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Auch Ihr Schreiben1, mein Werthester, vom 19. März war mir sehr angenehm; aber verzeihen Sie, wenn ich nur theilweise antworte, ich bewege mich gegenwärtig in weit entfernten Regionen. Eilig und vor allen Dingen sey daher gesagt, daß ich die Ordnung Ihres experimental-didaktischen Vortrages höchlich billige; Sie können von jedem Gradsinnigen verlangen, das Äußere, Gegenständliche zu sehen, nicht aber in sein Inneres zurückzublicken und sich selbst zum Object zu machen.

Fangen Sie bey den Physischen an, so liegt die Hauptlehre von der Trübe allsobald zum Grunde und Sie haben den schönsten Fortschritt der Ableitung, bis Sie zum Chemischen gelangen und auch dieses durchführen. Lassen Sie dann das Subjective folgen, so können Sie den Schülern überraschend sagen: Was Ihr bisher außer euch gesehen geht auch in euch vor. Wirkung und Gegenwirkung, die ihr überall bemerktet, ereignen sich gleichfalls im Auge und zwar ganz folgerecht nach den selben Gesetzen. Hiezu kann ich von den schönsten unmittelbarsten Bezügen Kenntniß geben.

[294]Mit Ihrer Darstellung der Farbensäume, des durch ein Prisma gehenden Bildes einer Ladenöffnung bin ich nicht ganz einig. Ich will die Figur durchstechen und das eigentliche Verhältniß aufzeichnen lassen; wenn Sie sich in diesen Dingen genau an meine Tafeln halten, so können Sie nicht fehlen.

Die entoptische für Sie bestimmte Maschine ist fertig; sie sey zu Ihrer Anstalt gestiftet. Leider geht noch der entoptische, aus Glasplatten zusammengesetzte Cubus ab, wegen welchem ich mich nunmehro an den Chemiker gewendet habe; lassen Sie ja Ihren Künstler sich hierin wohl üben. Einen soliden Kubus mit entoptischen Eigenschaften finden Sie blos zufällig und müssen daher alle, die Ihnen zur Hand kommen, zwischen den bekannten Spiegeln probiren und einen, der die Probe besteht, willkommen heißen. Da indessen der aus Glasplatten zusammengesetzte eben die Dienste thut, ja sogar noch andere Vortheile bietet, so thut der Künstler wohl, fleißig zu versuchen, den Glasplatten durch Glühen und schnelles Abkühlen die gewünschte Eigenschaft mitzutheilen.

Meinen Aufsatz über entoptische Farben im dritten Heft der Naturwissenschaft empfehle zu getreuem Studium; er ist höchst sorgfältig geschrieben und wenn Sie die Phänomene mit Gewandtheit vortragen, so wird es gewiß eines der interessantesten Capitel physischer Farbenabtheilung.

Mit den kunstreich getrübten Trinkgläsern ist es [295] mir vergangenen Sommer in Böhmen nicht geglückt; unter einem Dutzend, sind blos zwey einzige, die das Phänomen vollkommen darstellen, bey den andern scheint sich der Schmelz schon zum Gelben specificirt zu haben; die doppelsinnige Trübe ist verschwunden, wie es ja auch bey chemischen Infusionen geschieht, und Sie jeden Tag mit Roßkastanien-Rinde versuchen können.

Für heute nicht mehr! Verzeihung! Meine gegenwärtigen Arbeiten liegen gar zu weit ab von diesem Felde. Schreiben Sie jedoch nur öfters und fragen beliebig an; ich werde dadurch wenigstens zu flüchtiger Erwiderung angeregt; ich habe mir ein Actenstückchen von Ihren Briefen und meinen Antworten gemacht, so daß ich wohl nachkommen kann.

 treulichst
J. W. v. Goethe.

Noch muß ich bemerken, daß man zu den Glasplättchen, denen man die entoptische Fähigkeit mittheilen will, das reinste Glas muß zu erhalten suchen, das nur aus Kieselerde und Kali besteht, besonders hat man sich vor allem Glase zu hüten, bey welchem sich irgend ein bleyischer Antheil eingeschlichen.

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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 23. März 1822. Goethe an von Henning (Konzept). Z_1822-03-23_c.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-3E69-7