[108r]
Hochgeborner Freiherr,
Gnädiger Hochgebietender Herr Minister

Der Herr Professor Windischmann hat mir im Auftrage des Herrn
Geheimen Oberregierungsrath {Schultze} die Mittheilung gemacht, dass
(Ew.)Euer Excellenz von mir ein Gutachten über den Gesundheitszustand des
Herrn Professors Müller und Vorschläge über die Mittel zu seiner
Wiederherstellung zu erhalten wünschen. Diesem hohen Auftrage beei-
le ich mich in folgendem zu entsprechen.

Professor Müller leidet schon seit 3 1/2 Monathen an
einer eigenen Art von [Hypochondrie], welche ich schon mehrere Mahle
bei jungen Gelehrten im Anfange ihrer mit Erfolg begonnenen literäri-
schen Laufbahn zu beobachten Gelegenheit hatte.

Da in [diesen] von mir früher beobachteten Fällen insge-
sammt zuletzt immer, obgleich sehr langsam, wieder vollständige Gene-
sung eintrat; so zweifle ich keineswegs, dass auch Professor Müller
sich wieder ganz erhohlen und zu seinen Berufsarbeiten die vorige
ausgezeichnete Tüchtigkeit erlangen werde; um so mehr als sein Zustand
sich wirklich schon bedeutend gebessert hat.

Früher behauptete er zu allen etwas anstrengenden
körperlichen Bewegungen unfähig zu sein: er glaubte an einer Krank-
heit des Rückenmarkes zu leiden, welches mit gänzlicher Lähmung der
Beine, ja mit dem Tode endigen würde. Diese vermeintliche Unfähig-
keit zum Gehen zum Gehen1 bestimmte ihn auch, gegen meinen oft wie-
derholten Rath, seine bereits begonnenen Vorlesungen wieder aufzu-
geben. - Gegenwärtig geht er wieder aus und reitet zuweilen spaziren.

[108v]

Den günstigsten Erfolg in seinem jetzigen Zustande könnte man
sich von einer Reise versprechen, mit welcher er zugleich wissen-
schaftliche Zwecke verbinden könnte. Eine Reise nach Paris dürfte
in jeder Beziehung am angemessensten sein. Da er sich aber nicht ent-
schliessen wird, ohne die Begleitung seiner Gemahlin zu reisen; so
dürfte diese Reise zu grossen Kosten-Aufwand verursachen. Bei
einer Reise nach Holland wäre dies nicht der Fall, und sie würde
wohl denselben Dienst leisten.

In tiefster Verehrung verharre ich
Euer Excellenz
unterthänigster
(gez.)gezeichnet v. Walther Dr.
Geheimer Medicinalrath und Prof. (P. ord.)publicus ordinarius
zum Gehen]
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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 26. Juli 1827. von Walther an Altenstein (Abschrift, Typoskript). Z_1827-07-26_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-CCDF-1