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Sie sind wohl überzeugt, verehrter Mann, daß Ihre nun so bald zu hoffende Herkunft stets mein lebhaftestes Interesse ist, und daß ich, je länger je mehr, verlange, dieser lieben Hoffnung gewiß zu werden. Der Zeitpunct ist nun wohl da, Ihre endliche Entscheidung zu erwarten; daß Sie kommen, darf ich nicht bezweifeln; wie sollte ich mich von einer so nahen, so sicheren, so glücklichen Erwartung, wie von einem leeren Traume, wieder losmachen! Dies sei nicht die Frage; aber ob Sie früher oder später kommen, wird freilich von Umständen abhängen, welche nicht in unserer[173]Macht sind. Möchten doch diesmal die bösen Zeichen, die uns ein spätes Frühjahr verkündigt haben, zu Gunsten einer so ersehnten Reise unwahr befunden werden! Vielleicht sind sie bei Ihnen günstiger eingetroffen, und dann ist es ja erlaubt, den besten Fall anzunehmen. Ueberdem ist auf der Reise zwischen Weimar und Berlin auch im schlimmsten Falle nicht viel zu wagen; und hier ist es zuletzt einerlei, zumal wir der besseren Jahreszeit gewiß entgegen gehen. Was Ihrer hier erwartet, davon darf ich nichts mehr sagen; leider ist es als gewiß anzunehmen, daß (Se. Maj.)Seine Majestät der König schon im April von hier nach Petersburg abreisen werden, wovon Sie bereits gehört haben werden. Der Kronprinz wird (Se. Maj.)Seine Majestät begleiten, und die Abwesenheit etwa vier Monate währen. Auch andere Herrschaften werden um diese Zeit, wie es heißt, Berlin verlassen, so daß Sie es hier sehr still finden dürften. Unangenehm ist es noch insbesondere, daß Madame Milder-Hauptmann gegen Ende künftigen Monats von hier abreiset, um erst im Juni wiederzukehren. Diese seltne Frau würde unserem Theater einiges Interesse für Sie gewähren; es hätte mir nichts Empfindlicheres widerfahren können, als daß sie gerade um diese Zeit weggehet. Ich besorge darum nicht, daß es Sie gereuen dürfte, Berlin zu besuchen. Nach der Liste von Gegenständen, die ich für Sie verzeichnet habe, um Ihre Anwesenheit hier für Sie und uns auf's Beste zu benutzen, sind wenigstens vierzehn Tage nöthig, um alles in oberflächlichen Augenschein zu nehmen, und da, wie wir hoffen, manches Sie zu ausführlicher Beschäftigung reizen wird, so dürften einige Monate kaum hinreichen, um alles gehörig zu betrachten und zu genießen.

Sollte es nun nicht angehen, daß Herr Hofrath Meyer Sie auf dieser Reise begleitete? Wie vortheilhaft und erwünscht es für uns wäre, darf ich nicht erst sagen, und Ihnen selbst könnte es wohl nicht unangnehm sein. Herr Minister von Altenstein, den die Hoffnung Ihres Besuches bei uns höchlich erfreuet, wünscht auf alle Weise dazu beizutragen, daß Sie erkennen, wie sehr Sie hier verehrt werden. Mit Vergnügen wird er für alles sorgen, was Ihnen und Ihrem Freunde den hiesigen Aufenthalt angenehm machen kann, und von den Kosten desselben und der Reise darf überall nicht die Rede sein. Obwohl ich nun Ihr freundschaftliches Versprechen, bei mir zu wohnen, nicht in Anspruch nehmen würde, wenn ich nicht die Ueberzeugung hätte, daß es für Sie das Zweckmäßigste ist, so hat sich diese Ueberzeugung doch bei mir auf alle Weise bestätigt; ich weiß durchaus kein anderes Mittel, hier für[174]Ihre Bequemlichkeit und Ruhe zu sorgen, noch sonst Jemand, der, wie ich, dafür sorgen könnte. Zelter's Einladung ist mir erst bekannt geworden, nachdem sein Brief an Sie schon abgegangen war, sonst hätte ich sie verhindert; er hätte wohl vermuthen sollen, daß dieser Punct längst berichtigt ist, und wenn ich weder mit ihm, noch mit anderen Freunden davon gesprochen, so geschah dieses aus eben den Gründen, die mir überhaupt zur Pflicht machten, wegen Ihrer Herreise alle mögliche Discretion zu beobachten. Langermann, den ich seitdem um seine Meinung darüber gefragt habe, ist meiner Ueberzeugung durchaus beigetreten, obwohl er, als naher Nachbar von Zelter, eher für diesen parteiisch sein müßte. Sollten Sie aber die vielen Kinder in meinem Hause Unruhe besorgen lassen, so kann ich Sie vom Gegentheil gänzlich versichern; denn die drei lärmenden Knaben werden bei ihren drei hiesigen Tanten vertheilt, und die kleinen Mädchen sind gute, stille Kinder. Für Herrn Hofrath Meyer würde ich in der Nähe eine bequeme Wohnung zu finden wissen.

Alles diese erwägen Sie mit der Liebe, auf die ich alle meine Hoffnung setze. Ihren Beschluß geben Sie mir gütigst zu erkennen, sobald es irgend sein kann; ich möchte Sie nicht gern überreden, wenn nicht freie Neigung Ihren Entschluß zu unserem Besten bestimmen sollte; deshalb will ich nichts Gutes von uns und unserem Orte sagen; vielmehr, wie es in entscheidenden Augenblicken gehet, fällt mir heute alles Sündige, Schlechte doppelt schwers auf's Herz, was Sie uns abgeneigt machen müßte. Nehmen Sie uns aber wie wir sind; wer könnte an seinem Vaterlande verzweifeln? Eine kurze Geschichte erklärt und rechtfertigt vielleicht unseren Zustand, der sonst nicht eben zu billigen wäre. Als Erscheinung bleibt er noch merkwürdig genug; Sie selbst haben ihn ja besser gewürdiget, als je ein Einheimischer. Sie sollten also nicht verschmähen, ihn näher kennen zu lernen. Doch, ich will nicht überreden; alles sei Ihrer Güte anheimgestellt.

[...] [175] [...]

Den 26. Da mir der Brief wirklich von der Post zurückgeschickt ist, so muß er nun bis morgen liegen bleiben, und ich habe Zeit, hier einen Plan von Berlin beizufügen, auf der (dem) ich mit Rothstift Folgendes bemerkt habe.

Die öffentlichen Gebäude, in welchen alle wissenschaftliche und Kunstsammlungen enthalten sind, liegen sämmtlich unter den Linden bis zum Schlosse hin.

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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. [25. u.] 26. Februar 1818. C. L. F. Schultz an Goethe. Z_1818-02-26_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-4BFD-1