0 [] inige Stunden von Basel steigt das Jura9 gebirge felsig, waldig und mit grüngrauen Matten wie eine Bollwehr empor.Im Tale ist alles noch weich und abgerundet, die Erde und die Menschen. Schon eine Stunde von Arlesheim entfernt, das mit seinem Dome wie ein wohlhabendes Kirchendorf aus dem Mittelalter eng zusammengedrängt im Tale liegt, beginnt die Umwandlung.Sowie sich der Weg verengt, und in sähen halsbrecherischen Stichen bergauf windet, hört der linde Wind auf, und eine scharfe Zugluft setzt ein.Unten liegen die Wiesen satt und schwellend, die hohen Gräser spielen träge im Winde, und die großen Mattenblumen sind kräftig gefärbt und machen sich breit. Wie sich Bauern breit machen, die einen großen Sack voll harter Taler liegen haben.Oben aber, wo der Wind scharf geht und ohne Unterlaß weht, beginnt eine andere Welt. Die Matten tragen nur noch niedriges Gras, die Blumen sind klein und versteckt und die saftigen Kräuter färben die Fluren gräulichgrün.Allwo diese Umwandlung vollzogen ist, beginnt das Schwarz bubenland, mit seinem eignen Schlag Menschen.Wenn sich unten im Tale Weichheit und Haltlosigkeit breit machen, herrscht dort oben Willen und Trotz. Die Menschen sind überall mit ihrer Umgebung verwachsen, und sie formen sich innerlich nach dem Stückchen Erde, das sie bewohnen.Wie unten im Tale die Tannen mit langen üppigen se []Asten hoch aufschießen und reich gewandet scheinen,als seien sie in Samt und Seide gekleidet, behäbig und weichlich, so sind auch die Menschen. Wie in den Bergen die Tannen viele kahle Aste treiben und mit ihren harten Nadeln verwildert und trotzig aussehen, just wie die Felsen, auf denen sie wachsen,gleich so sind die Leute dort oben.

Die Föhren halten sich verknorrt an den Felsenwänden, wie mit eisernen Banden, die Menschen aber hängen zähe an ihrem Boden, und ihr Wille überdauert ihr Leben, er vererbt sich auf die RKinder und Kindeskinder.

Adam Berger übernahm von seinem Vater den Schartenmatthof, ein großes Gehöfte, das abge legen war und einsam für sich stand.

Sie nannten Adam Berger seit jenem Tage in der Umgegend nur noch den Schartenmättler.

Der Schartenmättler war ein echter, rechter Schwarzbube, mittelgroß und hager, am Halse zeigten sich die Sehnen wie Stränge. Unter seiner trotzigen Stirne lagen tief im Kopfe ein Paar finstere Augen,eine scharf geschnittene Nase gab dem Gesicht, mit den harten schmalen Lippen, etwas Geierähnliches,die ganze Mannsfigur war abgehärtet, der Arbeit gewohnt.

Der alte Schartenmättler war ein eigenes Gemisch,er war mehr Städter als Landmann, mehr Welt mann als Bauer. Er hatte sich nach dem Tode seiner Frau lange in der Welt herumgetrieben und den Hof sowie die Erziehung seines Sohnes Adam dem Meisterknechte Pauli überlassen.[]Als der alte Schartenmättler Wesen Berger das Dorf verließ, gab es viele böse Mäuler, weiche behaupteten, das Gewissen triebe ihn umher in der Welt.Sie sagten, er habe eine Sünde gegen seine Frau auf dem Buckel und sei an ihrem bösen Tode schuld. Wie dem auch gewesen sein mag, Tatsache war, daß Christian, Adams Vater, viele Jahre nicht auf der Schartenmatt zu sehen war und erst als alternder Mann wiederkam. Man sah ihm auf den ersten Blick an, daß er lebensmüde war, denn eine trübe Resignation machte sich sehr breit auf seinem Gesicht.Eine Weile stand er jetzt seinem Hofe vor, dann aber trat er ihn seinem Sohne ab. Er sah, daß Adam ein trotziger, nerviger Bursche war, der sich getraute, den Kampf aufzunehmen und das verfahrene Gut wieder in das rechte Geleise zu bringen.Darum fragte er ihn eines schönen Tages:„Adam, getraust du dich, den Karren wieder in Ordnung zu bringen?““

Da sah Adam groß auf, und sein Gesicht nahm eine böse Färbung an.

„So so, Vater, darum hast du einen Sohn, daß er den Hof wieder herauf bringt, nur darum, Vater „Adam, Adam, grüble nicht über deinen Vater nach,das nützt dir nichts.“

„Vater,“ fragte nach einer Weile Adam trocken,„warum hast du mich all die Jahre durch da, hier draußen, einsam gelassen, warum mußte ich alleine hier aufwachsen, warum hatte ich auch keinen Vater,als Mutter tot war x

Lange ließ der alte Schartenmättler seinen Sohn []auf die Antwort warten; durch das Zimmer schlich dieweil der Dämmer und verbarg das schmerzliche Zucken in dem müden Gesichte Christieans.Langsam begann der Vater dann dem Sohne eine Geschichte zu erzählen, traurig und voller Leidenschaft. Sie begann wie ein Frühlingstag mit Schmetterlingsgekose und endete wie ein nasser fröstelnder Herbsttag.

Als es zu Ende war, kam die schwarze Nacht und verdunkelte das Zimmer und alles, alles. In dem Dunkel schienen die Gestalten aus dem Leben des alten Schartenmättlers wieder hervorzutreten, um für ihn bei seinem Sohne Fürsprache einzulegen. Auch eine Frau kam, mit triefenden Gewändern und nassen Haarsträhnen, Gutes von ihrem Gatten zu reden.Beide schwiegen.

Da brach der alte Schartenmättler das Schweigen und sagte:

„Suche zu verstehen und du kannst vergeben.“Adam antwortete ihm weich:

„Vater, ich will tun, was ich kann, du sollst zu frieden sein.“Das erste, was Adam tat, war, daß er am Weiher zu den drei Quellen, der auf seinem Gute lag, ein Kreuz anbrachte, da, wo sie seine Mutter eines Tages tot herausgezogen hatten.

Christian saß des öfteren davor und betete, und manche Träne rann über sein Antlitz, er wollte büßen, was er im Leben vergangen hatte.

So wurde Adam Berger Besitzer der Scharten matt, eh noch sein Vater gestorben war.5 []Er war noch ledig und gezwungen, auf Freiersfüßen zu gehen, weil die Schartenmatt auch eine Bäuerin haben mußte, da er die schlimmen Folgen des Ledigbleibens am jetzigen Zustand des Hofes sah. Es war eine Junggesellenwirtschaft, aber kein gut geordnetes Anwesen.

Die Freite bedeutete nun eine böse Sache für den Adam, der ein eigener Mensch war, und da so ziemlich jedes heiratsfähige Mädchen um Gempen herum seine Legende hatte, die man sich nur im Vertrauen zutuschelte. Aber eine Bäuerin mußte kommen, trotz alledem. Das wußte Adam so gut wie die andern Leute, die Töchter feil hielten und schön taten mit ihm.

Er wich den Einheimischen aus und suchte weiter,ob sich vielleicht in der Ferne was finden würde,aber es fand sich nichts. So halb und halb war ihm das recht.

Da suchte sich Adam eine tüchtige Hausbhälterin.Er erwartete eine Alte und fand eine Junge. Freilich schön war sie nicht, aber sie hatte treue Augen und junge kräftige Arme und einen allezeit fröhlichen und willigen Sinn, arm war sie auch wie eine Rirchenmaus, aber das tat nichts, denn sie konnte tüchtig arbeiten.

Als die Marei Streuli als Haushälterin zu Adam Berger zog, gab es ein großes Getuschel in der Gegend. Im Dorf wisperten sie, und auf den umliegenden Höfen redeten sie laut darüber, voller Unwillen, allgemein haßte man die Marei. Sie wurde in aller Leute Mund schlecht gemacht.[]Auch Adam hörte davon, aber er blieb gleichgültig bis in die Seele, und er dachte schon daran seine Haushoälterin zur Bäuerin zu machen. Nicht aus Liebe etwa, nur aus Vernunft, denn er sah, daß die Marei arbeitete und er mit ihr ein gut Stück vorankommen könnte.

Er wollte nur noch die Zeit abwarten, denn er war mißtrauisch auf die Frauenzimmer geworden.

Und als die Zeit verstrichen war, ließ Adam mit seinem Mißtrauen locker. Er nahm sich vor, ein Ende zu machen.

Nach dem Mittagessen, das Gesinde hatte sich grade verlaufen, nahm er die Marei vor. Die Magd stutzte neugierig, weil sie es nicht gewohnt war,mitten im Tag von ihrer Arbeit weggerufen zu werden.

„Ich will dir etwas Wichtiges sagen,“ begann Adam.„Was, Bauer

„Marei, hier auf der Schartenmatt tut eine Frau not, das weißt du wie ich.“

„Seid ihr mit mir nicht zufrieden, Bauer v„Eine Frau tut hier not, die da draußen umher,die andern, warten ringsherum, ob ich nicht zut Freite käme. Es paßt mir aber keine. Du mußt wissen, sie tragen alle ihren Brautkranz in der Hand Keine hat das Recht, ihn auf das Haar zu drücken.Spreu mag ich mir aber nicht streuen lassen. Also kann ich keine von allen denen brauchen.“

„Ja ja, Bauer, das ist schön und recht, aber ich weiß nicht, was mich das angeht.“

[]Eine solche Frau mag ich nicht, eine will ich, bei der noch keiner nachts an das Fenster gekommen ist. 40

„Die werdet Ihr wohl schwerlich finden, Bauer.“„So, meinst du! v“

Die Burschen, die ledigen, gehen überall hin.“„Aber das Mädchen braucht sie doch nicht gleich hereinzulassen.“

„Das allerdings nicht, Bauer.“

„Also, kurz und bündig, Marei, ist schon einer bei dir nachts im Zimmer gewesen v

Das geht Euch nichts an, Bauer.“

„Natürlich geht mich das was an, weil ich dich heiraten will. Also, wie ist es“

Uberrascht schaute die Magd auf, zuerst ungläubig und ärgerlich, weil sie glaubte, ihr Meister wolie sie foppen.

„Zuerst müßt Ihr aber fragen,“ gab sie spitz zur Antwort,„ob ich Euch überhaupt leiden mag, dann könnt Ihr erst sagen, daß Ihr mich heiraten wollt.“Sie wandte sich ab und wollte zur Türe hinaus.Aber da kam sie gut an.

„Da bleibst du,“ herrschte der Adam, „willst du oder willst du nicht v

Es gab eine längere Pause, Marei ging zum Fenster und schaute hinaus, auf die schönen Wiesen schaute sie und auf das saubere Anwesen.

Es muß doch schöner sein, als Bäuerin hier zu leben denn als Magd. Wie sie so an alles dachte, gab es einen gehörigen Riß in ihr, und es zuckte ihr in allen Gliedern. Am liebsten hätte sie sich morgen schon

J []auf bieten lassen, doch hätte der Adam auch lieber sein können zu ihr und das Ganze nicht wie ein Geschäft abzumachen brauchen. Wie die Versuchung aber wieder an sie herantrat, sagte sie sich, daß es halt einmal so seine Art sei, und sie ging hin zu ihm,gab ihm die Hand und sagte:

Ja.“

Er drückte ihre Hand kräftig.

„So ist es recht!“ sagte er dann, nahm den Stutzen von der Wand und ging hinaus in den Wald.Die Marei aber tat ihren Dienst, gleich wie vorher.Nur hielt sie eine kleine Weile inne, als ein dumpfer Schuß durch das Tal rollte, sich den Berg heraufwand, um langgezogen zu echoen. Sie wußte, daß der Adam geschossen hatte. Sie sah das nicht gerne,da die neuen Gesetze, die von Bern kamen, hohe Bußen gegen den Jagdfrevel festsetzten.

Sie nahm sich vor, mit Adam deswegen zu reden.

ßs ***X de h *Q ls die Sonne einmal rotgolden über den Berg J kam, dessen Rand sie purpurn säumte, die weil die Tiefe violett dalag, sah sie den Adam,wie er mit langen Schritten vom Schartenmatthof hinunter in das Tal ging.Seine Augen waren zusammengekniffen, und die Lippen hart aufeinandergepreßt, er schien ange10 []strengt über etwas nachzudenken.

Adam ging nach dem benachbarten Bheinfelden,Vieh einkaufen, denn er wollte den Viehstand seines Gutes verdoppeln. Genügend Futter dazu wuchs ihm. Er konnte dadurch mehr verdienen und so besser aus den Schulden herauskommen.

Freilich würde es ihm schwer geworden sein, das Vieh bar zu bezahlen, da er nur noch einige tausend Franken Geld liegen hatte und der Hof bis unter den hohlen Ziegel hinauf mit Hypotheken belastet war,aber der Viehhändler Levy, ein Jude, kam zu ihm und machte ihm eine günstige Offerte, er könnte etwa zwanzig Stück Vieh kaufen und es in Terminen bezahlen, dazu hätte er fünf Jahre zZeit.Die Kauf bedingungen wären dem Adam schon recht gewesen, aber er hatte, wie die meisten Schweizerbauern eine unüberwindliche Scheu, mit Viehsuden zu geschäften. Als aber Levy immer und immer wieder zu ihm kam, dachte er das Ganze lange und gründlich aus und sagte sich, daß er, wenn er die Augen offen hielt, nicht über den Kopf gehauen werden könne, und so zog er denn an diesem schönen Frühmorgen weg von Hause, um sich die Viehware zu beschauen.

Wie er so dem Tale zuschritt, begegnete er dem Förster, einem alten Manne mit listigen und doch gutmütigen Augen. Es war ein origineller Kauz,dieser Förster, mit seinem verwetterten Gesichte und seiner etwas rötscheligen Nase, ein guter Jäger und ein Weiberhasser, ein Junggeselle und gemütlicher Zzecher. Er konnte den Adam gut leiden, trotz

1 wip []dem es auch ihm bekannt war, daß der Schartenmättler ein böser Wilderer war.

„Wohin geht denn die Reise, Adam ?“

„In das Tal hinunter, Förster, und wo geht Ihr hin v

„Da herauf zu Euch, mit Eurem Vater ein wenig von früheren Zeiten zu plaudern und um ihm auch noch eine kleine Mitteilung zu machen.“

„Da habt ihr recht, Förster, verkürzt ihm ein wenig die Zeit und laßt Kuch von der Marei meinen Neuen geben, er wird gut dieses Jahr.“

Adam wollte seines Weges weiter ziehen, aber der Körster hielt ihn noch zurück und machte dazu ein höchst wichtiges Gesicht.

„Paßt auf, Adam, man ist Euch auf den Eisen.“„Wie meint Ihr das, Förster v

„Da in Gempen gibt es ein paar böse Burschen,die Euch nicht leiden können, die sagten letzthin zu mir, daß der Schartenmättler des öfteren mit dem Stutzen in den Wald hinaufging, na, Ihr wißt schon, ich mußte das der Polizei fagen, aĩso nehmt Euch in acht.“

„Förster, ich werde doch noch Habichte schießen dürfen!“

„Ja, ja, Adam, aber keine Habichte mit Geweihen.“Die beiden Männer lachten über diesen Witz und gingen voneinander.

Der Förster ging zum alten Christian hinauf, wo er lange sitzen blieb und herben, abgegorenen Birnenmost trank.

Der Adam ging dem Tal zu.12 []Einige Gedanken machte sich der Adam doch über die Worte des Försters, aber wie er durch den Wald schritt, der so frisch aussah, und wie er in die Lichtung trat und in das Tal hinabschaute, wie er in dem dunklen Tann, einige hundert Schritte von ihm weg, Rehe weiden sah, und wie über alledem die Sonne stand und den Tau an den Blättern glitzern machte, da kam die Freude des Augenblickes über ihn.

Er blieb lange stehen und freute sich an seiner Augenweide. Aber dann beschlich ihn wieder das Gefühl der Abhängigkeit, der beschnittenen Freiheit. Es dunkelte in seinem Gesicht, und er murmelte leise zwischen den Zähnen:

„Erst müßt ihr mich haben.“

Er setzte seinen Weg fort, zielbewußt und sicher, wie ein jugendfrischer Mensch, dem die Welt offen liegt,und der es versteht, die Hindernisse, die sich ihm in den Weg legen, umzubiegen oder darüber hinwegzuschreiten.

Wo die alte hölzerne Brücke bei Rheinfelden über den Strom führt und in das enggedrängte Städtchen einmündet, lag des Levy Haus mit den Viehställen; die Fassade war sauber herunter gemalt, vor der Tür war ein schmaler Weg reinlich gewischt, aber zu beiden Seiten lag der Schmutz in kleinen Häufchen. Zwei beschnittene Lorbeerbäumchen standen auf der Freitreppe; im Hausgang hing ein bemaltes Vaterunser und andere fromme Sprüche, hübsch eingerahmt, auch einige Heiligen bilder sah man und glaubte bei einem echten,

14 []rechten Christen eingekehrt zu sein. *

Adam wurde in ein kleines Zimmerchen geführt, in dem ein Kasten, ein Schreibtisch, einige Stühle und ein Kinderwagen standen; das war das Kontor des Viehhändlers Levy.

Geschäftseifrig kam Leyy herein, ein kleiner, dicker Mann, im Gesichte etwas mongolisch gefärbt.„Das freut mich,“ sagte er verbindlich,, daß Ihr Wort gehalten habt.“

„Wo habt Ihr das Vieh, Levyv“„Unten im Stall, aber trinkt doch erst ein Glas Wein, es pressiert ja nicht, ich will rasch eine Flasche holen.“ Aber er machte gar keine Anstalten dazu und blieb ruhig sitzen.

„Zeigt mir das Vieh, Levy, damit wir fertig wer den.“

Adam war aufgestanden.

Da sprang auch Levy auf und führte seinen Bäufer in den Stall. Er hatte schönes Vieh stehen, der Schartenmättler war nicht unzufrieden. Er fragte nach dem Preis, Levy bediente ihn nicht ungünstig.¶Und wie sind Eure Zahlungsbedingungen, LevynaDer Viehhändler machte eine eifrige Geste.

„Aber da fragt doch nicht; es ist mir eine Ehre,wenn es heißt, der Levy von Bheinfelden liefert das VHieh auf den Schartenmatthof; nennt mir Eure Bedingungen, wie Ihr sie haben wollt, und der Rauf ist fertig.“

Adam rechnete nach, er nannte seine Termine, Levy lagte ja, und eine halbe Stunde später ging Adam heimwärts mit dem Kaufvertrag in der Tasche; in

414 []einigen Tagen sollten die zwanzig Stück Vieh auf seinem Hofe eintreffen.

Adam war zufrieden mit dem Geschäft, das er abgeschlossen hatte; seine Meinung von den Juden besserte sich.

Wenn er rechnete, hatte er nicht teurer eingekauft als auf dem Viehmarkt, aber er konnte da zahlen,wie es ihm paßte, das war ein großer Vorteil.Wohlgemut schritt er fürbaß; als die Sonne schon tief stand, war er in Gempen; er kehrte noch im Kreuz ein, ehe er nach Hause ging.

Als er in die niedere Wirtsstube trat, schlug ihm ein beißender Qualm entgegen; an einem der beiden langen Tische, von denen die Wirtsstube durchquert wurde, saß ein edles Kleeblatt; der Turmwirt Vögtli, ein alter Mann mit abgeplattetem Ge sicht, war sinnlos betrunken, er konnte sich kaum mehr auf dem Stuhle hälten.

Links von ihm saß der Fuhrmann Meier, der tag aus, tagein mit kleinen Holzwellen in die Stadt fuhr;er war auch nicht mehr gerade nüchtern.

Rechts vom Turmwirt Vögtli saß der finstere Ehrsam, ein Bauernsohn, der studiert hatte, aber durchgefallen war und jetzt seinem Vater zur Last lag,wenig arbeitete, sich aber dafür um so mehr in den Wirtshäusern herumtrieb und Karten spielte; er war ein heimtückischer Geselle, vor dem sich die meisten fürchteten.

Er und der Fuhrmann Meier spielten mit dem Turmwirt Vögtli Karten, sie klopften mächtig auf den Tisch und nahmen die Stiche, die dem Turm

18 []wirt gehörten, einfach an sich; so gewannen sie, betrogen den Turmwirt und halsten ihm die veche auf.Neben dem Meier saß der alte Gempenhanesle,der das Umessen hatte in der Gemeinde und von Haus zu Haus ging, jeden Tag in ein anderes, sich dort an den Tisch setzte und mitaß. Er war ein armer, verkommener Kerl, hatte sich lange in der Stadt herumgetrieben, dann auf der Heuwage Posto gefaßt und war so Viehtreiber geworden.Er schlug sich, als er noch jung und rüstig war, mit seinen Kollegen um eine Flasche Schnaps blutig,kam ab und zu in Konflikt mit der Polizei, brummte im Arrest seine Sünden ab, wurde zuletzt der Stadt Basel verwiesen, zog als Vagabund durch die Schweiz, arbeitete nie, bettelte, und so wurde er alt und konnte seinem Handwerk nicht mehr nachgehen.Da schickte ihn die Berner Polizei per Schub nach Gempen, die Gemeinde mußte den alten arbeitsunfähigen Mann versorgen, er bekam darum das Umessen, durfte im alten Zuchtstierenstall, der setzt leer stand, auf einer Bose Stroh schlafen, er bettelte die Fremden und Ausflügler an, die auf den Scharten gingen wegen der prächtigen Aussicht,vertrank die paar Batzen, die er erhielt, sonst rutschte er auf den Wirtshausbanken herum, wenn schlechtes Wetter war, und trank die Reste aus.

Heute saß der Gempenhanesle am Tisch der drei Spieler, er trank die Reste, die sene übrigließen,nickte ab und zu mit dem Ropfe, stierte vor sich hin und vegetierte weiter.

Der Turmwirt lallte unverständliche Laute und ver16 []lor ein Spiel nach dem andern. Seine beiden Spielkumpane schlugen bei jedem Stich mit den Knöcheln auf den Tisch, nahmen die Stiche an sich, rauchten dazu und gewannen ein Spiel nach dem andern.Die Kreuzwirtin ging eilfertig hin und her.

Am zweiten Tisch saß der Schibach Fritz, ein Pächter. Er hatte von der Gemeinde den Schürlihof gepachtet, er war ein großer, starkknochiger Mann mit sympathischem Gesicht, im gleichen Alter wie Adam,; zu dem setzte sich der hin.

Schon als Adam eintrat, schaute ihn der Ehrsam mit giftigen Augen an, auch Adam sah nicht gerade freundlich hin. Die beiden konnten sich seit ihrer Rindheit nicht leiden, der Schartenmättler begann mit dem Schibach Fritz ein Gespräch.

Mählich wurde es dämmerig in der Stube, die Spieler ließen die Karten liegen und stellten, soweit sie noch konnten, allerlei Betrachtungen an.Der Turmwirt war in sich zusammengesunken und lehnte den Kopf in seinen Arm, er war eingeschlafen.Der Fuhrmann rauchte seine Pfeife und räusperte sich ein über das anderemal. Er hatte die Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt und trank Wein dazu. Ehrsam war noch ziemlich nüchtern, er horchte auf das Gespräch des Adam mit dem Schibach Fritz, und in seinem Herzen wühlte, semehr er den Adam ansah, Neid und Bitterkeit. Er dachte an sich und zog einen Vergleich zwischen sich und dem Schartenmättler.

Er, der doch in der Welt herumgekommen war,studiert hatte und nur aus Mißgeschick durchgefallen

2 RRurz, Die Schartenmättler.

7 1 []war, er galt nicht, was dieser Adam, dieser Bauer.Wie er so dachte und sann, konnte er dem Adam doch den eisernen Willen nicht absprechen, und er begann ihn zu hassen, und je mehr er sich vergrübelte,desto maßloser wurde sein Haß. Er mußte sich Luft machen und dem Adam etwas antun.

„He, Meier,“ sagte er laut und hämisch zu dem Fuhrmann, dazu schlug er mit der Faust auf den Tisch,daß die Gläser in die Höhe sprangen, „he, Meier,es war einmal einer, der hatte nicht nötig, zu heiraten.“

Der Fuhrmann besann sich lange und machte ein dummes Gesicht, er begriff gar nicht, was der andere damit meinte.

„Ja, ja, Meier, so ist es, es war einmal einer, der hatte nicht nötig, zu heiraten.“

Es gab eine Pause, in der sich der Fuhrmann bemühte, sein bißchen Verstand durch den Alkohol hindurch zu zwingen, damit er denken konnte. Die Kreuzwirtin aber horchte auf und strich sich mit der Hand über ihre schmuselige Schürze, was sie immer tat, wenn sie in Verlegenheit geriet. Der Schibach Fritz stutzte, der Adam blieb ruhig, der Turmwirt Vögtli schlief weiter und der Gempenhanesle trank die Reste aus, auf die setzt niemand achtete.

Endlich schien sich der Meier besonnen zu haben:„Ja, und warum hat er das nicht nötigr“ stieß er ruckweise hervor.

Da schaute der Ehrsam bissig auf den Adam, qualmte einige dicke Wolken und antwortete:

18 []„Weil er eine Haushälterin hatte.“

Adam zuckte fast unmerklich zusammen, auf einen Augenblick furchte sich seine Stirne, aber er beherrschte sich.

„Kreuzwirtin, ich will zahlen,“ rief er.

Die Kreuzwirtin kam rasch hervor und machte das Geschäft in Ordnung; als Adam aufstand, um zu gehen, fragte der Fuhrmann:

„Aber, wenn etwas kommt, Jungvieh mein' ich, was macht er dann vMeier war ordentlich stolz auf seine scharfsinnige Frage.

„Ach was, Meier, dann bezahlt er einfach für das Rind.“

Der Fuhrmann gab sich noch nicht zufrieden.„Und wenn er kein Geld hat, was dann;“

Da kratzte sich der andere in den Haaren, wie Bauern gerne tun, wenn sie ein wichtiges Geschäft haben.„Dann ist es allerdings faul mit ihm,“ gab Ehrsam zu, „dann muß er schon heiraten.“

Adam war dieweil zwischen Tür und Hausgang,Ehrsam wollte ihn aber nicht so ziehen lassen, der Schartenmättler sollte aufsitzen.

„Du Adam,“ schrie er, „paß auf, daß es dir nicht auch so geht, sonst könnten sie dir leicht Spreu streuen, mit der Marei mein' ich.“

Da gab es eine schwüle Pause, alle hofften, daß es setzt etwas zu sehen gäbe.

Langsam kam Adam in die Stube zurück, Ehrsam sah ihn herausfordernd an. Adams Gesicht war

19 []das gleiche wie immer, nur um seinen Hals zuckte es heftig.

„Wenn du noch einmal etwas zu mir sagst, schlag ich dir alle Zähne in den Rachen hinab,“ sprach er dann ruhig zu Ehrsam.

Da wollte der Ehrsam aufspringen, aber Adam nahm ihn an den Handgelenken und drückte ihn auf den Stuhl zurück.

Eine Weile hielt er den andern so, dann barschte er ihn an:

530 ruhig, du Fasel, oder es passiert dir leicht heute noch.

Da wurde dem Ehrsam doch ungemütlich, und er hielt stille.

Adam ging gleichmütig, wie wenn nichts geschehen wäre, weg, in ihm kochte es aber, doch verbiß er es;er nahm sich vor, dem Ehrsam bei Gelegenheit alles heimzuzahlen.

Der Ehrsam aber saß noch lange in der Wirtsstube und redete. Er schimpfte auf den Adam, doch schien sein Gefluche keinen besonders großen Kindruck auf die andern zu machen, denn die Kreuzwirtin blieb ruhig, der Meier saß dumm da und ließ sich vom Weine immer mehr umnebeln, der Vögtli schlief weiter, und der Gempenhanesle machte sich die Stimmung zunutze. Er schenkte sich verstohlen ein Glas nach dem andern ein und trank es schmatzend hinunter.5 20 []uf der Schartenmatt tranken der Förster und J der alte Christian herben Most, sie erzählten sich dazu allerlei Geschichten; von ihrer Jugend erzählten sie sich, und dabei fühlten sie das Alter.Wehmütig schwiegen sie, drückten sich die Hände,und der Förster ging weg, durch den dunklen Wald,dem Tale zu.Christian war alleine, er träumte.Vor ihm stieg ein Bild auf, minnig und schön, von warmen Frühlingstagen umrahmt. Er hatte ein sunges Weib an seiner Seite und ging mit ihr hinaus, auf die Fluren. Sie schauten dem Lenze zu, wie der die Knospen sprengte und die Gräslein in die Höhe trieb, sie blieben auch oft stehen, wenn sie zwei Vöglein sahen, die zärtlich taten, sie blickten sich dann an und taten desgleichen.Wie sie dann zu dem DreiQuellenWeiher kamen,den die Leute in der Umgegend den bösen Weiher nannten, blieb sein junges Weib stehen, schauernd blickte sie an den felsigen abschüssigen Ufern hernieder, auf das grüntrübe Wasser, das still dalag und wie ein Nixenauge gleißte; die drei Quellen nur belebten mit ihrem muntern Niederplätschern das Stückchen Erde. Er hatte dort einen Stein vom Boden aufgenommen und in den Weiher geworfen;mit einem dumpfen, gurgelnden Tone spritzte das Wasser auf, plätschernd legte es sich wieder, beruhigte sich langsam und trieb in Ringen kleine Wogen, die sich stille an den Ufern verloren. Eine Dohle, die in den Felsen nistete, war mit heiserem Krächzen aufgeschreckt und flog mit langen Flügel

*

1 []schlägen davon; das sunge Weib zuckte zusammen und sagte:

„Ein Geheimnis.“

Was für eines. fragte er.

Der Weiher mit seinen Bingen,“ gab sie zur Antwort und sah stille, wie ahnend, in das grüntrübe Wasser.

Da schloß er sie in seine Arme und küßte sie, der Frühling und die Vögelein halfen ihm, und sie wurde wieder fröhlich.

Dazumal war die Schartenmatt noch ein stattliches Gut gewesen, das schönste weit und breit und schuldenfrei. Seine Frau war ein sensibles Stadtmädchen,sie konnte sich nur langsam in die Stille des Landlebens schicken.

Trotzdem hatte sie sich darein gefunden, denn sie liebte ihren Christian mit ganzem Herzen.

Aber es kam die Zeit, eine bitterböse Zeit da Christian ächzte, sein Gesicht verzerrte sich qualvoll,was hätte er nicht alles gegeben, wenn er diese Zeit dir übertünchen können wenn er sie nie gelebt hätte.

Da war es geschehen, da zogen sie seine sunge Frau,die ihn so unsagbar geliebt hatte, daß sie ihm aus dem Wege ging, aus dem Wasser. Es war ein nasser,kalter Herbsttag, feiner Nebel durchzog die Luft und hing sich feucht an alles. Auf einer Bahre, die sie im Walde gehauen hatten, trugen sie die junge Frau in das Haus.

Das Geheimnis des Frühlings, dort am Weiher,hatte der Herbst gelöst.

22 []Christian starrte wie geistesabwesend vor sich hin.Er wollte, er konnte an nichts mehr denken, denn sein Unrecht fraß sich ihm tief in die Seele hinein,Iund die Reue plagte ihn und ließ ihm keine Buhe.Krachend fiel die schwere Haustür in das Schloß,Adam war nach Hause gekommen; Christian fuhr hastig auf, wie aus einem schweren Traum erwachend.Der sunge Schartenmättler trat in das dimmer,sein Gesicht war finster, er grübelte vor sich hin;forschend blickte Christian seinen Sohn an.Was hat es gegeben, Adam fragte er nach einer Weile.Adam blickte auf.Böse Mäuler, Vater,“ sagte er.Christian zuckte verächtlich mit den Achseln.„Laß sie reden, Adam.“Alle, Vater, alle.“So ist es recht.Aber wenn die Reihe an mich kommt · dann “Was dann, Adam“der Alte machte ein besorgtes Gesicht, denn das Ungestüm seines Sohnes machte ihm Kummer.„Ja dann, Vater dann!“Ein eigener Zug übernahm Adams Gesicht bei diesen Worten, es lag etwas darin wie unbarmherziger Triumph, er sah aus, wie ein Mensch, der auch nicht ein kleines Pünktchen von seinem Siege schenkt. Er mußte einmal einen Sieger geben, der alles nahm,alles, alles.Adam ging zur Türe und rief der Marei, sie solle 2 []ihm den Pauli hereinschicken; nach einer Weile kam der, er hatte den Melkstuhl noch angeschnürt und brachte Stalluft mit in das Zimmer.

„Was soll es, Bauer v

„Hat es etwas gegeben, als ich weg war fragte Adam seinen Meisterknecht.

Nichts weiter, Bauer.“

Pauli, richte die beiden hintern Ställe her, es kommt in den nächsten Tagen Vieh.“

„Ist das alles, Bauer v

Alles; du kannst gehen.“

Pauli ging wieder an seine Arbeit, und als er die rotscheckige Simmentalerin melkte, sah man ihm an, daß er eine Freude hatte, denn er redete an die Ruh heran, als ob sie ein Mensch wäre, und was er sagte, waren gute Worte. Der Stallknecht und der Futterbube sahen sich verwundert an, und in der Futtertenne fragten sie sich, was das wohl zu bedeuten habe mit dem Pauli. Sie wußten nicht, daß Pauli den Hof wie sein eigen anschaute und an Adam hing, wie ein Bernhardinerhund an seinem Herrn.Hauli freute sich, wenn es Adam, den er erzogen hatte, wohl erging.

Christian fragte dieweil seinen Sohn:

„Hast du etwas gekauft, Adam

„Zwanzig Stück Vieh, Vater.“Bist du auch gut gefahren y Der Alte machte sich Kummer, er glaubte, Adam hätte sich eine zu große Last aufgeladen.„Sei nur ruhig, Vater, es ist alles recht,“ antwortete ihm Adam.

24 []Als Christian das selbstbewußte Gesicht seines Sohnes sah, glaubte er an ihn und gab sich zufrieden.Nach einer Weile sagte Adam:

„Vater, ich will heiraten.“

Christian machte ein verwundertes, freudiges Gesicht.

NMur zu, Adam,“ sagte er, „mir soll es schon recht sein, wer ist es denn v

„Die Marei, Vater.“lberrafcht schaute Christian auf seinen Sohn.„Die Marei

Ja, und ich hoffe, daß du nichts dagegen einzuwenden hast.“ Es lag im Tone dieser Bitte etwas versteckt, das sagte, daß eine Widerrede fruchtlos sei.

Christian hatte nichts einzuwenden.

Wenn es dir nur zum Glücke ist, dann soll es mir recht sein.“

Adam rief die Marei, die Magd kam.

„Da, Vater, das ist deine Schwiegertochter,“ sagte er dann.

Da wurde die Marei doch ein wenig rot und nestelte verlegen an ihrem Kleide herum.

„Sei ihm eine gute Frau, Marei,“ sprach Christian zu ihr.

Ich will es ihm sein, Bauer,“ gab sie ihm einfach zur Antwort.

„Sag nicht mehr Bauer zu mir, sag Vater, Marei,“meinte Christian freundlich.

Da schlug der Marei das Herz höher, so freute sie sich, und sie sagte Vater zu Christian.25 []Adam war mehr mit sich selbst beschäftigt, als aufmerksam dabei gestanden.

Er sagte zu Marei:

„Marei, am Sonntag lassen wir uns auf bieten.“„Ja, Adam.“

Warei ging wieder hinaus an ihre Arbeit.

Der alte Christian wurde über die Art, wie Adam seine Hochzeit betrieb, nachdenklich. So lief doch sonst diese Sache nicht ab, er schüttelte verwundert den Kopf und ging hinaus.

Adam aber zog seine Arbeitskleider an und sah auf dem Hofe nach dem Rechten.

Christian war vor das Haus getreten und schaute hinaus, unten im Tale machte sich schon die Nacht breit, sie kam dunkel aus den Schluchten herauf und wuchs immer größer, nur die Hohen waren noch vom letzten Abendsonnenscheine überflossen, und Basel mit der Bheinebene schien in Flammen zu stehen, der Rhein erglänzte wie ein feuriges Band, und die Vogesen grenzten zur Linken das Bild in einen starren Rahmen, während es der Schwarzwald weicher säumte. Die Sonne brach sich wie ein riesiger Feuerball durch die bleigrauen Wolken Bahn und färbte deren Ränder gleißend, im Osten tönte sie den Himmel in satte Farben, rot und blau und grün in allen Variationen.

Verfallen lag die Landskrone auf ihrer steilen Höhe,während sich das Kloster Mariastein ihr zu Füßen breit machte, weich und reich.Der Wind trug verhallendes Kirchengeläute zum Scharten empor, im Osten aber zuckte mit un

24 []ruhigem Geflacker ein fernes Gewitter.

Christian schaute hinaus und sann. Es schien ihm,daß sich langsam alles verändere, er glaubte sich einige Jahrhunderte zurückversetzt, in eine ferne Zeit,die längst mit ihrer alten Poesie zerflossen war. Er sah die Landskrone wieder stark und in ihrer wehrhaften Jugend, er schaute nach Basel hinunter und konnte dort die Stadtmauern mit ihren Kinschnitten und Türmen sehen.

Es war ihm, ein mächtiges Tedeum brause aus dem Münster zu ihm empor.

Und er glaubte in der Zeit zu leben, in der sich die Feien und die Nixen den Menschen noch zeigten.Langsam, unwillkürlich zog es ihn zu dem DreiQuellenWeiher, er träumte immer noch von längst entschwundenen Zeiten, und wie er beim Weiher saß,hatte er eine eigne Vision.

Jenseits auf der Höhe sah er einen Rittersmann,hoch zu Roß, und unten, da wo die Wasser mit dem Felsen spielten, kauerte ein nacktes Weib, üppig und schön wie die Sünde; ihr volles helles Haar floß wie Gold um ihren Nacken, und sehnsüchtig schaute sie hinauf zu ihm, ihre weichen Brüste drückten und schmiegten sich an das Gestein, der Rittersmann aber schaute weitaus, hinweg, er sah sie nicht; da rief sie ihn an, leise mit zärtlichen Worten, er sah hinab, gleichgültig und kalt. Und wie sie auch jammerte und um Lieebe bettelte, er rührte sich nicht.Als ein anderes Weib kam, mit dem der Rittersmann zärtlich tat und koste, klagte die Nixe und fluchte den Menschen; um des einen willen schwor sie in

2,[]ihrem Weiher, Opfer zu fordern, sie wollte alle schönen und glücklichen Weiber in ihren Fluten ertränken; sie versank in den Wassern und lauerte.Christian sah in seinem Traume die Legende des DreiQuellenWeihers, wie sie sich die Bauern in der Umgegend erzählten, lebend vor seinen Augen aufsteigen,und er schrie auf:„Weib, verschone mein Haus, laß es dir an der einen genügen.“Sein Schreien brach sich an den Felsen und hallte unverständlich wieder, in der Ferne aber grollte der Donner eine unheimliche Melodei dazu.Christian war aus seinem Traume erwacht, er war sich wieder all seines Schmerzes bewußt, all der Reue,die sich ihm tief in das Herz fraß; seine Sünde drückte ihn, und er sank hin vor dem Kreuze und betete zu Gott um Gnade, lange, lange flehte er.Das Wetter war immer näher gekommen und der Donner grollte. Schwere Tropfen fielen herab und schlugen klatschend auf, langsam wankte Christian dem Hause zu.Als er dem Hofe nahe war, zerschmetterte ein greller Blitz und ein Rnattern und Brüllen das Kreuz und ließ nur noch einen traurigen Stumpf des Steines stehen, während die andern Trümmer zerschlagen herumlagen.Als Adam nach einigen Tagen ein neues Kreuz errichtete, wehrte ihm Christian und sagte:

Laß doch, es soll ja nicht sein.“va schaute der Sohn ernst auf seinen Vater.„Es muß sein, Vater, ich will es.“

28 []nter einer monotonen Gleichmäßigkeit gingen u einige Tage vorüber, alle begannen gleich und endeten gleich.Morgens früh pfiff der Meisterknecht dreimal langgezogen und gell durch die Finger, das Gesinde kam dann hurtig herbei. Jedes ging an seine Arbeit. Das Vieh wurde gefüttert, zur Tränke getrieben, dann Vesper eingenommen, dann gearbeitet, dann Mittag gegessen, dann Arbeit, wieder gegessen, dann Arbeit,Vieh gefüttert und zur Tränke getrieben, alles mit stumpfer Regelmäßigkeit, das Essen, das Schlafen,selbst das bißchen Qualmen und Reden nach dem Feierabend.Durch den dunkeln Tann schritt der Viehhändler Levy voran, er wischte sich mit einem großen Taschentuch fortwährend den Schweiß vom Gesicht, nichtsdestoweniger holte er aber gut aus. Er wollte nach der Schartenmatt.Da wo sich der Weg verschmälerte und mit einem jähen Stich bergan führt, traf er mit Ehrsam zusammen. Levy kannte den Mann und er fürchtete sich halb vor ihm, darum faßte er seinen schweren Spazierstock etwas fester.Ehrsam kam gemächlich zu ihm, seine linke Mamsseite stand leicht hervor, er mußt etwas darunter tragen, Levy erriet, was; Ehrsam war auf dem Anstand gewesen und verbarg sein Schraubengewehr,das sich in drei Stücke zerlegen ließ, unter dem Kittel.„He, Jude, wo willst du denn hin;“ fragte Ehrsam.Auf die Schartenmatt, Ehrsam,“ antwortete Levy

29 []geschmeidig und liebenswürdig.

AZu dem!“ Ehrsam rief diese Worte so verächtlich aus, daß Levy stutzig wurde.

„Nun, Ehrsam, der Mann ist doch gut“

Ja, ja, Levy, versuche nur dein Glück mit ihm.“Ehrsam lächelte böse.

Da war es dem Levy nicht mehr einerlei, denn er kreditierte dem Schartenmättler einen gehörigen Posten.„Aber, Ehrsam, was ist denn mit dem Mann v fragte er, die Angst um die Sicherheit seines Geschäftes mit Adam überwand die Furcht vor Ehrsam.

„Nichts ist mit dem Mann, Levy, nichts, das hättest du doch wissen sollen.“

„Steht er denn nicht gut, oder was ist mit ihm,Ehrsam, so redet doch frei heraus, bei mir seid Ihr doch sicher.“

„Ach, was, Jude, wenn du etwas wissen willst, erfrag dich doch auf der Amtsschreiberei in Dornach,die dort können dir alles haarklein sagen, verricht deine Geschäfte gut, Jude, und fall herein damit.“Ehrsam ging wieder herauf in den Wald, Levy schrie ihm nach:

„Aber, Ehrsam, so sagt mir doch, was Ihr wißt.“Aus dem Wald gab Ehrsam zurück:

Zehts weiß ich, fragt in Dornach, dort wissen sie alles.

Levy ließ nicht nach; wenn er umsonst, aus Gefälligkeit, nichts erhielt, dachte er, könnte sich vielleicht durch Geld etwas erfahren lassen.„Ehrsam, Ehrsam, hört doch, wenn Ihr Geld 30 []braucht, könnt Ihr mir das nur se agen, ich gebe Euch dann welches.“

Da kehrte Ehrsam um und ging zu dem Viehhändler ʒurück.

„Das ist allerdings etwas anderes.“

„Wieviel braucht Ihr

Gieb mir fünfzig Franken.“

„Das ist ein wenig viel, Ehrsam.“

Gib mir fünfzig Franken, Jude.“

„Dann sagt Ihr mir aber auch, wie es um den Schartenmättler steht.“

„Wenn ich das Geld habe.“

Levy zählte das Geld heraus, gerne gab er es nicht.Aber ein kleiner Schaden war immerhin besser als ein großer.

Wie der andere die fünfzig Franken hatte, wollte Levy eine Handschrift.

„Dummes zZeug, Jude, auf Ehrenwort leiht man,“lehnte Ehrsam das Ansinnen des andern ab.Seufzʒend gab sich Levy zufrieden, Papier und Unterschrift wären ihm sicherer gewesen, als Ehrenwort.„Also, Ehrsam, was wißt Ihr v

„Auf dem Gute sind mehr Schulden, als es Wert hat.“

„Ist das alles. Das hätt' ich in Dornach billiger haben können.“

„Warte, Jüdchen,“ fuhr der andere fort,,dazu wird er setzt noch wegen Jagdfrevel gebüßt, muß Kindsgelder bezahlen. Woher aber nehmen, bist du setzt zufrieden? Ehrsam lächelte hämisch.

„Ist es denn so schlimm“

31 []„An den Geltstag kommt die Schartenmatt, da kannst du sicher sein, Levy.“

Die beiden trennten sich.

Ehrsam ging in den Wald, er lachte laut auf, als er alleine war und rieb sich die Hände.

Levy aber ging nach der Schartenmatt, er war entslossen den Kauf nichtig zu machen.

Er hätte weinen mögen, daß ein so schönes Geschäft zu Wasser wurde. Wenn er es auf irgendeine Art aufrechterhalten könnte, würde er es getan haben.e er auch nur die kleinste Sicherheit gehabt hätte!

Als Levy auf der Schartenmatt war, fragte er nach Adam, Marei wies ihn in den Kleinviehstall, Levy trat dort ein.

Christian und Adam besichtigten das Kleimvieh,Adam setzte dem Vater die Vorteile des Mast gegen das Zuchtvieh auseinander, als Levy eintrat.„Bauer, kann ich Euch alleine sprechen

Adam machte verwunderte Augen.

„Oho, Levy, sprecht nur frisch heraus, mein Vater und ich haben keine Geheimnisse.“

Levy machte eine Pause, ehe er das Geschäft begann.

Bauer, ich habe mich über Euch erkundigt, die Auskunft ist aber gerade keine gute.“

„Was meint Ihr damit Adam machte ein finsteres Gesicht.

„Ihr braucht nicht böse zu werden, aber schaut, ich bin Geschäftsmann, in erster Linie Geschäftsmann,was ich Euch Kredit gebe, ist eine Summe, sawohl,32 []Bauer, eine Summe.“

Da fuhr ihn Adam barsch an:

„Wißt Ihr das erst heute, Levy

Auch Levy wurde aufgebracht:

„Ja, erst heute weiß ich das, glaubt Ihr vielleicht,ich werde mich nicht erkundigen, wenn ich ein solches Geschäft abmache, einige Sicherheit muß ich doch haben.“

Adam hatte seine ganze Beherrschung wieder.„Da hättet Ihr halt vor dem Kauf etwas für Eure Beruhigung tun sollen, jetzt ist es zu spät dazu.“

„Ja, ja, aber Ihr müßt mich verstehen,“ sagte Levy,denn er wollte zum guten einlenken.

„Schon recht, ich habe Euer Wort, Levv.“

„Ja, das habt Ihr; aber .“

Adam ließ ihn nicht ausreden, er unterbrach ihn und sagte:

„Wer sein Wort nicht hält, der ist iin Hundsfott.“Da sprang Levy auf, wütend, und doch wieder ein wenig vorsichtig geduckt, schrie er:

„Ich kann mein Wort nicht halten, ich muß Sicherheit haben.“

Adam blieb ruhig, während Christian, peinlich berührt, auf und ad schritt.

„Versteht doch, Bauer,“ begann Levy wieder, „ich muß doch etwelche Sicherheit haben.“

„Das kann mir gleichgültig sein, Ihr habt zwanzig Stück Vieh zu liefern, und dabei bleibt es

Levy wollte etwas einwenden.

„Wartet ein wenig, ich komme gleich wieder.“

Rurz, Die Schartenmättler.

4 []Adam ging hinaus, Levy redete indes auf Christian ein und suchte ihm feine geschäftliche Sorge begreif lich zu machen.

Als Adam zum Stall heraustrat, stieß er auf Marei, die gehorcht hatte und mit einem Schrei auffuhr.

Was machst du da, Marei“ fragte er barsch.Sie stammelte etwas.

„Ich habe nachher noch mit dir etwas zu sprechen,geh einstweilen.“

Er ging in die Stube und nahm aus dem Kasten den Kaufvertrag, dann ging er wieder in den Stall ʒurück und trat vor Levy hin.

„Da schaut her, da steht alles genau aufgeschrieben,so habt Ihr auch alles zu halten.“

Da redete Christian zugunsten des Viehhändlers.„Adam,“ sagte er, „Adam, du kannst dem Manne zur Beruhigung doch einige tausend geben, du hast das Geld ja liegen.“

Levy horchte auf, diese Worte waren Wind auf seine Wühle.

„Ja, Bauer, macht das, sowas laß ich mir bieten.“Aber Adam wollte nicht.

„Wie es da steht, schwarz auf weiß, und damit Gott befohlen, Levy.“Levy hatte wieder Hoffnung für sein Geschäft, er wollte Adam überreden.

„Laßt Euch doch gesagt sein, Bauer,“ begann er.Doch Adam hatte genug.

„Laßt alles BReden, Levy, ihr müßt und damit gut

34 []morgen ist der Lieferungstag fällig, habe ich übermorgen das Vieh nicht, hebe ich eine Klage an gegen Euch, Schadenersatz, alles müßt Ihr zahlen, also Ihr liefert, oder ich klage, eines von beiden geschieht,und damit Punktum.“

Er wendete sich ab, was wollte Levy machen, er ging. Mit großer Angst und Kummer lieferte er das Vieh, zum maßlosen Ärger des Ehrsam.Noch am gleichen Abend ging Marei zu Adam.„Adam,“ sagte sie, „ich habe alles behorcht, was ihr miteinander verhandelt habt, der Levy und du,sei nicht böse deswegen,“ bat sie.

„Marei, das darfst du nicht wieder machen,“ verwies sie Adam.

Warei blieb stehen, sie hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Adam, ich habe etwas über zweitausend Franken,“sagte sie.

Verwundert schaute Adam auf.

„Danach habe ich dich doch nicht gefragt,“ sagte er unwirsch.

Marei zögerte, sie fürchtete, er könnte sie falsch verstehen, aber sie wagte es doch.

„Adam,“ sagte sie, „wenn du das Geld brauchen könntest, wäre es mir lieb.“

Da hatte Adam doch eine Freude an der Marei, er sah, daß sie nicht ein Bauernmädchen wie die andern war, und nicht wie diese, fest auf ihrem Gelde saß und es ängstlich hütete und verbarg, er gab ihr darum einen Kuß, den ersten.

„Laß gut sein, Marei,“ sagte er, „einstweilen brauch

2[]ich's nicht, wenn ich aber einmal was brauche, ist es immer noch gut.“

Marei ging fröhlich hinaus, es freute sie unbändig,daß der Adam sie geküßt hatte.

7 eden Samstagabend bimmelte das Kircheny glöcklein der Gemeinde Gempen mehr und,2 wie es schien, eindringlicher, als andere Tage,denn es mahnte die Schar Frommer und Nichtfrommer, die in seinem Bereiche lagen, zur Andacht,damit sie am morgigen Sonntag mit wohlvorbereitetem Gemüte in die Kirche gingen.Überall sah man, daß morgen Sonntag war; früh am Nachmittage ging schon alles, was konnte, nach Hause, die Weibsleute fegten und putzten, was sich fegen und putzen ließ, im Hause und im Hofe herum,die Mannsleut' aber versorgten das schwere Geräte, hingen fein säuberlich die Pferde- und Ochsengeschirre an ihren Platz, richteten für den Sonntag das Futter her und gaben so ihren Häusern und Höfen ein feiertägliches Gewand.Beinahe allerorts saß der Bauer noch bis spät in die Nacht hinein am Tische und kritzelte auf irgendein Stück Papier, das ihm just eben unter die Finger kam, Zahlen und Buchstaben, er rechnete die Ergebnisse der Woche zusammen, und nicht überall gab es

*

34 []dann einen fröhlichen Sonntag, denn die Schwarzbuben sind nur dann zufrieden, wenn sie etwas erübrigt haben, und wenn das Etwas noch so klein ist.Am Sonntage gingen alle frühmorgens beinahe mit der Sonne heraus, man besorgte zuerst das Vieh,gab ihm gehörig Grünes zu fressen und trieb es zur Tränke; dann stopften die Knechte in den Ställen die Futterbahren noch voll Heu, damit das Vieh sa am heiligen Sonntag nicht unruhig würde, denn der Herr Pfarrer war in der Beziehung ein gar gestrenger Herr, und nichts ging ihm über die Sonntagsruhe.

Nach geschehener Morgenarbeit ging alles, Mann und Frau, Knecht und Magd, die Buben und die Mädchen, in ihre Kammern, ein jseder zog aus dem Spind das Sonntagsgewand, wusch sich und kämmte die widerspenstigen Haare mit Wasser und Seife bombensicher auf den Kopf, dann kleidete sich alles feiertäglich, nahm das dickleibige Gesangbuch in die Hand, und mit dem ersten Glockengeläute,das dünn und zitternd durch die frische Morgenluft zum Gottesdienst rief, wallte alles in die Kirche.Am heutigen Sonntag kam sogar der Gempenhanesle frisch gewaschen einhergehumpelt, er setzte sich auf die vorderste Bank, machte natürlich am Weihwasserkessel ein andächtiges Kreuz, dann aber schlief er bald ein.

Das Kirchlein füllte sich mählich an, die Mannsleute auf der einen Seite, die Frauenzimmer auf der andern, durch einen Gang fein säuberlich geschieden;sedweder machte ein frommes Gesicht, faltete die x 3*8 []Hände andächtig, ob es aber auch einem seden so im Herzen ausgeschaut, kann niemand sagen.Beinahe vor Torschluß kam der junge Schartenmättler mit der Marei; alle die in der Kirche waren,kehrten sich um, dann wisperte es, und mancher verstohlene Blick fagte mehr als Worte; Adam kümmerte sich aber nicht darum, er setzte sich auf seinen Stuhl, der zu den wenigen im Chor zählte, Marei verlor sich unter den Frauen, nur ab und zu schaute sie rasch auf Adam.

Als der letzte Glockenton ausgezittert hatte, und nur noch das Gebälk im Turme von der letzten aus schwingenden Bewegung der Glocken knarrte und girrte, kam der Herr Pfarrer; feierlich schritt er durch den Hauptgang und besprengte alles mit Weihwasser; dann ging er hinter den Altar, die Chorbuben sangen, der Pfarrer auch, und es wurde der vorschrifto mäßigen Religion Genüge getan.

Der Gottesdienst war zu Ende, Marei senkte ihr Gesicht tief herab, ihr Herz klopfte zum zerspringen,ste wußte, das jetzt der große Augenblick in ihrem Leben eintrat, der Pfarrer verkündete sie mit dem Schartenmättler. Ein hörbares Verwundern der Menge war der Erfolg seiner Auskündigung.Adam schritt gleichgüsltig dem Ausgang zu und erwartete dort die Marei, die ihm verschämt folgte.Rasch gingen die beiden weiter, der Schartenmatt zu und waren den Gempenern im Nu aus den Augen.Den ganzen Tag bildete die Auskündigung den Stoff zu Gesprächen, zu Hause und in der Wirtsstube,allwo der Sonntag zunächst gefeiert wurde und 38 []mit Becherklang, Spiel und Tanz, mit Kegelschieben oft zu Gelagen und Streit ausartete. Da hatte aber der Herr Pfarrer nichts einzuwenden, denn der Gottesdienst war in aller Stille und Feierlichkeit zu Ende gegangen.

Ehrsam machte Späße und allerlei bösartige Mutmaßungen über die Verkündigung des Schartenmättlers mit Marei, innerlich kochte er aber vor Wut und Neid, und er nahm sich vor, den Adam wegen Wildfrevel zu verzeigen, er konnte nicht anders,irgend etwas mußte er ihm antun. Er ging darum noch am gleichen Abend in der Nähe der Schartenmatt in den Wald auf die Schleiche, er wollte den Adam auf der Tat ertappen.

Einige Tage nach dem Kirchgang hing sich Adam seinen Stutzen über und schlich sich in den Wald.Er hatte die frische Fährte von Rehen gesehen, am Lieben· Herrgottsbrunnen, da, wo langsam aus dem lehmigen Boden das Wasser hervorquoll und zwei Tümpel auffüllte, um mit dem Ablauf das LiebeHerrgottsbächlein zu beginnen, das plätscherte und mit den niederhängenden Gräsern und Blättlein spielte. Ab und zu fiel auch eine große Zutterblume in die Wellen, alles trug das Wässerlein bergab, und es erhorchte auch das Geheimnis des Wäldes. Murmelnd erzählte es dann das Geschehene dem ersten Wässerlein, mit dem es sich vereinte; zuletzt floß es in den Rhein und trieb mit den stolzen Fluten vereint dem Meere zu. Es trug Schiffchen und gewaltige Schiffe auf seinem Rücken, floß an mächtigen Städten vorbei, grüßte, nahm Ab39 []schied und eilte weiter. Und als es sich mit dem großen Meere vereinte und diesem helfen mußte, unauf hör lich Sturm gegen die Riffe zu laufen, da legitimierte es sich, als aus dem Schwarzbubenland stammend.Das alte Meer erkundigte sich nach den Schwarz-buben. Und dann sagte es ihm, die seien die gleichen Menschen, wie überall, schlecht und recht.Langsam ging Adam durch die dunkle Waldung,unter seinen Füßen knickte manches Ästlein, er ging vom Fußwege ab durch das Gehölz und Unter wuchs. Wenn er an eine lichte Stelle kam, schob er vorsichtig das letzte Unterholz mit der Hand weg und schaute genau aus, ob die Luft auch rein sei.Dann erst schritt er aus. Nach einer halben Stunde war er am Lieben Herrgottsbrunnen.

Da wo sunge Eschen lang und blätterig aufschossen,mit Schwarzdornen unten verflochten, stellte er sich hin. Er zog das Gebüsch über und verdeckte sich mit den Blättern, nur der Gewehrlauf schaute ein wenig hervor. Niemand hätte hinter dem Gebüsch,in dem leise der Abendwind spielte, einen Menschen vermutet.

Majestätisch versank die Sonne hinter dem Muttenzer Berg, und mit einem leisen prickelnden Klingen fiel der Tau. Im Walde regte sich der Abend, eine Amsel sang versteckt ihr Lied, und als auch die verstummte, schien der Wald zu schlafen, nur noch der Wind streifte in den Wipfeln, es glich den regelmäßigen Atemzügen eines Menschen.

Adam machte sich vielerlei Gedanken, er dachte an seine Jugend und an sein Aufwachsen unter den

40 []Bauern. Nie konnte er sich ihnen gleich fühlen, er konnte ihr stumpfes, gleichmäßiges Wesen nicht verstehen. Immer nur klopften die auf ihren Schollen herum, keiner wollte höher hinauf, keiner sich größer machen. Es dachte nicht einmal einer daran. Sie weideten ihr Vieh, bebauten ihre Wiesen und Äcker,sie knüpften im Winter ihre Holzwellen, sparten und sparten, damit sie ein paar Batzen übrig hatten,wenn das Jahr um war. Aber daß Einer sich sagte:mehr Land, nicht einen Hof, ein Gut mußt du haben,das kam nicht vor. Sie ererbten, heirateten, bekamen Kinder, arbeiteten, starben und vererbten wieder.Adam lachte laut auf, es war ihm im Grunde genommen recht, daß sie so dachten, daß sie nicht anders denken konnten, er wollte das schon für sie alle tun, er wollte höher hinauf, sie sollten alle schauen,er wollte ihr Herr werden, sie sollten Knechte sein und bleiben. Was er wollte, wußte er schon, nur die Zeit mußte er noch ein wenig machen lassen, dann kam alles recht.

Sein Vater sollte auch schauen, er wollte dem zeigen,was ein Mensch leisten kann. Auch Marei sollte es sehen. Kinder wollte er zweie, mehr nicht, und die sollten seine Lebensarbeit ererben und weiter ausbauen, er wollte sie erziehen.

Freilich wußte er, daß ein solcher Weg über Glück ging, auch über sein Glück, aber was schadete das,sein Ehrgeiz war ihm mehr wert, als alles Glück der Welt. Er fragte sich, ob er denn nicht schon angefangen habe mit seinem Weg, und er bejahte. War denn das Liebe, was er zu Marei fühlte, sicher nicht,

41 []es war Vernunft, kühle Berechnung, er brauchte sie. Sie war tüchtig, wie keine; eine solche Frau brauchte er, was frägte er da nach allem Herz und Gefühl.Aber da kam es an ihn, wie es schon an soviele auf einen Augenblick gekommen ist. Einmal hatte er ein Mägdlein gesehen, mit Rehaugen und braunen zöpfen, er hatte sie dazumal gerne gesehen, denn sie hatte etwas Liebes an sich. Aber er überlegte sich alles und sagte nein, denn solche Mädchen können nur die gebrauchen, welche glücklich sein wollen,aber nicht Menschen wie er, die höher hinauf wollten.Er schaute ihr darum nie mehr in die Augen. Nie mehr. Liebe hemmt die Kraft im Menschen, seine Wege zu vollenden, Liebe gürtet sich gerne mit Rosen und streut Blüten auf den Weg. Damit vertändelt man aber die Zeit. Marei war die Rechte, rein und keusch war sie noch, das glaubte er, so wollt' er sie,und das andere, was er brauchte, hatte sie MWarum auch da an die braunen Augen denken, war er denn nicht glücklich Er hatte ja, was er wollte, und was der Mensch will, macht ihm sein Himmelreich aus,der größte Wille aber ist mit Rücksichtslosigkeit gepaart.Da knickte es im Gebüsch. Adam schreckte auf.Schlank und zierlich kam ein Beh, es äugte umher,hob den Kopf hoch und zog die Luft ein, dann ging es zur Ouelle. Noch einmal hob es den Kopf hoch und schaute zur Stelle hinüber, wo Adam stand.Trotzdem Adam nur die Umrisse des Wildes sah,war es ihm, als schauten ihn zwei braune Rehaugen

42 []an, es gab ihm einen Riß. Doch im nächsten Augenblick hob er das Gewehr, er zielte scharf, das Reh schaute immer noch umher. Es war Adam, als flehten ihn zwei braune Behaugen an. Da zog er den Hahn ab. Mit einem jähen Sprung schoß das Reh vornüber, es fiel zu Boden, zuckte und lag dann stille. Durch den Wald aber wälzte sich der dumpfe Schuß, brach sich an den Bergen und verhallte.Adam machte sich aus seinem Versteck auf, er ging zu seiner Beute, ein eigenes Gefühl, unangenehm und doch wieder befriedigt, übernahm ihn.

Er bückte sich nieder, zwischen die Augen hinein war der Schuß gegangen, er hob das Behlein auf die Schulter und schritt der Schartenmatt zu.

Er dachte wieder an das Mädchen mit den braunen Augen, lachte auf und gab dem Wild auf seinen Iphin einen Schwung, damit es recht zu liegen käme.

Ehrsam hatte schon all die Tage über im Walde herum gelauert, aber umsonst. Heute hörte er Adams Schuß verrollen, er wußte, daß es vom LiebenHerrgottsbrunnen her kam, rasch ging er der Schartenmatt zu. Er wollte dem Adam den Weg abschneiden.Adam war noch einige hundert Schritte von seinem Hofe entfernt.

Ehrsam stand im verborgenen Dunkel. Er ließ Adam bei sich vorbeigehen, er wollte schauen, was der auf Rücken trug, in der Nähe erkannte er das eh.

Als Adam einige Schritte weg war, rief ihm Ehrsam nach:43 []„Adam, dieses Rehlein wirst du teuer bezahlen.“Adam blieb ruhig.

„Dann bezahl' ich es,“ rief er zurück.

Er bekam keine Antwort mehr, nur das Krachen des dürren Geästes hörte er. Dann war alles wieder still.

Am nächsten Sonntag, als Adam zum letztenmal mit Marei aufgeboten wurde, brachte der Weibel von der Amtsschreiberei Dorneck in Dornach auf die Schartenmatt eine Vorladung vor Gericht wegen Jagdfrevel.s war an einem Freitag, an dem Adam Berh gers Prozeß wegen Jagdfrevel zur Verhandlung kam, morgens um neun Uhr mußte er im Amtshause sein. Ehrsam hatte wie Adam eine Vorladung bekommen, er mußte wider den andern zeugnis ablegen. Auch der Förster war vorgeladen worden.Als Adam in dem Wartezimmer saß, kam der Förster,kaum erblickte der den Schartenmättler, schrie er ihn aufgeregt an:„Adam hat Euch denn der Teufel geritten v Nein, Förster, seine Großmutter,“ antwortete Adam.Aber der Förster war einmal wild, und so leicht ließ []er sich dann nicht bändigen, seine Augen funkelten und seine Nase schimmerte bläulich.

„Der Teufel, Adam, der Teufel, das gibt Euch eine teure Sache, ein Rehlein um diese Jahreszeit.“„Aber ein schönes Rehlein war es, Förster, das laßt Euch gesagt sein.“

Adam schien die Sache ziemlich leicht zu nehmen.Der Förster nahm sie aber desto schwerer.

„Adam, ihr schlagt Euch den Spaß zu gering an,“sagte er.

Da wurde Adam ernst.

„Nein, Förster, ich kenne Eure Gesetze ganz genau,ich weiß, daß sie schreiben: die Jagd ist nicht mehr frei, und so weiter schreiben sie, aber ich sag' Euch,Hörster, die Jagd ist noch frei, sie gehört uns nur uns,und nicht dem Bund und den Herren in Bern.“Der Förster schüttelte den Kopf.

„Adam, Ihr seid auf dem Holzweg, wie alle aus Eurem Schwarzbubenland, Ihr wollt einfach nicht begreifen.“

„Doch, Förster, wir begreifen und eben darum sind wir auch so, uns Schwarzbuben gehört das Schwarzbubenland, nur uns, Förster.“

Der Förster wurde ärgerlich.

„Der Teufel mag mit Euch rechten, Adam, nicht ich,“ er wollte noch weiter reden, als die Tür aufging, und der Weibel hereinkam, der rief laut:„Berger Adam.“

Adam ging hinaus und in den Gerichssaal, wo hinter einem langen Tische, der quer durch das Zimmer stand, die Richter saßen. Der Weibel wies Adam

4 []einen Platz hinter einem kleinen Tischchen an.

Es war eine Weile stille im Saale, die Richter blätterten in ihren Papieren herum, dann begann der Präsident mit eintöniger Stimme zu sprechen:„Adam Berger,“ sagte er, „Ihr seid angeklagt,gegen das Jagdgesetz gefrevelt zu haben.“

Er schaute auf, und als er sah, daß Adam reden wollte, winkte er ihm leicht mit dem Kopfe zu.„Ich wüßte nicht, wie ich gegen das Gesetz gefrevelt habe, Herr Präsident,“ sagte der.Verwundert schaute der Richter auf, dann blätterte er wieder in seinen Papieren herum, nahm eines in die Hand und las rasch und langweilig, wie Richter eben lesen, interesselos und gleichgültig:

„Zeuge Ehrsam hat in der Nacht vom zehnten auf den elften einen Schuß gehört, der aus der Richtung des Lieben Herrgottsbrunnens herzukommen schien,eine Weile darauf sah er den Adam Berger mit einem Reh auf dem Rücken der Schartenmatt zuschreiten, er rief ihn an, um sich über die Person des Angeklagten zu vergewissern, dann ging er zum LiebenHerrgottsbrunnen, wo er Blutspuren fand,Zeuge hierfůr der Bezirksförster.“

Der Bichter sah auf und fragte: „Was habt Ihr dagegen einzuwenden, Adam Berger“

„Nichts,“ gab Adam zur Antwort.

„Also müßt Ihr auch wissen, wie Ihr Kuch gegen das Gesetz vergangen habt.“

„Herr Präsident, wir da droben auf dem Berg haben Luer Bese etz noch nie anerkannt, es gilt also für uns nicht.

44 []Der Richter sagte darauf mit gleichgültiger, geschäftlicher Miene:

„Das sind Eure Ansichten, die uns aber nicht im geringsten berühren. Habt Ihr sonst etwas einzuwenden ⁊*

Adam antwortete mit ärgerlicher Stimme:

„Ihr schützt das Wild, Ihr gebt ihm dadurch das Kecht, unsere Saat, unsere Felder zu verwüsten.Darum schützen wir Bauern uns selbst und schießen das Wild ab, wo wir können, weiter habe ich nichts zu sagen, Herr Präsident.“

Da klingelte der Richter und vernahm noch die deugen.Ehrsam legte sein Zeugnis mit höhnischen Blicken auf Adam ab, auch der Förster sagte nach dem Protokolle aus.

Der Richter ließ alle abtreten, nach einer Weile verkündete er das Urteil: Adams Jagdfrevel und sein trotziges Benehmen wurde als abschreckendes Beispiel mit tausendachthundert Franken gebüßt.Adam unterschrieb das Urteil, innerlich gärte es in ihm, und er nahm sich vor, den Ehrsam für seine Schurkerei zu zeichnen.

Vor dem Amtshause traf er mit Ehrsam zusammen.„Habe ich dir nicht gesagt, daß du ein teures Reh geschossen hast,“ redete der den Adam an.

Adam wurde blaß vor zorn, er zischte:

„Nimm dich in acht, daß du mir da droben nicht in die Nähe kommst.“

Ehrsam füuhr erschrocken zurück und bereute eine Weile seine Verzeigung. Dann aber, als Adam aus seinen Augen war, freute er sich, ging in das Wirts7 []haus und trank einen Schoppen Alten.

Adam ging nach Hause, sagte kein Wort, nahm seinen Stutzen von der Wand und ging in den Wald hinaus. Bald darauf verkündete sein Schuß, daß ihm ein Wild über den Weg gelaufen sei.

Tage vergingen.

Adam brütete finster vor sich hin, er glaubte, daß die Strafe, die er hatte bezahlen müssen, eine ungerechte gewesen sei, und wollte sie dem Staate wieder nehmen.

Auf der Schartenmatt betrieb man die Vorbereitungen zur Hochzeit, Adam hatte niemand geladen,nur die Trauzeugen sollten kommen, und nach der Kirche sollte alles zu Ende sein, der eine Zeuge war der Schibach Fritz und der andre ein Onkel der Marei, er hieß Grüner und war ein komischer Kauz,voller verrückter Ideen und Schrullen.

Es war die Nacht vor dem Hochzeitstage, das Haus lag in tiefer Ruhe, nur im Gesindegebäude zeigte sich noch Licht. Aber auch Christian kam nicht zur Ruhe, leise ging er durch die dunkeln Gänge, dem Freien zu, es trieb ihn hinaus, er wußte nicht, was er zu allem sagen sollte, wenn er seine eigene Hochzeit mit der seines Sohnes verglich, wurde er verwirrt. Adam war die Ruhe selvst.

Er dachte unwillkürlich zurück.

Wie war doch seine Braut schön, zierlich und fein,und wie liebte sie ihn, und wie liebte er sie Es war Anno dazumal der Tag vor dem Hochzeitsfeste, wie heute bei Adam, sie waren nicht viel beisammen, aber sie konnten beide kaum erwarten, bis der lästige Tag 48 []herum war. Er hatte sich die ganze Nacht im Bett herumgewälzt und war früh, wie der Morgen kam,auf den Beinen, und wie hatte es nicht in ihm gejubelt, als sie zusammengegeben waren, auch sie freute sich, doch zitterte sie leicht, sie schien ihr Schicksal geahnt zu haben. Aber dennoch. Wie war ihnen das Leben schön, und wie rasch, nur zu rasch zerrannen die Tage, dann gingen sie hinaus auf die Schartenmatt. Und da kam es. Da schwand die Freude, in Kummer wurde Adam geboren, dann kam das Unglück.

Das Knirschen des Hofpflasters und verstohlenes Pickeln und Hämmern riß Christian aus seinen Betrachtungen, er schaute auf.

Die Knechte gruben zwei Löcher in den Boden,darein setzten sie Tannen, eine Ehrenpforte für das junge Paar.

Christian stellte sich zu den Leuten und schaute ihnen zu, und als die dunkeln Tannen fest und stark eingegraben waren, holte er eine Kanne Wein und stieß mit den Knechten auf das Wohl des jungen Paares an.

Alle gingen nun zur Ruhe.

Früh am andern Morgen trommelte es an Christians Zimmertüre, Grüner stand draußen davor und machte einen Höllenlärm. Erschrocken fuhr Christian auf.„Was ist los?“ rief er.

„Macht auf, Gevatter, ich bin es, der Grüner, kann nimmer schlafen, leistet mir ein wenig Gesellschaft.“Diesen Worten folgte ein neues Gepolter.Seußfzend stieg Christian zum Bette heraus, was

KRurz, Die Schartenmättler.

40 []wollte er auch anderes tun; wenn er nicht geöffnet hätte, würde der andere die Türe eingetrommelt haben.

„Wartet nur eine kleine Weile, ich muß zuerst noch in meine Hosen hinein,“ bat Christian.

„Nur zu, Gevatter, mit den Hosen.“

Srüner war beruhigt, er hörte auf, zu lärmen, und als Christian den Riegel stieß, kam er hereingepoltert,er hatte nur seine Beinkleider und das Hemd an, der ganze Mann sah gequält aus.

Christian fragte ihn:

„Was habt Ihr denn, Gevatter

Da platzte Grüner los:

„Du lieber Gott, was habe ich, aufgewacht bin ich in dieser Herrgottsfrühe, und da kam mir meine Frau in den Sinn, gestorben ist sie, wenn sie der Teufel nicht mag, soll sie Gott behalten, Herr du meine Güte, Gevatter, was hat mich diese Frau nicht alles kusoniert, ah Ihr glaubt es nicht, und getrunken hat sie, Gevatter, das war schon mehr gesoffen; war das ein Weib, die kam mir in den Sinn,und darum bin ich in meiner Todesangst hin zu Euch gesprungen.“

Christian lachte auf.junge Paar, Grüner, oder meint Ihr““

„Nein, Christian, da seid ruhig, so eine, wie meine war, kommt nur einmal vor, und ich habe die glückliche Hand gehabt und diesen Treffer gezogen, Gott sei Dank für den, der sie nicht bekommen hat.“Die beiden alten Männer erzählten sich noch lange,

50 []und Christian fand, daß Grüner ein guter Mensch war.

Grüner aber nahm sich vor, einmal beizeiten davon zu reden, ob man ihn nicht auf der Schartenmatt gebrauchen könne, er hatte eigentlich nicht mehr nötig, zu dienen oder zu arbeiten, mit seinem Ersparten kam er gut durch. Aber die Menschen auf der Schartenmatt gefielen ihm.Wie er so daran dachte, pfiff draußen im Hofe der Pauli dreimal langgezogen und gell und weckte alle auf, damit sie an die Arbeit gingen.

Die beiden Alten kleideten sich an, wie es Brauch und Sitte war bei der Hochzeit eines Christenmenschen.Adam aber ging noch zuerst in seinen Arbeitskleidern auf dem Hof und in den Ställen herum, sust als wäre heute ein Tag wie alle Tage, erst kam für ihn sein Gut, ehe er an etwas anderes denken wollte.Als Adam überall nach dem Rechten gesehen hatte,ging er in seine Kammer und kleidete sich an, dann setzte er sich mit den andern zum Morgentische.leichmäßig bimmelte das Glöcklein von GemG pen her, es rief zu Adams Hhochzeit zusammen, das Kirchlein füllte sich mit Leuten, alle machten erwartungsvolle Gesichter.Als das Glöcklein seinen Schall auch nach der

31 []Schartenmatt hinüber sandte, fand es Adam an der Zeit, aufzubrechen, er ließ seine beiden Sprengwägeli anspannen, vor sedes zwei Bosse, das vordere, in dem er mit Marei saß, kutschierte er selbst,er schwang die Peitsche, und in einem muntern Trab gingen die beiden Freiberger Stuten voran. Das andere Gefährt mit Christian, Grüner und dem Schibach Fritz, von Pauli gefahren, folgte dicht hinter ihm.

Vor dem Dorfe hatten die ledigen Burschen aus Gempen die Kette gespannt, ein buntes Seidenbandgeflecht, quer über die Straße, links und rechts hielt es einer, in der Mitte des Weges aber stand der Sprachgewandteste von ihnen, ein baumlanger Kerl. So stellten sie das Brautpaar.

„Wirst wohl noch ein wenig Zeit haben, dich loszukaufen,“ meinte der Sprecher der Burschen, jener,der mitten auf dem Wege stand.

„Aber nicht zu lange, Julius,“ antwortete Adam vom Wagen herunter.

„Dann kauf dich los, Adam.“Munter stimmten mit diesem Rat die andern Burschen ein.

„Wie teuer bin ich euch denn?“

Der Julius lachte hell auf.„Das wirst du wohl selber wissen, Schartenmättler.“„Wie soll ich das wissen, sagt euren Preis, oder ich überfahr' euch das Band,“ antwortete Adam scherzend.

Der lange Julius war nicht auf den Kopf gefallen.„Gib so viel, daß es für uns reicht,“ sagte er.

32 []„Das wäre ein weitläufiger Begriff,“ antwortete Adam, und, zu den Trauzeugen gewandt, fuhr er fort: „Gebt ihm einen halben Batzen, ich gebe ihm einen ganzen.“

Einige der Bauernburschen murrten.

Aber Julius kannte Adam besser.

„Gib deinen Batzen her,“ sagte er, „die andern mögen den ihrigen nur ruhig behalten.“

Da brummte einer:

„Das bezahlt uns ja nicht einmal unser Seidenband.“

„Ist auch nicht nötig,“ meinte Julius und hielt den Hut hin, Adam warf ihm einige Napoleons drein.

„Laßt mich jetzt aber durch,“ sagte er dann, „sonst hört der Meßner leicht zu läuten auf.“

Die Kette wurde gesprengt, und die beiden Wagen fuhren rasch weiter.

Vor der Kirche hob Adam die Marei aus dem Wagen, verschämt schaute sie ihn an, er aber lächelte nur und trat mit ihr und den Zeugen in die Sakristei ein, wo sie der Pfarrer empfing.

Pauli versorgte dieweil in der Krone die Fuhrwerke, dann schritt er eilig der Kirche zu; am Portale warf er zum Freudentage seines Herrn ein blankes Silberstück in die Sammelbüchse. Er hatte den Adam mehr lieb als ein eigenes Rind. Er setzte sich zu hinterst in der Kirche hin und sprach noch ein andächtiges Vaterunser für das junge Paar.In der Sakristei unterzeichneten die Brautleute die Trauungsurkunde. Die Marei schrieb zum ersten

33 []mal in ihrem Leben Marei Berger und wurde darum vor Stolz und Scham über und über rot.Der Herr Pfarrer gratulierte der neuen Bäuerin,und dem jungen Ehemann schüttelte er die Hand,Adam lud ihn deswegen zum Hochzeitsschmause ein, schmunzelnd versprach der geistliche Herr, der Einladung Folge zu leisten.

Auch der Rüster gratulierte, zuerst der Marei natürlich, und dann dem Adam, als er aber die Hand aus der Adams nahm, machte er sie rasch zu und fuhr damit hastig in die Hosentasche, er hatte etwas Großes, Hartes, Kaltes, Rundes darin gespürt.Nun sollte aber auch die Gemeinde auf ihre Kosten kommen, die schon lange in der Kirche auf die Hochzeitsleute wartete. Man war gespannt, was wohl die Marei für ein Gewand anhabe, und wie sich der junge Schartenmättler als Hochzeiter mache.Als das Warten kein Ende nehmen wollte und die Neugierigen schon unruhig auf den Bänken herumrutschten, öffnete der Küster die Türe der Sakristei.Sofort wurde alles ruhig und stille, selbst das Emilie, dem sonst der Schnabel nie still stand,konnte jetzt schweigen.

Die Brautleute kamen in die Kirche, voran der herr Pfarrer und die Chorbuben mit den Weihwasser und Weihrauchgefäßen, hintendrein die beiden Zeugen und der alte Schartenmättler.

Da gab es ein Verwundern in der Kirche. Vielen sah die Marei zu einfach gekleidet aus, und vielen gefiel wieder der Bräutigam nicht, hauptsächlich den Altersgenossen der beiden war alles nicht recht.

8p []Die Schulkameradinnen des Christian aber, die alle selbst schon ehrwürdige Mütterchen waren und schlichtes weißes Haar im Scheitel trugen, fanden den alten Schartenmättler so alt, und sie wunderten sich, wie ein Mensch auch so altern könne. Sie vergaßen, daß sie ihr Gesicht alleweil Tag für Tag im Spiegel sahen und so gar nicht gewahr wurden,daß sie selbst gealtert hatten.

Mit kräftiger Stimme gab jetzt der Pfarrer vor der ganzen Gemeinde das Paar zusammen. Er dachte an den Hochzeitsschmaus und hoffte, daß sich der Schartenmättler dabei wohl nicht habe iumpen lassen, darum wollte er sich selbst auch nichts vergeben, damit er dem andern nicht nachstand.Der Rüster sekundierte seinem Pfarrherrn, so gut er konnte, dabei spielte er mit seiner Rechten in der Hosentasche mit einem großen Geldstücke, das ihm der Hochzeiter vorhin in die Hand gedrückt hatte.Als die Sache bald zu Ende war, ging der Pauli leise hinaus, er mußte die Fuhrwerke in der Krone holen, er freute sich innerlich fͤr den Adam, denn er hatte von der Marei, da sie tüchtig war, die beste Meinung.

Als Pauli vor die Kirche trat, stieß er einen grimmigen Fluch aus. Der ganze Kirchenplatz und die Dorfstraße waren mit Spreuer dicht besät. Tränen der Wut traten dem Meisterknechte des Adam in die Augen, und er hätte ein langes Stück seines Lebens darum gegeben, wenn er damit diese Schmach von seinem Herrn hätte fernhalten können.

Mit einem Gesicht, das vor Wut entstellt war,55 []holte er die beiden Fuhrwerke, stellte sie vor das Kirchenportal, nahm auf seinem Rutscherbock Platz und sah unentwegt geradeaus.

Da taten sich die Kirchentüren auf, alles strömte heraus. Als die ersten paar sungen Mädchen die Spreuer sahen, stießen sie sich an und kicherten,und je mehr herauskamen, desto mehr lachten und machten ihre Witze über die Spreuersaat. Gar zu beliebt war der Schartenmättler nicht, darum gönnten ihm die meisten die Schmach, trotzdem die wenigsten glaubten, daß sie der Marei wegen eine verdiente war. Sie bildeten eine Gasse.

Nun kam auch Adam. Er führte seine junge Frau am Arme, mit einem einzigen Blick wußte er, was geschehen war, es flimmerte ihm eine kleine Zeit vor den Augen; das war geschehen, vor dem er sich am meisten gefürchtet hatte, darum hatte er keine aus der Gegend genommen, und nun war es doch geschehen.

Eine Weile blieb er wie vom Schlage gerührt stehen,dann riß er die Marei hastig mit sich, er hob sie auf den Wagen und sprang dann selbst auf, er schrie noch zu Pauli zurück:

„Den Pfarrherrn nimm du auf deinen Wagen.“Dann hieb er einigemal scharf auf die Pferde ein,in gestrecktem Galopp jagten sie davon, die Menge stob erschrocken auseinander, viele schimpften ihm nach, und viele lachten laut auf.

Als Adam beim Kreuz vorbeisprengen wollte, stand Ehrsam unter der Wirtstür, er hatte eine Schar Freunde bei sich, als er den Adam sah, hob er ein

7 0 10 []Schoppenglas in die Höhe, das mit Spreuer ge füllt war, er schrie dem Schartenmättler zu:„Prosit, Adam, komm stoß an auf deine Hochzeit.“Adam schaute auf Ehrsam herab; mit einem gewaltigen Ruck hielt er die Pferde an, dann sprang er vom Wagen und schlug, eh sich des semand versehen konnte, mit einem Hiebe den Ehrsam zu Boden,dieser stürzte hin wie ein Baum, keiner seiner Freunde kam ihm zu Hilfe.

Adam stieg wieder auf und fuhr weiter, er redete kein Wort und die Marei neben ihm weinte.„Adam,“ sagte sie, als sie bald auf der Schartenmatt angelangt waren, „ich habe die Spreuer nicht verdient, glaub mir das, Adam.“

Adam entgegnete ihr heiser:

„Ich glaub es dir, Marei.“

Da lehnte sie ihr Haupt an Adams Schulter und schluchzte laut auf.

„Adam, ich hab' dich ja so lieb, sei mir nicht böse.“Als Adam sein junges Weib so neben sich sah, strich er ihr über die Haare, er hatte ein großes Bedauern mit ihr, es tat ihm um sie weh, daß ihr erstes, ihr schönstes, aber auch ihr kürzestes Glück wegen folch einer Buberei in Scherben ging.

„Sei nur ruhig, Marei, ich werde es mit dem Ehrsam schon noch abrechnen, ich schenke ihm nichts,“tröstete er sie.

Marei schien sich zu beruhigen, nach einer Weile bat sie:

„Adam, behalt mich lieb.“

Er aber schaute wieder finster aus.

5*[]„So lieb ich ein Weib haben kann, werde ich dich haben, jetzt und immer,“ antwortete er.

Sie fuhren in den Schartenmätthof ein.

Links und rechts von den beiden Tannen hatte sich das Gesinde aufgestellt, auf der einen Seite die Mägde, auf der andern die Rnechte, auf den Weg hatten sie Blumen gestreut. Als die Hochzeitsleute einfuhren, schrien sie ein Hoch auf das Paar; da freute sich Adam.

„Siehst du, Marei,“ sagte er, „hier auf meinem Boden bekommst du Blumen, was fragst du nach den andern.“

Sie schaute ihn an.

„Um mich ist es nicht, Adam,“ antwortete sie, „um dich ist es; was ich bin, weiß ich; du aber mußt es mir glauben.“

Scharf sagte Adam:

„Ich werde es auch wissen, Marei; sollten die Spreuer recht gehabt haben, dann “ seine Sprache war drohend.

Marei antwortete einfach:

„Dann jage mich vom Hofe weg, Adam.“

Des Schärtenmättlers Miene heiterte sich auf:„Ich glaube dir, Marei, es soll gut sein.“

Dem Gesinde gab Adam dann einen Freitag, sie sollten seine Hochzeit feiern.

Langsam kam der zweite Wagen angefahren, schon von weitem hörte man den alten Grüner schimpfen,er war furchtbar aufgebracht.

Der geistliche Herr suchte ihn zu beruhigen, aber es half alles nichts, Grüner schimpfte wie ein Rohr

38 []spatz weiter und schwieg erst stille, als ihn der Adam auslachte.

Als die andern den Adam lachen sahen, atmeten sie auf, besonders der Herr Pfarrer war froh darüber, da ihm ein Hochzeitsessen in mürrischer Ge sellschaft sicher nur den Magen verdorben hätte.Überhaupt fand er es so viel fideler, darum schlug er dem Schartenmättler auf die Schulter und sagte:„Ihr habt recht, Adam, werft das Unleidige über Bord, es nützt doch nichts. Vergessen ist das beste.“Es zeigten sich aber wieder Falten auf Adams Stirn, als er dem Pfarrer antwortete:

„Nichts vergessen, nur aufschieben bis zum richtigen Augenblicke, so halte ich es, Pfarrer.“

Dann lachte er wieder und das Hochzeitsessen verlief in ungestörter Fröhlichkeit. Nur der Pauli war schweigsam und sah den Adam des öftern forschend an; er wußte, daß all die Lustigkeit an ihm nicht die rechte, echte war, die aus dem Herzen kam; er wußte vielmehr, daß sich in Adams Herze die Rachsucht gierig einfraß und ihm keine Ruhe ließ, als bis er den Schandflecken getilgt hatte.

Und Pauli freute das, er nahm sich vor, seinem Herrn behilflich zu sein.

Mit der späten Nacht erst begab sich die Hochzeitsgesellschaft zur Ruhe.

Damit das junge Paar endlich alleine sei,“ meinte der Pfarrer.

„Ei wei, die Plagerei käme zu spät immer noch früh genug,“ antwortete der dicke Grüner.

Aber der Wein und die vorgeschrittene Zeit taten 39 []ihr mögliches, darum wurde es allmählich stiller,selbst der Herr Pfarrer, der sonst ein wackerer Zecher war, verkroch sich unter die Bettdecke.

Im Schlafzimmer der sungen Eheleute aber ging Adam noch lange auf und ab, Marei schaute verschämt unter der Decke hervor und zitterte vor Aufregung am ganzen Körper.

Adam aber legte sich still in sein Bett, sann noch lange und ließ die Marei unberührt.8 rüh des andern Morgens ging Adam seiner

Arbeit nach, wie er es seit langem gewohnt war. Kein Zug in seinem Gesicht verriet, was er in dieser Nacht durchgekämpft hatte. Auch die Marei ging wie immer an die Arbeit; sie bemühte sich, dabei lustig auszusehen, als ob sie glücklich wäre; wenn sie aber alleine war, zog sie das Taschentuůchlein hervor und wischte sich damit eine vorwitzige Träne vom Auge.Allgemach kam auch einer nach dem andern der Gäste zum Vorschein, es sahen alle mehr oder weniger verkatert aus, der geistliche Herr fand schon am frühen Morgen die Sonne sehr, sehr heiß, zu heiß und schwor Stein und Bein zusammen, daß sie ihm ein ganz verbotenes Kopfweh beschert habe.Der Schibach Fritz war der Schlauere, er sagte 60 []kein Wort, er drückte sich nur stille auf die Seite,ging zu dem DreiOuellenWeiher, dort badete er sich und schnaubte mächtig im kühlen Wasser herum,so wurde ihm vesser, und als er wieder zu den andern zurückkam, lachte er sie aus.

Einzig der dicke Grüner sagte laut, was schuld an seinem Kopfweh sei, er behauptete, es käme vom Wein her, Christian nickte ihm mit dem Bopfe Beifall zu.

Aber damit der Vormittag nicht unbenutzt vorbeiginge, rief der Grüner Frau Marei zu:Nunge Frau, bring uns rasch etwas zum Trinken.“„Seh nur in die Stube, Onkel, drin ist der Tisch schon gerichtet.“

Marei ging den Gästen voran und machte geschäftig die Wirtin.Da meinte der Pfarrherr, als sie alle so gemütlich beisammen waren, aßen und tranken und der Katzenjammer heruntergespült war:„Schaut, Adam, steht der Marei die junge Frau nicht gut zu Gesichte?“

Die Marei wurde bei diesen Worten über und über rot und blickte den Adam vorwurfsvoll an. Der aber sagte mehr zu ihr als zum geistlichen Herrn gewandt:

Hoffentlich, Pfarrer, bekommt das Heiraten keiner schlechter.“Marei wollte etwas sagen, sie verbiß aber die Worte im Munde und schwieg.

„Was denn““ fragte sie da Adam.

Nichts,“ entgegnete sie kurz und wandte sich ab.21 24 []Wie der Tag angefangen, so verlief er. Alle waren befriedigt und satt.

Als der Pfarrherr Abschied nahm, ging seine Zunge etwas schwer. Der dicke Grüner half ihm auf das Sprengwägeli hinauf, dann drückten sie sich die Hände, und hurtig ging es weg, Gempen zu.Auch der Schibach Fritz brach auf, er wünschte dem jungen Paare nochmals Glück und stellte seine Person sederzeit, für Patenschaften und so weiter,zur Verfügung, dann ging er.

Adam gab ihm ein kleines Stück weit das Geleite,er fragte ihn, wie es um seine Landwirtschaft stünde,denn er hatte einmal munkeln hören, es ginge berg ab mit dem Schibach.

Schibach blickte eine Weile vor sich hin, sein Ge sicht, das vorher noch lustig ausgesehen hatte, nahm einen bekümmerten Ausdruck an.

„Ich habe viel Pech gehabt, Adam, in letzter Zeit,“sagte er dann, das Jungvieh ist mir draufgegangen,es hat gelbes Wasser bekommen, was habe ich setzt dieses Jahr für Einnahmen, keine, Adam.“„Das ist allerdings schlimm,“ antwortete Adam,er sann nach, ob er helfen könne.

„Bis zum nächsten Jahr kann ich es schon aushalten, Adam, wenn mir aber nur dann nichts mehr passiert.“

„Wir wollen das Beste hoffen, Schibach, komm aber dann auf seden Fall zu mir, wenn es nicht reichen sollte, mein' ich.“

Schibach schlug freudig ein und ging mit mehr Hoffnung, als er gekommen war, nach Hause zurück.62 []Adam schaute dem ehemaligen Schulkameraden nach, es war eigentlich komisch, diesen da konnte er ganz gut leiden, und warum, er besann sich, was hatte es eigentlich für eine Bewandtnis mit dem,gar keine. Es war ganz einfach so, der Schibach hatte ihn trotz seines schroffen Wesens immer gut leiden können, und darum hatte er auch den Schibach als einzigen in sein Herz eingeschlossen. Adam nahm sich vor, den Schürlipächter nicht fallen zu lassen, möge da auch kommen, was wolle.Vergrößern wollte er sich ja so wie so. Er rechnete nach. Mehr als zehntausend Franken konnte der Schürlihof nicht kosten, einige tausend hatte er noch liegen, wenn er einmal mit dem Gemeindeammann und mit einigen Gemeinderäten darüber reden würde,er glaubte, es ließe sich schon etwas machen. Wenn sich das Kapital im Anfang auch nicht gut verzinse, würde es schon kommen, später einmal; vielleicht konnte er auch den Wetzstapfel, ein großes Stück Land, das an den Schürlihof stieß, und das ebenfalls der Gemeinde gehörte, billig dazubekommen, je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, er wollte es schon durchdrücken,die Gemeinde hatte sja nichts zu sagen, nur der Gemeinderat, und wenn es nötig wurde, konnte er sa auch da im schlimmsten Fall einige Hunderter springen lassen, die in den Taschen maßgebender Personen dann schon verschwinden würden, des war er sicher.

Es mußte sich machen lassen, er schlug dann zwei Fliegen mit einem Streich. Den Schibach Fritz 63 []konnte er sicherstellen und sich um ein gehöriges vergrößern.

Er nahm sich vor, sobald als möglich zum Ammann zu gehen, nur wollte er seine Sache mit dem Ehrsam eher noch in Richtigkeit bringen.

Als Adam nach Hause kam, nahm ihn der alte, dicke Grüner in Beschlag. Er mußte etwas ganzWichtiges auf dem Herzen haben, denn er machte ein tiefernstes Gesicht.

UÜberrascht schaute ihn Adam an.

„Was ist denn los, Onkel“

Grüner nahm einen Anlauf.

„Höre einmal, Adam, ich habe früher in Basel beim Comestibles Händler Jäcker gedient. Und als ich ein paar Batzen erspart hatte, lief mir dann meine,Gott sei Dank verstorbene, Kathrine über den Weg Sie hatte auch einige Tausende von ihrem Vater her ererbt, kurz und gut, ich habe sie geheiratet und dann dem Jäcker Konkurrenz gemacht.“

Da unterbrach Adam den Grüner:

„Du holst ein wenig weit aus, Onkel.“

Aber der andere winkte dem Schartenmättler, zu schweigen, und fuhr fort:

„Hör nur, Adam, hör nur, du mußt alles wissen von mir, du sollst mich kennen, denn das ist wichtig für dich und für mich.“ Er besann sich eine Weile,dann erzählte er weiter, „wir haben uns tüchtig Konkurrenz gemacht, der Jäcker und ich, und mit meiner Kathrine habe ich mich so ziemlich mein Leben hindurch herumgestritten, es war aber auch ein Weibsbild danach, glaub mir, so eine gibt es nicht so rasch 64 []wieder. Jeder Mensch hat seine Fehler, dann hat er auch wieder seine guten Seiten, aber dieses Weibsbild hat auch gar nichts Gutes an sich gehabt, rein gar nichts, ich habe mich vorwärts gebracht, trotz dem ÄArger, habe vielleicht meine Schrullen bekommen, aber das schadet nichts

Er hätte noch lange erzählt, da unterbrach ihn Adam wieder:

„Ja, wo soll aber die ganze Geschichte hinaus Zöre nur zu, ich will es dir dann am Schlusse schon sagen.“

Aber erzähle mir nur um des Himmels willen nicht deine ganze Lebensgeschichte, die hat mir die Marei schon berichtet.“

Grüner ließ sich nicht verstimmen.

„Hat sie das wirklich, Adam, es ist doch ein gutes Mädei, die Marei, hat sie mir diese Mühe also erspart.“

Er wischte sich den Schweiß von der Stirne, der in großen Tropfen hervorquoll.

„Was willst du also, Onkel “

Bei dir da draußen auf der Schartenmatt bleiben,so, jetzt weißt du's!“

Verdutzt schaute ihn Adam an, indes er schnell überlegte.

„Schlage nur nicht ein aus Rücksicht oder aus Angst von wegen dem Erbe. Du und die Marei beerben mich doch einmal. Entschließe dich nur, wie es dir paßt, und sa nicht um ein Haar anders.“

Da verzog der Adam sein Gesicht zum Lachen.„Wenn es dir Spaß macht,“ meinte er, „dann bleibe

RKRurz, Die Schartenmättler.

65 []so lange hier draußen bei mir, wie du willst.“Grüner strahlte vor Vergnügen.

„Gott sei Dank,“ sagte er.

Langsam, es war ein heller Tag, kam die Dämmerung. Das Gesinde machte Feierabend. Adam ging in die Stube und nahm seinen Stutzen von der Wand, vorsichtig lud er das Gewehr, dann ging er hinaus.

Im Hausgange traf er mit Marei zusammen, die aus der Küche kam. Sie wollte an ihm vorbei, er hielt sie aber fest.

„Komm Warei,“ sagte er, „sei nicht böse.“

Sie wollte sich frei machen.

„Laß mich, Adam.“

„Gib mir einen Kuß, Marei, dann gehe ich.“

Sie blieb zögernd stehen, sie wurde nicht klug aus Adam.

„Komm, Warei,“ bat er.

Da gab sie ihm einen Ruß, und Adam ging hinaus in den Wald.

Lange streifte er umher, er suchte die Plätze ab, auf denen Ehrsam gerne stand, wenn er wilderte, aber er schien vergebens hinausgegangen zu sein. Er wollte schon nach Hause gehen, als er in der Richtung der Fluhfelsen einen Schuß rollen hörte, rasch eilte er dorthin.

Es war ein dunkles Licht, nur die Sterne glänzten hernieder, der Mond war noch nicht aufgegangen,der Wald sah gespenstig aus, überall vermeinte Adam Gestalten zu sehen, und mehr als einmal fuhr er mit der Büchse an die Wange, aber er mußte sie immer

56 []wieder gehen lassen, wie er einsah, daß er sich geirrt hatte.

Er kam an den Fluhfelsen.

Da, wo der Fußweg schmal über den Abgrund führte,kam ihm eine Gestalt entgegen, die etwas Schweres über den Schultern trug.

Adam rief den Kommenden an.

„Bist du es, Ehrsam“

Trotzig gab dieser Antwort:

„Und wenn ich es bin.“

Da verzerrte sich Adams Gesicht hartherzig; Entschlossenheit und Rachsucht machten sich darüber breit, er schrie zurück:

„Dann kommst du mir gerade recht.“

Ohne sich lange zu besinnen, riß er seinen Stutzen hoch und zog, ohne zu zielen, den Hahn ab, wie ein Blitz flammte der Schuß aus dem Gewehre und rollte dumpf an den Wänden weiter.

Ehrsam ließ mit einem Fluche seine Beute fallen und rannte davon, entsetzt achtete er nicht mehr auf den Weg, er hatte nur den Trieb, rasch weg zu kommen,er fürchtete sich.

Adam blieb wie versteinert stehen, er konnte nicht begreifen, daß er gefehlt hatte, und verwünschte seine Erregung, er nahm den Stutzen und lud ihn im Dunkeln, so gut es ging. Er wollte dem Ehrsam den Weg abschneiden, um nochmals zu Schusse zu gelangen.

Ein gräßlicher Schrei unterbrach ihn, er hörte noch ein dümpfes Kollern wie niederfallendes zerklüftetes Gestein, ein dumpfer Aufschlag, das erschreckte Auf87 []flattern eines Vogels, dann war alles still.

Adam horchte hin, er vernahm nichts mehr, da ließ er die Kugel wieder in die Tasche zurückgleiten und kletterte die Fluhfelsen herunter, er lief auf dem Rasen den Felsen entlang, vorsichtig tastete er mit dem Fuße vorwärts, bis er auf etwas Weiches aufstieß, dort machte er Licht.

Als die Flamme auf einen Augenblick aufzuckte,sah er den Ehrsam auf dem Rücken liegen, das Gesicht war angstverzerrt, die entsetzten Augen schauten gläsern in die Höhe zum nächtlichen Himmel, die Hände waren krampf haft gebogen, die zerschlagene Flinte lag neben ihm.

Noch einmal machte Adam Licht, nirgends sah er eine Schußwunde, Ehrsam mußte abgestürzt sein und das Genick gebrochen haben.Adam ging nach Hause.

Als morgens die Marei ihrer Arbeit nachging,war sie eine glückliche Frau, nicht gezwungen, wie gestern.

Sie fragte Adam nach dem Grunde seines gestrigen eignen Wesens, da erzählte er ihr, was sich in der Nacht ereignet hatte; sie schrak zusammen, dann fragte sie:

„Was hat das aber mit dem von gestern zu tun v Adam antwortete ihr schroff:

„Wenn ich dir auch hundertmal glaubte, wer konnte wissen, ob der Ehrsam nicht trotzdem recht gehabt hat Was wäre dann aus meiner Rache geworden;So konnte ich es ruhig tun. Er hat nicht recht gehabt. Wer konnte aber dies wissen.“

68 []Einen Augenblick war die Marei traurig, dann aber erwachte in ihr wieder das Glück und sang ein jubelndes Lied.egen Mittag machte sich Adam auf. Er G schritt auf Gempen zu, er wollte mit dem Ammann wegen des Schürlihofes reden, vorher hatte er nochmals genau sein Geld gezählt und gerechnet. Er konnte siebentausend Franken an den Kauf bezahlen, dann hatte er immer noch einige hundert Franken, um in der Stille bei den Gemeinderäten wirken zu können.Frohgemut schritt er durch den Wald. Als er nahe bei dem Dorfe war, sah er den Gempenhanesle am Straßenborde sitzen, er wollte vorbeigehen, doch der chanesle rief ihn an.„Schartenmättler,“ sagte er zu Adam, „morgen komme ich zu Euch zum Umessen.“Adam hatte den Hanesle nicht am liebsten.„Willst du nicht lieber in der Krone essen, Hanesle,ich bezahle für dich v Der Hanesle machte ein listiges Gesicht, er wußte wohl, daß ihn Adam gerne los war, aber dann sollte es ihm auf das wenigste noch etwas eintragen und den Schartenmättler etwas kosten.„Warum nicht,“ antwortete er darum, „nur ist es

49 []mir weniger wegen dem Essen; einem alten Manne wie ich einer bin, bekommt der Wein besser als das Essen, und der Kronenwirt geht damit gegen mich sparsam um, darum esse ich doch lieber bei Euch.“Adam merkte wohl, wo der Hanesle hinaus wollte.„Da, Hanesle, hast du noch einen Franken zum Essen,vielleicht geht es jetzt besser.“

Rasch nahm der Hanesle das Geldstück an sich und grinste. Das hatte er gewollt, damit konnte er zehn Schnäpse im Kreuz bekommen.

„Gott vergelt' es Euch,“ brummte er dann und schnalzte im Vorgenusse der Schnäpse mit der zunge.Als Adam weiter gehen wollte, wurde er die zerlumpte Kleidung des Hanesle gewahr.

„Aber, Hanesle, wie siehst du eigentlich aus v

Da grinste der Hanesle wieder, er hoffte nochmals etwas aus dem andern herauszuholen, vielleicht ein Paar abgelegte Hosen oder so etwas.

„Ja, wißt, Schartenmättler, diese Hose und den Kittel habe ich schon lange, die habe ich bekommen,wie der Burckhardt ab dem Baumgarten starb, und das ist jetzt schon Jahre her, der Burckhardt hat sie selber getragen, und keiner der Söhne wollte sie,darum bekam ich sie, wie ich den Toten besucht habe,wenn Ihr aber vielleicht etwas habt, das Ihr nicht mehr braucht, es ginge schon.“

Adam schämte sich, daß seine Gemeinde solch einen verwahrlosten Menschen herumlaufen hatte.

„Ich will einmal zu Hause schauen, ob ich etwas habe, und es dir dann in das Dorf schicken.“„Ja, macht es so, Schartenmättler, wenn die Hosen 70 []auch zu lang sind, geh' ich zum Vögtli Emilie, die ist Schneiderin, wißt, die schneidet mir dann die Hosenbeine schon ab und näht es mir recht, auch den KRittel macht mir das Emilie zurecht.“

Adam mußte lachen, als er die geistige Begsamkeit des Hanesle bemerkte. Und er stellte sich das kleine,krumme Männlein in seinen Kleidern vor, das mußte ein Bild zum Schreien abgeben.

„Nein, Hanesle, das ist nichts, so geht es nicht,denn so hast du wieder nichts Rechtes, ich will zum Schneider gehen, der soll dir ein derbes, einfaches RKleid anmessen, dann siehst du doch wieder aus wie ein Mensch.“

Als der Hanesle das hörte, war er aufgesprungen,vor Überraschung.

„Ist es auch wahr⁊ fragte er ungläubig.

Nun ja, es wird wohl so sein, wenn ich es sage,Hanesle.“

Dem armen Teufel kamen die Tränen, ein neues Rleid sollte er bekommen, ein Kleid extra für ihn gemacht, kein altes abgelegtes, ein wirklich neues,und es wurde ihm noch dazu angemessen, das war ihm seit vierzig Jahren nicht mehr vorgekommen,er freute sich, und als Adam von ihm weg war, ging er in das Kreuz, dort trank er einen Schnaps, rühmte den Schartenmättler, machte geheimnisvolle Andeutungen, und als sein Kleid dann eines Tages fertig war, stolzierte er im ganzen Dorfe herum, auf und ab ging er, damit ihn ja auch alles sah, er machte sich breit, wie ein Pfau.

Adam ging durch den Wald, um abzukürzen, als er 23 []wieder auf den Waldweg kam, in dem die Wagenräder mächtige Geleise und Löcher gegraben hatten,kam ihm eine Gruppe Männer entgegen, die auf einer Bahre etwas trugen; der Förster war dabei und lief den andern ein wenig vor.

Adam fragte ihn:

„Was habt Ihr da, Förster v

Grimmig blickte der alte Förster zurück, dann antwortete er:

„Uber Tote soll man nichts sagen, aber der war doch ein Lump, schaut ihn Euch nur an, Adam.“Die Männer waren mit der Bahre näher gekommen,Ehrsam lag darauf, beim weichen Tageslicht sah das Gesicht des Toten nicht so groß aus wie gestern in der Nacht. Ralt und gleichgültig blickte Adam auf die Leiche, dann sagte er hartherzig zum Förster:„Er hat seinen Lohn.“

„Amen,“ beschloß der Förster.

Langsam setzten sich die Leute in Bewegung, Adam blieb stehen und schaute ihnen nach, dabei machte er sich allerlei Gedanken.

Daß er schuld an dem Tode des Ehrsam sei, ver hehlte er sich nicht eine Sekunde, ob ihn die Kugel getroffen habe oder nicht, was spielte das für eine Kolle, er war vor der Kugel geflohen und hatte so seinen Tod gefunden, eine Stimme in Adam sagte zu ihm, er sei ein Mörder, aber unwillig schütteite er diese Anklage ab, sein gutes Recht sei es gewesen,sich selbst zu schützen.

Was hatte er se dem Ehrsam zuleide getanvNichts!Warum haßte ihn dieser, war er schuld daran?7 []Grundlos war der Haß. Wie sollte er da anders abhelfen. Er mußte so handeln, keiner von allen in den Bergen hätte anders gehandelt, wenn es galt, sich zu schützen.

Adam ließ in sich keine Gedanken mehr an Ehrsam auf kommen, der war für ihn abgetan. Er hatte Wichtigeres zu tun, er wollte sich selbst eine Zukunft machen, darum konnte er kein Hindernis brauchen.Er hatte auch gar keine Zeit daran zu denken, wollte er das Heft in der Hand behalten, in der Sache, die er jetzt mit dem Ammann vorhätte.

Als er in Gempen durch die Dorfstraße ging, schauten die Bauern und Bäuerinnen nach ihm aus und machten schadenfrohe Gesichter; Adam kümmerte sich nicht darum, was fragte er nach all den Menschen.Den GemeindeAmmann traf er vor dem Hause. Er lud mit einem Knechte einen Wagen voll Mist, Adam trat zu ihm heran.

„Grüß Gott, Ammann,“ sagte er.

Mürrisch erwiderte der den Gruß und arbeitete weiter, er beachtete Adam kaum.

Adam nahm sich vor, den Ammann da zu packen,wo er verwundbar war.

„Habt Ihr einen Augenblick Zeit

Wenn Ihr warten könnt, bis der Mist geladen ist,dann.“

Adam wartete ruhig.

Der Ammann ließ, als er fertig war, einspannen und übergab dem Knecht das Gespann.

„Was wollt Ihr fragte der Ammann unfreundlich den Schartenmättler.

73 []„Wir wollen in die Stube gehen,“ sagte Adam.Da fragte der Ammann wieder: „Was wollt Ihr vu

Sört, Ammann, der Schürlihof und der Wetzstapfel gehört der Gemeinde, Ihr könnt sie, wenn Ihr wollt, verkaufen, bar Geld ist mehr wert, als das Land und der iausige Pachtzins dafür, ich will es kaufen.“

Der Ammann antwortete grob:

„Ist nicht zu machen, schlagt Euch solche Gedanken nur ruhig aus dem Kopf.“

Vvielleicht könnt Ihr es aber doch machen, Ammann v

„Wie“!“

„Gut, Ammann, sagte er dann entschieden, „Ihr wollt nicht, so kündige ich Euch die Milchlieferung meines Hofes. Ihr habt die Käserei, und die Milch von fünfzig Kühen weniger werdet Ihr spüren.“Das war dem Ammann nicht recht, aber er wollte nicht nachgeben, darum antwortete er:

„Dann laßt Euch Eure Milch sauer werden, mir kann es auch so recht sein, wenn Ihr genug gekoltert habt, kommt Ihr von selbst wieder.“

„Das werde ich nicht, Ammann, glaubt Ihr vielieicht, Ihr seid der einzige Käser auf der Welt, es gibt noch mehr. Und es könnte mir dann leicht an einem schönen Tage einfallen, auf der Schartenmatt einen Käser einzustellen.“

Da wurde der andere doch ein wenig verblüfft.„Oho, oho, Adam, so grob braucht Ihr mir doch nicht gleich zu kommen.“

74 []Adam machte seine Vorschläge weiter:„Entweder Ihr verkauft mir den Schürlihof und den Wetzstapfel, oder ich errichte auf der Schartenmatt eine Käserei.“

Der Ammann wurde nachdenklich.

„Es liegt aber nicht an mir allein, Adam.“„Wenn Ihr ja sagt, sagen die andern nicht nein.“Verrechnet Euch nicht, Adam, so groß ist mein Einfluß nicht, wie Ihr glaubt.“

„Ammann, ich bezahle für die beiden Sachen vierzehntausend Franken, die Hälfte davon zahl' ich bar aus, die andere Hälfte verzins ich Euch, dann gebe ich Euch noch ein paar hundert Franken, damit könnt Ihr die bösen Mäuler stopfen, wollt Ihr oder wollt Ihr nicht

„An mir soll es nicht liegen, Adam,“ lenkte da der Ammann zum Guten ab, er nahm sich vor, die paar hundert Franken für sich zu behalten. Adam sollte das Land bekommen, er wollte seinen Einfluß geltend machen.

„Dann ist es schon recht, Ammann,“ gab der Schartenmättler zurück und verabschiedete sich.Leichten Schrittes ging er seinem Hofe zu, er wußte,daß er bekam, was er wollte.

*6

75 []angsam und belanglos zerfloß ein Tag nach dem 9 andern, die Tage häuften sich und wurden zu RXA Wochen, und die Wochen wurden Monate.Der Herbst war in das Land gekommen, kalter Wind rüttelte an den Bäumen und bog das KRleinholz nieder. Die Blätter färbten sich bunt und fielen zu Boden, auch riß sie hie und da der Sturm, der große, schwere Wolken einhertrug mit fort, irgendwohin. Es zerstob manches allgemach, was der Frühling voller jugendlicher Kraft und Schönheit begonnen hatte. Wie ein schöner Traum verlor sich manches, vom Winde fortgetragen in die Ferne.Frau Marei ging schwanger und wurde unbeholfen,doch konnte sie ihren Geschäften noch nachgehen.Adam war sich der gleiche geblieben, verschlossen und still wie immer, gegen seine Frau war er liebevoll und schonte sie, wo er konnte, Marei war glück lich. Das stete Benehmen ihres Gatten entschädigte sie für ihre beinahe gleichgültigen Flitterwochen.Grüner war auf den Schartenmatthof gezogen, er bewohnte in dem weitläufigen Hause ein mächtig großes zZimmer. Das erste, was er tat, war, sich nach seiner Fasson einzurichten. Er teilte das Gemach in drei Abteilungen und stellte darin ein wahres Museum von Raritäten, die er sich sein Lebtag zusammengebracht hatte, zur Schau.Im ersten Raum brachte er neben Kacheln, seltenen Steinen, Münzen und andern Kleinigkeiten einen Kasten voll Bücher unter, die alle aus längst vergangener Zeit stammten; ein großer Tisch mit massiwen Stühlen machte ihm den Raum wohnlich.

74 []Tabak stand in kleinen Fäßchen massig herum, das war so eine Ruriosität des Alten. Im zweiten Raume hängte er an die Decke allerhand Schiffsmodelle.Felle von fremden Tieren hingen an den Wänden,Släser mit Schlangen und Reptilien standen auf Regalen, auch viele fremdländische Waffen hatte er aufgepflanzt. Aber auf einem Schäftchen in der Ecke hatte er viele Flaschen stehen, darin waren gute Schnäpse. Das letzte Abteil war das Schlafgemach.

Srüner ging gerne von einem Raum zum andern,die Pfeife im Munde beguckte er sich alles wohlgefällig, dann ging er zu seinem Schnapsregal und nahm allemal einen gehörigen. Wenn er besonders gut aufgelegt war, holte er die Knechte und alles,was sich an Leuten auftreiben ließ, zu sich, erklärte ihnen verworren seine Kuriositäten, keinmal gleich wie das andere Mal, dann mußte, was rauchen konnte, rauchen, und trinken mußten alle. Und sie taten das auch gerne, selbst die Mägde tranken die süßen Schnäpse hinein, dann freute das den Grüner immer derart, daß er sich ein klein wenig beschwipste.Selbst Adam hatte eine Freude an dem Alten; das Museum gefiel ihm ganz gut, nur hatte er zu wenig Zeit, sich mit solchen Dingen abzugeben, besonders jetzt, wo es dem Herbste zuging, er hatte allerhand Gedanken und Pläne im Ropf.

Als das Laub fiel, wartete er sehnsüchtig auf den ersten Schnee.

Eines Tages kam der Ammann von Gempen zu ihm.Sie redeten lange miteinander, und auf dem Heim77 []wege ließ die Regierung von Gempen kosend in der Hosentasche Fünffrankenstücke durch die Finger gleiten. Der Schartenmättler hatte ihm das Geld gegeben.

Und nicht vergebens gab Adam Geld. Noch am gleichen Tage hielt der Gemeinderat Sitzung ab; der Ammann woußte den Gemeinderäten so viel schwerwiegende Gründe wegen dem Schürlihofverkauf aufzutischen, daß alle bis auf den alten Ehrsam, den Vater des Totgestürzten, ja und Amen sagten.

Als der Ammann sah, daß der Ehrsam so hartgesotten war, nahm er ihn mit hinaus aus dem Sitzungszimmer, mit der einen Hand spielte er an dem Gelde herum, das er bei sich trug, es gab einen guten Rlang, und der alte Ehrsam horchte gierig auf.Da sagte der Ammann:

„Wie wäre es denn damit dabei ließ er wieder die Fünffrankenstücke aneinander schlagen.

„Wieviel gibst du mir denn, Ammann“ fragte Ehrsam leise.

„Wieviel willst du, Ehrsam

Ehrsam überlegte: wenner dreihundert Franken hatte,konnte er eine Kuh kaufen, was fragte er schließlich viel danach, ob der Schürlihof an den Adam kam oder nicht, er hatte ja dann auch einen Profit davon.Er machte ein undurchdringliches Gesicht:

„Gib mir sechzig Fünffrankenstücke, Ammann.“Der Ammann atmete auf, er hatte mehr erwartet,aber er war schlau, er wußte, daß Ehrsam nicht einen Batzen billiger handeln ließ, doch durfte er sich nicht merken lassen, daß ihm die geforderte Summe

78 []recht war, sonst hätte der andere leicht mehr verlangt.

Er sagte deshalb zögernd:

Das ist etwas viel, Ehrsam.“

„Nicht einen Batzen billiger.“

Vann bleibt aber für mich nichts mehr übrig, Ehram.

„Nicht einen Batzen weniger.“

„So laß doch mit dir reden, Ehrsam.“

Da wollte Ehrsam in das Sitzungszimmer zurück,aber der Ammann hielt ihn.

„So bleib doch,“ sagte er.

Er zählte dem Ehrsam das Geld auf die Hand, und der Kaufvorschlag des Adam Berger wurde angenommen, einstimmig angenommen. Des andern Tages gingen die Parteien nach Dornach und schrieben dort den Rauf, Adam kam dadurch in den Besitz des Schürlihofes und des Wetzstapfels.

Als er nach Hause schritt, von Dornach, ließ er die geschäftlichen Ereignisse des Jahres an sich vorüberziehen.

Er freute sich innerlich sehr, denn alles in allem war das verflossene Jahr über seine Erwartungen gut gewesen, große, schwer beladene Heuwagen hatte er in seine Scheunen geführt, jedem hatte er mit einem Gefühl der Befriedigung nachgeschaut, wie ihn die stampfenden Bosse vom Fleck zogen, und wenn dann die Wagen langsam schwankend in der mächtigen Einfahrt seines Hofes verschwanden, wußte er, daß er Glück gehabt hatte.

Auch die Frucht und die Erdäpfel kamen gut unter

70 []Dach, die Keller waren angefüllt mit Dickrüben, es stand glänzend um den Schartenmatthof.Nicht umsonst gab er seinen Knechten und Taglöhnern nach fertiger Einfuhr ein kleines Essen, sie hatten es alle verdient, und zudem schaffte er sich so Sympathien in der Umgegend.

Er hatte seine Termine, die er wegen des Viehkaufes an Levy innezuhalten hatte, eingelöst. Er löste auch noch diejenigen für das laufende Jahr ein; da wurde der Levy wieder gar zuvorkommend, aber Adam kaufte nichts mehr von ihm.

Auch mit Marei war er zufrieden, sie war ein tüchtiges Weib, sie hatte sich brav gehalten, und wenn er sie auch nicht groß liebte, so schätzte er sie und freute sich seines guten Zusammenlebens mit ihr.Und auf die Zukunft freute er sich, er hoffte und er wünschte, daß das zu erwartende Kind ein Knabe sei, er wollte ihn dann schon erziehen, groß sollte er werden und herauf kommen, er sollte kein gewöhnlicher Bauer sein, ein Herr unter ihnen sollte er werden, aber seine Ideen, seine eigenen, sollten das Kind dazu machen, die mußte es erben und ausbauen.

Als Adam so nachgrübelte, war jeder Muskel an seinem Körper straff und gespannt und er ging weiter,Sieges sicher.

Da riß ihn der Gempenhanesle aus seinem Grübeln.„Schaut, Schartenmättler,“ sagte er, wie mir das Kleid steht, das Ihr für mich habt machen lassen.“Adam wurde wieder der kühle, überlegende Mensch,die Träume seiner Zukunft waren weggewischt und 80 []er beschaute sich die Welt trocken und nüchtern.„Was machst du hier, Hanesle v

Da grinste der alte, verkommene Mensch:„Schaut, Bauer, da gehen die Fremden durch, die bettle ich an.“

Adam runzelte die Stirne.

„Schämt es dich denn nicht an, Hanesle v

Aber der Hanesle erzählte weiter:

„Was nützt das die Fremden geben mir vielmal fünf bis sechs Franken im Tag, freilich nur an schönen Sonntagen; die Arbeiter und armen Leute geben weniger als die vornehmen, aber ich kenne sie am Singen, Schartenmättler, die Armen singen andere,gewöhnliche Lieder, die Besseren aber solche, die ich nicht kenne.“

„Willst du die verfluchte Bettelei nicht aufgeben,Hanesle v Vorsichtig schaute der Hanesle auf, er glaubte wieder zu irgendeinem Vorteil zu kommen.Weinerlich antwortete er:

„Ich würde das Betteln schon aufstecken, aber wißt,Schartenmättler, wenn einer ein armer Teufel ist,wie ich, kein Bett und nichts hat, dann ist es halt schwer zu leben.“

Mißtrauisch beobachtete Adam den Bettler.Wenn du einmal nimmer betteln willst, kommst du zu mir heraus auf den Schartenmatthof, vielleicht kann ich dann etwas für dich tun.“

Adam wandte sich ab, der Hanesle machte ein bitter enttäuschtes Gesicht hinter ihm drein, er hatte auf Geld gehofftr.

5 Rurz, Die Schartenmättler.

81 []Zu Hause machte der Adam der Marei gegenüber einige Bemerkungen über den Hanesle, da bat ihn die Frau, er solle an dem Hanesle etwas Gutes tun.Adam versprach es, er sandte nach dem alten Manne und ließ ihn auf seinen Hof holen.

Hanesle kam.

Es wurde ausgemacht, daß er ein Bett bekommen solle, mit dem Gesinde essen dürfe, arbeiten solle er,soviel er konnte, dafür bekam er ein wöchentliches Taschengeld.

Einige Tage ging es schön und gut, dann aber erwachte in dem krummen Hanesle das Heimweh nach dem Halunkenleben, und er ging eines Tages auf und davon.

Adam lächelte, und Frau Marei war enttäuscht.Der alte aber meinte:

Die Katze läßt das Mausen nicht.“8 ndlich fiel der erste Schnee.

9 Er rundete das zerklüftete Gestein ab, alles sah weich aus; selbst die Tannen, die sonst immer am trotzigsten von den Höhen hinabschauten in das Tal, waren weiß überschüttet und senkten ihre Aste unter der Schneelast schlaff zur Erde nieder.Mit einem Gefühl der Beruhigung sah Adam hinaus in das tolle Gestöber, er freute sich an dem wirren 82 []Durcheinanderjsagen der Flocken, er wußte, daß es,wenn der Wind vom Rheinlande hereinblies, nicht bei einem Tage schneien blieb, sondern längere Zeit fortmachte.

Am frühen Morgen ging er in den Wald hinaus,im Staatswald schaute er sich längere Zeit um, da wo die mächtigen LiebeHerrgottseichen alt und wurzelfest emporragten, blieb er stehen, er wählte sich drei schöne Stämme aus, in deren Rinde er mit dem Messer einen breiten Kerb einschnitt, dann ging er langsam auf dem Fahrweg nach Gempen zu.

In der Krone kehrte er ein und bestellte sich ein Glas Wein.

Dieweil kam auch der Kronenwirt. Der fand, daß man den Adam schon ein wenig zuvorkommend behandeln müsse, denn der Schartenmättler hatte die Gempener aufmerksam auf sich gemacht. Er hatte alle mehr oder weniger überrascht, denn sein Vorwärtskommen war nicht nur Glůck gewesen, es verriet auch einen gescheiten Kopf.

Der Kronenwirt sagte sich, daß der Adam noch einen weiten Weg gehen könnte, darum streckte er ihm die Hand hin und sagte:

„Grüß Gott, Adam, bist du auch wieder einmal hiesig, es ist schon lange her seit dem letzten Male,wie geht es dort bei dir auf der Schartenmatt v „Wenn es immer so geht, Kronenwirt, dann soll es mir recht sein. Wie lebt ihr denn da in Gempenv „Daß sich der alte Ehrsam erhängt hat, wirst du wohl wissen.“

Adam sah groß auf.a*

83 []„Was du nicht sagst, Kronenwirt, warum denn v Das weiß kein Mensch genauer, wegen dem Geld nicht, er ist sa immer ganz gut gestanden, weißt du,Schartenmättler, seit sie senen Sohn diesen Sommer nach Hause gebracht haben, war es nicht ganz recht bei ihm ···

„Aber sag, warum hat der Ehrsam so rasch gemacht .

Der Kronenwirt kam nahe zu Adam heran und redete leise und mit wichtigem Gesichte. F Die meisten behaupten, das Gewissen habe ihn geplagt, wegen seiner vielen Geschichten, die er angerichtet hatte, und viele glauben, es sei der Kummer um seinen Sohn gewesen; nun ja, mir trägt es nichts ab, so oder so, in die Wirtschaft kam er mir nicht zu öfters.“

Da wurde Adam nachdenklich. Als der Kronenwirt sah, daß der Schartenmättler nicht mehr reden woilte, ging er hinaus die Säue füttern. IJ Adam dachte über die beiden Ehrsam nach; wenn sich der eine von ihnen erhängt hatte, was ging es ihn an; freilich das mit dem sungen konnte er sich nicht wegwischen, da half nichts. Wenn sich der alte Ehrsfam wegen seinem Sohne erhängte, war das ja seine eigene Schuld, hätte er seinen Sohn besser erzogen, dann hätte er nicht so gehandelt.Aber alles Grübeln half Adam nichts, es kam ihn doch ein bitteres Gefühl an, er fluchte auf die beiden Ehrsam. Aber sein Gewissen setzte hinzu: Warum habe ich gerade das tun müssen ;*

Mit Gewalt schüttelte er die auf ihn eindringenden

84 []Gedanken ab, ihm konnte ja das Schicksal anderer gleich gültig sein, was hatte er auch danach zu fragen Jeder soll seinen Weg gehen. Nur für sich mag seder schauen und suchen heraufzukommen; rück sichtslos muß man schon sein, dazu ist die Welt schließlich allein da.

Der Ammann kam in die Wirtsstube herein, er setzte sich neben Adam, zuerst redeten die beiden miteinander, was gang und gäbe ist, wenn zwei Bauern zusammenkommen. Dann aber schien der Ammann noch etwas anderes zu wissen, denn er war nur in das Wirtshaus gekommen, weil er gesehen hatte,daß Adam dort einkehrte.

„Was meint Ihr, Adam, zu den Gemeindewaldungen

„Zu welchen, Ammann x

„Zu den AllmendWaldungen, Adam.“Schlagbar wären diese schon,“ meinte Adam.Der Ammann rückte nahe zu dem Schartenmättler;trotzdem niemand in der Stube war, flüsterte er vorsichtig:

Die Gemeinde könnte einen jungen, tüchtigen Mann dazu brauchen, ausgeforstet muß der Wald werden,man könnte auch einen Dunkelschlag verlangen, dazu brauchen wir keine Regierung, nur der Gemeinderat schätzt ab, und je nachdem fällt die Schatzung niedrig aus, was meint Ihr dazu, Adam v Adam wußte gleich, wohinaus der andre wollte.„Zuerst macht mir den Preis, dann macht mir Eure Bedingungen, man kann ja schauen, was sich dann tun läßt.“85 []Als sich die beiden auf den Weg machten, dachte seder über das Gesprochene nach, der Ammann war froh, ein gutes Geschäft zu machen, in Adam aber stritten sich die gerade Ehrlichkeit mit dem Streben nach oben um seden Preis.

Es widerte ihn an, durch solche Mittel reich zu werden, er hatte nur Mißachtung für den Gemeindeammann übrig, am liebsten hätte er ihm den Rücken zugedreht, aber er selbst wollte reich werden, er hatte den Ehrgeiz, die Schartenmatt wieder heraufzubringen, das Gut sollte größer und reicher werden denn se zuvor. Was konnte er sich da um Duseleien scheren Nichts! Es mußte so sein. Das, was er der Gemeinde weniger für den Wald bezahlte, konnte er ihr ja einmal später, wenn er reich genug war,wieder zurückgeben, und schließlich war es der Ammann, der zu wenig verlangte, ihm, dem Käufer,konnte der niedrigste Preis recht sein.Einige Tage später hatte er gegen eine fest Summe den Gemeindewald auf der Allmend zum Abholzen auf Dunkelschlag erhalten.

Der Ammann selbst brachte den Vertrag und ging mit sehr zufriedenem Gesicht wieder Gempen zu.Adam schickte allsogleich Holzhauer und Tagelöhner hinaus in den Wald, und bald verkündeten harte Axtschläge den Beginn der Arbeit.

In kurzer Zeit fiel einer nach dem andern der mächrigen Bäume, die lange Jahre gebraucht hatten,um stark und stattlich heranzuwachsen.

Das Holz wurde verschieden verwendet, das geringere wurde in Scheiter geschlagen und das kurze,

84 []schöne Holz nach AÄsch zum Sägen gefahren, die iangen geraden Stämme aber wurden in der Vähe von Prätteln zu Flößen zusammengebaut und stromabwärts getrieben dem Meere zu. Der AllmendWald von Gempen wurde zu Schiffen verarbeitet und trieb so von einem Erdteil zum andern.Es war ein schneeiger Tag, am grauen Himmel hingen Nebei und Schneegewölke, es war Neumond. Den ganzen Tag über hatte es geschneit und als es Abend wurde, hatte es noch keinen Anschein zum Bessern.

Adam rief den Pauli zu sich.

„Pauli,“ sagte er, „ich fahre heute noch in den Wald hinaus, mit dem schweren Zzug, alle vier Rosse mußt du einspannen.“

Wer geht mit Euch? fragte der Meisterknecht.Nur du, Pauli.“

Nur ich v

HPauli war überrascht, in einer Nacht, in einer solchen Nacht nur zwei Mann für das schwere Fuhrwerk mit vier Bossen, auf schlechten, ausgefahrenen Wegen, das mußte seine Bewandtnis haben; was fragte aber er schließlich danach, er ging mit, wohin es auch gegangen wäre; wenn es seinem Herrn recht war, erschien es ihm für sich selbst billig, er fragte nicht, wohin und warum.

„Um welche Zeit soll ich einspannen, Bauer v „Auf zehn Uhr, Pauli.“

Pauli wollte gehen, Adam rief ihn zurück.

Ich will die LiebenHerrgottseichen schlagen.“Pauli blieb überrascht stehen.87 []„Bauer,“ sagte er trotzig, „die gehören nicht in den AllmendWald hinein.“

„Gerade darum,“ antwortete ihm Adam.

Das war dem Pauli unlieb.

„Da gehe ich nicht mit, Bauer.“

„Was! nicht “ fragte Adam wie versteinert.Pauli blieb halsstarrig.

Nein, nicht, ich frevle nicht··

Es ist wegen der Strafe, Pauli, weißt du, die wegen dem Rehlein.“

Fragend blickte Pauli seinen Herrn an.

Der sagte:

„Nur meine Strafe will ich wieder herausholen vom Staate, nicht mehr, nicht einen Batzen mehr,aber diese Strafe will ich wieder einbringen bis zum letzten Rest.“

Pauli ging auf und ab, das war freilich etwas anderes, das mußte ja schließlich getan werden, aber es war doch Frevel.

Adam wurde ungeduldig.

„Wenn du nicht mit willst, bleibe, spanne aber dann um zehn Uhr ein, leg die Stockwinde auf den Wagen und ich fahre alleine.“Das wollte Pauli nicht, und schließlich, wenn es nur die Strafe war, konnte er sa mitgehen.

Er rechnete nach.„Drei Eichen, jede wird mit zweihundert Franken bezahlt.“

„Ja, das wird sie, Pauli.“Das wären drei Nächte, ich komme, aber nur drei Nächte.“

38 []Pauli ging wieder hinaus, und Adam rüstete sich langsam für den Abend.

Zitternd, gleichsam fröstelnd, trug der Wind die zehn Glockenschläge nach der Schartenmatt hinüber. Da knarrte die schwere Stalltüre und Pauli brachte ein fertig geschirrtes Pferd nach dem andern heraus und spannte den Viererzug an.

Leise kam Adam, Pauli zog die Zügel an. Wortlos fuhren die beiden dahin, die breiten Furchen der Räder im Schnee wiesen wohl eine Weile den Weg,den sie gefahren waren, aber der Schnee fiel zu rasch und zu ergiebig, nach kurzer Zeit übertünchte er auch diese Spur, und alles lag still und zufrieden da.Unter dem KRittel hatte Pauli seine Stockflinte verborgen, man konnte ja nie wissen, dachte er. Adam hatte über der Schulter zwei AÄxte, auf dem Wagen lag eine große Baumsäge, Ketten und zwei Stockwinden.

Als sie in den Wald kamen, flatterte hie und da ein Vogel auf, sonst aber regte sich nichts, kein Mensch war im Wald außer dem Schartenmättler und seinem Knechte.

Bei den Lieben Herrgottseichen machte das Fuhrwerk Halt, Pauli deckte die Pferde mit wollenen Decken, zog dann den Kittel aus und legte das Gewehr darauf, nahm ein Seil, kletterte mit den Steigeisen an dem Stamme herauf, befestigte das Seil und ließ sich rasch daran wieder auf den Boden herab, griff nach einer der beiden Ärte, und auch Adam tat so.

Dumpf und mit leisem Echo hällten die Axthiebe

89 []durch den Wald, es dauerte beinahe eine Stunde lang fort, dann setzten die beiden die Säge an, sie zogen diese hin und her, die scharfen kreischten in dem harten Holze, aber der Schartenmättler und Pauli arbeiteten unentwegt weiter.Die alte mächtige Eiche begann zu schwanken, die beiden nahmen die Säge weg, gingen an das Seil,zogen daran, langsam und regelmäßig.Majestätisch schwankte der alte schöne Baum hin und her, bis er plötzlich auf der einen Seite verweilte, sich zuerst langsam senkte, um dann krachend hinzustürzen.

Rasch hieben Adam und Pauli die Aste vom Stamme,luden diesen auf den Wagen. Sie schlugen noch zwei Eichen und verluden auch die, dann trieben sie die Pferde an, keuchend und stampfend schleppten diese den schwer beladenen Wagen auf Adams Holzplatz,dort spannte Pauli die Pferde aus und der Schartenmättler mit seinem Meisterknecht ritt nach Hause.UÜber den Stumpfen und dem Geäst der geschlagenen Eichen fiel unauf hörlich der Schnee, leise und mählich bedeckte er alles, und wenn er auf das Reisig fiel, klang es wie zarte Glocken.Begen Morgen waren die Frevelstumpfen der drei gefällten LieberHerrgottseichen weiß überschneit,alles lag da, wie zugedeckt, nur der leere Platz ließ etwas vermissen.S 90 []ls das neue Jahr begann, kam dem Dettwyler 4 Julius sein Hof und seine Fahrhabe an den Geltstag. Der Amtsdiener, der Bannwart und was weiß ich noch alles war, verkündete den Tag und die zZeit der Gant. Auch auf den Schartenmatthof kam er.Adam ging hin, es zog ihn ein unbestimmtes Gefühl,er mußte gehen, denn des Juli Frau hatte braune Rehaugen, an die er wieder denken mußte.Um neun Uhr war die Gant angesetzt, aber noch niemand war an Ort und Stelle, kein Amtsschreiber und kein Verganter, da ging Adam in die Krone.Es waren schon verschiedene Leute in der Wirtsstube,alles solche, die den Geltstag mitmachen wollten,Adam setzte sich an einen Tisch, bestellte zu trinken und horchte hin.Das Gespräch drehte sich um den falliten Juli, was der für ein Lüderjan gewesen sei; es wurden allerlei Geschichten aufgezählt, die je nachdem mit Gelächter oder mit Gefluche aufgenommen wurden. Eines waren sich aber die Bauern alle einig, daß man den Juli ohne weiteres auf hängen müsse.

Gar so unrecht hatten die Leute nicht, denn der Juli hatte es doch ein wenig zu toll getrieben, eben erzählte ein alter Mann langsam und gemächlich:„Ging er da nicht einmal auf den Markt, Vieh kaufen, dreitausend Franken nahm er in bar mit und noch zwei schöne Mastochsen, für die er mindestens seine tausend Franken gelöst haben muß.“Ein anderer unterbrach den Erzähler.

„Ja, du meinst doch,“ sagte er mit der Miene des 81 []Besserwissenden, „eintausendzweihundertundvierzig Franken hatte er gelöst dafür, und das war allweg nicht zuviel.“

Der Erzähler fuhr fort.

Da hat er also viertausend und zweihundert und vierzig Franken gehabt, und wißt ihr, was der Herrgottssakrament damit gekauft hat v F Der Alte machte ein wenig Halt mit dem Reden und schaute sich in der Runde um; als er sah, daß alle gespannt auf ihn sahen, erzähite er:

Ein Anstellkalb und ein Mutterschwein, und sonst nichts, rein nichts, und vierzehn Tage hatte er von Delsberg bis nach Gempen gebraucht; hin ging er in acht Stunden, aber in allen Bordells im Welschen ist er eingekehrt, so hatte er sein Geld verklüttert,und als er wieder nach Hause kam, hatte er noch drei Batzen in der Tasche, mehr nicht.“

Jetzt entrüstete sich die Gesellschaft anhaltender als sonst, so etwas hatte doch noch keiner aus Gempen angestellt, das war auch dem Tolerantesten zuviel.Der Kronenwirt setzte sich an den Tisch, er hatte auch etwas zu erzählen.

Adam fragte:

„Was hat aber der Juli die Zeit über mit seiner Frau und den Kindern gemacht“

Das war dem Kronenwirt sein Fahrwasser

„Gehauen hat er sie immer, wenn er nach Hause kam, wie die Hunde.“

Einer fluchte.

„Und wie es zum Geltstag kam, ging er durch nach Paris, der Tropf.“

92 []„So laß doch mich jetzt reden, Sebi,“ nahm der Kronenwirt wieder das Wort an sich, „wie er das letztemal weg war, kam seine Frau in das schrecklichste Elend hinein, sie hatten nichts mehr zu beißen,Müch gaben die Rühe fast keine mehr, die meisten gingen güst, und zu fressen hatten sie auch nichts,und der kleine Jockeli mußte sie füttern.“

Da meinte der Alte:

„Ja, was ist denn das, so ein neunsähriger Bub'.“Also wie gesagt, es war traurig um sie bestellt. Da hab' ich meine Frau zur Dettwylerin geschickt, mit Essen; des Julis Frau hatte geweint und war recht dankbar, ich habe dann den Kindern noch Kleider von den meinen herüber gegeben; alles ging ganz gut, da kam der Juli nach Hause, er kam zu mir in die Wirtschaft ünd schlug einen Höllenlärm, die Sachen warf er zum Fenster hinaus, die Frau schlug er herum ¶ /·

Mit rotem Kopfe stürzte ein junger Bursche in die Wirtsstube.

„Wißt ihr das Neueste,“ schrie er aufgeregt, „der Juli ist aus Paris heimgekommen.“

Wie eine Bombe traf diese Neuigkeit. Alle waren verblüfft über die Frechheit des Juli. Einer nach dem andern bezahlte seine Zeche und ging hinaus,mancher nahm sich vor, wenn er den Juli antreffen könnte, ihm das Fell zu gerben, bis es braun und blau schimmerte.Auch Adam ging hinaus, es war ihm nicht einerlei zumute, die Dettwylerin war früher ein Mädchen mit braunen Augen gewesen, und er hatte eine Zeit

*5 []lang nur zu gerne drein geschaut. Freilich konnte er sie nicht brauchen. Da hatte sie den Juli genommen.Ob denn auch alles so sei, wie die Leute sagen KRonnte nicht eine kleine Schuld an der Frau liegen, behandelte sie den Juli auch recht, wie es sich gehörte“Wie ein Blitz schoß es in ihm auf. Vielleicht dachte sie noch an ihn und war darum unwillig gegen ihren Mannð Es waren ja allerdings vier Jahre verflossen,seit er nimmer hinging zu ihr. Da fragte es sich, ob die Zeit schon alles recht und eben gemacht hätte.Adam ging in die Wohnung des Juli. Er wollte schauen, was sich machen ließe, und wenn es ihm möglich sei, helfen. Es war ihm, als müsse er hier eine Schuld abbezahlen, als sei er die Ursache von Julis Unglück.

Fast zaghaft drückte er auf das Türse chloß, dann aber gab er sich einen Ruck und ging in den Hausgang.Er trat derb auf, damit sie ihn drinnen in der Stube hören sollten, er wollte nicht unversehens, von ihnen ungehört, hinein kommen.

Die Türe zur Stube tat sich auf, und ein etwa dreisähriger Bub' sah ängstlich zum Spalt heraus, dann schlug er die Tür wieder zu, und Adam hörte, wie er drinnen sagte:

„Mutter, es ist ein Mann draußen.“

Adam blieb im Hausgange stehen. Er wartete. Nach einer Weile kam die Dettwylerin. Sie war schmal geworden die lange Zeit über, in der sie Adam nicht gesehen hatte, sie war um zehn Jahre gealtert. Die früher so schönen Augen waren setzt matt, und um den Mund zogen sich herbe Falten Der Kummer

94 []und die leidige Not hatten ihr freundliches Gesicht entstellt.

Sie sah Adam gleichgültig an; in ihrem Wesen lag etwas, als wollte sie sagen, was frage ich nach allem,was kommt. So oder so, mir kann nichts mehr helfen.

„Ist dein Mann dar“ sagte Adam ohne Gruß.Sie antwortete stumpf und gleichgültig:

„In der Stube sitzt er.“

Ich möchte zu ihm gehen.“

„So komm herein.“

Sie ging voran.

„Der Schartenmättler ist da,“ sagte sie in die Stube hinein.

Adam trat mit der Dettwylerin, die ein etwa einjähriges Kind auf dem Arm trug, in die Stube.Auf der Ofenbank saß der Juli, den Kopf in die Arme gestützt, gleich stier und stumpf wie sein Weib.Adam blieb lange wortlos stehen, es lag ein drückendes Schweigen in der Luft.

Endlich fragte Adam:

„Ist es denn so schlimm mit dir, Juli v

Der andere sah auf, mit einem Blick, der sagen wollte:was kümmert das dich, laß mich doch alleine.

Es wurde Adam immer mehr bewußt, daß er etwas gut zu machen hatte.

Kann ich für dich bürgen, Juli, damit der Geltstag aufgehoben wird fragte er.

Jetzt schaute der Juli recht auf, sein Gesicht war verlebt und verkümmert, und Adam wußte jetzt, daß die Frau auch schuld war an dem Fehl des Mannes.

95 []„Du bist wohl verrückt, Schartenmättler v „Nein, Juli.“

Laß doch sein, ich habe die Wirtschaft zu toll getrieben, da nützt alles nichts mehr.“

„So zeig mir auf das wenigste doch die Schuldforderungen.“Jetzt horchte auch die Frau auf, sie kam langsam zu den Männern und sagte müde:Laß das sein, Adam, wir wollen nicht mehr länger in Gempen bleiben, es tut nicht gut.“

Es tat Adam leid um die Kinder, nicht um die beiden Erwachsenen.

„So denkt doch an eure KRinder,“ wendete er ein.Aber es half alles nichts.

„Meine Frau will weg von hier,“ sagte nach einer Weile der Juli, er sprach schwer, beinahe wie ein Trunkener, „weg aus dem Schwarzbubenland will sie, sie glaubt, daß es dann besser käme, irgendwo in der Welt draußen.“Adam schüttelte den Kopf, es war ihm unbegreiflich, wie die Leute das machen wollten.

„Wovon wollt ihr aber da draußen in der Welt leben v

Der Juli machte eine abwehrende Handbewegung.„Laß doch,“ sagte er, „das wird sich dann schon alles finden.“

Sie schwiegen drinnen in der Stube.Da rief der Amtsschreiber vor dem Hause laut und geschäftlich aus, so daß es die drinnen Wort für Wort hören konnten:Die Fahrhabe und das Land des Julius Dettwyler

6 []wird gegen Barzahlung oder gegen Stellung guter Bürgen auf viertelsährliche Termine öffentlich versteigert.“

Es war Adam, als müßte er das Fenster aufreißen und schreien: Halt da unten, ich bürge für den Jüli!Als er aber die beiden andern sah, die gleichgültig alles mit anhörten, sagte er nur noch einmal, drin gender:

„Juli, willst du denn nicht, daß ich bürge r

Da schrie die Frau auf:

„Nein, nein, Adam, ich habe es dir doch gesagt, wir wollen fort, weit weg, fort, fort aus dem Schwarzbubenland, fort von Gempen, weit, weit, es kann hier doch nicht gut werden, nie, nie.“

Adam begriff sie nicht, er zuckte die Achseln.„Dann kann ich nichts tun.“

Er ging hinaus.

„Geh mit dem Adam bis zur Tür,“ hieß der Juli seine Frau.

Sie ging mit dem Adam hinaus.

Im Hausgange fragte Adam die Dettwylerin:Warum soll ich nicht bürgen v

Da sah sie ihn groß an, ihre matten Rehaugen bekamen Glanz. Haß war in ihrem Blick. Sie sprach langsam und leise und schaute ihn dabei scharf an:„Du sollst nicht bürgen, weil ich fort will von hier,Adam, weit fort, und ich will fort, Adam, weil ich dich immer noch lieb habe, immer noch, Adam.Und wenn ich hier bleibe und dich immer sehen muß und von dir höre, dann bin ich grob und wüst zu Juli und das muß auf hören. Das hat ihn von Hause

7 Kurz, Die Schartenmättler.

99 []weggetrieben, zu den schlechten Frauenzimmern. Nur das und das muß auf hören, auf hören, Adam, sonst tut es nie gut mit dem Juli.“

Sie schwieg.

Adam fühlte zum erstenmal in seinem Leben einen dumpfen Schmerz in seiner Brust, ein Weh, daß er hätte weinen können. Er sagte kein Wort, er ging nur eilig und geduckt zur Türe hinaus, auf die Straße.

Draußen vor dem Hause des Juli nahm die Gant ihren Fortgang, alles wurde zu Schleuderpreisen verkauft. Da hatte der Adam nur den einen Wunsch:die Sache in die Höhe zu treiben. Recht, recht teuer sollte alles werden.

Eben rief der Verganter ein Pferd aus.

Ein Bauer bot darauf.

„Fünf hundert Franken,“ sagte er.

Achthundert,“ bot Adam.

So hoch schätzte er das Tier. Ein anderer bot mehr,und der Verganter schlug es los.

So bot Adam alles bis auf seinen Wert hinauf,und die andern steigerten die Preise noch mehr und kauften, denn, dachten sie, wo der Schartenmättler so hoch bietet, dürfen wir auch mit.

Das Land wurde versteigert.

Ein paarmal rief der Verganter die einzelnen Stücke zum Gebot aus.

Niemand bot darauf.

Das war es, was Adam wollte, er zuckte die Achseln,tat einige abfällige Bemerkungen, dann machte er ein kleines Angebot; er tat, als ob ihm wenig daran

98 []gelegen sei. Aber er kannte das Land, es grenzte an das seine, es war nicht schlecht, nur verwahrlost.Alle lachten, als sie sahen, daß des Juli Land an Adam hängen blieb, denn sie sahen es ihm an, daß es ihm selbst nicht recht war.

Niemand überbot ihn.

Der Verganter rief:

„Zum ersten “

Niemand rührte sich.

„Zum zweiten “

Es blieb auch diesmal still.

Da schlug der Verganter dem Adam das Land zu.„Zum dritten Male,“ sagte er.

Adam war im Besitze des Landes, er hatte es weit unter dem Wert gekauft.

Er ging zum Ammann und lieh sich von diesem einige tausend Franken; mit dem Gelde ging er zur Dettwylerin.

Sie sah ihn beinahe böse an, daß er noch einmal kam, er aber gab ihr das Geld.

„Nimm das,“ sagte er, „das habe ich an der Gant unter dem Werte bezahlt, es soll euch Glück bringen.“

Sie zögerte zuerst.

Adam drängte:

Nimm das Geld, es ist dein gutes Recht.“

Da nahm sie es.

Sie drückten sich noch die Hand und sagten sich

Lebewohl für immer.

Der Juli wanderte aus mit seiner Familie, es hat nie mehr jemand etwas von ihm gehört.

59 []Adam verwand den Geltstag des Juli, er war stark genug dazu, gegen Marei blieb er der gleiche, nur schien es, als sei er noch schweigsamer geworden.

* eh D deo *82 * * 2*dam hörte, daß es um den Schürlihofpächter M Schibach nicht zum besten stehen sollte. Dies beunruhigte ihn; nicht aus egoistischen Gründen, denn er nahm regen Anteil an dem Wohlergehen seines Schulkameraden, er konnte nicht begreifen,warum der Fritz nicht schon lange zu ihm gekommen war, wenn es doch so schlimm um ihn stand.Als er das Gerücht wieder vernahm und das anfängliche Munkeln zum Tagesgesi präch wurde, ging er hinab auf den Schürlihof, er wollte selbst nachschauen und seinen Pächter auf den Kopf zu fragen.Unterwegs im Walde begegnete ihm der Hanesle.Adam redete den Alten an:„Schau, Hanesle, wenn ich dich treffe, so ist es auf der Landstraße oder im Walde, hast du denn gar kein Sitzleder, kannst du denn nicht irgendwo bleiben yDer Gempenhänesle lachte blöde und frech:„Wißt, Schärtenmättler,“ sagte er dann, „setzt komme ich direkt aus dem Spital in Liestal.“„Ja, bist du denn krank gewesen, Hanesler“Wißt Ihr das nicht, Schartenmättler, über sechs Wocheßn habe ich im Spital in Liestal gelegen. Ei,

100 []so schön hatte ich es in meinem ganzen Leben noch nie gehabt, wie da.“

„Was hat dir denn gefehlt, Hanesler“

Als wir das letzte Schneegewitter hatten, bin ich halt draußen gewesen im Wald. Da bin ich ein wenig verkältet und habe ich die Gicht davon bekommen. Darum verschrieb mich der Dokter aus Seewen in das Spital. Die Gemeinde muß es ja bezahlen. Es war schön, Schartenmättler, ei ja;mittags zum Essen haben wir Wein bekommen, und sedesmal Fleisch; den Wein habe ich immer an den neben mir für zwei Batzen verkauft, und wie ich weggegangen bin, schenkte mir noch jeder zwei Batzen.“Das Geld mußt du natürlich setzt gleich wieder verdudeln

Der Hanesle setzte sein trübes Gesicht auf.

„Was soll ich sonst tun, wenn ich kein Bett habe.“Du mußt halt irgendwo gut tun, Hanesle.“Wollt Ihr mich wieder zu Euch nehmen, Schartenmättler v fragte der Hanesle pfiffig.

Adam lachte.

„Nein, Hanesle, du hast das erstemal schon nicht gut getan, da ist nichts mehr zu machen, aber ein Bett will ich dir kaufen, das kannst du dann in Gempen in deinen Stall stellen.“

Adam ging seinen Weg weiter.

Der Hänesle machte einen Luftsprung hinter ihm drein, er freute sich, daß er ein Bett bekam, dann ging er rasch Gempen zu, dort kehrte er im Kreuz ein und betrank sich bis zur Bewußtlosigkeit.Adam hatte das Geld für die Eichen bekommen,551 []er erhielt beinahe hundert Franken mehr, als seine Strafe ausmachte. Dieses Geld beschloß er wegzugeben, darum wollte er dem hanesle ein Bett kaufen; für den Überschuß gedachte er dem Bettler wieder ein Kleid machen zu lassen, er tat es dann auch, aber da mußte er eine schlimme Erfahrung machen.

Der Hanesle hatte ja erst ein neues Kleid bekommen,das war für seinen Begriff noch ein Festkleid, darum ging er hin und verkaufte das neuere.

Das Geld dafür versoff er.

Und das war sein Unglück, denn des andern Morgens fand man ihn im Walde, zusammengerollt, wie einen Igel, und tot.

Die Gempener seufzten auf und begruben ihn.

Als Adam aus dem Walde herauskam, der an das Schürlihofland angrenzte, konnte er das Gelände mit dem Haus gut überblicken; er blieb stehen, dann ging er vom Wege ab in ein Tannendickicht, er wollte lauschen.

Adam hatte gesehen, wie der Schibach Fritz einen langen Acker fuhr.

Zwei mächtige Ochsen zogen den Pflug, den Fritz kernig und fest führte, er drückte schwer hinten drauf und der Boden glitt vor dem blanken, gleißenden Pflugeisen wie Wasser zur Seite und legte sich in einer breiten Wahle langgestreckt hin. Der Fritz hatte das Gesicht tief gebeugt, aber als er näher kam,sah Adam doch, daß sein Pächter blaß und über nächtet ausschaute.

Fritz ließ die Ochsen halten, er setzte sich an den Wald

1]92 []rand und wischte sich den Schweiß vom Gesichte;rasch kam seine Frau herbei und brachte ihrem Manne etwas zu essen und zu trinken, er nahm wortlos ein paar Bissen, dann schob er das Essen zurück und stand auf, er wollte wieder an die Arbeit.

Doch die Schibacherin hielt ihn zurück.

„Gönn dir doch Ruhe,“ sagte sie.

Woenn ich gearbeitet habe,“ antwortete ihr Fritz.Die Frau gab sich nicht zufrieden.

„Was nützt dir das alles, du kannst ja doch nimmer auf dem Hofe bleiben; wozu denn das Arbeiten und Schinden, du tust ja alles für einen andern.“Adam horchte groß auf in seinem Versteck. Also doch, dachte er.

Der Schibach Fritz aber sah seine Frau ernst an,dann sagte er:Was ich tue, ist meine Pflicht, ich würde mich mmer schämen, wenn es später einmal von mir hieße,ich hätte meinen Hof nicht mehr bebaut, bis ich wegging davon.“ In seinem Tone lag etwas, das weder döse noch grob war und doch keine Widerrede oder Einwendung mehr duldete.

Die Schibacherin sagte nichts mehr, sie packte ihr Geschirr zusammen und ging.

Der Fritz aber kehrte mit einem Ruck den Pflug,knallte die Peitsche durch die Luft und trieb die Ochsen mit einem kräftigen Hoi an. Mit voller Kraft legten sich die Tiere in das Geschirr, und langsam zog das Pflugeisen tiefe Furchen in der dunkeln Ackererde.Adam ging auf den Weg zurück, er wollte dem Fritz helfen, es wäre ja schade um den Mann gewesen,193 []wenn er vom Hofe weggegangen wäre, darum mußte der Fritz bleiben.

Freilich mußte sich das Verhältnis ändern, der Fritz sollte gut wegkommen, aber er wollte auch etwas davon haben; in Adam trat auf den Moment des hilfreichen Mitleidens sofort wieder der kühle Rechner hervor, er dachte sich: ich gebe ihm seine Eristenz zurück und er soll mir Nutzen geben, allerdings meinte es Adam gut mit dem Fritz, er sollte nicht zu kurz kommen, er sollte leben können, sogar besser als vorher.

Er rief vom Weg aus den Fritz an.

„Was machst du, Fritzv“

Der Pächter hielt ein und schaute auf.

„Grüß Gott, Adam, kommst du auch zu mirv„Ja, Fritz, ich will etwas mit dir reden.“

Adam trat näher und setzte sich auf den Pflug, Fritz stand neben ihm; er sagte nichts, nur schien ihn etwas zu drücken.

„Du, Fritz, ist es wahr, was die Leute sagen Traurig antwortete der Schibach:

„Ja, Adam.“

Adam tat böse.

„Warum bist du da nicht zu mir gekommen“„Ach glaubte nicht, daß sich das vom Pächter gegen den Lehnsherrn schickt, Adam.“

Betroffen schaute Adam auf, das hatte er nicht erwartet. Sein Wachsen und seine Erfolge hatten also eine Scheu bei seinem einstigen Freunde hervorgerufen; das tat ihm leid; er sagte sich, so ist es,wenn man höher hinauf wili und auch hinauf kommt,104 []dann wird man einsam, wenn auch mindere Menschen laufen und lobreden, die bessern bleiben zurück und alle gute Freundschaft geht in Scherben.

Aber der Schartenmättler ließ nicht erst lange Gefühlserregungen in sich auf kommen. Er wollte dem Freunde helfen und selbst dabei noch einen Vorteil haben.

Darum sagte er:

„Hör, Fritz, für deine Schulden springe ich ein, die zahlst du mir dann langsam ab, du bleibst auf dem Hof, ich stelle das Vieh, ich übernehme das Risiko und den Schaden. Pacht zahlst du keine. Dafür gibst du mir aber die Hälfte vom Gewinne. Willst du so, Fritzv

Der Schibach Fritz wollte. Er war froh über dieses Angebot.

Dann ging Adam seines Weges, der Schibacher trieb die Ochsen mit einem flotten Hoi vom Flecke und drückte den Pflug noch tiefer in den Boden.

Beim Mittagessen sagte er zu seiner Frau zufrieden und guter Dinge:

„Wir bleiben da und es ist alles gut, siehst du jetzt,daß ich nicht umsonst geackert habe.“

Adam ging seinem Hofe zu, er grübelte über allerlei nach. Zu Hause lag dieweil Frau Marei in schweren Wehen, die Wehfrau saß bei ihr am Bette und die Mägde rannten aufgeregt umher.126 []Rrau Mareigebar dem Adam Berger einen Sohn,es war ein kräftiger Bube.

Adam trat leise an das Bett der Wöchnerin,flüchtig streifte sein Blick die jsunge Mutter. Dann hob der Schartenmättler die Decke von der Wiege,nahm das neugeborene KRnäblein heraus und schaute es eine Weile wortlos an, legte es wieder zurück und ging zur Marei hin.

„Wie ist dir, Marei“

Die Frau lächelte müde, winkte mit der Hand und sagte nichts.

„Es kommt schon wieder, Marei, du mußt nur geduldig sein.“

Es war das erstemal, daß Adam so recht aus dem Herzen heraus etwas zu seiner Frau sagte, ohne daß der gute Vorsatz das Wort diktierte; die Wöchnerin mit ihrem matten, müden Aussehen und dem blassen Gesicht zwang ihn dazu. Auch die Dankbarkeit kam über ihn. Sein Eheweib hatte ihm einen Sohn geboren.

Adam ging hinaus vor den Hof, er blickte um sich nach allen Bichtungen. Den sachen Scharten sah er hinauf, in das Holz, das dort oben stand. Er schaute den Hang hinunter, bis dahin, wo der Arlesheimer Wald anfing. Und über den Baumgarten blickte er, das war alles sein. Es war ein stattliches Gut.Das alles sollte der Bube, der drinnen in der Wiege lag, einmal bekommen, er wollte es erhalten und größer machen, möge kommen, was da wolle.Adam dachte an Unglück und Seuchen, aber trotzig reckte er sich in die Höhe. Es sollte nur kommen.

106 []Daf ür war er Manns genug, allem Ungefäll Schritt zu halten und sich nicht unterkriegen zu lassen.Liebe war das im Grunde genommen nicht, was er für das kleine Geschöpf dort drinnen in der Wiege fühlte, es war mehr die Liebe zu sich. Das da drinnen sollte einmal mit seinem Erbe weiterleben, seinen Anfang vollenden. In dem Kind mußte einmal sein Streben zu Ende gelangen, es sollte das größte Gut seines Rantons zusammenbringen.

Adam ging in den Hof zurück, tat seine gewohnte Arbeit. Daß der Schartenmatthof einen Sohn bekommen hatte, war ihm schon etwas Altes, Gewohntes.

Christian ging gegen Abend zu seiner Schwiegertochter, leise trat er zu der Wöchnerin hin, freundlich sah er sie an:

„Gelt, Marei, das Mutterglück muß man mit vielen Schmerzen verdienen, aber es wird sich verlohnen.Es wird dir hoffentlich Freude machen.“

Frau Marei antwortete:

Hoffentlich, Vater, Gott gebe es.“

Wie ist dir jetzt, Marei, wie fühlst du dich, macht es dir etwas, wenn ich noch ein wenig bei dir bleiber“Marei bat den Vater zu bleiben. Er plauderte mit ihr von allerlei lustigen Dingen, um sie zu zerstreuen,dann ging auch er zur Wiege, beugte sich darüber,küßte das Kindlein sachte auf die Stirne und murmelte wie im Gebet:

„Es soll dir gut gehen, Kindlein, und der Väter Sünden mögen nicht auf dich kommen.“

Dann ging er hinaus, zu dem Kreuze bei den drei

10*

7 []Quellen. Dort betete er lange und andächtig für das Kind, dann setzte er sich hin und schaute auf das Wasser hinaus, das träge und stille dalag, zufrieden und wunschlos.Während Christian so in das Wasser schaute, durchzog ein düsteres Ahnen seinen Sinn, und er betete nochmals:„Herr Gott, suche unsre Sünden nicht heim an dem Kindlein.“Grüner freute sich an dem Bangen, er rauchte behaglich seine Pfeife und trank sein Schnäpslein dazu.Dann aber mußte er an Adam denken, an den Vater des Kindes, und sein Gesicht wurde ernst.Wenn dieser nur nicht zu hoch hinaus wollte und ihm auch alles recht ging. Er fürchtete fr ür ihn, denn er wußte, daß der Wind dem kleinen Holz weniger gefährlich ist, als dem großen. Das kleine Holz ist gdescpeidig und biegt sich, wie es der Wind haben will, die mächtigen Bäume aber bieten dem Sturme Trotz, bis einmal einer kommt, der auf sie einfährt und sie schwanken macht, bis sie entwurzelt hinsrzn und winddürr werden. ie Zeit floß hin wie ein Bächlein, das unauf haltsam,tagein und tagaus, weiter rann, immer weiter.Auf der Schartenmatt ging alles seinen alten Lauf.Da wurde eines Tages der kleine Ernst, das Söhnlein des Adam, krank, der Arzt mußte kommen, es schien bedenklich zu werden.Und es war gefährlich, der Doktor machte ein ernstes Gesicht, er wußte nicht, was dem Jungen fehlte,er riet gewissenhafte Pflege an und ging weiter.

108 []Tagsüber saß da immer die Marei am Bettchen,sie ieß das Kind nicht aus den Augen, sie fürchtete und ängstigte sich, sie selbst wurde schmal und blaß davon.

Nachts kam Adam von seinen Geschäften, er se chickte die Marei zu Bette und wachte bei dem Kinde, es sollte nicht sterben, es sollte am Leben bleiben.All die Zeit über, in der das Kind gesund war, hatte er es nie mehr angeschaut, er wußte nicht, was er mit ihm hätte anfangen sollen, jetzt aber, wo es krank war, wußte er, was er zu tun hatte.

Vierzehn Tage dauerte die Gefahr an, dann wurde es besser und das Kind genas wieder.

Da sagte der Adam zu seiner Frau:

„Marei, ein Kind ist ein Sorgenkind, wir müssen zweie haben.“

Ja, Adam,“ antwortete sie.

Neun Monate später gebar Frau Marei den zweiten Sohn, den Adam Willi nannte.rnst und Willi, Adams Söhne, wuchsen zu 9 kräftigen Buben heran.

Frau Marei wurde mit der Zeit ein wenig hausmůtterlich und spielte gegen Adam, wenn er allzu brummig war, gerne einen Trumpf aus. Sie hatte dann auch einen Kopf, gab aber rasch nach, wenn

106*7 []sie sah, daß Adam mit einem eigenen Blick aufschaute. Ihre Buben hatte sie über alles lieb, besonders der Willi war ihr an das Herz gewachsen.Adam redete ganz selten mit seinen Kindern, sie waren ihm noch zu unbeholfen, sonst aber ging er all die Jahre hindurch seiner Arbeit nach, machte immer ein ernstes Gesicht und hatte seine Pläne, er konnte seinem Ehrgeiz nie genug tun, immer und immer wollte er mehr.

Christian wurde langsam gebrechlich. Es ging nur noch am Stock mit ihm, jedes Jahr grub ihm einige Furchen mehr in das kummervolle Gesicht. Nur seine Augen blickten mit der Zeit freier hinaus, gütig und vergebend, er konnte alles vergeben, er suchte nur zu verstehen.

Der alte Grüner und Pauli waren gestorben. Der alte Grüner ruhig und beneidenswert, er war des Nachts eingeschlafen, um am andern Morgen nicht mehr zu erwachen. Der Pauli hingegen war einige Tage krank; der Doktor sagte, er wüßte nicht, wäs dem Knechte fehle, kam aber jeden Tag und machte ein bedenkliches Gesicht; eines Tages gegen vier Uhr starb der Pauli.

Die Ersparnisse des Meisterknechtes erbte Adam,es waren einige tausend Franken, sauer verdientes Geld. Ein Leben voll Arbeit hatte die Franken, einen nach dem andern, zusammengespart, zum größten Teil auf dem Schartenmatthof, und da follte es auch bleiben, wo es herkam, so wollte es Pauli.Grüners Verfügung gab dem Adam zu denken, der alte, gutmütige Mann hatte seine Habe, etwas über 110 []dreißigtausend Franken in Staatspapieren und einer Hypothek auf die Herrenmatt, den RKindern Adams vermacht, und zwar sollten diese die freie Verfügung über das Vermögen erst nach dem Tode ihres Vaters erhalten, der aber sollte es verwalten und den Zins nach seinem Ermessen verwenden.Adam grübelte darüber nach, warum der alte Grüner,der ihn doch immer lieb gehabt hatte, das so vererben wollte; er wurde nicht klug daraus, er kam zu verschiedenen Gedanken, aber am meisten gab ihm eines zu denken:

Wenn der Grüner nicht an sein Glück geglaubt hatte, wenn er dachte, es könnte am Ende doch noch einmal abwärts gehen mit der Schartenmatt.Adam lachte über diesen Gedanken. Es konnte ihm schließlich gleichgültig sein, an was Grüner gedacht hatte, wenn es der so wollte, konnte es zum Schlusse ihm recht sein. Die Buben sollten einmal das Geld erhalten, er wollte es ihnen schon recht verwalten.Den Zins aber wollte er die Jahre durch gesondert aufsparen, das sollte auch ein ganz hübsches Sümmchen abgeben.

Adams Buben mußten in die Schule gehen. Da Willi ein aufgeweckter Junge war, konnte es der Schartenmättler durchdrücken, beide Kinder auf ein Jahr hinzuschicken.

Die Kinder waren gegeneinander ein Rontrast; der Willi war munter und lebenslustig, er hatte für sein Alter ein geschliffenes Mundwerk, war rasch in der Auffassi ung und in seinem Tun und Treiben, vielmal war er unüberlegt.411 []Ernst, der ältere Sohn des Adam, war ein stiller schweigsamer Rnabe, aber nicht wie sein Vater,der nur ein stiller Mensch aus Grübelei und Ehrgeiz war. Ernst war ein Träumer. Er konnte lange am Waldrande sitzen, um hinunter in das Tal zu schauen. Dabei malte er sich allerlei Bilder aus und hatte eine Sehnsucht, weit in die Welt hinauszugehen. Aber wenn er sich dann vorstellte, wie er da draußen alleine im Leben stehen würde, da kam ihn ein banges Gefühl an, und er war froh, im Schartenwalde zu liegen und hinauszuträumen, in das Tal hinab und über die Berge hinaus, da hinaus, wo die weite, große Welt liegt.

Aber nicht nur des Rnaben Träumerei machte den Unterschied aus zwischen ihm und seinem Bruder.Er war eher phlegmatisch als lebhaft. Was er gesehen oder sich einmal recht deutlich ausgemalt hatte,das verstand er. Wenn er aber mit toten Zahlen rechnen mußte, war ihm, als säße er bei dem Leineweber in der Werkstätte, ein gar feines Linnen zu weben, das ihm nicht gelang. Er wurde verwirrt,und das Gewebe der Zahlen ging ihm auseinander und zerfiel in unsägliche verkeilte Fehler. Galt es aber etwas zu beschreiben, das er schon gesehen hatte,da ging er keinem auf die Seite, denn das wußte er,da gab es nichts dagegen.

Auch im Handeln der Kinder war ein Unterschied;was der Willi rasch und umnüberlegt tat, tat der Ernst ruhig und langsam. Er besann sich; was er je anstellte, alles geschah mit einem drolligernsten Bewußtsein der Verantwortung.

127 []Als die Buben das erste Vierteljahreszeugnis mit nach Hause brachten, zeigte es sich, daß der Willi der Erste in der Klasse war und der Ernst erst in der Mitte kam. Da gab es ein Loben für den Willi und ein Frotzeln für den Ernst. Der Willi war da durch stolz und selbstbewußt und fühlte sich geistig dem Bruder überlegen; der Ernst aber ging in seinen Wald, setzte sich auf einen Felsen, der gleichsam zum Boden herauswuchs, und träumte in das Tal hinaus und über die Berge, der Welt entgegen.

Langsam machten sich in der Behandlung der Kinder, von Frau Mareis Seite aus, Gegensätze bemerkbar; sie hatte beide gleich lieb, aber dem Willi blickte sie oft voller Stolz nach und streichelte ihrem Jüngsten kosend über die Haare. Der Ernst ging auf die Seite, wenn er geliebkost wurde. Er schämte sich.Willi aber schmeichelte an der Mutter herum, wie ein sunges Kätzchen.

Adam bemerkte das alles nicht.

Als seine Buben groß genug waren, nahm er sich vor, mit ihnen hinauszugehen auf das Feld, und sie mußten mit ihm. Er zeigte ihnen die Grenzen des Gutes, erklärte ihnen dies und jenes; dann ging er wieder nach Hause mit ihnen.

Bei Willi, der an seine Schulaufgaben dachte, um sa der Erste in der Klasse zu bleiben, verflogen des Vaters Worte rasch. Ernst aber dachte oft, wenn er von seinem lieben Plätzchen oben im Wald das Gut größtenteils überblicken konnte: dort macht man setzt das und dort senes, oder diese Wiese muß umgebrochen werden, dann wird Hafer darauf ge

Rurz, Die Schartenmättler.

1153 []sät, dann Frucht, dann setzt man Kartoffeln, dann Durlips, dann macht man wieder einen VNeusatz.Als Adam mit seinen Buben wieder einmal über das Feld ging, war er überrascht. Der Willi wußte kaum noch die Hälfte von dem, was er ihm gesagt hatte,dieweil der Ernst ihm genau sagen konnte, was man nächstes Jahr mit dem Acker und mit der Wiese machen müsse, alles Sachen, die sich der Bube aus dem Gesagten zusammengetiftelt hatte.

Das machte Adam eine Freude, er wußte, daß der Ernst da einmal einen tüchtigen Bauer abgab, der Willi freilich, mit dem war nichts zu machen. Man mußte noch schauen, wie es mit dem gehen sollte.Wenn er halt schließlich zu dumm zum Bauer war,konnte man ihn ja studieren lassen. Vielleicht gab er dann noch einen ganz guten Doktor, oder so was.Für ein Beispiel galt ihm der alte Lehrer, der hätte seiner Lebtag nie einen Bauer abgegeben. Aber Lehrer war er doch geworden, und dabei schimpfte der immer noch auf die dummen Bauern, sa, da kann einer lang schimpfen, er soll zuerst kommen und die Sache besser machen.

Adam ärgerte sich über die Stadtleute, es ärgerte ihn auch, wenn er daran dachte, daß der Willi so einen geben sollte. Nun, man mußte schauen, es hatte ja noch Zeit. Vielleicht konnte man ihm die Grillen noch austreiben.

Einst kamen die Buben aufgeregt nach Hause, sie hatten zum ersten Male zeichnen müssen, keiner konnte es recht, nur der Willi. Sogar Ernst wurde hitzig,er sagte am Mittagstische:

134 []„Besser als der Lehrer hat er es gemacht.“

Da fluchte der Adam. Auch noch so etwas, zu was sollte das dumme Zeug auch nützen. Aber der Willi zeichnete von jenem Tage an mit einem Feuereifer überall herum und auf alles, was ihm in die Hände kam; da schimpfte Adam mächtig und verbot das seinem Buben, aber der trieb das Zeichnen im geheimen weiter; zuerst zeichnete er Bäume, Häuser,Felsen. Alles mit unbeholfenen großen Strichen,dann machte er sich an Menschen und Tiere. Mit der Zeit fand er aber seine Zeichnungen nicht mehr schön, und er hätte oft weinen mögen; es wollte ihm nicht gelingen, die Sachen so recht zierlich und fein abzuzeichnen; aber unentwegt zeichnete er weiter und verbesserte sich langsam.

Eines vergaß er über dem Zeichnen, die Schule. Der Bleistift nahm ihm zuviel Gedanken weg, und Ernst hatte schon ein paarmal in der Schule die Sache besser gewußt als der Willi. Der achtete das nicht.Aber Ernst wurde nachdenklich, er las darum viel mehr in seinen Schulbüchern und zwängte sich in langen Nachmittagen alle die widerspenstigen zahlen in seinen Kopf hinein, er ließ nicht locker. Stetig und ständig rechnete er, hatte aber die Augen auch noch für alles andere, was ihn umgab, offen und blieb trotzdem der Träumer, mit einer Sehnsucht in sich, der er keine Worte geben konnte.

Als die Buben wieder das Viertelsahreszeugnis nach Hause brachten, hatte sich zum großen UÜberraschen aller und zur großen Trauer und Rummer der Frau Marei alles geändert, Ernst war der Erste und Willi 717 []der Dritte geworden.

Ernst wartete auf den Beifall, wie ihn Willi gehabt hatte, aber der kam nicht; Frau Marei hatte nur ein g Bedauern mit Willi, es kamen ihr darum die Tränen in die Augen.

Adam machte eher ein mürrisches Gesicht, als ein freudiges. Hoffentlich fing ihm der Ernst nicht auch noch an, wie der Willi. Einer von beiden mußte Bauer werden, unbedingt, und wenn er dem Buben das ganze Leben verderben müßte.

Ernst tat es weh, daß er kein Lobwort erhielt. Nachts im Bette konnte er lange nicht schlafen. Er grübelte darüber nach: was konnte wohl die Ursache sein,warum waren die Eltern so stille gewesen, sogar Tränen hatte die Mutter in den Augen gehabt. Vom Vater war es ja zu guter Letzt nicht anders zu erwarten. Der war so, aber die Mutter. Das konnte er nicht verstehen.

Langsam ging die Türe auf zu dem Zimmer der beiden Buben. Frau Marei kam leise herein, sie wollte keines ihrer Kinder aufwecken, sie hielt eine brennende Kerze in der Hand. Mit der andern beschirmte sie das Licht, daß keine Helle in die Kinderbetten fiel.

Ernst drückte die Augen zusammen, als ob er schliefe.Er wollte jetzt nicht wach sein, wollte nicht mit der Mutter sprechen, mit niemandem. Es hätte ihm weh getan, er wußte nicht warum.

Frau Marei bückte sich zu dem Bette ihres Jüngsten.Sie küßte Willi leise auf die Stirne, dann ging sie sinnend hinaus, der Bube tat ihr weh, es mußte sa 114 []auch ihm weh tun, daß er nicht mehr der Erste war.An Ernst dachte sie nicht.

Ernst saß im Bette aufrecht, als die Mutter hinausgegangen war. Ja, war es denn möglich, daß sie für ihn nichts übrig hatte, nur für den Willi, für ihn nichts Was hatte er denn Böses oder Unrechtes getan vEr wußte es nicht. Jetzt packte ihn das Verlangen nach einem Russe von seiner Mutter. Es blieb dunkel, und als die Türe zum Schlafzimmer der Eltern ins Schloß fiel, legte er sich wieder hin.Langsam verzog er das Gesicht zum Weinen, aber dann biß er auf die Zähne und es gab ihm einen Herzstoß. Es würgte ihn, aber er überwand es; dann schlief er ein.

Des andern Tages hatte der Knabe um den Mund,von der Nase abwärts, zwei feine, feine Einschnitte.Es waren die gleichen Linien, die sich bei Menschen zeigen, die viel Herzeleid haben, über das ihnen nur eine geheime Bitterkeit hinweghilft.8 uf der Schartenmatt gab es in der zeit vieles 4 Ungefäll. Wie in den ersten Jahren das Glück hereingestürmt kam, so nahm in den letzten Jahren das Unglück vieles wieder weg.Es kam langsam.Der Winter hatte nicht allzu reichlich Schnee ge

J

7 []bracht, die Frühlingssonne taute ihn bald weg. Es folgten schöne Tage, der Lenz zog siegreich in das Land, und der Himmel war blau, Tag für Tag.Nie zeigte sich eine Wolke.

Langsam wurden die Wiesen gelb. Und mancher Bauer stand davor oder ging darauf herum, mit trübem Gemüte. Manche Hoffnung verflog und manch Höfchen wurde unhaltbar.

Die Sonne dörrte die jungen Triebe, und als die erste schwarze Wolke am Himmel zusammengeballt über dem Scharten stand, war es zu spät. Die Aussichten für das ganze Jahr waren dahin.

Es gab auch kein Emdgras. Da wurde das Vieh billig, und die Viehmärkte waren befahren, wie nicht seit Menschengedenken. Kein Bauer konnte seinen Viehstand halten. Heu war nicht gegen Geld und gute Worte zu bekommen, und wo es noch einige Strunk gegeben hatte, reichte es nicht aus.Was war da zu tunv Die Weiße oder der Botscheck und das Toggenburgerli oder gar das Lieblingskühlein mußte zu Markt gebracht werden.

Auch den Schartenmättler hatte es diesmal nicht geschont. Statt der unzähligen Heuwagen blieb es dieses Jahr bei ein paar wenigen. Auch das Emdgras wollte nicht recht.

Adam wurde noch finsterer als sonst. Seine gedrückte Stimmung machte sich über den Schartenmatthof her, über Frau Marei, bis hinunter zum Futterbuben.Adam biß sich auf die Zähne. Er hatte da noch einen großen Heustock vom letzten Jahre übrig. Aber wenn er rechnete, was war das gegen die vielen 118 []Ställe voll Viehr Nichts, es mußte nur zu bald aufgefressen sein. Für zwanzig Stück hätte es vielleicht gereicht. Es tat ihm weh, wenn er daran dachte,daß er sein Vieh verkaufen sollte.Er grübelte über alles mögliche nach, wie es sich wohi abwenden ließ, aber er kam auf nichts.Noch schlimmer war es mit seinen Pächtern bestellt.Die hatten nie an schlechte Jahre gedacht und immer Vieh auf ihre Höfe gesteũt, soviel sie des Futters wegen stellen konnten, keiner hatte, wenn der Frühling kam, noch etwas Dürres übrig. Dafür aber eine um so größere Hoffnung. Und als da die Sonne kam, so schön und warm, tagein, tagaus, da machte mancher ein bedenkliches Gesicht. Die Hoffnungen flogen auf und davon, und sie standen vor dem Bankerott.Dadurch wurde auch Adam schwer geschädigt. Er hätte närrisch werden können. Jetzt sollte vieles hingehen, das er sein Leben durch erse chafft hatte. Das durfte nicht sein, es mußte Auswege geben.Aber es gab keine.Adam überwachte selbst seinen Heustock, er selbst schnitt das Heu herunter, das mit Stroh und Kraftmehl vermischt verfüttert wurde. Er gab schon nicht zu viel und trotzdem schwanden die Vorräte, es hielt bis anfangs Winter, dann ging er in die Ställe,verlas das Vieh und führte die erste Lieferung auf den Markt. Dort mußte er mit Schaden verkaufen.Das wäre das allerschlimmste nicht gewesen. Aber die Pächter konnten die fälligen Zinsen nicht bezahlen, und zuzusetzen hatten sie auch nichts. Es 19 []waren arme Leute, soweit recht und strebsam, aber sie konnten ein schlechtes Jahr nicht ertragen.Adam hätte die Leute von hren Höfen jagen können,aber er tat es nicht, er war zu vernünftig dazu. So hätte er ja nie Geld bekommen,; er stundete die Pacht und hoffte auf das nächste Jahr

Die Pächter waren glücklich und die Leute in der Umgegend lobten Adam, aber die Bank in Dornach schaute vorsichtig aus und fand nichts zu lob en; sie wollten dort Geld sehen, ängstlich warteten sie auf den Cermin Adams; der kam heran und Adam zahlte.Jetzt lobte auch die Bank in Dornach Adam.Adam aber war froh, daß er in seinem Geldschrank wie auf der Heubühne einen Stock angesetzt hatte,er konnte doch etwas aushalten, was andere nicht hatten aushalten können.

Und wie im Frühling, der leise in warmen Tagen erwachte, alles ein schönes Aussehen hatte, kam auch ihm die Hoffnung wieder, und als dann auch der Begen kam und der Heuet gut wurde, hatte Adam seine Freude.

Er wußte, daß es wieder ging.

Die Schartenmatt hätte sich roieder erholt trotz dem Mißjahre und trotz der Einbuße bei den Viehver käufen. Aber es waren die Pachthöfe, die den Adam nicht recht auf kommen ließen.

Adam hätte die Pachtzinse verschoben, aber trotz den guten Aussichten des neuen Jahres war es den Pächtern nicht möglich, ihren Verpflichtungen nachzukommen, denn sie mußten unter ganz anderen Umständen arbeiten als der Schartenmättler 15 2 []Als das Futter ausging im letzten Jahre, kamen die Viehhändler, von denen die Pächter ihr Vieh gekauft hatten, verlangten die fälligen Termine, woher aber hätten die Leute das Geld dazu hernehmen sollen Sie hatten nichts, nur den guten Willen.Damit waren die Juden nicht zufrieden, und von ihrem Standpunkte aus hatten sie ja recht. Sie konnten nicht anders handeln, sie konnten ein gutes Geschäft dabei machen. Die Hälfte der Termine war bezahlt, und die Kaufverträge gaben ihnen das RBecht in die Hand, sobald ein Termin nicht eingelöst wurde, nach einer bestimmten Frist das Vieh als ihr Eigentum von den Höfen wegzuführen und in ihre Ställe zu stellen.

Die Pächter gingen nach Dornach, die Bank dort war ihre letzte Hoffnung. Sie wollten Geld aufnehmen, aber der Direktor war auch Geschäftsmann, nur Geschäftsmann. Er konnte sich um das Ach und Wehe der Bauern nicht kümmern, das durfte er nicht, er mußte Rechenschaft geben, wohin das Geld kam, das er verlieh. Er konnte nicht helfen.

Da gingen die Bauern wieder nach Hause, enttäuscht und hoffnungslos. Die Pacht waren sie schuldig, das Vieh konnten ihnen die Juden zu den Ställen heraus holen, die letzte Frist war baid verstrichen, was sie die Jahre durch erworben hatten,war dahin. Sie hatten sich geplagt und abgeschunden, was sie erübrigen konnten, mußten sie an ihre Viehware bezahlen, sie konnten essen, arbeiten und ihre Termine einhalten, und das konnten sie nur

7 28 []mit Auf bietung aller Kräfte, und setzt war das traurige Ende vom Liede da, ihr Hab und Gut kam an den Geltstag.

Adam wußte genau, wie es um seine Leute stand,er wollte ihnen helfen.

Er ging darum nach Dornach auf die Bank.Mit einem reservierten Gruß empfing ihn der Bank direktor. Adam stutzte, sonst war der anders zu ihm gewesen.

„Waswollen Sie, Herr Berger“ fragte der Direktor kühl.

Adam war harmoäckig, er ließ sich so leicht nicht aus der Fassung bringen.

„Ich will für meine Pächter bürgen, Herr Direktor.“

Der Direktor machte ein undurchdringliches Gesicht,er ging im Zimmer auf und ab, blieb dann am Fenster stehen und schaute auf die Straße hinaus.Es gab eine große Pause.

Dann fragte der Direktor:

„Wie stehen Sie momentan, Herr Berger“Adam ärgerte sich. So etwas hatte früher der andere nie gefragt, er hatte immer nur ja gesagt, mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt.

Adam antwortete schroff:

„Ich kann es zum mindesten durchdrücken.“Wieder überlegte der Direktor, dann ging er zur Tür und rief in das nebenanstoßende Bureau:„Herr Bossart, schlagen Sie mir doch bitte das Konto des Herrn Berger auf und bringen Sie mir das Buch herein.“

15

43 []Der Angestellte brachte rasch das Buch und entfernte sich wieder.

Der Direktor rechnete die Schuld Adams zusammen,dann schaute erwieder zum Fenster hinaus und sagte:„Ihr Konto ist auf beinahe 450000 Franken zusämmengelaufen, Ihre Güter haben etwas über 000 ooo wert, wenn ich noch mehr Kredit gewähre,denn Ihnen gewähre ich den Kredit, nicht den Pächtern, wo bleibt dann noch für mich die Sicherheit“ Ich glaube, daß ich dieses Geschäft nicht effektuieren kann.“

Adam war wie vor den Kopf gestoßen, heftig entgegnete er:

Bin ich Ihnen als Person nicht sicher genug““Der Direktor lächelte verbindlich:

„Gewiß, aber “ er unterbrach sich.

„Aber v

„Ich kann die Verantwortung nicht auf mich nehmen.“

Da brauste Adam auf.

„Also in guten Tagen sind Sie einem Freund, aber dann, wenn das Unglück an einen kommt, nicht mehr.“

Der Direktor zuckte mit den Achseln, was kümmerte ihn das Unglück des andern, er brauchte nur genügende Sccherheit.

Adam wollte gehen, unter der Tür sagte er:„Mit Ihnen habe ich gearbeitet.“

Das war dem Direktor nicht lieb, man konnte nicht wissen, in besseren Zeiten war man wieder froh über den Schartenmättler; er wollte vermitteln.23 []„Ich will mein Wöglichstes tun, Herr Berger,“ sagte er darum, „ich will Ihr Gesuch dem Bankrate vorlegen, auf meine beste Empfehlung dürfen Sie sicher rechnen.“

Adam ging nach Hause. Er hatte kein rechtes Vertrauen mehr zu seinem Glücke. Der Trotz in ihm wuchs sich mächtig aus. So leicht wollte er das Vorgenommene nicht fahren lassen.

Der Bankdirektor rief seinen Korrespondenten zu sich herein und diktierte ihm eine Ablehnung auf das Gesuch des Adam Berger, ohne auch nur den Bankrat zu befragen. Er hatte vorher noch einmal das Buch verglichen und konnte nicht weiter gehen.Er mußte seine Sicherheit haben. Als Adam den Brief des Bankdirektors erhielt, blieb er ziemlich gleichgültig, er hatte ja so etwas erwartet. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und rechnete nach, nahm den Katasterplan seines Gutes zur Hand, verglich die hypothekarischen Belastungen des Schartenwaldes. Dann ging er hinaus, den Berg hinauf in das Gehölz. Er zeichnete einen ganzen Tag mächtige Stämme an, die wohl hundert Jahre alt waren,maß das Holz aus, berechnete den Wert davon,zog von der Summe die Arbeitslöhne ab, das Endresultat verglich er dann mit der Hypothekarforderung, es blieben ihm etwa fünfundvierzigtaus end Franken netto nach den Ablösungen in der Tasche,damit konnte er helfen.

Das Holz mußte fallen.

Des andern Tages ging er wieder nach Dornach auf die Bank.

24 []Überrascht schaute der Direktor den Schartenmättler an. Der Weltmann, der sich sonst in Gesichtern gut auskannte, wußte nicht, was Adams entschlossene Miene zu bedeuten habe.

„Ich kündige Ihnen die Hypothek, die Sie auf meinem Schartenwalde haben,“ sagte trocken mit einer innerlichen Genugtuung der Bauer.

Jetzt wußte der andere, woran er war. Das war ẽes also, der Schartenmättler wollte sich von seiner Bank frei machen. Es ärgerte ihn, denn Adam war ein guter Klient gewesen und die Bank verlor ihn nicht gerne. Der kluge Mann hätte sich Adam am liebsten für bessere Zeiten aufgespart, aber er konnte es nicht ändern.

Jetzt nickte er nur und ließ sich seine Verstimmung nicht anmerken.

„Ich will das Holz schlagen und Sie aus dem Erlös zuerst befriedigen, ich hoffe, daß Sie nichts dagegen haben.“

Der Direktor stutzte.

„Ob das meine Verwaltung zugeben wird, ehe wir ausgelöst sind, weiß ich nicht.“

„Sie haben ja kein Risiko dabei.“

Der Direktor wollte dem Schartenmättler auf das wenigste zeigen, daß er die Macht in den Händen hatte. Er antwortete darum:

Ich glaube kaum, daß es geht, aber die Kündigung nehme ich selbstverständlich an.“

Adam wurde zornig, das hatte er nicht erwartet.„Sie wollen mich also einfach schädigen x fragte er heiser.125 []Der Direktor blieb kühl.

„Ich will meine Sicherheit, Herr Berger.“

„Und ich sage Ihnen, Herr Direktor, der Wald wird gschagen

Der andere lächelte nur.

„Das werden wir ja sehen,“ sagte er.

Er rief einen Schreiber auf sein Bureau. Ohne Adam weiter zu beachten, gebot er dem Angestellten:„Schreiben Sie an das Forstamt, daß ein Schlagverbot auf Grund unserer Hypothekarforderung auf den Schartenwald ausgestellt wird, Inhaber des Waldes Adam Berger.“

Adam würgte der Zorn, aber in seinem alten Trotz schrie er den Direktor an:

„Und ich schlage den Wald trotzdem.“

Wieder antwortete der andere gelassen:

„Das werden wir sa sehen.“

Adam ging.

Er besann sich und grübelte, was er tun könnte.Da durchzuckte ihn auf einmal ein Gedanke: Das Grünersche Erbe, das seinen Kindern war und das er auf der Herrenmatt als Hypothek angelegt hatte,wenn er das Geld flüssig machte, das Kapital aufkünden und das Ganze der Bank übergeben würde Das könnte er tun, da war der Direktor dabei, das wußte er sicher.

Freilich der Herrenmättler, der würde das nicht aus halten, der würde dadurch um seinen Hof kommen.Aber was war ihm schließlich an dem Herrenmättler gelegen Nichts.

Zuerst kommt Adam Berger.

120 []Und dann die Pächter, die konnte er so auch halten.Dann konnte er immer noch den Wald schlagen und er stand fester als zuvor.

Er kündete dem Herrenmättler das Kapital und übergab das ganze Geschäft der Bank.

So kam bei Adam Berger wieder alles zu Glück.Der Herrenmättler aber konnte nicht sehen, wie sein Hof vergeltstagt wurde. Darum betrank er sich vorher einmal recht tüchtig, ging auf den Scharten und stürzte sich die sache Wand hinab.

Er sei totgefallen, sagte man, und es wäre so für den armen Teufel auch das Beste gewesen.

Der geistliche Herr hielt noch eine schöne Rede am Grabde des Verunglückten.

Dann wurde die Erde über ihm eben gescharrt und der Herrenmättler machte nicht mehr groß von sich reden.88

Ser alte Lehrer in Gempen wurde pensioniert

O und ein junger rückte auf. Der alte Schulmeister meinte halb traurig halb bösartig bei seinem Abschied von der Schulstube:„Es ist allemal gut, wenn man geht, denn es wäre ja ein großes Unglück, wenn wir Alten blieben, wo wollten da auch die Jungen hin, wir Alten müssen halt gehen, damit die Jungen Platz haben.“12

7 []Damit beendete er seine Schaffenszeit, mietete sich in Dornach billig ein, fristete dort noch ein paar Ausruhetage, um gestärkt und gerüstet seinen langen,langen Schlaf anzutreten.

Tommen hieß der junge Lehrer von Gempen, es war ein biederer Mensch, grob und ehrlich, nur hatte er einen Fehler. In seinem Kopfe spukten allzu neue und zeitjunge Ideen und Weltanschauungen, das sahen die Gempener nicht gerne. Besonders der Herr Pfarrer, der mit der Zeit auch älter geworden war, ärgerte sich weidlich über den jungen Löli, der da wohl nichts anderes zu tun hatte, als den Leuten Sachen zu erzählen, die mit der Bibel keine Bewandtnis hatten. Sicher war ihm, daß der neue Schulmeister ein blutroter Soʒzialist war. Wenn dem nicht so gewesen wäre, warum hätte denn dieser Tommen Tabellen und Statistiken mitgebracht, was hatten sich auch die Leute in Gempen darum zu bekümmern wie die Arbeitsverhältnisse anderwärts waren Das war alles dummes Zeug, das auch zum Schlusse die Gempener nichts anging, denn die hatten, wo es nicht Bauern waren, ebden ihre Wellen zu knüpfen, Taglöhnerdienste zu leisten, dafür bekamen sie auch ihr Essen und fünf Batzen im Tage Lohn, die Wohnungen waren ja billig, also konnten sie ganz gut auskommen. Sie brauchten sa nicht zu heiraten und einen Stall voll Kinder zu bekommen,sie konnten ja ledig bleiben, sie hatten es sa dann recht und schön und die Bauern konnten bestehen.

Was brauchte da auch dieser Schulmeister zu kommen, um den Leuten Grillen in den Kopf zu setzen,

128

9 []das gab nur böses Blut und der Frieden in der Gemeinde, auf den er, der Pfarrer, so stolz war, ging flöten. Er nahm sich vor, mit dem sungen Menschen einmal ordentlich zu reden.

Sie trafen sich in der Krone.

„Wißt Ihr, Lehrer, es heißt, gestrenge Herren regieren nicht lange.“

Der Tommen schaute den Pfarrer an, gerüstet zu jeder Fehde:

Aber sie regieren doch einmal und das ist die Hauptsache, und wißt Ihr, es heißt auch, neue Besen fegen gut. Hier in Gempen ist es die höchste Zeit,daß Ihr einen neuen Besen bekommt. Hier muß auf geräumt werden mit eurer Blutsaugerei und Leuteschinderei.“

Der geistliche Herr wollte etwas sagen, er bekam vor dorn einen knallroten Kopf und blähte sich auf wie ein welscher Guhler. Aber zum Reden kam er nicht. Der Schulmeister nahm seine Kappe vom VJagel, sagte ein Gottbefohlen und ging hinaus

Da konnte der Pfarrer nur hinterdrein schimpfen,etwas anderes blieb ihm nicht übrig.

Das Gebaren des Schulmeisters Tommen kam auch dem Adam zu Ohren. Der stutzte ganz gewaltig und war betroffen. Was sollte denn das nützen Er konnte nicht begreifen, daß in der Welt,die außerhalb der Gemeinde Gempen lag, eine neue

Luft zu wehen begann, langsam aber stetig. Er nahm sich vor, einmal nach Gempen zu gehen, um selbst mit dem Manne zu reden, er wollte ihm die

Windbeuteleien schon zum Kopfe hinaustreiben.

Rurz, Die Schartenmättler.12 []Er fragte seine Buben, wie es denn eigentlich mit dem neuen Schulmeister ginge, aber es wurmte ihn gehörig, als die Bengel rundheraus erklärten, daß zwischen dem Alten und dem Tommen gar kein Vergleich sei, und daß sie überhaupt nicht mehr in die Schule gingen, wenn sie einen andern Schullehrer bekämen.

Adam sagte nichts, was wußten schließlich auch die Buben. Er ärgerte sich über den Tommen.Einige Tage später ging er nach Gempen.

Dort fragte er das Emilie, wo der Lehrer wohne.„Beim Baschie, Adam.“

Dankschön, Emilie, was treibt er denn eigentlich,was ist er für Einer

Das Emilie lachte über das ganze Gesicht.

„Geh nur einmal hin zu ihm, Schartenmättler,dann kannst du was hören, gegen den kommst du nicht auf.“

Das ärgerte Adam aufs Neue. Was glaubte denn das Emilie von ihm, er war doch kein Bub mehr.„Meinst du ⁊ knurrte er und ging schnurstracks zum Baschie.

Er pochte an die Haustür, des Baschies Frau kam ihm entgegen.

Grüß Kuch Gott, Adam. So, so, kommt Ihr auch zu uns.“

„Ist der Schulmeister da“ fragte Adam.

Was wollt Ihr denn mit dem, Adam v

„Ich will etwas mit ihm reden.“

Er ist im Stall, Schartenmättler.“

Adam schaute die Frau verwundert an, er wußte

130 []nicht, was das bedeuten sollte.

„Ja, was Teufels macht denn der dort v

Ihr müßt wissen, Adam, der Baschie ist seit zwei Wochen in Liestal im Spital. Jetzt besorgt mir halt der Schulmeister den Stall und alles, es wollte ja niemand zu mir kommen, ich bin froh über den Tommen, das dürft Ihr mir glauben.“

Es gärte in Adam; also auch noch einem armen Teufel nahm er die paar Batzen weg, die dieser hätte verdienen können, er wollte es aber dem Schullehrer schon sagen, nur Geduld.

„Wieviel Lohn müßt Ihr ihm denn dafür geben vDa lachte die Frau auf.

„Lohn, glaubt Ihr, du lieber Gott, das ist es sa gerade, ich hab' doch kein Geld. Der Baschie kostet mich, was ich auf und an bringe, darum macht es sa eben der Tommen; Lohn! Ja, er gibt mir jetzt auch noch das doppelte Kostgelĩd, so ist die Sache.“Da wurde Adam doch ordentlich neugierig auf den Menschen. Was war denn das für eine Sorte“Den Gempener Tagelöhnern sagte er, sie sollen nicht umsonst arbeiten, alles sei Geld wert, und er selbst besorgte dem Baschie seiner Frau den Hof. Hatte er am Ende gar etwas mit ihrv

Mißtrauisch schaute Adam auf, aber da sah er, daß die Frau hochschwanger war; setzt wurde ihm der Tommen ganz und gar rätselhaft, und er bekam unwillkürlich Respekt vor dem Manne.

Adam ging in den Stall.Dort saß unter einer rotse checkigen Ruh der Schulmeister und melkte das Tier herzhaft und wehrschaft.

X

7 []Wortlos schaute ihm der Adam zu, er beobachtete ihn aufmerksam, und als er das häßliche Gesicht des Schulmeisters sah, war all sein Arger gegen den Mann vergangen, er gab ihm die Hand und sagte herzlich:„Grüß Gott.“Tommen schaute den Adam scharf an.„Ihr seid der Schartenmättler fragte er dann.FJa, das bin ich, Schulmeister.“AIhr habt zwei brave Buben, Schartenmättler, die werden einmal was Rechtes werden, beide, einer wie der andere, Bauern gibt das keine.“Adams Gesicht wurde finster, des Lehrers Meinung erfreute ihn nicht groß.Darum antwortete er dem andern:„Wir wollen hoffen, Schulmeister, daß es zwei cüchtige Bauern gibt und nichts sonst.“Der Tommen lächelte.„Hängt Ihr denn so an Eurer Tradition““ fragte er dann.Der Adam wurde aufs Neue ärgerlich.„Glaubt Ihr denn, Schulmeister, daß ich mich umsonst mein Leben durch abplage und quäle, meinen Ehrgeiz habe und etwas machen will“ Nein, das sollen meine Rinder bekommen und weiter treiben.“Jetzt flammte auch in dem Lehrer der dorn auf, das war wieder der rechte, echte Bauer, der vor ihm stand, hartköpfig und eigensinnig, ohne Bücksicht auf andere wollte der nur seinen Willen durchzwingen.Fast drohend sagte der Tommen:

138 []„Und ich sage Euch, Schartenmättler, von Euern Buben wird keiner ein Bauer werden, dazu sind sie viel zu gut angelegt, die sind nicht aus dem gleichen Holz geschnitten wie Ihr, in ihnen ist etwas Weicheres,Feineres, und wenn Ihr es herumbiegen wollt, zu Euch herab, dann wird es abstehen und Ihr habt den Schaden.“

Adam schaute auf, im Grunde genommen, hatte sa dieser Schulmeister nicht so unrecht. Seine Buben waren nicht wie er, es war etwas in ihnen, das ihm fremd war, aber das war schließlich seine Familiensache und ging den Schulmeister nichts an. Und zudem hatte er sich das Ende all die Jahre zurechtgeträumt: die Kinder sollten groß machen, was er angefangen hatte. Sollte das nun etwa nicht eintreffen, nur weil seine Buben nicht dazu veranlagt waren v Da müßte er doch erst schauen.

Aber darum war er ja auch nicht zu dem Schulmeister gekommen.

„Ich habe mit Euch noch etwas anderes zu reden,“brach er barsch das Gespräch ab.

„Was denn, Schartenmättler

Was bringt Ihr für neue Ideen in unser Dorf hinein, und was für Geschichten erzählt Ihr unsern Tagelöhnern, Schulmeister

Der Tommen blickte den Adam bitterböse an, es würgte ihn, dem da zu sagen, daß er auch einer der Schinder sei, die nicht wollen, daß man den Armen die Wahrheit sage, nur damit sie ihnen den guten Profit nicht verderben. Aber der Adam sollte nur warten, er wollte schon dafür sorgen, daß es anders 132 []käme. Das Lüftchen, das in der Welt draußen wehte,sollte auch einmal ein wenig in die Berge hineinblasen.

Adam wurde unruhig, der Schulmeister sah ihn nur an und sagte nichts, darum fragte er noch einmal:„Was für Geschichten erzählt Ihr den armen Leuten bei uns, was verdreht Ihr ihnen den Kopf v“

Da brach der Tommen los:

„Geschichten, Schartenmättler, die diese armen Teufel, diese Geplagten, schon längst hätten hören sollen, Geschichten, die euch Schinder erzählen, wie ihr diese Menschen ausnützt, ihr Hungerleider, ihr Reichen vermaledeiten.“

Adam lachte laut auf, ob dem Zorn des Lehrers,aber er hörte die Worte nicht gerne. Er wollte zum Stalle hinausgehen, aber der Schulmeister sprang auf, schlug die Türe zu und schrie:

„Hören sollst du mich jetzt, du Schindbauer, und nicht weggehen.“

Das war dem Adam zu bunt, er faßte den Lehrer unter den Armen, hob ihn in die Höhe wie ein Kind,öffnete die Tür und stellte den Tommen wieder auf die Füße.

„So, Schulmeister, so mach' ich es immer, wenn mich einer zwingen will, jetzt erzähle weiter, setzt will ich hören.“

Adam glaubte, der Lehrer sei nun klein geworden,aber der zog weiter vom Leder.

„Eure Ochsen mästet Ihr im Winter, Ihr laßt die Viecher dann nichts schaffen, Eure Kühe schont Ihr nach Möglichkeit, aber Eure Taglöhner saugt J

44

1 []Ihr aus, Ihr gönnt ihnen nichts, Ihr haltet sie anter Eurẽem Vieh, das ist eine Schande, schämt Euch, pfui Teufel.“Adam fuhr auf er hielt seine Leute von jeher gut,er bezahlte ihnen höhere Tagelöhne als die andern,was fiel denn dem Lehrer ein?Ihr seid verrückt, Schulmeister.“Aber der gab nicht nach, er machte weiter.„Glaubt Ihr etwa, weil Ihr Euren Knechten recht u essen gebt, seid Ihr besser ¶Bildet Euch nur das nicht ein, haltet zuerst einmal Eure Leute wie Menschen, haltet sie so, daß sie leben können, dann seid Ihr ein Rechter, aber so “Adam unterbrach ihn.„Wollt Ihr mir Vorschriften machen, Schulmeister v fragte er drohend.Jawohl /will ich das, Schartenmättler.“M Adams Gesicht zeigte sich ein böser zug Dann sollt Ihr hinausfliegen aus Gempen, Schulmeister, des seid sicher.“Tommen fuhr zusammen, aber der Trotz blieb in ihm wach.„Wollt Ihr dafür sorgen, Schartenmättler vNa ich/ Schulmeister, und ich bringe es durch.“Tommen wußte, daß es um sein Lehramt in Gempen geschehen war, darum sagte er:Einsiweilen bleibe ich noch hier, ein Jahr geht es,bis Ihr mich heraus bringen könnt, und dieses Jahr wird Gempen gut tun,“ und leise setzte er hinzu, „und Euren Kindern, Schartenmättler.“„Ihr braucht Euch nicht um meine Kinder zu be14 []kümmern, das geht Euch nichts an.“

Der Schulmeisier lächelte, darin wußte er, daß er stärker war als der Schartenmättler, das sollte seine Rache sein.

„Eure Kinder sollen nicht verbauern, des seid versichert.“

Adam wandte ihm den Rücken und ging seinem Hofe zu. Er war nicht trotzig und eigensinnig, er war bedachtsam und fing an sich zu fragen, ob andere Menschen außer ihm nicht auch einmal recht haben könnten, und wenn er auch den vermitteinden Gedanken immer und immer wieder verwarf, so dauerte es nicht allzu lange, bis er wieder auftauchte. Immer ernster und eindringlicher, und zuletzt gab sich ihm Adam hin, kämpfte mit ihm, zerrte ünd riß nach allen Seiten. Aber das Recht kam nicht zu ihm hinüber, der Tommen hatte recht, die Tagelöhner waren auch Menschen.8

ie Bauern kamen in der Krone in Gempen

D zusammen, um sich gegen die Umtriebe des Tommen zu beraten. Auch Adam ging hin.

Er setzte sich stille in einen Winkel beim Fenster und schaute dem Treiben zu.

Ehe die eigentliche Zusammenkunft begann, redeten die Bauern untereinander, sie politisierten, schlugen 134 []auf die Tische, schimpften auf die Juden und machten so einen Höllenlärm.

Da eröffnete der Ammann die Sitzung.

„So haltet jetzt doch eure Schnuren,“ schrie er unter die Bauern.

Er mußte seine Worte zuerst noch ein paarmal wiederholen, ehe es Ruhe gab; als er aber heftig mit dem dicken Bierglas auf den Tisch klopfte und schimpfte,schwiegen die meisten, und nach einigen weiteren Grobheiten von dem Ammann waren auch die letzten Schreier stille.

Der Ammann begann:

„Wir sind heute darum beisammen, wegen dem Tommen nämlich, ihr wißt sa alle, wie es der Löli treibt, also was müssen wir machen! “Fragend schaute der Ammann herum, strich sich mit der Linken über den buschigen langen Schnurrbart,nahm dann mit der Rechten sein Bierglas und trank und trank.

Da meinte ein junger Bauer, der Herrenmättler, der den Hof auf dem Geltstag erstanden hatte:

„Ich meine, das beste wäre, wenn wir dem Tommen ein paar hinter die Ohren hauen würden.“Vernichtend sah der Ammann den Herrenmättler an.„Du bist ein Kalb, Herrenmättler, so machen es die Schülerbuben, aber nicht Männer wie wir sind; hat sonst noch Einer etwas zu sagen

Alle schwiegen. Da sagte der Ammann wieder:„Ich glaube, es wäre das beste, wenn wir eine Beschwerde über den Schulmeister Tommen an die Regierung in Solothurn abgehen ließen, das würde sich

7 5

7 []schon bewähren, meint ihr nicht auch

Er blickte umher, er warstolz, daß er diesen GFempenern da wieder einmal gezeigt hatte, wie man so etwas anstellen muß, die konnten mit ihrem Ammann zufrieden sein.

Da regte sich der Schartenmättler:

„Ammann, das geht nicht, wie Ihr glaubt.“Überrascht schaute der Ammann auf er hätte dem Adam am liebsten sein Bierglas an den Kopf geworfen, aber er traute sich nicht recht, Adam war ihm ein zu großer Bauer die Zeit über geworden.Er meinte darum nur:

„Wieso nicht v

Der Schartenmättler schaute sich um, spöttisch und überlegen, dann fragte er:

„Glaubt Ihr denn wirklich, daß der Tommen so ganz unrecht hat

Die Bauern wurden unruhig. Sie fingen an zu schimpfen und begehrten auf, das war denn doch auch schon nicht mehr schön, wie es der Adam jetzt trieb,der half setzt auch noch dem Tommen.

Der Ammann aber fragte den Adam:

„Ja, hat er etwa nicht unrecht

Fest antwortete der Schartenmättler:

„Nein, Ammann, nein, ihr da alle. Er hat nicht unrecht, recht hat er, schaut doch einmal nach, wie die Taglöhner und Leute anderswo bezahlt werden.Geht nur nach Dornach hinunter, das ist doch nichts,ich auf jeden Fall mag die Schande nicht auf mich nehmen, ich bezahle die Leute recht und damit bastal“Als Adam stille war, brummten die andern noch mehr

158 []und der Herrenmättler machte sich groß und schrie:„Das kannst du halten, wie du willst, Adam, und wir halten es, wie wir wollen, der Schulmeister muß rausfliegen, und wenn du ihm hilfst, fliegst du mit ihm raus.“

Alle waren stille, denn sie erwarteten einen Streit zwischen den beiden.

Der Adam sagte nur:

„Du bist besoffen, Herrenmättler, sonst würdest du nicht so ein dummes Maul haben.“

„Und er fliegt doch raus,“ sagte der Herrenmättler und trat dicht hinter Adams Stuhl und zischte ihm in die Ohren:

„Wenn du nicht mucksstill bist, sage ich, daß du wider Recht die Hypothek gekündigt hast.“

Baff sah Adam auf und stammelte:

„Welche Hypotheky

Die vom Grüner.“

Da schwieg der Adam, aber was in seinem Innern vorging, davon kann man sich nur schwer eine Vorstellung machen. Zum erstenmal in seinem Leben mußte er sich offentlich unter seinem Unrecht beugen. Davon werde ich mich so bald nicht erholen, dachte er, bezahlte seine Zeche und verließ die Wirtsstube.

Die Versammlung verlief unter Lärmen, es wurde lange dies und das und jenes beraten, bis die meisten betrunken waren. Zustande kam aber nichts und der Tommen blieb ungestört im Amt.

Die Bauern in Gempen hielten fest an den alten Tagelöhnen, da kam der Heuet heran, alles war gut gewachsen, Futter gab es wie schon lange nicht mehr,138 []die Bauern freuten sich, aber wie der Heuet anging,streikten die Tagelöhner, sie wollten nur gegen den Tagelohnarbeiten, den der Schartenmättler bezahlte.Die Bauern setzten aber auch ihren Trotzkopf auf.Adam brachte sein Futter alles schön herein.Dann kamen vom Welschland her trübe graue Wolken und hingen sich wie Nebel an den Scharten.Es gab lange Tage schlechtes Wetter. Viel Futter verdarb vor lauter Uberreife draußen auf den Wiesen und den Bauern wurde bedenklich zumute.

Als wieder, nach drei langen Regenwochen, der Himmel auf blaute, gaben die querköpfigen Bauern doch nach. Einer nach dem andern bezahlte ordentliche Tagelöhne und fluchte im stillen.

Adam aber freute sich, wie er über seine Wiesen schaute und sehen konnte, daß das Emdgras wieder nachwuchs, er freute sich, daß er der Vernünftige gewesen war und die andern, die das Unrecht nicht hatten einsehen wollen, zum Schluß jetzt den Schaden hatten.Die Sonne brannte zu heiß hernieder und ließ auf den kahlgemähten Matten ein Emd nicht mehr wachsen.Sie dörrte den Boden aus und verbrannte die zarten Triebe. Bei Adam aber war der Boden schon gut bewachsen, die Sonne konnte seinem Emd nichts anhaben.

Da kam einmal der Schulmeister Tommen zu Adam.Adam war verwundert, was konnte der Lehrer auch von ihm wollen.

Der Schulmeister sagte:

„Ihr wundert Euch, Schartenmättler, daß ich auf Euren Hof hinausgekommen bin.“140 []„Soll ich mich nicht wundern deswegen“

Der Schulmeister sann ein Weilchen vor sich hin,dann meinte er:

„Eigentlich tut es mir leid wegen jenem Mal, Ihr wißt schon, was ich meine.“

Adam wußte nicht, wohinaus der Tommen wollte,darum fragte er ihn:

„Was meint Ihr, Schulmeister “

Es kam dem Schulmeister hart an zu sagen, was es war, das ihn drückte, er wischte sich den Schweiß von der Stirne und meinte mürrisch:

„Nun wegen jsenem Male im Stalle beim Baschie,dorten habe ich Kuch unrecht getan, das ist mir leid.“ Er atmete auf, „so, jetzt ist es heraus und Ihr wißt es.“

Adam verzog den Mund zu einem derben Lachen, er sagte aber nichts weiter. Wenn der Tommen glaubte,daß er ihm unrecht getan habe, so konnte das ihm nur recht sein, es war sa nicht nötig, daß semand glaubte, er habe ihm, dem Schartenmättler, etwas zugute getan.

Der Schulmeister rückte aber weiter aus mit dem,was er noch im Kopfe hatte.

„Wie wäre es, Schartenmättler, wenn wir beide,Ihr und ich, Gempen ein wenig reformierten Das war nicht Adams Sache. Er wollte ja schon recht gegen die Leute sein, die bei ihm dienten, aber etwas mit in die Hand nehmen, das allen gelten sollte,das konnte er nicht, das nahm ihm zuviel Zeit weg.Er dachte auch an die Drohung des Herrenmättlers.„Nein, Schulmeister, damit ist es nichts. Was die 251 *[]Leute auf meinem Lande angeht, die sollen es alle recht und gut haben, aber die andern müssen halt schauen, wie sie durchkommen. Da kann ich mich nicht drein mischen.“

Alles Beden des Tommen nützte nichts, Adam blieb starr bei dem, was er der Schulmeister ging wieder Gempen zu, enttäuscht und verwundert, er konnte den Schartenmättler nicht verstehen. Dazumal in jener Versammlung hatte der Adam den Ausschlag gegeben, für ihn war er eingetreten, hatte die ganze Bewegung der Bauern gegen die Tagelöhner zu Wasser gemacht, er gab selbst das gute Beispiel,zahlte den höchsten Tatzelohn und jetzt wies er ein fach sedes weitere Mitwirken für die gute Sache von der Hand.

Der Schulmeister wußte nicht, was den Adam schon die Parteinahme für die Tagelöhner gekostet hatte.Der Herrenmättler ging mit bösen Reden um und hatte ihm schon oft genug gesagt, daß er mit der Sache herausrücken werde, sobald er mit dem Tommen weiter gemeinsame Sache mache. Das mit den Löhnen sei schon eine schlimme Probe auf seine, des Herrenmättlers, Geduld. Aber wenn es dabei bleibe, wolle er selbst ruhig zusehen, wie die Schartenmatt an den hohen Löhnen zugrunde gehe.

Es waren nicht nur die Löhne, die den Ertrag der Schartenmatt drückten. Das Schlimmste von allem war, daß er, der Adam, sich so etwas sagen lassen mußte. Und er dachte daran, wie er es dem Ehrsam gemacht hatte, aber jetzt war an so etwas gar nicht zu denken.

142 [7]ahre vergingen.

Adam war älter geworden, die Jahre hatten * ihn nicht geschont. Durch seine Haare zogen sich weiße Fäden, sein Antlitz sah noch markanter aus denn früher, und sein Wesen war noch herrischer geworden im Hause. Nur draußen im Dorf, da war sein Auftreten nicht mehr so sicher. Und das mußten die zu Hause auch noch oft entgelten.Er wurde von niemand geliebt.Selbst bei Frau Marei war die Liebe mit der Zeit zur bloßen Achtung geworden. Dafür schaute sie aber um so zärtlicher auf ihre beiden Buben. Besonders der Willi war ihr an das Herz gewachsen.Ernst und Willi, die beiden Söhne des Adam, waren nun schon sechzehn und siebzehn Jahre alt. Sie hatten sich gut herausgemacht.Ernst war ein kräftiger Bursche mit breiten Schultern und derber Gestalt, aber sein Antlitz war sinnend und seine Augen verträumt. Er hatte immer noch seinen Waldrand lieb. Der Jüngling träumte noch viel heißere und sehnsüchtigere Träume in das Tal hinab und über die Berge hinaus, der Welt entgegen,als der Knabe. Es war ihm manchmal, es müsse ihm das Herz zerspringen, oder er müsse auf und davon, hinaus irgendwohin, zu Menschen, fort, fort,weit. Aber er bezwang diese Unruhe in sich immer und immer wieder, er blieb nach des Vaters Wunsche auf dem Gute, klagte nie, nicht einmal sich selbst wollte er sein Heimweh nach etwas Fremdem, Schönem eingestehen. Er ließ sich willig von seinem Vater unterrichten und wurde so ein tüchtiger Landwirt.14

5 []Anders war es um Willi bestellt, der warffeiner, zierlicher als sein Bruder und kleiner. Er war ein toller Bursche, unstet und ruhelos, er ließ sich nicht eindämmen und unter das Joch zwingen. Er ging hinaus auf den Scharten, wenn ein Gewitter herüber aus dem Welschland kam, dann setzte er sich geduckt unter einen hervorspringenden Felsen und schaute in das Wetter. Es zitterte alles in ihm vor Leidenschaft.Dann riß er den Bleistift aus der Tasche und zeichnete die Bäume, die wie Gespenster vor den schwarzen Wolken lagen und sich wie Katzen vor dem Feinde duckten.

Er konnte das Zeichnen nicht lassen. Sein Vater hatte den Kampf mit seinem Jüngsten längst aufgegeben. Halb war es ihm recht, denn so wurde das Gut nicht zerrissen. Der Willi mochte gehen, wohin er wollte. Einen Bauer gab er ja doch nicht. Ernst war ihm jetzt der Liebste. Er war seine einzige Hoffnung und sein geheimer Stolz. Der Junge ließ sich tüchtig an, und Adam wußte, daß sein LAltester schon das Gut hätte übernehmen können.

Auch Christian hing an seinen beiden Enkeln, aber auch er liebte Ernst mehr. Das machten die zwei tiefen Furchen, die von den Nasenflügeln gegen die Mundwinkel des Jünglings hinliefen. Er glaubte ihn zu verstehen und strich ihm öfters über die Haare und redete voller Liebe zu ihm, so daß dem Ernst ordentlich weich um das Herz wurde.Christian war in seinem Alter ruhiger geworden, er ging nicht mehr so viel zu dem Kreuze an dem DreiQuellenWeiher, und wenn er ab und zu einmal dort

144 []saß, blickten seine Augen ruhig auf das Wasser, das ihm zu Füßen lag, stille und versöhnend. So nickte er dann vor sich hin und betete leise:

Herre Gott, laß es die Kinder nicht entgelten.“Wie ein milder Schatten ging es dann immer wieder,eine alte verblaßte und verklärte Erinnerung über sein Gesicht. Aber es verflog rasch wieder und sein weißes Haar umrahmte das stille gute Antlitz.Da war einmal ein Kunstmaler aus Basel auf den Scharten heraufgeklettert, er schaute hinab auf den Schartenmatthof mitten in den grünen Fluren. Über die Berge schaute er hinweg in das Rheinland, dann zog er ein Skizzenbuch aus der Tasche und zeichnete mit feinen raschen Strichen, was sein Auge sah, auf das Papier. Er saß dabei auf einer vom Sturme gefällten winddürren Föhre und vertiefte sich in seine Skizze.

In der ʒeit streifte der Willi den Wald herauf dem Scharten zu. Als er da oben einen Menschen sitʒen sah, der zeichnete, schoß ihm das Blut zu Herzen. Er blieb einen Augenblick stehen. Was wollte der, fragte er sich, an seinem Platze. Und dann kam die Neugierde an ihn. Was konnte der Fremde, wie zeichnete der, konnte er es besser, waren seine Zeichnungen feiner Leise schlich er sich heran und schaute dem Fremden zu. Als er die Zeichnung sah, war es ihm,als sähe er etwas, das ihm schon lange vorgeschwebt hatte, und das er mit seinen ungeschickten Fingern nicht fertigbrachte. Unwillkürlich schlüpfte es über seine Lippen: „Ja, das ist es.“

Erschrocken drehte sich der Maler um. Als er den

10 KRurz, Die Schartenmaäͤttler.

7 22 14 []Knaben sah, der mit trunkenem Auge auf sein Blatt schaute, sagte er halb lustig halb spöttisch zu ihm:„So so, gefällt es dir“

Willi schaute immer noch auf die Zeichnung und fragte:

„Wie macht Ihr das auch nur““

Jetzt lachte der Maler auf.

„Mit dem Bleistift da, schau so,“ und er zeichnete in immer keckeren Strichen weiter.

Wortlos stand Willi dabei, bis die Skizze beendet war, dann sagte er zu dem Maler:

„So möchte ich es auch können.“

Der Künstler interessierte sich für Willi, die aufgeregte Art des Knaben wunderte ihn, da schien mehr zu sein als die bloße Neugierde eines Bauernjungen.

„Du mußt es halt auch so lernen. Wenn du Ausdauer dazu hast, geht es vielleicht schon.“

Willi klopfte das Herz bis an den Hals. Er hätte so gerne dem fremden Maler seine Zeichnungen gezeigt und ihn gefragt, was er dazu sage, aber er getraute sich nicht recht er fürchtete sich ausgelacht zu werden.Doch er faßte Mut, gab sich einen BRuck und sagte:„Ich zeichne auch, aber nicht so wie Ihr.“

Der Maler lächelte vor sich hin. Er hatte sich also nicht geirrt in dem Buben.

„Hast du etwas bei dir

„Jaʒ“ antwortete Willi leise. Er fürchtete sich von neuem, seine Zeichnungen zu zeigen.

„So zeig einmal her.“

Langsam, fast ängstlich nahm Willi sein Skizzenbuch heraus und reichte es dem Maler hin; als der es auf

144 []schlug, sah er erst den Unterschied zwischen seinen eigenen und den Zeichnungen des Malers. Tränen kamen ihm in die Augen.

Prüfend schaute der Künstler ein Blatt nach dem andern an. Dann klopfte er dem Willi auf die Schulter:„Bravo, du hast Talent, viel Talent, mein Junge, die Sachen würden zu einer Aufnahme in die Akademie reichen.“

Ungläubig schaute Willi auf, er glaubte zuerst, der Maler scherze mit ihm.

„Ja, ist es auch wahr“

Der andere lachte laut auf.

„Aber natürlich, du Dummerjan,“ und ernst fuhr er fort: „Doch das Studieren kostet Geld, viel Geld,es fragt sich nun, ob dein Vater das für dich bezahlen kann.“

„Ich glaube schon.“

„Wie ist eigentlich dein Name v

„Willi Berger.“ Er wies auf den Schartenmatthof; „das da unten ist meines Vaters Haus, der ist schon reich, aber ich glaube, er würde es nicht gerne sehen, wenn ich ein Maler würde“

Nach einigem Hin und Herreden ging der Maler mit Willi zu Adam, die beiden Männer redeten eine Weile miteinander, dann verabschiedete sich der Fremde freundschaftlich von dem Schartenmättler. Dem Adam war es schließlich gleichgültig, was der Willi wurde. Die Hauptsache war ihm, daß etwas Ordentliches aus ihm wurde. So sagte er denn Ja und Amen.Vier Wochen später führte Adam den Willi, nach einem weinerlichen Abschied mit den beiden Frei

10*

4 7 ᷣdg []berger Stuten selbst nach Basel.

Der Willi fuhr nach München, um zu studieren, und Adam trabte wieder der Schartenmatt zu.

Er grübelte auf dem Heimwege über allerlei nach.Er dachte an Ernst. Das war doch ein anderer Kerl.Den konnte man in das Geschirr spannen, der zog immer wacker an. Freilich können nicht alle Menschen gleich sein, und es war schon besser so, Ernst war nun einmal der AÄltere und das Gut blieb beisammen.Ernst aber saß an seinem Waldrande, schaute lange,lange über die Berge hinweg und hatte ein Weh in sich. Es zog ihn wie mit unsichtbaren Banden fort,weit weg, in die Welt hinaus, in das Leben. Er versuchte sich zu beherrschen, das Weh abzuschütteln und die Sehnsucht. Doch es gelang ihm nicht. Da barg er das Gesicht in seinen Händen, das Weinen kam ihn an, er biß auf die zähne, und es gab wieder nur einen Herzstoß, einen heftigen Stoß, der ging ihm durch Mark und Bein.

Es war schon spät in der Nacht, als er sich nach Hause schlich, geduckt und still, fast ängstlich.8 ls der Herbst in das Land kam, wurde Ernst

Mä krank und blaß. Besorgt fragte ihn Adam,was ihm fehle, aber Ernst konnte ihm keine Antwort geben. Er wußte es selber nicht. Die Sehn

148 []sucht nach der Welt, die er in sich hatte, verschwieger,denn was konnte es auch abtragen, wenn er darüber redete?

Er war schon ein Jahr aus der Schule entlassen, vorher hatte er in Basel noch das FremdenMaturitätsexamen gemacht. Seit dort war er auf dem Berge geblieben, höchstens daß er mit Adam ein paarmal auf die Viehmärkte fuhr.

Der einzige fremde Mensch, mit dem er gerne ein paar Worte redete, war sein Schulmeister, der Tommen.Ein feiner Nebel kam in das Land und Ernst streifte viel im Freien herum.

So traf ihn Christian einmal draußen am Weiher.Er schaute forschend in des Enkels Gesicht, das blasse Aussehen beunruhigte ihn. Die Falten in dem sungen Antlitze gruben sich immer tiefer.

„Was ist dir eigentlich, Ernst“

Der starrte vor sich hin auf den Boden, dann sagte er gleichgültig:

„Nichts, Großvater, was sollte auch sein“Christian besann sich.

„Ich glaube immer, du bist zu einsam hier draußen auf der Schartenmatt.“

Ernst schüttelte müde den Kopf.

„Ich habe nicht das kleinste Verlangen nach Gesellschaft, im Gegenteil, die Einsamkeit hier tut mir wohl.“

Christian glaubte seinem Enkel nicht.

„Es liegt dir doch etwas im Gemüte, sicherlich.“Ernst stand auf und antwortete unwillig:

„Du irrst dich, Großvater.“149 []Er wollte gehen, aber Christian hielt ihn zurück.„Bleibe, Junge,“ sagte er, „ich glaube, ich weiß,was es ist. Einmal früher habe ich es selbst gefühlt.Du mußt eine Weile in das Leben hinaus, zu den Menschen, du bist noch zu jung zum Einsiedler, ja,ja, so ist es.“

Ernst horchte auf. Was sagte sein Großvater da?In das Leben hinaus zu den Menschen Hatte er nicht recht, war es das nicht ð Aber nein, das durfte nicht sein. Es konnte nicht sein, was würde sein Vater dazu sagen, der war sa auch nicht draußen gewesen in der Welt, nie. Hatte er ein Recht, etwas zu verlangen, was sein Vater sich hatte versagen müssen?„Nein, Großvater, du irrst dich, es ist nichts von alledem, was du glaubst.“

Er ging weg, den Berg hinauf zum Schartenwalde.Christian schaute ihm nach, besorgt und ängstlich,dann murmelte er vor sich hin:

„Und es ist doch so, wie ich sage.“

Dann ging er dem Hause zu, er nahm sich vor, mit seinem Sohne über den Enkel zu reden, es mußte da etwas geschehen, des war er sicher. So durfte die Sache nicht mehr weitergehen.

Ernst ging langsam zu seinem Waldrande. Er grübelte über des Großvaters Worte nach. Und wenn es hundertmal so sein könnte, sagte er sich, dann durfte es nicht so sein, es gab ja in ihm gar keine Sehnsucht nach dem Leben. Was fragte er auch nach dem Lärmen einer Stadt und den vielen Menschen“War es hier nicht viel schöner Hier war die Buhe,das mächtige Rauschen des Waldes. Alles war hier

130 []ein mächtiges Offenbaren des Schönen in der Natur,eine Stille. Was konnte ihm das da draußen hinter den Bergen sein, was Nichts! er wollte bleiben.

Hier war die BRuhe.

Aber dort über den Bergen wohnte das Leben, und

Ernst schaute von dem stillen Walde weg in das

Tal hernieder. Da schweifte sein Blick bis an die fernen Berge hinauf, die in einem feinen Nebel lagen und aussahen wie eine Braut im Schleier, so zart,so duftig und so sehns üchtig. Sie lockten ihn und er träumte wieder hinaus über die Berge hinweg.

Da war sie wieder, die Sehnsucht, die ihn plagte,die ihm alle seine guten Vorsätze über den Haufen warf und die sich neben ihn setzte und mit ihm redete,schmeichelnd und verführend, bis er hinhorchen mußte, ohne Unterlaß hinhorchen mußte. Die Sehnsucht sprach leise und schön, daß es klang, wie ein wunderbares Heimwehlied.

„Geh doch hinaus in die Welt, schau, sie liegt ja vor dir, und sie ist so schön mit ihrem Leben, geh doch, umfasse sie und geselle dich zu den Glücklichen.Dort hinten in der Welt hält das Leben so viel Schönes verborgen, auch für dich hat es etwas, gehe nur hin, dann wird dein Träumen Wirklichkeit und alles, nach dem du dich unbewußt sehnst, steigt wunderbar vor dir auf.“

Ernst hätte noch lange hingehorcht, aber Frau Sehnsucht schwieg und ließ ihn allein. Und als Ernst gewahr wurde, daß er alleine war, hatte er den alten Schmerz in sich. Er hätte weinen können.

Auf dem Schartenmatthofe nahm der alte Christian 551 []seinen Sohn auf die Seite, er sagte zu ihm:

„Ich habe etwas mit dir zu reden, komm.“Verwundert folgte Adam, das war schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen, daß sein Vater etwas Wichtiges zu reden hatte.

„Was soll es, Vater v

Christian schaute mit einem eigenen Ausdruck auf Adam.

„Hast du deinen Sohn lieb, Adam“

„Warum soll ich ihn nicht lieb haben?“

„Dann schicke ihn in die Welt hinaus, sonst geht er dir hier zugrunde.“Adams Gesicht verfinsterte sich. Was sollte das bedeuten, was wollte der Vater von ihm.

Trotzig fragte er darum:

„Und warum soll ich ihn hinausschicken, Vater v „Weil er hier die Einöde auf dem Gute nicht mehr ertragen kann, darum, Adam.“

Adam fuhr auf.

„Ich habe es auch ausgehalten hier, mein ganzes Leben lang, der Junge soll es auch aushalten.“„Dann nimmt es ein böses Ende, Adam.“

„Dann soll es ein böses Ende nehmen, Vater.“Christian war bekümmert, wie konnte er es seinem Sohne beibringen, daß Ernst fort müsse; er besann sich:

„Schau, Adam, du bist all die Zeit hier gewesen und hast es ausgehalten, weil du zu kämpfen hattest und einem verlotterten Gute wieder auf die Beine helfen mußtest, darum kam dir nie ein Gedanke, davon wegzugehen, in die Welt hinaus; was aber hat der Ernst 152 []nichts von alledem; den Kampf hast du bestanden und dein Sohn hat nichts mehr dabei zu suchen,würdest du da nicht auch auf andere Gedanken kom men Denke dich in seine Stellung, wie wäre dann dir zumute, sicherlich auch nicht besser als dem Ernst.“Verwundert hörte Adam seinem Vater zu, diese Sprache war ihm neu und sie klang so ungewohnt von dem alten Manne. Adam konnte nichts entgegnen, er ging auf und ab, mit seinen Gedanken beschäftigt, er fragte sich, ob sein Vater so ganz unrecht habe; im Grunde genommen hatte er recht.Was blieb dem Jungen noch zu tun übrig v Er nahm ihm ja alle Arbeit vorweg, aber fort konnte er ihn nicht lassen, das durfte sa nicht sein.

Es gab auch andere Wege.

„Was meinst du, Vater,“ sagte er, „wenn ich ihn in das Geschirr spanne, ihm Geschäfte übergebe,die ihn anstrengen, und die ihm Verantwortung aufbürden. Müssen dann die leidigen dummen Gedanken nicht vergehen

Christian wußte das besser; das verging nicht mehr,was der Ernst hatte, das wußte er nur zu gut.„Nein, Adam, das nützt nichts, wenn es einen einmal gepackt hat, dann läßt es nicht mehr locker, bis man nachgibt oder daran zugrunde geht.“

„Aber es muß wieder vergehen, Vater.“

„Es vergeht nicht mehr.“

Adam fluchte auf, er wurde verbittert, jetzt sollte ihm die letzte Hoffnung für die Zukunft des Gutes auch noch genommen werden, nein, das durfte nicht sein,darum hatte er nicht ein solches Leben hinter sich,153 []Glück hatte es ja für ihn noch keines gegeben, sein Alter sollte sein Glück einmal sein. Wenn er einmal wegging, würde nun das ganze Gebäude zusammenbrechen. Denn es stand nicht so sicher, daß es ewig hielt. Es gab für den, der es übernahm, noch viel zu tun. Die Abzahlungen an den Hypotheken mußten geordnet werden, und dazu brauchte es eine starke Hand. Rein solcher, der mit Träumen hinaussah in die Welt und nur halb bei der Sache war, konnte das vollenden, was er angefangen hätte.

„Ernst muß sich zusammennehmen, Vater, sonst ist alles, was ich angefangen habe, dahin. Ich bleibe auch nicht ewig am Leben.“

Christian wußte, daß es da kein Zusammennehmen gab, auch der beste Wille war gegen eine Sehnsucht,die einen in die Welt hinaustrieb und ruhelos machte,machtlos.

„Nein, Adam, schicke Ernst fort, ein paar Jahre geht es schon. Du kannst noch lange aushalten, dann soll er wiederkommen und das Gut übernehmen, aber jetzt muß er weg, er soll zu Willi gehen, er kann sa etwas studieren, es schadet nichts. Dein Gut ist ja kein Bauernhof mehr und kann später auch einen Herrn ertragen.“

Adam machte sich Gedanken.

„Und wenn er nicht wiederkommt, Vater, wenn es ihm zu gut gefällt dort draußen

Christian lächelte.

„Ewig kann er es nicht aushalten, es treibt ihn von selbst wieder zurück, und er soll es dir auch noch versprechen, zurückzukommen, dann kommt er auch.“

154 []„So soll er gehen,“ antwortete Adam finster.an dankte Gott und hoffte Gutes für seinen Enkel.

Des Abends rief Adam seinen Sohn zu sich herein;gleichgültig ging Ernst zu seinem Vater.

Eine Weile schaute Adam stumm auf seinen Ältesten,es überkam ihn beinahe wie Haß. Wenn ihn dieser auch enttäuschen würde, was blieb dann von seinen Hoffnungen übrig Aber Christian hatte recht, der Bube mußte fort. Er sah sa aus wie ein Stumpf sinniger, er mußte das Spiel riskieren. Wenn Ernst nicht wieder gesund wird, war es schließlich gleichgültig, ob er fern oder hier zugrunde ging. Aber vielleicht kam er doch wieder.

„Willst du auch auf ein paar Jahre in die Stadt zu Willi v Du kannst dort irgend etwas studieren.“Ernst schaute auf. Er hätte am liebsten ein Ja herausgeschrien, aber der Ton und das Gesicht seines Vaters taten ihm weh. Er sah, daß ihn der nicht gerne hinausgehen ließ. Darum sagte er leise, ein wenig zagend:Laß es gut sein, Vater, ich kann auch ganz gut hier bleiben, es ist gleichgültig.“

Adam war betroffen. Wollte denn sein AÄltester nicht fort, oder wollte er ihn nicht enttäuschen“

„Ja, willst du denn nicht gehen““

Da konnte sich Ernst nicht mehr zurückhalten, er schrie auf, als könnte ihm noch etwas dazwischen kommen.

„Doch, Vater, doch.“

„Warum willst du denn dann nicht gehen““Ernst wurde traurig.75 []„Ich will dir nicht weh tun, Vater,“ sagte er, „ich kann es schon überwinden.“

Als Adam das hörte und auf sein Kind blickte, wurde ihm weh und weich um das Herz und er ging zu ihm hin, faßte ihn an die Schultern und sagte liebend er wußte nicht, wie es kam:

„Geh nur, Ernst, geh, aber komme wieder zu mir,denn auf dich habe ich meine Hoffnungen gebaut,laß die nicht in Scherben gehen.“

Und Ernst ging.

Er ging dem Leben entgegen, feurig und jugendfroh.Adam blickte ihm nach, lange und starr. Während Ernst die Landstraße hinabstapfte, kam das Weh über Adam und als er seinen AÄltesten aus den Augen verloren hatte, da übernahm ihn auf einen kurzen Augenblick die Schwäche.

Aber er war stark und schüttelte die Schwäche von sich ab.

In München lebte Ernst mitten in dem Leben, nach dem er sich so lange gesehnt hatte.

Zu Hause aber besorgte Adam die Geschäfte des Gutes. Nie hellte sich sein finstres Gesicht auf. Nur wenn er an Ernst dachte, überkam ihn eine weichere Regung. Er liebte seinen Ältesten als den Einzigen und weil er um ihn leiden wollte, damit er ihn nicht enttäusche.

Nur in langen Nächten, wenn Adam wach lag,übermannte ihn doch die Enttäuschung und trieb ihn zum Bette hinaus.

Mit schweren Schritten ging er durch das Haus,hinaus, über seine Ländereien.

154 []Wenn er dann am Rande des Schartenwaldes stand und alles überblickte, wenn dann die Nacht verblaßte und die Sonne kam und alles warm und umgoldet dalag, dann gab es einen Riß in ihm, und sein Gesicht wurde weh und faltig.

Er wußte, daß alles, alles, was vor ihm lag in reicher Kraft, einst, wenn er nicht mehr war, verfallen mußte.Da er beten können, daß es gut käme, aber er betete nie.

Er wartete.

Lange Zeit wartete er, und je mehr die Zeit voranrückte, wuchs die Unruhe in ihm. Enttäuschung und Gram plagten ihn, aber trotzig überblickte er alles;er wußte, daß es noch sein war.

Nur einmal hätte er seinen Ältesten gerne bei sich gehabt, ein einziges Mal. Er blickte uber die Berge hinweg und tat einen Wunsch.

Die Erfüllung aber kam nicht.

Da ging er můͤde und traurig seinem Hofe zu. Ihm fehlte nur noch eins: das Glück. Das andere hatte er sich ja alles erworben. Aber das Glück !

Nie mehr hat der Schartenmättler einen Wunsch getan. Er wurde still und hart wie seine Berge. Aber in ihm war sein ganzes Geträum in Trümmer gegangen, und alles, was ihm übrig geblieben, war Bitternis.

Seit dort wußte er es.

Sein Glück kam nie.

Ende.


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TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Die Schartenmättler: ELTeC Ausgabe. Die Schartenmättler: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-FD61-7