Wesen wahrnahm .
In allen Anordnungen fand ich das wohlwollende Herz meines Geliebten .
Er selbst war nicht heiter .
Der Prinz ging den ganzen Abend hindurch 278 nicht von meiner Seite , und mir dünkte , Nordheim vermied , sich uns zu nähern , aber er beobachtete mich von fern , und selten , wenn meine Augen ihn suchten , fehlte mir sein lieber Blick .
Auch Julius war still und traurig .
Ich konnte in dieser Situation nicht ruhig bleiben .
Die leiseste schmerzliche Empfindung , die meine Freunde durch mein Betragen erfahren konnten , fiel auf mein eigenes Herz zurück .
Mit Vergnügen sah ich die Pferde des Prinzen vorführen .
Die Gräfin und die ganze Gesellschaft mußten dem Prinzen versprechen , in den nächsten Tagen in D. gegenwärtig zu sein , um ihm die Langeweile des 279 Hofes erträglich zu machen .
Beim Abschied führte er mich , so sehr es der Anstand litt , bei Seite , und flüsterte mir ins Ohr : Wenden Sie sich nicht von mir , süßes Mädchen , und verzeihen Sie es meiner angeborenen Raschheit , wenn ich die schöne Blüte im Sturm zu erobern wähnte , die , ich fühle es , nur durch süße Sorge und Treue zu gewinnen ist .
Es war eine schöne mondhelle Nacht ; die Herren begleiteten den Prinzen .
Nach einem kleinen Spaziergang mit Elise und Bettinen , den ich dazu anwendete , um die von Charles bestimmte Gartenhecke genau zu bemerken , eilten wir in unsere Zimmer .
Als ich Bettina gute Nacht gab , sagte sie mit einem sanftschwärmenden Ton : Zum erstenmal sieht mich 280 der Mond und die Sterne als deine Freundin , und sie sollen mich immer so sehen , so lang ich unter ihrem glänzenden Angesicht wandle !
Die Neigung des guten Geschöpfs hatte ganz das Mädchenhaftscheue und Geheimnisvolle der ersten Liebe .
Ein heftiges , lang verhaltenes Gefühl ihres Wesens fand auf einmal in der Freundschaft für mich einen Ausdruck , in welchem es die ganze Kraft seines ahnungsvollen Verlangens auszuhauchen vermochte .
Unter dem Vorwand , daß ich sehr ermüdet wäre , und mich schlafen zu legen wünsche , hatte ich Elise aus meinem Zimmer entfernt , um mich zu meiner nächtlichen Wanderschaft vorzubereiten .
Die Herren waren 281 gegen elf Uhr zurück gekommen , im ganzen Schloß herrschte tiefe Stille , und ich erwartete die Stunde der Mitternacht , um in den Garten zu eilen .
Unter allen Szenen des vergangenen Tages hatte die Erklärung der Gräfin am tiefsten auf mich gewirkt .
Die erste Jugendliebe will ein Ganzes besitzen , wie sie ein Ganzes gibt ; sie versteht es nicht , sich mit Verhältnissen abzufinden , die nur einen einseitigen Genuß gewähren .
Die Liebe der Gräfin für Nordheim , das Mitleid für sie , und die Unfähigkeit meines Gemüts , durch den Verlust eines anderen zu genießen , dieses alles brachte mich in eine verwirrtere Stimmung , als ich noch je gekannt hatte .
282 Das ununterbrochene Zusammensein mit Nordheim nährte auf der anderen Seite die Lebhaftigkeit meiner Neigung .
Die Liebenswürdigkeit seines Wesens zeigte sich in jeder veränderten Stellung der äußeren Lage , in immer neuer Grazie , und mein ganzes Dasein war Liebe für ihn .
Als die Glocke zwölf schlug , nahm ich eine kleine Handlaterne , und eilte zu der bestimmten Gartenhecke .
Ich hatte meine Gestalt so sehr als möglich verhüllt , und hoffte unerkannt zu bleiben , im Fall mir jemand begegnen sollte .
Mit Mühe fand ich durch die verworrenen Gänge des alten Gebäudes den Weg zur Gartentür .
Charles erwartete mich schon , 283 nahm meinen Brief in Empfang , und verließ mich schnell , weil er befürchtete überrascht zu werden .
Dringend empfahl er mir noch beim Abschied die größte Vorsichtigkeit im Namen meiner Mutter .
Der leiseste Verdacht auf unser Verhältnis , sagte er , könnte uns aller Freuden der Zukunft berauben , und meine Mutter selbst lege sich die schmerzliche Trennung von mir auf , um unserer künftigen Zufriedenheit Willen .
Beim Rückwege durch den Garten erlosch der Wind mein Licht .
Mühsam schlich ich mich durch die unerleuchteten Gänge , und suchte die Treppe , welche zu 284 meinem Zimmer führte .
Ich half mir mit den Händen an einer Wand fort , und glaubte am Ende der Galerie die Treppe zu finden .
Ich fühlte , daß ich an mehreren Türen vorbei kam , und die Furcht , mich durch irgend ein Geräusch zu verraten , brachte mich in die peinlichste Lage .
Innerhalb der Zimmer vernahm ich jedoch keine Bewegungen , und tröstete mich mit dem Gedanken , sie seien unbewohnt , oder ihre Bewohner liegen im tiefen Schlafe .
Eben schlich ich an einer Türe vorbei , als sie sich heftig gegen mich öffnete , und mich zu Boden schlug .
Der Schrecken des Falles und der gefürchteten Entdeckung nahmen mir die Besinnungskraft .
Als ich wieder zu mir kam , fand ich mich auf einem Lehnsessel , 285 und Julius mit einem Licht in der Hand , neben mir stehend .
Wie ist Ihnen , meine Agnes ? fragte er besorgt . -
O , daß ich die Türe so ungestüm öffnen mußte !
Aber wer konnte auch denken , Sie hier zu finden !
Die Furcht , in Julius Zimmer angetroffen zu werden , gab mir schnell meine Kräfte wieder .
Ich verirrte mich ... es war ein Irrtum ... stammelte ich verlegen und ungeschickt , zündete meine Laterne an , und eilte mich zu entfernen .
Lassen Sie mich Sie nur die Treppe hinauf begleiten , ich fürchte Sie haben durch den Fall gelitten , sagte Julius .
Zum erstenmal sah ich in seinem so reinen liebenden Blick eine Spur des Mißtrau 286 ens , und fürchtete meine Weigerungen möchten eine noch schlimmere Wirkung auf ihn haben .
Ich duldete also schweigend seine Begleitung , weil die Furcht , einen Freund zu beleidigen , alle anderen Rücksichten verdrängte .
Eilen Sie , Julius , ich beschwöre Sie , bat ich , daß wir nicht gesehen werden .
Mein geheimnisvolles Wesen schien ihm unbegreiflich , doch erfüllte er meine Bitte , ließ sein Licht zurück , und faßte mich unter dem Arm , mich zu unterstützen .
Kaum waren wir einige Schritte von Julius Zimmer entfernt , als Nordheim dicht vor uns stand .
Er war die Treppe herab ge 287 kommen , und es war unmöglich ihm auszuweichen ; er hielt ein Licht , trat ein paar Schritte zurück , als er mich erblickte , und nie erschütterte ein Blick so meine Seele , als der seine in diesem Moment .
Gern wäre ich zu seinen Füßen gesunken , aber weibliche Verlegenheit hielt mich starr und bewegungslos am Boden gekettet .
Die Furcht verkannt zu werden , und Stolz , der es seiner unwert fand , sich zu entschuldigen , fesselten alle meine Gedanken und Bewegungen .
Ich hatte in diesem Moment eine Ahnung des Zustandes jener Wesen aus der Fabelwelt , die ihre Lebenskraft in einer Felsenmasse erstarren fühlen .
Nordheim hatte schnell seine Besonnenheit wieder , ging an mir vorbei , 288 als bemerkte er mich gar nicht , und sagte zu Julius : Erlauben Sie mir einen Augenblick in Ihrem Zimmer zu verweilen .
Es geschieht , um Ihnen die Freiheit zu lassen , mit dieser Dame durch mein Kabinett zu gehen , aus welchem Sie sogleich auf den großen Saal kommen , und schneller und unbemerkter zu ihrem Zimmer gelangen können .
Verweilen Sie nur wenige Minuten in meinem Kabinett , um meinem Kammerdiener nicht auf der Galerie zu begegnen .
Ich war auf das schmerzlichste bewegt , und konnte Nordheim nichts sagen ; er war eilends in Julius Zimmer gegangen , und hatte die Türe hinter sich zugemacht .
Lassen Sie mich allein gehen ! rief ich schmerzlich . 289 Ach Julius , lassen Sie mich , wie kann ich solche Kränkungen ertragen ! -
Julius selbst schien verwirrt und nachdenklich , aber seine zarte Liebe verleugnete sich keinen Augenblick .
Ich verlasse Sie , sagte er sanft , weil Sie es wollen .
Beruhigen Sie sich , beste Agnes , Nordheim soll in keinem Zweifel über Sie bleiben .
Sein Sie ruhig , und genießen des Schlafes .
Er drückte meinen Arm sanft an seine Brust , und küßte meine Locken , die über das Gewand zerstreut lagen .
Ich eilte davon , so sehr es mir der Schmerz an meinem Fuß erlaubte , der durch den Fall gelitten hatte .
Ich war in Nordheims Kabinett , Liebe 290 durchdrang mein ganzes Wesen , goldene Bilder webten sich vor meinen Sinn .
Hier wird er ruhen , sagte ich mir .
Eine Lampe brannte , mir dünkte die Harmonien unsichtbarer Genien um seine Lagerstatt zu vernehmen . -
O möchte ihm ein Traum das reine unentweihte Bild der armen Agnes zeigen !
Mit Gewalt mußte ich mich dieser Zauberluft entreißen , sie hatte mit einer freundlichen Magie alle Verwirrung in meinem Busen aufgelöst , die in der Einsamkeit meines Zimmers aufs neue erwachte , und den Schlaf von meinen Sinnen verscheuchte .
Ich habe die Achtung des edelsten , geliebten Mannes verloren , er muß mich für ein leichtsinniges Geschöpf 291 halten , das sich selbst vergessend , die zarten Verhältnisse überschreitet , ... das von Leidenschaft hingerissen ...
Ich wagte es nicht auszudenken , nicht mich selbst anzuschauen mit diesen quälenden Vorstellungen .
Wird nicht jede Ausrede , die ich nehmen könnte , Nordheimen auch nur eine Ausrede dünken ?
und muß ich nicht die Wahrheit verschweigen , muß ein Opfer der unglücklichen Stellung der Umstände werden , die die Reinheit meines Charakters in seinen Augen beflecken !
Es wird eine Zeit kommen , sagte mir ein milder tröstender Genius , wo du dein Inneres entschleiern darfst , wo du von jedem Schatten des Ver292 Daches gereinigt , vor Nordheim erscheinen wirst .
Die glückliche Spannkraft des Gemüts in der Jugend , wo das volle rege Leben der Einbildungskraft die Bilder der Zukunft mit der Gegenwart leicht und vielfach vermischt , half mir jenen bitteren Schmerz , von meinem Geliebten verkannt zu sein , nicht besiegen , aber wohl ertragen .
Gleichwohl fühlte ich , es sei etwas in meiner inneren Existenz zerrissen , da ich die erste Ungerechtigkeit des Schicksals erfuhr , indem ich unschuldig litt .
Ich scheute mich , mich selbst anzusehen , als der Tag anbrach ; mein unbefangenes frohes Dasein fand ich nicht wieder , aber eine Kraft zu leiden 293 durchdrang meinen Busen , die ich noch nicht geahndet hatte .
Ich schien mir um zehn Jahre älter an Erfahrung , und ein konzentrierteres Dasein schien mein Wesen auf der einen Seite zu umschränken , auf der anderen es in seinem Inneren fester und sicherer zu gründen .
Elise kam zu mir zum Frühstück , aber ihre Augen , sonst so lieb und traulich , schienen mir , von meinem eigenen Mißtrauen gefärbt , nur forschend , sogar beleidigend .
Ach so gewiß entflieht die Liebe mit der Unschuld , da sie schon vor einem täuschenden Schatten der Schuld entweicht !
Ich schützte Geschäfte vor , um allein zu bleiben , und las in einem meiner Lieblingsschriftsteller .
294 Es war mir beruhigend , mich in die Gedankenwelt zu flüchten , da die Welt der Empfindungen mein Herz so tief verwundete !
Die ruhige Geschäftigkeit unserer Denkkraft ist dem leidenden Gemüte , was ein stärkendes Bad dem ermüdeten Körper ist .
Ein labender Quell spület alles Beängstigende aus unseren Vorstellungen hinweg , und wir empfangen , uns selbst unbewußt , mit dieser Stärkung des geistigen Vermögens , auch eine freiere Ansicht unserer äußeren Lebensverhältnisse .
Elise kam nach einigen Stunden mit verweinten Augen in mein Zimmer .
Sie schloß mich mit ungewohnter Heftigkeit in ihre Arme , und rief mit 295 einem süßen Ausdruck der Liebe und Unschuld aus : Nein , das wird mich niemand auf der Welt überreden , daß meine Agnes so fehlen kann !
Guter lieber Engel , sagte sie , indem sie ihre Hand sanft an meine Wangen legte , du dich verstellen können , du unwahr und falsch sein ! aber welche fatalen Umstände zwangen dich ... - Was redest du , liebes Mädchen , fragte ich bewegt , wer beschuldigt mich der Falschheit ?
- Ich sollte dir schweigen , mußte selbst meinem Alban versprechen , daß ich es wollte , fuhr sie fort , aber ich vermag es nicht , und ich will es nicht vermögen !
Als ich von dir ging , wollte ich auf den Balkon im großen Saal , der Morgenluft genießen , und fand die beiden Albans in heftigem Wortwechsel auf- und abgehen .
296 Beide grüßten mich mit so verstörten Gesichtern , daß ich meinen Alban fragte , was geschehen sei .
Wir streiten über Agnes , sagte er mir , und ihre sonderbare geheimnisvolle Aufführung ... .
- Die wir , eben weil sie geheimnisvoll ist , nicht tadeln können , erwiderte Julius ... - Aber die wir auch nicht ehren sollen , bis wir sie kennen , sagte mein Alban mit großer Heftigkeit , nicht mit einem unauflöslichen Band in unsere eigenen Verhältnisse verflechten , und zu unserer eigenen Schande machen müssen .
- Bruder , nur du darfst mir dieses ungestraft sagen , rief Julius , und verbiß seinen glühenden Unmut .
Ich bat um Erläuterung über den Anlaß zu diesem Streit , und Julius er-297 zählte mir den Vorfall der gestrigen Nacht .
Und bemerken Sie , Elise , sagte mein Alban , daß ich um dieselbige Stunde aus meinen Fenstern , die auf den Garten gehen , eine vermummte weibliche Gestalt durch denselben hereinkommen sah , die ihr Licht auslöschte , als sie sich dem Schloß näherte .
Wenige Minuten nach ihr kam aus einem kleinen Pavillon am Ende des Gartens Herr von Nordheim , den ich ganz deutlich erkennen konnte , weil er ein Licht trug .
Erzähle nun weiter , Nordheims Anmutung ...
- Das ist alles nichts beweisend , fiel Julius ein , gegen Personen , für die man lang verdiente Achtung hegte . -
Das ist der Fall bei Agnes , aber Nordheim kennen wir 298 persönlich seit wenigen Tagen , und können über seine Sitten nicht urteilen , fiel Alban ein .
Männer von so entschiedenen Verdiensten haben eine Toleranz vom Publikum zu erwarten , die sie selten vergessen in Anschlag zu nehmen .
Über das Betragen gegen die Weiber herrschen sehr schwankende Maximen in der Welt , und daß Nordheim nicht unter diejenigen gehört , die sich streng an die einmal eingeführte Regel binden , das zeigt er durch sein Verhältnis mit der Gräfin .
Er ist zartfühlend , und das Mitleid für ein liebenswürdiges Mädchen wie Agnes , könnte ihn leicht bewegen , sie auf deine Unkosten aus einer Verlegenheit zu ziehen , da er 299 deine Liebe für sie kennt .
Undankbar ist es wenigstens nicht .
Menschen , die viel Verkehr mit der politischen Welt haben , gewöhnen sich leicht , alles was sie umgibt , für Schachsteine anzusehen , die sie nach ihren Bedürfnissen hin und wieder schieben können .
Nun bat er Julius , mir den Vorgang mit Nordheim zu erzählen , um mich selbst urteilen zu lassen .
Als ich in mein Zimmer zurückkam , begann Julius , kam mir Nordheim mit ernster Miene entgegen , und sagte : Herr von Alban , ohne meine Erinnerung werden Sie wissen , was ein Mann von Ehre zu tun hat , wenn 300 er ein liebenswürdiges Mädchen in den Fall setzte , Schwachheiten für ihn zu zeigen .
Ich traue Ihnen zu viel Charakter zu , um zu befürchten , daß Sie sich durch eine Laune des Herzens berechtigt hielten , Opfer anzunehmen , die ein weibliches Herz nur der treuen festen Neigung ohne Schaden bringen kann .
Wenn Sie wahrhaft lieben , bedürfen Sie keiner Erinnerung , aber sollten Sie derselben bedürfen , so bin ich nicht der Mann , in dessen Angesicht man die sanfte Hingebung eines weichen Herzens ungerügt mißbraucht .
Julius sagte ihm , daß er sich irre , daß er aus einem ganz unvermuteten Zusammentreffen falsche Folgerungen ziehe , daß du , meine Agnes , einer 301 leichtsinnigen Schwachheit so unfähig seist , als er selbst der Verführung .
Die Unbesonnenheit , die er mit dem verrufenen Zimmer im Komödienhause begangen , und über die er seit einigen Tagen Gelegenheit gesucht , sich gegen ihn zu erklären , mit dem Zufall in dieser Nacht zusammen genommen , könnten natürlich Verdacht bei Nordheim erregen ; - aber daß er ungegründet sei , versichere er ihn bei seiner Ehre , und hoffe es zu beweisen .
Elise gab mir hier zuerst Nachricht von jenem Vorfall , welchen ich früher anführte , der mich in nicht geringe Verlegenheit brachte , aber auf 302 der anderen Seite doch auch über Nordheims ungleiches Betragen beruhigte .
Nordheim sei unüberzeugt geblieben , sagte mir Elise ferner .
Mit Augen voll Unwillens , und mit verbissenen Lippen habe er lang geschwiegen , und dann zu Junis gesagt :
Was soll ich von Ihnen denken ?
Ich hoffe nur aus jener , der wahren Liebe so natürlichen Feinheit wünschen Sie Ihr Glück profanen Augen zu verbergen .
Aber Sie tun mir Unrecht .
Ich habe kein gefühlloses Herz für die Verirrungen einer jugendlichen Neigung .
Es hängt nur von Ihrem ferneren Betragen ab , ob ich Sie tadeln , oder Ihnen aufrichtig Glück wünschen soll .
Das Glück muß den Blüten des Genusses folgen , sonst fällt mit diesen Blüten die beste Kraft unseres 303 Wesens ab .
Was bleibt , bei den einmal festgestellten Verhältnissen , einem armen Mädchen , die mehr Zärtlichkeit als Klugheit besaß , anders , als bittere Reue ?
Und wenn wir nicht entartet sind , was kann uns bleiben , als der Unfrieden eines Räubers ?
Julius wiederholte ihm von neuem , daß sein Verhältnis mit dir ganz und gar nicht von der Art sei , wie er es wähne .
Herr von Alban , Sie werden wissen und fühlen , was Sie zu tun haben , erwiderte Nordheim mit Heftigkeit .
Nur noch eins erlauben Sie mir zu sagen , da ich Ihre Familienverhältnisse ganz und gar nicht kenne , und nicht weiß , wie sehr Sie darauf Rücksicht zu nehmen haben . -
Als ein 304 vertrauter Freund des Pflegevaters Ihrer Geliebten , verspreche ich Ihnen , daß Sie über ihre Geburt , wenn es möglich ist , Aufklärung erhalten sollen .
Sollte es unmöglich sein , Ihre Wünsche über diesen Punkt zu befriedigen , so nehmen Sie von mir die Versicherung an , daß Agnes in einen Stand erhoben werden soll , der ihre Existenz in D. glänzend machen wird .
Auch soll sie ihrer Familie ein Vermögen hinterlassen , das ihren Enkeln den Verlust der Ahnen ersetzen kann .
Julius antwortete :
wenn er dich glücklich machen könnte , so bedürfe er keines fremden Motivs , dich zu heiraten , als seiner Liebe .
Aber er sei nie gewohnt , nach anderen Gesetzen zu handeln , als nach denen , die 305 ihm sein eigenes Herz vorschriebe .
Für heute nichts mehr , sagte Nordheim mit unterdrücktem Unwillen .
Ich hoffe , Sie sind morgen einig mit mir , dem lieben Mädchen alles Erröten zu ersparen .
Wo nicht , - so kenne ich meine Pflicht , die Unschuld in meinem Hause vor jeder Beleidigung zu beschützen .
Ich vermute , es fielen noch mehrere Anzüglichkeiten unter ihnen vor .
Julius hat nach der Stadt geschickt , um seine Pferde kommen zu lassen ; sein Reitknecht hält am Schloßtor , auch höre ich , daß er ein Billet für Nordheim zurück zu lassen gedenkt .
Julius ist voll Liebe für meine Agnes , voll Glauben an ihre reine Sitten , 306 und wünschte nichts eifriger , als dir seine Hand zu geben , nachdem er Nordheim überzeugt haben würde , daß einzig der Wunsch seines Herzens eine Verbindung zwischen euch schließe .
Mein Alban ist heftig dagegen , bis du dich über die Geschichte der vergangenen Nacht gerechtfertigt hättest .
Er fürchtet , Nordheim liebe dich selbst , wolle aber wegen seines Verhältnisses mit der Gräfin nicht heiraten , und wünsche dir durch eine Verbindung mit Julius ein bleibendes Etablissement in D. zu verschaffen .
Auch die Neigung des Prinzen für dich , die sich gestern Abend so lebhaft äußerte , erregte Verdacht bei ihm .
O was für unselige Umstände mußten 307 zusammentreffen , um dieses Mißtrauen in dem edlen Herzen meines Albans zu erzeugen !
Elise sank an meine Brust und weinte heftig .
Beste Agnes ! rief sie aus , ich beschwöre dich , löse diese schmerzliche Verwirrung durch ein offenherziges Geständnis .
Du kannst keine Schuld haben ! und ach ! die halbe Freude meines Lebens ist dahin , wenn mich der Argwohn Albans von dir trennt .
Die treue Liebe des guten Mädchens stillte gleich einem labenden Tau die Glut der Verwirrung in meinem Inneren .
Wie friedebringend und wie achtungswert ist der stille Sinn , der die Gestalten seiner Liebe fest und 308 rein zu bewahren vermag , in jenem Gewirre ungünstiger Verhältnisse !
Du vertraust meiner Unschuld mit Recht , liebstes Kind , sagte ich Elise .
Ich verdiene deine Freundschaft , und du sollst ewig die meinige besitzen .
Aber wir müssen jetzt vor allen Dingen suchen , den Irrtum zwischen den zwei lieben Männern aufzuklären .
Sage Julius , daß ich ihn vor seiner Abreise zu sprechen wünsche , und ich will Nordheim bitten lassen , auf einen Augenblick in mein Zimmer zu kommen .
In kurzem erschienen sie beide zugleich , und waren etwas verwundert , einander anzutreffen .
Ich suchte alle Verlegenheit zu überwinden , nahm 309 Nordheims und Julius Hand , und sagte :
Da ich die unglückliche Ursache eines Mißverständnisses zwischen zwei edlen Gemütern bin , so wünsche ich , sie auch wieder zu vereinen .
Sie tun mir Unrecht , Herr von Nordheim , wenn Sie an meinen Sitten zweifeln : - ich muß und will es ohne Verteidigung dulden , aber wenn Sie auch keinen Glauben an mich fassen konnten , hätten Sie nicht das Andenken an meinen Vater in Hohenfels zu Hilfe rufen können ?
Sollte die Kraft zum Rechten und Guten so schnell in einem Gemüte verblühen , das durch seine Pflege gebildet wurde ?
Herr von Alban hat sich immer 310 als ein edler großmütiger Freund gegen mich betragen , und eben darum könnte ich seine Hand nicht annehmen , da ich keinem Freunde eine Frau zu geben wünschte , deren Verhältnisse sie vielleicht zuweilen nötigen könnten , den Anstand der Pflicht aufzuopfern .
Auch ich , für mich , bin ganz und gar nicht in der Lage , für jetzt an eine solche , Verbindung zu denken .
- Und nun , meine teuren Freunde , geben Sie mir die Ruhe wieder durch die Gewißheit , daß kein Zweifel mehr zwischen Ihnen Stadt haben kann .
Das Schicksal eines unbedeutenden Mädchens soll nicht edle Männer entzweien , die bestimmt sind , sich zu schönen Taten zu vereinigen .
311 Nordheim und Julius waren bewegt .
O wer , rief Nordheim aus , wer würde nicht von dieser Sprache der Unschuld und Wahrheit , selbst gegen das Zeugnis seiner eigenen Sinne hingerissen !
Herr von Alban , sagte er , indem er Julius die Hand zur Versöhnung bot , wenn ich Sie durch Mißtrauen beleidigte , so verzeihen Sie es der Sorge für dieses liebenswürdige Kind , und helfen Sie mir auch von ihr Verzeihung erbitten !
Julius faßte Nordheims Hand , und ich drückte die beiden lieben vereinten Hände herzlich an meine Brust .
Meine Tränen flossen unaufhaltsam , mein tiefstes Wesen war aufgeregt von süßen , von schmerzlichen Empfindungen , ich mußte mich entfernen .
312 Bettina benutzte einen günstigen Augenblick , wo sie mich allein im Garten fand .
" Ich habe eine Bitte an Sie , sagte Sie mir leise .
O bewegen Sie Herrn von Nordheim und die Gräfin , daß ich Sie in die Stadt begleiten darf !
Ich weiß nicht , wie mich Ihr Anschauen so verwandelt hat , meine sonst so geliebte Einsamkeit scheint mir ein Grab .
Ich fühle , wie wenig ich bin , aber zugleich den Mut , noch mehr zu werden .
In welch kindischer Gedankenlosigkeit verstrichen meine Tage !
Jetzt weiß ich , was ich werden möchte .
Ein anderes Dasein steht mir so klar hier , ( sie deutete mit dem Finger auf ihre Stirn ) als wie die Gestalt dieser Blume vor mir steht , ob sie gleich jetzt noch in der schwellenden grünen Knospe verbor-313 gen liegt .
O ziehen Sie mich in Ihr Dasein hinüber ! " sagte sie mit dem sanftesten Ton .
Als ich Nordheim das Anliegen des guten Kindes vortrug , sagte er freundlich : Sie kommen meinen Wünschen zuvor .
Bettina hat das Alter erreicht , in welchem nur der vertraute Umgang einer schönen weiblichen Seele ihre Bildung vollenden kann , denn sie hat nicht Kraft genug , durch sich selbst das rechte Gleichgewicht zu finden , aus welchem sich eine schöne Form zu entwickeln vermöchte .
Die Mutter hat nur einzig in ihrem Talent und in ihren Reizen gelebt : seitdem sie mit der Jugend diese Exi-314 stenz verloren , ist sie in jene Erschlaffung und Dumpfheit versunken , mit der eine leere Seele immer in sich selbst zurückkehrt .
Sie hat sich , in ihrem Wahn , dem Himmel , aber eigentlich den Träumen ihrer frühen Kindereinbildung zugewendet .
Die toten Formen blieben in ihr liegen , weil keine Vernunft sie belebte oder hinwegräumte , und geben jetzt einen matten Trost .
Beinahe scheint mir die Furcht vor jeder Art von Gesellschaft , bei dieser Frau noch auf etwas mehr verschobenes im Gemüt zu deuten , als einzig auf das peinigende Gefühl der kleinen Eitelkeit , eine kleine Existenz überlebt zu haben .
Sie sehen aus diesem allen , fuhr er fort , daß Sie mir durch Ihre Güte für Bettina eine Sorge vom Herzen nehmen , ich 315 will dem guten Geschöpfe herzlich wohl .
Wie gern , beste Agnes , verdanke ich Ihnen dieses !
Wie gern verdanke ich Ihnen alles !
Er faßte meine Hand heftig , ließ sie aber im Augenblick wieder los , und entfernte sich .
Die Gräfin willigte sogleich in unseren Vorschlag wegen Bettina ein , und die Mutter wurde nunmehr befragt .
Nach einer halben Stunde kam Battista gelaufen , und rief :
Meine Mutter wünscht die junge fremde Dame zu sprechen , welche so viel Güte gegen ihre Tochter bezeugt .
316 Das ist höchst sonderbar , sagte Nordheim .
Ich folgte Battista durch ein zierliches Blumengärtchen in das kleine Wohnhaus .
Eine Frau von großer Gestalt und sehr feinen Gesichtszügen , in denen aber eine beunruhigende Lebhaftigkeit lag , empfing mich an der Treppe ; sie schien verlegen , suchte dies aber hinter einem kalten und steifen Anstand zu verbergen .
Schweigend führte sie mich ins Zimmer , welches mit Verzierungen überladen war , und mehr für Nordheims Freigebigkeit , als für den guten Geschmack der Bewohnerin zeugte .
Die Mutter befahl Battista , uns zu verlassen .
Als wir allein waren , faßte sie meine beiden Hände , sah mir starr , doch freudig 317 ins Gesicht , und rief : Ja , das ist sie !
das ist die Gestalt , die du mir als meine Beschützerin zeigtest , heilige Jungfrau ! so schwebte sie aus goldenen Wolken zu mir hernieder ; das sind dieselben blonden Locken , wie sie jenes himmlische Haupt umwallten .
Ich erkenne das sanfte Lächeln wieder , welches die Hoheit der verklärten Züge milderte .
Ja sie wird , sie muß mir helfen !
Ich war erschrocken , und wußte nichts zu sagen .
Sie faßte sich , saß einige Augenblicke mit beinahe geschloßenen Augen neben mir , und fragte dann heftig :
Welche von Ihnen beiden ist die Braut unseres guten Herrn , die Gräfin von Wildenfels oder Sie ? 318 Ich antwortete , daß von keiner Heirat des Herrn von Nordheim die Rede sei .
Die Gräfin ist es nicht ? rief sie freudig , und Sie können es werden .
O schönes gutes Mädchen , wie innig soll es mich freuen , Sie als die Gemahlin meines Beschützers zu verehren !
Gewiß Sie machen einen sonderbaren Eindruck auf ihn !
Nie sah ich ihn noch so himmlisch heiter , so sanft , so leuchtend möchte ich sagen von Leben und Freude , als wie er gestern neben Ihnen einherging .
Innigst freute ich mich dieser Erscheinung , aber man sagte mir diesen Morgen , er werde seine Vermählung mit der Gräfin feiern .
Es drang ein kalter Schauer durch meine Adern , Sie fühlen , ich 319 habe mich noch nicht vom Schrecken erholen können .
Die Reden des Weibes waren mir ein unbegreifliches Rätsel , aber immer bindet es uns mit einer gewissen magischen Gewalt selbst an das gleichgültigste Geschöpf , wenn wir den liebsten Wunsch unserer Seele auch von seinen Lippen vernehmen .
Jetzt nahm sie ein verschloßenes Kästchen aus ihrem Schreibepult , ihre Hände zitterten , mit gen Himmel gerichteten Augen drückte sie das Kästchen an ihre Brust , und rief :
Heilige Jungfrau ! du selbst gebotst mir , ich folge deinem Wink , er kann mich nicht irre führen !
Starr richteten sich nun ihre Augen auf mich , indem sie fortfuhr :
Seit 320 langen Jahren vertraute ich keinem menschlichen Wesen , und seit ich durch das Bekenntnis meiner Schuld von einem frommen Vater Vergebung empfing , seit dieser Zeit beschloß ich , mein Geheimnis auf ewig in meiner Brust zu begraben .
Gleichwohl drängten sich mancherlei Umstände , und meiner Kinder Schicksal forderte eine schmerzliche Eröffnung meines Herzens .
Auf der anderen Seite hieß mich auch manches schweigen .
So rang ich mehrere Monate nach einem Entschluß , und lebte im schmerzlichen Kampf .
Ich flehte oft zur Mutter Gottes um einen leitenden Wink , endlich erschien sie mir im Traum , hielt eine Heilige an der Hand , und sagte zu mir : Dieser vertraue ! 321 Ich fühlte mich beruhigt , und wartete mit stillem Geist auf die Deutung dieses Gesichtes .
Beim ersten Blick , den ich auf Sie warf , als Sie durch den Garten mit Herrn von Nordheim kamen , erkannte ich jene himmlische Traumgestalt .
Um so mehr erschienen Sie mir als ein hülfreicher Engel zur schlimmsten Stunde der Not , weil ich die Gräfin neben Ihnen erblickte .
Sie werden dieses in der Folge verstehen .
Ich sah Sie noch oft lange und genau an , ohne von Ihnen bemerkt zu werden , und überzeugte mich ganz , daß ich mich nicht getäuscht hatte , als ich in Ihnen die versprochene Retterin zuerst erkannte .
Die schwere Last fiel von meinem Herzen durch 322 diese augenscheinliche Hilfe des Himmels .
Nun vertraue ich Ihnen mein und meiner Kinder Schicksal in den Papieren an , die dieses Kästchen enthält .
Schwören Sie mir , daß unser Herr die Gräfin von Wildenfels nicht zum Altar führen soll , bevor Sie es eröffnet , ihr den Inhalt der Papiere verkündigt , und das Versprechen von ihr empfangen haben , daß sie für meine Kinder Sorge tragen will .
Sind Sie die Braut , so werden Sie die Beschützerin meiner Kinder , und öffnen an Ihrem Hochzeittag das Kästchen .
Herr von Nordheim wird dann um Ihretwillen der Vater meiner Kinder bleiben , wie er es jetzt durch Güte und Sorge ist .
Oft fühlte ich den Drang , meine Seele vor ihm aufzuschließen , aber die Ehrfurcht hielt 323 das Vertrauen gebunden .
So glaubte ich mir aus der schmerzlichen Verwirrung geholfen zu haben , fuhr sie fort , nachdem sie wenige Momente in Nachdenken versunken , unbeweglich vor mir stand .
Schwören Sie mir nun , sagte sie feierlich , bei allem was Ihnen heilig ist , schwören Sie mir bei dem Allwissenden , meine Bitte zu erfüllen , und geben so einer Unglücklichen die Ruhe wieder !
Ihre Augen waren mit wildem schmerzlichen Verlangen auf mich geheftet , alle ihre Züge blieben wie erstarrt , und der Mund halb geöffnet .
324 Ich gelobte die Erfüllung ihrer Bitte , sofern sie in meinen Kräften stünde , indem ich den Allwissenden zum Zeugen anrief .
Jetzt fiel sie mir zu Füßen , benetzte meine Hände mit Tränen , und pries sich selig , von dem bangsten Zustande befreit zu sein .
Ich suchte sie zu den gesunden wahren Gefühlen der Natur zurück zu führen , indem ich von dem Schicksal ihrer Tochter redete , und für sie Sorge zu tragen versprach .
Mir dünkte , die Einsamkeit sei ihr schädlich , und werde sie am Ende ganz zur Schwärmerei führen , so wie dieses vielleicht bei jedem erfolgen muß , der sich nicht durch Beschäftigung des Verstandes im gehörigen Gleichgewicht zu erhalten weiß .
325 Jeder braucht im gewissen Sinn das Leben mit Anderen , um seiner selbst gewiß zu werden , aber Menschen von schwachen Fähigkeiten denken allein mit den Worten und Formen , die sie von Anderen empfangen .
Ich sprach von Entwürfen , auch die arme verstimmte Frau , so wie ihre Tochter , wieder in das gesellige Leben zu verflechten , aber sie sagte traurig lächelnd : Nein , die Nachtigallen sind im Winter unansehnliche lästige Tiere , ich will einsam bleiben , bis ich im Chor der Engel wieder singen kann .
Bettina sollte mir noch denselben Abend das geheimnisvolle Kästchen überliefern , ihre Mutter schien keinen vollkommenen Frieden zu finden , 326 bis sie jedes sinnliche Zeichen ihres schmerzlichen Geheimnisses von sich entfernt hatte .
Ich begegnete Nordheim und Julius als ich durch den Garten zurück ging .
Sie schienen in einem vertraulichen Gespräch begriffen .
Nordheim faßte meine Hand , und fragte : wie ich Madame Barsino gefunden ?
Mir dünkt , sagte ich , ihr Gemüt bedürfe eines starken äußeren Anstoßes , um die tiefen Spuren der Vergangenheit wieder auf eine leichte Art mit der umgebenden Welt vermischen zu lernen .
Der Rest des Lebens , sagte Nordheim , muß notwendig schal sein , wenn der Anfang nur der einseitigen Kultur eines Talents gewidmet war , 327 dessen wir uns nur durch Andere erfreuen können .
Nur Geist und Liebe tragen Frucht in jeder Region des Lebens .
Wir standen an einer Bank , über welcher sich eine Laube wölbte .
Nordheim hieß uns sitzen .
Es war etwas zärtlicheres in seinem Betragen , als ich noch je wahrgenommen , und der Ton seiner Stimme wurde weicher und zarter , wenn er mit mir sprach .
Ist es der Wunsch , ein angetanes Unrecht vergessend zu machen ?
Ist es Liebe ?
Dieser Zweifel bewegte meine Seele , aber lebendig drang die holde Erscheinung zu meinem Herzen .
Julius , Nordheim und ich waren in der lebhaftesten Stimmung , nur abgebrochene Worte hielten den Faden der 328 Unterhaltung zusammen .
Etwas Unaussprechliches , Unendliches füllte unsere Busen , glänzte in unseren Blicken , arm und leer schien jedes Wort , wir unterhielten uns von den entferntesten Dingen , um nur das nächste Gefühl unseres Herzens nicht zu verraten .
Der Wunsch , mit Nordheim allein zu sein , wechselte mit einer sonderbaren Furcht vor einem entscheidenden Augenblick , in welchem ich das Geständnis seiner Liebe empfangen sollte , und Julius schien selbst so nach einer Gelegenheit zu suchen , uns mit Anstand zu verlassen , und nur aus Verlegenheit zu bleiben , daß ich nicht unzufrieden mit ihm sein konnte .
Ich wünschte auch eigentlich 329 seine Entfernung nur , weil ich fürchtete , es müsse ihn schmerzen , wenn er den vollen Ausdruck meiner Liebe gegen Nordheim als Augenzeuge empfände .
Ich hätte ihn mit mir an der Brust meines Geliebten gewünscht , selig mit mir im reinsten Genuß an dem liebeschlagenden Herzen .
Unsere lebhafte Stimmung stieg beinahe bis zur schmerzlichen Spannung .
Es zog sich gleich einer drückenden Gewitterwolke um uns her , die sich nur in Blitzen entlasten konnte .
Julius stand auf , und war im Begriff sich zu entfernen .
Die lieblichste heiligste Ahnung einer glücklichen völlig einverstandenen Liebe bebte 330 durch mein Wesen ; - aber in dem Augenblick verließ uns Nordheim mit einer flüchtigen Entschuldigung von Geschäften .
Meine Arme erhoben sich unwillkürlich , die geliebte Gestalt fest zu halten , mein Herz schlug gewaltig gegen meine Brust , und ein lauter Seufzer verriet Julius meinen Zustand .
Was habe ich getan , rief er schmerzlich aus .
Warum zögerte ich , mich zu entfernen ?
Warum muß ich Unseliger ! immer der Glückseligkeit des liebsten Wesens im Wege stehen ?
Seine Verwirrung gab mir meine Fassung wieder .
Lieber Freund , sagte ich ihm , dar Schicksal läßt sich die schönsten 331 Blumen des Lebens nicht entreißen , sondern reicht sie nur freiwillig dar .
Sollte mir noch gewährt sein , Nordheims Liebe zu gewinnen ?
Alles beinahe heißt mich zweifeln .
Ich empfand in diesem Augenblick , wie ich sprach ; Furcht und Verlangen erhalten unser Gemüt notwendig im Irrtum .
Nordheim konnte selbst wünschen , mich mit einem anderen Manne zu verbinden ; wie kann er mich lieben ?
So schloß ich natürlich in dem Moment einer getäuschten Hoffnung .
Julius Blicke ruhten mit der zartesten Teilnahme auf mir .
Vertrauen 332 Sie meinen Augen , liebste Agnes , sagte er sanft .
Sie werden geliebt .
Einfacher , klarer faßt eine weibliche Seele das Gefühl der Liebe ; mit mannigfachen oft streitenden Gestalten vermischt es sich in der Brust des Mannes .
In einer so reichen Natur wie Nordheim , wo so hohe Kräfte wirken , muß die Liebe eine ganz eigene , neue Gestalt annehmen , die zu mancher Täuschung Anlaß geben kann .
Ich fühlte mich gestärkt und beruhigt , mehr durch das Anschauen von Julius schönem Wesen , das seine Freiheit bei dem lebhaftesten Empfinden so rein zu bewahren vermochte , als durch die Hoffnungen , welche er mir einzuflößen strebte .
333 Wir kehrten noch denselben Abend nach der Stadt zurück .
Der Prinz hatte die ganze Gesellschaft dringend eingeladen , sich bei einem Fest einzufinden , welches er seiner Schwester zu Ehren veranstaltet hatte .
Ungern trennte ich mich von dem Wohnort meines Geliebten .
Die Gärten , das Haus , die Zimmer und alles was sie enthielten , schienen mir als sein Eigentum von seiner Gegenwart belebt und verschönert zu sein .
Ein freundlicher Schimmer erleuchtete alles was mich umgab ; so wie ein heiterer Sonnenblick uns alle Formen einer wohlbekannten Gegend gleichsam erneut , und näher an die Seele bringt .
Die nächsten Tage waren geräuschvoll .
Mir war nie wohl unter dem 334 Gewühl einer bunten Menge , sie brachte mich immer in eine Art von Betäubung , in welcher ich den Mangel an innerer Klarheit schmerzlich empfand .
Die Gestalt der Prinzessin ergriff mich mit sonderbarer Gewalt .
Sie saß in einem Zirkel von Damen , als ich mich ihr näherte .
Ihr Anstand war edel , ihr Putz einfach und geschmackvoll .
Ich mußte den Zirkel vermehren , und als ich ihre Gesichtszüge genauer betrachten konnte , fand ich sie alle von dem Ausdruck unaussprechlicher Lieblichkeit belebt .
Nur wenig , und sehr leise wurde von den Damen gesprochen ; die Prinzessin schwieg , oder sagte ihren Nachbarinnen ein paar Worte , von 335 denen ich nichts vernehmen konnte .
Endlich wendete sie sich mit einer Frage an mich .
Der Ton ihrer Stimme durchdrang mein Inneres .
Meine Nerven bebten .
Die Verzierungen der Zimmers , die Personen der Gesellschaft schwankten vor meinen Blicken , mit Mühe hielt ich mich auf meinem Stuhle .
Ich saß neben einer gutmütigen geschäftigen Alten , sie faßte mich bei der Hand , und wiederholte mir leise die Frage der Prinzessin .
Ich stammelte einige Worte gegen diese .
Die gute Alte hielt meinen Zustand für Verlegenheit , und suchte dem armen Landmädchen zu Hilfe zu kommen .
Der Prinz näherte sich uns , die Prinzessin sprach viel und lebhaft , ich bekam nach und nach meine Fassung wieder , und schalt mich 336 töricht , einem ersten Eindruck der Macht eines Tones solche Gewalt über mich gestattet zu haben .
Der Prinz begegnete mir im Angesicht der Gesellschaft , und vorzüglich unter den Augen seines Vaters mit zurückgehaltener Aufmerksamkeit .
Dennoch fanden die Hofleute , deren Scharfsinn nur ein einziges Feld , die Schwachheiten ihres Herrn kennt , sehr bald etwas Auszeichnendes in dem Betragen des Prinzen gegen mich .
Ich mußte manches Lob und manchen Tadel ertragen , ohne beides zu verdienen .
Ich fühlte , daß Nordheim und Julius über mein Verhältnis mit dem Prinzen wachten ; ihre gegenseitige Vertraulichkeit schien täglich inniger 337 zu werden .
So sehr es mich freute , zwei mir so werte Menschen vereinigt zu sehen , so schmerzlich fühlte ich doch die Veränderung in Nordheims Ton gegen mich .
Die Güte eines zärtlichen Vaters lag in seinem Blick , so wie in dem Sinn seiner Rede .
Täglich sah ich ihn , täglich entfaltete sich sein Wesen in neuer Liebenswürdigkeit , und gerade in einer Art der Liebenswürdigkeit , die unsere ganze Weiblichkeit mit Verlangen befängt .
Der Wunsch , Liebe zu gewinnen , anzugehören , ergreift unser Wesen nie stärker und inniger , als wenn wir eine hohe Kraft in Tätigkeit erblicken .
In den leichten Verhältnissen der Gesellschaft war Nordheim 338 hingebend , wohlwollend , voll hinreißender Grazie , aber sobald es ein ernstes Verhältnis galt , stand er mit unerschütterlicher Festigkeit bei seinen Grundsätzen .
Voll Mut und Würde glich er einem kräftigen Löwen , der die Insekten großmütig in seinen Mähnen spielen läßt .
Selbst die sinnloseste Menge hat die Ahnung einer unüberwindlichen Kraft , und fühlt ihre ganze dumpfe Beschränktheit in ihrer Nähe .
Des Prinzen allgemein bekannte Freundschaft für Nordheim gab ihm Einfluß auf den Zirkel der Geschäftsleute , sein heller Verstand war die Freude der Rechtschaffenen und das Schrecken der Arggesinnten .
339 In der Einsamkeit meines Zimmers überließ ich mich der Sehnsucht nach den ersten lieblichen Träumen , die mich aus dem frohen Gleichmut der Kindheit erweckten .
Nordheim liebt mich nicht . - Welchen Ersatz vermag mir das Schicksal für den Verlust dieses einzig schönen Glückes darzubieten ?
Nur das Andenken an meinen Vater in Hohenfels , der Wunsch sein Alter zu beglücken , wie er meine Kindheit verschönerte , diese erhielten meinen Lebensmut .
Die Sorge für Bettina verband sich mit dem Andenken an meinen Vater , um das Gleichgewicht in meinem Gemüt zu erhalten , wenigstens jedes 340 äußere Zeichen des Unmutes zu unterdrücken .
Bettina war viel in meinem Zimmer .
So wie ich über den ruhigen Kreislauf ihrer Beschäftigungen wachte , erinnerte ich mich selbst an Arbeiten , die meine Träume unterbrachen .
Lust und Reiz war mit der Hoffnung der Liebe entflohen , und mein erloschenes Auge kündigte ein Gemüt an , das in sich selbst zurückkehrt , den Mut aufsucht , um den freudenlosen Gang durchs Leben zu vollenden .
Nordheim schien den wahren Zustand meines Inneren zu übersehen ; oft schien es sogar , als hielt er sich an die falsche Seite einer erkünstelten heiteren Laune , die ich der Gesellschaft darbot .
341 Julius kannte mein Herz , und betrug sich mit edler Feinheit .
Er vermied , sich mir zu nähern , um allem Anschein von Ansprüchen auszuweichen .
Wenn er es irgend konnte , ohne bemerkt zu werden , sagte er mir ein herzliches Wort , das innigen Anteil an Leidenschaft verriet .
Ich fühlte den Wert dieses Betragens , und lernte seine gleich schöne und starke Seele täglich mehr schätzen .
Die Gräfin verhielt sich seit der ersten und einzigen Erklärung gegen mich ganz passiv .
Die Eröffnung ihres Herzens schien mit einer schmerzlichen Anspannung ihres ganzen Wesens verbunden zu sein , und sie in einen so gewaltsamen Zustand zu versetzen , den sie wo möglich zu ver 342 meiden suchte .
Sie betrug sich mit sanfter schonender Gefälligkeit , als fühlte sie meinen Zustand , aber als habe sie die Pflicht einer Freundin schon gegen mich erfüllt , und müsse mich meinem Schicksal überlassen .
Elise war zart und liebend , aber von zu wenig Energie für solch eine Lage ; auch hatte Albans Mißtrauen gegen mich die Vertraulichkeit unseres kleinen Zirkels in etwas vermindert .
Der Prinz war nur mit sich beschäftigt , so sehr er auch nur mit mir beschäftigt scheinen wollte , vielleicht es selbst zu sein wähnte .
So war ich mitten in einem Zirkel trefflicher Menschen dennoch einsam und mir selbst überlassen .
Der erste gewaltige Eindruck , welchen die Prinzessin auf mich gemacht 343 hatte , ließ eine Art von Furcht , mich ihr zu nähern , in mir zurück .
Gleichwohl zog sie mich gewaltig an , mit einem sonderbaren Vergnügen stand ich hinter ihrem Spieltisch , ihre unbedeutendsten Worte blieben in meinem Gedächtnis , und wenn ich im Vorübergehen ihr Gewand berühren konnte , fühlte ich ein unbegreifliches Vergnügen .
Die Prinzessin schien mich ganz zu übersehen , aber zuweilen suchte mich ihr glänzendes Auge in einer Ecke des Saales auf , wo ich es am wenigsten erwartete .
Sie ist dir nicht ungeneigt ! sagte ich mir mit innigem Vergnügen , und nur meinem ersten kindischen Benehmen schrieb ich es zu , daß sie mir eine 344 neue Verlegenheit ersparen und nicht wieder mit mir sprechen wollte .
In Augenblicken , wo ich es nicht vermeiden konnte , mit dem Prinzen allein zu sein , sprach er von Leidenschaft .
Ich wurde oft unwillig , einen Charakter , der mir anfänglich im schönen Lichte erschienen war , durch solch eine Schwachheit entstellt zu sehen .
In seiner Neigung war mehr Begierde als Zärtlichkeit , und , selbst mit einem ganz freien Herzen , hätte ich ihr widerstanden .
Ich stand eines Abends , als Gesellschaft beim Fürsten war , mit einigen jungen Damen in einem Fenster des Saals .
Der Prinz wußte sie durch einen Vorwand zu entfernen , und als ich ihnen folgen wollte , hielt er mich mit 345 Gewalt zurück .
Agnes ! verdiene ich diese Kälte ? sagte er heftig .
Ist es meine Schuld , daß ich gebunden bin durch unleidliche Verhältnisse , daß ich Ihnen jetzt nur ein Herz anbieten kann ?
O ich bin unglücklich genug , unter dem Zirkel hirn- und herzloser Puppen , die meinem Stand und Reichtum so platt entgegen kommen , ein gutes Herz gefunden zu haben , es mit wahrer Neigung zu umfassen ; und von diesem verkannt zu werden !
Warum entziehen Sie mir die Blüte Ihrer Schönheit ?
O wir Fürsten sind Opfer der Verhältnisse ! selbst unsere Freunde entfernen sich von unseren echt menschlichen Gefühlen , und ihr mitleidsvoller Blick wiederholt es :
- 346 Ihr seid Opfer !
Die Stadt lag vor uns am Fuße des Berges , und die Lichter in den Häusern glänzten durch die dunkle Nacht .
Ich war gerührt und sagte : Teurer Prinz , es kann nur eine trübe Laune sein , in welcher Sie Ihre Bestimmung verkennen , die den höchsten menschlichen Kräften dieschönste Übung gewährt .
Sollte es Ihrem Herzen nichts sagen , wenn Ihr Nahme in stillen Familienzirkeln als ein guter Genius genannt wird ?
Wenn aus Ihrem hellen Verstand , aus der Kraft Ihres Herzens der Wohlstand dieser Gegend erblüht ? 347 O meine Agnes , sagte er , Sie entflammen nur das Verlangen nach Ihrem Besitz , indem sich Ihre geistige Schönheit vor mir enthüllt .
Ich will streben , das zu werden , was Sie wünschen !
Nehmen Sie diesen Ring , Geliebte , fuhr er fort , zum Pfand alles Guten , was dieser Augenblick in mir entfaltet .
Jene erste glückliche Täuschung , welche ich durch ihn erfuhr , werde ich nie vergessen .
Er verließ mich in heftiger Bewegung , und der Ring blieb an meinem Finger .
Es war dasselbe Bild seiner Schwester , welches ich mit so sonderbaren Regungen angesehen hatte .
Als ich wieder ins Gesellschaftszimmer gehen wollte , wickelte sich eine 348 Gestalt aus den Vorhängen des Fensters , welches zunächst an dasjenige stieß , wo ich mit dem Prinzen gestanden .
Ich eilte vorbei , aber ich fühlte mich gehalten , und zärtlich umschlungen .
Ich erkannte die Prinzessin .
Gutes Kind , sagte sie , ich nehme herzlichen Anteil an Ihnen , kommen Sie , wir schwatzen ein wenig zusammen .
Ihre Stimme zitterte , aus Verlegenheit , wie ich es deutete , mich und ihren Bruder vielleicht gegen ihren Willen belauscht zu haben .
Ich mußte mich neben sie setzen , und sie fuhr fort .
Ich habe Ihre Unterredung mit meinem Bruder gehört .
Ob ich zufrieden 349 mit Ihnen bin , fühlen Sie .
Ich beklage ihn , und freue mich zugleich , daß er so wählen konnte .
Leicht und beweglich wie die Farben der Iris , Kinder aller Elemente sind unsere Neigungen , und wie sie jenen gleich aus Regen und Sonnenschein entstehen , so verkünden sie doch auch nur , wie sie , aufs neue Regen .
Ich wünschte Ihnen ein heiteres Dasein unter einem blauen wolkenlosen Himmel .
Darf ich einen Mann nennen , neben welchem Sie dieses finden würden ?
Ich schwieg bewegt und verlegen .
Darf ich ? fragte sie aufs neue .
Darf ich Julius von Alban nennen ? 350 Er ist ein edler , achtungswerter Mann , sagte ich .
Ich habe den rechten Namen nicht genannt , erwiderte die Prinzessin .
Ich muß Ihr Vertrauen erst verdienen lernen , liebste Agnes .
Sie hielt meine Hand , ihr Bild fiel ihr in die Augen .
Das ist der Ring meines Bruders !
Trage ich ihn auch mit Ihrer Genehmigung ? fragte ich .
Ich leugne nicht , ich würde mich nur mit Schmerzen von diesem lieben Ringe trennen .
- Von welchen Erinnerungen sprach mein Bruder ?
O von den heiligsten meines Lebens ! sagte ich mit einer Offenheit , die ich mir selbst im nächsten Moment vorwarf .
351 Wie das ? fragte die Prinzessin heftig .
Ich war verwirrt , und fuhr fort :
Er gibt mir die wunderbarste Reminiszenz durch die Ähnlichkeit mit einer sehr geliebten Person .
Lassen Sie uns zur Gesellschaft gehen , sagte sie , indem sie rasch aufstand , und mich mit sich in den Saal zog .
Charles kam den nächsten Morgen zu mir .
Er brachte mir einen zärtlichen Gruß von meiner Mutter , und eine Ermunterung unsere für jetzt notwendige Trennung ruhig zu ertragen .
Der Inhalt meines Briefes habe sie betrübt , sagte mir Charles , doch werde sie nie nach einem Einfluß in mein Schicksal streben , welcher meiner Neigung Gewalt antun könnte .
352 Ein gesundes Gemüt werde durch sich selbst mit allen Erscheinungen im Leben fertig , und lerne seine Macht kennen , sie zu verwandeln , oder zu ertragen .
Ihre Mutter , fuhr Charles fort , vertraut Ihrer guten Natur .
In einem heftigen allbezwingenden Verlangen lernt unser Wesen seine ganze Kraft empfinden .
Die Illusion der Leidenschaft ist in der Ökonomie der menschlichen Natur , was die Blüte in der Pflanzenwelt ist .
Die Schönheit umschleiert den Moment , wo sich die Kraft und Gestalt eines Wesens entscheidet .
Ich zweifle nicht , meine Agnes wird in reiner tadelloser Form aus dieser Verwandlung hervorgehen , und mit erhöhter Kraft 353 zum Leben und Wirken gerüstet .
Eine Seele , die im Zauber der lebendigen Fantasie ihre entflohenen Freuden und Leiden zurückzurufen vermag , bewahrt leichter das heilige Gesetz der Billigkeit gegen andere , als lebendiges , gegenwärtiges Gefühl in der Seele .
Sie werden Ihre Mutter bald wiedersehen , auch in kurzem Ihren Pflegevater in Hohenfels , und wenn Sie selbst wollen , werden Sie an seiner Seite einen Kreis der Tätigkeit finden , der Ihnen das Glück der Liebe ersetzen kann , oder in steter Dauer bewahren wird .
Charles brachte in jeder Woche einige Morgenstunden bei mir zu .
Er ließ mich Zeichnungen kopieren , die er selbst nach den besten Meistern 354 entworfen hatte .
Ich wählte eine Landschaft nach Poussin , und während dieser Arbeit fielen unsere Gespräche auf die wichtigsten Gegenstände .
Charles herzlicher Anteil , und die Klarheit seiner Vorstellungen wirkten wohltätig auf mein Gemüt .
Ich wurde mir selbst klarer in seinem Umgang .
Er faßte meinen Zustand , und suchte die verworrenen Bilder zu zerstreuen , welche meine Fantasie aus den großen Zirkeln der vergangenen Abende zurückgebracht hatte .
Ich heftete mich an ihn , und ehrte ihn wie einen guten Genius , der den Faden meines geistigen Daseins 355 aus dem Gewühl des Sinnlichen zu lösen vermochte .
Meine kleine Kunstarbeit hatte während unserer Gespräche guten Fortgang .
In jeder Darstellung eines großen Sinnes liegt eine gewisse magische Kraft gleich als für immer gefesselt , sie bewegt jeden fühlenden Beobachter , er fühlt eine fremde Gewalt , die seine Kräfte aufregt und emporzieht .
So wirkte auch der Geist des großen Meisters , dessen Dichtung vor uns lag , still und erhebend auf mein Gemüt ; und das Andenken an meine Mutter , das mir in Charles Gespräch beinahe zu einer geheimnisvollen Gegenwart wurde , stärkte mein Herz in dem zarten süßen Leben der Hoffnung .
356 Ich war heiterer und lebendiger nach jeder Zusammenkunft mit Charles , und hatte manche kleine Spötterei der Gräfin über den Einfluß des Zeichenmeisters auf meine Laune auszustehen .
Bettina war oft gegenwärtig , während Charles bei mir war , sie zeigte viel Freude und Geschicklichkeit zur Kunst , und gewann Charles Neigung sehr bald .
Die Kleine hatte ihre Liebe zu Nordheim so innig mit der Neigung gegen mich vereinigt , daß wir beide gleichsam zu einem Bilde in ihrer Vorstellung zusammengeflossen waren .
Je inniger sie uns in sich vereinte , je schärfer trennte sie jede dritte Erscheinung von der unseren .
Jede kleine 357 Vertraulichkeit Nordheims mit der Gräfin schmerzte sie tief , sie kam traurig zu mir , und verweilte mit ihrem kindischen Geschwätz bei jedem kleinen Umstand .
Sie machte auch in Charles Gegenwart oft bittere Anmerkungen über die Gräfin , und schwatzte nach und nach so viel , daß Charles den Grund ihres Herzens und des meinen erblickte .
Nein , rief sie einmal heftig aus , nein , es ist unmöglich , daß Nordheim ein anderes Weib als meine Agnes lieben sollte !
Ich suchte meine Bewegung durch einen Scherz zu verbergen , aber ich fühlte es , Charles hatte mein Geheimnis erraten .
Mir selbst blieb Nordheims Verhältnis mit Amalie immer ein Rätsel , 358 ich scheute mich bei den Kleinheiten der Eifersucht in meinem Gemüt zu verweilen , und verstattete mir keine genauere Beobachtungen .
Es fuhr gleich einem kalten Stahl durch meine Brust , wenn ich die Gräfin mit Nordheim allein fand , meine Lippen bebten , und meine Worte wurden zu unsicheren Lauten .
Aber ein freundliches Wort von Nordheim , voll einfachen treuen Sinnes , brachte den Frieden in meinem ganzen Wesen zurück .
Was willst du ? fragte ich mich selbst ; nimmt er nicht Teil an dir , will dir wohl ? ist das nicht schon so viel ? ist es nicht genug ?
Ein sonderbarer Vorfall zeigte mir auf einmal die ganze Gewalt der Leidenschaft über mein Herz , indem er den freundlichen Wahn der Erfül-359 Lunge zerstörte , welcher sich insgeheim immer an unseren heißesten Wunsch anschmiegt , so sehr unser klarer Verstand ihn auch zurückzuweisen strebt .
Die Hindernisse , welche Elisens Verbindung im Wege standen , waren nunmehr besiegt , der Tag der Hochzeit war festgesetzt , und der Hof nebst der ganzen Gesellschaft versammelte sich bei Elisens Tante , um der Trauung beizuwohnen .
Die Gesellschaft verteilte sich bis zum Anfang der Zeremonie in mehrere Zimmer .
Elise nahm mich geheimnisvoll bei der Hand , und führte mich in ein Kabinett , wo ich den Prinzen fand .
" Verzeihen Sie das , was ich Ihnen zu sagen habe " redete er mich an : 360 " es ist ein Auftrag meiner Schwester , welche uns seit wenigen Tagen verließ . "
Die Prinzessin hatte mich seit der letzten sonderbaren Szene ganz vernachlässiget ; ich war durch ihr Betragen gekränkt , weil etwas unaussprechlich Anziehendes für mich in ihrem Wesen lag .
" Meine Schwester und ich , " fuhr der Prinz fort , " vereinigen uns mit den Wünschen Ihrer Freundin , heute mit einem liebenden Gemahl zugleich auch eine geliebte Schwester zu besitzen . "
Elise lag in meinen Armen. O meine Agnes , gewähre uns allen dieses Glück ! rief sie aus .
Mein Alban bittet für seinen Bruder , Julius bittet nur 361 mit stiller Liebe und Treue .
Geben Sie uns allen die Freude , Sie für immer unter uns zu sehen , sagte der Prinz .
Selbst mein Vater ist von dem Zauber Ihres Betragens gerührt , und wünscht , Sie möchten bei uns leben .
Er wird Julius in eine Lage setzen , welche Ihnen eine angenehme Existenz versichert .
Der Fürst trat herein , und sein freundliches gütiges Lächeln über den ernsten Zügen , die aus allen ihren gewohnten Falten gerückt waren , ergriff mich auf eine sonderbare Art , und rührte mich bis zu Tränen .
Ein geschäftiges Männchen unter den Hofleuten hatte etwas von der 362 Szene durch die halboffene Tür gesehen , und breitete in den anderen Zimmern die Nachricht aus , ich empfinge die Glückwünsche zu meiner Heirat .
Das Kabinett füllte sich , Nordheim kam mit den Übrigen , blieb ernsthaft an der Tür stehen , ohne ein Wort zu sprechen .
Julius erfuhr von Elise die Veranlassung dieses Auftritts .
Er sah mich in der peinigen den Verlegenheit , wagte nicht , sich mir zu nähern , und bat die Gräfin , mich von der lästigen neugierigen Menge zu befreien .
Ich hatte mich unterdessen gefaßt , und ersuchte den Prinzen , seinem 363 Herrn Vater meinen Dank auszudrücken , nebst dem Wunsch , für jetzt noch unverheiratet zu bleiben .
Der Fürst sah verdrießlich aus , und sagte halb laut :
Er hätte von mir solch eine Ziererei nicht erwartet .
Der Tadel des alten Mannes schmerzte mich , wie mich sein Anteil bei seiner sonstigen gewohnten Kälte rührte .
Die Gräfin zog mich in ein Fenster , und sagte nach einigen Minuten :
Welch eine eigene Gestalt nehmen doch alle gewöhnlichen menschlichen Verhältnisse für Seelen gewisser Art an !
Die Liebe für Dich , meine Agnes , scheidet sich von jedem eigennützigen Begehren , sie will nicht sowohl besitzen , als Dein Wesen gleich einer schönen Kunstgestalt in reiner Anschauung genießen .
Dein holdes Gemüt 364 wirkt geheimnisvoll , aber mächtig auf alles , was sich Dir nähert , und bildet eine Welt feinerer zarterer Verhältnisse um Dich her .
Doch jeden , fuhr sie fort , jeden , mein bestes Kind , ergreift früh oder spät das unbezwingliche Schicksal , und versetzt ihn in den Kreis des Bedürfnisses und der Not , in welchen unser Dasein gebannt ist .
Nichts bleibt rein und ungemischt in diesem , und jedem Genuß folgt bitteres Entbehren .
Besser ist es , freiwillig den Göttinnen des Schicksals ein Opfer zu bringen , einem Gut zu entsagen , um ein anderes zu gewinnen .
Doch ich fühle , sagte sie mehr sanft und betrübt , als unmutig , ich fühle , daß ich Ihr Vertrauen 365 nicht besitze , ob ich gleich wähne , es zu verdienen .
Wir waren allein im Kabinett geblieben , Nordheim näherte sich uns .
Vertraulicher als ich es in der letzten Zeit gewohnt war , faßte er meine Hand , seine ernsten Blicke ruhten mit zärtlicher Teilnahme auf mir , indem er sagte : Wie gern , beste Agnes , nähme ich noch auf eine weite Reise , die ich in kurzem antreten werde , die Überzeugung mit mir , daß ich meine Freundin glücklich zurückließ .
Sie wollen verreisen ? sagte ich mit zitternder Stimme .
Ich muß , erwiderte er .
Im Vertrauen auf die Freundschaft Ihres Vaters , 366 wage ich es , vielleicht zudringlich zu werden .
Die Wünsche Ihrer Freunde scheinen mir einen Lebensweg für Sie zu bezeichnen , der zur Zufriedenheit führen wird .
Der , welchen Sie aus eigener Stimmung für jetzt vielleicht erwählen könnten , würde Sie nur zu Unruhe und Sorge führen .
Trauen Sie den Blicken eines Freundes , der zärtlichste Anteil macht sie scharfsichtig .
Was mich selbst betrifft , so bliebe mir noch einiges zu sagen übrig .
Ich wünsche klar vor Ihnen zu stehen , ob ich gleich Ihr Vertrauen nie erwerben konnte .
Sie werden mich aus meinen Briefen an Ihren Vater ganz kennen lernen , in kurzem werden diese in Ihren Händen sein .
Julius edle Liebe wird Ihr Leben beglücken , meine teure Agnes , und Ihr Glück 367 wird die reine Freude Ihres fernen Freundes sein .
Ich gewöhnte mich seit langer Zeit , nur in dem Glück meiner Freunde zu genießen .
Der Moment , wo ich aus diesem Dasein heraustrat , rächte sich durch manche innere Verwirrung .
Nordheim verließ mich hier schnell .
Unendlich ist der Schmerz der Liebe , weil sie selbst ein Verlangen nach dem Unendlichen ist .
Nordheim selbst wünscht dich mit einem anderen Mann verbunden !
Jeder Wunsch nach dir ist also in seinem Herzen erloschen !
Er liebte dich nie !
Nur dieses Gefühl klang immer aufs neue in meiner Seele wieder , meine Sinne waren wie erstarrt , und jedem äußeren Eindruck verschlossen . 368 Die Gräfin faßte meine Hand , und diese Berührung erweckte mich durch eine höchst widrige Empfindung .
Ich hatte den Sinn ihrer Worte nicht ganz gefaßt , und nur eine dunkle Vorstellung dabei gehabt , als enthielten sie den Rat , Julius meine Hand zu geben , und meiner Neigung für Nordheim zu entsagen .
Ich war schon in der widrigsten Stimmung gegen die Gräfin , als sich Nordheim zu uns gesellte , und jetzt in dem schwersten Moment meines Lebens stand sie vor mir als ein feindseliger Dämon , der sich meines bösen Geschicks erfreute , in welches er mich , so wähnte ich , selbst hineingezogen .
Ich hatte keine Worte für solche widrige Gefühle ; in Liebe und Stille der Seele erzogen , kannte meine Brust den 369 kalten Haß nicht .
Mit einer unwillkürlichen Bewegung hatte ich den Arm der Gräfin zurückgestoßen , und jetzt strebte ich , meinen Schmerz zu verbergen .
Julius bemerkte die gewaltsame Anstrengung in meinem Wesen , und äußerte sein Mißvergnügen , der Anlaß zu einer so unangenehmen Szene für mich gewesen zu sein , der er meinen ganzen Zustand zuschrieb .
Ich hielt die Gesellschaft aus , aber man trug mich halb ohnmächtig aus dem Wagen , so sehr hatte die Gewalt , mit welcher ich mein Herz zurückhielt , meine Nerven zerrüttet .
Wie wohltätig kehren sich die Genien unserer entflohenen guten Stunden in jenen Zeiten zu uns , wo uns eine 370 hoffnungsleere Finsternis umgibt !
Nachdem ich einen Strom erleichternder Tränen vergossen , standen meine lieblichen Wälder von Hohenfels mit ihren kühlen Lauben vor meiner Fantasie .
Dort , sagte ich mir , wo mir die ersten goldenen Jugendträume blühten , dort wird das Andenken an Nordheim , mein ewig lebendiger Schmerz über seinen Verlust , ungestört wohnen !
Ich rief mir jetzt Nordheims Worte zurück .
Außer ihrem schmerzlichen Sinn , welcher mir eine Verbindung mit einem anderen Manne anriet , lag 371 noch etwas Rätselhaftes in seiner Äußerung .
Er warnt dich selbst , dich deiner Neigung für ihn zu überlassen !
Auf diese Erklärung kam ich endlich zurück , ob sie mir gleich mit seiner Bescheidenheit und Feinheit zu streiten schien .
Wir sind so geneigt , die fehlgeschlagenen Hoffnungen unseres Herzens aus der Stellung der äußeren Umstände herzuleiten , um die Erscheinung eines geliebten Wesens rein in unserer Seele zu bewahren .
An welchen zarten Fäden hängen oft die wichtigsten Begebenheiten unseres Lebens ! sagte ich mir .
Ein geheimnisvolles Gewebe umspannt uns unsichtbar , aber gewaltsam , und alle Kraft unseres Herzens vermag nicht die eisernen 372 Fäden zu durchbrechen .
Hätte die Gräfin heute nicht zwischen uns gestanden , hätten uns statt der steifen Hofwelt , Wälder und Wiesen umgeben , statt des engen Zimmers , das weite blaue Gewölbe des Himmels , o ! wer weiß , ob nicht das innigste Gefühl der Liebe in meiner Brust ein Wort , einen Ausdruck gefunden hätte , welcher Nordheims Herz mir wieder zugewendet !
Alles erinnert uns an Beschränktheit in den Zirkeln der feinen Welt , sie bestehen nur durch dieselbe , und die himmlische Freiheit der Liebe fühlt sich dort gefesselt .
Welche unselige Stellung der Umstände mußte den entscheidenden Moment meines Lebens umgeben !
Ich habe 373 alles verloren ! für immer verloren !
Unter diesen Selbstgesprächen nahte der Morgen .
Der Entschluß , Nordheim nicht wieder zu sehen , stand hell in meiner Seele .
Die Gräfin kam , mich zu besuchen ; ich war milder gestimmt , und sie selbst schien mir mehr ein Werkzeug des Schicksals zu meinem Unglück , als die erste Ursache desselben .
Gleichwohl blieb ich ungerührt von ihrem gutmütigen Betragen , so sehr ich mich selbst darüber tadelte .
Es gibt Menschen , welche uns nie von ihrem guten , und andere , welche uns nie von ihrem bösen Willen überzeugen können .
Außer meiner leidenschaftlichen Stimmung , die eine unreine Farbe in das Bild der Gräfin mischte , lag 374 noch vielleicht in ihrem eigenen Wesen ein gewisses Etwas , welches das Vertrauen raubte .
Wo die Manier ganz vorherrscht , da scheint zuletzt der Charakter selbst nur Manier .
Der reine Klang des Herzens entlockt einzig hinwiederum dem Herzen Neigung und Vertrauen .
Man rief die Gräfin bei mir ab , weil Nordheim zu ihr gekommen war .
Mein Entschluß , ihn nicht wieder zu sprechen , blieb fest , aber noch einmal wollte ich den lebendigen Zauber seiner Gegenwart empfinden , und seine Gestalt als ein holdes Bild für meine dunkle Zukunft bewahren .
Ich lauschte hinter meinem Fenster , bis er aus dem Hause ging .
Er trug 375 dasselbe Reisekleid , in welchem ich ihn zuerst gesehen .
Er wendete sich nach meinem Fenster .
Mut und Vertrauen und Vergessenheit alles Schmerzens strahlte aus dem edlen liebevollen Gesicht in meine Brust .
Aber als er hinter der Ecke der Straße verschwand , ergriffen mich alle Schauer der Zerstörung aufs neue .
Zum letztenmal - es ist vorbei - es ist aus , sagte ich mir .
Zum letztenmal , ist ein beunruhigendes Gefühl bei der gleichgültigsten Sache , weil es an unser engbeschränktes menschliches Dasein so innig erinnert ; und zum letztenmal ! bei der höchsten Lebensfreude ergreift uns wie die kalte Hand des Todes .
376 Charles trat in diesem Augenblick ins Zimmer .
Ich eilte ihm entgegen , und suchte mein Gemüt zu verbergen , aber er wich stumm und erschrocken bei meinem Anblick zurück .
Haben Sie mir eine böse Zeitung zu bringen ? fragte ich ihn .
Nein , erwiderte er , möge ich keine von Ihnen zu vernehmen haben , und Ihre Worte Ihrem Aussehen widersprechen .
Sein herzlicher Anteil löste alle Banden meines Schmerzens , meine Tränen flossen unaufhaltsam .
Der zarte Sinn meiner Mutter schien mir von Charles Lippen entgegen zu schweben .
Er nahte sich mir sanft , faßte meine Hand , und nach einem 377 tiefen Blick in meine Seele sagte er : Sollte für dich , gutes Geschöpf , der Moment schon gekommen sein , wo die freundlichen Täuschungen der Sinnenwelt sich in quälende Gestalten verwandeln ?
Ist der jugendliche Wahn einmal verschwunden , in dem wir freundlich und harmonisch mit der äußeren Welt zusammenfließen , wo unser Wesen in allem innig und ganz lebt , und eben darum keine Trennung in seinem Inneren empfindet ; ist jene Magie einmal aufgehoben , und mußt du den inneren Bestand in dir selbst durch eigenes Streben wieder herstellen , dann kann dir vielleicht der Rat eines Freundes nützen .
Dein Wesen , gutes Kind , fuhr er fort , ist Liebe und Sympathie .
Genuß ist für dich nur in der reinen 378 Stimmung deines Inneren zu finden ; also lasse früh ab von der Täuschung , die uns einen äußeren Gegenstand als die höchste Wonne des Lebens vormalt .
Aber hüte dich auch vor jenen Momenten starrer Apathie , in welche unser Gemüt so leicht nach einer zerstörenden Anspannung fällt .
Handle nicht eher , bis der klare Blick deines Verstandes alle Dinge in ihrem rechten Maß zu würdigen vermag .
Der erste tiefe Schmerz getäuschter Erwartung treibt die Seele aus dem endlichen Beschränkten empor ins Unendliche .
Wir herrschen über die Gestalten der Erde in unserem Gemüt , 379 denen wir sonst dienten .
Glücklich wenn wir in solch einer Periode innerer Klarheit und Reinheit uns selbst eine richtige haltbare Stellung in unseren inneren und äußeren Verhältnissen geben !
Glücklich , wenn das Schicksal uns an einem Scheideweg stehen läßt , bis wir uns selbst gesammelt haben , und das Maß unserer Kraft zu ermessen vermögen .
Wenig Glückliche führt ihr Genius ganz schuldlos durch das Leben .
Manche müssen mit dem Opfer eines ganzen Lebens wenige Augenblicke büßen , in welchen sie verschmähten , auf jenen leitenden Wink zu achten .
- Hier hielt Charles ein , schlug die Augen nieder , und sein ganzes Wesen verriet einen Sturm 380 durch die Gewalt schmerzlicher Erinnerungen erzeugt .
Meine Agnes , rief er aus , indem sein Auge einen Blick unaussprechlicher Liebe auf mich warf , wenn es mir gelänge , dir den reinen nie getrübten Frieden der Seele zu erhalten , dann will ich jedes Leiden , das ich erduldete , als eine Wohltat des Schicksals dankend verehren !
Er stieg heftig von seinem Stuhl auf , lief ein paarmal im Zimmer auf und ab , und kam dann mit ruhiger Miene wieder zu mir .
Sie müssen sich billig wundern über den so lebhaften Anteil eines Unbekannten , sagte er , aber es ist meine Art so .
Mein Herz nähert sich 381 allem Liebenswürdigen mit einem innigen Verlangen , es in seiner eigentümlichen Grazie erhalten zu sehen .
Das Schicksal versagte mir zarte Naturverhältnisse , in denen meine Liebe lebendig wirken könnte , und darum spähet mein Auge nach allen holden Gestalten , die in meinen Kreis kommen , und mein Herz schließt ihnen seine Erfahrungen auf .
Charles Worte hatten mich lebhaft ergriffen , seine Vorstellungsart drang sich meinem Verstande auf , und die Wärme seines Herzens belebte meinen Willen .
Ich fühlte die Kraft , neue Ansichten des Lebens zu fassen .
Die Pflicht , die gesunde heitere Tätigkeit meines Gemütes für meine Mutter 382 zu erhalten , war das erste Verhältnis welches ich lebendig ergriff .
Wenn Freude und Hoffnung vom Herzen gefallen sind , finden wir nur unser Dasein im notwendigen , allgemeinen Gesetz unserer Natur wieder .
Sie werden Ihre Mutter diesen Abend sehen , sagte mir Charles , und sie wird Ihnen viel Wichtiges und Neues entdecken , was die Sphäre Ihrer künftigen Tätigkeit und den Ort Ihres Aufenthalts betrifft .
In Ansehung des Wunsches , sogleich zu meinem Vater nach Hohenfels zu eilen , verwies er mich auf die Unterredung mit meiner Mutter .
Ich blieb den ganzen Tag auf meinem Zimmer .
Bettina's liebevolle heitere Geschäftigkeit erhielt mich in einer sanften wehmütigen Stimmung .
383 Das liebe Geschöpf wird doch immer ein Verhältnis zwischen Nordheim und mir erhalten ; wenigstens werde ich wissen , wo er lebt , sagte ich mir .
Über Bettina wird er mir etwas zu sagen haben , und ich zu antworten .
O die einzig edle , holde Gestalt wird nicht ganz für mich in das Reich der Schatten verschwunden sein !
Ich werde zuweilen ein Zeichen seines Daseins empfangen .
Diese Gedanken gaben meiner Neigung für Bettina etwas rührend Zärtliches , welches ich noch nie bei ihr empfunden hatte .
Ich sagte ihr manches über ihre innere und äußere Existenz , welches sie mit lebendigem Wahrheitssinn aufnahm , denn ich selbst hatte ein sehr klares 384 Gefühl ihrer ganzen Individualität .
Ohne etwas besonders dabei zu denken , brachte ich meine Sachen in Ordnung , und versiegelte meine Papiere .
Bettina fiel mir weinend in die Arme , und rief :
Ach du willst mich verlassen !
Ich lachte , und versprach ihr dann ernsthaft , sie sollte immer bei mir bleiben .
Bei einbrechender Nacht entfernte ich das Mädchen , verhüllte meine Gestalt so sehr als möglich , und eilte dem Stadttor zu .
Charles hatte diese Einrichtung getroffen , er schien mir bedenklicher , ja furchtsamer , als bei unserer ersten Zusammenkunft mit meiner Mutter .
Es war eine sehr finstere Nacht .
Regenwolken umhüllten den Mond und 385 die Sterne , und der Regen fing schon an zu fallen , als ich kaum einige Schritte vom Hause der Gräfin entfernt war .
Ich eilte so sehr ich konnte , aber ich war schwach von der schlaflosen Nacht und den mancherlei Stürmen , welche in den letzten Tagen auf mein Gemüt eindrangen .
Der Wind jagte mir den Regen entgegen , und benahm mir die Luft .
Atemlos lehnte ich mich für einen Augenblick an eine Mauer , einem Laden gegen über , welcher sehr erhellt war .
Eine große Gestalt ging ganz dicht an mir vorbei , sie hatte den Hut tief in die Augen gedrückt .
Aber in dem Moment , wo das Licht aus dem Laden das Profil des Untergesichts stark erhellte , dünkten mir_es Nordheims Züge zu sein .
Ich bebte vor Furcht und vor 386 Freude .
- Ein Wort der Liebe von den geliebten Lippen zu vernehmen , und dann an der Brust der Erde mein Leben auszuhauchen , um in dem Atem des Ewiglebenden neu aufzublühen , dieser Wunsch bewegte mein Innerstes .
Wenn uns die Naturkräfte im Sturm aufgeregt erscheinen , und wir selbst dem Sturm in unserem Inneren kaum entrannen , dann schmiegt sich ein Gemüt . welches das Vermögen besitzt , sich der ewigwirkenden Kraft nahe zu fühlen , mit unendlichem seligem Verlangen an das Eine , Bleibende , in oder über der Natur .
387 Die grüne Erde dünkt uns wirklich der Schoß der Mutter , über welchem ewig unwandelbares Leben weht , um uns einem neuen Dasein zuzubilden .
Wie sonderbar geht oft eine neue ungewöhnliche Stimmung in unserer Seele einer Begebenheit zuvor , die unseren Verhältnissen und uns selbst eine neue Gestalt gibt ; gleich als gäbe uns unser Genius den Wink , unsere Kraft zu sammeln !
Der Wunsch nach der Auflösung unseres Wesens , bildet in gewissen Stimmungen unserer Seele ein neues Lebensorgan , und die gestaltlose , aber lichte Zukunft , der sich unser Inneres entgegendrängt , wirft auf alle Erscheinungen der Erde ein neues milderes Licht .
Welcher 388 feine Mensch , der gewöhnt ist in sich selbst zurück zu blicken , kennt nicht jene Momente des reicheren höheren Lebens , wo die Seele eine unabsehliche Kette der Gedanken durchfliegt , und die reicher an lebendigen Erscheinungen in seinem Inneren sind , als oft Zeiträume von Jahren !
Ich halte solch einen Moment durchlebt , und fand mich gestärkt und erhellt , um jeder Begebenheit zu begegnen .
Selbst der geliebten Erscheinung Nordheims ging ich mit Ruhe und stiller Freude , ohne Furcht und Sehnsucht entgegen .
Der Regen dauerte fort , und durch die Finsternis und den Sturm arbeitete ich mich nur mühsam und langsam hindurch , bis zum bestimmten 389 Ort .
Als ich bei einigen erleuchteten Häusern vorbeikam , dünkte mir_es , als folge mir die Gestalt , die ich zuvor sah ; sie stand still , sobald ich mich nach ihr umwendete .
Ich dachte nicht mehr , daß es Nordheim wäre , und glaubte mit Recht , meine Einbildung habe mich betrogen .
Auf dem bestimmten Platz fand ich den Wagen .
Charles bot mir die Hand zum Einsteigen , und nahm seinen Sitz neben mir .
Er schien ungewöhnlich bewegt , und sprach wenig .
Wir waren ungefähr eine Viertelstunde gefahren , als der Weg vom Steinpflaster abging .
Einige Reiter waren uns bis dahin gefolgt , Charles sah sich oft nach ihnen um .
Jetzt verließen 390 sie uns , und er schien ruhiger .
Wir hatten schon einen weiteren Weg gemacht , als bei der ersten Zusammenkunft , als sich die Wolken zerteilten und der Himmel aufhellte .
Ich öffnete das Wagenfenster , um des gestirnten Himmels zu genießen .
Welch eine schöne Nacht , mein Freund ! sagte ich zu Charles , um seinen Trübsinn zu zerstreuen .
Ist es Ihnen nicht auch , fuhr ich fort , als ob die Klarheit des Äthers den inneren Sinn umleuchtet , wie die Sonne die Gestalten der Erde ?
Alles Drückende und Verworrene löst sich auf , mit einem Blick in das grenzenlose Blau des Himmels , von dem eine Ahnung des Unvergänglichen uns entgegenweht .
Dieser Tag soll mir ein merkwürdiger Tag bleiben .
Ihr Gespräch diesen Morgen hat mich zu mancherlei Erschei-391 nun in meinem eigenen Wesen vorbereitet .
- Charles drückte meine Hand , und sagte mit zitternder Stimme :
Unser eigenes Dasein ist zu ermessen und zu ertragen , aber die Sorgen der Liebe drücken uns dreifach schwer danieder .
Wer für sich nur fürchtet , fürchtet nichts .
Die Reiter stießen wieder zu uns .
Charles hieß mich ängstlich , mich nicht wieder aus dem Wagenfenster herauszubeugen .
Sie folgten unserem Wagen seit einer halben Stunde , Charles wurde immer unruhiger , und als wir durch ein Dorf fuhren , sagte er :
Wir müssen diese Leute von unserer Spur entfernen ; und bat mich , am Wirtshause auszusteigen .
Man 392 führte uns in ein kleines Zimmer , dessen Fenster gegen den Garten geöffnet waren .
Die Düfte der vom Regen erfrischten Pflanzen wallten uns durch die helle Mondnacht entgegen .
Mir war wohl und sonderbar klar in meinem Gemüt .
Ich sprach mit Charles von der Freude , meine Mutter zu sehen , und von der Hoffnung , daß die geheimnisvollen drückenden Verhältnisse sich endlich einmal auflösen würden .
Hoffe nichts und fürchte nichts , liebes Kind , sagte Charles , so hat das Schicksal keine Gewalt über dich .
Er stand trübsinnig neben mir , und gab nur unzusammenhängende Antworten .
393 Ein wilder Lärm drang an unsere Tür .
Charles verwahrte sie von innen , so gut er konnte , stellte sich mit bloßem Degen davor , und bat mich , in einer Ecke des Zimmers ruhig zu bleiben .
Unter einem wilden Getöse von mancherlei Stimmen erkannte ich Nordheims Stimme .
Mit festem gebietendem Ton befahl er dem Wirt , die Tür unseres Zimmers zu öffnen .
Der Wirt entschuldigte sich , es sei ein Herr mit einer Dame darinnen , welche gewiß nichts weniger als einen Überfall erwarteten .
Nichtswürdiger ! sagte Nordheim zornig , eben das Mädchen fordere ich , sie ist mit Gewalt geraubt .
Wie belebend fühlte ich in meinem ganzen Wesen Nordheims Anteil 394 an mir !
Die ganze peinigende Verworrenheit dieser Szene vermochte nicht dieses Gefühl niederzuschlagen .
Ich bat Charles , die Tür zu öffnen , und sich gegen Nordheim frei zu erklären .
Er sah mich wild an , und sagte : Du weißt nicht , was du begehrst .
Du bist deiner Mutter für immer entrissen , wenn du in die Hände des Fürsten kommst , Nordheim ist sein Freund .
O er ist edel , Charles ! rief ich .
Lassen Sie uns ihm alles vertrauen .
Er kann nie ein in ihn gesetztes Vertrauen beleidigen .
Armes , hingebendes , leichtgläubiges Geschöpf ! sagte Charles .
Du kennst 395 das Leben noch nicht , und welche doppelte Gestalt es dem menschlichen Gemüt aufdrückt .
Laß dich zu keiner Unvorsichtigkeit verleiten , die du ewig bereuen müßtest .
Nordheims wiederholter Befehl , die Tür zu öffnen , machte unserem Wortwechsel ein Ende .
Er befahl seinen Leuten , sie aufzuschlagen .
Der Wirt gab wahrscheinlich nach .
Die Tür öffnete sich , Nordheim trat herein , und eine Menge von Leuten des Wirts und von seinen eigenen drangen ihm nach .
Es wage sich keiner über diese Schwelle ! rief Nordheim .
Alles entfernte sich , bis auf einen von seinen Leuten , der bittend rief , indem er auf 396 Charles wilde Gestalt deutete :
Bester Herr , lassen Sie mich bleiben !
Gehe augenblicklich ! sagte Nordheim , und schloß die Tür hinter ihm ab .
Jetzt , redete er Charles an , jetzt sagen Sie , was berechtigt Sie zu diesem Betragen ?
Nur die Neigung dieser Dame für Sie kann es entschuldigen , aber nie rechtfertigen , Im Namen Ihres väterlichen Freundes bitte ich Sie , sogleich nach dem Hause der Gräfin zurückzufahren , sagte er mir sehr ernsthaft .
Mein Wagen erwartet Ihren Befehl .
Er faßte meine Hand , legte sie in seinen Arm , und eilte der Türe zu .
Ich vermochte es nicht , der süßen Gewalt zu widerstehen ; ich folgte , beinahe unwillkürlich , denn 397 der Gedanke an meine Mutter hielt mich nicht weniger mächtig zurück .
Nun schrie Charles :
Ich behalte das Mädchen , oder den Tod für einen von uns beiden !
verteidigen Sie sich .
Er hatte Pistolen aus dem Gürtel gezogen , reichte die eine Nordheimen , und behielt die andere , nach ihm zielend , in der Hand .
Waffen können nur zwischen Menschen von gleichen Rechten und gleicher Kraft entscheiden , sagte Nordheim .
Ich schlage mich mit keinem Unbekannten .
Wer sind Sie ?
Und was treibt Sie an , die Ruhe eines edlen Mädchens und ihrer Freunde zu kränken ?
Ich hatte einst einen Namen , der mir das Recht gab , mich mit den 398 Edelsten zu messen , sagte Charles , aber er ist aus dem Reich der Lebendigen verlöscht ; - ich bin nichts mehr , - ein Schatten , der kraft- und tatenlos umherschwebt .
Die Hand mit dem Pistole sank , und er blieb starr und unbeweglich .
Es war ein Ausdruck dumpfer Verzweiflung in seinem Ton .
Nordheim näherte sich ihm edel und gütig , ohne Waffen , und sagte : Was zwingt Sie , Unglücklicher , solch eine Rolle zu übernehmen ?
Ist es eine unbezwingliche Leidenschaft , so werde ich Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen .
Handeln Sie zur Beförderung fremder Zwecke , unter fremdem Einfluß , so kann nur ein offenherziges Geständnis Ihnen meine Verzeihung erwerben .
Dringt Sie die Not , ein unedles Geschäft zu übernehmen , so erwarten 399 Sie von mir eine größere Belohnung , wenn Sie sich davon lossagen .
Reden Sie , aber widersetzen Sie sich nicht , daß ich das Fräulein zurückführe , oder Sie bezahlen es mit Ihrem Leben , denn in jedem Fall bin ich entschlossen , sie nicht hier zu lassen .
Bitteres Schicksal , zwingst du mich , auch noch ein Mörder zu werden ! rief Charles , und richtete das Pistole gegen Nordheim .
Ich hatte mich von Nordheim losgemacht , und fiel Charles in den Arm , ihn zurück zu halten .
Nordheim war mir schon zuvor gekommen , und hatte ihm das Pistole mit einer geschickten Bewegung und überlegener 400 Stärke aus den Händen gewunden .
Wie rasch , bestes Kind ! sagte mir Nordheim .
Wie leicht hätten Sie sich verwunden können !
Beruhigen Sie sich , ich werde keine Waffen gegen einen Mann führen , der Ihnen wert ist .
Aber folgen Sie mir jetzt .
Verzeihen Sie , ich muß es fordern , und ich weiß , Sie selbst werden es mir in einer ruhigen Stimmung danken .
Die reine Güte in diesen Worten zog mein Herz unaussprechlich zu Nordheim , so sehr mich auch ihr Sinn schmerzte , der ein Herzensverhältnis mit Charles durchaus voraussetzte , und auch in meiner glühenden Besorgnis um ihn selbst nur Liebe für seinen Gegner sah . 401 Ach Nordheim , sagte ich , wie sind Sie so gütig , und so grausam zugleich !
Meine Tränen flossen unaufhaltsam .
Sein Sie überzeugt , meine Agnes , ich wünsche nur Ihr dauerhaftes Glück , sagte Nordheim sanft .
Ich verspreche alles für Ihre Liebe zu tun , aber für jetzt folgen Sie mir !
Ich fühlte , wir verwirrten uns unauflöslich .
Meine vorhergegangene Stimmung hatte mich über alles konventionelle erhoben , und ich glaubte mich wirklich in diesem Moment jugendlicher Selbsttäuschung über alle Leiden und Freuden des Lebens emporgerückt .
Charles stand in stummer Betäubung mit dem Rücken an die Türe gestemmt , und schien entschlossen , alles zu wagen .
Die Spannung zwischen 402 ihm und Nordheim mußte aufgelöst werden .
Nur der unendliche Himmel mit seinen glänzenden Sternen lag vor meinem Auge .
Ich fühlte eine Kraft der Wahrheit , des Vertrauens , in meinem Busen , und den Mut , als könne und müsse ich diese verworrene Lage auflösen .
Hören Sie mich an , Nordheim , sagte ich .
Es sind die letzten Worte , die Sie von meinen Lippen vernehmen werden .
Nach diesem Augenblick werden Sie mich nie wieder sehen .
Nicht Liebe führte mich hierher mit diesem Manne .
Ein Geheimnis , welches nicht mein gehört , und ich Ihnen also verbergen muß , hieß mich diesen und alle andere Schritte tun , 403 welche Ihnen von jeher Verdacht gegen mich einflößten .
Was Liebe und Zärtlichkeit in meinem Wesen heißt , fand längst einen Gegenstand , den es fest und einzig umfaßte , - aber seit gestern mit tiefen Schmerz verläßt .
Leben Sie wohl , sagte ich mit tiefer Bewegung , und bewahren Sie das Bild eines Wesens , welches Ihnen Angehörte , rein im Andenken .
Jetzt lassen Sie mich meinen Verhältnissen , meinen Pflichten ruhig folgen . -Nordheim lag zu meinen Füßen .
Ist es möglich ! rief er , bin ich der Glückliche ! von Ihnen geliebt !
Verzeihung , beste Seele , - ich wagte dieses Glück nur vor wenig Augenblicken zu träumen .
Von nun an lebe ich nur für Sie .
Können 404 Sie mir verzeihen ? -
Süßer einziger Moment unseres Lebens , wo unsere heiligste Hoffnung unser Herz als Wirklichkeit ergreift , und mit jenen süßen geheimnisvollen Schauern eines neuen Daseins überströmt !
Ich hatte keine Worte , meine Sinne waren verwirrt , ich zog Nordheim zu mir auf , seine Arme umfaßten mich , und unsere Lippen berührten sich .
Jene süßen Augenblicke bewahrt sich selbst die Zauberkraft der Erinnerung nur in geheimnisvollen Zeichen , und wagt es nicht , sie in eine Sprache zu übersetzen .
Schwindelnd entwand ich mich Nordheims Umarmung , und da mein Herz in seinem beschränkten Dasein seine Vergan 405 genheit wieder fand , schwankte Amalies Bild vor meinen Sinnen .
Auch sie ruhte an dieser Brust ! sagte ich mir .
Vergebens wollte ich dieses Bild zurückweisen , ein tiefes schmerzliches Mitleiden , bald mit ihr , bald mit mir selbst , bewegte meine Seele .
Nordheims Blicke sprachen nur Liebe und hingebende Zärtlichkeit , unter süßen Tränen bat er aufs neue um meine Verzeihung .
Auch ihm schien die Vergangenheit lebendig vorzuschweben , aber nur sein schwankendes Betragen gegen mich schien ihn schmerzlich zu bewegen .
O wie viel , rief er aus , nimmt uns das Leben mit der Welt , indem es das holde Vermögen zerstört , der sicheren Stimme unseres Herzens zu folgen .
Wir müssen uns des Glaubens entwöhnen , 406 wenn wir für andere handeln und leben , und können ihn dann für uns selbst oft nicht wieder finden .
Mißtrauen konnte ich der heiligen Einfalt und Wahrheit deines Herzens nie , über jede Vergleichung erhaben stand dein schönes Wesen vor mir .
Oft fühlte ich deine Liebe , - hätte ich meinem Herzen gefolgt .
- Doch so süß ist es auch , all mein Glück Ihrer Güte zu danken , meine Agnes .
Himmlische Ruhe , Klarheit und Treue leuchteten aus Nordheims Augen ; - ich fühlte mich unaussprechlich sein .
Von diesem heiligen Herzen kann mir nichts Böses kommen , von dem Anschauen dieser teuren Gestalt kann ich nicht scheiden , - unter den verworrensten Lagen wird mich dieses Gefühl empor halten .
Der stille Entschluß , um seinetwegen alles 407 zu tragen , überglänzte wie ein leuchtender Schild Amalies Bild , so stark es auch hervordrang .
Mein Freund , sagte ich jetzt zu Charles , ich bin bereit Ihnen zu folgen .
Sie werden Herrn von Nordheim künftig näher kennen lernen .
Charles hatte wie in einem tiefen Traum gestanden .
Es ist ein Nahme , den die Welt mit Ehrfurcht nennt , sagte er , ein mir unaussprechlich teurer Nahme !
Aber ein finsteres Schicksal hält mich gebunden .
Ich muß die liebsten und schönsten Erscheinungen als düstre kalte Schatten vor mir vorbei schweben sehen .
Meine Hand darf nichts Lebendiges mit Mut und Freude ergreifen .
Alles Mißtrauen schwindet vor solch einer 408 edlen Gestalt , sagte er freundlicher und indem er sich Nordheim näherte ; ob Sie gleich ein Freund des Fürsten von ** sind , der mich verfolgt , so fühle ich doch , Sie können mir gerecht sein .
Ich folgte Ihnen nur , erwiderte Nordheim , um das Herz meiner Agnes zu ergründen , um sie vor einem Fehltritt jugendlicher Übereilung zu beschützen .
Jede andere Beweggründe sind fern von mir .
Ohne irgend einbestimmtes Verhältnis in D. , diene ich nur zu Übungen der Güte .
Ich weiß , daß der Fürst aufmerksam auf Ihren Aufenthalt in der D..schen Gegend war .
In jedem Fall war meine Meinung , Ihnen auf meinen Gütern eine Freistatt anzubieten .
Jenes alles sind von nun an fremde Verhältnisse , 409 und als der Freund meiner teuren Agnes haben Sie ein Recht an meinem wärmsten Diensteifer .
Charles sah uns beide einige Minuten hindurch fest und mit scharfen Blicken an .
Ist es so ? sagte er leise vor sich hin , und seine Augen blieben sinnend am Boden geheftet .
Dann eilte er freudig auf uns zu , indem er rief : Ja , es ist so !
Reine Freude , der erste belebende Strahl der Liebe flammt in den Blicken meiner Agnes ; und , indem er auf Nordheim deutete : auf solch einer Stirn wohnt keine Unwahrheit .
Möge ein gutes Schicksal die heiligen Blüten , die die Natur jedem menschlichen Wesen nur einmal reicht , für euch , meine Kinder , in Schutz nehmen .
Möge nur die Zeit sie 410 hold umwandeln , aber kein Sturm sie abbrechen .
Verzeihen Sie mein voriges Mißtrauen , Herr von Nordheim , fuhr er fort , in einem lange gepreßten Herzen ist die Furcht eingewachsen .
Verachten Sie mich nicht um meiner ängstlichen Sorge Willen . -
O wenn Sie wüßten , warum ich leben muß !
Nordheims Augen fielen voll schmerzlicher Besorgnisse auf mich .
Charles sonderbares Wesen schien ihn zu beunruhigen .
Ich hoffe , sagte er sanft zu Charles , Sie gönnen mir für die Zukunft ein Vertrauen , welches uns beiden wohltätig sein wird .
Sie finden auf mei411 einem Gute alles zu Ihrem Empfang bereit , und sobald als meine Agnes es wünscht , komme ich selbst zu Ihnen .
Jetzt lassen Sie uns eilen ! sagte Charles zu mir .
Sobald ich Agnes wieder nach D. begleitet habe , eile ich nach Ihrem Schlosse .
Bereiten Sie sich manches von mir zu vernehmen , was Sie verwundern , schmerzen , aber auch erfreuen wird .
Geht meine Agnes auch keiner neuen Gefahr entgegen ? sagte Nordheim bedeutend .
Ohne in Ihr Geheimnis eindringen zu wollen - dürfte ich Sie nicht begleiten , nur von fern Ihrem Wagen folgen , um Ihnen auf den ersten Ruf nah zu sein ?
Ich fühle Ihre Besorgnis , sagte Charles , aber ich muß diesen Wunsch 412 versagen .
Ich bin ein unglücklicher , aber ein ehrlicher Mann !
Es lag ein fürchterlicher Nachdruck in dem Ton , mit welchem er diese Worte aussprach , und sein starrer Blick , eine wilde Bewegung der Hand nach Nordheims Arm , deutete auf die ganze Bitterkeit gegen ein Schicksal , welches ihn nötigte , zu diesem Selbstgeständnis seine Zuflucht zu nehmen .
Bitten Sie Herrn von Nordheim , uns nicht zu folgen , sagte mir Charles .
Sie fühlen , mein Teurer , sagte ich zu Nordheim , daß nur die unbezwingliche Notwendigkeit mir gebieten kann , Ihnen einen Augenblick Unruhe zu machen .
Meine Tränen flossen auf Nordheims Hände , die 413 ich zwischen den meinigen hielt .
Es ist das erste Zeichen meiner völligen Ergebenheit , liebste Agnes , sagte er sanft , ich gestehe daß es mir viel kostet , aber ich werde Ihrem Befehl folgen . -
O meine teure Liebe , wie schnell gewöhnt sich doch unser Herz an das Glück !
Schon ist mir_es , als könnte ich mich nicht für wenige Stunden von dir trennen .
In einer süßen Umarmung strebten unsere Herzen sich auf ewig zu vereinigen , und schon schwebt drohend die kalte Hand des Schicksals über uns , die ein menschliches Dasein unaufhaltbar in der Flut der Begebenheiten fortdrängt .
Unsere Tränen flossen unaufhaltsam .
Gute Seelen ! sagte Charles bewegt .
Überlassen Sie mir das Mädchen getrost , Nordheim , sagte er halbscherzend .
Sie hörten von Ihrem Vater den Namen eines alten un-414 glücklichen Freundes ?
Ist es möglich ? rief Nordheim freudig .
Mit ihm beschäftigte sich mein Vater in seiner Todesstunde , vertraute mir Papiere für ihn , und manches meinem Gedächtnis , was zu gefährlich fürs Papier war .
Sonderbare Ahnung , du hast mich also nicht betrogen !
Auch haben Sie etwas , um sich auf das weitere , welches ich Ihnen für morgen verspreche , zu vertrösten , - sagte Charles , und faßte meinen Arm .
Leben Sie wohl bis dahin .
Wohl mir ! rief er aus , ich werde den treuen Sinn meines entschlafenen Freundes noch einmal vernehmen .
Die Zeit verstattet für jetzt keine weitere Erklärung .
415 Er zog mich fort .
Nordheims Auge strahlte Freude und Ruhe , und auch aus meiner Brust entflohen die Sorgen in seinem heiteren Blick .
Zwar lag mir ein Schleier über meinen Verhältnissen , aber es war der duftige Rosenschleier eines Frühlingsmorgens , hinter welchem das neusprossende Leben der Natur waltet , um den Schoß der Erde mit jungen Blumen zu schmücken .
Ich grübelte nicht über Charles Rede , und genoß die Fülle süßer Ahn Dunen .
Morgen finden wir uns wieder , sagte Nordheim als er mich in den Wagen hob , und ein Kuß auf meine Hand aus dem Wagenfenster goß eine belebende Flamme durch mein Wesen .
Ihre Mutter , sagte Charles als wir im Wagen saßen , muß morgen diese 416 Gegend verlassen .
Der Trost , Sie noch einmal zu sehen , war zu ihrer Erhaltung notwendig .
Ich mußte Charles von meiner Liebe reden .
Wir durchflogen eine goldene Zukunft ; Charles hatte eine innige Empfindung meines Glückes , die mich tief rührte .
Ich gäbe die Momente meines Zwistes mit Nordheim nicht um Jahre einer längeren Bekanntschaft , sagte er unter anderen .
Die Art , wie sich ein Mann in solchen Lagen benimmt , ist entscheidend für Charakter und Herz .
Welche Größe und Festigkeit war in seinem Betragen !
Der wahre Mut , der aus Kraft des Charakters entspringt , Besonnenheit und heller Blick 417 in der Gefahr , bleibt immer die Krone des Mannes .
Das Lob des Geliebten ist die süßeste Musik ; ich war verloren in Entzücken und süßen Hoffnungen .
Wir fuhren an der langen Mauer hin , die ich beim ersten Besuch bemerkt hatte .
Bald hielt der Wagen .
Charles stieg aus .
Stadt des Stillen und Geheimnisvollen bei unserem ersten Empfang , sah ich ihn von Leuten umringt , die mit Lichtern und Geschrei durch einander liefen .
Ich hörte heftigen Wortwechsel mit Charles , zwei Schüsse , nach denen ich meines Freundes Stimme nicht wieder vernahm .
Ich wollte mich aus dem Wagen werfen , man stieß mich ungestüm 418 zurück .
Der Gewalt konnte ich nicht widerstehen , und lag in dem schmerzlichsten Zustand der gebundenen Kraft bei dem regesten Willen , in Krämpfen auf dem Boden des Wagens .
Man spannte andere Pferde vor , und fuhr weiter .
Ein fremder ganz unbekannter Mann richtete mich auf , und setzte sich neben mich .
Er gab keine Antwort auf meine Fragen , doch bezeugte er Mitleid bei den Ausbrüchen meines Schmerzens .
Es soll Ihnen kein Übel widerfahren ! wiederholte er mir öfters .
Ich fiel in Fieberhitze , dann in Ermattung und Ohnmacht , endlich verlor ich alles Bewußtsein .
Als ich aus diesem Zustand erwachte , lag ich in einem kleinen düstern 419 Zimmer .
Eine Frau saß an meinem Bette , es war eine kleine zusammengefallene Gestalt , ihre Gesichtszüge trugen die Spuren mancher widriger Schicksale , und die Freundlichkeit , die sie anzunehmen suchte , machte sie ganz zur Larve .
Seit acht Tagen , sagte sie mir , lagen Sie hier , ohne ein Zeichen des Bewußtseins von sich zu geben ; Sie sind mir teuer empfohlen , und Ihr Zustand machte mich sehr besorgt .
Wo bin ich aber ? fragte ich aufs neue ; und sie erwiderte : Beunruhigen Sie sich nicht , Sie sind an einem Ort , wo Sie sich bald Ihrer völligen Genesung erfreuen werden .
Die Lage ist anmutig , die Luft gesund , und 420 man wird sich ein Vergnügen daraus machen , alles zu Ihrem Zeitvertreib beizutragen , was die Umstände nur immer erlauben .
Ich hörte an der Aussprache , daß die Frau keine Deutsche war , sondern eine Französin .
Der Mann hatte sich entfernt .
Die Kraft der Jugend und meine gute Natur hatten die Macht der Krankheit besiegt , mein Blut ging seinen ruhigen Kreislauf aufs neue , und mein Gedächtnis fing an , die Fäden der wirklichen Begebenheiten aus dem Gewirre der Erscheinungen zu lösen , die meine Einbildungskraft während der Fieberhitze erzeugt hatte .
Kalt und zerstörend ergriff mich die Entfernung von meinem geliebten Freunde .
Das Gefühl des Fremden und Unbekannten um mich her ergriff 421 mich mit Grauen , ein wilder Schmerz bewegte krampfhaft meine Brust , und mein Dasein drohte aufs neue in dumpfer Fühllosigkeit zu vergehen , als ein guter Genius meine jugendliche Phantasie neu und heiter belebte , und mein Herz auf eine wundersame Art mit Glauben und Hoffnung stärkte .
Ein lieblicher kleiner Knabe trat herein , und brachte einen Teller voll der schönsten Früchte .
Ich empfand ein inniges Vergnügen bei diesem Anblick , er knüpfte sich auf eine sonderbare Art an eine meiner vergangenen Erscheinungen , die ich während der Fieberhitze gehabt hatte , und die sich jetzt als ein liebliches Bild in meiner Seele wieder ordnete .
Mit unaussprechlich lebhafter Farbe stellten sich alle jene Traumgestalten vor 422 mich , nur ein leichter duftiger Nebelschleier schien zwischen ihnen und der Wirklichkeit zu liegen .
Ich saß neben Nordheim in einem blühenden Garten .
Er hielt mich ernst und schweigend bei der Hand .
Ein großer bunter Vogel mit den glänzendsten Farben geschmückt , flog auf uns zu , und hielt ein Körbchen voll der schönsten Früchte in seinem Schnabel .
Wir reichten beide nach den Früchten , aber der Vogel flatterte bei uns vorbei , lachte und rief Nordheimen zu : Noch nicht , sobald noch nicht , denn sie liebt dich nicht !
Nordheim zog seine Hand aus der meinen , und eilte sich zu entfernen , ich warf mich zu seinen Füßen , weinte , wollte ihn zurück halten , aber vergebens , er war verschwunden .
Ich suchte ihn auf , aber wo ich auch 423 hinfloh , so zog sich ein Kreis von Gebüschen , meist von wilden Rosen um mich her , und versperrte mir den Ausgang .
War ich einmal durch eine Lücke der Hecke entwischt , so bildete sich gleich wieder ein neuer Kreis , der zu einer schauerlichen Höhe empor wuchs .
Julius stand mitten in solch einem Kreis , er trug die Rüstung eines alten Ritters , und über die Brust eine breite weiße Binde , die Blutflecken hatte .
Ich näherte mich , er riß die Binde auf , und aus seiner Brust wuchs eine Blume von sonderbarer Gestalt und Farbe , die ich nie gesehen .
Reiße mir die Blume von der Brust , sagte er mir ernsthaft , und ich befreie dich .
Ich gab mir alle Mühe , die Blume abzubrechen , aber vergebens .
Er sah mir lächelnd zu , berührte 424 die Rosenhecke um uns her mit seinem Degen , und es öffnete sich ein kleiner Fußpfad .
Bald zerteilten sich die Gebüsche , vor uns lag Nordheims Schloß .
Nordheim selbst näherte sich uns freundlich , und als wir alle drei dicht bei einander standen , flog derselbe bunte Vogel auf uns zu .
Langsam ließ er sich über unseren Häuptern nieder , und als er die Erde berührte , sahen wir statt seiner einen wunderschönen Knaben .
Er hielt denselben Teller mit Früchten , welchen uns der Vogel erst versagt hatte , wir eilten alle drei , das Kind zu umarmen . 425 Der Zauber dieser Traumgestalten wirkte belebend auf mein Gemüt , wie die Gegenwart eines Freundes , und die alte Frau freute sich der sonderbaren Veränderung , die der Anblick des Kindes in mir bewirkt hatte .
In kurzem erschien der Arzt , ein Mann von mittlerem Alter , mit einer angenehmen Bildung und wohlwollenden Miene ; er näherte sich mir mit Anstand , und erkundigte sich mit bescheidenen Fragen nach meinem Befinden .
Ich bemerkte bald , daß ihm die Gegenwart der Alten Zwang auflegte ; als sie sich auf ein paar Augenblicke entfernen mußte , sagte er sanft :
Vor allem wird es zu Ihrer Genesung beitragen , wenn Sie sich über Ihre , ich 426 gestehe es , freilich sonderbare Lage an diesem Ort , keine beunruhigenden Gedanken machen .
Haben Sie Mut , und sorgen jetzt einzig und allein für Ihre Genesung !
Die Alte kam zurück , ehe ich antworten konnte , und das Betragen des Arztes gegen sie , hieß mich jede Frage in ihrer Gegenwart unterdrücken .
Als sie auch entfernt auf meine Gemütsstimmung deutete , und mich Mut fassen hieß , antwortete ich kalt , daß ich mir nichts bewußt wäre , wodurch ich ein böses Schicksal verdient hätte , und daß ich also auch keins befürchtete .
Der Arzt sagte hierauf : alles läge daran , jede trübe Vorstellung zu entfernen , und mich auf eine angenehme Art zu zerstreuen .
Die Alte sollte 427 mir leichte und anmutige Geschichten vorlesen , die meiner Phantasie freundliche Bilder zuführten .
Sie haben ja die Schlüssel zu der Bibliothek , sagte er , und das Fach der Märchen ist gewiß gut besetzt .
Ich wußte es dem Arzt herzlichen Dank , daß er mich durch diesen Vorschlag von der unerträglichen Alten lästigem Gespräch befreite .
Die Feinheit und der gute Wille , welchen dieses Mann gegen mich bezeigte , waren mir sehr tröstend , und gaben mir Hoffnung , bald Nachricht von meinen Freunden zu erhalten .
Charles Schicksal füllte mein Herz mit Bangigkeit , und lag immer als ein dunkler Schatten vor den süßen Rückerinnerungen jenes letzten Abends , der dem gewaltsamen Zustand , aus 428 welchem ich eben erwacht war , voranging .
Alle kleinen Züge jener seligen Zeit erfrischten sich in meiner Vorstellung , und des Gefühl : Du besitzest Nordheims Liebe ! gab mir ein neues , wundersames , kräftigeres Dasein .
Er war mir auf eine unaussprechliche Art immer gegenwärtig , Verlangen und Sehnsucht nach seinem lebendigen Dasein waren zart und lieblich , aber nicht ungestüm .
Die Kraft , alles zu werden , was hoch und trefflich ist , fühlte ich nie so tief und lebendig .
Seine Sorge um mich war das Schmerzlichste , was ich empfand ; und doch , welcher geheimnisvolle unaussprechliche Reiz gab auch dieser Sorge eine sanfte Farbe !
Nur zuweilen flog durch meinen von der Krankheit geschwächten Kopf , in welchem Traum und Wahrheit noch schwankten , ein beunruhigender 429 Zweifel , ob mein Glück auch kein Traum sei ?
Mit welchem Vergnügen fand ich bei meinen Kleidern , die auf einem Stuhl am Fuß des Bettes lagen , ein Tuch mit Nordheims Namen gezeichnet !
Ich verwahrte das Tuch an meinem Herzen als das liebste , was ich besaß , und gleich als vermöchte es die Fülle lieber Erinnerungen mit dem Schleier der Wahrheit zu bedecken und fest zu verwahren .
Der Arzt kam täglich , aber meine Alte bewachte mich mit Drachenaugen , und ein besonderes Gespräch mit ihm war unmöglich .
430 Zweiter Teil Während der Genesung von einer schweren Krankheit , ist das Gemüt zum stillen Hoffen und Dulden mehr als zum heftigen Verlangen ge stimmt .
Das Gefühl , eine freudenreiche lebenvolle Gegenwart nicht mit vollen Sinnen genießen zu können , beruhigt über einen freudenlosen Zustand .
Unser Gemüt ergreift Vergnügen und Schmerz mit gleicher Gewalt , und eben so stehen Sorge und Verlangen in gleichem Verhältnis .
Auf 3 diese Art ertrug ich meine höchstsonderbare Lage mit einer Ruhe , die mir in der vollen Tätigkeit meiner Gemütskräfte unbegreiflich war .
Das gute wohlmeinende Wesen des Arztes , sein heller Blick , der mit offenbarem Vergnügen auf mir verweilte , gaben mir sogar Mut .
Hätte mir dieser Mund ein Unglück zu verkündigen , er würde mir nicht so heiter zulächeln ! sagte ich mir oft .
Nur die Unruhe um Charles verfolgte mich mit quälenden Bildern .
Sein Verstummen nach dem Schuß , welchen ich an jenem unglücklichen Abend gehört , ließ mich oft seinen Tod befürchten .
4 Der Verlust eines so treuen Freundes war mir innig schmerzlich ; und er war auch das einzige Band zwischen meiner Mutter und mir !
Wo sollte ich die geliebte Stimme aufsuchen , die mir nur körperlos , wie ein Laut des Echo aus der Wildnis zutönte !
Als mich der Arzt den nächsten Tag besuchte , sagte er :
Die Musik ist ein sehr wirksames Mittel , um den schwachen , verstimmten Nerven wieder Ton zu geben ; ich habe eben in dem nächsten Dorfe zwei kleine Musikanten gefunden , zwei liebliche Knaben ; ich nahm sie mit hierher , um Ihnen ein kleines Konzert zu machen .
Er öffnete die Tür ins Nebenzimmer , und ich hörte ein liebliches 5 Vorspiel einer Gitarre und Flöte .
Es war dieselbe Melodie , welche Bettina in Nordheims Garten gespielt hatte .
Mein Busen wallte in sonderbaren anmutigen Erwartungen ; der Arzt beobachtete mich genau , winkte mir freundlich zu , und sagte lächelnd :
O , ich bin der guten Wirkung dieses Mittels gewiß !
Die Alte setzte ihre Brille auf , und schüttelte den Kopf ; so tat sie zu allem , was sie nicht verstand . und wobei sie sich doch ein bedeutendes Ansehn geben wollte .
Jetzt tönte eine reine volle Stimme in die Saiten ; ich erkannte Bettina .
Meine Augen füllten sich mit süßen Tränen , und ein sanfter Schauer bebte durch meine Nerven .
Der Arzt faßte meine Hand und sagte :
Sie 6 müssen den einen Knaben sehen , es ist ein so liebliches Kind !
Komme herein , Kleiner ! rief er ; aber gehe und sprich ja leise !
Ein Knabe trat schüchtern an die Tür .
Er stand im Schatten , und ich erkannte die Gesichtszüge nicht .
Nur näher ! winkte der Arzt ; und jetzt stand Bettina in Knabenkleidern mitten im Zimmer .
Sie sank auf ihre Knie , sah mich mit einem Blick an , in dem sich ihr ganzes Wesen aufzulösen strebte , und verbarg dann ihr Gesicht in ihre beiden Hände .
Der Arzt gebot ihr aufzustehen , zog sie zu sich , und sie stand jetzt dicht an meinem Bette .
7 Ich reichte ihr meine Hand , der sie einen heißen Kuß aufdrückte , und als sich ihr Haupt wieder erhob , flüsterte sie mir leise auf Italienisch zu :
Nordheim sendet mich zu dir , er ist nicht weit .
Gott , was litten wir um dich !
Die Alte schob ihre Brille zurechte , hustete , fand das alles sehr sonderbar ; doch wagte sie keine Bemerkung .
Der Arzt wußte sie mit unerschöpflicher guter Laune zu unterhalten .
Bettina und ich selbst waren jetzt gefaßt genug , um ein gleichgültiges Gespräch vor der Alten anzuknüpfen .
Sie mußte ihren Bruder auch aus dem Nebenzimmer zu mir bringen , beide Kinder betrugen sich mit großer 8 Feinheit .
Battista machte sich an Madame Imbert , und wußte durch tausend Schäkereien ihre Aufmerksamkeit von mir abzulenken .
Bettina spielte mir geschickt einen Brief in die Hände ; ich erkannte Nordheims Handschrift , und verbarg ihn in meinen Busen .
Ich hoffe Ihnen morgen einen Spaziergang im Garten verordnen zu dürfen , sagte der Arzt .
Die Alte wollte Einwendungen machen , aber eine scherzhafte Antwort des Arztes brachte sie zum Schweigen .
Auch meine kleine Hofkapelle bringe ich Ihnen bald wieder mit , sagte er beim Abschied. 9 Bettina küßte meine Hände noch einmal , und während sich ihr Bruder mir näherte , ergriff sie eine Schere , die auf dem Tischchen am Bette lag , und schnitt eine Haarlocke ab , die über meiner Schulter lag ; schnell hatte sie ihren Raub in ihr Westchen verborgen , drückte die Hand auf ihre Brust , und flüsterte mir leise zu :
Es ist für ihn !
Ich erwartete die Ruhestunde der Alten mit klopfendem Herzen .
Als ich hörte , daß sie in tiefem Schlafe lag , wagte ich es , meinen lieben Brief zu eröffnen .
" Endlich , meine geliebte Agnes , kenne ich Ihren Aufenthalt .
Die qual 10 vollsten Tage meines Lebens folgten auf die schönste Stunde desselben .
Aber der Augenblick , welcher uns wieder vereinigen wird , ist nicht fern ; unser Leben soll bis dahin ganz der Hoffnung gehören .
Ich wäre zu Ihnen geeilt , hätte mich der Arzt nicht zurückgehalten .
Er fürchtete , eine so ganz unerwartete Erscheinung möchte zu heftig wirken .
" Der Arzt ist einer meiner liebsten Freunde den ich von nun an als den Schutzengel meines Lebens verehre , weil er meine geliebte Agnes erhielt .
" Fürchte nichts mehr , meine einzig Geliebte !
Du bist von den Armen der Liebe umgeben , keine Gefahr soll dir mehr nahen .
Fürchte auch nicht 11 für die , die dir wert sind , sie sind gerettet , um sich eines schönen Lebens mit uns zu freuen .
" Sobald der Arzt die Reise zuträglich für Sie findet , bitte ich Sie , diesen Aufenthalt zu verlassen .
" Alles wird sich freundlich auflösen .
" Ich schicke meiner süßen Geliebten hier einen Ring , welcher nie von meiner Hand kam ; mir dünkte , ihre lieben Blicke ruhten oft darauf , und schienen eine gewisse verworrene Empfindung auszudrücken .
Er löse jetzt alle Zweifel des besten Herzens , dessen Vertrauen ich ganz verdienen will . "
Wie sonderbar wurde mein Gemüt bewegt , als ich den Ring mit Ama 12 lies Namen aus einem Papier wickelte !
Die reine Güte meines Geliebten , der treue zarte Sinn dieses Briefes , die seelenstärkende Hoffnung , wirkten als wohltätige Zaubermittel auf mein ganzes Wesen .
Alle Sorgen um Charles und meine Mutter fielen von meinem Herzen , das sich ganz in seliger Hoffnung erhob .
Arme Amalie ! seufzte ich über den Ring mit einer unaussprechlich wehmütigen Empfindung , als ich ihn wieder einwickelte , um ihn zu verwahren .
Aber der erste Abend , wo er von Nordheims Hand in die meine fiel , stand vor meiner Seele , und ich verlor mich in den schönsten 13 Träumen , die die Zukunft an die Vergangenheit knüpften .
Der Arzt fand mich am folgenden Morgen so stark , daß er darauf bestand , ich sollte einige Stunden der freien Luft im Garten genießen .
Ich sah die ganze Fassade des Hauses , worin ich mich befand .
Es war ein altes , aber sehr großes Gebäude , und schien ganz unbewohnt .
Der Garten war ringsum von einer mäßig hohen Mauer umgeben , und einige Durchsichten waren angebracht , wo man durch eiserne Stäbe in die umliegende Gegend blickte .
Der Garten stieß an einen anmutigen Wald , aber die ganze Gegend schien öde und menschenleer , und nur in weiter Entfernung lagen einige Dörfer .
14 Aus wiederholten Fragen , mit welchen ich die Alte oft überraschte , hatte ich mir zusammengesetzt , daß dieser Ort unweit U. läge , welches zehn Meilen von D. entfernt war .
Wem dieses Landhaus zugehöre , hatte ich bis jetzt nicht bestimmt erfahren können , aber als ich im Garten über den Toren des Schlosses das Wappen des Fürsten von ** bemerkte , blieb mir kein Zweifel , durch welche Autorität ich hierhergebracht worden sei , so unergründlich mir auch die Ursache dieses Benehmens war .
Der Arzt ging an meiner Seite , aber Madame Imbert ging an der anderen , und es wurde uns unmöglich , etwas Zusammenhängendes zu sprechen .
15 Sie werden Herrn von Nordheim sehen ! flüsterte mir der Arzt zu , ich konnte ihn nicht länger zurückhalten ; aber halten Sie sich , und verbergen sich vor der Alten so viel wie möglich !
Mein Herz schlug hoch , der Atem fing an zu entgehen , und mein gebrochenes Auge richtete sich nach dem unendlichen Blau des Himmels , um Stärke zu sammeln .
Der Arzt warf einen besorgten Blick auf mich , unterstützte mich mit seinem Arm , und sagte mir ins Ohr :
Wenn Sie sein Anschauen nicht still zu ertragen vermögen , so eile ich ihn aufzuhalten .
- Nein , sagte ich , es ist schon besser , Sie sollen mit mir zufrieden sein .
16 An einem Platz wo man die freie Aussicht auf den Wald hatte , bat mich der Arzt auszuruhen .
Es war ein heiterer Herbstmorgen .
Der Himmel glänzte im reinsten Licht , und der Wald , der vor uns lag , im Schmuck der mannigfachsten Farben .
Ein Duett von Waldhörnern schallte aus der Ferne , und näherte sich uns in immer wachsenden Tönen .
Bald vernahmen wir den Lärm von Pferden und Hunden , und jetzt sahen wir die Reuter aus dem Dickicht des Waldes sich uns nähern .
Der Arzt hielt meine Hand , und ein freundlicher Wink verkündigte mir Nordheims Ankunft. 17 Er wird nicht mit Ihnen sprechen , flüsterte er mir ins Ohr , nur unter dieser Bedingung erlaubte ich ihm zu kommen .
Es ist Herr von U. mit seiner Jagdgesellschaft , sagte er laut .
Nordheims Gestalt leuchtete mir sogleich aus allen übrigen hervor .
Welche Zauberkraft fesselte alle meine Sinnen !
Mein Herz flog ihm ent gegen , und alles hielt mich zurück .
Die Gewalt des Verlangens bewegte mein Herz aufs neue bis zum schmerzlichen Krampf ; aber jetzt näherte sich der Geliebte , ich sah die reinen großen Formen von hohem , stillem Geist belebt , und jeder Sturm in meinem Busen schwieg .
Wie im Anschauen der reinen Schönheit , fühlte ich nur ein hohes stilles Vergnügen , in dem 18 mein eigenes Wesen sich stärkte und erhob .
Seine Augen ruhten auf mir mit süßem Verlangen , mit zarter Besorgnis .
Wie fühlte ich die Allgewalt , mit der die Seele sich durch dieses Organ auszudrücken vermag !
In wenig Augenblicken stand die ganze Seele meines Geliebten in reiner Klarheit vor mir , wie nach einem sanften Gespräch , und Hoffnung belebte mein ganzes Wesen .
Auch Julius war in Nordheims Gesellschaft , und sein sanfter Gruß zeigte mir sein liebendes Herz .
Bettina und ihr Bruder folgten .
Gleich einer himmlischen Erscheinung wallten die lieben bekannten Gestalten vor mir vorbei , um mir Heiterkeit und Trost zuzulächeln . 19 Die Vereinigung derer die wir lieben , ist einer der zartesten Genüsse des Herzens .
Meine heiteren Blicke dankten dem guten Arzt , der den innigsten Anteil an meiner Freude nahm .
Bewahren Sie diese sanfte Geduld nur noch wenige Tage , sagte er mir während einer kurzen Entfernung der Alten .
Treue Liebe wacht über jeden Ihrer Schritte .
Mit Engels Unschuld wandeln Sie ohne Furcht in Licht und Klarheit .
- Ich danke Nordheim alles was ich bin , und das Schicksal konnte mir keine größere Wohltat erzeigen , als die Gelegenheit , mich dankbar zu beweisen .
Im Grunde ist wenig Verdienst hierbei , denn ich war entschlossen , alles für 20 Sie zu tun , sobald ich Sie kennen lernte .
- Halten Sie sich ruhig für heute , sagte er , als die Alte zurückkam , und nahm Abschied .
Als ich aus dem Garten zurückging , begegneten mir ein paar alte verlebte Gestalten , die gleich den Schatten der Vorwelt , in den langen Gängen und den öden Gemächern nur noch eine Spur des entflohenen Lebens zu bezeichnen schienen .
In der einen erkannte ich den widrigen kleinen Mann , der mir beim ersten Erwachen aus meiner Krankheit den Puls fühlte .
Die zweite war ein freundlicher Alter , der mir gütig und vertraulich zulächelte .
Verschiedene Gemächer waren geöffnet , man war beschäftigt sie zu reinigen und auszulüften .
Der freundliche Alte bezeigte mir sein Verlangen , 21 mich mit den Seltenheiten , welche sie enthielten , bekannt zu machen , aber mein alter Argus warf einen unwilligen Blick auf ihn , und alle Hausgenossen schienen unter demselben Joch , welches auch mich drückte , zu seufzen .
Endlich gelang es doch meinem neuen Freund , der als ein alter Hofdiener auch etwas jener kleinen Künste , welche die große Welt regieren , erlernt haben mochte .
Er schwang den Zauberstab der Schmeichelei , und die tausend Augen der Vorsichtigkeit schlossen sich gefällig .
Wollen Sie nicht in jenem Cabinet der jungen Dame Ihr Bildnis zeigen ? sagte er der Alten .
Es ist von wunderbarer Schönheit , und seltener Ähnlichkeit .
Sie werden darüber erstaunen , sagte er mir , und schon nah-22 men unsere Schritte eine andere Richtung .
Alle Falten des alten Gesichts klärten sich auf , und legten sich in einen selbstgefälligen Zirkel um Mund und Wangen .
Das alte Weib hüpfte uns selbst voran , die Tür zu öffnen .
Wir standen vor einer Diana , und ihre Redseligkeit war in vollem Strom , uns die Situation , in welcher das Bild gemacht war , und die Leidenschaft des Fürsten , der es begehrt hatte , zu vergegenwärtigen .
Es konnte uns kein Zweifel mehr übrig bleiben , daß man diese Göttin hier nur wegen des Kontrastes gewählt hatte .
Der gute Mann lächelte und winkte mir sein Vergnügen über die gute 23 Laune zu , in welche er die Alte versetzt hatte .
Wir besahen nun mehrere Zimmer , ich wurde weniger streng bewacht , und er gewann die Gelegenheit sich mir zu nähern .
" Erschrecken Sie nicht , wenn sich in dieser Nacht eine Tapetentür in Ihrem Zimmer eröffnet , und folgen Sie Still dem Wink , welchen man Ihnen geben wird . "
Ich suchte die Alte diesen Abend zeitig zur Ruhe zu bringen , indem ich mich selbst bald zu Bette legte .
Als sie im Nebenzimmer in tiefem Schlaf lag , stand ich auf , zog mich an , und erwartete , welche neue Begebenheit meinen neuen gegenwärtigen Zustand freundlich auflösen , oder auch vielleicht tiefer verwirren würde .
24 Ich fand wirklich eine verborgene Tür , die ich noch nie bemerkt hatte , und nach der Mitternachtsstunde vernahm ich ein Geräusch an derselben .
Ich bebte vor ungeduldigem Verlangen .
Jetzt öffnete sich die Tür , eine verhüllte Gestalt bog sich herein und winkte mir .
Ich folgte , und die Hoffnung , meine Mutter in dieser Gestalt zu finden , bewegte mein Herz in süßer Freude .
Aber eine starke männliche Hand faßte die meine , und führte mich durch einige finstere Gänge .
Sollte es Nordheim sein ? dachte ich , aber mein Herz schwieg , und 25 empfand nichts von dem Namenlosen Zauber , welcher uns in der Nähe eines geliebten Wesens ergreift .
Jetzt öffnete sich vor uns ein erhelltes Zimmer , die Gestalt warf einen langen Mantel von sich , und ich erkannte den Prinzen .
Ist_es möglich ?
Sie hier ? sagte ich .
O Sie kamen gewiß , um das Unrecht Ihres Vaters wieder gut zu machen , mich aus diesem Ort zu befreien und meinen Freunden wieder zu geben !
Gutes , vertrauendes Geschöpf ! erwiderte er , ich komme , um Sie Ihrer Mutter zuzuführen .
Mein Herz eilte dieser glücklichen Entdeckung ungestüm zuvor , als es sich Ihnen im ersten Augenblick mit Liebe und Verlangen näherte .
O meiner Schwester Glück im Besitz einer so lieben Tochter 26 ist groß und einzig !
Ihrer Schwester ? rief ich aus .
Meine Mutter .... O so war jene wunderbare Ahnung keine Täuschung !
Die Seitentür öffnete sich , und die Prinzessin trat herein .
Bestes Kind ! rief sie aus , indem sie mich in ihre Arme schloß , der Augenblick ist endlich gekommen ...
Meine Tochter ...
Ich lag zu ihren Füßen , sie zog mich an ihre Brust , und unsere Herzen schlugen unter süßen Tränen gegen einander .
Nach den ersten Momenten süßer Verwirrungen , in denen mich auch der Prinz als seine Nichte umarmte , blieb ich allein mit meiner Mutter .
27 Du bist die Frucht der heiligsten , aber der unglücklichsten Liebe , sagte sie , die unter dem Druck der schwersten Verhältnisse sich von Tränen und Entbehrungen nährte .
Meine Freunde , die die fürchterliche Gewalt kannten , mit welcher mein Herz die Gegenstände seines Verlangens ergreift , entrissen dich mir .
Ich beweinte dich als eine Tote , während du in holdem Leben aufblühtest .
Jetzt da ein längeres Leben mir stilles Dulden und Genießen lehrte , jetzt gab dein Vater dich mir wieder .
- Ach und beinahe verlor ich ihn selbst !
Eine tiefe Finsternis liegt noch auf unserem Schicksal .
Stolz , Härte , kalte Eitelkeit sammeln undurchdringliche Wolken um uns her .
O die Menschen können viel Böses beginnen , wenn ihr Herz 28 dem Strahl der Liebe undurchdringlich ist !
Unsere zarten , süßesten Neigungen dünken ihnen dann nur leichte Opfer !
Ich lag zu den Füßen meiner Mutter , mein Haupt ruhte in ihrem Schoß , und ihr tiefer , schwermütiger Blick löste jede Kraft meines Busens auf .
Eine unaussprechliche Bangigkeit faßte mich , doch suchte ich ruhig zu scheinen .
Ich habe noch wenig Erfahrung , meine teure Mutter , aber doch fühlte ich schon oft , wie uns das Herz in der Gefahr wächst , und wie in dringen der Not gleichsam ein guter Engel in den Lauf des Schicksals greift , um die Umstände freundlich zu uns zu fügen .
Lassen Sie uns Vertrauen schöpfen . - 29 Armes Kind ! sagte meine Mutter mit einem süßen schmerzlichen Lächeln , du ahndest nicht , welches Opfer man von dir fordert ! ...
Sie verlangte eine kurze Erzählung meiner Begebenheiten in jener Nacht , und meines Aufenthaltes an diesem Ort .
Mit dem süßen Vergnügen , mit welchem wir innig Vertrauten die glücklichen Momente unseres Lebens mitzuteilen streben , weil sie ihnen zum eigenen Genuß werden , und mit jener Schüchternheit einer hochbewegten Seele , die sich ihr reinstes Glück kaum selbst auszusprechen wagt , entdeckte ich meiner Mutter Nordheims Liebe , unser erstes Zusammentreffen , meine Hoffnungen und meinen Schmerz , bis zur glücklichen 30 Stunde , wo sich mir das schönste , edelste Herz ergab .
Meine Mutter war höchst bewegt , antwortete nichts , und schloß mich weinend in ihre Arme .
Er ist das Opfer ! tönte es in meinem Innersten ; und gleich der kalten Hand des Todes , ergriff ein starres Entsetzen meinen Busen .
Mögen sich diese Augen auf ewig schließen , wenn sie sich zu seinem Anschauen nie wieder erheben sollten , sagte ich in mir selbst .
Nur eine schaudervolle Ode fand ich in meinem Inneren ; der Wunsch , mich selbst darin zu verlieren , war mein klarstes Gefühl .
Meine Mutter hieß mich fortfahren , und fragte nach allen kleinen 31 Umständen der unglücklichen Stunde , die mich hier her versetzte .
Ich sprach lebhaft von meiner Sorge um Charles ; ob mich gleich Nordheims Zeilen von der Furcht befreiten , ihn verloren zu haben , so sagten sie mir doch auch nichts Bestimmtes über seinen jetzigen Zustand .
Wo ist der gute , treue Mann , dem ich so viel zu verdanken habe ?
O du hast ihm noch mehr zu danken , als du weißt , sagte meine Mutter .
Alles - er ist dein Vater ! und welch ein Vater , welch ein Mann er ist , wirst du aus einer kleinen Lebensgeschichte sehen , die ich seit unserer ersten Zusammenkunft für dich aufschrieb .
Du hörtest von deinem Pflegevater den Namen Hohenfels gewiß mit 32 Verehrung nennen .
Ich weiß es , er war der gute Engel jener Gegend , den man bis zur Anbetung verehrt , wie der fromme Wahn einen entschlafenen Schutzheiligen .
Und dieser Mann entzog sich der Welt , in welcher ihn die schönsten Verhältnisse fest hielten , entzog sich dem großen Zirkel seiner Wirksamkeit aus Liebe für mich , für dich , mein Kind .
Sein glänzen des Leben verschwand wie ein schöner Stern vom Himmel .
Alle Augen suchten ihn mit Sehnsucht .
Er erhielt , ernährte unsere Herzen mit seinem heiligen Feuer .
- Du wirst es fühlen , liebstes Kind , wenn sich der ganze 33 Lauf seines Lebens vor dir enthüllt ; wir können nie , nie genug für ihn tun !
Welche Freude empfand ich , in diesem edlen geliebten Mann , der mir gleich anfangs als ein guter Genius erschienen war , meinen Vater zu fin den !
Die Freude , welche mein Vater von Hohenfels über diese glückliche Erscheinung seines so lang beweinten Freundes fühlen würde , erhöhte mein eigenes Glück .
Aber dieser edle Mann , fuhr meine Mutter fort , ist jetzt in den Händen meines Vaters !
Warum muß ich es aussprechen ! meines Vaters , in dessen ehernem Busen nie ein sanftes Gefühl der Natur keimte .
Fühllosigkeit 34 und Mißtrauen sind das Los derer , die auf einer höheren Stufe zu stehen wähnen , wenn nicht eine besonders reiche Natur ihr besseres Gefühl erhält .
Die Sklaverei des Scheins unterdrückte die freie Regungen seines Herzens , die Konvenienz wurde aus seiner Tyrannin seine Göttin .
Wie sein eigenes Dasein , so opfert er dieser auch jede andere Existenz , die ein unglückliches Schicksal an die seinige knüpfte .
Gutes Kind ! mußte dich meine unvorsichtige Neigung auch in dieses feindselige Gewebe ziehen !
Lies dieses , sagte sie , indem sie mir zwei versiegelte Papiere gab : das erste enthält einen flüchtigen Umriß meiner Lebensgeschichte ; das zweite , Briefe meines Bruders , aus welchen du die gegenwärtige Lage der Dinge 35 sehen wirst .
Ich fordre nichts von dir ... , sagte sie mit zitternder Stimme :
mein Herz wird nur Ruhe finden , wenn es aufgehört hat zu schlagen .
Dein großmütiger Vater fordert nichts von dir , er hat jedes Glück dieser Welt für sich aufgegeben , nur das deine kann ihn noch rühren .
Fordere nichts von dir selbst , was deinen Frieden für immer stören könnte .
Ich ahne eine höhere Kraft in dir , welche mir die Natur versagte ; ohne dieses , und ohne den dringenden Rat meines Bruders , hätte ich dir diese Papiere jetzt nicht überliefert .
Der Prinz trat herein , und bat meine Mutter , sich zu entfernen .
Höchst 36 bewegt lag sie in meinen Armen , und konnte sich nicht von mir losreißen .
Bald riß sie die Papiere , welche sie mir eben zugestellt hatte , aus meinen Händen , und rief : Nein , ich will die Ruhe deiner Liebe nicht morden !
Bald gab sie mir sie wieder mit den Worten zurück :
Rette deinen edlen Vater !
Als sie mir sie aufs neue entreissen wollte , stellte sich der Prinz zwischen uns , faßte meine Mutter sanft bei der Hand und sagte : Schwester , fasse dich !
Unsere Agnes hat den Sinn und den Mut , das Edelste zu wählen .
Dein armes Herz hat so viel gelitten , daß deine gesunde Vorstellungsart davon erkrankte . -
Wer kann zweifeln in deiner Lage ?
Agnes muß alles wissen ; - die Pflicht wird in ihrem schönen Herzen siegen .
37 Meine Mutter rief mit wildem Blick :
Ja , und die Liebe wird es im Todeskampf brechen .
O nur ein Mann , nur mein Gemahl konnte lieben , konnte ein weibliches Herz verstehen .
Ihr anderen spielt mit euch selbst mit der Leidenschaft , und mit uns .
Ich kenne eure Siege !
Ihr umfaßt nichts mit der ganzen Kraft eures Wesens , und vermögt darum von allen zu scheiden , und euch noch dazu in eurem eitlen Sinn zu überreden , die Stärke habe errungen , was die Schwachheit aufgab .
Nein , von der vollen Hingebung eines weiblichen Herzens , von der Gewalt seiner Neigung , habt ihr weder Gefühl noch Begriff . -
Auch nicht von der Zartheit , mit welcher wir in ein anderes Dasein überfließen , und wie seine Leiden un-38 fern Busen zerreißen .
Diese tausend feinen Fäden unseres Wesens , die allen Schmerz der weiten Natur zu dem unseren machen , und diese Gewalt , die uns ganz und einzig in einer Liebe hinreißt und ewig fest hält , öffnet uns eine eigene Welt des Leidens .
Trauriges Geheimnis unserer Existenz !
Ihr vermögt euch in eurem Inneren zu trennen , mit dem Verstand wahrzunehmen , mit den Sinnen .
Wir umfassen alles mit unserem ganzen Wesen , der Schmerz zerstört uns auch ganz . -
O verzeih , mein Bruder , ich kenne dein edles treues Herz . -
Ich folge deinem Rat , aber aller Mut ist mir entgangen in der Ahnung ihres Leidens .
Sie zog mich an ihre Brust .
39 Ich fühlte nur ihren schmerzlichen Zustand .
In meinem Inneren war es finster , nur eine schreckenvolle Gestalt bewegte sich schauervoll in dieser Finsternis , die Furcht Nordheim zu verlieren .
Ich weiß nicht was ich soll , noch kann , meine teure Mutter , sagte ich :
aber ich will alles , was Ihnen Ruhe gewährt .
Schone dich , bestes Kind ! sagte meine Mutter .
O , muß dieser Neuekampf deine noch schwache Gesundheit schon wieder bestürmen !
Übermorgen sehen wir uns wieder .
Der Prinz sagte mir noch :
Der alte Bediente ist von uns gewonnen , verlassen Sie sich ganz auf seine Treue .
Wir sind nicht weit von Ihnen 40 entfernt , in wenig Tagen leben Sie in dem Kreise Ihrer Freunde .
Der vertraute alte Diener brachte mich wieder in mein Zimmer .
Mit bebender Hand eröffnete ich die folgenden Blätter , welche das Geheimnis meines Schicksals enthielten , und wendete den Rest der Nacht dazu an , sie zu durchlesen .
" Ich wurde in jener Beschränkung erzogen , zu welcher so oft die isolierte Lage eines höheren Standes führt .
Meine Mutter hielt streng auf einmal hergebrachte Gewohnheiten , und in allen einfachen fröhlichen Genüssen der Jugend klirrten die Fesseln 41 der Etikette mit ein .
Tausend Ermahnungen , die Schicklichkeit , zu der meine Geburt mich verpflichtete , ja niemals aus den Augen zu setzen , begleiteten jeden meiner Schritte .
Natürlich waren diesen Vorstellungen für mich seelenlose Töne , wie alle konventionellen Begriffe es für uns sind , ehe wir die Verhältnisse kennen , aus denen sie sich erzeugen .
Alles was mich umgab zweckte darauf ab , mich zu isolieren , und mein weiches liebe-bedürfendes Herz strebte , mich mit allem zu verbinden .
Meine ganze Natur gewann mehr Stärke des Empfindens durch den Widerspruch , den sie von außen erfuhr , als sie vielleicht in einer anderen Lage gewonnen hätte .
42 Ein erhöhter Zauber von magischen Farben umstrahlte alle kleinen Verbindungen , die ich in den seltenen Gelegenheiten anknüpfte , wo ich mit mehreren Kindern meines Alters zusammenkam .
Kein Ball , keine Assemblee verging , wo mir nicht irgend eine Gestalt erschien , welcher ich mich mit Liebe näherte , und nach der ich in den folgenden Tagen eine leidenschaftliche Sehnsucht empfand .
Mein Verstand entwickelte sich nicht im gehörigen Verhältnis zu meiner Einbildungskraft .
Meine Lehrstunden waren nur Mechanischübungen .
Ich gewann Kenntnisse und Fertigkeiten ; aber ohne ausgezeich 43 netes Talent zu besitzen , schlossen sie sich zu keinem Ganzen in meiner Seele , und beschäftigten mich also auch nur einseitig .
Es war immer etwasUnbeschäftigtes , etwas Überflüssiges in mir , welches nach einem Organ zur Wirksamkeit rang .
Meine Fantasie , die in keiner Kunstschöpfung erblühen konnte , waltete bildend über meinem gewöhnlichen Lebenskreis , wo sie nur Täuschung und Verwirrung erfuhr und erzeugte .
Sie lag als eine Wolke zwischen mir und der Wirklichkeit , meine Genüsse und Leiden bildeten sich nur in diesem Medium , und mein Wesen trat aus dem Kreise der gewöhnlichen allgemein verbindenden Vorstellungen beinahe heraus .
Ich fühlte es , man faßte mich nicht , und so verlor auch ich das Vermögen , die Menschen 44 um mich her rein zu verstehen .
Zu meinem Unglück lagen auch nur lauter verschobene verwirrte Naturen in meinem näheren Kreise .
Ein gesundes , starkes , lieblich gestimmtes Gemüt , welches sich dem meinigen zugeneigt , hätte vielleicht die Harmonie unter meinen Seelenkräften , und zu meinen äußeren Verhältnissen wieder herstellen können .
Aber der belebende Hauch der Liebe blieb mir fremd während meiner ersten Bildung .
Mein Herz verschloß sich allen ungefälligen Gestalten meines älteren Zirkels , und die einzige holde Gestalt , die mich umgab , meine ältere Schwester , wurde früh verheiratet , und schwebte , als sie mich verließ , noch selbst zu sehr in jenem magischen Duft , der auch meinen Gesichtskreis 45 bewölkte , um klar und bestimmt auf mich zu wirken .
Mein jüngerer Bruder wurde ganz von mir getrennt erzogen .
Ich war der genaueren Aufsicht einer alten Französin übergeben .
Diese wachte sorgfältig über mein Äußeres , über den Anstand mit welchem ich in ein Zimmer eintrat , und über die Art und Weise , wie ich jedem Mitglied der Gesellschaft zu begegnen hätte .
Sie selbst glaubte durch den Wieder-Schein meines Ranges zu glänzen , und erhielt mich nach den Maximen meiner Mutter , in einer strengen Zurückhaltung gegen alles was mich umgab .
Meine Vernunft blieb unkultiviert , aber glücklicherweise blieb mein 46 Herz gesund in seinem besten Vermögen .
Ich ehrte die Wahrheit über alles , und war durch die Lebendigkeit meiner inneren Erscheinungen zu einer gewissen Erhabenheit des Sinnes gestimmt , die mich über allen kleinen Kollisionen erhielt , in denen unsere Gutmütigkeit oft scheitert .
Ich verlebte meine Tage in einer sonderbaren Wehmut , zu der ein unbestimmtes Verlangen hinneigt .
Die edlen Seiten meiner angeborenen Verhältnisse wurden nie durch klare Vorstellungen , die einzig ansprechen , an mein Herz gelegt .
Das Leben und Wirken für Andere , die immerwährende Sorge und Tätigkeit für ein Ganzes , die gleichsam das reinste 47 Element ist , in welchem ein menschliches Gemüt das reichste und reinste Dasein gewinnt , diese hatte man mir nie in der notwendigen Verbindung mit mancher Beschränkung meiner Lage gezeigt .
Wer für andere wirken will , muß seiner selbst gewiß sein , und die künstlichen Schranken , welche die Großen oft um sich herlegen , sind immer als Symbole , die reelle Eigenschaften erzeugen oder ersetzen sollen , achtenswert .
Ruhe Besonnenheit , Mäßigung gesellen sich gern zu einem gleichförmigen feierlichen Gang des Lebens .
Man legte mir zuweilen diese Verhältnisse vor , aber es geschah ohne Klarheit und Wärme .
Wie so selten 48 genießen wir einer anderen Erziehung als die der Umstände , und wie tausend kleine Begebenheiten machen uns endlich zu dem was wir sind !
Die Musik war das einzige Organ zarter menschlicher Empfindungen um mich her ; ich ergab mich ihr , und lernte sie mit Leidenschaft .
Meine Bücher waren einer strengen Wahl unterworfen , aber wie die Vorsichtigkeit immer der Natur eine Lücke geöffnet lassen muß , so schlich sich auch unter dem Vorwande der Sprachstudien , manches Konterbande mit ein .
Die Äneis berührte gewisse zarte Saiten in meinem Wesen am ersten , und während mein alter Lehrer nur Konstruktionen , Substantive und 49 Adjektive sah , drang die mächtige Stimme der Leidenschaft , in den Schicksalen der armen Dido , an mein Gemüt .
Diese bestimmt gezeichneten Bilder schoben sich meinen italienischen Arien unter , die ich mit großer Wahrheit des Ausdrucks singen lernte .
Ein sanftes , zärtliches Mädchen , die wie ich , unter dem Druck einer sogenannten feinen Erziehung seufzte , bekam auf einer Landpartie , wo ich meine Mutter begleitete , Gelegenheit sich mir zu nähern .
So ungestört hatte ich noch selten der freien Natur genossen !
Ein Garten mit alten schnitzten Hecken , ein Weg durch eine Allee , dahin 50 begrenzten sich meine Wanderungen .
Ich blickte in die herrliche Gegend , die ich aus meinem Fenster übersah , wie in eine Zauberwelt , zu welcher mir die Brücke hinweggebrochen war .
Die schönen Formen der Gebirge , die hohen dunklen Bäume am Ufer des Flusses , zogen mich an , wie lebendige Wesen , die vielleicht Anteil und Liebe für mich fühlen könnten .
Zuweilen wurde ausgefahren , und . ich grüßte die schönen Gegenden , an denen ich vorbei flog , mit stillen Seufzern der Sehnsucht .
Wenn ich zurück in mein hohes dunkles Zimmer kam , rief ich mir die Zauberbilder wieder zurück , und gleich den Gestalten der Fata Morgana 51 schwebten die durchstreiften Gegenden um mich her an den hohen Wänden meines Zimmers , die sich gegen den Plafond in eine angenehme Dämmerung hüllten .
Diese Lebhaftigkeit meiner inneren Darstellung war mein schönster Genuß .
Mein Glück war unaussprechlich , als ich mit meiner Mutter für ein paar Tage auf ein entferntes Lustschloß ging , und mit meiner Freundin in den kunstlosen Gärten , die sich in einem anmutigen Wäldchen verloren , frei umherschweifen konnte .
Ein sanftes empfindendes Wesen mir so nahe zu fühlen , meinen Genuß an der Natur aussprechen zu können , und ihn aus der Bewegung eines gleichgestimmten Herzens verstärkt zurück zu empfangen , war für mich ein ganz neuer Zustand .
Mein innerstes 52 Wesen erschloß sich in seinen tiefsten heiligsten Quellen in jenen Tagen , und die Fähigkeit zu Liebe und Genuß , die ich bis jetzt nur in mir geahndet hatte , gab mir ein stärkeres Gefühl des Daseins .
Ich hatte jetzt einen bestimmten Wunsch , in welchem sich die Kräfte meines Gemüts vereinten : Liebe und Freiheit .
Meine Freundin war liebenswürdig , die feinste Gestalt und das reinste Gemüt zeigten sich in der sanften Gefälligkeit des Betragens .
Auch ich war ihre erste Neigung in der weiblichen Welt , die erste Freundin , die ihren ästhetischen Sinn berührte , der in der Kindheit mehr als man gemeiniglich annimmt , entscheidet . 53 Der Zauber jugendlicher Träume , der unseren ersten Blick ins Leben begleitet , gibt auch der ersten Mädchenfreundschaft jenen unaussprechlichen Reiz einer unbegrenzten Empfindung .
Das vollste Vertrauen belebte alle unsere Gespräche .
Meine Freundin hatte unter dem Kreise ihrer Bekannten einen liebenswürdigen Jüngling gefunden , den sich ihr junges Herz bald zu seinem Abgott erkor .
Meine dunklen Träume hatten noch keinen Gegenstand , und meine Fantasie dichtete sich den schönsten .
Das Wäldchen hinter dem Garten war unser Lieblingsaufenthalt .
Eine Gattertür , die zu einer freien Straße durch den Wald führte , war uns als 54 die Grenze unserer Wanderungen vorgeschrieben , und bei jedem Ausflug begleitete uns die strenge Warnung der Französin , sie niemals zu überschreiten .
Natürlich wurde das Gattertor jetzt das Ziel unserer Neugierde .
Die breite Straße durch den Wald lud uns so lieblich ein , und die Ahnung tausend fröhlich-sonderbarer Abenteuer schwebte uns auf ihr entgegen .
Nach wiederholten vergeblichen Versuchen fanden wir das Gatter eines Abends offen .
Wir flogen hindurch , und wandelten unter den alten himmelhohen Fichten umher , mit klopfendem Herzen , als würden sie uns anreden , wie in Armidens verzaubertem Wald . 55 Bei unserer Rückkunft fanden wir das Gatter verschlossen .
Welcher Schrecken !
Angstvoll versuchten wir das Unmögliche , bald uns durch eine kleine Lücke des Zauns hindurchzudrängen , bald über das Gatter zu klettern ; und als jedes Bemühen vergebens war , sanken wir ins hohe Gras nieder , und ließen unseren Tränen freien Lauf .
Oft hatte unsere Freundschaft sich Gelegenheit gewünscht , durch irgend ein heroisches Opfer ihre Stärke zu beweisen .
Jede wollte sich allein alle Schuld an diesem unglücklichen Zufall beimessen .
Die Sonne war nah am Untergang , und senkte ihre schiefen Strahlen durch den bläulichen Dampf des Waldes ; 56 die ganze breite Straße durch den Wald hindurch , welcher sie gerade gegenüber unterging , glänzte im rötlichem Lichte .
Wir gerieten in die höchste Unruhe , als wir in einem benachbarten Dorfe die Stunde schlagen hörten , die uns zu unserer Zurückkunft im Schlosse bestimmt war .
Die Furcht , unsere schöne , kaum errungene Freiheit mit einemmal wieder zu verlieren , erfüllte uns mit tausend Sorgen .
Wir hielten uns weinend umfaßt , und machten noch einen neuen verzweifeln den Versuch auf das Gatter .
Einige Reuter kamen jetzt die Straße durch den Wald her .
Der Eine , dem die übrigen zum Gefolge dienten , hatte eine 57 edle Gestalt , die uns gleichsam aus den Strahlen der Abendsonne hervorging , und deren Zuge sich nach und nach aus dem Lichtglanz enthüllten .
Immer wurde die Gestalt edler und schöner , und als endlich die lieblichen Formen des Angesichts aus dem rötlichen Schimmer hervorglänzten , dünkte es uns einen freundlichen Boten des Himmels zu sehen , welcher käme , um uns aus der Not zu erretten .
Schon war er uns nah , als meine Freundin und ich uns den Gedanken zuflüsterten , ihn um Hilfe anzurufen .
Zu gleicher Zeit hatten wir beide diesen Einfall gefaßt ; aber als der Ritter , der uns erlösen sollte , dicht vor uns war , hatte ich den Mut verloren , und suchte vergebens nach Worten. 58 Er grüßte uns , und ich war verloren im Anschauen der edlen großen Züge dieses Gesichts , wie mir noch nie eines erschienen war .
Schon wendete er uns den Rücken , als meine Freundin ihm nachrief :
Mein Herr !
Wir sind hier in großer Verlegenheit .
Ich bitte ...
Schnell wendete er sich wieder gegen uns , und war im Augenblick vom Pferde gestiegen .
Was steht zu Ihrem Befehl ? sagte er freundlich , und meine Freundin trug ihm unser Anliegen vor .
Da denke ich wohl Rat zu schaffen , sagte er , indem seine Augen die Höhe des Zauns maßen .
Nein , das wäre zu gefährlich , sagte er vor sich hin , und ging zum Tore .
Mit starkem Arm griff er in 59 die Stäbe des Gatters , und hob den einen Torflügel aus den Angeln .
Meine Freundin hüpfte hindurch , ich folgte ; sie rief einen flüchtigen Dank aus , ich wendete mich noch einmal gegen unseren freundlichen Erretter , es zog mich eine fremde Gewalt zurück , aber ein Wink meiner Freundin beflügelte meine zweifelnden Schritte .
Und wir haben ihm nur so flüchtig gedankt ! war mein erstes Wort gegen Theresa , und mein Gefühl während der nächsten Tage .
Es war etwas Zufriedenes in seinem Blick , als ich ihn zuletzt ansah ; aber gleichwohl dachte ich mit einer unaussprechlichen Rührung an den Jüngling , und warf mir immer von neuem vor , ihn durch meine schnelle Flucht beleidigt zu haben .
60 Sein Bild , das Bild der ganzen Szene blieb lebhafter als noch irgend ein anderes Andenken , in meinem Gemüt .
Meine Träume hatten jetzt einen Gegenstand gefunden .
Die Gestalt des Jünglings stand als ein Riesenbild in meiner dunklen Zukunft , in dem sich alle übrige Lebensgestalten verloren .
Bald nahm meine Freundin den tiefen Eindruck wahr , welchen mein Gemüt empfangen hatte , und das schwankende Ahnden und Verlangen wurde in unseren Gesprächen zu bestimmten Erwartungen und Planen .
Meine Freundin forschte nach dem Namen und Stand des Jünglings , aber lange blieb jedes Bemühen fruchtlos .
Er war entflohen , wie eine 61 holde überirdische Erscheinung , und ich überließ mich der innigsten Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr um so ungestörter , weil sich diese Empfindung ganz von dem Kreise der wirklichen Welt , die mich umgab , abtrennte .
Die Fantasie flog über alle Schranken , und erhielt das Herz durch Träume und Hoffnungen in den Banden der Leidenschaft .
Der Prinz von *** kam , um bei meinen Eltern um meine Hand zu werben .
Welche Gestalt gegen das zauberische Bild voll Kraft und Leben , das in meiner Seele stand !
Kein Funken der Kraft noch des Geistes leuchtete aus den schlafen Zügen ; selbst die leichten fröhlichen Regungen 62 der Jugend schienen in den tiefen Falten des Alters erstarrt zu sein .
Seine Reden waren , wie seine Gestalt , ohne Klarheit und Sinn , und jeder Ausdruck , der irgend eine Empfindung darstellen sollte , wurde durch seine klanglose Stimme , die sich oft in einem grinsenden Gelächter verlor , zur widrigsten Karikatur .
Die Konvenienz stimmte für die Verbindung mit dem Prinzen ; sie herrschte als Tyrannin in dem Gesichtskreise meiner Eltern :
ich sollte aufgeopfert werden .
Meinen Eltern zu widersprechen , war mir undenkbar ; eben so undenkbar , dem Prinzen meine Hand zu geben .
Ich wurde auch nie um meine 63 Einwilligung gefragt .
Meine Mutter beschäftigte sich mit meiner Ausstattung , ich hörte von den Festen bei meiner Verlobung , und in einer tauben Fühllosigkeit wäre ich vielleicht dem Drang der Umstände gefolgt bis zum Altar , wo mich die Verzweiflung erweckt hätte .
Die Gewohnheit in den Träumen der Einbildung zu leben , gibt unserer ganzen Existenz , unserer Art zu handeln , etwas Unterbrochenes , etwas Verwirrtes , welches für den klaren Verstand an das Unbegreifliche grenzt .
Wie der Nebel in einem tiefen Tal die Formen der Gebirge verbirgt , daß nur dann und wann , wenn er sich trennt , eine Felsenkuppe hervorragt , 64 so liegt die Fantasie vor unserem Leben .
Nachdem dieser oder jener Teil der Gegend vor uns aus dem Nebel steigt , lenken wir unsere Schritte , und unser Tun und Handeln bleibt ein Fragment für den klaren Verstand , der die ganze Aussicht im hellen Morgenlichte erblickt .
Meine inneren Erscheinungen rührten mich tiefer , als die Wirklichkeit , und mit einer unglaublichen Verschlossenheit des Sinnes ging ich in einem dumpfen Traum meinem Schicksal entgegen .
Nur der sorgenvolle Blick meiner Freundin warnte mich vor dem Abgrund , der sich vor mir öffnete ; in ihren Tränen las ich mein ganzes trauriges Los .
65 Wir fassen so früh die Gewohnheit , uns mit den Schranken , die jedenunsrer freien Schritte hemmen , durch Ausweichen oder Überspringen abzufinden , daß wir so selten edles Dulden oder mutiges Widersetzen lernen .
So oft beugt das Unglück mit unserem Mut unseren Charakter .
Meine Freundin fand den Gedanken , sich zu widersetzen , so unmöglich als ich , und da sie mich resigniert wähnte , erlaubte sie sich nicht die kleinste Bemerkung , die meinen Frieden hätte stören können .
Der Hof war zu einem kleinen Fest versammelt .
Stumm und gedankenvoll stand ich mit meiner Freundin in einer Ecke des Saals , als mein Vater 66 mit einigen Fremden hereintrat .
Kaum wagte ich_es meinen Augen zu trauen , vor denen alle Gegenstände anfingen zu schwanken und in farbigen Lichtstrahlen zu zittern .
Unter den Fremden war der junge Mann , das geliebte Bild meiner Träume .
Er ist_es ! flüsterte mir meine Freundin zu , indem sie mir die Hand reichte , mich zu unterstützen .
Bald näherte er sich uns ; mit einem feinen Lächeln gab er sich das Ansehen einer ganz neuen Bekanntschaft , und nur als er mit meiner Freundin und mir allein blieb , gedachte er unseres Abenteuers .
Diese kleine Begebenheit stellte bald eine eigene Vertraulichkeit unter uns her .
67 Ich fühlte nichts mehr als den Zauber seiner Gegenwart .
Meine Freundin hatte von seinen Begleitern seinen Namen und seine Verhältnisse ausgefragt .
Ein ältlicher überall geschätzter Mann hatte viel zu dem Lobe meines Geliebten gesagt , hatte in wenig Worten ein Bild seines Charakters und Lebens entworfen , das sich mit Flammenzügen in mein Herz schrieb .
Dieser Mann war Nordheims Vater .
Sein geübter .
Blick , sein klarer Verstand flößte allen seinen Bekannten unbegrenztes Zutrauen ein .
Nach seinem Zeugnis schien mir die Stimme der Vernunft für meine Leidenschaft entschieden zu haben .
Ich überließ mich dem neuen zarten Gefühl meines Herzens , und wagte zu hoffen , da , wo meine Lage mich 68 verzweifeln hieß .
Ich fühlte , daß Hohenfels mich liebte , ob er gleich seinem Betragen strenge Zurückhaltung auflegte .
Meine Freundin stand zwischen uns beiden , und von ihren Lippen vernahmen wir Beide das Geständnis einer Neigung , welcher eiserne Verhältnisse ein tiefes Schweigen hätten auflegen müssen .
Der Schmerz , welchen Hohenfels über meine Verbindung mit dem Prinzen äußerte , erweckte jede unbekannte Kraft in meinem Gemüt .
Ich begegnete dem Prinzen mit einer Verachtung , die selbst seinem Stumpfsinn nicht entging , und auf die Vorwürfe meiner Mutter über dieses Betragen , gab ich die höchstbestimmte Erklärung , daß ich mich nie zu dieser Ver-69 Bindung entschließen würde .
Ich ertrug alle schmerzlichen Szenen , welche dieser Erklärung folgten , mit Festigkeit , und da man endlich alle Versuche , meinen Entschluß umzustimmen , fruchtlos fand , bekam der Prinz seinen Abschied ; aber mein Vater war so aufgebracht gegen mich , daß meine Mutter mich zu meiner älteren Schwester schickte , um mich den lauten Ausbrüchen seines Zorns zu entziehen .
Den Tag meiner Abreise empfing ich durch meine Freundin einen Brief von Hohenfels .
Er wollte meinen Lebensfrieden nicht länger stören , sagte er mir ; nachdem ich der Gefahr entronnen wäre , mich mit einem 70 unwürdigen Manne zu verbinden , sollte ich um seinetwillen nicht länger die Eintracht mit meiner Familie unterbrechen .
Ich sollte ihn vergessen , und er wollte lernen sich meines Glückes zu freuen , wenn er auch nur durch das schmerzlichste Entsagen etwas zu demselben beizutragen ver möchte .
Ich sank in Ohnmacht , als ich den Brief gelesen .
Meine Freundin stand weinend an meinem Bette , und suchte mich durch die Hoffnung aufzurichten , daß eine glückliche unerwartete Begebenheit unserem Schicksal eine andere Wendung geben könnte .
Sie kannte mein Vermögen , das Unmögliche erreichbar zu denken , und hoffte mich so zu heilen .
71 Wir lasen den Brief noch einmal , und sein edler Sinn nährte meine Liebe , und gab ihr die Allmacht , welche diese Leidenschaft selbst aus der Hoffnungslosigkeit schöpft , wenn sie sich , nur bestehend auf sich selbst , als ein Kind des Himmels empfindet , und aller Aussicht auf irdisches Glück entsagt hat .
Die Erde fordert uns nur allzubald zurück , so lange wie ihr noch angehören .
Verlangen und Sehnsucht zerstörten meine Gesundheit .
Die Ärzte glaubten mich dem Tode nahe .
72 Ich fand an dem Hofe meiner Schwester mehrere Bekannten meines Geliebten .
Ich folgte seinem Schicksal mit meinen Gedanken , wußte den jedesmaligen Ort wo er sich aufhielt , und meine Fantasie dichtete sich die kleinsten Umstände seines Lebens .
Mein verspannter kranker Sinn lebte in einer Welt erdichteter Genüsse und Leiden , und wenn unser Herz nur in der Dichtung lebt , und keinen Ruhepunkt in der existierenden Welt um sich her findet , dann drohet der Stimmung unseres ganzen Wesens Auflösung oder wilde Zerrüttung .
Eine Gestalt , von der ich wußte , daß er sie kürzlich gesehen , bewegte mein Blut in wildem Kreislauf .
73 Ganze Tage brachte ich einsam in den Gärten zu , und wiederholte jedes Wort , welches ich in den Tagen unseres Zusammenseins von seinen Lippen vernommen .
Alle Kleider , welche ich in jener Zeit getragen hatte , bewahrte ich als Reliquien auf , und berührte sie nie , ohne daß ein süßer Schauer durch mein Wesen drang , wie in der Gegenwart des Geliebten .
Oft stärkte mich ein wunderbares Gefühl seiner Gegenwart , und der süße Wahn , daß die Gedanken der Liebenden durch ein eigenes feineres Element sich zu begegnen vermögen , erhielt mich in der Zuversicht von seiner dauernden Liebe .
74 Ich war in einem immerwährenden Traum , und das Gegenwärtige blieb oft von mir ungefühlt , oder falsch vernommen .
Meine Nerven fielen , durch die dauernde Verspannung zerrüttet , in wilde Verzuckungen , und in der Erschlaffung , die darauf folgte , brach der dünne Faden , der unsere innere Erscheinungen an die äußere Welt knüpft , oft ganz ab .
Ich blickte nur in mich selbst , und die Harmonie der inneren Kräfte , die uns der äußeren Welt zustimmt , war in fieberhaften Träumen zerstört .
Meine Schwester liebte mich zärtlich .
Meine abgebrochenen Reden gaben ihr hinlängliche Einsicht in die Krankheit meines Herzens .
Sie ließ meine Freundin zu sich kommen , und wurde mit meinem ganzen Zustand genau bekannt . 75 Das Mitleid wird in zarten reizbaren Gemütern zur Leidenschaft , und sieht , wie diese , nur den Augenblick .
Meine Schwester selbst suchte eine Gelegenheit zu finden , bei welcher sie Hohenfels dringend und bestimmt zu sich einlud .
Ich saß an meinem einsamen Platz im Garten , als sich mir meine Schwester , meine Freundin und Hohenfels näherten .
Er fuhr erschrocken bei meinem Anblick zurück , lag zu meinen Füßen , die Natur sprach laut , und bald allein , in unseren Herzen .
Wir hatten die fesselnden Verhältnisse der Welt vergessen und gelobten uns ewige Liebe und Treue , als ob die Freiheit des goldenen Weltalters uns lächelte .
Mit 76 der Hoffnung gewinnt die Liebe albesiegenden Mut und Schlangenklugheit .
Ein Priester aus einem kleinen benachbarten Freistaat wurde gewonnen , um uns zu trauen ; ich sollte so viel wie möglich an dem Hofe meiner Schwester leben , Hohenfels auf einem Gut in der Nähe , und so hofften wir unsere Verbindung und unser Glück den Augen der Welt zu entziehen .
List und Verschlagenheit dünkten uns die natürlichen Waffen gegen ungerechte Anmaßungen der Gesellschaft .
Aber gute einfache Seelen rechnen immer falsch , wenn sie sich in Kampf mit der Arglist und den tausend kleinen Leidenschaften wagen , die sich in dem Kreise jeder willkürlichen Gewalt eben so notwendig , wie die Irrlichter in sumpfigen Gegenden , 77 bilden .
Wir waren in den ersten seligen Tagen unserer Vereinigung , und genossen das unaussprechliche Glück des tiefsten Friedens in dem regesten Leben der Leidenschaften .
Meine Gesundheit kehrte zurück , die Ärzte gaben Hoffnung zu meiner völligen Genesung , und jedes Gefühl meiner wiedergewonnenen Kräfte wurde zum Dank gegen die zarte Pflege der Liebe , die gleich Prometheus belebendem Funken mein Gemüt erhellte .
Die wirkliche Welt sprach mich in ihren tausend holden Formen wieder rein an .
Alle schweren Träume waren aus meiner Seele hinweggenommen , 78 und verwandelten sich in leichte liebliche Gestalten .
Fast jeden Moment genoß ich das lebhafte Vergnügen eines Erwachenden , dem ein drückendes ungeheures Traumbild im goldenen Strahl der Morgensonne zerrinnt .
Die innigsten wahrsten Bande der Natur geben uns nur alle Kraft und allen Reichtum unseres Wesens zu empfinden .
Die Hoffnung Mutter zu werden , gibt unserem Dasein eine unendliche Tiefe , und wir fassen die Natur in ihrem zartesten Gewebe und ihren stärksten Banden .
So verlebte ich einige glückliche Monate , die schönsten meines Lebens , denn ein wohltätiger Schleier ruhte auf allen meinen drückenden Ver79 hältnissen .
Nur zuweilen erinnerte mich ein so sorgenvoller Blick meiner Freundinnen an die unsichere Blüte meines Glücks .
Mein Gemahl schien in einem edlen Selbstvertrauen über jede Besorgnis erhoben .
Die reine Tätigkeit in der sein Leben hinfloß , sein immerwährendes Wirken für fremdes Wohl , und sein Leben mit der Natur , gaben seinem Gemüt jene schöne seltene Einfachheit und Klarheit , zu der notwendig auch ein freundliches Geschick mitwirken muß .
Sein Herz hatte die schöne Gewohnheit gefaßt , nur durch Sympathie zu genießen und zu leiden , und selbst seine Leidenschaft für mich war 80 nur eine lebhaftere Farbe dieser Sympathie .
Seine Liebe hatte mich aus dem traurigsten Zustand gerissen , und seine Freude an meiner Genesung erhöhte den Genuß der Leidenschaft .
Welch seltenes Talent zur Glückseligkeit lag in dem Gemüt deines Vaters !
Welches Vermögen zum reinen freien Leben in dem schönsten und höchsten !
Aber ein feindliches Schicksal zerstörte dieses schöne zarte Dasein , und warum mußte es meine Hand dazu leihen ?
Durch mich mußte die reine Natur deines Vaters alle schmerzlichen Gestalten des Lebens kennen lernen , Gewalt der Leidenschaften und den Druck quälender Verhältnisse , 81 vor welchen sein milder Sinn , der sich nie vor dem Ausspruch seines klaren Verstandes entschied , ihn vielleicht immer beschützt hätten .
Er hielt sich so viel an dem Hofe meiner Schwester auf , als es nur immer unsere Lage und die strengste Vorsichtigkeit , welche wir uns auflegen mußten , erlaubte .
Wir glaubten unser Glück jedem neidischen Auge verborgen .
Meine Freundinnen wachten über jeden allzulebhaften Ausdruck der Bewegungen meines Herzens , und ihr inniger Anteil an meinem Glück löste mein ganzes Wesen in Genuß und Liebe auf .
Meine Schwester war sehr unglücklich verheiratet , und hatte eine zärtliche Leidenschaft überwunden , als 82 ich zu ihr kam .
Die tiefe Wunde , welche ihr Herz davongetragen , machte sie empfänglicher meinen Schmerz zu verstehen und zu teilen .
Sie freute sich , mich einem Schicksal entzogen zu haben , dessen Bitterkeit sie jede Minute empfand , und suchte sich , soviel als möglich , mit mir in die freundliche Täuschung zu versetzen , als sei das Geheimnis meines Glückes für immer gesichert .
Mein Gemahl war für einige Tage auf seine Güter gereist , als sich der Minister meines Vaters ganz unerwartet bei meiner Schwester anmelden ließ , und sich sogleich des Auftrags entledigte , daß er nach dem Befehle meiner Eltern mich wieder zu meiner Mutter bringen sollte ; der Unwille meines Vaters wäre besänftigt , und meine Mutter wünschte meines Um-83 Gangs wieder zu genießen .
Meine Schwester verbarg mit Mühe ihre Verlegenheit , suchte tausend Ausflüchte : meine schwächliche Gesundheit , den allzuheftigen Eindruck , den jedes harte Benehmen meines Vaters auf mich machen würde ; aber vergebens .
Der Befehl meiner Mutter war so bestimmt , daß ich ohne offenbaren Ungehorsam notwendig abreisen mußte .
Meine Lage machte jedes Außerordentliche in meinem Betragen gefährlich ; meine Schwester und meine Freundin selbst rieten mir , für einige Zeit nach D. zu gehen , um jeden Eindruck , den die Welt vielleicht gefaßt haben könnte , so am besten wieder zu vertilgen .
84 Meine Schwester fand nichts Bedenkliches in dem Auftrag des Ministers , meine Freundin eben so wenig ; aber ich las mein Unglück in der falschen , höchst widrigen Mine dieses Mannes , auf dessen Gesicht jeder Ausdruck des Wohlwollens fremd und furchtbar wurde .
Meine Freundin begleitete mich .
Ich schied von dem Schlosse meiner Schwester , wie ein Sterbender von dem goldenen Licht des Tages scheidet , ohne Hoffnung es wieder zu genießen .
Wir kamen an , und eine erzwungene Freundlichkeit in dem Benehmen meiner Mutter bestätigte meine bösen Ahnungen .
Ich zitterte vor der strengen Mine meines Vaters , und bald bemerkte 85 ich , daß man jeden meiner Schritte bewachte .
Die alte Französin durchsuchte alle meine Papiere , und meine Freundin hielt man ganz von mir entfernt .
Nur bei öffentlichen Gelegenheiten , wo man sie ohne Beleidigung nicht von der Gesellschaft ausschließen konnte , wurde sie eingeladen , und dann gab ich ihr einen Brief für meinen Gemahl , oder empfing einen von ihr .
Mein Gemahl und meine Schwester vermahnten mich zur Geduld .
Die letztere versprach mich bald wieder abzuholen , und meine Freundin wendete alles an , mich von einem verzweifelnden Entschluß abzuhalten , indem ich oft meinen Eltern alles entdecken wollte .
86 In dieser beunruhigenden Lage vergingen einige Monate , als ich meine Freundin in der Nacht vor meinem Bette erblickte .
Ich fürchte , wir sind entdeckt , flüsterte sie mir zu .
Morgen muß ich zu einer meiner alten Verwandten auf das Land ; durch tausend Schwierigkeiten gewann ich diesen Augenblick , um Sie noch einmal zu sehen .
Ich war aus dem ersten Schlummer erwacht , und fühlte meine ganze Lage in der schauderhaftesten Verwirrung .
Getrennt von meinem Gemahl , umgeben von Schlingen der Arglist , in einem Zustand , der mich der schrecklichsten Verlegenheit aussetzte , - wo sollte ich Rettung finden vor 87 der quälenden Sehnsucht , vor den tausend Besorgnissen die meinen Busen füllten .
Ich sah keinen Ausweg , vor meiner umwölkten Vorstellung , als die Flucht zu meiner Schwester .
Meine Freundin umarmte mich , als sie mich entschlossen sah , und versprach mich nicht zu verlassen .
Wir packten die wichtigsten Sachen zusammen , mein Schmuckkästchen und meine Börse , und eilten , durch die langen matt erleuchteten Gänge , einer Tür zu , die in den Garten führte ; dort hofften wir über die niedrige Mauer leicht ins Freie zu kommen .
Meine Leute vermißten mich , noch ehe wir an der Gartenmauer waren .
88 Meine Mutter wurde sogleich von meiner Flucht benachrichtigt .
Sie folgte nur ihrer Heftigkeit , es wurde mehr Lärm gemacht , als die Klugheit anriet .
Meine Freundin und ich suchten , wie scheue Vögel , das dichteste Laub und die finstersten Gänge durch den Garten , da es eine mondhelle Nacht war ; aber bald sahen wir uns von einer Menge Menschen umringt ; meine alte Französin und ein Kavalier meiner Mutter waren dabei , und befahlen in ihrem Namen sogleich zurück zu kehren .
Meine Freundin wendete alles an , um durch ein unbefangenes Betragen glaubend zu machen , wir seien nur auf einem Spaziergang begriffen ; 89 aber die Alte hatte mein Schmuckkästchen , welches ich unter meinem Arme trug , entdeckt .
Ich wurde allein in das Zimmer meiner Mutter geführt , so wie man meine Freundin nach dem Hause ihres Vaters zurückschickte .
So ist es denn wahr ! sagte meine Mutter , als sie mich erblickte : Du hast dich und uns alle entehrt .
O Gott , was muß ich erleben ! -
Ich war höchst verwirrt und hatte nur Tränen zur Antwort .
Noch nie sah ich ihren Unwillen mit dieser Farbe des Schmerzens vermischt , und der erste Laut der Empfindung , den ich von ihr vernahm , löste alle Bande , welche seit langen Jahren ihre Kälte jedem Ausdruck des Herzens auflegte .
90 Mein Zustand gab mir den Mut der Verzweiflung , und ich rechnete um so sicherer auf Schonung , da mein Schicksal unwiderruflich bestimmt war .
Ich bat meine Mutter , ihre Kammerfrauen wegzuschicken , und als wir allein waren , versuchte ich Natur und Liebe in ihrem Busen zu erregen .
Vor ihrem Bette lag ich zu ihren Füßen , zum erstenmal drückte ich ihre Hand an meine Brust , und nun wagte ich , ihr meinen ganzen Zustand zu entdecken .
Sie hörte mir mit starrer Aufmerksamkeit zu , und als sie vernahm , daß ich vielleicht in kurzem Mutter werden würde , sank sie halb ohnmächtig zurück , ihre kalte Hand stieß mich krampfhaft von sich , und als sie durch meine und ihrer Frauen Hilfe wieder zu sich kam , war 91 ihr erstes Wort ein Befehl für mich , sie augenblicklich zu verlassen .
Ich wurde streng in meinem Zimmer bewacht .
Mein Zustand grenzte an den Wahnsinn , nachdem alle meine Hoffnungen auf das Herz meiner Mutter mich so bitter getäuscht hatten .
Den dritten Tag kam der Minister zu mir .
Er wendete alle Künste an , um einen unangenehmen Auftrag in einen Schleier zweideutiger Worte zu hüllen ; aber das Resultat war nicht weniger schmerzlich für mich .
Meine Eltern hielten meine Heirat für falsch und ungültig , Hohenfels für einen Räuber meiner Ehre , und wenn wir uns nicht beide mit blindem 92 Gehorsam allen Maßregeln unterwerfen würden , welche mein Vater zu nehmen für gut fände , so würde er lieber die Sache bei den Reichsgerichten zur Verhandlung bringen , mich ganz aus seiner Familie verstoßen , und in lebenslänglicher Gefangenschaft halten , als den geringsten Anschein haben , daß er mein Betragen aus väterlicher Schwachheit entschuldige .
Ihr Herr Vater ist entschlossen , seine beleidigte fürstliche Ehre auf das bitterste zu rächen , sagte mir der Minister : Sie kennen seinen Einfluß am kaiserlichen Hofe , und was hat nicht Hohenfels zu fürchten , wenn der Fürst mit aller Macht dort gegen ihn wirkt ?
Der Befehl Ihres Herrn Vaters 93 für Sie ist , sich ruhig zu halten ; den geringsten Schritt , welchen Sie tun würden , sich Hohenfels wieder zu nähern , wird sein unausbleibliches Verderben nach sich ziehen .
Den Vorfall der letzten Nacht sucht man als eine jugendliche Unbesonnenheit zu bemänteln .
Ihr Herr Vater war längst durch einen sicheren Mann vom Hofe Ihrer Schwester von dem Aufsehn unterrichtet , welches Ihre Neigung gegen Hohenfels dort gemacht , und darum wurden Sie zurück gefordert .
Ein äußerst abgemessenes strenges Betragen kann Ihren Ruf wieder herstellen .
Geben Sie den Umständen 94 nach , und ersparen Ihren Eltern die bittere Kränkung einer beleidigten Ehre .
Mit dem Befehl meiner Mutter , nie wieder ein Wort gegen sie von der unglücklichen Begebenheit zu erwähnen , machte der Minister den Beschluß , und überließ mich meinen quälenden Gedanken .
Die Furcht , Hohenfels in Unglücksfälle zu ziehen , die Sorge für mein Kind , gaben mir einen noch nie gefühlten Mut , mich zu verstellen , um Gelegenheit zu gewinnen , meiner Schwester Nachricht von mir zu geben , und ich vermochte es , mit gefaßter Mine vor meinen Eltern zu erscheinen .
Das Verbot meiner Mutter ließ mich doch auf die Furcht gerührt zu 95 werden schließen , und die Hoffnung einen günstigen Augenblick zu finden , erschien mir aufs neue , um so mehr , da sie von meinem ganzen Zustand unterrichtet , notwendig auf Hilfe für mich denken mußte .
Selbst die Verzweiflung muß neue Kräfte sammeln , wenn sie das Herz nicht ganz zu brechen vermag , und ein Traum der Hoffnung ist dem siechen Gemüt die Schlummerstunde eines Kranken , eine Erholung der Natur zu neuem Leiden .
Einige Tage gingen so hin , als eines Abends ein paar gleichgültige gute Geschöpfe , die ich nicht ungern sah , auf meinem Zimmer versammelt waren .
96 Neuigkeiten waren der Gegenstand des Gesprächs , als eine unter ihnen mit der größten Unbefangenheit erzählte : der liebenswürdige Herr von Hohenfels sei durch die Unvorsichtigkeit eines Jägers auf der Jagd erschossen worden ; seine Leute suchten den Täter überall auf in der bittersten Wut .
Ich sank ohnmächtig zur Erde , und als ich wieder zu mir selbst kam , fand ich mich in der fürchterlichsten Zerstörung .
Der einzige Gedanke , in dem sich mein Wesen zu einem klaren Bewußtsein zu sammeln vermochte , war , mir den Tod zu geben .
Schon hielt ich ein Federmesser , welches ich mir während einer Unachtsamkeit meiner Wächter verschafft 97 hatte , in der Hand , als es mir im Gefühl des kleinen Wesens , welches meinem schmerzlichen Dasein entkeimte , wieder entsank .
Ich sah niemand als meine Leute und den Arzt um mich her , und blieb mir selbst und meinem grenzenlosen Schmerz ganz überlassen .
Keine Träne des Mitleids linderte die Glut der schmerzlichen Verwirrung in meinem Inneren , und rief einen schwachen Laut des Lebens in mein Wesen zurück .
Nachdem ich einige Tage in diesem Zustande gelegen , erblickte ich Herrn von Nordheim unter den kalten toten Gestalten , die mich bisher umgaben .
Sein Anblick wirkte wie ein Lichtstrahl in ein dunkles Gewölbe , und rief mich ins wahre Leben zurück .
98 - Er war ein Freund meines Geliebten , und eine lebendige Gegenwart alles dessen , was wir verloren , ist nie ohne einen zarten Widerschein des entflohenen Glücks in irgend einer , dunklen Gegend in unserer Seele . -
Er nahte sich mir und sagte leise : Trösten Sie sich , Ihr Geliebter ist nicht tot !
Sie werden ihn wieder sehen .
Aber sprechen Sie gegen niemand über diese Entdeckung .
Meine Lebenskraft kehrte zurück .
Ich konnte den nächsten Tag vor meinen Eltern erscheinen , und mit Verwunderung bemerkte ich an ihrem Betragen , daß sie den ganzen Vorfall vergessen wollten .
Meine Mutter ließ mich Abends in ihr Cabinet rufen und sagte : 99 Ich habe dir vergeben , wende jetzt nur die möglichste Vorsichtigkeit an , um die unglücklichen Folgen deines Leichtsinns zu verbergen ; wenn es die Zeit fordert , werde ich dich entfernen .
Danke es der Vorsicht und deinem Vater , daß die Spuren deines Fehlers vertilgt werden können .
Nach einigen Tagen gab mir Herr von Nordheim einen Brief deines Vaters .
Er enthielt nur die Versicherung seines Wohlseins , die Bitte mich für jetzt allen Maßregeln meiner Eltern zu unterwerfen , und die Hoffnung , daß wir bald wieder vereint werden würden .
Herr von Nordheim schien das volle Vertrauen meines Vaters zu besit-100 Zähne .
Er sagte mir nur oft verstohlen einige Worte des Trostes , denen sein edler sicherer Blick eine sonderbar überzeugende Kraft gab .
Er bat meine Mutter , einige Tage auf seinem Landgut zuzubringen , und dort entdeckte er mir die ganze Lage meines Gemahls .
Schon längst hätten meine Eltern die Geschichte meiner heimlichen Heirat vernommen , doch sich noch immer mit der Hoffnung eines unsicheren Gerüchts getäuscht , bis mein Geständnis endlich alle Zweifel auflöste .
Unglücklicherweise , fuhr Herr von Nordheim fort , war in jenem entscheidenden Moment niemand als der Minister von C. um Ihren Vater , 101 der bei jeder , auch entfernt scheinenden Begebenheit , eine Beziehung auf seinen Eigennutz zu finden wußte , und diesem hellen Punkt jede andere Rücksicht unterordnete .
Daß Ihr Vater je in Ihre Heirat willigen sollte , war für ihn eine Un Möglichkeit .
Streng mußte er , nach seiner , durch lange Gewohnheit eisern gewordenen Vorstellung , diese Schmach seiner Ehre rächen , und alle Bande trennen , die den reinen Glanz seines Geschlechts verdunkelten .
Der Minister wurde von Ihrem Vater mit dem Auftrag an Hohenfels abgeschickt :
er müßte Deutschland auf eine unbestimmte Zeit verlassen , 102 jedes Recht auf Sie aufgeben , und um Ihnen Ihre volle Freiheit wiederzugeben , und Ihnen jede Hoffnung auf die Zukunft zu benehmen , müsse man Ihnen mit Wahrscheinlichkeit glaubend machen können , Hohenfels sei gestorben .
Öffentliche Entehrung , lebenslängliche Gefangenschaft würde Ihr Los sein , wenn Hohenfels nicht in diese Bedingungen willigte .
Hohenfels schrieb eilends an Ihre Schwester ; Sie war furchtsam gewor den durch das Betragen ihrer Eltern , und fürchtete Verdruß mit ihrem Gemahl , wenn die ganze Sache nicht unterdrückt würde .
Mit dem Anschauen des Glücks flieht so leicht auch der Mut der Freunde .
103 Hohenfels , der nur in dem Glück anderer lebte , hatte keinen Mut frei zu handeln , da der Ausgang höchst zweifelhaft war .
Er willigte in alles , um das Verderben seiner Geliebten zu verhüten .
Herr von C. erhielt als eine Nebensache von Hohenfels , daß sein Schwager , als Lehnsfolger seine Güter während seiner Abwesenheit administrieren sollte , und um dieses zu erhalten , hatte er die ganze Sache , die gewiß einer anderen Verhandlung fähig gewesen wäre , zu diesem Extrem geführt .
Vor einigen Wochen kam Ihr Gemahl bei mir an , und vertraute mir die ganze Geschichte .
Er bat mich , eilends nach D. zu reisen , um Sie von 104 dem falschen Gerücht seines Todes zu benachrichtigen .
Man war mir doch zuvorgekommen , und ich konnte den schon empfundenen Schmerz nur wieder heilen .
Herr von Nordheim gab mir einen Brief von meinem Gemahl .
Dieser hielt sich unter einem fremden Namen in einer benachbarten Reichsstadt auf , wo er in der größten Eingezogenheit lebte ; nur für meine Ruhe besorgt , sagte er mir , daß er in meiner Nähe bleiben würde , um die erste Gelegenheit zu ergreifen , wo er mich ohne Gefahr sehen könnte .
Er sagte mir nicht ein Wort über den Verlust seiner Güter und der wirksamen friedlichen Existenz , an welcher sein ganzes Gemüt hing , und suchte nur mich mit freundlichen Aussichten auf eine unsichere Zukunft zu trö 105 sten .
Vor der Hand bat er mich , den Frieden in meiner Familie mit jeder Aufopferung und um jeden Preis , zu erhalten .
Er würde mir in dem entscheidenden Moment nahe sein , um die Sorge für das geliebte kleine Wesen , die heiligste Blüte unserer Liebe , mit mir zu teilen .
Herr von Nordheim wachte seit diesem über das Geheimnis unserer Liebe ; in seinem Herzen ruhte unser Schicksal , und wir empfingen jede Zusammenkunft , jeden glücklichen Moment von seiner Hand .
Sein sicherer Blick in alle Verhältnisse wachte über unsere Unachtsamkeit .
Er und Hohenfels suchten mich mit sanften Tröstungen bis zu meiner Niederkunft hinzuhalten , und Frau von Nordheim , die auch in unser 106 Geheimnis gezogen wurde , versprach , da sie das Vertrauen meiner Mutter besaß , es bei dieser dahin zu bringen , ihr die Sorge für mich und für die notwendigen Maßregeln bei dieser Gelegenheit ganz allein zu übertragen .
Wie bitter täuschte das Schicksal , oder die kalte Politik meiner Mutter , die mit allen wahren Verhältnissen spielte , meine freundlichen Erwartungen !
Kurz vor meiner Niederkunft ( denn jede Bitte , mich früher zu entfernen , blieb unerhört ) ließ mich meine Mutter entlegenere Zimmer des Schlosses beziehen , und übergab mich der Wartung einer alten Hofmeisterin , und 107 einem Arzt , der ihr ganzes Vertrauen besaß .
Meine Mutter selbst war in den entscheidenden Augenblicken gegenwärtig .
Wie unaussprechlich reich belohnt für jede Sorge , jeden Schmerz fühlte ich mich durch deinen ersten Anblick , mein geliebtes Kind !
Ein neues , reineres Dasein bewegte die Elemente meines Lebens .
Stärker fühlte ich mich von der Natur umschlungen , und reicheren verdoppelten Sinns , sie in ihrer Endlosigkeit zu fassen .
Jeder Kampf dünkte mir ein leichtes Spiel ; so erhöhte das geliebte kleine Wesen jedes Gefühl meiner Kraft .
Wenige Stunden hattest du an meiner Brust geschlummert , als meine 108 Mutter befahl , dich , aus Schonung für meine durch die Niederkunft erschöpften Kräfte , in ein entfernteres Zimmer zu bringen .
Noch einen Kuß drückte ich auf deine Stirn , als man dich schlummernd von mir trug : - es war der letzte .
Als ich dich den nächsten Morgen zu sehen begehrte , antwortete man verlegen : das Kind sei nicht ganz wohl .
Bald erschien meine Mutter und verkündigte mir deinen Tod .
Auf meine Tränen , auf meine verzweiflungsvollen Klagen , gab sie mir die kalte Antwort :
Die Zeit wird dich lehren , der Vorsicht zu danken , daß sie jede Spur 109 deines Fehlers vertilgte .
Dem armen kleinen Geschöpf ist wohl !
Meine Mutter war gütiger als jemals gegen mich .
Sie glaubte meinen Ruf jetzt ganz gerettet , und ich genoß aller Freiheit , die ich nur wünschen konnte .
Um meine Heiterkeit wieder herzustellen , machte sie mir selbst Gelegenheit , viel mit der Nordheimischen Familie zu leben .
Mit welchem Schmerz umarmte ich deinen Vater , bei unserer nächsten Zusammenkunft !
Ein unerschöpfliches Meer von Genuß und Leiden lag in meinem Busen , und das Bild meines Kindes , die wenigen Stunden , wo ich mich des süßen 110 Geschöpfs gefreut , verdrängten die Erinnerungen meines ganzen vergangenen Lebens .
Mein innigster Wunsch war , daß mein Gemahl seines Anschauens auch nur für einen Moment genossen haben möchte .
Ich fühlte eine neue Kraft zum Leiden in mir , nachdem ich die stärksten Gefühle meiner Natur durchlaufen , und die ganze Tiefe meines Wesens in Freude und Schmerz kennen gelernt hatte .
Ich selbst drang in deinen Vater , Reisen in entfernte Länder zu unternehmen , um sich aus dem ängstlichen Zustand zu befreien , worin er seit unserer Verbindung lebte .
Er reiste , und besuchte mich alle Jahre auf we 111 nige Tage .
Die Sehnsucht verzehrte mich , ich lebte aufs neue nur in Erinnerungen , und es schien gleichsam als habe die Natur mich durch den Reichtum des inneren Lebens für jedes Entbehren , das mir die schwere Hand des Schicksals auflegte , schadlos halten wollen .
Die Schwermut , die aus dem stäten Rückblick in sich selbst entsteht , und meine wankende Gesundheit , hatten meine Eltern von jedem Gedanken , mich zu verheiraten , zurückgebracht , und ich war wenigstens vor neuen Verfolgungen und gewaltsamen Szenen sicher .
Während der Abwesenheit meines Gemahls , verloren wir unseren ver112 trauten Freund , den Beschützer unserer Liebe , Herrn von Nordheim ; seine Gemahlin war kurz vor ihm gestorben .
Ich empfing durch Theresa folgendes Billet von ihm ; es war kurz vor seinem Tode , mit zitternder Hand geschrieben :
» Für Sie , gutes unglückliches Paar , hätte ich gewünscht noch länger zu leben .
Ich fand mich verpflichtet , da mich der Tod übereilt , meinem Sohn einige Dinge zu entdecken , die in der Folge sehr wichtig werden können , und die Hohenfels Güter betreffen .
Ihre Verbindung weiß er nicht , diese ist Ihr Geheimniß. 113 Ich sage es mit freudigem Herzen , indem ich diese Welt verlasse : meine Freunde gewinnen mehr an meinem Sohn , als sie an mir verlieren . «
Ich hörte von dem jungen Nordheim als von dem edelsten , liebenswürdigsten Manne sprechen .
Ich bat meinen Gemahl bei seiner Zurückkunft sich gegen ihn zu eröffnen ; aber er schien keine Neigung dazu zu haben , und antwortete mir immer :
Die Zeit ist noch nicht gekommen , wir können jetzt nur schweigen und dulden .
Auch meine Mutter starb in dieser Zeit , und nach ihrem Tode erlangte ich von meinem Vater , daß meine Freundin Therese bei mir leben durfte .
Er schien von vielen kleinen Zügen jener Begebenheiten nicht unterrichtet 114 zu sein , und wußte vielleicht nicht , daß Therese einen Anteil daran genommen hatte .
Herr von Salm hatte mit Hohenfels vermeintem Tode was er wünschte erreicht , und bezeigte sich gegen mich sehr gefällig .
Therese half mir jetzt bei dem Briefwechsel , und den Zusammenkünften mit meinem Gemahl , und wir konnten weiterer Hilfe entbehren .
Nordheim lebte in entfernten Gegenden , und dein Vater hatte durch sein trauriges Verhältnis , das ihn zur Zurückhaltung zwang , auch von seinem Glauben an die Menschheit verloren .
Meine Mutter hatte mich immer von meiner Schwester entfernt gehal-115 ten , und diese hatte ihre Vergebung niemals erhalten können .
Tiefes eigenes Leiden hatte die letztere von der anhaltenden Aufmerksamkeit auf mein Schicksal abgebracht , und als ich sie nach dem Tode meiner Mutter wiedersah , fand ich sie so verändert und mutlos , daß ich eine Vertraulichkeit für keine von uns Beiden ratsam fand .
Sie Maß dem allgemeinen Gerücht von Hohenfels Tode natürlich Glauben bei , und der Aussage meiner Mutter nach , glaubte sie wie ich auch , mein Kind sei gestorben .
Sie beobachtete ein tiefes Stillschweigen über die Vergangenheit , und so wurde es auch mir leichter , mein Herz , dessen volles Vertrauen sie 116 noch immer besaß , gegen sie zu verbergen .
Mein Gemahl hatte seit der Zurückkunft von seinen Reisen den Ort seines Aufenthaltes oft gewechselt .
Seit dem Tode unseres Freundes waren unsere Zusammenkünfte mit größeren Schwierigkeiten verbunden .
Mit dem tätigen heiteren Leben deines Vaters , entflog der jugendliche Mut .
Aus zärtlicher Besorgnis für mich , deren Leben daran hing , in seiner Nähe zu sein , ihn oft zu sehen , unterwarf er sich der peinigendsten Vorsichtigkeit .
Aus Furcht , auf einen Verräter oder Unvorsichtigen zu stoßen , entbehrte er allen Umgang , und sein schönes Gemüt , das nur 117 in Mitteilung und wohlwollender Liebe gelebt hatte , bekam gleichsam im Überfluß der zurückgedrängten Lebenskraft , eine Unruhe , die sich oft in beinahe phantastische Menschenscheue verwandelte .
Die Malerei war seine einzige Beschäftigung , aber sein ganzes Wesen , das nach lebendigem Wirken hinstrebte , fand mehr eine Trösterin , als eine freundliche liebevolle Gesellin in dieser Kunst .
So verstrichen die Jahre .
Der Zustand meines Gemahls schmerzte mich tief , und ein innerer Vorwurf , sein friedliches schönes Leben unterbrochen zu haben , erwachte immer stärker in meinem Herzen , je mehr mir alle 118 Verhältnisse des Lebens aus dem Schleier jugendlicher Täuschung hervortraten .
Ich erkannte nur zu sehr , daß es für ein zartes Gemüt unbezwingliche Hydern auf dem Wege zur Glückseligkeit gibt .
Aller sanfte Trost deines Vaters war vergebens , nachdem ich einen klaren Blick ins Leben getan hatte .
Ich sah , so wie viele andere , erst , nachdem ich durch Irrwege auf den Gipfel des Berges gekommen war , die bessere Straße ; und das Gefühl , ein inniggeliebtes Wesen von der ebenen heiteren Bahn des Glücks , in Dunkelheit und Verworrenheit gezogen 119 zu haben , wurde zum immer regen , nagenden Schmerz in meinem Busen .
Als mein Gemahl während einer unserer geheimen Zusammenkünfte alles versucht hatte , um mich durch die heitersten Ansichten unseres Schicksals zu beruhigen , und ich dennoch weinend an seine Brust sank , erhob er mich sanft , und blickte mir mit himmlischer Heiterkeit ins Auge .
Nun wohl , so laß auch unser Leben voll schmerzlicher Entbehrungen sein ; unserer Liebe entblühte ein Wesen , reich an tausend schönen Kräften , des reinsten klarsten Daseins fähig .
Du hast eine Tochter , in ihr laß uns leben und genießen .
- Mein starrer , auf deinen Vater gehefteter Blick , suchte den Sinn dieser Rede zu ergründen ; noch wagte mein Herz nicht , sich in Hoffnung zu er120 heben .
Deine Tochter lebt ! sagte dein Vater , indem er mich an seinen Busen drückte .
Verzeih , daß ich dir es bis jetzt verbergen konnte ; ich nahm dir ein unaussprechliches Glück , aber welche Unruhe , welche schmerzliche Sorge nahm ich dir nicht zugleich !
Ich glaubte , wie du , ein ganzes Jahr hindurch der Nachricht von dem Tode unseres Kindes .
Auch Nordheims waren davon überzeugt .
Du weißt , wie mein sonderbares Leben mich oft und am liebsten an die entlegensten Orte führte .
So kam ich bei meiner ersten Rückreise aus Italien , Abends an einen einsamen Pachthof unweit D. an .
Ein junges Weib saß vor der Haustür , und hielt zwei Kinder auf ihrem Schoße , 121 die sie wechselnd säugte .
Ich fragte : Sind diese Kinder Zwillinge ?
Sie antwortete errötend :
» Ja . «
Ich spielte mit den Kindern , von denen das eine eine entzückende Bildung hatte ; hohe reine Formen leuchteten aus der lieblichen Fülle der Kindheit hervor , und schon lag in dem Blick der großen blauen Augen eine gewisse süße Bedeutung .
Ich war verloren in dem Anschauen des holden Geschöpfs , als die Frau einen lauten Schrei tat , die zwei Kinder unter die Arme faßte , und der Haustür zurannte .
Ein Stier hatte sich aus den Ställen losgemacht , und lief wütend auf dem kleinen , rings verschlossenen Hofplatz umher . 122 Die Haustür hatte sich unglücklicher Weise beim Zuschlagen verschlossen .
Ich nahm meinen Stock , stellte mich vor die Frau , und suchte sie so zu verteidigen .
Aber der Schrecken nahm ihr die Besinnungskraft ; sie setzte das schöne Kind auf einen Pfeiler neben der Haustür , wo es im Augenblick herabstürzen mußte , und sprang mit dem anderen nach einer kleinen Tür in der Ecke des Hofes .
Als ich mich wendete , das Kind zu fassen , wollte der Stier gerade auf dasselbe losstoßen .
Lächelnd streckte das kleine Geschöpf die Händchen nach den Hörnern des Stiers aus , als wären diese Werkzeuge seines Todes ein unschuldiges Spielzeug .
Ich hatte das Kind in meinen linken Arm 123 gefaßt , und gab dem Stier mit dem rechten einen derben Schlag zwischen die Hörner , daß er zurückprallte .
Die Knechte waren herbeigekommen , das wütende Tier wurde eingefangen , und als ich mich nach der Frau umsah , fand ich sie in der Ecke des Hofes vor ihrem Kinde kniend .
Ich überreichte ihr die Kleine , die ich gerettet hatte .
Sie warf einen freundlichen Blick auf sie , aber alle ihre Zärtlichkeit und Unruhe schien einzig auf das andere Kind gerichtet zu sein .
Diese Sonderbarkeit in dem Betragen der sonst gutmütigen Frau fiel 124 mir auf , um so mehr , da ich einen herzlichen Anteil an dem Kinde nahm , das viel schöner und liebenswürdiger war , als der Liebling der Mutter .
Ich übernachtete in dem Hause , und brachte den Abend unter der Familie zu .
In Gegenwart des Vaters bemerkte ich die Kälte der Mutter gegen das liebliche Geschöpf , welches auf meinem Schoße ruhte , und machte ihr sanfte Vorwürfe darüber .
- Sie errötete und wurde höchst verlegen .
Warum willst du dem Herrn , der es so gut mit uns meint , eine Unwahrheit sagen ? fiel der Mann ein : es ist nicht unser Kind . 125 Die Leute wurden immer treuherziger , und ich erfuhr nach und nach so viel , daß das Kind von einem vornehmen Herrn aus D. in ihre Verwahrung gegeben worden sei , daß man ein großes Jahrgeld dafür bezahle , und sich die tiefste Verschwiegenheit ausbedungen habe .
Um sich gegen jeden Fremden aus der Verlegenheit zu ziehen , ließen die Leute das Kind für die Zwillingsschwester ihres eigenen Kindes gelten .
Ich erkundigte mich genau nach der Zeit , in welcher sie das Kind bekommen , und mit sonderbaren Bewegungen hörte ich den Tag nennen , an welchem das unsere gestorben war .
Es fiel mir jetzt gleich einem Schleier von dem Gesicht der holden Kleinen ; ich sah deine Züge in an 126 mutiger Verjüngung , dein Lächeln , deine Minen .
Ich wagte es nicht zu hoffen , aber ich genoß gleich eines holden Morgentraumes dieser Erscheinung .
Ich fragte nach allen Umständen , und erkannte in einer genauen Bezeichnung der Person , welche diesen Leuten das Kind übergeben , die alte Hofmeisterin , welche um dich war .
Ich eilte Herrn von Nordheim meine Begebenheiten zu erzählen .
Er dachte einige Minuten lang nach , und sagte :
ich finde Ihre Mutmaßungen nicht ganz unwahrscheinlich ; aber Ihrer Gemahlin kein Wort davon , auch wenn wir der Sache auf die Spur kommen sollten . 127 Ihr Herz hat sich jetzt an den Schmerz des Verlustes gewöhnt , und die Unruhe des Besitzes und der notwendigen Entfernung ihres Kindes würde ihr Gemüt nur in neue Stürme aufregen .
Er kannte alle Personen und Verhältnisse in D. und in kurzem , umarmte er mich , und brachte mir die freudige Nachricht , das holde kleine Geschöpf , zu dem die geheime Kraft der Natur mich hingezogen , sei meine Tochter .
Herr von Nordheim verschaffte den Leuten auf dem Pachthof eine bessere Pachtung , und entfernte sie aus der Gegend .
Bald gelang es uns , durch Geld und Vorstellungen das Kind von ihnen zu bekommen .
128 Wie reich fühlte ich mich im Besitz des lieben Geschöpfs , und wie viel kostete es mir , dir die Freude vorzuenthalten !
Aber ich fühlte zu sehr , daß der Rat meines Freundes mit der Klugheit übereinstimmte .
Erst nach dem Tode deines Vaters sollte Agnes dir übergeben werden , nichts zwang dich dann bei dem Aufenthalt in einem fremden Lande , sie wieder von dir zu entfernen .
Ich wollte dir ein reines Glück aufbewahren .
Mein unsteter Aufenthalt , meine schnellen Reisen , erlaubten mir nicht Agnes bei mir zu behalten , und wem sollte ich sie mit mehr Ruhe anvertrauen , als meinem vortrefflichen Prediger zu Hohenfels !
129 Ich kannte sein edles Gemüt , und die Allmacht seines Geistes auf menschliche Bildung zu wirken .
Ich hatte noch einen Freund unweit Hohenfels , welcher Arzt in einem kleinen Städtchen war .
Er hatte als Feldarzt mehrere Feldzüge mitgemacht , und in den mannigfachsten , oft höchst verworrenen Verhältnissen , in denen er gelebt , solch eine Kraft des Charakters in sich entwickelt , die ihn in dem vollkommensten stoischen Gleichmut erhielt .
Er lebte nur der Übung seiner Kunst , ohne Familien- oder irgend einer anderen nahen Verbindung .
Wo es auf Liebe und Mitempfindung ankam , war der Prediger mein erster Freund ; wo es nur Rat , kalte Besonnenheit , 130 und den sicheren Überblick der Verhältnisse galt , da nahm ich meine Zuflucht zu dem Arzt .
Auch jetzt entdeckte ich ihm mein ganzes Verhältnis .
Wir beschlossen , die reine einfache Seele des Predigers nicht mit einem Geheimnis zu belasten , das ihn oft in Verwirrung setzen , und zu Unwahrheiten nötigen konnte , denen sein himmlisch-reiner Sinn sich nur mit schmerzlicher Verwirrung unterzogen hätte .
Ich war seiner Liebe , seiner zartesten Sorge für Agnes gewiß , und unter dem Druck der Meinungen und Vorurteile , die mein Leben so fürchterlich zerstört hatten , war es mir ein wohltätiges Gefühl , mein Kind entfernt von allen künstlichen Schranken der Gesellschaft zu halten , und nur durch 131 Wahrheit und Natur die Kraft seines Herzens entwickelt zu sehen .
Meine Tochter sollte alles durch sich selbst zu erreichen vermögen , was den wahren Wert des Lebens ausmacht , und die unsicheren Geschenke des Glückes sollten weder durch ihren Genuß noch ihr Entbehren ihr besseres Wesen aus seinem Gleichgewicht zu bringen vermögen .
Oft hatte es der Prediger bereut , nicht in früheren Jahren geheiratet zu haben , um jetzt in seinen Kindern wieder aufzuleben .
Ich gebe ihm eine Tochter , sagte ich dem Arzt , und wie groß wird seine Freude sein , wenn er einst die unaussprechliche Dankbarkeit seines 132 Freundes empfinden wird !
Der Arzt selbst trug das Kind eines Abends in der Dämmerung zum Hause des Predigers .
Er sagte ihm , daß er ihm ein Kind , welches durch sonderbare Umstände hülflos geworden sei , übergäbe , um es als sein eigenes zu erziehen ; die kleinen Ausgaben , die es veranlasse , wolle er mit ihm teilen .
Der Prediger sei durch die Schönheit und den sanften Ausdruck des Kindes so gerührt worden , daß er es sogleich aus Liebe und Neigung aufgenommen habe .
Um die Neugierigen von jeder Spur zu entfernen , wurde ausgemacht , 133 daß Agnes für des Predigers Bruderstochter gelten sollte .
So wuchs unsere Tochter .
Kein Kind genoß je einer liebevolleren Sorgfalt .
In des Arztes Hause sah ich Agnes zuweilen unbemerkt , und die Erinnerung der lieben Gestalt begleitete mich wie ein guter Genius .
Sechzehn Jahre waren so verstrichen , als der schnelle , ganz unvorgesehene Tod des Arztes mich in die größte Unruhe setzte , indem ich gezwungen wurde , auf andere Maßregeln zu denken .
Ich finde keinen Menschen in der Gegend von Hohenfels , den es ratsam wäre in unser Vertrauen zu ziehen ; ich muß dort , der Salmschen 134 Familie wegen , die größte Vorsichtigkeit beobachten .
- Und sollen wir so ganz geschieden von jeder Erscheinung , jeder Spur des nächsten liebsten Wesens , unsere Tage vertrauern ?
Selbst wenn wir dieses Opfer bringen wollten , so zwingen uns doch die übrigen Verhältnisse zu einem verschiedenen Betragen .
- Ich umarmte meinen Gemahl mit einem neuen unaussprechlichen Gefühl , nach dieser Erzählung .
Dein geliebtes Bild , meine Agnes , war zwischen uns , und läuterte unsere Wesen , gleich einer reinen Flamme , zu einem neuen heiligeren Dasein .
Wir durchflogen tausend Plane , um dich in unsere Nähe zu bringen , aber immer war ihre Ausführung mit Schwierigkeiten verbunden , die uns 135 Schrecken einflößten .
Eine Veränderung mußte vorgenommen werden ; hätten wir auch unser eigenes Glück aufopfern wollen , so waren die Umstände an sich dringend .
Du warst in dem Alter , um an die Zukunft denken zu müssen .
Der Prediger war alt , und seine zärtliche Liebe für dich mußte tausend Sorgen erzeugen .
Er hatte von dem Arzt nur kleine Summen angenommen , und aus Liebe für dich alles allein tragen wollen , da er zumal wußte , daß der Arzt selbst nicht wohlhabend war .
Mein Gemahl hatte es bis jetzt geschehen lassen , weil er dich selbst gern zur Unabhängigkeit von allen äußeren Dingen gewöhnt sehen mochte , und wußte , daß er es für die Zukunft in 136 seiner Hand hatte , dem Pfarrer alles zu vergüten .
Aber jetzt , da der Tod des Arztes dich ganz von deinem Vater trennte , und er auch keinen außerordentlichen Schritt tun mochte , welcher zu sonderbaren Kombinationen hätte Anlaß geben können , jetzt waren wir deinetwegen in der größten Verlegenheit .
Mein Vater lag in dieser Zeit an einer gefährlichen , von den Ärzten unheilbar geachteten Krankheit danieder .
Sein Tod veränderte alle Verhältnisse für uns , und wir beschlossen den Ausgang dieser Krankheit abzuwarten , ehe wir eine Veränderung in deiner Lage unternähmen .
137 In dieser Zeit begegnete dir mein Gemahl auf deiner ganz unerwarteten Reise nach D. Natürlich hatte dein Pflegevater nach dem Tode des Arztes , von welchem er doch noch eine Aufklärung deines Schicksals erwarten konnte , die Gelegenheit ergriffen , um dich in eine bessere Lage zu versetzen .
Ich nahm diesen Zufall , der dich ohne unser Mitwirken in unsere Nähe brachte , für einen gütigen Wink des Schicksals an .
Ich kannte die Gräfin als eine gebildete kluge Frau , man sprach von ihrer Heirat mit Nordheim , und das Vertrauen , welches mir die letzten Worte des Vaters gegen den Sohn einflößten , beruhigte mich über alle weitere Folgen .
138 Meine .
Sehnsucht nach dir , die nur den Moment ihrer Befriedigung sah , stellte alle diese Gründe in das günstigste Licht .
Dein Vater sagte mir : Agnes fühlt tief , aber still ; die Kräfte ihres Herzens und Geistes stehen in einem schönen Verhältnis , und nach einigen Jahren der Welterfahrung , wird sie die Kunst erlernen , allen Schlingen der Arglist mit ihrem hohen sicheren Blick , und einer feinen Gewandtheit des Betragens zu entgehen .
Wir entdecken ihr dann unser ganzes Schicksal , und du genießest vielleicht das Glück sie immer um dich zu sehen .
Der lange Zeitraum , in welchem ich das Vertrauen meines Vaters wieder zu genießen schien , machte uns zu kühn .
Er schien alles vergessen zu 139 haben , wenigstens empfing ich kein Zeichen des Mißtrauens von ihm , und nie hatte er ja mein Herz gegen sich eröffnet , weil das seine , ewig verschlossen , nur eine starre Kälte um sich her ergoß .
Ich vermied anfänglich , dich vor der Welt zu sehen , weil ich mein Herz zu verraten fürchtete ; aber bald überflog meine Ungeduld alle Schranken .
Meine Freundin , meine einzige Vertraute , hatte sich an einem entfernten Ort verheiratet , und mein Gemahl wagte jetzt selbst nach D. zu kommen ; da auch meine Gesundheit aufs neue harte Anfälle litt . 140 Die Zeit hatte seine ganze Gestalt verändert , und er hatte die Fertigkeit angenommen , seinem Betragen tausend wechselnde Formen zu geben .
Bald gab mein Gemahl meinen dringenden Bitten nach , die Sehnsucht rieb meine Lebenskräfte auf , er mußte oft fürchten , daß ich aus der Welt gehen müßte ohne meine Tochter umarmt zu haben , und bald veranstaltete er unsere erste Zusammenkunft .
Nach dieser durfte ich_es wagen , dich vor fremden Augen zu sehen .
Welchen Kampf kostete es mir , dir kalt und fremd zu begegnen !
Aber welchen süßen Genuß fand mein Herz im Anschauen deines liebenswürdi141 gen Wesens !
Jedes Herz fühlte sich von zärtlicher Teilnahme und süßem Verlangen in deiner Nahe ergriffen .
Mein Bruder liebte dich mit Leidenschaft Selbst die kalte Brust meines Vaters schien ein sanfter Zug der Natur mit Liebe für dich zu beleben .
Oft ergriff mich ein beinahe unwiderstehliches Verlangen , das tiefe Geheimnis meines Herzens an das seine zu legen , wenn ich ihn dir freundlich zulächeln sah , aber die Furcht lähmte meine Zunge .
Ich bemerkte , wie sehr Julius Alban dich liebte , ich wünschte dein Schicksal durch eine Heirat mit ihm bestimmt zu sehen , es konnte in der engen Verbindung mit solch einem reinen , treuen Gemüt nicht an 142 des als glücklich sein ; aber bald entdeckte ich durch dein eigenes Geständnis deine vorgefaßte Neigung .
Dein Vater fühlte die ganze Gewalt hoffnungsloser Leidenschaft in deinem Busen .
Er fand dich durch dieses allgewaltige Gefühl so schnell in die Mittagshöhe des Lebens versetzt , fand dein ganzes Wesen solch einer Energie fähig , um das Geheimnis unseres Schicksals zu tragen .
Jener Abend , den die Arglist des Ministers zu unserem Untergang ausersehen hatte , war für die schönsten Genüsse der Liebe und des Vertrauens bestimmt .
Ich erwartete sehnsuchtsvoll meinen Geliebten in meinem einsamen 143 Zimmer . Euer längeres Außenbleiben ängstigte mich schon , als ich den fürchterlichsten Lärm auf dem Hofe hörte .
Ich ging an ein verborgenes Fenster , sah euren Wagen mit Lichtern umgeben , hörte schießen , und sank ohnmächtig zurück .
Meine Kammerfrauen hörten den Fall , und kamen mich zu Bett zu bringen .
Als ich meine Kräfte nach wenigen Stunden wieder gewonnen , wollte ich nach der Stadt fahren .
Meine Leute waren verstört und stumm , und meine Befehle , vorzufahren , blieben unerfüllt .
Ungeduldig über das lange Zögern , drang ich auf eine Antwort .
Meine Kammerfrau fiel mir weinend zu Füßen , und sagte mir :
man dürfte mich nach dem Befehl meines Vaters nicht nach der Stadt fahren , und überhaupt 144 nicht aus dem Schlosse lassen .
Ein Raub der bangsten Unruhe , der seelen-zerreißendsten Furcht , verlebte ich zwei der schrecklichsten Stunden meines Lebens .
Mein Gemahl hatte mehr als gewöhnliche Besorgnisse bei den Veranstaltungen zu unserer letzten Zusammenkunft geäußert .
Jedes Wort , jeder kleine , vorher übersehene Umstand trat jetzt ins klarste Licht meines Gemüts , und meine Angst vermehrte sich mit jedem Augenblick .
Endlich kam mein Bruder , und sein Anblick verscheuchte die Furie der Ungewißheit , die fürchterlichste von allen , aus meiner Einbildung .
145 Ich vernahm , daß mein Gemahl und meine Agnes außer Gefahr wären .
Sonst hatte er mir nur traurige Wahrheiten zu verkündigen ; aber alles wirkliche Übel erscheint uns doch sogleich begrenzt , und ruft unseren Mut wieder zum Kampf , der unter den Riesengestalten der Fantasie erlag .
Mein Bruder machte mir sanfte Vorwürfe , ihm mein Vertrauen nicht früher gegönnt zu haben , und enträtselte mir hernach die Begebenheiten der letzten Nacht , und ihre Veranlassungen .
Der Minister war der erste , welcher meinen Vater mit der Eröffnung deiner Verhältnisse überraschte , sagte mir mein Bruder .
In der ersten 146 Aufwallung des Unwillens zog mich mein Vater in die Vertraulichkeit .
Der Minister schien es ungern zu sehen , weil er meine Freundschaft für dich kennt , und mir überhaupt nicht recht traut .
Auch bewog er meinen Vater , mir seine ferneren Maßregeln geheim zu halten .
Aus verschiedenen Gesprächen mit dem Minister , aus den verlegenen Antworten , welche ich ihm oft durch unerwartete schnelle Fragen entlockte , konnte ich mir ungefähr zusammensetzen , auf welche Art er selbst zu seinen Entdeckungen gekommen war .
Nach dem , was mir mein Bruder ferner hierüber angab , und welches ich mit meiner eigenen Kenntnis der Verhältnisse und Charaktere verband , 147 schlossen wir auf folgenden Zusammenhäng :
Der Herr von Salm in Hohenfels hatte bei dem lebhaftesten Interesse an der Entfernung meines Gemahls , auch den schärfsten Blick auf unser Verhältnis .
Jeden unrechtmäßigen Besitz umwinden die Schlangen des Verdachts und der Furcht .
Herr von Salm hatte durch Nachforschungen in der Gegend bald entdeckt , daß der Fremde , welcher sich bei dem Prediger aufgehalten , Herr von Nordheim war .
Die Freundschaft meines Gemahls mit der Nordhei 148 mischen Familie war ihm nicht unbekannt , und Nordheims besonderer Anteil an Agnes , welcher ihm durch tausend kleine Umstände zu Ohren kam , daß man sogar von einer Heirat sprach , dieses alles erweckte seine Besorgnisse .
Die Neugierde trug sich schon längst mit verschiedenen Gerüchten über Agnes Geburt , zu denen die Aussage eines alten Bedienten des verstorbenen Arztes den ersten Stoff gegeben .
Dieser Mensch hatte nämlich ausgesagt , Agnes sei nicht die Bruderstochter des Predigers .
Man legte sich jetzt aufs weitere Nachforschen bei dem alten Bedienten .
Zum Glück hatte sein Herr seine Geheimnisse wohl zu verwahren gewußt ; 149 doch erfuhr man : daß Agnes , als einjähriges Kind , durch einen fremden Mann erst in des Arztes Haus gebracht worden sei , und dieser sie hernach dem Prediger übergeben habe .
Die Furcht , welche der Ungerechtigkeit unzertrennliche Begleiterin ist , gab allen diesen ausschweifenden Gerüchten eine feste Gestalt im Gemüt des Herrn von Salm .
Agnes Abreise von Hohenfels gab von neuem Stoff zu den sonderbarsten Mutmaßungen .
Herr von Salm schrieb an seinen Schwager über seine gemachten Ent Deckungen .
Alles was Intrige hieß , hatte einen natürlichen Reiz für den alten Minister , und die krummen Wege , zu denen ein geheimes Verhältnis 150 zwingt , entgingen seinem geübten Blick weniger , als die gerade einfache Straße , auf welcher die Unbefangenheit wandelt .
Er selbst hatte auf der Fürstin Befehl , die kleine Agnes den Leuten auf dem Pachthof übergeben lassen , und hatte nach der Veränderung ihres Aufenthaltes , die Nachricht von dem Tode des Kindes von ihnen empfangen .
Wir hatten diesen Ausweg selbst an die Hand gegeben , weil er allen Nachforschungen am besten Einhalt tat .
Der Minister lockte die Leute durch große Versprechungen zu sich , und es war ihm ein Leichtes , ihre gutmütige Treuherzigkeit in die 151 Schlinge seiner List zu ziehen .
Er erfuhr jetzt , daß ein Fremder und der verstorbene Herr von Nordheim sie überredet hatten , ihnen das Kind zu überlassen .
Agnes , welche sogleich die allgemeine Aufmerksamkeit in D. erregte , wurde von dem Minister genau beobachtet .
Er kam unserer ersten Zusammenkunft auf die Spur , und die sonderbare Gestalt des Malers , welcher zuweilen in D. erschien , und so vertraut mit Agnes war , erregte seine ganze Aufmerksamkeit .
In kurzem blieb ihm kein Zweifel mehr übrig .
Er überraschte den Fürsten vor wenigen Tagen mit der Entdeckung : daß Hohenfels gegenwärtig in D. sei , daß wir beide Mittel gefunden hätten , unser Kind aus den Händen der Leute wieder zu bekommen , denen 152 es meine verstorbene Mutter übergeben , und daß wir wahrscheinlich nur auf einen günstigen Zeitpunkt warteten , unsere Ehe für gültig zu erklären .
Mein Vater entbrannte natürlich im heftigsten Unwillen .
Nichts empört das Gemüt bitterer , als getäuschtes Vertrauen , und jeder Beweis der Güte , welchen mit mein Vater in den letzten Zeiten gegeben , entflammte jetzt seine Brust zum unversöhnlichsten Haß .
Er ließ meinen Bruder rufen , erzählte ihm die jetzigen Begebenheiten , und meine frühere Geschichte , von welcher mein Bruder nur schwankende Gerüchte vernommen , über die er mich selbst aus Feinheit nie befragen 153 mochte .
Jetzt beschwor mein Vater meinen Bruder und den Minister , auf Mittel zu sinnen , wie die Ehre seiner Familie zu schonen und zu rächen sei .
Der Verwegene muß sogleich entfernt werden ! sagte der Minister .
Mein Bruder widersprach ihm nicht , um das Vertrauen meines Vaters in der Sache zu gewinnen , und für mein Bestes handeln zu können .
Aber wo ist jenes Kind , fragte der Fürst : jener unglückselige Zeuge unserer Schande ?
Sie werden sich über die Kühnheit des Plans wundern , erwiderte der Minister .
Es lebt an Ihrem Hofe .
Die sogenannte Agnes von Lilien - 154 O Gott , rief der Fürst gerührt : warum hat das Mädchen keinen anderen Vater !
Mein Bruder baute auf diese Aufwallung der Natur in dem Herzen meines Vaters die schönsten Hoffnungen .
Aber der Minister wußte sie geschickt zu dämpfen , indem er Ehrgeiz und Unwillen wieder erregte , und in ihrer ersten Aufwallung meinem Vater einen Plan des Betragens in unserer Sache vorlegte .
Mein Vater war gewohnt , nur durch diesen Mann zu handeln .
Die Gewohnheit ist die Tyrannin leidenschaftsloser Gemüter , deren Ruhe nicht aus innerem Gleichgewicht , sondern aus Schlaffheit des Herzens 155 entsteht .
Mein Bruder fand den nächsten Tag meinen Vater nie allein , sondern immer in der Gesellschaft des Ministers .
Beide waren verschlossen , doch fand er noch immer in meinem Vater die stärkste Abneigung gegen alle gewaltsame Maßregeln , und hoffte , es würde vor der Hand nichts entscheidendes geschehen .
Auch der Minister schien zur Milde gestimmt zu sein , und zeigte besonders die größte Furcht vor dem Herrn von Nordheim .
Er wußte , wie frei dieser zu Werke ging , und hatte schon mehr als eine Beschämung durch ihn erfahren .
156 Nordheims lebhafte Teilnahme an deinem Schicksal war unverkennbar , sie mochte nun Zärtlichkeit oder allgemeines Wohlwollen zum Grunde haben .
Es war dem Minister , so wie jedem , der Nordheimen handeln gesehen , wohl bekannt , wie sicher jeder Unterdrückte auf seinen Schutz rechnen durfte , und seine Freunde ruhten vertrauungsvoll , wie unter der Ägide der Pallas , an seiner Brust .
Unabhängig durch seinen Charakter , seine Tapferkeit , den hellen Blick seines Geistes und seine äußere ganz freie Lage , war er der zuverlässigste Freund , aber ein furchtbarer Gegner .
157 Mein Vater selbst hatte eine an Furcht grenzende Achtung für ihn , und daß er auch hier seinen mächtig wirkenden Einfluß fürchtete , nahm ich an dem Befehl wahr , welchen er meinem Bruder gab , von der ganzen Geschichte nicht mit Nordheim zu sprechen .
Diesen Morgen , fuhr mein Bruder fort , kaum nach Tages Anbruch , ließ mich der Fürst rufen .
Ich fand ihn sehr bewegt , er schien ermattet nach einer heftigen Anspannung .
Mit zitternder Stimme befahl er mir , an seinem Bette niederzusitzen , und sagte :
Der Verführer deiner Schwester ist jetzt in meinen Händen in guter Verwahrung , und wir sind vor jedem unvorsichtigen Schritt sicher .
Ich ließ ihn gestern Abend , eben wie er zu 158 einer Zusammenkunft eilte , gefangen nehmen , und auf das Schloß ** bringen .
Er wagte es , sich gegen meine Leute zu verteidigen , und empfing eine zum Glück leichte Wunde .
Blut will ich nicht vergießen , sondern nur der verhaßten Aufführung deiner Schwester Einhalt tun .
Die Welt soll nicht mit Spott , gleich als auf einen weichherzigen Komödien-Vater auf mich deuten , welcher am Ende die Torheiten seiner Kinder durch seine Vergebung krönt .
Auch für die Kleine ist gesorgt , sie wird nicht wieder in dieser Gegend erscheinen , aber versorgt soll sie werden ; ich will dem Mädchen wohl , 159 und was kann das unschuldige Geschöpf für die Torheit seiner Eltern ?
Ich sende den jungen Herrn von Salm , den Neffen des Ministers , in besonderen Angelegenheiten nach Frankreich .
Agnes empfängt eine Aussteuer von mir , die ihre Hand wünschenswert machte , besäße sie auch keine weitere Vorzüge , und der junge Mann wird sich zur immerwähren den Entfernung aus seinem Vaterlande um diesen Preis gern verstehen , wie mir sein Oheim versichert .
Eile zu deiner Schwester und hinterbringe ihr diese Nachrichten , nebst meinem Befehl , sich von ihrem Schlosse nicht zu entfernen .
Nur der strengste Gehorsam kann ihr die Hoffnung auf meine Vergebung erhalten .
Mein Bruder tröstete mich mit den zärtlichsten Versicherungen , meinem 160 Gemahl die Freiheit bald wieder zu verschaffen , und meine Agnes solch einem verhaßten Geschick zu entziehen .
Er verließ mich beruhigt , und versprach mir jeden Tag Nachricht zu geben .
Sieh nun , bestes Kind , aus folgenden Briefen den Fortgang der Begebenheiten - die Lage deines Vaters - das Opfer welches man deinem Herzen abzwingen will - und das Unglück deiner Mutter . "
1. Der Prinz von * an seine Schwester .
" Als ich von dir zurück kam , liebste Schwester , erfuhr ich , Nordheim habe schon zweimal nach mir gefragt .
161 Nach wenigen Augenblicken kam er selbst .
Er grüßte mich ernsthafter als gewöhnlich .
Es war etwas schmerzlich Bewegtes in seinen Minen , welches mein Gemüt gewaltig ergriff .
Ich hatte ihn nie leidend gesehen , und der Schmerz welcher über seine edle Gestalt ergossen war , gab seinem ganzen Wesen gleichsam etwas überirdisches .
Ich fühlte die Gewalt einer regeren stärkeren Natur , die in ihrem inneren Leben gereizt , dennoch ihre Kraft unzerstreut und im schönsten Gleichgewicht empfand .
Er fragte mich sogleich , ob ich etwas um die Begebenheiten der letzten Nacht wisse ?
ob mir der Ort bekannt sei , wo man Agnes hingebracht ? 162 Ich hatte die besten Vorsätze gefaßt , das Vertrauen meines Vaters zu respektieren ; aber bei Nordheims geradem vertraulichem Benehmen , vor seinem Blick , der immer mein ganzes Herz zu durchschauen gewohnt war , entfiel mir aller Mut ihm etwas zu verbergen .
Gleichwohl vermochte ich zu sagen : Sein Sie unbesorgt um Agnes Schicksal , mein Freund , und beruhigen auch die Gräfin .
Agnes ist in sicheren achtungswerten Händen .
Verzeihen Sie , daß ich Ihnen nichts weiteres sage , es ist das Geheimnis meines Vaters .
Ihr Herz hat keinen Teil an der ganzen Begebenheit ? fragte mich 163 Nordheim .
Als ich diese Frage mit Nein beantwortet , sagte er :
Nun so eile ich , den Fürsten sogleich selbst zu befragen .
Es war mir lieb , dem Minister Nordheims tätigen Anteil an dieser Sache lebhaft fühlen zu lassen , und ich erwartete ein schonenderes Betragen gegen Hohenfels , wenn Nordheim in die ganze Verhandlung gezogen würde .
Diese Hoffnung war , so wie ich die Lage der Sachen damals einsah , nicht schimärisch .
Ich begleitete Nordheim zu meinem Vater , der eben mit dem Minister arbeitete .
Dieser zog sich höchst verlegen in ein Fenster zurück .
164 Ich komme , sagte Nordheim laut , Ihre Durchlaucht um Schutz zu bitten , gegen ein höchst sonderbares , unbegreifliches Benehmen .
Ein unschuldiges liebenswürdiges Mädchen wurde gestern gewaltsam ihren Freunden ent rissen .
Niemand hat ein stärkeres Recht sich dieser Beleidigung anzunehmen als ich , denn sie schenkte mir ihre Liebe , und ist seit gestern meine Verlobte .
Mein Vater geriet in die glühendste Verlegenheit , dennoch antwortete er nach wenig Augenblicken kalt und sicher :
Es sind gewisse Verhältnisse , Herr von Nordheim , eine sehr sonderbare Lage , welche mich bewogen hat , Agnes von Lilien unter meinen Schutz zu nehmen .
Was eine Verbin 165 dung mit ihr betrifft , so muß ich Sie bitten , diesen Plan aufzugeben .
Aufzugeben ? - sagte Nordheim mit zurückgehaltener Heftigkeit :
ich kenne nichts in der Welt welches mich hierzu nötigen könnte , so lange ich hoffen darf , das Glück meiner Geliebten zu machen .
Mein Vater wurde nun immer verlegener und verwirrter in seinen Antworten .
Nordheim bestand kühn darauf , von Agnes Aufenthalt unterrichtet zu werden , er zeigte ungemeine Gewandtheit des Geistes , und eherne Festigkeit des Willens in der ganzen Unterredung .
Gegen meinen Vater betrug er sich mit Schonung , aber der Minister bekam manchen drohenden Wink .
166 Alles ist demnach vergebens sagte er , indem er aufstand um Abschied zu nehmen .
Ich habe gezeigt , wie gern ich in den Grenzen der Mäßigung und schuldigen Achtung bleibe .
Aber jetzt werden mir Ihre Durchlaucht verzeihen , daß ich mich für ungebunden halte , alle Maßregeln zu ergreifen , die ich nur immer vor meinem eigenen Herzen verantworten kann .
Ich wollte Nordheim folgen , mein Vater hielt mich zurück .
Er überließ sich den heftigsten Ausbrüchen des Unwillens .
Der Minister wußte geschickt , durch seine angenommene Ruhe und Kälte , der Flamme nur noch_mehr Öl zuzugießen .
Mein Vater tat die fürchterlichsten Gelübde , durch welche schwache Charaktere immer ihren eigenen unrechtmäßigen Ent-167 Schlüssen Festigkeit zu geben suchen : nie würde er eine Verbindung zwischen Nordheim und Agnes zugeben . Nordheims höchst sicheres und festes Benehmen vermehrte die Furcht meines Vaters , das Geheimnis seiner Familie in seinen Händen zu sehen .
Alle Handlungen , deren Motive im Herzen zu suchen sind , liegen ganz außer dem Gesichtskreise meines Vaters ; und wenn er ein Interesse hat , sich solche zu erklären , so schiebt er natürlich falsche Bewegungsgründeunter .
Überdem gibt er den Verhältnissen des Standes und Ranges , die einmal seine Natur ausmachen , auch eine alles überwiegende Wichtigkeit .
Unbegreiflich wird es ihm dünken , daß Nordheim die Ansprüche auf 168 Agnes Geburt , nicht geltend machen , oder sie aus Liebe aufgeben könnte .
Mein Vater glaubt Nordheim von der ganzen Geschichte deiner Heirat durch seinen Vater unterrichtet ; fürchtet , daß das Recht , welches er dir selbst in gewissen Momenten zugestehen muß , durch Nordheims Kühnheit und höheren Geist geleitet , noch obsiegen , und dahin führen möchte , deine Verhältnisse vor der Welt bekannt zu machen .
Wie der Schwache jede Kraft fürchtet , deren Wirkungen er nicht zu ermessen vermag , so sieht er auch lauter Poltergeister um sich her .
Güte und Stärke sind die natürlichen Poltergeister eines schwachen Sinns .
169 Nordheims höheres Wesen fiel meinem Vater auf , als eine neue Erscheinung , welche seine Achtung erzwang .
Aber jetzt , da er selbst in Kollision mit jenem höheren reineren Gemüt tritt , verwandelt sich die Achtung in Furcht .
Die Furcht verwirrt den Verstand , und verhärtet das Herz .
Was bleibt uns zu tun und zu hoffen übrig ?
Unsere Agnes muß nicht aufgeopfert werden .
Ich vermag es nicht zu denken , das sanfte holde Geschöpf , das Schönheit und Wahrheit mit solch einem regen unverstimmbaren Sinn ergreift , sollte für immer an einen Toren gefesselt werden ?
Der junge Mensch ist herz- und geistlos .
Es wuchs mit Agnes auf , und der Onkel sprach gegen mich von einer Leiden-170 schafft , die er aus Gehorsam gegen seine Eltern unterdrückte , und die jetzt auf einmal in vollen Flammen auflodert .
Du weißt , was ich von dem denke , und daß ich gewisse Gesichter lieber vom Galgen und Rad , als von Liebe und Tugend reden höre .
Agnes muß gerettet werden ; aber daß mein Vater für Nordheim zu bewegen ist , daran zweifle ich .
Wir werden einen dritten Weg einschlagen müssen , auf welchem wir vielleicht leichter mit meinem Vater zusammentreffen .
Ich benutzte den ersten freien Augenblick , um zu Nordheim zu eilen .
171 Ich war entschlossen ihm alles zu entdecken , da ich den innigen Anteil seines Herzens für Agnes empfunden hatte , und mit ihm gemeinschaftliche Maßregeln zu nehmen ; aber er war schon abgereist .
Ich suchte die Gräfin auf , sie war unruhig und verschlossen , und wollte , oder wußte mit über Nordheims Aufenthalt nichts zu sagen .
Die kleine Bettina fiel mir im Vorzimmer zu Füßen und rief : Wenn Sie ein Herz haben , die Leiden der Trennung zu fühlen , so sagen Sie mir , wo ist meine Agnes ?
Morgen denke ich den Aufenthalt unserer Agnes zu erfahren .
Die Leute , 172 die ich auf Kundschaft ausgeschickt , müssen zurückkommen . "
2. " Hohenfels ist außer Gefahr , das Wundfieber war nur leicht , und ist jetzt schon vorüber .
Die Wunde ist im besten Zustand , und wir werden uns in kurzem seiner völligen Genesung erfreuen .
Man begegnet ihm gütig , aber übrigens wird er streng bewacht .
Er ist einem alten Offizier übergeben , der sich streng an die Befehle meines Vaters bindet , und von unbestechbarer Rechtschaffenheit ist .
In allem was nicht gegen seine Pflicht läuft , ist er mild und gefällig , und hat mir versprochen , Hohenfels mit der größten Aufmerksamkeit zu begegnen .
Beruhige dich also , liebe 173 Schwester , über Hohenfels Schicksal , welches an sich nicht unglücklich ist , und unverändert bleiben wird , wenn der Unwille meines Vaters nicht auf das neue gereizt wird .
Der Lauf der Natur erinnert mich an den Zeitpunkt , wo es in meiner Gewalt stehen wird , jeden Kummer von deinem Herzen zu nehmen ; rüste dich bis dahin mit Stärke und Geduld .
Unsere Agnes ist auf das Jagdschloß B. gebracht worden .
Einer alten Französin , einer ehemaligen Liebe des Ministers , an welcher mein Vater auch für kurze Zeit Geschmack fand , ist sie übergeben .
Alle Zugänge sind dort für uns offen , da ich einen meiner vertrautesten Leute an diesem Ort 174 habe , einen alten Bedienten , der mir seit meiner Kindheit manchen Dienst tat .
Der Mensch ist sehr schlau , und hat sein ganzes Leben hindurch gesucht sich durch das Auslernen fremder Schwachheiten der Dienstbarkeit zu entziehen , ja sich oft zum Herrn seiner Herrschaft zu machen .
Möchte ich dir über die Gesinnungen meines Vaters auch etwas zu sagen finden , welches deinen Wünschen gemäß wäre !
Aber noch immer fand ich seinen Sinn unbeugsam , so oft ich Nordheims Namen nannte . Die entfernteste Äußerung über Agnes Verbindung mit ihm wies er mit dem heftigsten Unwillen zurück .
Ich fühle wie der Minister darauf arbeitet , meinen Vater immer mehr 175 gegen Nordheim zu entrüsten , um diesen aus dem ganzen Verhältnis zu entfernen .
Mein Vater ist in dem Zustand einer kranken Reizbarkeit , und sein empörter Starrsinn stößt jede milde Empfindung zurück .
Ich fürchte , er könnte in diesem Zustand einer harten , ungerechten Handlung fähig sein ; höchst gefährlich wäre es , ihn zu reizen , so lange Hohenfels in seinen Händen ist .
Er kennt keinen Frieden , bis Agnes verheiratet und entfernt ist .
Die fieberhafte Verspannung seines Wesens , bei seiner Ermattung , seinen dumpfen Vorstellungen , flößet mir inniges Mitleid ein .
Wie furchtbar sind die starken Züge des Gemüts im Alter , wenn sie 176 nicht von der Wahrheit belebt werden !
Ich deutete schon gestern auf eine Idee , die vielleicht alle Parteien vereinte .
Meinem Vater war sie nicht fremd , da er sich schon sonst einmal dafür interessiert hatte .
Der -sche Hof wünschte schon längst Julius als seinen Geschäftsträger in England .
Wenn wir meinen Vater bewegen könnten , Julius statt des jungen Salm als einen Gemahl für Agnes zu wählen , so wäre ihr Schicksal , wo nicht ganz der Wunsch ihres Herzens , doch gewiß sorgenlos und heiter .
Wüßte ich Nordheims Aufenthalt , ich würde ihn zuerst mit der ganzen Lage bekannt machen , und alles der Leitung seines höheren Sinns 177 überlassen .
Indes sind die Umstände dringend .
Hohenfels muß befreit werden .
Bald sollst du deine Tochter sehen , wir müssen alles versuchen , ihr Herz zum Gehorsam zu stimmen . "
Diese Blätter zogen mich in eine Welt neuer Verhältnisse und Gefühle .
Seit meiner Jugend war mein Leben nur durch ein einziges Band gehalten .
Die Zufriedenheit meines Vaters in Hohenfels , war , nach der inneren Regel des Rechts in meinem Gemüt der einzige feste Gesichtspunkt , nach dem 178 sich alle meine Handlungen richteten .
Meine ganze Wirksamkeit strebte nach diesem Ziel .
Für meinen Vater hatte jeder meiner Schritte Bedeutung , und ich fühlte mein Glück oder Unglück nur in seinem Herzen .
Seitdem Nordheims Bekanntschaft mein Wesen den Stürmen der Leidenschaft öffnete , in Momenten wo die Hoffnung entfloh , der Puls des Lebens in meinem Herzen stockte , und starre Fühllosigkeit mich ergriff , da erhieltmich das Andenken meines Vaters .
Über den Anteil , den er an meinen Leiden nehmen würde , vergoß ich lindernde Tränen , und meine Seufzer nach dem Unendlichen , in dem wir die ganze Verkettung unseres Schicksals 179 denken , hatten den Sinn :
Mache mich glücklich , damit mein Vater sich meines Glücks erfreue !
Nordheims Liebe hielt mich mit einem neuen allgewaltigen Band umschlungen .
Die Sorge für sein Glück begleitete jeden Pulsschlag meines Herzens .
Jetzt erschienen die Gestalten meiner liebenden Eltern , die an meinem Herzen Ruhe suchten , und in meinem heiteren Leben Trost , Freude , und Ersatz für ihr eigenes schmerzliches Schicksal finden wollten !
Unaussprechliches Mitleid füllte mein ganzes Wesen .
Mein eigenes Dasein verlor sich gleichsam in diesem Gefühl ; ich hätte alles aufopfern können - selbst das Glück meiner Liebe - nur nicht Nordheims Zufrie 180 denheit .
Wenn ich ihn leidend dachte , leidend durch mich !
dann versagte mir jede Kraft , und alle Fäden meines Daseins rissen entzwei .
Physische Ermattung umzog endlich alle diese Vorstellungen gleichsam mit einem Nebel .
Das stille Gefühl meines Herzens , jedes eigene Glück der Ruhe meiner Eltern aufopfern zu wollen , stimmte mich zu einer beruhigenden Einheit , in der ich bald einschlief .
Ein paar Akkorde auf der Gitarre erweckten mich wieder .
Das Instrument schien dicht unter meinem Fenster gespielt zu werden .
Bald ertönte 181 Bettina's Stimme ; sanft und halb leise sang sie folgende Worte : Du liegst im bangen Schlummer , Ich irre im dunklen Wald ; Entferne jeden Kummer , Dein Freund erscheint dir bald .
Schon flimmert Licht im Schlosse , Die Knappen rasten nicht , Gezäumt stehen die Rosse Im grauen Morgenlicht .
Er schwingt sich auf den Rappen , Fliegt über Berg und Tal , Ein Sturm , mit seinen Knappen Langt an im Abendstrahl .
Und in der Dämmerung Hülle Birgt sie das hohe Korn , Jetzt schallt durch Nacht und Stille Der wackeren Jäger Horn .
Es stürmt wie ein Gewitter Der ganze Troß feldein , Es stürzen Tor und Gitter , Der Liebste ziehet ein . 182 Des Turmes Riegel schwirren , Die Wächter sind entflohen ; Vernimm_es , der Waffen Klirren Sei dir der Liebe Ton .
Ich eilte zum Fenster , und erkannte die Gestalt des guten Mädchens in der Morgendämmerung .
Sie stand dicht an einem Spalier an der Mauer unter mir , und vernahm sogleich meinen leisen Ruf .
Leicht wie ein Vogel schwang sie sich auf dem Spalier empor bis zu den Gittern meines Fensters .
Ich mußte ihr die Hand reichen , die sie an ihren Mund und an ihre Brust drückte .
Nachdem sie sich beruhigt hatte , vernahm ich von ihr die Lage meines Freundes und den Sinn ihres Liedes .
183 O , ich konnte deine Entfernung und die Ungewißheit deines Schicksals nicht länger aushalten ! rief sie aus .
Nordheim war wenige Tage nach dir weggereist , ich erfuhr von der Gräfin , es sei um dich aufzusuchen .
Die Angst und Sorge um dich verzehrten mich , ich hatte Tag und Nacht keine Ruhe .
Ich war ganz mir selbst überlassen , die Gräfin war durch einen sonderbaren Vorfall in die tiefste Schwermut verfallen , sie hatte mich ihrer Kammerfrau übergeben , und uns allen befohlen , sie allein zu lassen .
In deinem Zimmer hatte sie das Kästchen gefunden , welches dir meine Mutter in Verwahrung gegeben .
184 Ich kam dazu , als es geöffnet vor ihr stand .
Bleich , auf den Stuhl zurück gelehnt , ein Papier in der Hand haltend , auf das ihre Augen starr geheftet waren , so fand ich sie .
Was ist Ihnen ? rief ich , und auf meinen Ruf erwachte sie wie aus einem Traum .
Weißt du wie dieses Kästchen hierher kam ? fragte sie heftig .
Von meiner Mutter , sagte ich , durch ihre Heftigkeit erschreckt :
sie übergab es an Agnes , als ich in die Stadt kam .
Sie umarmte mich unter heißen Tränen , versprach mich zu lieben , für mich zu sorgen wie für ihre eigene Tochter , und bat mich sie allein zu 185 lassen .
Ich beklagte sie herzlich , ob ich gleich von dem allen nichts verstand .
Ich sah wie sie das Kästchen in ihr Zimmer trug ; den ganzen Tag wurde niemand vorgelassen .
Mein Bruder war eben in die Stadt gekommen , er fand mich entstellt und bleich wie ein Schatten .
Er hatte von Nordheims Leuten erfahren , daß er sich in der Gegend von U. aufhalte .
Laß uns gehen , Agnes aufzusuchen , sagte ich meinem Bruder , und ich will ruhig werden .
Der Weg nach U. war uns bekannt , wir waren ehemals mit meiner Mutter da gewesen .
Mein Bruder ging nach Hause zurück und holte ein 186 Kleid für mich , und seine Flöte .
Meiner Mutter sagte er , er solle in der Stadt bei mir bleiben .
Nun gingen wir des Abends aus dem Hause der Gräfin .
So wie die Reise fortging wurde mir leichter , ich sah dich immer am Ziele der selben .
So kamen wir ohne Hindernis nach U. Schon den anderen Tag begegnete mein Bruder einem von Nordheims Bedienten auf der Straße .
Er hieß uns ruhig bleiben wo wir wären ; den Abend kam ein Wagen uns abzuholen .
Ich zitterte vor Furcht , man möchte uns zurück bringen , in wenigen Stunden kamen wir in einem Hause an , wo uns deine Freundin Elise empfing .
187 Dort war ich bald in meinem Element , denn alles war nur mit dir beschäftigt .
Elise sagte mir , daß du außer Gefahr seiest , und dich auf einem Schloß aufhieltest , welches nicht weit von ihrem Landgut entfernt läge .
Nordheim und Julius kamen den nächsten Tag .
Ich fürchtete , Nordheim möchte meine Flucht von D. mißbilligen .
Aber die Liebe für dich entschuldigte alles .
Bald bemerkte ich , daß noch etwas geheimnisvolles in deinen Verhältnissen sei , über welches man sich nicht in meiner Gegenwart er klärte .
Julius und Nordheim waren oft abwesend , und unzertrennlich verband sie die Sorge um dich .
Nordheim sendete mich jetzt zu dir , mit dem Arzt , er selbst schrieb mir genau vor , wie ich mich zu betragen hätte , und als 188 ich zurück kam , konnte er mit Fragen über dein Aussehen , deine Mienen , deine Stimmung nicht fertig werden .
Er ist jetzt für einige Tage verreist , ich bemerkte bald , daß man Anstalten macht , dich diesem Aufenthalt zu entreißen .
Elise sagte mir diesen Abend , daß morgen Nordheim wieder ankommen würde , um dich mit Gewalt zu befreien , wenn alle andere Mittel fehlschlagen sollten .
Dein einsamer Zustand und meine Sehnsucht zerrissen mir die Seele , bei der einbrechenden Nacht trieb es mich fort .
Mir war es , als hieße mir eine innere Stimme dir Mut und Hoffnung zusingen .
189 Ich fand mich in der mondhellen Nacht leicht auf dem Waldpfad , der mir durch den Arzt bekannt wurde , hierher .
Gutes treues Geschöpf ! rief ich -
Ja , dir gab ein guter Genius den Anschlag ein , zu mir zu kommen .
Ich schrieb folgende Zeilen an Nordheim :
" Mein Schicksal steht mit dem Leben meines Vaters in der genausten Verbindung .
Unternehmen Sie es nicht , mich diesem Aufenthalt zu ent ziehen ! "
" Wie gern folgte ich dem Wink der Liebe , der für mich auch die Leitung eines höheren Sinnes ist !
Aber Umstände , die mein geliebter Freund nicht kennt , halten mich gebunden . " 190 Ich bat Bettina zurück zu eilen , und bei Nordheims Ankunft sogleich ihm dieses Billet zu übergeben .
Sie eilte von mir , wie ein leichter Morgentraum , dessen freundliche Erscheinung uns während dem Lauf des Tages begleitet , um uns als ein Friedensbote besserer Zeiten , Freiheit und Hoffnung zuzuwinken .
Die Sonne ging auf .
Der Zauber des Morgenlichts wirkte , im tiefsten Schmerz , im höchsten Glück , immer lebendig auf mein Gemüt .
Nordheims Liebe umfaßte mein ganzes Wesen mit freundlicher Gewalt .
Ich habe es genossen , das höchste , zarteste Leben ! sagte ich mir selbst .
Nichts vermag mir diese Erinnerung , dieses ewig lebendige Dasein in seinem Herzen zu rauben .
Was für wechselnde Erscheinungen auch die 191 Zeit mit sich führen mag , alle müssen sich auflösen in der Ewigkeit der Liebe .
Ich las die Blätter meiner Mutter von neuem .
Meiner Eltern Schicksal ergriff mein Herz mit einer schauervollen Gegenwart , und ich fühlte die Notwendigkeit , diesen teuren Unglücklichen mein Leben und alle Kräfte meines Geistes und Herzens aufzuopfern .
Für meinen Großvater fühlte ich mehr Mitleiden als Unwillen .
Ich sagte mir , noch fordre die Zeit keinen Entschluß , aber ein lebhaftes 192 klares Gefühl sieht immer die Straße , die es zu wandeln hat , vor sich , ehe der Verstand die Verhältnisse abgewogen , und die Vernunft einen Vorsatz gefaßt hat .
Nordheim hatte mein Wort , ihm sollte die ganze Lage vorgelegt werden , von ihm erwartete ich die Richtschnur meines Betragens .
Ich schöpfte sonderbaren Mut und Trost aus diesem Vorhaben .
Mein Schicksal mochte nun bitter oder lieblich werden , aber es sollte nur von ihm kommen .
Ich hoffte , wenn ich an seinen Mut , den tiefen heiteren Blick seines Geistes dachte , der dem ganzen Verhältnis vielleicht eine neue Wendung geben könnte .
Ich lebte , wenn ich die Kraft seines Herzens ermaß , dem 193 Rechten und Schönen alles Glück seines Lebens aufzuopfern .
Von Julius , wußte ich , konnte mir nichts Böses kommen , ich war seines Edelmutes gewiß .
Aber das Bild meines gefangenen Vaters drängte sich allen diesen Vorstellungen entgegen , und mein Herz zerfloß in Angst und Kummer .
Eine bestimmte Tätigkeit entriß mich der Verworrenheit meines eigenen Wesens Das Kind , welches mir meinen lieblichen Traum zurückgerufen hatte , war seit dieser Zeit fast immer um mich gewesen , und ich sehnte mich jeden Morgen nach dem heiteren Anblick seiner Liebenswürdigkeit und Unschuld .
Kaum war es diesen Morgen in mein Zimmer getreten , 194 als es einen Anfall von Krämpfen bekam .
Das arme kleine Geschöpf wollte nicht von meinem Schoße , klammerte seine Händchen um meinen Hals , gleich als könnte es nur an meiner Brust genesen .
Der Anblick des physischen Schmerzens ruft unsere ganze Natur auf .
In der Pflege des Kindes vergingen die Stunden des Tages , die sich durch meine unruhigen Vorstellungen zu Jahren des Leidens verlängert hätten .
Der Arzt kam , seinen gewöhnlichen Abendbesuch abzustatten .
Die Alte war teils mit dem Kinde beschäftigt , teils schien sie von den Begebenheiten der vergangenen Nacht unterrichtet , und weit entfernt ihren künftigen Herrn durch allzugewissenhafte Treue für den gegenwärtigen zu be-195 leidigen , bezeigte sie sich nachgiebiger und gefälliger gegen mich , da sie auf ein ernsthaftes Interesse des Prinzen schließen mußte .
Der Vorschlag des Arztes , mich allein in den Garten zu führen , wurde angenommen .
Der Arzt las bedenklich aus meinem Gesicht , wo er die Heiterkeit und Ruhe , die er erwartet hatte , völlig vermißte .
Er führte mich ans Ende des Gartens in eine Laube , und fragte , ob er einen Freund zu mir bringen dürfe ?
Nordheim trat aus dem Gebüsch hervor , lag zu meinen Füßen , schloß mich an seine Brust .
Süßes heiliges Leben der Liebe , vor dem die Zukunft und Vergangenheit verschwindet , durchflammte uns .
In der ersten 196 süßen Verwirrung der Freude war jede Last von meinem Herzen gesunken .
Der Arzt entfernte sich .
Nordheim hielt zärtlich meine Hand , und als wir wieder Worte finden konnten , strebten unsere Wünsche nach einer Zukunft , die uns vereinen , und unser gegenwärtiges Glück uns für immer versichern sollte .
Alle Schwierigkeiten meiner Lage fielen jetzt mit furchtbarer Gewalt auf mein Herz .
Ich habe Ihren Vater gesprochen , sagte mir Nordheim : mit seiner Einwilligung machte ich den Plan , Sie so bald als möglich diesem Aufenthalt zu entreißen .
Warum befahlen Sie mir ihm zu entsagen ? 197 Ich sagte ihm die Besorgnisse meiner Mutter .
Er war von dem ganzen Verhältnis durch meinen Vater unterrichtet .
Nordheim hatte dem Kommandanten der Festung ein Vertrauen einzuflößen gewußt , das ihm völlig freien Zugang zu meinem Vater gestattete .
Auch von D. aus hatte er Nachrichten , die ihn mit dem Widerwillen meines Großvaters gegen unsere Verbindung bekannt machten .
Mit sanften Bitten suchte er meinen Entschluß zu bestimmen .
Ich fühlte , daß mir die Kraft fehlte , ihm zu widerstehen , und gleichwohl hielt mich das meiner Mutter gegebene Versprechen .
Schonen Sie mich , Nordheim ! sagte ich .
O , Sie kennen die Gewalt Ihrer Bitten nicht .
198 Seine Augen ruhten mit innigster Zärtlichkeit auf mir .
Welcher Himmel wohnte in den klaren heiteren Blicken , die im vollen Vertrauen der Liebe mein ganzes Wesen umfaßten !
Da war kein Zweifel , kein scharfes Beobachten mehr , aber die selige Freiheit eines Wesens das sich ganz hingibt , und ein reines Herz ganz und rein empfängt .
Wie konnte ich ein solches Herz mißverstehen , solche himmlische Unbefangenheit ! rief Nordheim aus .
Bitter rächt das Schicksal meinen Irrtum , mein Zögern , meine Untreue an mir selbst , da ich der besseren Überzeugung des Herzens entfloh .
199 Ich wünschte nicht meine teure Agnes zu überreden , sondern zu überzeugen , fuhr er fort .
Der Drang der Verhältnisse muß meine grelle Darstellung unserer Lage entschuldigen .
Ihr Großvater ist ein schwacher unempfindlicher Mann ; Ihre Mutter zärtlich , hingebend und durch lange Leiden mutlos .
Ihr Onkel keines tiefen Eindrucks fähig , gibt fremde Empfindungen eben so leicht wie seine eigenen auf , und wird immer in seinen Handlungen von äußeren Rücksichten hingerissen , so sehr sein reiner Verstand sich zu einer entgegengesetzten Handlungsweise bekennt .
Was haben wir von dem Zusammenfluß dieser Charaktere zu erwarten ? 200 Der Fürst wird nur der Notwendigkeit nachgeben , und diese allein wird Ihre Mutter und Ihren Onkel zu einem festen Betragen bewegen .
Ich bin gewiß , daß der Minister kein Verbrechen wagt , auch ist Ihr Vater durch die Treue und Redlichkeit des Kommandanten geschützt .
Hohenfels Gefangennehmung ist ein Eingriff in die Vorrechte unseres Standes , der nicht ungeahndet bleiben wird .
Die Stimme der Freiheit , die uns nicht mehr ins Feld zum offenen Kampf gegen die Unterdrückung lockt , ist darum nicht verstummt .
Der Geist jeder Zeit liefert Waffen gegen ungerechte Unterdrückung , für den der sie zu gebrauchen versteht .
201 Die kalte arglistige Politik , mit welcher der Minister gegen uns wirkt , soll vor dem Geradesinn des Rechts und der Unschuld zu Schanden werden .
Ich darf es hoffen , der Fürst selbst wird sich zu uns wenden , wenn wir ihn aus den Banden der Gewohnheit gerissen haben .
Diese armseligen Menschen , die sich zu allem brauchen lassen , deren erstes Gut die Gunst ihres Herrn ist , ziehen die edelsten Charaktere in ihr niedriges Gewerbe herab .
Julius , ihr Vater und ich , sollten wir nicht den Kampf mit einem eigennützigen schädlichen Toren wagen ?
Ein edler Unwille glühte auf Nordheims Stirn .
Ich fühlte mich hingerissen , aber die Besorgnisse meiner Mutter um die Sicherheit meines Vaters , 202 die Furcht ein unwiederbringliches Gut zu verlieren , kämpfte mit meiner Neigung , dem Geliebten zu folgen .
Geben Sie mir ein Recht , meine Agnes , Sie vor jeder Gewalt zu beschützen , sagte Nordheim zärtlich .
Nachdem wir den Segen Ihres Vaters von Hohenfels empfangen haben , eilen wir nach England .
Unsere Entfernung wird den Fürsten beruhigen .
In kurzem wird er einsehen , wie entfernt mein Herz von jedem Streben des Ehrgeizes ist , und daß ich mit meiner Agnes jede Freude des Lebens besitze .
Gibt der Fürst Ihrem Vater die Freiheit , so ist alles vergessen .
In der Verborgenheit , wie es ihre Verhältnisse fordern , wird Ihre Mutter die Ruhe des Herzens im Glück ihrer 203 Geliebten finden .
Ihr Vater wird bald mit uns , bald mit ihr leben .
Ich schwieg , verloren in dem Glanz der schönen seligen Zukunft , und sah Nordheim lächelnd an .
Eine neue Welt öffnet sich mir in der himmlischen Klarheit deines Wesens , sagte Nordheim mit dem zärtlichsten Ausdruck .
Zum erstenmal gibt sich mein Herz ganz , und der seligste Traum meiner Jugend steigt , wie die Sonne aus Nacht und Dämmerung , strahlend aus den Wogen des Lebens empor .
Da ist keine Täuschung des jugendlichen Sinnes , der den Gegenstand seines Begehrens , vom Glanz seines eigenen Feuers umleuchtet , erblickt .
204 Mannichfache Gestalten haben sich in meinem Herzen abgedrückt , sie erregen manch sanftes Andenken , - die Liebe ist so heilig , daß selbst ihre Täuschungen uns wert bleiben .
So oft sich mein Herz jener zarten süßen Gewalt der Schönheit überließ , so oft versank es in eine furchtbare Leere zurück , denn Mangel und Beschränktheit zog es in kurzem von jedem Gegenstand wieder ab .
Nur deine schöne Natur , die sich im freien Spiel lieblicher Neigungen vor mir entfaltete , erhielt die Regungen des Verlangens in meinem Busen .
Nur die innere Freiheit eines Wesens , die angeborene Grazie des Gefühls , zieht uns in jene Ahnung des Unendlichen , ohne die unser Leben in dumpfer Beschränkung entflieht .
Nur die Liebe lehrt 205 unsere Herzen ein Leben ahnden , für dessen Begriff , Verstand und Sinn schwindeln .
Holdes Wesen , die Natur in deiner schönen freien Seele ist unendlich , ein rastloses Streben nach dem Höchsten und Schönsten ist ihr inneres Leben .
Jeder niedere Zweck , jede Kleinheit des Sinnes , ja selbst das edelste , jeder Kampf das Rechte und Schöne zu erringen , gibt ein Gefühl des Mangels und der Eingeschränktheit .
Eine selige Fülle ist in deinem lieblichen Wesen .
Das Rechte ist dein Instinkt , die Schönheit dein Element , und deine liebliche Fantasie , als ein unerschöpflicher Quell des neuen Lebens , bildet dein eigenes Selbst in tausend wechselnden reizenden Formen .
206 Laß mich es aussprechen , was du bist , sagte Nordheim , indem seine Augen sich mit Tränen füllten .
- Fühle mein Glück in der hohen Gestalt deines Wesens , und zwinge so deine holde Bescheidenheit auf deinem Bilde zu verweilen .
Gleichwie vor einer Verklärten schwand die Erde vor mir , und ein Himmel des reinsten Genusses öffnete sich .
Ewiges Wesen ! seufzte ich , gib mir das Vermögen die Gestalt des Inneren zu bewahren , die das Glück meines Geliebten macht !
Das Leben hat vielleicht manche Klippe die mir noch unbekannt ist , sagte ich zu Nordheim .
Wie manche gute Natur wird vom Schicksal zer207 stört .
Mein teurer Freund , Lehre mich selbst die Existenz zu bewahren , die das edelste Herz zu mir zog .
Wir durchflogen den Zirkel unserer Freunde , und wünschten sie alle mit dem Gefühl unseres Glücks zu beleben .
Über Julius sagte mir Nord-Heim : Seine schöne reine Liebe flößt mir oft die Furcht ein , meiner Agnes den Verlust solch eines Herzens nie ersetzen zu können .
Ich wagte es nicht von der Gräfin zu sprechen , aber Nordheim selbst sagte : Mein ganzes vergangenes Leben werde ich meiner Agnes enthüllen , nachdem uns irgend eine Spur der Gegenwart darauf führt .
Wir sehen 208 uns selten rein , wenn wir eigentlich darauf ausgehen , unser inneres Dasein als ein Ganzes vor eine fremde Vorstellungsart zu halten .
Und hier , wo der Eindruck so wesentlich zu meinem Glück ist , mißtraue ich meiner Unbefangenheit .
Amalie selbst wird unser Verhältnis gegen Sie aussprechen , daß in ihrer zarten weiblichen Seele eine schönere Gestalt gewinnt .
Ein paar glückliche Stunden waren entflogen .
Jedes Wort meines Geliebten war voll des heiligen Sinnes der Güte und Liebe .
Immer kam er auf seine Bitte zurück , daß ich ihm diesen Abend zu Elise folgen sollte .
209 Mein Entschluß schwankte , aber ich fühlte daß mein Herz mich zwang , seinen Bitten nachzugeben .
Das Schicksal gab den Ausschlag .
Der Arzt kam eilends zu uns , und meldete , daß der Fürst , die Prinzessin und der Prinz so eben angekommen wären .
Die Alte sei in der fürchterlichsten Angst , er selbst hätte ihr versprochen , mich unverzüglich auf mein Zimmer zu bringen .
Nordheim küßte meine Hand mit einem traurigen Blick .
Eine Blume , die ich eben zwischen den Fingern hielt , verbarg er in seinen Busen .
Ich fühlte , daß er sich nur aus Schonung für den Arzt entfernte , leise flüsterte er mir zu :
" Um zehn Uhr bin ich wieder an diesem Platz . " 210 Kaum war ich in meinem Zimmer , als meine Mutter hereintrat .
Der Fürst ist hier und will dich sehen , sagte sie mir .
Die Ärzte verordneten ihm das - sche Bad .
Ich und mein Bruder begegneten ihm ganz unvermutet .
Er erriet wo ich gewesen war , aber er war mild gestimmt , und äußerte selbst den Wunsch , dich von diesem Ort zu entfernen .
Deine Freundin Elise wohnt in der Nähe , und ich erlangte die Erlaubnis meines Vaters , dich auf einige Tage zu ihr zu bringen .
Die Gefälligkeit , mit welcher der Minister selbst an diesem Plan arbeitete , befremdete mich nicht wenig .
Aber deine Entfernung von diesem einsamen Ort , deine Vereinigung mit deinen Freunden , ist immer ein Gewinn , welchen wir eilend ergreifen 211 müssen .
Meine Mutter befahl mir , mich so sorgfältig anzukleiden , als die Kürze der Zeit es gestattete .
Gütig und besorgt um den Eindruck welchen ich machen sollte , half sie mir selbst .
Wie sanft bewegte ihre Liebe , ihre süße Sorge mein Herz !
Ich hatte die Alte weggeschickt , um mir Nachricht von dem Befinden des Kindes zu bringen .
Sie kam zurück und brachte es selbst mit , man hatte sein ungestümes Verlangen nach mir nicht anders befriedigen können .
Ich hielt es einen Augenblick in meinen Armen , um es zu beruhigen , als der Prinz hereintrat . 212 Er näherte sich mir , wollte mit dem Kinde scherzen , aber eine glühende Röte flog über seine Wangen , als er dessen Züge genau betrachtete .
Ich hatte die Mutter des Kindes nie gesehen , und Madame Imbert hatte mir gesagt , daß sie sich seiner aus Mitleiden , als eines hülflosen Geschöpfes angenommen .
Der Prinz tat mit dem lebhaftesten Ausdruck ein paar heimliche Fragen an die Alte , und wendete sich dann mit einem zärtlichen Blick gegen das Kind .
Er zog meine Mutter in ein Fenster , und diese sagte der Alten : Sie wenden sich künftig an mich über alles was dieses Kind betrifft , ich übernehme seine Erziehung .
213 Ich war glücklich über die gute Wendung , welche das Schicksal dieses kleinen Geschöpfs genommen , dem ich so manche gute Stunde in meiner Einsamkeit verdankte , und drückte meiner Mutter und des Prinzen Hand an mein Herz .
Das Schicksal hat Sie einmal zu meinem guten Genius gemacht , liebste Agnes , sagte der Prinz .
Die sanften Neigungen Ihres Herzens führen mich zu meinen Pflichten .
O warum kann uns nicht das zarteste Band verbin den , und mir für den reichen Gehalt meines Lebens bürgen !
Meine Mutter sagte gerührt :
Mein gutes Mädchen wird unser aller Leben verschönern , und uns immer zur Wahrheit und Natur führen , wie ein 214 freundlicher Sonnenblick ins freie Feld lockt .
Wir waren an dem Vorzimmer des Fürsten .
Ich bebte vor dem Anschauen der ernsten strengen Gestalt , von welcher ich den tiefsten Schmerz meines Lebens empfangen sollte , die Trennung von meinem Geliebten ; gleichwohl zog mich eine geheimnisvolle , zarte Regung der Natur zu ihr hin .
Der Fürst schien anfänglich noch ernster und kälter als gewöhnlich .
Er sah mich scharf an , und ich fühlte , daß die Gewalt , die er durch eine lange Gewohnheit über seine äußeren Bewegungen erlangt hatte , doch in 215 diesem außerordentlichen Fall nicht ganz zureichte .
Seine Kälte hatte dennoch nichts unfreundliches , und schien mir nur ein Mißtrauen gegen sich selbst anzudeuten .
Er fragte nach meiner Gesundheit .
Ich dankte , und mein Herz riß mich hin , mich nach seiner Hand zu beugen .
Er zog sie heftig zurück , küßte mich auf die Stirn und sagte : Ich will Ihnen herzlich wohl , gutes Kind , und hoffe Sie werden meiner guten Meinung für Sie nicht widerstreben .
Eine Träne hing in seinen Augenwimpern , er strebte die Regungen der Natur zu überwinden , und wendete sich von mir .
Unaussprechlich rührte mich der Anteil dieses sonst so kalten Herzens .
216 Ich zitterte vor Furcht , er möchte mir sein Begehren deutlicher aussprechen , und vor der Notwendigkelte , ihm widerstehen zu müssen .
Wenn das Alter Würde mit Liebe vereint , dann wirkt es mit überirdischer Gewalt auf unser Gemüt , und der Blick eines Greises vor dem die Welt in Erfahrungen und Begriffe aufgelöst daliegt , deutet uns immer mit einem Wink strenger Warnung auf die Straße des Lebens .
Der Minister kam zur Gesellschaft , und mein Inneres empörte sich vor dem Anschauen eines Mannes , durch den meine Eltern so viel gelitten hatten , und der auch so feindselig in mein und Nordheims Schicksal zu greifen versuchte . 217 Das Spiel dämpfte die so ganz disharmonierende Stimmung unseres kleinen Zirkels .
Mit welchem Flitter umkleidet der Gang der Gesellschaft unter den höheren Ständen , die einfache Wahrheit des Lebens !
Das Gewebe kleiner mechanischer Beschäftigungen umstrickt den Geist und schläfert das rege Herz ein .
Jeder lernt endlich so , neben dem was ihm am heterogensten ist , aushalten .
Der Prinz hatte sich entfernt , ich wurde zur Whistpartie unentbehrlich .
Meinem Großvater , meiner Mutter gegenüber , mußte mein Herz sein zartestes Empfinden verschließen .
Die kostbaren Augenblicke eines einzigen Genusses , müssen sie in dieser Nichtigkeit vergehen ? sagte ich mir selbst .
Es drängte mich beinahe unwiderstehlich , die zitternde Hand meines 218 Großvaters von den Karten zurück zu halten , und zu seinen Füßen mein Innerstes auszusprechen .
Die Zeit versammelt uns nur einmal auf diesem Erdball , und unsere unselige Zerstreuungssucht betrügt uns noch um die rasch entfliehenden Momente !
Jede Viertelstunde , deren Verstreichen mir durch eine große Wanduhr verkündigt wurde , machte mich zittern .
Die Stunde nahte , in der Nord-Heim sich im Garten einfinden sollte .
Ich rechnete auf seine Einwilligung , bei Elise den Ausgang unserer Verhältnisse zu erwarten .
Aber sollte er vergebens , ohne einen Laut von mir zu vernehmen , zurückgehen ? vielleicht durch mein Stillschweigen in Sorge geraten , oder zu einem kühnen 219 Unternehmen gereizt werden ?
Die Unruhe verwirrte meine Vorstellungen immer mehr .
Jeder Schlag der Uhr trieb den Angstschweiß auf meine Stirn .
Endlich war ich entschlossen , ein schnelles Übelbefinden vorzuschützen , welches den Arzt herbeirufen würde , dem ich alsdann einen Auftrag an Nordheim geben könnte .
Der innere Scheu vor solch einer Unwahrheit ließ mich zögern .
Die Besorgnis meiner Mutter , der meine Unruhe nicht entging , gab mir die Sprache .
Meine Lippen öffneten sich zu der Bitte , mich entfernen zu dürfen , als die Tür aufging und Nordheim hereintrat .
220 Ich bebte vor Freude , und bald vor Furcht einer bitteren Erklärung zwischen ihm und dem Fürsten .
Wie angenehm fühlte ich mich überrascht , als ihn der Fürst freundlich willkommen hieß , als einen sehnlich Erwarteten , und ich Nordheim sagen hörte , daß er vor wenigen Stunden erst die Befehle des Fürsten vernommen .
Nordheim grüßte mich zärtlich , und hatte ein so unbefangenes offenes Betragen , wie nur ein Herz einflößen kann , das sich seiner Gefühle erfreut , und sich durch ihre Stärke über jede Rücksicht erhaben empfindet .
Sanfte Freude füllte meine Brust im Gefühl der vielfachen zarten Bande , die sich an mein Herz knüpften .
Welch eine neue Welt der Liebe !
Nur 221 die Liebe bezeichnete den Kreis meines Wirkens , meines zartesten Lebens , ich kannte kein anderes Dasein .
Für wenige Momente konnte ich mich dem Gefühl meines Glücks überlassen .
Meine Mutter und Nordheim standen in der Vertiefung eines Fensters .
Ich hielt ihre Hände vereinigt in den meinen , drückte sie an meine Lippen , und empfing ihre zärtlichen Küsse .
Wir waren alle drei zu bewegt um zu sprechen .
Noch ein Herz wird bald an dem unseren schlagen , sagte Nordheim zu meiner Mutter . -
Ach , erwiderte sie sanft :
Dann bin ich zu glücklich ! 222 Ich war gestern bei ihm , sagte Nordheim , und empfing seinen Segen .
Wie groß ist sein Herz in der Gewohnheit geworden , für seine Geliebten zu leiden !
Meine teure Mutter , ich wage den süßen Namen , lassen Sie jede Sorge an meinem Herzen ruhen .
Ich nehme den Ölzweig , welchen mir der Minister vor wenigen Stunden reichte , an ; aber mit keiner unbewaffneten Hand , denn leicht könnte er sich in einen Dornstrauch verwandeln .
Fürchten Sie kein gewagtes Spiel , ich gelobe es Ihnen , ich will die teure Hand Ihrer Agnes nicht eher begehren , bis ich sie aus dem freien Arm ihres Vaters empfange .
In wenigen Tagen sehe ich Sie bei Albans wieder , sagte er mir sanft .
223 O wenn es mir gelänge , den guten edelgesinnten Greis zur Teilnahme an unserem Glück zu bewegen !
Der Fürst bat Nordheim , ihm in sein Kabinett zu folgen , und als sie zum Abendessen zurückkamen , dünkte es mir , als hätten sich einige leichte Wolken vor der Stirn meines Geliebten gesammelt .
Jeder spielte seine Rolle den Abend hindurch , so gut er konnte .
Nord-Heim allein spielte keine , sondern war mit der höchsten Freiheit und Unbefangenheit gegen jeden , was die Natur seines Wesens und des Verhältnisses forderte .
Nachgebend und schonend gegen den Fürsten , wie es überlegene Stärke und Mitleid gegen Alter und Schwachheit gebot ; kalt , 224 zuweilen schlau gegen den Minister , sanft und gefällig gegen meiner Mutter , leicht und angenehm mit dem Prinzen , und ohne Zurückhaltung zärtlich gegen mich .
Seine Freiheit verbreitete eine allgemeine , für die verworrenen Verhältnisse beinahe unbegreifliche Heiterkeit .
Der Fürst wollte früh abreisen .
Der Prinz , meine Mutter und der Minister begleitete ihn ins Bad .
Auch Nordheim sollte ihm für einige Tage folgen , wegen Geschäfte , über die er mit ihm zu sprechen hätte .
Der Fürst fragte mich beim Abschied , wie ich mit dem Betragen seiner Leute gegen mich auf diesem Schlosse zufrieden sei ?
Ich lobte ihre Gefäl225 ligkeit .
Er überreichte mir beim Abschied ein goldenes Etui , in dem ich eine Rolle Louisdore fand .
Er entzog seine Hand meinem Kusse nicht , sondern drückte die meine bewegt , und wendete sich schnell von mir .
Meine Mutter und Nordheim verlangten , daß ich augenblicklich zur Ruhe gehen sollte .
Ich mußte sie durch die Zimmer führen , wo ich krank gelegen , ihre Liebe , ihre Freude an meiner Genesung belohnten mich für jedes Leiden .
Wie sanft schlief ich ein in der Nähe meiner Geliebten !
Leicht und gestärkt erwachte ich , und eilte diesen Aufenthalt zu verlassen .
Heilige Erinnerungen bezeichneten diese Mauern .
226 Madame Imbert sagte mir , daß alles zu meiner Abreise bereit sei .
Herr von Nordheim habe es so eingerichtet , daß ich in seinem Wagen reisen sollte , der Doktor sei da , um mich zu begleiten .
Sie selbst nahm einen rührenden Abschied , und schien höchst zufrieden über das gute Zeugnis , welches ich ihr beim Fürsten gegeben .
Ich empfahl ihr das Kind , und eilte in das Vorzimmer , den Arzt zu grüßen .
Welche süße Überraschung !
Ich fand Nordheim bei ihm , der sich mit Fleiß verspätet hatte , um mich noch einmal zu sehen .
Er stärkte mein Herz mit Liebe und Hoffnung , sprach von der seligen Zeit , die uns für immer vereinen sollte , und wir schieden leicht und fröhlich im Gefühl 227 des nahen Wiedersehens .
Wir flogen über die breite Straße durch den Wald , Nordheim folgte uns , und unsere Wagen begegneten sich noch einmal .
Eine glückliche Vorbedeutung ! rief mir Nordheim lächelnd zu .
Durch die Hilfe des Arztes verließ ich diesen Ort gesund und heiter Er fühlte sich glücklich in meiner Dankbarkeit .
Nordheim , den er bis zur Anbetung verehrte , war der Gegenstand unseres Gesprächs .
Elise und ihr Mann empfingen mich mit herzlicher Liebe .
Julius kam so eben von einem Spazierritt zurück .
Er schien heiter .
Aber die letzte 228 Zeit hatte eine tiefe Spur der Unruhe in seinen sanften Zügen zurückgelassen , alle Umrisse waren schärfer und bestimmter geworden .
Julius fand mich unerwartet .
Elise hatte meine Ankunft erst vor wenigen Stunden durch Nordheim erfahren .
Mein Herz öffnete sich in dem lieben Zirkel , wie in den Tagen unseren ersten Verbindung .
Ich dachte mit Elise der Zeit , wo sie mich zuerst in ihren kleinen Zirkel zog .
Glücklich , unsere Freundschaft schon in solcher Vergangenheit gegründet zu finden , riefen wir aus : Alles ist wieder wie in D. !
Nein , alles ist nicht so , sagte Julius .
Eine der Göttinnen fehlt , die Hof-229 nung !
Schnell faßte er sich wieder , sah mich heiter an und sagte : Bleibt doch die himmlische Schwester , immer mögen die zwei irdischen fehlen .
Ich mußte mit meinen Freunden über meine letzten Begebenheiten sprechen .
Über vieles waren sie unterrichtet .
Nordheim hatte größtenteils mit ihnen gelebt , und lebhaft beschrieben sie mir ihre Unruhe , mich in dieser Nähe zu wissen , ohne mich sehen zu können .
Die Verhältnisse meiner Mutter schienen ihnen unbekannt zu sein , und mit diesen also der eigentliche Grund meines Aufenthaltes auf dem Jagdschlosse .
230 In der ersten süßen Verwirrung des Wiedersehens liebender Freunde wird nichts genau bestimmt , und während wir uns noch in dieser befan den , ließ sich die Gräfin von Wildenfels anmelden .
Die Sorge um Bettina , und der Wunsch sich mir zu nähern , schienen sie zu dieser Reise bestimmt zu haben .
Nachdem wir die Gräfin empfangen , und die Begebenheiten , die sich seit unserer Trennung zugetragen , im Verlaufe des Tages gemeinsam besprochen hatten , lud sie mich am Abend zu einem einsamen Spaziergange ein .
Beim ersten Blick hatte ich eine sonderbare Veränderung in ihrem ganzen Wesen wahrgenommen .
Die Leichtigkeit und Grazie ihres Betra 231 gens hatte sich in Stille und Ernst verwandelt .
Sie schien den äußeren Eindruck ganz aufzugeben ; ihr Inneres schien durch Vorstellungen bewegt , die sich an eine höhere Ordnung der Dinge knüpften .
Es war eine stille Hoheit um sie her , die sich mit dem Entsagen auf alles was Schein ist , natürlich gattet .
Ihre Kleidung war höchst einfach , die sorgfältigste Reinlichkeit schien der einzige Schmuck zu sein , nach welchem sie strebte .
Sie hörte einen jeden sanft und geduldig an , da sie ihre große Lebhaftigkeit sonst zu mancher Unaufmerksamkeit hinriß .
Natürliches Wohlwollen , und eine beständige Resignation ihrer selbst , gab ihrem Betragen eine 232 einnehmende Ruhe .
Ich fragte mich selbst , ob diese bemerkte Veränderung vielleicht nur der Widerschein meines eigenen ruhig gewordenen Herzens sei , das bei ihrem Anblick sonst so selten ohne den Krampf der Leidenschaft geblieben war .
Aber meine Freunde hatten mir gleich gefühlt , und teilten mir ihre Bemerkungen noch früher mit , als sie die meinen vernahmen .
Ein tiefes Mitleiden füllte meine Brust , ich hätte zu den Füßen dieser edlen reinen Gestalt sinken mögen , um sie über den Besitz eines Glückes um Verzeihung zu bitten , dessen ich sie so würdig fand .
Ich folgte ihr höchst bewegt durch den Garten .
Sie sprach mit vertraulichem Wohlwollen über meine ganze Lage , die sie durch meine Mutter , 233 nebst dem Geständnis ihrer eigenen Verhältnisse vernommen .
Sie gab mir Hoffnung , daß der Sinn des Fürsten sich vielleicht noch günstig zu unserer Verbindung beugen würde , die er dem Lauf der Natur nach , doch in wenigen Jahren notwendig voraus sehen müßte .
Ich fand schon oft diese sonderbare Erscheinung , sagte sie , daß Menschen , die nicht eine tiefere Ahnung der Seele zum Glauben an eine Zukunft hinreißt , ein gänzliches Unvermögen besitzen , ihre Rolle auf dem Schauplatz dieses Lebens als ausgespielt zu denken .
Sie versuchen mit aller Macht in den Lauf der Begebenheiten einzugreifen , und schmieden Fesseln für die fernsten Generationen .
234 Glücklicher Weise ist Ihr und Nordheims Verhältnis ganz außer dem Einfluß jenes irren Willens .
Wenn Sie Ihren Vater frei und Ihre Mutter ruhig sehen , so kann sich Ihr Herz ungeteilt dem Glück der Liebe hingeben .
Ihr Schicksal ist schön und einzig , bestes Kind ! rief sie mit einem sanften Lächeln aus .
Eine heitere Jugend , in der sich alle Kräfte des Gemüts frei und schön entfalteten , eine edle Liebe , in der sie sich erhöhten und zu dem lebenreichsten Ganzen vereinten , und das stille reine Verhältnis der Ehe , in dem Friede und Ruhe des Himmels liegt , wenn echte Liebe es webte !
Wie verschieden verteilt das Schicksal seine Gaben ! -
235 Mein besseres Wesen mußte untergehen - die Harmonie des Glückes berührte es auf Momente - aber immer löste sie sich in fürchterliche Stürme auf , spät empfange ich mich selbst aus dem Strom zurück , um dem besseren Erkennen und Wollen noch wenige Jahre der reinen freien Tätigkeit zu widmen .
Die Tränen stürzten über meine Wangen , ich sank an ihre Brust und sagte ihr leise : Ach , ist mein Glück das Opfer Ihres Herzens , so nehmen Sie es zurück : - ich kann so nicht glücklich sein ; durch keinen Raub es sein .
Mit himmlischer Heiterkeit blickte sie mir ins Auge , drückte mich an ihre Brust und sagte : 236 Bestes Kind , der Moment ist gekommen , wo mein ganzes Gemüt der reinen Mitempfindung deines Glückes fähig ist .
Wie fühle ich_es doch aufs neue so wahr , daß nur in der vollen Klarheit und Einheit des Willens zwei feinfühlende Menschen sich in echter Liebe begegnen .
Ich empfand es oft , du konntest mich bis jetzt nicht lieben !
Seit wenigen Tagen lernte ich mein Inneres ganz kennen .
Mein klarstes Erkennen , mein reinster Wille gönnte , wünschte dir Nordheims Liebe seit wir uns kannten .
Ich darf es sagen , in sehr verwickelten Lagen , in Lagen , wo die Selbsttäuschung für mich beinahe unvermeid 237 lich wurde , habe ich keine Handlung begangen , kein Wort gesprochen gegen das Interesse deines Herzens .
Mein folgendes Bekenntnis wird diese Selbsterhebung entschuldigen .
Immer fand ich eine unvertilgbare Schwachheit auf dem Grunde meines Herzens .
Den Mann , der mir einzig liebenswürdig schien , ob ich ihn gleich nicht besitzen konnte , vermochte ich doch auch nicht , ohne den bittersten Schmerz , in den Armen eines anderen Weibes zu denken .
Jetzt reißt das Schicksal mit gewaltiger Hand auf einmal einen Vorhang vor meinem Leben hinweg , fremde Gestalten treten hervor , und ergreifen 238 mein Inneres mit einer Gewalt , die seine ganze Vergangenheit umstürzt . Ich kann jedes Übel , welches mein jugendlicher Leichtsinn stiftete , wieder vergüten , und die Tränen der Reue , die ich einer Entschlafenen weinte , werden sich in tätiges Wohlwollen , in Übungen der Liebe ver wandeln .
Ich will Ihnen in wenigen Zügen die Geschichte meines Lebens vorlegen , und dein gutes zartes Herz wird aus der neuen Wendung meines Schicksals den Frieden eines ungestörten Genusses schöpfen .
In meinem sechzehnten Jahre wurde ich aus der Kinderstube gezogen .
Meine Mutter sagte mir , es sei meinem Vater ein vorteilhafter Heuraths 239 Antrag für mich geschehen , mein Bräutigam werde in zwei Monaten ankommen , und ich sollte diese Zeit ja gut anwenden , um recht liebenswürdig vor ihm zu erscheinen .
Meine Mutter war ganz ohne Wahrheit und Herz , die Welt hatte ihr gesundes Empfinden zerstört , sie lebte nur im Äußeren und liebte auch ihre Kinder nur , in sofern sie ihnen eine glänzende Existenz zu verschaffen gedachte , die auf sie selbst zurückstrahlte .
Mein Vater lebte in seinen Geschäften .
Meine zwei Brüder hatte er einem verständigen Hofmeister übergeben , die Erziehung der Töchter überließ er der Mutter , und diese übergab uns einer alten Französin , die 240 weder Herz noch Kopf hatte , und uns als Puppen behandelte , mit denen sie nach Laune spielte , oder sie in Winkel warf .
Das alte Weib hatte eine leichtfertige Imagination , und sie unterhielt uns größtenteils mit Geschichtchen , bei denen sie sich immer angenehmer Zeiten erinnern mochte .
Wir empfingen ein treues Gemälde der Weltsitten , aber unsere Gemüter verloren , wo nicht den zarten Duft der Unschuld , dennoch jenen heiligen Scheu , dem ein unwürdiges Betragen als ein unmögliches erscheint .
Meine Schwestern beschützte ihre kalte träge Natur , aber ich faßte lebhaft und schnell , und mein Verstand , der ganz unkultiviert blieb , kombinierte die wenigen Eindrücke , die er empfing , desto sorgfältiger und 241 mannigfacher .
Meine Bildung war gefällig , und vor meinem Spiegel träumte ich mich oft in tausend Situationen , zu denen immer die Bilder meiner Französin die Grundlinien lieferten .
So ist die Welt ! sagte mir alles was mich umgab , aber so sollte sie nicht sein ! sagte mir eine innere Stimme , die sich durch nichts übertäuben ließ .
Der Tanzmeister , Schneider und Friseur hatten , wie es meine Mutter begehrte , am meisten für meine Liebenswürdigkeit gearbeitet .
Jetzt kam der Tag , an welchem mein Bräutigam in unserem Hause erscheinen sollte .
Er kam , geführt von einem alten Oheim , der mich lorgnirte , ein paar 242 Fragen an mich tat , und mich dann mit seinem Neffen allein ließ .
Dieser , der während der Unterredung mit dem Onkel bescheiden an der Tür stehen geblieben war , näherte sich mir jetzt , und seine Blicke , sein ganzes Wesen stimmte zu den Worten , die einen glühenden Liebesantrag enthielten .
Meine Brust wallte ihm entgegen , von dem ersten Hauch jugendlichen Verlangens entzündet .
Unsere Verbindung erfolgte in wenigen Tagen .
Wir verlebten das erste Jahr in dem Taumel einer neuen Lage .
Die Welt umflocht uns mit tausend Verbindungen , wir kehrten nie in uns selbst zurück , und unsere Neigung , 243 die vielleicht in der Einsamkeit , oder in Lagen , die sie zu Proben aufgefordert hätten , einen ernsten dauerhaften Charakter würde gewonnen haben , verflog jetzt in ihrem ersten Genuß .
Ich bekam kein Kind , die Natur hätte mir sonst vielleicht das Rätsel des Lebens gelöst , das noch verworren in meinem Inneren lag ; und in der Tätigkeit des Instinkts , der die Mutter zur Sorge für ihr Kind treibt , hätte sich vielleicht meine Vernunft entwickelt , und mir eine wahre Seite des menschlichen Daseins gezeigt .
Der Glanz der Jugend und des Reizes zog die gedankenlose Menge an mich , die nur von der Neuheit gefesselt wird .
Die verlöschende Zärtlichkeit 244 meines Gemahls machte vielen Männern Herz zu Unternehmungen .
Einige versuchten es , mich durch die Sprache einer ernsthaften Leidenschaft zu verführen , andere durch leichtsinnige Grundsätze .
Die Gesellschaft , in welcher ich lebte , spottete über jede feine und edle Empfindung .
Achtung gegen sich selbst tragen , nannten sie Beschränktheit ; Schonung für andere , Schwachsinn .
Ohne innere Festigkeit wurde meine Aufführung ein Nachhall dieser Grundsätze .
Ich überließ mich jedem flüchtigen Geschmack , jedem Reiz der Augen , und schämte mich beinahe wenn ich einige Wochen durchlebte , 245 ohne ein lebhaftes Interesse zu erregen und zu fühlen .
Ein eitler herzloser Mann , ein Abgott aller Frauen unseres Zirkels , gab sich endlich das Ansehen mich ausschließend gefesselt zu haben .
Er rühmte sich eines vollkommenen Sieges ; - aber , Dank sei es meinem Genius ! -
er rühmte sich ohne Grund .
Ich muß es gestehen , mein Betragen gegen ihn hatte die Farbe der Leidenschaft , die mein Herz zu fühlen wähnte ; ich würde seinen Anblick noch jetzt nicht ertragen .
Die Grazien des Vertrauens und der Freundschaft blühen nur da , wo zwei schöne Seelen in heißer Liebe glühten ; wenn der ganze Wert des Geliebten mit der Täuschung der Leidenschaft entflieht , dann bleibt nur Scham und Verachtung in der 246 kalten Brust zurück .
Die Wahrheitsliebe war das einzige Gut , das mir unverloren geblieben war ; diese verhinderte meinen Fall .
Die innere Notwendigkeit , die mich zwang ein unwürdiges Betragen zu gestehen , hielt mich davon zurück . Ich lebte mit meinem Gemahl in einer Entfernung , die seinem Überdruß und meiner Lebensweise gleich willkommen war .
Er fragte mich nie über meine Verhältnisse ; diese Gleichgültigkeit riß mich immer mehr hin .
Ein zarteres Betragen hätte meinen Ruf gerettet , der jetzt unwiederbringlich verloren ging .
Mein Gemahl machte eine Reise nach einem entlegenen Landgut , wel247 Ges der Familie zugehörte , und als er zurückkam , fand ich eine große Veränderung in seiner Lebensweise .
Er suchte die Einsamkeit , verlebte ganze Tage in seinem Kabinett , und wenn er eine Gesellschaft zu sich bat , so waren es Menschen von Geist und Kenntnissen , denen ich unter dem großen Haufen nie begegnet war .
Er war sanfter gegen mich gestimmt , und empfing mich auf die gefälligste Art , so oft ich ihn aufsuchte .
Er bereitete mich auf die Ankunft eines Freundes vor , mit dem er die ersten Jugendjahre verlebt , und dessen Bekanntschaft er während seines Aufenthalts auf seinen Gütern erneuert 248 hatte .
Mit Bewunderung , mit Entzücken sprach mein Gemahl von Nord-Heim ; in kurzem erschien dieser in unserem Hause .
In der ersten Blüte der Schönheit , von jeder Grazie geschmückt , entflammte er mein Herz für sich .
Ich suchte seine Gunst zu erobern , aber zum erstenmal fühlte ich mich verlegen , ich war furchtsam in seiner Gegenwart , und jeder Anschlag verunglückte .
Anstatt meine Vorzüge zu bewundern , gab er mir oft auf eine feine Art meine Fehler zu verstehen .
Mein Gemahl hatte eine gute Erziehung bekommen .
Er besaß Kenntnisse , und das Verlangen sie zu erweitern entstand natürlich in einem unterrichtenden geistvollen Umgang .
Überhaupt gehörte er zu der Gattung 249 von Menschen , die nur durch eine äußere Gewalt einen inneren Zusammenhang gewinnen konnten .
Im Überfluß erzogen , von Menschen umgeben , die seinen Launen schmeichelten , von Natur mehr leicht und schnell als tiefempfindend , verlor sein Wesen in einer zu großen Fläche .
Hätte das Schicksal seine Kraft auf sich selbst zurückgedrängt , hätte das Bedürfnis ihn früher zur Arbeit genötigt , vielleicht hätte er eine Tiefe gewonnen , die die Natur ohne Hilfe des Schicksals nur seltenen Wesen verleiht .
Der ganze Ton unseres Hauses war seit Nordheims Ankunft verändert .
Meine Eitelkeit fühlte sich beinahe in jedem Augenblicke beleidigt , aber 250 mein Herz unaussprechlich angezogen .
Meinen sorgfältigsten Anzug , der bisher meine Morgenstunden anfüllte , bemerkte er höchstens nur mit einem leichten Scherz .
Ich hatte nie gelesen , und war nie mit unterrichteten Menschen umgegangen .
Jetzt empfand ich das Bedürfnis , von den Gegenständen , die oft in Nordheims Unterhaltung vorkamen , doch wenigstens die Anfangsgründe zu kennen .
Ich besuchte meines Mannes Büchersammlung .
Mein lebhafter Sinn faßte und verband schnell , und bald zog mich das Interesse meiner eigenen Neugier weiter fort .
Nordheim half mir auf die gefälligste Art .
Ich war immer beschäftigt .
Meine wirklich schöne Stimme war gar 251 nicht entwickelt , ich wußte nicht was Fleiß und Anwendung war ; jetzt lernte ich dieses Talent üben , und Nordheims Beifall oder Tadel lehrte mich eine richtige Methode finden .
Eben so entfaltete sich ein Talent zur bildenden Kunst in mir , das meinem Geschmack Sicherheit und Reinheit gab .
Mein vergangenes unbedeutendes Leben flößte mir Ekel ein , seit die Liebe mein Dasein beseelte .
Nordheims Anteil an meiner Bildung erhielt die Hoffnung ihm zu gefallen .
Ich wußte , daß er der Liebe nicht unempfänglich war ; durch meinen Gemahl hatte ich erfahren , daß er sonst eine schöne Tänzerin unterhalten hatte , und nachdem er ihrer bald müde ge-252 worden , sie mit einem ansehnlichen Jahrgehalt entlassen .
Wie die wahre Leidenschaft immer ein Ganzes vor sich sieht , dessen Grenzen sich im unermeßlichen Dunkel verlieren ; so wußte ich mir auch nicht klar zu gestehen , was ich wünschte und hoffte , aber doch hoffte ich .
Aus den seligsten Träumen , die meine Beschäftigungen unterbrachen , riß mich wohl oft eine Äußerung seines Gleichmuts , seiner völligen Geistesfreiheit .
Immer war er bloß durch die Sache interessiert , mit der wir uns eben beschäftigten ; ich sah immer nur ihn in der Sache .
In einem Menschen , dessen Fähigkeiten ein richtiges Verhältnis haben , 253 findet keine einseitige Bildung statt .
Wie der Verstand anfängt tätig zu sein , blickt er auf die inneren Verhältnisse unseres Wesens , und die Stimme der Vernunft erwacht .
Wie schrecklich beleuchtete ihr erster Strahl mein vergangenes Leben !
Gleich einer Schreckengestalt , der wir nicht zu entfliehen vermögen , ergriff mich das Bild meines Leichtsinns , und mähte mit der eisernen Sense des Todes jede keimende Blüte des Glücks und der Hoffnung vor mir nieder .
Die Gesellschaft , der ich mich seit Nordheims Umgang entzogen hatte , fiel jetzt mit unbarmherziger Verleumdung über mich her .
Der Mann , der meinen Leichtsinn benutzt hatte , war unedel und unvorsichtig genug 254 sich seines Sieges über mein Herz laut zu rühmen ; und die Frauen von üblem Ruf schonten mich natürlich so wenig als sich selbst .
Die Geschichte kam meinem Gemahl zu Ohren .
Der Mann , der seine Ehre beleidigt hatte , betrug sich auf die niedrigste Art .
Ein Zweikampf erfolgte , während dem ich mit Todesqualen rang .
Nordheim , als der vertrauteste Freund unseres Hauses , erfuhr alles .
Mein Schmerz grenzte an Verzweiflung , und in seinen bittersten Augenblicken mußte ich mir noch selbst vorwerfen , daß meine Tränen weniger die Furcht der Reue , als meiner unglücklichen Liebe waren , die jetzt nur Verachtung statt der 255 Gegenliebe erwarten durfte .
Ich will deine sanfte reine Seele nicht mit dem Gemälde eines Zustan des kränken , über den eine höhere Natur sie erhebt .
Die Gräfin sank weinend in meine Arme , und nachdem sie ihre Fassung wieder gewonnen , fuhr sie fort : Mein Gemahl , durch Nordheims Rat , und vielleicht durch manchen leisen Verweis über sein eigenes Betragen geleitet , betrug sich auf eine großmütige Art gegen mich .
Wir beschlossen unseren Wohnort zu verändern , und er schien einen Fehler vergessen zu wollen , der ein Verhältnis , 256 welches nur auf Achtung und Vertrauen gegründet ist , für immer zerstört .
Nordheim trennte sich von uns , um eine weitere Reise anzutreten .
In den Tagen meines heftigen Leidens hatte er mir unaussprechliche Milde und Schonung gezeigt , mit rührender Sorgfalt über meine Gesundheit gewacht , und jede schmerzliche Rückerinnerung zu entfernen gesucht .
Ich weiß nicht , ob meine tausendfachbewegte Seele sich in jenen Tagen durch irgend eine unwillkürliche Äußerung verriet , aber in der kurzen Zeit die wir noch zusammen verlebten , fand ich Nordheim gedrückt und verlegen in meiner Gegenwart .
Ich hielt die , einer zarten Seele eigene Feinheit , mit welcher sie sich einer unerwiderten Empfindung nähert , 257 für die Verwirrung der Leidenschaft .
Den letzten Abend vor unserer Trennung gewann er seine volle Freiheit wieder .
Er bat mich zärtlich , jetzt an meiner Ruhe und an der Glückseligkeit seines Freundes zu arbeiten .
Er sprach im sanften ruhigen Ton eines Freundes ; meine Seele glühte , aber sein höherer Sinn hatte sich gleichsam in meine Brust ergossen .
Ich gelobte mir selbst in jenen Augenblicken , nur für meinen Mann zu leben .
Ein verwöhntes Gemüt , das lange der Gewalt jedes Eindrucks nachgab , gewinnt das ruhige Gleichgewicht , in welchem es der Pflicht große Opfer zu bringen vermag , so leicht nicht wieder .
258 Wir waren auf ein Familiengut gezogen , das in einer menschenleeren Gegend lag .
Die Einsamkeit erhielt die innere Glut die mein Wesen verzehrte , jede stille Beschäftigung wurde zu einem Traume der Liebe .
Mein Gemahl empfand es , daß ich unglücklich war , daß unsere Herzen sich nicht wieder begegnen konnten , ohne die Ursache zu kennen .
Heitere Laune , ein immer gleiches gefälliges Betragen hätten mir vielleicht seine Liebe und sein Vertrauen wieder erworben , aber die Leidenschaft zieht stürmische Wolken um unseren Geist , wie um unsere Stirn .
Weder mein Gemahl , noch ich , hatten je an häusliche Einrichtung gedacht , und der Mangel der Ordnung und Sparsamkeit fing jetzt an , sich 259 in bitteren Folgen fühlen zu lassen .
Ich schadete dadurch , daß ich nichts erhielt ; aber mein Gemahl brauchte große Summen , und mein Vermögen war zuerst verschwendet , da es in Kapitalien bestand .
Mein Gemahl machte öftere Reisen nach den zunächstliegenden Städten , und jetzt häuften sich auch die Schulden auf unseren Gütern .
Ich fühlte , wie nötig meinem Mann Zerstreuungen waren , und machte bei den unsinnigsten Ausgaben nie eine Einwendung .
Mit seinem guten Genius , mit Nordheim , war die Freude an stillen Beschäftigungen verschwunden , und geistlose Zerstreuungen wurden aufs 260 neue hervorgesucht .
Ich machte mir das stille Dulden , zu dem mich meine immerwährenden Träume ohnedies hinneigten , zur Tugend , und empfand eine Art von Selbstzufriedenheit dabei .
Bald erfuhr ich , daß mein Gemahl eine Sängerin unterhielt , und meine Leidenschaft , der jeder Schimmer einer Rechtfertigung willkommen war , hatte ihre stille Freude an diesem Verhältnis .
Als Nordheim von seiner Reise zurückkam , sah ihn mein Gemahl in der Stadt ; er schrieb mir teilnehmende freundschaftliche Briefe , aber er besuchte mich äußerst selten , und nie allein .
261 In kurzem entwarf mein Mann den Plan nach Paris zu reisen , um dort in der größten Eingezogenheit zu leben .
Mich bat er in eine Stadt zu ziehen , und mich mit einem mäßigen Jahrgelde einzurichten .
Die Güter sollten während dem nach einem strengen ökonomischen Plan verwaltet werden .
Ich merkte wohl , wer diesen Plan entworfen hatte .
Natürlich willigte ich in alles .
Mein Mann schied mit sonderbarer Rührung von mir .
Wir beweinten beide unser Schicksal , wie wir es nannten , dem doch nur die Schwachheit unseres eigenen Herzens diese traurige Gestalt gegeben .
Ich hatte während meines Aufenthalts auf dem Lande , im Ganzen an 262 wissenschaftlicher Bildung gewonnen .
Der Prediger des Orts war ein gelehrter und gebildeter Mann , der meine Wißbegierde lebendig erhielt , so sehr sie auch immer wieder von den Träumen der Leidenschaft unterbrochen wurde .
Vor leerer Gesellschaft beschützte mich mein gebildeter Geschmack , als ich jetzt wieder in der Stadt lebte .
Ich liebte die Einsamkeit , und vertauschte sie nur gern mit einem Zirkel , wo Bildung und Geschmack herrschte .
Zum Glück fand ich einen solchen , in dem ich mit Liebe empfangen wurde .
Aller Umgang , aus dem ein zärtliches oder leichtsinniges Verhältnis entstehen konnte , war mir verhaßt , weil er meine Empfindung für Nordheim berührte , und ich fand in kurzem keine Liebhaber 263 mehr , sondern Freunde .
Die Verwirrung meiner ersten Jugend hatte mir den heiteren Frieden der Unschuld für immer geraubt .
Ich fühlte eine schreckliche Lücke in meinem Dasein ; nur in einem stillen guten Wirken fand ich eine Art von Ruhe , von Einheit in meinem Inneren .
Meine Liebe wurde dann von einem Schimmer der Hoffnung erhellt , und sie war und blieb das Element meines Daseins .
Die Hoffnung erhielt mein Leben .
Nordheim schrieb oft und freundschaftlich von einem Posttag zum anderen .
Jeden Brief entfaltete ich mit der Ahnung eines zärtlichen Inhalts ; immer wurde diese getäuscht , aber immer fand doch auch mein Herz einen neuen Faden , an dem sich seine goldene Träume fortspannen .
264 Mein Gemahl schrieb mir , in der ersten Zeit seiner Entfernung , alle Woche , hernach alle Monate , und endlich nur von Vierteljahr zu Vierteljahr .
Seine letzten Briefe verrieten Unruhe und den Zwang sie zu verbergen .
Was fühlte ich , als nach fünf Jahren der Trennung Nordheim in mein Zimmer trat !
Er brachte mir die Nachricht von dem Tode meines Mannes , und Trauer und Unruhe mischte sich in den süßesten Genuß des Wiedersehens .
Der Tod verändert unser Herz , und der Charakter eines Verstorbenen erscheint immer in anderem Licht , weil er uns getrennt von allen Verhältnissen erscheint , die Furcht und Hoffnung in unserer Brust erzeugten .
Er 265 macht alles unwiderruflich .
Spuren , die der Gang des Lebens vertilgt hätte , bleiben jetzt wie in Erz gedrückt stehen .
Das Bild eines beleidigten unversöhnten Schattens verfolgte mich , und innere Vorwürfe zerrissen meine Seele .
Der letzte Wille meines Mannes zeigte nur Güte , ja das reinste zarteste Wohlwollen für mich an .
Alles von seinen Besitzungen , was nicht Lehngüter waren , hatte er mir zugeteilt , und Nordheim zeigte mir einen Brief , in dem er ihn ausdrücklich und dringend bat , für mein Bestes zu sorgen .
Wir gingen auf das Gut , wo die Geschäfte hinriefen , Nordheim , ich 266 und eine Freundin , ein gutes Geschöpf , das sich unaussprechlich an mich geheftet hatte .
Diese zwei Monate waren die süßesten meines Lebens , obgleich Schmerz , Reue und Hoffnung sich sonderbar in mein Inneres teilten .
In Nordheims Gegenwart schwiegen Schmerz und Reue , gleich wie aus dem Hain der Göttin die rächenden Erinnyen entfliehen .
Den ganzen Tag sah ich meinen geliebten Freund für mich beschäftigt ; den Abend versammelten wir uns .
Mit sanfter Heiterkeit suchte er mich zu unterhalten .
In edlen Seelen nimmt das Mitleid so leicht die Farbe der Zärtlichkeit 267 an .
Das glänzende Auge , die sanfter bewegte Stimme täuschen ein liebeglühendes Herz , ohnedies so geneigt an die Empfindung zu glauben , die es fühlt und wünscht .
Wie schrecklich erwachte ich aus meiner Täuschung , als Nordheim bei unserer Abreise vom Lande sogleich die Anstalten zu einer neuen langen Entfernung von mir machte !
Dieses Umstürzen aller meiner Erwartungen erzeugte eine heftige Krankheit , an der meine Natur längst gearbeitet hatte .
Ich fiel in ein hitziges Fieber .
Meine Freundin und Nordheim verließen mich nicht .
Ich lag am Tode .
Nur selten hatte ich einen hellen Augenblick während meiner 268 Krankheit .
Ich freute mich in solchem über die Hoffnung , aus der Welt zu gehen , und sah Nordheims Sorgfalt für mich mit der zärtlichsten Rührung .
Wie verwundert , wie angenehm überrascht wurde ich , als ich bei meiner Genesung wahrnahm , daß Nordheim seinen Reiseplan geändert hatte .
Als er mich stark genug fand , um wieder an die Zukunft denken zu können , bat er mich um meine Hand .
Ich bebte zurück vor dem Glanz eines unaussprechlichen Glücks ; es war eine hohe Erscheinung , die ich nicht zu umfassen wagte ; sie kam zu unerwartet , und eine dunkle Ahnung hielt meine Seele gebunden , daß 269 mein Schicksal mir solch ein Glück nicht gewähre .
Nur Mäßigung und Dulden hielt die rächenden Göttinnen von mir entfernt ; ich ahndete , daß die labenden Früchte des Genusses vor meinen Lippen verschwinden würden .
Ich willigte gleichwohl in alles , was Nordheim wünschte .
Sein Betragen blieb sich gleich .
Er war der gefälligste zärtlichste Freund , aber einsam fühlte ich mich neben ihm in der Glut meines Herzens .
Der Besitz verändert jeden Gegenstand .
Ich fing an zu fürchten , zu zweifeln , und eine rächende Stimme in meinem Inneren rief mir unaufhörlich zu : ich sei eines solchen Glücks nicht wert .
270 Jetzt dachte ich mir Nordheims edle hohe Gestalt , als meinen Gemahl , im Angesicht des Mannes für den ich schwach gewesen war ; - der entscheidende Augenblick war gekommen , ich fühlte es , ich mußte der geliebten Hand entsagen .
Ich war unruhig bis ich meinen Entschluß Nordheim entdeckt hatte , und meiner Freundin , die mein ganzes Herz kannte , kündigte ich ihn zuerst an .
Sie fand mein Benehmen grillenhaft , sie kannte mein vergangenes Leben nicht ganz .
Als wir einmal im Gespräch auf Nordheims so schnell aufgegebenen Reiseplan kamen , sagte sie :
Ach es war in jener fürchterlichen Zeit , wo du mit dem Tode rangst !
Sein edles Herz vermochte dein Leiden nicht zu ertragen .
271 Meine Freundin kannte das Gewicht dieser Worte nicht .
Nach und nach lockte ich ihr die ganze Geschichte ab .
Alle meine Fieberfantasien waren voll von einer unglücklichen hoffnungslosen Liebe .
Nordheim hatte dieses oft aufmerksam und höchst bewegt vernommen .
An einem Abende , nachdem ich mit einem schmerzlichen Schrei aus dem Schlaf erwachte , hatte ich ausgerufen :
Der Reisewagen fährt vor ! - o ich werde wahnsinnig werden ! aber still , daß er nicht erfährt warum ; es würde ihn betrüben !
Als ich dann mein Haupt lautweinend ins Kopfkissen verborgen , sei Nordheim vor meinem Bette niedergekniet , habe meine Hände mit tausend 272 Tränen benetzt und ausgerufen : Teures , unglückliches Wesen , wenn ich dich retten kann , so nimm mein ganzes Dasein !
Hierauf habe er zu meiner Freundin gesagt :
Diese Szene bleibe ewig ein Geheimnis für unsere Freundin ! und sich in der größten Bewegung entfernt .
Ich dankte meinem Genius , daß mein Entschluß dieser Entdeckung zuvorgegangen war .
Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich ein Gefühl meiner selbst vor Nordheim , als ich ihn mit der Eröffnung meiner Gesinnung überraschte .
Er gab mir tausend Beweise , daß sein Antrag das volle Gefühl seines Herzens war , daß mein Glück in gewisser Art unzertrennlich 273 von dem seinen sei .
Als er aber meinen Entschluß unwiderruflich fand , gestand er mir frei , ich hätte das edelste erwählt .
Unsere Gemüter begegneten sich nun in himmlischer Freiheit .
Unaussprechlich ist das Verhältnis zarter Seelen , die auf ihre gegenseitige Stärke zu rechnen wagen .
Er sagte mir frei , daß er mich nie in dem Sinn geliebt hätte , wie es vielleicht meine volle Glückseligkeit erforderte , daß er das Vermögen zu einer tieferen höheren Empfindung in sich trüge , die als Ideal des höchsten Glückes vor ihm schwebe , und sich noch nie auf einen Gegenstand gesammelt habe .
274 Welches Glück fand ich darin , die hohe Seele meines Freundes im holden Vertrauen aufzufassen ! welche Erhebung meines eigenen Wesens !
Mein Zustand war ein Wechsel von Genuß und Leiden .
Meine geistigen Kräfte blieben in rascher Übung , ich hatte mein Gefühl immerwährend zu bekämpfen .
Nordheim blieb mein zärtlicher Freund ; Gewohnheit und Gewißheit des Besitzes , so hoffte er , würden die Dornen der Liebe aus meinem Gemüte reißen .
Ich genoß seines Umgangs in langen Zeiträumen ungestört .
Wenn die Welt unser Verhältnis falsch auslegte , so zeigte sie ihren gewöhnlichen 275 Kurzsinn ; gerade seine Reinheit bürgte mir für seine Dauer .
Nordheim und ich hatten uns vielleicht zu sehr gewöhnt mit dem Beifall unseres Herzens zufrieden zu sein .
Es mochte wohl mit unter auch ein guter Mensch an uns irre werden , aber wer uns genau kennen lernte , kam von seinem Irrtum zurück .
So vergingen die Jahre .
Je mehr ich in die Welt , in die mannigfachen Lebensweisen der Menschen blickte , je mehr lernte ich die reinen , ersten Naturverhältnisse der Ehe und der elterlichen Liebe ehren .
Es schmerzte mich , daß mein Freund sie entbehren sollte ; wie ich dir sagte , liebstes Kind , mein besseres Wesen wünschte sein reines Glück , und besiegte die Schwachheiten des Herzens .
276 Ich darf es hoffen , sie blieben sogar den Augen meines Freundes unbemerkbar , aber keine Gestalt hatte ihn gefesselt , obwohl er nicht immer ungerührt blieb .
Endlich fand er dich , und ich fühlte sein Herz getroffen , seine Seele voll Verlangen , und voll neuer Bilder des Lebens .
Deine sonderbare hülflose Lage , der Gedanke , dein Schicksal in jedem Fall verbessern zu können , stimmte in seinen Plan .
Er wollte das Herz , dem er die Ruhe seines Lebens vertraute , ganz kennen , in seiner Kraft des Empfindens , in der Gewalt seiner Neigungen , in dem Vermögen einzig durch Liebe beglückt zu werden .
Er eröffnete sich gegen deinen Vater in 277 Hohenfels , der dich uns anvertraute .
Bald entstand ein gespanntes Verhältnis zwischen uns beiden , und jedes verlor an innerer Klarheit und freiem Blick .
Nordheims unaussprechliche Bescheidenheit und Zartheit war mit den zunehmenden Jahren beinahe zur Krankheit geworden , die seinen sonst so scharfen Blick umdämmerte .
Er wollte ein einziges reines Glück dem Herzen , das er liebte , gewähren , und schwankte zwischen Verlangen und Furcht .
Bald bemerkte er Julius Neigung , und war entschlossen , jeden Anspruch aufzuopfern , um dein Glück zu machen .
Deine sonderbare verwickelte 278 Lage kam dazu , ich selbst fing an irre zu werden .
- Ach nur in einem ganz klaren Gemüt faßt das Mißtrauen nie Wurzel !
Nordheim empfand die ganze Gewalt der Leidenschaft , und wollte alle ihre Schwachheiten bekämpfen ; ein schweres Unternehmen , dem seine Riesenkraft selbst zuweilen unterlag .
Daher sein ungleiches Betragen , sein heftiges Ergreifen und schnelles Verlassen , das dich gute Seele quälte .
Als ein Genius wachte er über deinem Glück , und die zärtlichste Sorge eines liebenden Vaters beherrschte selbst sein Hoffen und Begehren nach dir .
Ich war entschlossen dich kalt zu prüfen .
- Ach du fühlst was das in meiner Lage hieß , und welche Schwachheiten ich zu besiegen hatte ! 279 Die Tage nach deinem Verschwinden waren unruhig und angstvoll ; Nordheim sagte mir sein völliges Einverständnis mit dir , sein reines Glück in deiner Liebe ; - ich teilte sein Empfinden - ja gewiß - aber gleichwohl fühlte ich meinen Busen gepreßt bis zum Zerspringen .
Nordheims Weib , war eine Gestalt die mir undenkbar war , und die mich gleichwohl ängstigte , wie ein Gespenst , mit dem man unsere Kindheit schreckte , uns noch jetzt ängstigen kann , wenn wir uns in einem halbwachenden Zustand befinden .
In dieser Stimmung war ich , als ich in deinem Zimmer jenes Kästchen von Madam Barcino fand .
Es war eine kleine Reisechatouille , die ich 280 meinem Gemahl geschenkt hatte , ein sonderbares Kunststück von Schreinerarbeit .
Ich zog an einem verborgenen Fach , um mich ganz zu überzeugen , und sogleich fiel mir ein Blatt von der Handschrift meines Gemahls in die Augen .
Es war eine alte Rechnung , die von ungefähr in das Fach gekommen zu sein schien ; aber wie verwundert war ich , als ich das Datum am Ende der Schrift besah .
Es war vom zweiten Jahre nach dem Tode meines Mannes , und aus Batavia .
Kaum konnte ich meinen Sinnen trauen .
Meine Ungeduld kannte keine Schranken , ich erbrach das Kästchen , und fand daß mein Gemahl noch 281 am Leben ist , und daß der edle Grund seiner Entfernung , meine innigste Dankbarkeit , mein ganzes Herz , mein ganzes Leben fordert .
Ich umarmte Amalie unter herzlichen Tränen .
Die rührende Wahrheit , mit der sie mir ihr Gemüt darlegte , der düstre Sinn ihres Schicksals , ein Dasein , das in der Knospe schon zernichtet wurde ; - alles dieses senkte eine unaussprechliche Wehmut in mein Herz .
Ihre schöne anspruchlose Liebe warf ein himmlisches Licht um ihre ganze Gestalt , und mein Wesen wallte in seinen zartesten Regungen gegen 282 sie .
Ich eile jetzt , einen Freund meines Gemahls , der in der Schweiz lebt , aufzusuchen , sagte die Gräfin .
Nach den Nachrichten , die ich von diesem empfangen werde , folge ich meinem Gemahl vielleicht in einen anderen Weltteil , vielleicht daß ich ihn zur Rückkehr nach Europa bewegen kann .
Vergebens bat ich sie , dieses Unternehmen aufzugeben , und die Rückkehr des Grafen im Schoß ihrer Freunde zu erwarten .
Nein , rief sie schmerzlich , auf den stürmischen Wogen des Meeres wird mein Herz ruhiger schlagen .
Nur einem schuldlos Leidenden wird jede 283 Stunde stiller Trauer zum Segen !
Aber wenn eine düstere Vergangenheit in unserem eigenen Herzen , und nicht allein in dem Gewebe unseres Schicksals hängt , wenn wir unser eigenes Wesen nicht rein aus den entflohenen Begebenheiten zu scheiden vermögen , dann sind die rächenden Göttinnen des Schicksals nur durch Taten , Mühe und Leiden zu versöhnen .
Lesen Sie die Briefe des Unglücklichen , den die Kraft eines stärkeren Herzens , als das meine war , vielleicht in dem Sonnenschein des Glücks erhalten hätte .
Sie gab mir folgenden Brief :
An Emilie Barcino. 284 Das Glück , gute Emilie , scheint vor dem törichten Leichtsinnigen zu fliehen , der es einmal mutwillig von sich gestoßen .
Bis jetzt zeigte sich mir noch keine Gelegenheit zu einer vorteilhaften Unternehmung , die mir Hoffnung machen könnte , unser aller Schicksal zu verbessern .
Wahrscheinlich werde ich in dieser entfernten Weltgegend mein Grab finden , ehe ich meine Glücksumstände wieder hergestellt habe .
Ich kenne Nordheims Großmut , und bin gewiß , daß du versorgt bist , und meine Kinder gut erzogen werden .
Gleichwohl quält mich der Gedanke , daß die armen Geschöpfe nur Wohltaten empfangen , keine Rechte 285 besitzen sollen .
Sollen selbst meine Kinder das Andenken ihres Vaters nicht segnen ?
Soll es ganz ungesegnet verlöschen ?
Ich rechnete auf einen früheren Lohn meiner Arbeit , als ich nach Indien ging , und es tat meinem Herzen wohl , meiner Gemahlin meinen guten Willen zu zeigen .
Die wenigen Güter die ich noch zurückließ , schienen mir eine geringe Entschädigung für den Verlust ihres schöneren Lebens , ihres ansehnlichen Vermögens , daß sie an meiner Seite verlor .
Meine schwankende Gesundheit , die von diesem Klima bald ganz zerstört werden wird , und der unvorgesehene langsame Gang meiner Unternehmungen , beunruhigen mich über das Schicksal meiner Kinder .
286 Ich sende dir hier durch einen sicheren Freund , der eben nach Europa zurückgeht , einen Brief an meine Gemahlin , aber mit dem ausdrücklichen Befehl , ihn erst dann zu übergeben , wenn du die Nachricht meines Todes durch eben diesen Freund empfangen hast .
Lebe wohl , gute Seele !
Ach , meine Kinder haben ihren Vater schon beweint !
Glückliches Alter , wo der Tod und ein unersetzlicher Verlust sinnlose Worte sind !
Lebe wohl !
An Amalie von Wildenfels .
Diese Zeilen sagen Ihnen , daß ein Unglücklicher noch einige Jahre durch litt , wo Sie ihn schon in der Ruhe des Grabes wähnten .
287 Mein Leben war ein Gewebe leichtsinniger Schwachheiten ; nur wenigen Glücklichen vergönnt das .
Schicksal , die Folgen ihrer Torheiten auszulöschen .
Ich wünschte aus einer Welt zu verschwinden , wo ich nur Verwirrung anrichtete und empfand .
Zweimal riß mich mein edler Freund Nordheim vom Abgrund des Verderbens , rettete meine Existenz , meine Ehre .
Heiße Gelübde folgten dem Gefühl dringender Not , aber ein Charakter , ein Leben , dem einmal die Folge gebricht , findet sie nur durch die Hilfe eines besseren Genius wieder .
Aufs neue hingerissen , fiel ich aufs neue in dringende Schulden .
Sollte ich noch einmal beladen mit unverzeihlicher Schwachheit und 288 Schuld vor meinem edlen Freund stehen ?
Je gewisser ich seiner Hilfe war , jemehr scheute ich die Hoheit und Güte dieses Wesens .
Ich will seine Achtung gewinnen , oder nie wieder vor ihm erscheinen , beschloß ich , als ich meine Reise nach Indien unternahm .
Ihnen , teure Amalie , wollte ich eine Freiheit wiedergeben , die Sie zu Ihrem Unglück zu früh an mich verloren ; an einen Mann , der Sie nicht zu schätzen , Ihre Jugend nicht zu leiten verstand .
Die Gesetze unserer Kirche erlauben Ihnen keine Heirat , so lange ich am Leben bin , und warum sollen Sie Fesseln tragen , die das Glück Ihres Lebens vergiften ? 289 Mein gänzliches Verschwinden allein löste die Verworrenheit , die ich verursachte .
So fühlte ich , als ich Madame Barcino mit der Nachricht meines Todes zu Nordheim schickte .
Ich hatte das arme Geschöpf von der Notwendigkeit meines Verschwindens vom Schauplatz überzeugt , und ein heiliges Gelübde ihrer Verschwiegenheit empfangen .
Ich hoffte bald durch Arbeit und Anstrengung ein kleines Vermögen zu erwerben , mit dem ich meine Kinder versorgen könnte , aber das Schicksal spielte mit meinen Entwürfen .
Wahrscheinlich unterliegt meine geschwächte Gesundheit in kurzem 290 der Gewalt dieses feindseligen Klimas .
Von Ihrem guten Herzen wage ich etwas zu bitten , und bin der Erhörung gewiß .
Genießen Sie die Einkünfte des geringen Vermögens , welches ich Ihnen zurücklassen konnte , so lange Sie leben , ungeteilt ; aber nach Ihrem Tode gehe es nicht in fremde Hände über , sondern werde ein Besitztum für meine Kinder .
Erst jetzt , da ich das Bittere der Armut und harten Arbeit unter einem fremden Himmel empfinde , fühle ich den Stachel der Sorge für die Zukunft dieser armen Geschöpfe .
Sollten sie sich als verlassen von ihrem Vater ansehen ? 291 Mein Andenken bleibe von Ihnen nicht ungesegnet .
Mein Wille war nie , Sie unglücklich zu machen , aber was ist der Wille einer kraftlosen Brust ?
Jetzt , da mich die Einsamkeit des Geistes und Herzens in mich selbst zurückführt , jetzt labt mich oft nach anstrengender Arbeit ein Traum von Ihnen , von allem was wir hätten für einander werden können ; aber die Schlange der Reue liegt unter diesen blühenden Träumen .
Alles ist vorbei , ich bin schon für Sie nicht mehr .
Auch der Nachhall meines Daseins , das Schattenleben das ich hier führe , wird bald verlöschen .
Ein Wunsch für Ihr Glück wird die letzte Regung meines Herzens sein .
292 Danken Sie Nordheim für seine Treue an meinen Kindern .
- Das Herz entgeht mir im Andenken dieses edlen Freundes , und die Züge meiner Hand verlöschen in Tränen .
Leben Sie wohl auf ewig !
Nach diesen Briefen hatte ich allen Mut verloren , Amalies Entschluß für jetzt zu bekämpfen .
Nachdem ich des Unglücklichen Schicksal mit ihr beweint hatte , fuhr sie fort :
Ich eilte sogleich zu Madame Barcino , nachdem ich diese Briefe gelesen .
Aus wenigen Äußerungen meines lebhaft bewegten Herzens fühlte sie , daß ich ihr Geheimnis wußte .
O Gott ! rief sie aus : Sie wissen , daß Ihr Gemahl noch lebt , wissen es , ohne daß ich meinen Eid verletzte !
Welches 293 Wunder deines Erbarmens ! sagte sie , und sank vor einem Marienbild in stillem Gebet nieder .
Ich erfuhr von ihr , daß sie seit diesen Briefen noch einige von meinem Gemahl erhalten .
Alle waren traurig , in demselben Sinn niedergeschlagener Hoffnungen wie der erste , und enthielten nur Fragen nach den Kindern .
Der Freund , durch welchen der Briefwechsel geführt wurde , und der über meines Mannes Schicksal näher als sie selbst unterrichtet schien , lebte in der Schweiz .
Das arme Weib war ein Raub der schmerzlichsten Gefühle , die ihr Gemüt bis zum Wahnsinn verspannt hatten .
Sie hörte von einer Heirat 294 Nordheims mit mir , von der sich das Gerücht oft verbreitete .
Da sie von dem Leben meines Mannes überzeugt war , trieb sie ihr Gewissen an , solch eine Entweihung des Sakraments zu verhindern .
Ihr abgelegter Eid , das Geheimnis von meines Mannes Leben nie zu entdecken , die Sorge um das Schicksal ihrer Kinder , dieses alles erregte einen fürchterlichen Sturm in der Armen Gemüt , das endlich den friedebringenden Traum als ein Rettungsmittel ergriff .
Sie beschwor mich jetzt , da sie mein Gelübde für ihre Kinder zu sorgen empfangen , ihr einen Zufluchtsort in einem Kloster zu verschaffen .
Ich werde mit Nordheim darüber sprechen , und glaube beinahe selbst , 295 ihre Fantasie , die von solchem Wahn nur befangen und erkrankt ist , wird auch am besten durch Wahn geheilt werden .
Die Gräfin verließ uns den folgenden Tag , versprach mir aber noch einen Besuch vor ihrer Reise nach der Schweiz .
Die alte holde Vertraulichkeit unseres Zirkels umfing mich so sanft in dem stillen häuslichen Leben meiner Freunde !
Das Stillschweigen , welches ich über meine Verhältnisse beobachtete , störten ihren Anteil an mir nicht .
Es schien ihnen bekannt , daß mein Schicksal in einer entscheidenden Crise lag .
Die feine Sitte bürgte mir vor jeder indiskreten Frage ; aber mehr als das , ich fühlte auch den stillen Sinn meiner Freunde , der mich dem 296 ungestörten Genusse des ahnungsvollen , sanfthoffenden Zustandes meiner Seele überließ .
Julius schien sehr beschäftigt , und suchte nicht mich allein zu finden .
Ich schrieb an meinen Vater .
Mit welch innigem Anteil rief ich mir jeden kleinen Umstand unserer ersten Bekanntschaft zurück !
Jedes bedeutende Wort , welches ich von ihm vernommen , die geheimnisvolle Kraft seiner Reden enthüllte sich mir jetzt ; der Sinn des Vaters hatte meine ahndende Seele getroffen .
Auch dem Prediger von Hohenfels schrieb ich , beruhigte ihn über die 297 sonderbare Begebenheit , deren Entzifferung ich ihm mündlich versprach .
Mein Glück , in dem völligen Einverständnis mit Nordheim , legte ich an sein teilnehmendes Herz .
Nordheim hatte ihm schon früher geschrieben .
Von Nordheim empfing ich jeden Tag liebevolle Zeilen , die mich mit der Hoffnung trösteten , daß unser Glück keine Opfer kosten würde .
Als die Gräfin nach D. zurückging , sollte Bettina sie begleiten , sie bat dringend bei mir bleiben zu dürfen .
Auf die Anspannung , in der sie ihre Sorge um mich erhalten hatte , folgte eine Art von kranker Ermattung .
Sie weinte an meinem Busen über mein Glück in Nordheims Verbindung , und es blieb mir und ihrem eigenen unschuldvollen Herzen unentschieden , 298 ob der Krampf des Schmerzens oder der Freude diese Tränen hervorpreßte .
Sie war verändert , und schien einen Rückblick auf sich selbst zu bekommen , den ihre große Lebhaftigkeit , und die Ungebundenheit ihres Wesens in allen seinen Empfindungen , bis jetzt immer gestört hatte .
Ihre Weiblichkeit erwachte , und suchte natürlich nach den Gesetzen des Anstands , der der inneren Sittsamkeit auch einen äußeren Ausdruck zu geben strebt .
Julius und Nordheim lebten in der innigsten Verbindung , und wechselten beinahe täglich Briefe .
Julius sann nur auf unser Glück , und wenn ich 299 ein Wort des Dankes gegen ihn aussprechen wollte , hieß er mich zärtlich schweigen , und sagte sanft :
Wer sollte nicht sein Dasein in dem Glück zweier solchen Menschen finden können !
Nach einer Entfernung von wenigen Tagen kam Julius des Morgens auf mein Zimmer .
Er gab mir einen Brief von Nordheim , der mich auf eine neue Wendung unserer Lage , die ich von Julius vernehmen sollte , vorbereitete , und der sich mit den Worten schloß :
" Meine Agnes allein wird meinen Entschluß bestimmen .
Seit das beste Herz an dem meinen schlug , ist sein Glück die erste nächste Bestimmung meines Daseins geworden , und ich fürchte nur zu sehr in diesem Fall 300 seine Stärke , die ich schon erfuhr . "
Julius sagte mir jetzt , daß eine Veränderung in den Konstellationen der politischen Welt es für den Fürsten und das ganze Land äußerst wichtig mache , eine Negoziierung , die Nordheim auf seiner letzten Reise an einem nordischen Hofe angeknüpft habe , weiter zu verfolgen .
Der entscheidende Moment sei nun gekommen , und von Nordheims persönlichen Eigenschaften und Lokalkenntnissen könne man sich einzig den glücklichsten Erfolg versprechen .
Der Minister fühle das , er selbst habe dem Fürsten die Notwendigkeit , Nordheim wieder zu gewinnen , vorgestellt .
Über das Verhältnis mit mir zeige er jedoch eine unbegreifliche Unbiegsamkeit .
Der Prinz und die Prinzessin glaubten beide , daß das Gemüt 301 ihres alten kränklichen Vaters so sehr von Furcht und Zweifeln über diese Heirat umstrickt sei , daß es dem Minister jetzt unmöglich falle , die selbst geschlungenen Knoten wieder aufzulösen .
Das Verhältnis sei für Nordheims Edelmut zart , und schwierig zu behandeln .
Er verschmähe es , meine Hand , als den Preis eines zu leistenden Dienstes zu fordern .
Da er gegen den Minister nicht zeigen dürfe , daß er von den Verhältnissen der Prinzessin unterrichtet sei , so könne er dem Fürsten gar keine Gewalt über Agnes zugestehen .
Bei dem Fürsten sei die Sache noch schwerer , und leide beinahe gar keine Berührung .
Der Prinz und die Prinzessin 302 scheuen es , in den alten Mann zu dringen ; ruhige Vorstellungen anzuhören sei er unfähig , und jede Aufwallung des Zorns drohe die schwache Natur zum Kampfe des Todes aufzureizen .
Über Hohenfels hingegen habe Nordheim höchst mutig und bestimmt mit dem Fürsten und Minister gesprochen , und beiden deutlich gesagt :
er könne keinem Herrn dienen , der mit einer Ungerechtigkeit beladen sei .
Auch habe er das Wort des Fürsten empfangen , Hohenfels solle in einem Monat befreit werden .
In jedem Fall werde Nordheim in Gemeinschaft mit Julius Maßregeln für Hohenfels Sicherheit nehmen .
303 O warum , meine teure Agnes , sagte Julius , indem er meine Hand faßte : warum ist Ihrem schönen Herzen nicht der volle Genuß seines Glücks gegönnt !
Nordheims Abwesenheit kann wenigstens ein halbes Jahr dauern , denn mancher Berg ist zu übersteigen oder zu untergraben ; die verschiedendsten Interessen sind zu vereinigen , und auf die verschiedensten Gemüter ist zu wirken : welcher Verlust wäre diese Trennung für die Liebe !
Nordheim drang bei Ihrer Mutter darauf , mit Ihnen vor seiner Abreise getraut zu werden , damit er Sie bitten dürfte , ihm nach Hohenfels Befreiung , an den Ort seiner Bestimmung zu folgen .
Die Prinzessin fand den 304 Plan zu gewagt , und fürchtete , der Fürst möchte davon unterrichtet werden .
Nordheim wollte sodann den Auftrag ganz ablehnen .
Der Prinz und die Prinzessin bestürmten ihn mit Bitten , ersterer aus Staatsinteresse , und die gute milde Seele in der Hoffnung , daß nach vollbrachtem Geschäft , die Heirat mit der Einwilligung des Fürsten geschehen würde .
Nordheim mußte endlich beiden in so weit nachgeben , daß die ganze Lage der Sache Ihnen dargelegt werden sollte , und versprach sich nach Ihrer Entscheidung zu betragen .
305 Mein erstes Gefühl war ungeteilt für die Reise , und es stand als ein Entschluß in meiner Seele , welcher alle folgenden Augenblicke der Schwachheit bekämpfte .
Meinem Verstande war es klar , daß das Interesse fürs Allgemeine die schmerzlichen Gefühle meines Herzens überwiegen müßte , daß es sogar unwürdig sei , sie gegen dasselbe nur abwägen zu wollen .
Aber die Sehnsucht der Liebe umschwebte mich mit einer ahndenden schauervollen Gegenwart .
Schmerz und Freude tönen mit verstärkter Gewalt von einem Herzen , welches die Liebe in seinen zartesten Saiten bewegt .
Ein leichtes Wölkchen wird zu einem schwarzen Gewitterhimmel , eine Trennung von 306 wenig Monden scheint eine Trennung für die Ewigkeit .
Meine Augen blieben zur Erde geheftet , als Julius ausgeredet hatte .
Ein Druck seiner Hand entriß mich der inneren Verworrenheit , und als mein Auge seinen klaren Blicken begegnete , fühlte ich die volle Kraft meines Wesens in dem Entschluß des mutigen Duldens .
Nordheim wird reisen , sagte mir Julius sanft , ich lese es in Ihrem Auge .
Ja , mein Freund , erwiderte ich .
Könnte ich es versuchen ihn aufzuhalten , wäre ich dann seiner , wäre ich meiner Freunde wert ?
Julius suchte mein Herz zu stillen , indem er mit mir auf allen meinen 307 Verhältnissen verweilte , denen er eine günstige Wendung prophezeihete .
Sein Herz genoß diese Stunden stiller Vertraulichkeit , und das meine fühlte sich erleichtert .
Des anderen Morgens meldete man mir die Ankunft des Prinzen .
Ich eilte in das Gesellschaftszimmer : nach der ersten Bewillkommung führte er mich in ein Fenster und sagte :
Meine Agnes , welche Probe hat Ihr Herz zu bestehen ?
Ist sie nicht zu schwer für solch ein zartes liebendes Wesen ?
Zwar kenne ich auch Ihre Stärke ....
Meine Stärke ist meine Liebe , erwiderte ich .
Sollte ich Nordheim von einem wichtigen guten Unternehmen zurückhalten , von einer Kraftäuße308 Runge , die ihn zum reinsten Lebensgenuß führt ?
Sollte ich ihm nicht gern auch die Freude noch danken wollen , durch ihn Ihr Bestes , die Ruhe meiner Mutter befördert zu sehen ?
Ein reiches Gemüt gab Dir die Natur , liebstes Mädchen ! sagte der Prinz .
Nordheim , fuhr er fort , wird vielleicht morgen früh hier sein .
Ich bat ihn , die Anstalten zu seiner Reise zu machen , während ich Ihre Einwilligung für ihn abholte , aber das schlug er rund ab .
Es ist nicht Mißtrauen gegen Sie , noch der Wunsch Agnes Willen zu lenken , sagte er , aber ich muß sie sprechen - ich muß es wissen , fühlen , daß dem besten Herzen keine Gewalt geschieht , daß es der volle Einklang ihres Wesens ist , aus dem sie handelt , nicht ein Moment der Selbstentsagung , deren 309 das schöne Herz so fähig ist .
Gern will ich dem Gesetz gehorchen , welches ich erkenne ; aber ich sage Ihnen , es steht auf Agnes Stirn geschrieben , und alle andere Rücksichten werde ich dieser aufopfern .
O nie kann ich dieser himmlischen Güte wert sein ! rief ich aus , indem süße Tränen mein Auge füllten .
Sie sind es , bestes Kind , sagte der Prinz gerührt , da Sie den freien Kreis seiner Tätigkeit respektieren .
Nordheim kennt die Gewalt , die ihm die Natur über Menschen und Begebenheiten gab , nicht ganz .
Die Resultate seiner Wirkungen nennt er nur eine Gunst des Glücks .
Da er alles Große mit Leichtigkeit vollbringt , wirkt er stille , sich selbst unbewußt , wie die 310 Natur .
Bescheiden wähnt er , ein anderer könne seine Stelle ersetzen , die unersetzbar ist .
Wüßte er ganz was er vermag , er hätte jetzt nicht zweifeln können .
Verzeihen Sie , Beste !
er hätte es nicht gekonnt , selbst aus Liebe für Sie nicht .
So eben fuhr Nordheims Wagen zum Tore herein .
Erhalten Sie Ihren Mut , liebstes Kind , sagte der Prinz .
Alles eilte Nordheimen entgegen .
Das Feuer seines Blicks schien gedämpft , still nahm er beim Frühstück seinen Platz neben mir ein , und wagte selten mir ins Auge zu schauen .
Klar und immer gegenwärtig , wie gewöhnlich , war sein Geist , aber es war eine Milde , eine Süßigkeit in dem 311 Ton seiner Stimme , vor der mein Innerstes erbebte .
Ich sehne mich nach einer stillen Stunde mit Ihnen , meine Liebste ! flüsterte er mir leise zu .
Die Gesellschaft zerstreute sich , ich ging auf mein Zimmer , und in wenigen Momenten folgte mir Nordheim mit Julius , der uns sogleich wieder verließ .
Nordheim drückte meine Hand sanft an seine Brust , an seine Lippen , und sagte :
Ich komme die Befehle meiner Agnes zu vernehmen , sie hat mich zu ihrem Eigentum gemacht , ich muß und will alles sein , was ihr holdes Herz beglückt .
312 Die süße Gewalt der Liebe ergriff mein ganzes Wesen .
Mein Entschluß , jede Kraft meines Busens zerrann wie in einem goldenen Morgennebel ; - ich fühle mich leicht und gestaltlos wie Luft , die nur zum Ton in dem Atem des Geliebten werden konnte .
Rechneten Sie nicht zu viel auf die Kraft eines Liebe-erfüllten Herzens , Bester ? sagte ich .
Er hielt mich in seinen Armen , mein Gesicht war an seine Brust gelehnt , und als mein Auge dem seinen zu begegnen wagte , glänzte Hoffnung und Freude in seinem feurig-fragenden Blick .
Ach , ich müßte mich des höchsten Lebensglückes unwürdig achten , fuhr ich fort , wenn ich nicht fähig wäre , es durch ein Opfer zu erringen . 313 Nie könnte ich mit mir zufrieden sein , wenn mein Herz mir jetzt seine Kraft versagte , - wenn ich Sie zurück zu halten strebte , da Sie mir mit so viel Güte einen Einfluß auf Ihren Entschluß gestatten .
Ich gehe also ! sagte Nordheim , und seine Augen blieben einige Minuten hindurch starr am Boden geheftet .
Ich wußte es ! fuhr er fort , indem er seinen hellen Blick nach mir kehrte , aber mein Herz hörte dennoch auf die Zaubergesänge der Hoffnung .
Ich fühlte einen leisen Vorwurf in diesen Worten , und in dem Ton , mit welchem Nordheim sie aussprach .
Mein Busen wallte in Schmerz und 314 Liebe , meine Tränen flossen .
Nordheim umfaßte mich sanft , und blickte voll rührender Zärtlichkeit in mein Auge .
Leise flüsterte ich ihm zu : Mein Einziggeliebter , ach Du fühlst meine Liebe nicht in diesem schmerzlichen Kampfe !
Ja , meine teure Seele , rief er höchst bewegt , - ich fühle es , Du scheidest nicht ohne Schmerz von den ersten Wallungen Deines zärtlichen Herzens .
Ich scheide mit Wunder Seele von der schönsten Blüte - vielleicht weniger Tage !
Aber ich fürchte es ganz , Du kannst nicht anders handeln .
Mit süßen Worten suchte er nun mein Herz in Frieden zu wiegen .
315 Dann sprach er von seinem Geschäft , von seinen Maßregeln in Ansehung meines Vaters und meiner .
Er wünschte , ich möchte mit der Gräfin sogleich in die Schweiz reisen , mein Vater und Julius sollten uns nachkommen .
Er selbst würde uns dort wieder finden , und in unserer Nähe leben , bis alle Hindernisse unserer Verbindung hinweggeräumt wären .
Die Zukunft stand halb vor meinem Gemüte , der Zwischenraum der Trennung rollte sich in seiner düstern Einförmigkeit immer enger zusammen .
Wir standen an einem Fenster , und blickten in die weite Gegend , die im Glanz der Mittagssonne schimmerte .
Hell wie die Natur sei unser Gemüt im Scheiden , sagte Nordheim 316 Wie sich ihre Strahlen ewig verjüngen , so hat auch das Glück unserer Liebe eine ewige Jugend .
Ich eile jetzt von Dir , meine Agnes ; wenn wir uns wiederfinden , liegen Jahre der Vereinigung vor uns .
Sein Abschiedskuß glühte auf meinen Lippen , sein Auge , in welchem Tränen rollten , kehrte sich noch einmal nach mir , und er war verschwunden .
Nach wenigen Minuten sah ich seinen Wagen vorfahren .
Bald erschien er selbst , von Julius begleitet Er wendete sich nach meinen Fenstern , ich winkte ihm noch ein Lebewohl zu .
Welche geheimnisvolle All Gewalt ist zwei liebenden Herzen gegeben !
Der dumpfe zerstörende Schmerz , mit 317 welchem ich Nordheim sonst verließ , ehe sich sein Herz zu mir gewendet , war jetzt in ein unaussprechliches lebendiges Verlangen verwandelt , in dem meine Seele der Unendlichkeit entgegen blühte .
Auch sein Herz blieb bei mir zurück .
Eine glühende Kette des ewig regen zarten Verlangens zog mich ihm nach , und die guten Geister des Himmels webten goldene Träume , die Entfernten zu laben .
Ich sah seinem Wagen auf der langen Straße nach , und als er sich endlich im Gebüsch verlor , und des Schmerzens kalte Hand mein Herz zusammenpreßte , rief mir eine freundliche Stimme aus der lichten glänzenden Luft :
Er wird liebend wiederkehren ! 318 Wie tot und kalt scheinen uns selbst die lieblichen Gestalten des Lebens , nach dem ätherischen Dasein der Liebe !
Matt und strahlenlos , wie eine Gegend , in der das purpurne Abendlicht ausgebrannt ist , scheint das ganze Leben .
Julius hatte den letzten Händedruck meines Geliebten empfangen .
Er wußte das Segel der Hoffnung in meinem Gemüt mit sanften Worten zu schwellen .
Aber ich bemerkte eine schmerzliche Anspannung in seinem Wesen , die mir mit jedem Trost von seinen Lippen auch einen Stachel des Schmerzens in den Busen warf .
319 Der Prinz war nach D. gereist , meine Mutter noch immer mit dem Fürsten im -schen Bade .
Ich hatte sie nach Nordheims Wunsch um die Erlaubnis gebeten , die Gräfin in die Schweiz zu begleiten , aber sie bat mich , noch einige Wochen ruhig bei Elise zu bleiben .
Die Gesundheit des Fürsten sei sehr schwankend , er schiene nicht mehr so ängstlich auf meine Entfernung zu dringen .
Nach dem Bade würde er noch die schönen Herbsttage auf dem Lustschloß , wo ich mich befunden , zubringen , und ihr sei es ein Trost , mich in ihrer Nähe zu denken .
Sobald mein Vater 320 seine Befreiung erhalten , könnte ich sodann mit ihm reisen .
Ich wußte hierauf nichts zu erwidern , so gern ich auch nach Nordheims Sinn gehandelt hätte , der mir für die Reise noch andere Gründe als mein Vergnügen zu haben schien .
Der Fürst sei höchst zufrieden von Nordheims Betragen , schrieb mir meine Mutter , sie hoffe auf die schönste Entwicklung unserer Verhältnisse .
Alban und Julius waren häufig abwesend , meine gute Elise war meinem Gemüt gleichsam ein sanfter Nachhall seiner Gefühle .
Der Genuß des Landlebens , das Interesse , das ich aus der Bekanntschaft mit dem Gang der Landwirtschaft , aus allen . seinen einfachen Beschäftigungen schöpfte , 321 erhielt mich in stiller Erwartung .
Nordheims Briefe voll Geist und Leben , voll der unaussprechlichen Einfachheit eines großen liebenden Herzens , waren die Sonnenblicke in diesem Dasein , welche über das Ganze einen sanften Dämmerschein ergossen .
Die Zeit nahte heran , wo wir die Befreiung meines Vaters erwarteten , aber statt der frohen Erwartungen , nahmen die Briefe meiner Mutter einen ungewöhnlich traurigen Ton an .
Auch in dem Zirkel meiner Freunde herrschte Traurigkeit , Unruhe und Mißbehagen .
Es war ein dumpfes Mißbehagen , das die Lippen vor jeder vertraulichen Frage zusammenpreßte .
322 Julius besonders schien höchst gereizt und mißmutig gegen seinen Bruder , und hatte nur gegen mich die ganze gewohnte sanfte Gefälligkeit des Betragens beibehalten .
Ich glaubte , es sei eine Familienstreitigkeit , die mich unter so edlen innigvereinten Naturen schmerzte , aber natürlich jede Frage unterdrücken hieß .
Julius vermied mit mir allein zusammen zu treffen .
Ein Gespräch über Julius Gesundheit , das ich selbst anfing , weil ich seit einiger Zeit besorgt darum war , führte endlich zu einer Erklärung .
Alban sagte mir , daß Julius nach einer sehr schnellen erhitzten Reise Blut ausgeworfen hätte .
Ich ahndete , die Reise sei zu meinem Vater gewesen . 323 Die Besorgnis um meinen Freund , der etwas rauhe vorwurfsähnliche Ton des Bruders , bebte durch meinen Busen .
Ich entfärbte mich , und eilte zum Fenster , um meine Tränen zu verbergen .
Und wie er_es treibt ! fuhr Alban fort , als bemerkte er mich nicht ; dieser schmerzlichste Kampf der Seele , diese zerstörende Tätigkeit des Körpers müßten die stärkste Natur aufreiben .
Jetzt , da sich alle Verhältnisse von selbst fügen , gleichsam aufdringen , jetzt dem Glück des Herzens entsagen zu müssen , das kann wohl einer zarten Natur den letzten Stoß geben . -
Den talentvollen liebenswürdigen Jüngling so zu Grunde gehen zu sehen , ist wahrhaftig seelenzerreißend , sagte Elise .
Mein Herz war wie auseinandergesprengt , alle meine Nerven zuckten 324 vor Schmerz , - ich sank auf einen Stuhl , verbarg meine Tränen nicht länger , und rief aus : O Gott ! was vermag ihn zu retten !
Elise faßte meinen Kopf an ihre Brust , sah schmerzlich auf mich nieder , und sagte : Du !
Unmöglich , unmöglich ! rief ich .
Er selbst wird diese Hilfe verschmähen .
Alban hielt meine Hand und sagte : Fassen Sie sich , liebste Agnes !
Da Elise und ich einmal von unseren Herzen hingerissen wurden , - da Sie einmal das wichtigste wissen , so muß ich , ungeachtet des Versprechens , das ich meinem Bruder gab , Ihnen nun auch alles noch übrige entdecken .
Vereint wollen wir für unseren Julius sorgen .
325 Ich lag in dem bangsten Zustand an der Brust meiner Freundin .
Nachdem ich meine Tränen getrocknet hatte , folgte ich Elise zu Alban .
Er eröffnete mir , daß der Fürst durch den Minister , Julius den Antrag hätte tun lassen , in Diensten des - schen Hofes nach England zu reisen , und ihm dabei zu verstehen gegeben , wie er sich um meine Hand bewerben möchte .
Julius habe den Minister abgewiesen ; Er werde nie die Verlobte seines Freundes und sich selbst durch solch ein Betragen beleidigen .
Der Minister habe erwidert : die Heirat mit Nordheim werde nie geschehen ; und ernst hinzugesetzt :
Sie wissen nicht , was für Folgen aus dieser 326 Unbeugsamkeit entstehen können !
Julius hochgestimmtes Gefühl und des Ministers glattgeschlissener Weltsinn wären sich gegenseitig so unverständlich geblieben , daß sie nur gehaltlose Worte mit einander gewechselt hätten .
Er selbst hätte sich aus des Ministers Reden von den Schwierigkeiten meiner Verbindung mit Nordheim überzeugt .
Auch mit dem Prinzen und der Prinzessin hätte er über das Verhältnis gesprochen ; beide sähen diese Heirat als das einzige Mittel an , den Fürsten zu beruhigen , und die ganze verworrene Lage aufzulösen .
Julius glüht von heißer Leidenschaft für Sie , sagte Alban , und arbeitet 327 gleichwohl sich selbst entgegen .
Ist das menschliche Gemüt gemacht , solch einen Kampf zu bestehen , da er die geheimsten Fäden des Lebens trennt ?
Ich will nicht in Sie dringen ; aber wenn Ihre Hoffnungen scheiterten , und Ihr Herz wendete sich zu spät gegen das im Lebenskampf ermattete Ihres Freundes ...
Ich war verwundet bis in mein Innerstes .
Aber die falsche Ansicht meines Verhältnisses , die Alban mir , vielleicht sich selbst unterzuschieben suchte , stumpfte den Pfeil der Empfindung ab , den er an mein Herz warf .
Der Ausdruck einer Empfindung , der nicht trifft , tut immer eine 328 entgegengesetzte Wirkung , und bewaffnet den Verstand gegen das Herz .
Es ist hier nicht allein von Gefühlen , von Glück und Unglück die Rede , sondern von der Notwendigkeit , von Recht und Unrecht , meine teuren Freunde , sagte ich .
Ich gab Nordheim mein Wort , wie mein Herz .
Was kann ich sonst tun ? soll ich mich entfernen ?
Elise und Alban baten mich innigst zu bleiben , Julius würde es nicht ertragen .
Wie manche Verwirrung richten gute Seelen im Leben an , wenn sie den Gesichtskreis edler Naturen mit ihren schwächeren Augen beherrschen wollen ?
Julius kam noch denselben Abend zurück .
Er war heftig , zerstört ; 329 meine Brust war gepreßt bis zum Ersticken , in seinem Anschauen wurde mein Herz in Wehmut aufgelöst .
Den nächsten Morgen ließ er mich um eine Unterredung bitten .
Seine sanften Züge waren entstellt ; Fieberröte glühte auf seinen Wangen .
Mit zitternder Hand reichte er mir einen Brief .
Lesen Sie , sagte er heftig .
All mein Bestreben , Ihnen dieses zu ersparen , war fruchtlos .
- Lesen Sie . -
Mit bebenden Fingern erbrach ich den Brief .
Er war von meiner Mutter .
" Wir sind verraten , mein bestes Kind , alle unsere Hoffnungen sind 330 zernichtet Deinem edlen Vater droht lebenslängliche Gefangenschaft .
Der böse arglistige Mann kündigte mir in Gegenwart meines Vaters an , Staatsraison erlaube durchaus nicht deinem Vater die Freiheit zu geben , wenn er solche furchtbare Stütze an Nordheim zum Schwiegersohn bekäme .
Er werde auf eine - sche Festung transportiert werden , wenn wir auf der Heirat bestünden .
Die Albanische Familie sei sehr geneigt zu einer Verbindung mit Julius , diese löse den ganzen verworrenen Handel auf , wir müßten dich dazu bewegen .
Mein Bruder kann für jetzt nicht wirken , dein Vater ist in dringender Gefahr , - Julius war mir ein guter Engel , - berate dich mit ihm . -
Was kann ich sagen ?
was raten ? meine Seele ist an den Grenzen 331 des Wahnsinns ! -
Jeder Gedanke bricht ab .
- Der Fürst will dich selbst in den nächsten Tagen sprechen . "
Julius Zustand hielt meine Sinnen beisammen , wie sehr auch mein Gemüt durch den Brief erschüttert war .
Ich behielt ihn sprachlos und sinnend in Händen , ob ich gleich keinen klaren Gedanken festhalten konnte . -
Ich las diese Zeilen ! rief Julius .
Der tückische schändliche Mensch !
Staatsraison - Wohl uns , daß diese Nüanz der Schelmerei ein Fremdling auf unserer Zunge ist .
Die Albanische Familie wünscht die Heirat ?
Ja , so sind diese alten eingerosteten Staatsmaschinen .
Jedes individuelle Inter-332 esse suchen sie ins Collective zu spielen , zu vernichten .
Das ganze lebendige Herz wird so zum leeren Schall , zum toten Zeichen , - ein altes Familien-Dokument .
Verzeihen kann ich_es meinem Bruder nie , daß er einen Augenblick von den Schlingen des listigen Alten umfangen wurde .
Er faßte sich jetzt , sah mich sanft an und sagte :
Was zu tun ist , liebe Agnes ?
Mir Ihre Hand zu geben ? -
ein schmerzliches Lächeln verzog seine Lippen .
- Nicht wahr , das wäre so in der Manier des Herrn Ministers ?
Aber mir Ihre Hand geben , - und gleich nach der Trauung mit Ihrem Vater nach der Schweiz reisen , während ich nach England abgehe , - das 333 ist der Ausweg , den Sie zur Rettung Ihres Vaters vielleicht erwählen müssen !
O Julius ! rief ich höchst bewegt , und drückte seine Hand an mein Herz :
Mit dieser edlen Hand , die das unaussprechlichste Glück eines freien Herzens machen müßte , mit dieser edlen Hand soll und muß kein leichtsinniges Spiel getrieben werden !
Beste Seele ! sagte er mit dem Ton himmlischer Ruhe ; was können treue wahre Menschen anders tun , als den unausweichbaren Leiden ihres Schicksals , mit klarem reinem Sinn , fest vereint begegnen !
Das holde Vertrauen , mit welchem Sie meiner Liebe entgegen kamen , ist vielleicht ein so unauflösliches Band , als die Gegenliebe selbst .
Bleiben Sie immer 334 frei vor mir , und lassen sich von einem Moment der Schwachheit nicht irre machen .
Jeder fühlt wohl zuweilen die zwei Seelen in sich streiten ; aber das Vertrauen der Freunde macht stark und groß , und gibt der besseren das Übergewicht .
Nordheim betrug sich gegen mich als gegen einen Starken , und ich wurde es .
Und warum sollte ich auch bedürftig und schwach sein ?
Was heißt denn Selbstgenuß , wenn nicht die Wirksamkeit für das Glück geliebter Wesen ?
Sein Auge glänzte gleich als im überirdischen Lichte in diesem Augen335 Blick , und drückte den höchsten Zustand des Gemüts aus , eine Klarheit , nur würdig , sich im endlosen Blau des Äthers zu spiegeln .
Aber in seinem Lächeln war etwas , welches auf ein Unvermögen der Natur deutete , sich der Individualität ganz zu entziehen , in der die Angeln unseres jetzigen Daseins ruhen .
Sein Empfinden erschien in der Sphäre des menschlichen Seins als Tugend , während aus dem Blick des fessellosen Geistes die Freiheit des Himmels strahlte .
O Julius , sagte ich , meine Achtung für Sie ist grenzenlos .
Ihr großer reiner Sinn ist mir zum Schutzgeist gegeben .
Er soll mich leiten .
Was soll 336 ich tun ?
Wie können wir meinen Vater befreien ?
Aller Schein der Widersetzlichkeit ist in diesem Moment gefährlich , sagte Julius .
Wenn Sie zum Fürsten kommen , willigen Sie in alles .
Noch habe ich Hoffnung , Ihnen den entscheidenden Schritt , der Ihre Feinheit beleidigen muß , zu ersparen ; fällt diese ....
Sein Blick sank zur Erde , eine feine Röte flog über sein Gesicht , aber schnell sah er mir wieder klar ins Auge und sagte :
Doch warum sollte es Ihnen zuwider sein , sich und Ihren Vater durch den Namen Ihres Freundes allen weiteren Verfolgungen zu entziehen ?
Sie erwarten Nordheim in der Schweiz .
Er lächelte still , schüttelte den Kopf und sagte :
Es ist sonderbar , daß mir das Schicksal 337 diese Illusion weniger Momente an Ihrer Seite noch vergönnt !
Es war ein inniges Widerstreben in meinem Gemüt , dem diese Worte seine volle Bedeutung gaben .
Die Furcht , Nordheim zu kranken , war es nicht allein , was mich bis jetzt quälte .
Du solltest spielen mit der Ruhe der besten Seele ! solltest ihre Träume eines einmal heiß ersehnten Glücks mit glühenden täuschenden Farben aufs neue beleben ! -
Ich bebte vor mir selbst zurück . -
Aber dein Vater liegt gefangen !
so drang eine schneidende Stimme durch mein Inneres , und ich mußte der Notwendigkeit allein gültigem Ausspruch folgen .
338 Ich war verwirrt und suchte vergebens nach einem Ausdruck .
Sanft und schonend sagte Julius :
Ich reise diesen Abend zu Ihrem Vater , vielleicht gelingt mir ein gutes Unternehmen .
Nordheim hatte vieles vorbereitet , er traute schon bei seiner Abreise nicht recht .
Ich bat Julius innig , sich auf der Reise zu schonen , da seine Brust litte .
Ich ahndete es doch , rief er aus , da ich gestern Abend die zurückgehaltenen Perlen in Ihrem Auge sah , man hat Sie auch mit kleinlichen Besorgnissen gequält !
Ich bat ihn , mild mit seinem leidenden Bruder und Elise zu sein , und sich für uns alle zu schonen .
Sein Sie unbesorgt , Beste , sagte er beim Abschied , ein Leben für Sie - 339 hat immer seinen Wert .
Bewahren Sie in jedem Fall die himmlische Unbefangenheit Ihres Gemüts gegen mich .
Diese und die große Seele Ihres Geliebten heilten mich von jeder Schwachheit , die die gutmütige Ängstlichkeit meines Bruders unvertilgbar wähnte .
Mir selbst überlassen verlebte ich einige höchst unruhvolle Tage .
Die Notwendigkeit mußte mir gebieten , aber immer sah ich neue mögliche Fälle , die ihren strengen Schluß abzuändern vermöchten .
Rege Lebensmomente sind es , wo wir selbst die Waagschale unseres Lebens in der Hand zu halten wähnen !
Uns ist_es wie dem Wanderer , der im 340 Schoß der Gebirge im Morgennebel wallt .
Alle Gestalten schweben in schwankenden Umrissen vor ihm .
Bald erblickt er einen fürchterlichen Abgrund , bald eine lachende Ferne .
Aber wenn wir wählen sollen unter den Schmerzen , die unserem Entschluß notwendig folgen , wenn eines unserer Geliebten leiden muß , dann drängen sich alle Rätsel unseres eng-beschränkten menschlichen Daseins um uns her , und unser Herz erliegt unter ihrer Last .
Die Stimme des Rechts , der inneren Notwendigkeit unseres Wesens , selbst diese spricht nicht stark genug .
Wir vermögen uns selbst aufzuopfern , aber ein geliebtes Wesen zu kränken , da versagt unsere Kraft .
Unser Herz treibt unseren Verstand im Zirkel des Wahnsinns herum , 341 vergebens versucht er in tausend neuen Kombinationen der Verhältnisse , sich dem unausweichbaren Geschick zu entziehen .
Glücklich , wem sein Genius hier erscheint , der seinen heiligen Schleier um unser Auge hüllt , und uns mit freundlicher Gewalt fortzieht !
Den dritten Tag nach Julius Abreise kam ein Bote von meiner Mutter , mit einer Einladung des Fürsten an uns alle , ihn noch heute auf dem Lustschloß zu besuchen .
Ich bemerkte ein geheimnisvolles Wesen zwischen Alban und Elise .
Elise war geschäftiger als je , mich zu schmücken ; als sie meine Haare mit Rosen durchflochten hatte , sagte sie :
Und die Myrtenkrone hältst du 342 deiner Freundin verborgen , oder Julius wird sie dir erst reichen ?
Ach die Myrte ist kein Baum der Glückseligkeit für uns , sagte ich .
Sie schwieg traurig .
Alban war nachdenkend auf dem Wege .
Es schmerzte mich , daß die guten Seelen Erwartungen schöpften , denen mein Inneres widersprach .
Der Fürst empfing mich gütig .
Meine Mutter nahm mich in ein Fenster , küßte mich weinend und sagte : Mein Kind , wie kann ich dir danken !
Ich bemerkte lange Gespräche zwischen Alban und dem Minister , ge 343 heim Winke des Fürsten .
Etwas außerordentliches schien im Werke zu sein , alle Augen waren auf mich gerichtet .
Madam Imbert hielt mich in einem Vorzimmer mit einem weitläufigen Glückwunsch auf , der alte treue Diener flüsterte mir leise den seinen zu .
Alles schien zu einem Feste geordnet .
Mein Herz schlug voll ängstlicher Erwartung .
Der Abend war heiter , die Gesellschaft stand auf einem Balcon , vor dem ein weiter Grund lag , den die breite Landstraße in Krümmungen durchschnitt .
Ein Wagen fuhr rasch dem Schlosse zu .
Es ist meines Bruders Wagen ! rief Alban .
Der Minister fragte den Fürsten , ob er in den Saal gehen wollte , Herr 344 von Alban würde sogleich hier sein .
Der Fürst bot mir die Hand ; ich zögerte ihm die meine zu reichen , und bebte zitternd zurück .
Ein sorgsamer Blick meiner Mutter , - und ich folgte ihm ohne Widerrede .
Die Ruhe , die Sie über die letzten Stunden eines Greises verbreiten , sagte mir der Fürst im Gehen , werde ein Segen für Sie .
Die zitternde dumpfe Stimme des Greises , die bebende Brust , die zitternde Hand in der meinen - gab diesen Worten eine Gewalt , die in allen meinen Nerven wiedertönte .
Guter Mann , sagte ich in meinem Inneren : warum trennen mich die unvertilgbaren Züge des Vorurteils von deinem Herzen !
345 Kaum waren wir in den Saal getreten , als ein Geistlicher erschien , der mich mit tiefen Verbeugungen und einem langen Glückwunsch empfing .
Der Bräutigam wird sogleich hier sein , sagte der Fürst .
Eine Seitentür in eine kleine Kapelle öffnete sich .
Die Lichter glänzten auf dem Altar , der Geistliche stand mit der Agende in der Hand vor demselben .
Die Kirche war dichtgedrängt voll Zuschauer , und ein feierlicher Kirchengesang schallte dumpf aus den Hallen des Gewölbes .
Ich atmete schwer , mein Herz zog sich krampfhaft zusammen ; bald glühte ich , und bald schüttelte ein Fieberfrost meine Glieder durch einander .
Meine Nerven wirbelten vom Kopf bis zur Ferse , mir war als sänke 346 ein Flor vor meine Augen , der immer undurchdringlicher wurde .
Als meine Sinne sich wieder den gegenwärtigen Erscheinungen eröffneten , fühlte ich meine Hände sanft gehalten , und meine Blicke fielen auf den Arzt , auf meine Mutter .
Der Anblick des Arztes versetzte mich in andere Zeiten , aber ich schauderte , als ich die Wände des Saales wieder um mich erblickte .
Der Arzt sagte mir :
Die Trauung wird nicht vollzogen , Julius sendete mich zu Ihnen .
Beruhigen Sie sich , und lesen Sie diese Zeilen .
Er entfernte sich , und ich las : " Ich war glücklich .
Ihr Vater ist frei .
Jede Sorge falle jetzt von Ihrem 347 Herzen .
Der Arzt wird alles übrige einleiten ! "
Das höchste glühendste Leben schwellte meinen Busen , ich sprang auf , lag sprachlos zu den Füßen meiner Mutter , und hielt ihr die Zeilen vor .
Der Arzt kehrte zurück und sagte uns , daß er an Herrn von Alban den Auftrag seines Bruders ausgerichtet , welcher dem Fürsten sogleich gemeldet hätte , daß Julius , von einem schnellen Übelbefinden angefallen , sich für heute entschuldigen müsse , die Zeremonie zu unterbrechen .
Der Fürst habe sich mißmutig auf sein Zimmer begeben , und Herr und Frau von Alban warteten auf mich , um wegzufahren , er selbst wollte uns begleiten .
348 Elise kam , sich nach meinem Befinden zu erkundigen ; sie war mehr sanft traurig , als verstimmt .
Ich versprach meiner Mutter , den folgenden Morgen Nachricht durch den Arzt zu senden , und Alban führte mich zum Wagen .
Wir fahren über E. zurück ! sagte er dem Kutscher beim Einsteigen .
E. war der Nahme eines kleinen Gutes , welches sich Julius besonders eingerichtet hatte .
Der Arzt war ein Vertrauter des Albaneschen Hauses .
Er wußte Nordheims Liebe für mich ; aus meiner Abneigung gegen eine andere Heirat schloß er , wie natürlich , daß der Minister mich zur selben zwingen wollte ; dies befremdete ihn weiter nicht , denn man war seiner krummen Wege , 349 und seiner Einmischung in Familienverhältnisse schon gewohnt .
Julius sei bei ihm vorgefahren , sagte er uns , habe ihn gebeten , eilends in seinem Wagen nach dem Lustschloß zu fahren , und die Briefe an mich und Alban zu bestellen .
Während dem sei jener mit noch einem Fremden in eine Postchaise gestiegen , und eilend weggefahren .
Der Wagen des Arztes folgte uns , und wo sich die Straße teilte und nach dem Städtchen zog , stieg er aus , mit dem Versprechen mich den nächsten Morgen bei Albans zu besuchen .
Alban sagte mir , als wir allein waren , wir würden Julius selbst in E. 350 finden , mit noch einem Freunde .
Sein bedeutender Blick sagte mir , daß er wohl wüßte , wer dieser Freund sei .
Mein Herz ergoß seinen Dank , seine Bewunderung für Julius mit Entzücken .
Die Gemüter meiner Freunde waren reingestimmt , um ein edles Betragen zu empfinden , ob sie gleich nicht immer die Energie hatten es zu ihrem eigenen zu wählen .
Mit ihrer ganzen Herzlichkeit faßten sie mich aufs neue , und im Gefühl des hohen Sinnes eines geliebten Bruders , verbanden wir uns wie in einem neuen Element zur zarten Freundschaft .
Julius empfing mich in E. am Wagen , und führte mich in ein entlegenes 351 Zimmer , wo ich die Gestalt meines verehrten Vaters erblickte .
Frey lag ich jetzt mit unaussprechlicher Liebe an der treuen Brust , die so oft schon mein Wesen in seinem Innersten vernommen hatte .
Im Gefühl einer Würde , die nicht fürchten darf erkannt zu werden , hatte meines Vaters Gestalt einen Ausdruck von ruhiger Kraft genommen , der stille Verehrung gebot .
Julius wollte sich entfernen , wir baten ihn beide , sich nicht von dem Glücke unseres Herzens , seinem eigenen Werke , zu trennen .
Ich vernahm jetzt die Geschichte der Befreiung meines Vaters , von der mich Julius aus zarter Schonung erst nach dem glücklichen Erfolg unterrichten wollte .
352 Schon damals , als Nordheim mich selbst gewaltsam aus dem Schlosse des Fürsten entreißen wollte , hatte er auch den Anschlag mit Julius gefaßt , meinen Vater zu befreien .
Mein Vater verwarf den Vorschlag , hoffte , der Sinn des Fürsten würde sich durch mildere Maßregeln am ersten gegen ihn verändern , nur mich wünschte er in Nordheims Händen zu sehen .
Man hatte den Prinzen zu keinem Unternehmen gegen seinen Vater ziehen wollen .
Jetzt , während Nordheims Abwesenheit , wurden die Umstände dringen der .
Die neuen Drohungen gegen Hohenfels , das Bemühen , mich von 353 Nordheim zu trennen , bewogen Julius nach D. zu eilen , und den Prinzen zu meines Vaters Befreiung aufzurufen .Äußerst entrüstet über die Unverschämtheit des Ministers , der den Fürsten von Ungerechtigkeit zu Ungerechtigkeit hinriß , beschämt durch die Untreue an Nordheim , entschloß er sich zur lebhaften Wirksamkeit .
Er ließ den alten Offizier zu sich rufen , entdeckte ihm die Notwendigkeit Hohenfels zu befreien , und entzog ihn selbst aller Verantwortung , indem er ihn mit einer guten Pension außer Landes schickte .
Julius war während dem auf dem festen Schlosse , und die übrige Garnison wurde bestochen .
Mein Vater gab den dringenden Umständen nach , und entschloß sich zur Flucht .
354 Nach einer Zusammenkunft mit meiner Gemahlin reise ich sogleich ab , sagte mein Vater , um unseren Freund in keine weiteren Verlegenheiten zu setzen .
Wird mir meine Agnes nach der Schweiz folgen ?
Wird unser edler Freund uns gern begleiten ?
Während der ersten Tagereise , sagte Julius , wo ich Ihnen vielleicht dienen kann ; hernach versprach ich dem Prinzen , in D. bei ihm zu bleiben .
Wir blieben in Julius Hause , weil es dem Zufluß der Fremden weniger ausgesetzt war .
Den nächsten Morgen kam der Arzt auf mein Zimmer ; er hatte meine Mutter schon gesprochen , da er wegen der Krankheit des Fürsten auf das Lustschloß gerufen worden .
355 Meine Mutter schrieb mir , der Prinz sei angekommen , der Minister sei demütig gegen ihn , da er uns mit keinem üblen Einfluß auf Hohenfels Schicksal mehr drohen könne , und habe versprochen , Hohenfels Entweichung dem Fürsten ganz zu verbergen , ihn auch über die fehlgeschlagene Trauung zu trösten , und ihm meine Entfernung aufs neue als ein hinlängliches Mittel , das Geheimnis zu verwahren , anzuempfehlen .
" Müssen uns aus dieses bösen Mannes verschobenem Gehirn , wie aus der Büchse der Pandora , alles Übel , alle unglücklichen Begebenheiten hervorgehen ? rief mein Vater .
Traurig ist_es , daß die Wirkung des Bösen einen rascheren Gang haben muß , als die des Guten .
Der Böse verfolgt 356 nur sein Ziel , tritt ohne Zögern die blühenden Saaten danieder , durch welche der Gute mit mildem Herzen einen schlängelnden Pfad sucht .
Er fühlt , daß er nur die Wirkung des nächsten Augenblicks zu bestimmen vermag , und daß diese , vom raschen Schicksal ergriffen , - in die Fluten des regen Lebens versinkt .
Rein menschlich ist es , keinen Augenblick Böses wirken wollen .
Nur einem höheren Genius ist die Zukunft auch zugleich die Gegenwart . "
Wir freuten uns , daß das Gemüt des Fürsten nicht in den letzten Tagen seines Alters noch durch Widersprüche gereizt werden sollte .
Ich entschloß 357 mich , ihn noch einmal zu besuchen , und den Frieden seines Busens ganz herzustellen .
Meine Mutter hatte eine Zusammenkunft mit meinem Vater in einem entlegenen Wäldchen in Julius Garten .
Wir überließen diese teuren Augenblicke den glühenden zarten Seelen ganz unentweiht .
Ich begleitete meine Mutter nach dem Lustschloß .
- Süße Augenblicke , wo ich ihr Herz ruhig und liebeschlagend an dem meinen fühlte !
An Entbehrungen gewöhnt , achtete sie selbst nicht die Entfernung ihrer Geliebten , über dieser ihrer glücklichen Vereinigung .
Der Fürst hörte es gern , als ihm meine Mutter sagte , daß ich mich bei 358 ihm beurlauben wollte .
Er lag auf einem Ruhebette , und beugte den Kopf freundlich , als ich mich ihm näherte .
Ich war tief bewegt , mir war als risse die kalte unsichtbare Hand des Todes alle goldene Lebenshoffnungen aus meinem Busen .
Ich sagte ihm : der Anteil den er an meinem Schicksal genommen , machte es mir zur Pflicht , es für die Zukunft ganz in seine Hände zu legen .
Ich schwöre Ihnen , sagte ich , indem ich an seinem Bette niederkniete , auf das heiligste schwöre ich es , nie eine Heirat als mit Ihrer Bewilligung zu schließen .
Er legte seine zitternden Finger an meine Wangen , Tränen rollten in 359 seinen erloschenen Augen , und sanft sagte er :
Wir gehören uns selbst nicht an , der Glanz unseres Hauses ist ein Gut , das wir unseren Nachkommen zu überliefern schuldig sind ; - danach beurteile mich auch du , gutes Mädchen !
Er umarmte mich und sagte : Was ich für dich tun kann , soll geschehen .
Nimm meinen ganzen Segen .
Schmerzlich riß ich mich von ihm los , im Gefühl , daß ich ihn nie wiedersehen würde .
Durch die Tür sah ich ihn noch einmal , daß er heiter gen Himmel blickte , und hörte , daß er meine Mutter freundlich zu sich rief .
Meine Mutter und der Prinz waren mit meinem Betragen höchst zufrie360 den , und wir verließen uns unter zärtlichen Umarmungen .
Als Bettina die Reiseanstalten für mich machen sah , drang sie auf das lebhafteste in mich , mich begleiten zu dürfen .
Es schmerzte mich , dem lieben Geschöpf , von dem ich so viele Beweise der treusten Liebe empfing , diese Bitte abzuschlagen , aber ich hatte einen Brief von der Gräfin erhalten , in welchem sie mich bat , ihr Bettina zuzusenden .
Battista war schon bei ihr , und wurde als ihr Sohn gehalten und erzogen .
Die Gräfin selbst hatte sich auf unser aller Zureden entschlossen , die Seereise aufzugeben , und ihren Gemahl in Holland zu erwarten .
Durch den Freund aus der Schweiz hatte sie die Nachricht seines jetzigen Aufenthalts erfahren .
Er war nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung zurück 361 gereist , wo er auf einer kleinen Besitzung mühselig lebte .
In Holland wollte die Gräfin selbst die besten Anstalten zu seiner Reise nach Europa treffen .
Ihre Güter hatten sich unter Nordheims Verwaltung in guten Stand gesetzt , und sie dachte dort mit ihrem Gemahl künftig zu leben .
Bettina wollte immer durch ein leidenschaftliches romantisches Interesse befangen sein .
Ich erzählte ihr das Schicksal der Gräfin , ihr nahes Verhältnis zu ihr , die Hoffnung ihren Vater wieder zu sehen , und ihr reines zartes Gemüt ergriff nun seine Pflichten mit aller Gewalt der Neigung . 362 Ja , ich will leben für die gute unglückliche Frau , rief sie aus , und will mich auszubilden suchen zu deiner und ihrer Freude !
Julius begleitete uns , und schied von uns , in lauter Glanz und Klarheit gehüllt , wie ein Bote des Himmels , der sich bewußt ist , uns auch unsichtbar gegenwärtig zu bleiben .
Mein Genius hatte mich beim Scheideweg meines Lebens gewaltsam ergriffen und in eine veränderte Laufbahn gezogen .
Das ewig reine rege Verlangen meines Wesens nach Nordheim , das mir seit seinem ersten Anschauen durchs Leben folgte , erhielt mich in einem sonderbaren abwechselnden Zustand .
Wenn die Zeiträume , welche wir durchleben , mehr nach 363 dem Kreis unserer inneren Erscheinungen bezeichnet werden müssen , als nach den äußeren Eindrücken und Spuren , die wir von der Welt um uns her empfangen , oder ihr geben , so sind Tage der Liebe reicher und leben-voller , als Jahre der Gleichmütigkeit .
Schmerz und Vergnügen entreißen sich wechselnd die flüchtigen Momente , und der immer lebendige Strom der durch unsere Seele rinnt , nimmt oft das Bewußtsein mit hinweg .
Das Gedächtnis hat keine Zeichen für diese bewegliche Flut innerer Regungen , das geheimnisvolle Wesen der Musik ist am vertrautesten mit ihnen , die Töne folgen den Zaubereien unserer Gefühle in ihre feinsten Beugungen , in ihr stärkstes unerschöpfli-364 Ges Leben .
Die raschen schnellen Würfe des Schicksals , die einem so stillen einförmigen Leben folgten , drängten mich gleichsam in mich selbst zurück .
Mir war oft , als hätte ich Nordheim durch mein dem Fürsten gegebenes Versprechen gekränkt .
Dann war es , als dürfte ich keine Gestalt mehr fest halten , - alles entflog mir unter der Hand , als ein täuschender Schatten .
Zur heiteren Ruhe und Sicherheit des Daseins konnte ich auf diese Art nicht kommen , und in meinen klarsten Augenblicken fühlte ich hart ihren Mangel .
Unser Wesen scheint so sehr auf eine notwendige Harmonie 365 mit der uns umgebenden Welt berechnet zu sein , daß ein gewisses klares Gefühl des Daseins uns doch einzig aus dieser zuwächst .
Und ist nicht am Ende dieses klare Gefühl unserer Selbst in einem lebenreichen Ganzen , die bleibende Gestalt , in der wir den tausendfach wechselnden Proteus , die Glückseligkeit , fassen ?
Mein Vater verstand meinen ganzen Zustand mit seinem gewohnten zarten Sinn .
Vergebens hatte ich ihn gebeten , den Freund meiner Jugend in Hohenfels auf unserer Reise zu sehen .
Erwarte eine günstigere Gemütsstimmung , liebes Kind , sagte mir mein Vater sanft .
Der edle Greis ist von 366 jeder Wallung der Leidenschaft so fern , daß ihm der Zustand worin du jetzt bist , unvernehmbar oder zerstörend sein muß .
Ich fühlte diesen Grund nur allzurichtig , und gab meinen Wunsch auf .
Die Zerstreuungen der Reise wirkten bald wohltätig auf mein Gemüt .
Welchen neuen Ton gibt es unserem inneren Sinn , wenn unsere Tage im wechselnden Reiz der Naturerscheinungen verfließen , wenn unser Gesichtskreis sich mit immer neuen Bildern füllt , die im Wechsel des Morgen- und Abendlichtes tausend zauberische Verwandlungen annehmen . 367 Die weite Natur hat eine beruhigende Antwort für jeden Zustand unseres Gemüts .
Wenn wir in dem frischen Duft des Waldes unter einem Gewölbe von Laub in stille Betrachtung versinken , bis alle Schauer wehmütiger Erinnerungen sich um uns her drängen , dann auf einmal in eine weite Ferne schauen , wo die feinste Linie am Horizont in den blauen Himmel verfließt , und wo mannigfache Städte und Türme aus der Ebene steigen ; dann wird unsere Fantasie in eine Welt neuer Bilder und Lebensweisen hinübergezogen , und unser Herz erhebt sich aus den Fesseln seines Grams zum freundlichen Anteil an dem Leben und Wirken um sich her .
368 Wir fühlen unsere Einschränkung , der Kreis unserer inneren Sorgen fängt an sich freundlich und mild aufzulösen , und wir schweben in eine freiere Region hinüber .
Die umgebende Welt spricht uns wieder laut an ; sie schien uns eine tote Maße , so lang der Kummer auf unserem Busen lastete , und eine lebendige Sympathie verbindet uns wieder mit den Wirkungen des mannigfachen Lebens .
Wir flogen in einem leichten Wagen durch manche liebliche Gegend , und endlich durch den schönsten Teil Oberschwaben der Schweiz zu .
Architektur und Malerei waren neben den Naturschönheiten , die Hauptgegenstände unserer Beobachtungen , und mein ungeübter Sinn schloß sich unter der Leitung meines Vaters auf .
Das harmonische Gefühl , welches die reinen Verhältnisse der Baukunst 369 geben , bewegte meine Seele tief , und von allen Schauern der Größe und Erhabenheit durchdrungen , stand ich vor den Monumenten gotischer Kunstfantasie .
Es war mir ein unvergeßlicher Augenblick , als ich zuerst die Eisberge empor steigen sah .
Wir selbst scheinen in eine neue Existenz hingezogen , wenn wir unseren Wohnplatz , die Erde , sich mit den Massen der Wolken vermischen sehen .
Der Bodensee mit seinen lieblichen Ufern und ernst-feierlichen Bergen , entschleierte sich nach und nach vor uns , und nun eilten wir von einem schönen erhabenen Gegenstand zum anderen .
In dieser herrlichen Natur , sagte mein Vater gerührt , wo wir uns auf 370 jedem Schritt von den Zauberformen der Schönheit umfangen fühlen , hier ist der Ort für zwei liebende Herzen , denen das Schicksal nach einem stürmischen Leben noch wenige freundliche Tage vergönnt .
Hier wird auch dein sehnendes Herz sich wieder zu den glücklichen Träumen der Zukunft stärken , bis Nordheim zurückkehrt .
Hier wollen wir uns einen einsamen Wohnplatz aussuchen !
In der nächsten Stadt , wo wir übernachten sollten , fand mein Vater einen Brief , den er mit sichtbarer Bewegung las .
Der Fürst ist tot ! sagte er mir , als er ausgelesen hatte .
Der Prinz und 371 meine Gemahlin wünschen unsere schnelle Rückkehr .
Alles ist also aufgelöst , sagte ich .
Traurig ist es , daß nur der Tod eines guten Mannes die Verwickelung unseres Schicksals lösen mußte !
Sein Leben hätte unser reinstes Glück machen können .
Sein Herz war geschaffen , um uns zu lieben .
- Mit Wehmut , mit Verehrung dachte ich an den letzten Augenblick , wo ich den Greis gesehen .
Wie rege war sein Herz !
Warum mußten Eigennutz und Arglist es umstricken , seine freien Bewegungen für uns hemmen !
O welche heilige Kraft der Liebe unterläge nicht dem weitgesponnenen Gewebe tausend kleiner Leidenschaften !
Jedes sanfte Gefühl 372 verwandelte sich zum Schmerz in seinem Busen , wo noch ein Traum von Liebe aufdämmerte .
Mein Vater entdeckte mir den Entschluß , seine Ehe für immer in den Schleier des Geheimnisses zu verhüllen .
Meine Gemahlin und ich ehren so den Willen des Entschlafenen , sagte er .
Es lehrte mich nicht nur mein eigenes Schicksal , sondern auch der freie Blick ins Leben , daß das stille Fügen in manche Verhältnisse , der Gewohnheit zur Tugend günstiger ist , als das Überspringen derselben .
Ich mag mich durch meine Handlungsweise nicht laut zum letzteren bekennen .
373 Mein Vater wollte mich für seine Tochter , aus einer während seiner Abwesenheit von Hohenfels geschlossenen Ehe , erklären , die der Tod wieder getrennt hätte .
Wir beschleunigten unsere Rückreise so sehr als möglich , und nahmen den kürzesten Weg nach D .
Mein Gemüt konnte die heitere Zukunft nicht fassen .
In mehreren Paketen von nachgeschickten Briefen hatte ich keinen von Nordheim gefunden .
Tausend Besorgnisse quälten mich , und alle schönen Träume , die mir in der ersten Zeit seiner Entfernung , in dem Zauber eines ununterbrochenen Briefwechsels geblüht hatten , verkehrten sich zu furchtbaren Gestalten .
Er hat dein Betragen übel gedeutet , sagte ich mir , 374 und schweigt darum .
Wenn die glückliche Liebe einmal von der Sorge umschlungen wird , dann ist ihr Schmerz unaussprechlich , weil er zwei Herzen in einem trifft .
Die Hoffnung schweigt vor dem allgewaltigen Drang des Verlangens , und wird von glühenden Erinnerungen verzehrt .
Jedes Geschäft dünkt uns eine Zerstreuung , der Lauf des Tages nur ein mühevoller Wechsel der Arbeit , jedes gleichgültige Wort eine Wunde .
Wenn die Sterne in Osten entglimmen , dann dringt etwas Lebendiges an unser Wesen .
Es ist als ob eine sanfte Hand uns faßte , die Seele löste , und hinzöge in das tiefe Blau der unendlichen Ferne . 375 Das Bild unserer Liebe wird gleichsam eins mit den Sternen , es ist die geliebte Gestalt , die uns ergreift !
Dann hat gleichsam die Unendlichkeit ein Zeichen , einen Ring , an dem wir uns in ihr fest halten , und unser Schmerz löst sich , wenn die Banden des Raums von uns fallen .
Das heilige Leben der Natur , ihre zarten nie verblühenden Gestalten ziehen uns ins Reich der unermeßlichen Kräfte .
Der unendliche Himmel liegt vor unserem Auge , das Geräusch der Wasserströme , Symbole des nie stockenden Lebensquells der Natur , tönen in unserem Ohr ; - so dringt heilige , unendliche Fülle durch unsere Sinne , und der Sturm der Sehnsucht verwandelt sich in ein laues Lüftchen .
376 Aber jetzt schallt der Ton einer Glocke durch die Nacht , und wir kehren mit unserem Empfinden in das engbegrenzte menschliche Sein , in die Bande der Zeit zurück .
Unser Herz sucht den Geliebten aufs neue , und findet nur seine Sehnsucht wieder .
Mein Vater , gewohnt in meiner Seele zu lesen , folgte meiner Stimmung .
Die Sehnsucht wahrer Liebe hat keine Sprache , aber meine Besorgnisse , meine Unruhe , die sich auf jeder Post vermehrten , wo ich Briefe erwartete und nicht fand , beantwortete er oft nur mit einem stillen Lächeln , oft mit 377 dem sanften Vorwurf :
Und alles dieses um einen ausgebliebenen Brief , der so tausend Zufällen unterworfen ist ?
Es war etwas Fremdes in diesem Betragen , was mein Herz verschloß und meine Unruhe vermehrte .
Das Wetter fing an trübe zu werden , ein trauriger Nebel lag auf allen Gegenden , wie auf meiner Seele .
Wir fuhren eines Abends tiefer in die Nacht hinein als gewöhnlich .
Wir waren beide still in die Ecken des Wagens gedrückt .
- Nur zuweilen drückte mir mein Vater lebhaft die Hände .
Als der Wagen hielt , stieg mein Vater rasch aus , zog an einer Glocke .
Ein Licht erschien in der Tür .
378 Mein Vater gab mir den Arm , wir folgten schnell dem Diener , der das Licht trug , und ich verbarg meine Augen vor dem Schimmer , der mich nach der Dunkelheit blendete .
Die Tür öffnete sich , ein Licht stand ihr gegenüber ; bekannt und vertraulich sprach mich die ganze Anordnung beim ersten Blicke an .
Es dünkte mir das Zimmer meines Pflegevaters .
Wie in einem Zauberkreis von meiner Verwunderung gefesselt , wagte ich nicht , vorwärts zu gehen .
Zwei Gestalten erhoben sich vom Kamin .
In der Dämmerung , welche die Tiefe des Zimmers umhüllte , schwankte ihr Umriß vor meinen geblendeten 379 Augen .
Jetzt fielen die Lichtstrahlen auf sie , - und ich lag in Nordheims , in meines Pflegevaters Armen .
Die Ströme der reinsten unnennbaren Wonne fluteten so gewaltig um mein Herz , daß die Bewegungen des gewöhnlichen Lebens stockten .
- Schwindelnd sank ich in Nordheims Arme , zog meinen Vater an mein Herz , und aufgelöst in Harmonie , verhallte mein Bewußtsein in dem grenzenlosen Genuß der Liebe .
Ich befürchtete es , daß der Eindruck zu stark auf sie wirken würde , - waren die ersten Worte , die ich wieder vernahm .
Mein Vater hatte sie 380 ausgesprochen , und der Prediger antwortete :
Die Wallungen der Freude hemmen den Lauf des Lebens nur , um ihn mit neuen Schwingen zu beflügeln ; sie wird bald wieder bei sich sein .
Der goldene Duft war vor meinen Augen zerronnen , ich sah die geliebten Gestalten hell vor mir .
Nordheim kniete an meiner Seite , und unterstützte mich mit seinen Armen .
Ich las nur Zärtlichkeit in seinem Auge , keine Spur des Vorwurfs .
Jedes suchte nun den holden Schatz seiner Empfindungen im eigenen Busen zu versenken , um mich mit ihrem allzugewaltigen Ausdruck nicht anzugreifen .
381 Unser Glück wurde ein sanfter erstohlner Genuß , wir wähnten , uns gegenseitig unsere zeither durchlaufenen Verhältnisse aus einander zu legen , aber augenblicklich ergriff uns wieder die süße Verwirrung liebender Herzen , denen jeder Ausdruck der Sprache schwach und langsam dünkt .
Unser glückliches Zusammentreffen klärte sich jedoch aus dem folgen den Zusammenhäng der Begebenheiten auf .
Nordheim hatte sein Geschäft mit einer nur ihm gegebenen Gewalt über die Gemüter schnell und glücklich beendigt .
Julius Nachrichten von der Falschheit und Wortbrüchigkeit , zu welcher der Minister den 382 Fürsten bewogen , die Nachricht von der Gefahr , in der Hohenfels schwebte , die Gewalt , mit der man mein Verhältnis mit Nordheim , durch eine andere Verbindung aufzuheben strebte ; - dieses alles erfuhr Nordheim erst durch die Briefe , die den Tag vor seiner Abreise ankamen .
Im Zweifel , wie die Sachen stehen möchten , wagte er nicht , mir zu schreiben , sondern reiste selbst mit unglaublicher Schnelligkeit nach D .
An dem Tag seiner Ankunft erfolgte der Tod des Fürsten .
Er wollte mir nachreisen , der Prinz bat ihn inständig zu bleiben , auch fürchtete er , wir möchten uns verfehlen .
Er schrieb mir ; der Prinz , der den Brief zum 383 Einschluß bekam , behielt ihn zurück .
Er hatte die Idee einer frohen Überraschung zu lebhaft gefaßt , und leitete alles dahin , sie auszuführen .
Der Minister bekam seinen Abschied , und trug die Schande und den Mißmut fehlgeschlagener Plane des Eigennutzes mit in die Einsamkeit .
Julius übernahm seine Geschäfte .
Sein edles Herz , das jede Tätigkeit in ihrer tiefsten und höchsten Beziehung ergriff , schien in der Wirkung auf ein großes lebenvolles Ganze ein neues Leben zu atmen .
Sein Bruder war sein treuer Mitarbeiter .
Der Prinz bat Nordheim , mit der Salmschen Familie wegen Hohenfels Gütern zu verhandeln .
Man wollte wegen des ganzen Verhältnisses kein 384 Aufsehen machen , sie wurde mit einer Geldsumme abgefunden .
Nordheim mußte selbst , um die Güter zu übernehmen , nach Hohenfels reisen , und wollte dort die Nachricht meiner Zurückkunft und Reiseroute erwarten , um die er mich in dem untergeschlagenen Briefe gebeten , um mir sodann mit dem Prediger entgegen zu reisen .
Von Nordheim hatte mein Pflegevater die Rückkehr seines geliebten Gutsherrn vernommen , und in diesem auch den Vater seiner Agnes , einen unnennbar verpflichteten Freund kennen lernen .
Herr von Salm war schon abgereist , und alles zum Empfang meines 385 Vaters bereit .
Mein Vater wurde von dem Prinzen benachrichtigt , daß er Nordheim in Hohenfels treffen würde , und dringend gebeten , ihm die Freude unserer gegenseitigen Überraschung nicht zu verderben .
Meine Mutter genoß unser Glück in der Entfernung , wie es ihre Lage forderte , aber mit dem ganzen Entzücken , dessen ihre zarte Seele fähig war .
Ihre warme Einbildung zauberte sie in die Gegenwart ihrer Geliebten , keine Trennung war für sie .
Die gute treue Rosine umarmte mich mit tausend Freudentränen , hatte mit sibyllinischer Weisheit vorhergesagt , wie es kommen würde , 386 und bediente uns mit unerschöpflicher Redseligkeit .
Wie lieblich flogen die guten Geister meiner Jugend um mich her !
Aller Hausrat der stillen einförmigen Wirtschaft , jeder Winkel des Hauses rief mir eine holde Erinnerung zurück .
Bildend wirkten die Spuren der Vergangenheit auf mein Gemüt ; möchte ich bleiben wie hier alles blieb , rein , einfach und still !
Mein Vater sollte den nächsten Tag einen feierlichen Einzug ins Schloß halten ; man wollte den guten Leuten , bei denen noch die Feste ein Ausdruck des Herzens sind , die lebendigste Erinnerung dieses Tages schenken .
Man sprach von den Anstalten zu meiner Trauung , sie sollte im Schloß 387 vor sich gehen .
Mein Vater , sagte ich zum Prediger , ich wünschte , sie möchte hier sein , hier in diesem Zimmer voll heiliger Erinnerungen der ersten Stunde der Liebe . O jener Abend , mein Vater , - ist er Ihnen nicht auch so unvergeßlich ?
Nordheim dankte zärtlich , stimmte lebhaft in meinen Wunsch ein , und flüsterte mir sanft zu :
Wenn es hier sein darf , meine Agnes , warum nicht heute , warum nicht jetzt ?
Darf ich Ihren Vater bitten ?
Der Prediger hatte Nordheims Wunsch vernommen , und rief lebhaft : 388 Sie haben Recht , der Becher der Freude muß voll werden !
Es gibt keinen schöneren Augenblick , um Euer Bündnis zu schließen !
Mein Vater bat mich , einzuwilligen .
Rosine wand einen Myrtenstrauch zum Kränzchen , und schmückte mein ehemaliges kleines Wohnzimmer zum Brautgemach .
So reicht mir auch die Vorsicht noch diesen Genuß , rief der Prediger , indem er mich Nordheim zuführte .
Ich sehe das Glück meiner Agnes in würdigen Händen .
Ich empfange alles mit ihr , sagte Nordheim .
Was ist das Leben , wenn es nicht unser Herz zu einem Ganzen macht ?
Am Ziel der Wissenschaft , 389 der Tugend fühlt der Mensch immer nur das Wachstum seiner Kraft , die ganze Kraft selbst fühlt er nur in seiner Liebe !
Man hatte im Dorfe die frohen Begebenheiten vernommen , alles drängte sich zu , und der Abend verging unter rauschender , aber herzlicher 390 Fröhlichkeit .
CC-BY

Holder of rights
Bildungsroman Projekt

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Korpus. Agnes von Lilien. Agnes von Lilien. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0k5.0